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Wird er sie retten – oder mit sich in die Dunkelheit reißen? Der Romantasy-Sammelband »Shadow Kiss« mit über 1.000 Seiten als eBook-Sammelband bei venusbooks. Drei fesselnde Romane – drei Frauen, die das Verlangen der Finsternis wecken … Um ihre Heimat vor einem grausamen Vampirclan zu bewahren, muss die Königstochter Loreena die Reise ins Reich der Nacht riskieren. Nur einer kann ihr dabei zur Seite stehen – doch der arrogante Graf Aroq ist selbst für seinen unstillbaren Blutdurst gefürchtet … Seit Wochen schon träumt die New Yorker Journalistin Melanie jede Nacht von einem rätselhaften Fremden. Als sie beim Besuch eines exklusiven Nachtclubs plötzlich vor ihm steht, fühlt sie sofort ein magisches Band zwischen ihnen. Doch Alexander gehört zur Schattenwelt – und könnte Melanie alles kosten … Mitten ins Herz der Dunkelheit wird auch die Vampirin Maggie gezogen, als ein schockierender Mordfall in New Orleans den Polizisten Sean Canady direkt vor ihre Tür führt. Aber sind sie Gegner – oder so viel mehr als das? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das große Paranormal-Romance-Highlight »Shadow Kiss« vereint auf über 1.000 Seiten die sinnlichen Romantic-Fantasy- und Vampirromane »Vampire's Kiss – Gebieter der Dunkelheit« von Sandra Henke, »Schwur der Vergangenheit« von Eva van de Maan und »Blutrote Nacht« von Shannon Drake. Lesen ist sexy! venusbooks – der erotische eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 1419
Über dieses Buch:
Drei fesselnde Romane – drei Frauen, die das Verlangen der Finsternis wecken … Um ihre Heimat vor einem grausamen Vampirclan zu bewahren, muss die Königstochter Loreena die Reise ins Reich der Nacht riskieren. Nur einer kann ihr dabei zur Seite stehen – doch der arrogante Graf Aroq ist selbst für seinen unstillbaren Blutdurst gefürchtet … Seit Wochen schon träumt die New Yorker Journalistin Melanie jede Nacht von einem rätselhaften Fremden. Als sie beim Besuch eines exklusiven Nachtclubs plötzlich vor ihm steht, fühlt sie sofort ein magisches Band zwischen ihnen. Doch Alexander gehört zur Schattenwelt – und könnte Melanie alles kosten … Mitten ins Herz der Dunkelheit wird auch die Vampirin Maggie gezogen, als ein schockierender Mordfall in New Orleans den Polizisten Sean Canady direkt vor ihre Tür führt. Aber sind sie Gegner – oder so viel mehr als das?
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Sammelband-Originalausgabe Dezember 2023
Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2023 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München
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Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive
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eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-96898-268-7
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Shadow Kiss
Drei Romane in einem eBook
venusbooks
Seit langer Zeit liegt ein dunkler Schatten über dem Königreich der Menschen. Nur ein geheimnisvoller Zauber verhindert, dass die Vampire von Valkenhorst sie zu willenlosen Sklaven machen. Doch dann geschieht ein Unglück: Der König wird schwer verwundet – und nur der Biss eines Blutsaugers kann sein Leben retten. Die Königstochter Loreena hat keine andere Wahl: Sie muss in das Land der Vampire reisen und den dunklen Grafen Aroq um Hilfe bitten. Schnell wird sie zum Spielball zweier dominanter Männer, deren scharfe Zähne sie nicht nur vor Furcht erschaudern lassen. Denn Loreena entdeckt auch, was schon lange in ihr schlummert: eine dunkle Leidenschaft, gegen die sie sich wehrt … und der sie sich trotzdem mit Haut und Haar ergeben will!
Es begann vor weit zurückliegenden Tagen im Königreich Ingrimm. Belagert und bekämpft von den Heeren Wahnsteins im Westen und Frostlandes im Norden, wehrte sich das Volk der südlichen Krisis verzweifelt gegen eine Niederlage. Doch eine viel gefährlichere Macht lauerte im Osten auf einen Moment der Schwäche. Valkenhorst, das Land der Vampire, wollte Ingrimm nicht durch Krieg, sondern durch eine subtilere Art unterjochen. Die Blutsauger herrschten über menschliche Untertanen, knechteten und töteten in schwarzen Samtroben. Sie vermochten Ingrimm nicht einzunehmen, denn das Reich besaß das Geheimnisvolle, einen Schutz, der den Bewohnern Immunität gegen den übernatürlichen Einfluss der Vampire gewährte. Erhaben wartete Valkenhorst auf die Wende. Die östliche Krisis wusste, ihre Chance würde kommen. Und eines Tages kam sie ...
***
»Bring ihm einen Becher Wasser.« Loreena kniete vor dem Krankenbett ihres Vaters, als die Nacht hereinbrach. Auf der Kirschholzkommode unter dem Fenster stand eine Trauerkerze. Die zuckende Flamme erhellte spärlich das Gemach. Die Atmosphäre war gespenstisch, bedrückend wie in der Familiengruft. Loreenas Blick folgte dem klumpfüßigen Diener, der in den Korridor humpelte und mit einem Tonkrug zurückkehrte. Er füllte einen Holzbecher mit Wasser und reichte ihn ihr. Dann zog er sich zurück.
»Trink, Vater. Du musst trinken.« Sie hielt Wor den Becher an die spröden Lippen, doch er winkte ab.
»Was nützt es zu trinken, Tochter. Ich werde sterben, so oder so.«
Sie zog besorgt die Gänsedaunendecke bis unter seine Achseln. Es schmerzte, den nahenden Tod in seinen trüben Augen zu sehen.
Verwundet war er am Ende des Winters von der großen Schlacht auf der Ebene Fallbö zurückgekehrt, durchbohrt von einer Schwertklinge Firns. Mit seiner königlichen Kraft schwand die Hoffnung des Ingrimmschen Volkes. Lomas, der Sohn des Königs, wurde ein Gefangener des Nordens. Alle Heerführer waren in den Schlachten gestorben, alle Flottenkapitäne mit den brennenden Kriegsschiffen vor den Kaimauern der Hauptstadt Küstenmarks untergegangen. Nun lag auch König Wor im Sterben. Es gab niemanden, der das gebeutelte Volk anzuführen vermochte. Tiefer als jemals zuvor lagen seine Augen in den Höhlen, umrandet von Schatten. Die Barthaare sahen stumpf aus, und seine Lippen waren aufgeplatzt.
Loreena bemerkte, dass er Mühe hatte zu sprechen. Das schulterlange silbergraue Haar lag verschwitzt auf dem Kissen. »Du darfst nicht aufgeben. Es gibt immer Hoffnung!« Verzweifelt legte sie die Hand auf seinen fiebrig warmen Unterarm.
Als er sich umdrehte und seine Hand auf die ihre bettete, verzog er schmerzerfüllt das Gesicht. »Die gibt es, aber sie ist zweifelhaft.«
Sie runzelte die Stirn. Besorgt und dennoch neugierig fragte sie: »Wovon sprichst du, Vater?«
Er verstärkte seinen Griff, als wolle er die Intensität seiner Worte unterstreichen. »Wir müssen einen Pakt mit dem Teufel schließen, um das Ruder noch einmal herumzureißen.«
Loreena zog die Hand unter der ihres Vaters hervor. Sie starrte ihn an, diesen alten Mann, der mit einem Loch im Bauch auf dem Bett lag und von Fieberträumen geplagt sein musste. Schließlich fand sie ihre Sprache wieder. »Du kannst sie nicht meinen. Du kannst nicht von ihnen sprechen – diesen Teufeln in Menschengestalt. Diese Bestien lauern nur darauf, unsere vom Krieg ausgemergelten Körper auszusaugen.« Sie schwieg einen Moment. Als Wor nicht antwortete, fuhr sie wütend fort: »Sie halten die Menschen innerhalb der Grenzen Valkenhorsts gefangen. Vater, sie zwingen unseresgleichen nicht nur, für sie zu arbeiten, sondern halten ganze Familien wie Tiere in einem Käfig ohne Gitter.«
»Genug, Loreena.« Wor hob mühsam die Hand, um ihr Einhalt zu gebieten.
Unbeeindruckt machte sie ihrem Hass auf Valkenhorst weiterhin Luft. »Die Menschen der östlichen Krisis sind lebendiges Futter. Sie leben nur, um Blut zu lassen und irgendwann ausgesaugt zu werden. Oh, nein, die feinen Vampire in schwarzem Zwirn machen sie nicht zu den ihren, sondern zapfen ihnen mit Nadeln Blut ab, lassen sie zur Ader. Hast du an die Kinder gedacht?«
Unter lautem Stöhnen setzte Wor sich auf. Es dauerte eine Weile, bis er Luft holen konnte. Plötzlich griff er nach dem Holzbecher und schmiss ihn an die Wand gegenüber seiner Ruhestätte. Das Gefäß traf das Porträt seiner verstorbenen Ehefrau Rominda, fiel polternd auf den Steinboden und rollte aus. Als würde Rominda weinen, lief das Wasser in Schlieren das Bild herab.
»Ingrimm wird untergehen! Ein Land kann ohne Anführer nicht kämpfen. Ich werde in die Geschichte eingehen als König des Niedergangs. Ich habe die südliche Krisis ins Verderben regiert, doch ich werde Ingrimm retten.«
»Koste es, was es wolle?« Sarkastischer hätte ihre Stimme nicht klingen können.
Er ignorierte ihre Frage, betrachtete mürrisch den Wasserfleck auf dem Gemälde. »Morgen wirst du nach Wölfing reiten und Graf Aroq auf der Wolfsburg besuchen.«
Loreena starrte ihn an. Sie entschied, mit Vernunft auf ihn einzuwirken. Ihr Vater war zu schlau, um sich durch Wutausbrüche überzeugen zu lassen. »Vampire kämpfen nicht mit Schwert, Pfeil und Bogen. Sie wären schlechte Verbündete.«
Wor legte sich wieder hin.
Loreena sprang auf, um ihm zu helfen, aber er schüttelte das Haupt. Verschwitzte Haarsträhnen flogen umher und blieben an seinen glühenden Wangen kleben. »Sie sollen nicht kämpfen, um Himmels willen, Loreena! Kraft sollen sie mir schenken!«
Sie schluckte. Schlimme Vorahnungen schnürten ihr die Kehle zu, während Tränen in ihre Augen schossen. Erschüttert setzte sie sich auf die Bettkante.
»Nur ein gesunder König ist ein guter König. Ich kann das Heer nur in die Schlacht führen, wenn ich in der Lage bin, aufrecht auf einem Pferd zu sitzen und zuzuschlagen. Mein Kind, dazu brauche ich Aroqs Biss.«
»Nein, bitte, das Fieber verwirrt dich. Das kann dein Volk nicht von dir verlangen.«
»Das kann es sehr wohl, aber es tut es nicht. Es ist meine Entscheidung. Ich würde selbst zum Grafen reiten, aber mein Körper ist zu schwach.«
Loreena kämpfte mit Tränen. Um sich abzulenken, kaute sie auf den Spitzen des hüftlangen, sandfarbenen Haarzopfs, der ihr über die Schulter hing. Eine Unart, die sie seit Kindheitstagen nicht abgelegt hatte. Sie wollte nicht weinen. Tränen würden Wors Herz brechen. Auch wenn er vorgab, er wäre zu allem bereit, bemerkte sie seine Unruhe, denn er räusperte sich nervös nach jedem Satz, den er von sich gab.
»Du würdest einer von ihnen werden.«
Er drehte sein Gesicht fort und starrte auf den Deckenleuchter, dessen Kerzen nur in der Hochzeitsnacht von Wor und Rominda und in der Nacht ihrer Geburt jemals angezündet worden waren.
»Bitte Graf Aroq, mich mein Reich retten zu lassen. Ist Ingrimm in Sicherheit, begebe ich mich freiwillig in seine Hände.«
»Er wird eine Gegenleistung verlangen.« Loreena beobachtete voller Verzweiflung, wie sich Wors Finger in die Bettdecke krallten.
»Wir können nur hoffen, dass es ihm reicht, den Ingrimmschen König auf den Knien rutschen zu sehen. Es wird ihm große Genugtuung verschaffen. Mein Leben für das Leben Ingrimms.«
Resignierend ließ Loreena den Kopf hängen. Sie murmelte etwas vor sich hin. Wor reagierte nicht. So hörte wohl nur die Spinne unter dem Bett, die wahrscheinlich gerade ein Netz vom Pfosten zur Wand spann, dass Loreena betete, die Purpurne Schriftrolle möge in den Köpfen der Vampire in Vergessenheit geraten sein.
Bereits in der Morgendämmerung brach Loreena mit ihrer Leibgarde und zwei Gelehrten gen Valkenhorst auf. Die Fensterläden der Häuser waren noch geschlossen, als der Tross durch die Straßen der Hauptstadt Küstenmarks ritt. Raureif ließ die Wiesen vor den Toren silbrig glänzen. Die Vögel im nah gelegenen Wald Goblin stimmten ihr Weckkonzert an. Rasch trabte der Tross über die Ostgrenze. Kälte breitete sich in Loreena aus, als würde eine eisige Hand ihr Herz ergreifen. Sie zog fröstelnd den moosgrünen Samtumhang enger um ihren Körper. Das Land wurde karger. Anstelle von Birken und Buchen säumten Fichten und Kiefern den Weg. Der Graupelwald löste Goblin ab. Schwere Wolken hingen dunkelgrau über den Baumwipfeln. Regen hatte die Straße zu einem einzigen Schlammloch gemacht. Hin und wieder drehte sich Loreena um. Sie spürte, dass sich Augen auf sie und ihre Leute richteten. Der Griff Aroqs wurde enger, je näher sie Wölfing kamen, und Loreena fürchtete, seinem Einfluss zu erliegen.
Nach einem halben Tagesritt passierten sie die Granitmauern der Hauptstadt. Schwarz und glänzend türmten diese sich vor dem Korps auf. Loreena sah zum ersten Mal, seit sie das düstere Land betreten hatte, dessen Bewohner. Sie warfen ihr scheue Blicke zu. Niemand schaute ihr offen ins Gesicht. Akribisch versuchte sie auszumachen, wer Vampir und wer Mensch war, doch das stellte sich als äußerst schwer heraus. Nicht umsonst betrachtete das Krisisgebiet die Vampire als eine der größten Mächte. Die Blutsauger waren nicht von den Menschen zu unterscheiden – wenn sie dies nicht wollten. Es wäre für die Blutsauger ein Leichtes gewesen, sich in andere Länder einzuschleichen, die Gunst von Herrschern zu erlangen und diese hinterrücks zu ihresgleichen zu machen – wenn ihnen ihr überheblicher Stolz dies nicht verbieten würde. Aber es war das erste Mal in der Geschichte der Krisis, dass sich ein König den Vampiren freiwillig unterwerfen wollte.
Loreena stellte verwundert fest, dass die Wolfsburg die kleine Gruppe bereits erwartete. Bereitwillig öffneten die Wachen, bewaffnet mit Armbrüsten und Langschwertern, ihr und dem Gefolge die Tore. Angriffe blieben aus. Es war fast, als ignoriere man sie. Oder ließ man den Luchs in den Käfig, um die Falle zuschnappen zu lassen? Sie übergaben die Pferde dem Stallmeister. Dann stiegen sie die lange Steintreppe der Burg empor.
Rechts und links erblickte Loreena seltsame Steinfiguren: Bestien, aggressive Kreaturen, die auf dem Sprung waren, Beute zu reißen. Auf den tellergroßen Hinterpfoten standen sie, die Vorderläufe erhoben, um dem Feind ihre Krallen ins Fleisch zu schlagen. Die Figuren erinnerten an tollwütige Hunde mit vor Irrsinn geweiteten Augen. Obwohl die Kreaturen aus Stein gemeißelt waren, meinte sie, ein Blitzen und bösartiges Funkeln in ihren Pupillen zu erkennen. Verunsichert beschleunigte sie ihre Schritte und sah dennoch ein letztes Mal zurück. Erst in diesem Moment wusste sie, was sie von Anfang an irritiert hatte. Der Stein, aus dem die Monster geschlagen waren, besaß eine unwirklich graue Farbe. Sie erinnerte an Wolfsfell. Fast meinte Loreena, Schattierungen erkennen zu können und Haare, die sich jeden Moment aufstellen würden. Werwölfe! Hastig wandte sie sich ab, um nicht schreiend fortzulaufen.
Ihr Blick wanderte über die verzierte Eisentür, die so breit wie die Treppe der Wolfsburg war, hinauf zu den Türmen. Ihr stockte der Atem. Fratzen zeigten sich an den Fenstern. Sie lächelten ihr gierig zu und verschwanden hinter pechschwarzen Vorhängen. Jetzt reicht es, schimpfte sie, konzentrier dich auf deine Aufgabe! Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als wolle sie die Trugbilder wegwischen.
Ein Mann in roter Samtrobe empfing sie und ihre Gefolgschaft an der Tür. Goldene Glöckchen baumelten an seinem Gewand und erzeugten eine Melodie, wann immer er sich bewegte. Sein rundliches Kinn ragte erhaben in die Luft, als er sich vor ihnen aufbaute. Das Gesicht setzte sich erschreckend bleich von der schwarzen Fassade der Wolfsburg ab.
»Folgt mir.« Er wandte sich an Loreena, während er der Leibgarde und den Gelehrten abweisend eine vernarbte Hand vorhielt.
Loreena nickte ihren Begleitern zu und folgte dem untersetzten Mann. Die Eisentür fiel hallend hinter ihrem Rücken ins Schloss. Loreena schreckte zusammen. Ein Gefühl der Beklemmung lag wie ein unsichtbarer Strick um ihren Hals. Immer wieder blickte sie sich angespannt um, während sie dem Vampir folgte. Sie stellte verwundert fest, dass keine Gemälde an den Wänden hingen. Keine erhabenen Gesichter vergangener Oberhäupter. Keine heroischen Posen verstorbener Helden. Spärlich brannten Fackeln, die in Metallhalterungen an den Wänden steckten. Loreena fragte sich, ob Vampire wie Katzen im Dunkeln sehen konnten. Von irgendwo aus den Katakomben erklang eine Melodie, die sie einlullte. Sie schmunzelte, obwohl ihr nicht danach zumute war. Eine Harfe oder eine Geige? Gar eine Stimme? Sie konnte es nicht deuten, und so verschwand ihr Lächeln abrupt.
Schließlich gelangten sie an eine weitere Tür, diesmal mit einem verschnörkelten Buchstaben verziert: Rosen mit übergroßen Dornen rankten um ein »A«. Die Pranken des Vampirs mit der ungewöhnlichen Samtrobe öffneten die Pforte, schoben Loreena unsanft in das Gemach und schlossen den Eingang sofort hinter ihr. Noch bevor sie sich im Raum umschauen konnte, stand vor ihr der hochgewachsene Mann, über den die Kinder Schauerlieder sangen:
Grausamer Graf Aroq,Gnadenloser Graf Aroq,kommt in rabenschwarzer Nachtund hat den Tod mitgebracht.
Grässlicher Graf Aroq,Gefährlicher Graf Aroq,trinkt begierig dein Herzensblut,auf dass deine Seele nimmer ruht.
Loreena schrak zurück. Sie drückte sich mit dem Rücken an die Tür und tat, was sie geschworen hatte, unter keinen Umständen zu tun. Unzählige Male hatte Wor sie vor ihrer Abreise gewarnt. Die Leibgarde, die mit ihr in Wölfing eingetroffen war, sollte sie davor bewahren, während die Gelehrten den Auftrag hatten, an den Verhandlungen teilzunehmen. Doch nun stand sie vor dem einflussreichsten Mann Valkenhorsts, allein und hilflos, und schaute ihm in die Augen.
Seine Macht schwappte wie eine Welle des Medusenmeers über sie. Ein bizarres Kribbeln reizte ihre Haut, als würden Hunderte Quallen sie unter Wasser kitzeln. Er drückte sie unter die Oberfläche ihres Seelensees. Sein Blick bohrte sich tief in ihren und ließ sie ohne Worte wissen, dass das Betreten der Wolfsburg nicht ohne Folgen bleiben würde. Sie spürte seine Hand an ihrer Kehle. Er hatte sich jedoch gar nicht gerührt. Schweiß perlte von ihren Schläfen. Ihr Brustkorb bebte.
Plötzlich trat er auf sie zu. Graf Aroq stützte sich mit den Händen neben ihrem Kopf an der Tür ab. Betörender Opiumduft strömte von ihm aus. Loreena wurde schwindelig – er hielt sie unter der Oberfläche gefangen, drückte sie in die Tiefe –, aber sie kämpfte dagegen an. Sie wusste, er konnte nicht näher kommen, denn der Schutz umgab sie. Gleichwohl fragte sie sich, weshalb er überhaupt Einfluss auf sie nehmen konnte. Welch überwältigende Macht musste er besitzen, um trotz des Geheimnisvollen nur eine Handbreit von ihr entfernt stehen zu können?
»Ihr wusstet von meinem Besuch?«, brachte sie unsicher hervor. Sie musste etwas sagen, die quälende Stille unterbrechen. Warum hatte ihr niemand gesagt, dass der Graf so charismatisch war? Man hätte sie vorbereiten müssen. Oder gingen alle davon aus, dass ein Mann seines Ranges sich nicht mit einer rundlichen, unerfahrenen Frau abgab?
Er schmunzelte. »Ich weiß über alle Vorgänge in Küstenmark Bescheid.«
Diese Erhabenheit, diese verdammte Arroganz! Loreena war noch nicht in der Lage, den schmerzlichen Grund ihrer Reise in das Land der Finsternis anzusprechen, und so lenkte sie das Gespräch auf andere Belange. »Ich glaubte, Licht tötet Vampire.«
Aroqs Schmunzeln schwoll zu einem leisen Lachen an. »Ihr Menschen! Ihr denkt, ihr bekommt die Weisheit mit der Muttermilch eingeflößt. In Wirklichkeit wisst ihr nichts. Direkte Sonnenstrahlen töten uns, nicht trübes Tageslicht. Und die Sonne schiebt sich nie hinter den Wolken hervor in Valkenhorst. Ihr denkt sicherlich auch, dass Knoblauch uns schadet, oder, Loreena?«
Beim Klang ihres Namens erschauderte sie. Aus seinem Mund hörte er sich wie eine Sünde an. »Ist es nicht an dem?«, entgegnete sie.
Seine Zungenspitze benetzte die schmalen Lippen. Loreena schluckte, empfand sie doch auf seltsame Art und Weise die Berührung auf ihrem Mund. Doch Aroq küsste sie nicht, neckte sie nicht mit seiner Zunge und drang auch nicht in sie ein. Warum waren dann ihre Lippen feucht? Weshalb meinte sie, ihn zu schmecken?
Deutlich bemerkte sie den Hunger in seinem Blick, den lasziven Augenaufschlag, der sein Kopfschütteln begleitete. Und sie wünschte sich, an jedem anderen Ort des Krisisgebiets zu sein als in der Wolfsburg.
Um die Kontrolle nicht zu verlieren, entschied sie, sich auf weitere Fragen zu konzentrieren. »Es ist Tag. Weshalb empfangt Ihr mich unschicklich in Eurem Gemach?« Sie fühlte, wie ihre Erregung wuchs, spürte, wie er ihren Körper abtastete, ihren Busen umschloss, sanft, wie kühles Meerwasser in ihren Spalt eindrang, ihre Falten umspülte und liebkoste mit einer Zärtlichkeit, die sie in den Wahnsinn trieb – doch er berührte sie nicht, sah ihr lediglich weiterhin in die Augen.
»Wir bevorzugen es, tags zu schlafen, nachts auf Jagd zu gehen. Die Welt um uns herum jedoch lebt anders, und wir müssen die östliche Krisis verteidigen. Deshalb sind wir gezwungen, uns anzupassen – aber nicht vollkommen.« Aroq zwinkerte ihr zu.
Loreena nutzte die Gelegenheit. Schnell riss sie sich von seinem Blick los und senkte das Haupt. Nie wieder, schwor sie sich, würde sie ihm in die Augen schauen, denn sie war sich nicht mehr sicher, ob das Geheimnisvolle sie wirklich vor seinem Einfluss schützen konnte.
Sie duckte sich und huschte unter seinem Arm hindurch, atmete schwer, als wäre sie gesprintet. Der Graf drehte sich um. Süffisant lächelnd lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Tür und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper.
Loreena ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, um Aroqs übernatürlicher Anziehungskraft zu entgehen. Das Vorhandensein eines Bettes steigerte ihre Nervosität. Für einen Moment sah sie sich entblößt auf dem pechschwarzen, mit Silberfäden durchzogenen Bezug liegen. Arme und Beine gespreizt und nur mit unzähligen Knäueln Schafwolle bedeckt. Hand- und Fußgelenke waren mit Sisalseilen an die Bettpfosten gebunden. Schutzlos lag sie dort, den Kopf auf das Kissen mit den güldenen Fransen gebettet. Niemand war zu sehen, und trotzdem war sie nicht allein. Sie spürte es. Auf einmal schwang das Fenster auf. Eine kühle Brise wehte ins Zimmer, die Vorhänge flatterten, und die Wollknäuel wurden fortgeblasen, so dass sie nackt und ausgeliefert war. Blass und prall wie zwei Vollmonde wirkten ihre Brüste in der surrealistisch-sinnlichen Szenerie. Feuchtigkeit glitzerte zwischen ihren Schenkeln ...
Ihr wurde schummrig durch die Vision. Sie hielt sich am Pfosten fest und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Beeindruckt ließ sie den Blick weiter schweifen. Die Zimmerdecke war so hoch, dass man ein Zelt hätte aufbauen können. Eine Kerze mit glühendem Docht stand auf der Fensterbank. Sie musste eben erst ausgeblasen worden sein. Loreena stellte irritiert fest, dass nicht nur das Bett, sondern auch die Nachtkommode und der glänzende Schrank aus Teakholz waren. Der Tisch am Fenster besaß wunderschöne, wie Korkenzieherlocken gedrechselte Tischbeine, die man leicht zu Pflöcken umfunktionieren konnte.
Langsam fasste sich Loreena. Sie zog die Augenbrauen hoch. »Holz?«
Aroq folgte ihrem Blick. »Holz ist nicht gefährlicher für uns als Eisen. Lediglich ein Überzug macht es zur tödlichen Waffe.«
Natürlich spielte er auf Weihwasser an. Seine Offenheit verwunderte sie. Er musste sich seiner Übermacht äußerst sicher sein.
»Nun kommt zum Grund Eures Besuches. Meine Geduld, Euch Auskünfte über das Vampirvolk zu erteilen, ist erschöpft.«
Ihre Stimme zitterte, als sie ihr Anliegen vorbrachte, nicht nur, weil Wors Auftrag absurd war, sondern auch, weil sie sich vor Lust kaum konzentrieren konnte.
»Ihr wisst es bereits, Graf Aroq. Habe ich recht recht? Mein Vater, König Wor, braucht Eure Hilfe, um das Ingrimmsche Reich verteidigen zu können. Er stirbt. Kein anderer Anführer könnte das Heer in die Schlachten führen. Nur Euer Biss kann ihn und Ingrimm retten. Darum erbitte ich in seinem Namen Eure Gnade.«
Demütig senkte sie das Haupt. Erst als Aroq zum Fenster schlenderte, hob sie es. Er schaute nachdenklich zum Graupelwald. Mit Zeigefinger und Daumen kraulte er sein Kinn. Nun, da er sie nicht mehr betrachtete, schwand Loreenas Erregung. Ihre Klitoris pochte sehnsüchtig. Sie wünschte sich, nicht so empfindsam auf ihn zu reagieren, konnte sich aber nicht wehren.
Das erste Mal hatte Loreena die Möglichkeit, ihn genauer zu betrachten. Groß gewachsen und schlank musste er die meisten Männer Ingrimms um einen Kopf überragen. Seine ebenholzschwarzen Haare waren streichholzkurz, seine Gesichtskonturen markant und der Teint wächsern. Verstärkt wurde die Blässe durch seinen anthrazitfarbenen Samtanzug. Allein der Silberfaden, der in das Revers eingearbeitet war, und die Silberknöpfe zeichneten sich ab. Das Ingrimmsche Mannsvolk war eher klein und füllig, besaß lange Haare und eine von der Feldarbeit oder dem Kampf auf Schlachtfeldern sonnengegerbte Haut. Aroq sah anders aus als alle Männer des südlichen, westlichen und nördlichen Krisisgebiets. Es ging eine fremdartige Bezauberung von ihm aus, einer Naturgewalt gleich – faszinierend, mächtig und gefährlich.
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als er plötzlich in die Ruhe hineinsprach. »Weshalb sollte ich das tun?« Weiterhin blickte er aus dem Fenster.
»Ihr würdet über König Wor siegen. Er schwört, sich nach der Verteidigung Ingrimms freiwillig in Eure Hände zu begeben und sich Eurem Gutdünken auszuliefern.« Loreena spürte einen Stich im Herzen.
Graf Aroqs Gesichtszüge blieben steinhart. »Ich werde über Wor siegen, so oder so. Er liegt im Sterben. Vergesst das nicht.«
Eine tiefe Trauer breitete sich in ihr aus. »Nach seinem Tod werden die Länder des Westens und Nordens Ingrimm übernehmen. Ihr würdet über König Wor siegen, nicht aber über sein Reich.«
»Frostlande und Wahnstein werden sich bekämpfen, und dann schlägt die Stunde von Valkenhorst. Wir haben lange gewartet. Wir können länger warten.«
Sarkastisch fügte sie hinzu: »Und brutale Schlachten, wie die Menschen sie führen, sind nicht Euer Stil.«
Aroq fuhr herum. Seine Augen funkelten sie finster an. Eine seltsame Kälte breitete sich auf ihrem Rücken aus, und sie bereute die Worte. Loreena erschauderte, gleichsam erschreckt und wohlig, eine bizarre Mischung aus Furcht und Wollust. Ihr war, als würde er mit einem Eiswürfel ihre Warzenhöfe umkreisen und die feuchte Spur auflecken, ihre Brustspitzen umzüngeln und an ihnen saugen wie ein Schäfchen an der Zitze seiner Mutter. Loreena fasste an ihren Busen, entsetzt über diese weitere Vision, und bemerkte zwei kreisrunde nasse Stellen auf ihrem Oberteil. Waren es Sinnestäuschungen, die der Graf ihr suggerierte? War es am Ende ihre eigene Lust, die diese Bilder erzeugte? Ja, sie gab zu, dass sie sich seit Monaten nach einem Liebhaber sehnte, seit sie Emna, die Magd, mit Jolhan, dem Küchenjungen, im Schafstall beobachtet hatte. Er hatte sie über das Gatter gelegt, ihre Beine mit Sisalseilen an die Pflöcke und die Handgelenke an den Zaun gebunden und sie von hinten genommen, während die Schäfchen sich nach ihren Brüsten reckten, und Emna zappelte, um ihren gierigen Mündern zu entkommen. Die eingeschränkte Bewegungsfähigkeit schien sie zu erregen, denn ihre Brustspitzen standen hellrot und geschwollen hervor, als hätten die Schäfchen daran gesaugt, aber Emna wich den Zähnchen erfolgreich aus. Musste gerade der Feind Loreenas Erinnerung und Leidenschaft wecken?
Er trat einen Schritt auf sie zu. »Erfüllt meine Bedingungen und ich werde zustimmen. Wor bleibt König. Ein Vampir!« Sein abfälliges Lachen ließ sie frösteln. »Doch ich regiere Ingrimm. Und – ich verlange die Purpurne Schriftrolle.«
»Niemals!«, schrie Loreena. Sie rang nach Luft. Ihre schlimmsten Befürchtungen wurden wahr. Wie hatte sie so naiv sein und hoffen können, die Vampire hätten die Schriftrolle vergessen? Die einzige Waffe gegen Valkenhorst. Vor Urzeiten hatte ein geheimer Bund sie mit dem purpurnen Blut eines Vampirs geschrieben. So besagte es die Legende. Der Geheimbund wurde zerstört, doch die Schrift gerettet. Nur Loreena, ihr Bruder Lomas, König Wor und der oberste Priester Jahl kannten ihren Inhalt – das Privileg der Obersten Ingrimms.
Welch Segen, dass der Graf nichts von ihrem Wissen ahnte. Mit einem Mal erstarrte sie! Sie hatte Visionen gehabt, in denen sie gefesselt wurde und Schafwolle sie verhüllte. Emna und Jolhan. Hatte Aroq in ihren Kopf hineinschauen und lesen können, worüber sie phantasierte, um ihr Tagträume zu schicken und sie zu schwächen?
Aroq drehte sich wieder zum Fenster und blickte einem Mauersegler nach. »Geht jetzt.«
Seine ruhige Stimme erzeugte Zorn in ihr. »Reicht es nicht, Wor vor Euch im Dreck zu sehen? Ist es nicht die höchste Genugtuung, einen Vampir auf dem Thron Tides zu sehen?« Seine Antwort blieb aus, und so fuhr sie fort: »Nun gut, Ihr sollt Ingrimm regieren. Ich lege es in Eure Hand. Das Reich wird sich Euren Entscheidungen beugen. König Wor wird zu Eurer Marionette.« Noch immer sagte er nichts, sondern beobachtete, wie der Mauersegler sich auf einer Turmspitze niederließ.
»Aber die Purpurne Schriftrolle kann ich Euch nicht geben.« Ingrimm wäre für immer verloren. Sie dachte daran, dass das Schriftstück auch in ihrem Kopf existierte. Die Vampire würden ein Gegenmittel entwickeln und das Reich einnehmen, sobald sie das Mysterium entzaubert hätten. Sollte er in ihr tatsächlich lesen können wie in einem Buch, wäre das Geheimnis auch in ihrem Kopf nicht sicher.
Aroq blieb unbeeindruckt.
»Sagt etwas, bitte.«
Eisiges Schweigen trat ein. Loreenas Mut und Zuversicht schwanden. Was sollte sie tun? Was konnte sie sagen? Wie hätte Wor an ihrer Stelle gehandelt?
Endlich wandte sich der Graf um. »Sagt mir zu, was ich verlange, oder geht auf der Stelle.«
Ihre Blicke trafen sich. Blut schoss ihr in die Wangen. Kannte er wirklich ihre erotischen Phantasien? Sie wollte sich seinem Einfluss nicht noch einmal aussetzen, aber sie besaß keine Kraft mehr, sich gegen ihn zu wehren. Ihr Vater lag im Sterben. Ingrimm war am Ende. Loreena musste eine Entscheidung fällen, die das Krisisgebiet verändern würde – egal, wie diese ausfiel.
Gepeinigt von Trauer und Verzweiflung nickte sie zaghaft. Innerlich weinte sie bitterlich, während Graf Aroq sein erhabenes Lächeln wiederfand.
***
Der Heimweg erschien Loreena länger als der Weg nach Wölfing. Keine gute Nachricht konnte sie dem Ingrimmschen Volk bringen, obwohl sie dem Befehl ihres Vaters gefolgt war. Sie saß schwermütig auf ihrem Schimmel und weinte in sich hinein. Zusammengesackt, die Kapuze weit übers Gesicht gezogen, ließ sie ihr Pferd den anderen folgen, ohne die Zügel in der Hand zu halten. Während des gesamten Rückwegs prasselte Regen auf sie herab. Der Tag war finsterer als die Tage zuvor, obwohl das Frühjahr vor der Tür stand. Sie sehnte sich nach dem Sommer, der dem Süden Sonnenschein bringen und die Vampire einschränken würde.
Der Anblick Küstenmarks erzeugte Bestürzung. Zerfallen und düster hieß die Hauptstadt Loreena willkommen. Ihr einstiger Glanz war durch Beschuss und Hunger verblasst. Wer hatte ahnen können, dass Wahnstein und Frostlande gleichzeitig angreifen würden, obwohl kein Pakt zwischen den Ländern des Westens und Nordens bestand? Nun lag das Reich in den letzten Zügen – genau wie König Wor.
Wenn das Volk von meiner Nachricht wüsste, dachte Loreena, würde es mir die Tore nicht öffnen, sondern mich wie eine Verräterin zurück nach Valkenhorst jagen.
Doch niemand wusste von ihrem Geheimauftrag, und so ritt sie mit ihrem Gefolge ungehindert in die Festung. Noch während sie einem Stallburschen den Schimmel übergab, ließ sie Wor den positiven Ausgang ihres Auftrags übermitteln. Sie konnte ihm in diesem Moment nicht unter die Augen treten.
Gedankenversunken ging Loreena durch die Festung Tide. Den moosgrünen Umhang legte sie nicht ab, sondern schlug lediglich die Kapuze zurück. Ihr war kalt. Sie hatte viel zu verdauen. Die Lasterhaftigkeit, die in der Anwesenheit des Grafen von der Glut zur Flamme gewachsen war. Wie sollte sie mit ihren unkeuschen Gedanken umgehen? Ingrimm war keineswegs ein Volk von Traurigkeit, aber Loreena hatte keinen Gemahl, und ohnehin brachten die Männer ihr wenig Interesse entgegen, da sie rundlich gebaut war und ihr Stand viele einschüchterte.
Was sollte aus Ingrimm werden? Die Entscheidung ihres Vaters war besiegelt. Es gab kein Zurück. Es sei denn, sie wollten den Zorn Aroqs auf sich ziehen. Dies hätte zur Folge, dass Wor sterben und der Graf nicht länger mit einem Angriff warten würde. Die südliche Krisis zeigte sich geschwächter denn je. Immer wieder suchte Loreena nach einem Ausweg. Vielleicht gab es doch eine andere Möglichkeit. Vielleicht war diese zu abwegig, als dass Loreena sie bisher in Betracht gezogen hatte. Oder die Lösung versteckte sich im Nebel der Verzweiflung. Sie grübelte und grübelte, ohne von einem Geistesblitz getroffen zu werden.
»Wäre Lomas nur hier.« Murmelnd betrat sie die Küche.
»Was wäre dann, mein Kind?«
Die rauchige Stimme brachte Loreena zurück in die Wirklichkeit. Ihr Blick klärte sich, und sie sah Gamtam am Tisch sitzen. Mit ihrer Fülle, der Schürze und dem mit grauen Strähnen durchzogenen schwarzen Haar, war die Köchin eine herbe Schönheit. Loreena schmunzelte.
»Was zaubert ein Lächeln auf dein Gesicht?«
»Woher weißt du das?«, fragte sie erstaunt. »Es fasziniert mich immer wieder, dass du Kartoffeln schälst und keine einzige braune Stelle übersiehst.«
Die Köchin lachte laut. »Dieses Wunder sind alle hier in der Lage zu vollbringen.«
»Aber die anderen sind im Besitz ihres Augenlichtes, Gamtam.«
»Wohl wahr.« Akribisch suchte sie im Korb nach der größten Kartoffel und begann, sie zu bearbeiten. »Etwas bedrückt dich, Kind.«
Niemand auf Tide hätte gewagt, derart locker zu reden, aber Loreena konnte Gamtam nicht in ihre Schranken weisen. Zu viele Jahre hatte sie als Mädchen auf dem Schoß der Köchin gesessen, ihr beim Schälen der Möhren zugeschaut und hin und wieder ein Stück genascht. Loreena erinnerte sich an Stunden ihrer Kindheit, in denen sie ihre Mutter Rominda vermisste und Tränenbäche in Gamtams Schürze weinte. Wann immer Mädchen oder Jungen Loreena wegen ihrer Pausbacken hänselten, verjagte Gamtam die Kinder.
»Es ist nichts.« Loreenas Miene versteinerte. Sie blickte sich in der Küche um. Eine Magd holte einen Laib Brot aus dem Backofen. Sie klopfte auf die steinharte angebrannte Kruste und schimpfte mit sich, während ein Knabe eine Zwiebel von der Anrichte stibitzte und davonlief, gejagt von einem Koch mit Oberarmen, die so dick waren wie vier Leberwürste. Wie belanglos ihre Probleme waren – im Gegensatz zu Loreenas!
Gamtam hielt inne und schaute mit ihren milchigen Augäpfeln in Loreenas Richtung. »Das ist nicht die Wahrheit. Denk immer daran, ich lese in deinem Herzen.«
Hatte Graf Aroq das auch getan und ihre schamlosen Wünsche entdeckt? Loreena betete, dass die Köchin nichts von ihren Sehnsüchten las. »Ich wünschte, Lomas wäre hier.«
»Dein Bruder ist ein würdiger Thronfolger. Jedoch, und lausche meinen Worten gut: Du birgst die gleichen Qualitäten in dir.«
»Ich?« Verdutzt nahm Loreena neben Gamtam am Holztisch Platz. Sie schaute sich prüfend um. Weder Köche noch Mägde waren in Hörweite. »Ich bin schwach, sonst würde ich nicht dulden, was sich in den Mauern dieser Festung abspielt.«
Gamtam unterbrach ihre Arbeit. Sanft hieb sie mit dem Schälmessergriff auf die Tischplatte. »Loreena, du könntest Ingrimm führen, wenn du den Mut hättest. Alle wissen, dass es König Wor schlechtgeht. Du kannst nicht auf Lomas’ Rückkehr warten! Bis dahin sind die Heere Wahnsteins und Frostlandes bereits in das Reich eingerückt.«
Einen Moment überlegte Loreena, ob sie der Köchin etwas über die bevorstehenden Ereignisse erzählen sollte. Sie entschied, Stillschweigen zu bewahren. Zu grausam war allein der Gedanke an Graf Aroqs geduldeter, ja sogar ausdrücklich erwünschter Anwesenheit auf Tide und König Wors Wandlung. Nach dem Biss würde Wor vor sein Volk treten und Bericht erstatten.
Der Arme, dachte Loreena und knetete den Samtumhang, er muss seinem Volk mitteilen, dass er ein Vampir ist und Graf Aroq die Herrschaft über Ingrimm übernimmt. Würde man ihn lynchen? Sie hoffte, das Volk würde zu geschwächt sein, um innerhalb der eigenen Mauern anzugreifen. Wor war immer noch König und bereit, das Reich mit seinem Leben zu verteidigen. Hoffentlich erkennen seine Gefolgsleute, dass er sich ins Unglück stürzt, um sie zu retten.
Loreena stützte ihren Kopf mit den Händen ab. »Das Volk würde mich nicht auf dem Thron sehen wollen.«
»Unsinn!« Gamtam fuhr fort, die Kartoffel zu schälen.
Stöhnend, als wäre sie eine Greisin, erhob sich Loreena. »Nicht nach dem, was geschehen wird.« Bevor Gamtam nachfragen konnte, verließ Loreena die Küche. Im Korridor begegnete sie dem Knaben, der genüsslich in die Zwiebel biss. Kaum hatte er sie gesehen, rannte er davon.
Der Gedanke an die kommende Nacht schmerzte. Sie blieb an einem der riesigen Fenster stehen und beobachtete den Einzug der Dämmerung. Der Nieselregen saugte das Tageslicht auf. Nebelschwaden hingen über dem feuchten Gras. Der Wald Goblin sah durch die Finsternis wie ein schwarzes Loch aus, rätselhaft und bedrohlich. Der Schrei eines Uhus erklang. Wie gespenstisch, als ob der Graf bereits Einzug in Ingrimm gehalten hätte. Würde Aroq sein Wort halten? Oder planten die Vampire, bereits in dieser Nacht in Küstenmark einzufallen?
Sie legte die Handflächen an die kalte Glasscheibe. Lomas, wir brauchen dich. Ich brauche dich. Ich schaffe das nicht allein. Loreena lehnte die Stirn gegen die Scheibe und schloss die Augen. Bitte steh uns bei, Allmächtiger. Uns steht Schlimmes bevor.
Die Nacht schien schwärzer als alle Nächte, die das Königreich Ingrimm je erlebt hatte. Nur der Schein einer fast heruntergebrannten Talgkerze, die auf der Kommode neben seinem Bett stand, schien schwach auf Wors Gesicht. Fiebrig rot waren seine Wangen, während Schweißtropfen an seinen Schläfen herabliefen.
Schwer atmend lag er mit geschlossenen Augen vor Loreena. Sie krallte ihre Fingernägel in den Unterarm. Sie wollte nicht Zeugin des grauenhaften Wandels ihres Vaters sein, doch er hatte sie gebeten, ihm beizustehen. Seit dem Moment, als Graf Aroq das Schlafgemach betreten hatte, ging es Wor schlechter. Die ungewisse Zukunft peinigte ihn. Dennoch stand sein Entschluss fest.
»Bringen wir es hinter uns.« Loreena sah Aroq flehend an und verfluchte gleichzeitig ihn und das Kribbeln in ihrem Schoß, als würde eine Ameisenstraße mitten durch ihre fleischige Schlucht führen.
Eisig erwiderte er ihren Blick. »Erst die Schriftrolle.«
Sie hielt inne, um Kraft zu sammeln, und schritt zur Nachtkommode. Mit zitternden Händen öffnete sie die unterste Schublade. Sie entnahm die Purpurne Schriftrolle, wandte sich schweren Herzens um und reichte sie zögernd dem Grafen.
Seine Augen funkelten lüstern im Kerzenschein, als er seine Finger um das Papier legte. Er hielt inne und genoss den Triumph.
Wor stöhnte, und Loreena suchte nach besänftigenden Worten. »Es wird alles gut, Vater.« Sie glaubte nicht daran, spürte sie doch mit jeder Faser ihres Körpers die mächtige Aura des Vampirs.
Obwohl Aroqs Miene immer noch steinhart war, erkannte sie ein Siegeslächeln hinter der Fassade. Angewidert rümpfte sie die Nase. Mochte er auch noch so anziehend sein, er war und blieb ihr Feind.
Der Graf öffnete unbeirrt das purpurfarbene Band, das die Schriftrolle umgab, rollte sie auseinander und las vor:
Man verbrenne einen Vampir durch das FEUER der Sonne,mische hinzu die ERDE der Gräber von Menschen, die er ermordet.Man entnehme der ERDE Kartoffeln und erzeuge Alkohol mit Wonne,füge Weihrauch hinzu, soviel ein Atemzug LUFT erfordert.
Man mische WeihWASSER darunter, um der Elemente Balance zu bewirken,etwas TränenWASSER, das um die Ermordeten wurde geweint.Man entzünde die Mixtur mit FEUER, um die Vampirmacht zu verwirken,atme ihren Duft, trinke die Filtration und reibe sich damit ein.
Blanker Zorn schlug Loreena entgegen. Nun wusste der Graf, dass das Ingrimmsche Volk Vampire tötete, um eine Mixtur zu erstellen und sie als Schutz gegen Valkenhorst einzusetzen. Aroq drängte sie in eine Ecke und riss ihr das Brusttuch fort, so dass ihr Busen aus dem Dekolleté hervorquoll. Sie hob die Hände, um ihn abzuwehren, doch er band das purpurne Band der Schriftrolle um ihre Handgelenke und fesselte sie an einen Haken an der Wand.
»Bitte macht mich los.« Er hob nur eine Augenbraue. Mit erklärenden Worten versuchte sie, die Situation zu entschärfen. »Gott erschuf die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft, aus denen seine gesamte Schöpfung hervorging. Da auch wir Geschöpfe Gottes sind, bestehen wir aus den vier Elementen. Die Vampire jedoch sind etwas Übernatürliches, stammen nicht aus seiner Hand. Für sie ist die Vereinigung dieser elementaren Mächte tödlich.«
Er stellte sich hinter sie, raffte ihren Rock und sprach durch fast geschlossene Lippen: »Nie wieder wird diese Rezeptur angewandt! Nie wieder wird die Purpurne Schriftrolle Erwähnung finden! Alle, die von ihrem Inhalt wissen, werden vernichtet.«
Was hatte er vor? Wollte er seine Wut an ihr auslassen? Sie bebte vor Furcht und Erregung.
»Wer weiß davon?« Unbarmherzig wetterte seine Stimme. »Wer, Loreena?«
Sie biss sich auf die Unterlippe. Niemals durfte er das erfahren. Da glitt seine Hand in ihre Leinenunterhose und schob sich zwischen die Schenkel, bevor Loreena sie schließen konnte. Mit dem kleinen Finger neckte er ihre empfindsamste Stelle. Er rieb ihre Klitoris von allen Seiten, drückte sanft den anschwellenden Knopf und massierte ihn. Sie wehrte sich, zappelte in ihren Fesseln und versuchte, Aroq zu treten, aber ihr rechter Fuß blieb in ihrem Rock hängen. Nun stand sie schwankend auf dem linken Fuß, bemüht, das Gleichgewicht zu halten, während er die Antwort auf seine Frage aus ihr herauskitzelte.
»Hört auf, ich flehe Euch an«, jammerte sie, gepeinigt von den unschicklichen Gefühlen. Sie fühlte sich wehrlos ihrer Erregung gegenüber, und ebendiese hatte der Graf in der Hand.
Er nahm unbeeindruckt den Kitzler zwischen Daumen und Zeigefinger und zwirbelte sie. »Bettelt ruhig. Das bringt mich nur dazu, fortzufahren.«
»Mein Vater …«, brachte sie mühsam hervor und stöhnte.
Plötzlich stopfte Aroq ihr das Brusttuch in den Mund. Sie reagierte panisch, aber er wisperte verführerisch: »Pst, wir wollen Euch doch nicht in eine peinliche Situation bringen.«
Wut wechselte sich mit Lust ab und Lust mit Zorn, der fortgeschwemmt wurde mit ihrer Feuchtigkeit, welche ihre Schenkel hinunterlief, unweit vom Krankenbett ihres Vaters. Sie bemühte sich, die Kontrolle zu behalten. Vielleicht konnte sie so tun, als würde seine Berührung sie nicht entflammen, so dass er von ihr abließ. Doch ihr Körper sprach eine eigene Sprache. Er bäumte sich auf, wenn die Lust ihre Muskeln verkrampfte. Sie drängte ihre Hüften gegen Aroqs Hand, stöhnte immer lauter, der Knebel dämpfte lediglich die Laute. Immer wieder schaute sie zu Wor, doch er schien im Delirium zu sein. Was würde der Graf tun, wenn der König bemerkte, was in seinem Gemach Unsittliches geschah? Wie sollte Loreena reagieren? Sie würde sterben. Selbst die Gefahr des Entdecktwerdens peitschte ihre Lust an, ließ sie vom Boden abheben und in Ekstase über die Türme von Tide fliegen, frei wie ein Vogel, losgelöst und berauscht von dem überwältigenden Gefühl eines Orgasmus, den sie bisher nur allein unter ihrer Decke erlebt hatte. Mit glühenden Wangen landete sie zuckend wie ein Aal in Aroqs Armen. Sie fühlte sich erschöpft, lusttrunken und glücklich, auch wenn der Vampir sie nicht um ihretwillen verwöhnt hatte, sondern um ihr Informationen zu entlocken. Das machte sie betrübt, aber das Nachglühen minderte ihre Traurigkeit.
»Ihr seid mir eine Antwort schuldig«, wisperte er sinnlich in ihr Ohr. Noch immer lag seine Hand in ihrem Schoß, der eben noch lichterloh gebrannt hatte und nun langsam abkühlte. »Wer kennt das Rezept?« Er entfernte den Knebel aus ihrem Mund.
»Ich kann nicht …«
Sie kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu bringen, denn er begann aufs Neue, ihre Klitoris zu massieren. Die Knospe war hochempfindlich. Geschwollen und überreizt ragte sie aus seinem fleischigen Mantel und brauchte Ruhe. Sie war es nicht gewohnt, derart beansprucht zu werden. Loreena drückte die Beine zusammen, aber es half nicht. Graf Aroq legte seinen Mittelfinger auf ihren Kitzler, rieb vor und zurück und stieß immer wieder zwischen ihre Schenkel. Lust und Schmerz liegen nah beieinander, stellte Loreena fest, denn sie konnte nicht entscheiden, ob die erneute Reizung ihr gefiel oder nicht. Am Anfang überwog das Feuer, aber schnell fühlte es sich unangenehm an. Sie ertrug die Reibung nicht länger, zog an ihren Fesseln, strampelte und kämpfte, war jedoch machtlos.
Sie hatte Mühe zu sprechen. »Nur ich, König Wor und der oberste Priester Jahl. Er bereitet die Mixtur zu.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Nun lag ihr aller Schicksal in Aroqs Hand. Er konnte sie und ihren Vater mühelos blutleer saugen und das Reich unterwerfen. Sie spürte bereits seine langen Zähne schmerzhaft in ihrem Hals stecken. Loreena hatte nicht gewagt, die Mixtur an diesem Morgen zu trinken oder als Reinigungswasser oder Augentropfen zu benutzen. Schutzlos stand sie vor ihm. Er sah auf sie herab, voll leidenschaftlicher Rachegelüste. »Bitte! Zeigt, wie viel Euer Wort wert ist, Graf Aroq.«
Er ließ von ihrer Scham ab, roch an seinem nassen Finger und malte ihr mit ihrer Feuchte einen Bart auf die Oberlippe. Loreena empfand ihren Duft wie ein Aphrodisiakum und war erstaunt. Wie mochte Aroq dort unten wohl riechen?
Unvermittelt griff er in ihr offenes Haar, zog ihren Kopf in den Nacken und flüsterte ihr ins Ohr: »Nun seid Ihr mir ausgeliefert.«
Loreena bemerkte den Opiumduft, der ihn umgab. Man sagte Vampiren nach, Kälte auszuströmen, aber sie verspürte Hitze in seiner Nähe. Aroqs Lippen streiften ihre Wange. Erstaunt drängte sie sich an die Wand. Sie musste das Erlebte verarbeiten. Er legte die Hand unter ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. Ihre Lippen berührten sich fast. Seine Augen sahen von Nahem nicht mehr schwarz aus, sondern dunkelviolett, wie zwei schimmernde Amethyste. Sein Atem roch wie die Brise in kühlen Morgenstunden. Loreena sehnte sich danach, seine Lippen auf ihren zu spüren, um zu erfahren, wie ein Vampir schmeckte. Hatte er sie begehrt und deshalb erregt? Oder spielte er mit ihr?
Wor stöhnte erneut.
»Wir sollten seinem Todeskampf ein Ende bereiten.« Aroq ließ von ihr ab, band sie los und setzte sich auf die Bettkante. Behutsam knöpfte er Wors Nachtgewand auf und legte seinen Hals frei. Dann senkte der Graf sein Haupt und stach seine langen Eckzähne in die Halsschlagader.
Loreena drehte sich um. Das saugende, schmatzende Geräusch zu hören, ekelte sie an, aber sie wollte ihren Vater nicht allein lassen. Die Ungewissheit über das Schicksal Ingrimms quälte sie. Hatten sie die richtige Entscheidung getroffen? Würde Graf Aroq regieren, aber den Menschen ihr Blut lassen? Oder waren seine Versprechungen Lügen? Die Zeit würde es zeigen. Lediglich ihr Odeur, das von ihrer Oberlippe ausströmte, lenkte sie ein wenig ab.
So kam es, dass Valkenhorst – das Land der Vampire – über das Reich Ingrimm nach langer Zeit des Lauerns triumphierte. König Wor brauchte einige Wochen, um sich so weit zu erholen, dass er in der Lage war, sein Heer in die Schlacht zu führen. Die Angriffe aus dem Westen und Norden konnten abgewehrt werden. Wor blieb auf dem Thron. Graf Aroq forderte jedoch, bei jeglicher Entscheidung hinzugezogen zu werden. Sein Wort stand über allem! Den obersten Priester Jahl saugte der Graf eigenhändig bis auf den letzten Tropfen Blut aus. Er kehrte mit der PurpurnenSchriftrolle auf die Wolfsburg zurück. Niemand bekam sie mehr zu Gesicht, und sowohl das Volk von Ingrimm als auch von Valkenhorst fragte sich, ob er sie versteckt oder vernichtet hatte. Aber es kam der Tag, an dem auch dieses Geheimnis gelüftet wurde ...
***
»König Wor ist wohlbehalten nach Tide zurückgekehrt.« Rote Flecken übersäten das Gesicht des gehetzten Dieners, als er Loreena im Musikzimmer die frohe Botschaft kundtat. »Er erwartet Euch im Saal.«
»Im Saal?« Loreena schaute ihn ungläubig von der Harfe aus an. »Wünscht er denn nicht zu ruhen nach der anstrengenden Reise und den Strapazen auf dem Schlachtfeld?«
Sie erntete Verwirrung. Eine Frage hatte er offensichtlich nicht erwartet.
»Der König feiert mit seinem Gefolge den Triumph.« Er verbeugte sich und verschwand eilig aus dem Musikzimmer.
Als Wor vor Wochen aufgebrochen war, hatte sich sein Gesundheitszustand gebessert. Eine vollständige Genesung konnten die Ärzte jedoch nicht feststellen.
»Vielleicht reicht Aroqs Biss nicht, oder er hat uns getäuscht«, hatte sie zu ihrem Vater gesagt, während dieser sich trotz Schwindel und Schweißausbrüchen in eine Rüstung zwängte.
Wor wankte unter dem Gewicht, konnte er sich ohne Rüstung schon kaum auf den Beinen halten. »Ich vertraue ihm. Was bleibt mir übrig?«
»Wenn du eine Torheit nicht begehen darfst, dann die, einem Vampir zu vertrauen. Gerade Aroq ist ein hervorragender Meister der Verführung.« Besorgt schaute sie ihren Vater von der Seite an und hoffte, dass er ihre hochroten Wangen nicht bemerkte, weil sie sich an die Anzüglichkeiten des Grafen erinnerte. Sie stützte ihn, indem sie einen Arm um seine Hüften legte.
Er hob keuchend sein Langschwert und steckte es in den Schaft. »Nur weil ich schleichend zum Vampir werde, heißt es nicht, dass ich mich unterwerfe.«
»Du hast etwas vor.« Sie hielt seinen Arm fest und zwang ihn, sie anzusehen.
»Hast du geglaubt, ich gebe auf? Hast du im Ernst erwartet, ich liefere mich ohne Gegenwehr dem Wohlwollen dieses Bastards aus?«
»Vater, das ist gefährlich! Du könntest dich und das Reich vernichten.«
»Schlimmer kann es nicht werden. Ich regiere von Tide aus! Kein Herrscher eines fremden Landes wird dies ändern oder meine Befehlsgewalt einschränken, erst recht kein Vampir.«
»Du hast dein Wort gegeben.«
Er riss sich aus Loreenas Umklammerung und wankte zum Ausgang. »Sollte ich vom Schlachtfeld zurückkehren, werden wir weitersehen.«
»Du hast behauptet, Aroq zu vertrauen.«
»Ich sagte, dass mir nichts anderes übrig bleibt. In Wirklichkeit traut er mir so wenig wie ich ihm. Also halte Augen und Ohren offen, während ich fort bin, Loreena.«
Sie blickte ihm nach, als er die Treppe hinunterging, immer wieder anhielt und sich an der Wand abstützen musste. Würde er die Stufen hinabpoltern und sich das Genick brechen – oder das Schlachtfeld sein Grab werden? Würde Graf Aroq Wors Pläne frühzeitig durchkreuzen? Loreena hatte ihrem Vater und dem Heer nachgeschaut und zutiefst bereut, nicht »Lebe wohl« über die Lippen gebracht zu haben. Heute war ihr Vater nach Küstenmark zurückgekehrt und feierte bereits den Sieg.
Das ist ein gutes Zeichen, dachte sie und strich sich durch die offenen Haare. Offensichtlich ging es ihm besser. Wie ein Schlag traf Loreena die Erkenntnis, dass sie ihren Vater als Mensch hatte fortreiten sehen und als Vampir willkommen heißen würde. Sie erschauderte, erhob sich, ließ ihre Harfe stehen, raffte die Röcke ihres Wollkleids und lief die Stufen hinab. Wor war ihr Vater, ob in der Gestalt eines Menschen oder eines Vampirs.
Stimmen drangen aus dem Vorraum zu ihr. Lautes Gelächter. Triumphschreie. Die Männer prosteten sich offensichtlich zu und sangen Siegeslieder. Diener und Mägde hasteten an Loreena vorbei. Sie trugen Brote, Eier und Schinken auf Silbertabletts, ganze Platten mit Kuh-, Schafs- und Ziegenkäse und Karaffen mit Rotwein. Hin und wieder schwappte die Flüssigkeit auf den Steinboden und hinterließ eine Spur so rot wie Blut.
Loreena betrat den Saal. Brennende Fackeln steckten in Halterungen an den Wänden. Zusätzlich erhellten Honigkerzen die Gänsekeulen, Rehrücken und Wildschweinbäuche auf den Tafeln. Knochen lagen in den Gängen, so dass sie darübersteigen musste.
Es war nicht schwer, Wor in der feiernden Menge auszumachen. Nur in einen Unterrock gekleidet, stand er auf einem Stuhl und erzählte von der Unfähigkeit Wahnsteins, Feste auf dem Kastell Siede zu feiern.
»Zu eisig sind ihre Gemüter. Zu steif ihre Umgangsformen im Gegensatz zu den sonnigen Seelen der südlichen Krisis«, brüllte er, um den Tumult zu übertönen. »Wir dagegen haben Feuer im Blut.«
Erschreckt blickte sie in sein Porzellangesicht. Selbst seine Lippen waren erschreckend blass. Als er in einen gebratenen Fasanenflügel biss, atmete sie erleichtert auf. Sie stolzierte zielstrebig auf ihn zu.
»Verschwenderisch!«, schimpfte sie. »Dem Reich geht es nach monatelangem Krieg schlecht, und die Herren der Schöpfung lassen es sich gutgehen.«
Wor stieg unsicher vom Stuhl und nahm einen Schluck Wein. »Das haben wir uns verdient.«
Seine Gefolgsleute stimmten lautstark zu.
»Die Vorräte sind knapp. Das Reich muss sich erst erholen, bevor rauschende Feste gefeiert werden können.«
»Feste muss man feiern, wie sie fallen, Tochter.« Wor schmiss den Flügel gegen das nahe gelegene Fenster, so dass die Knochen herunterfielen und auf der Fensterbank liegen blieben. Dann stellte er den Becher ab. Schwankend umarmte er sie. »Danke für die herzliche Begrüßung. Es ist auch schön, dich wiederzusehen.«
Loreena schlang seufzend die Arme um seinen Wanst. »Das Ingrimmsche Volk ist in der Tat leidenschaftlich. Von Steifheit und Eiseskälte keine Spur. Doch auch die Feurigen müssen in üblen Zeiten Vernunft statt Torheit zeigen.«
Wor schob sie von sich und sah sie todernst an. »Wie gut, dass ein törichter König eine weitsichtige Tochter hat.«
Alle Anwesenden verstummten. Nicht einmal die Diener wagten, die Becher nachzufüllen oder Knochen abzuräumen. Der Raum erstarrte. Nur der Wind, der an die Scheiben klopfte, unterbrach die Stille.
Plötzlich hieb Wor mit der Hand auf den Oberschenkel und prustete los. »Trink mit uns, Loreena. Iss mit uns. Denn wir besiegten die Heere des Westens und Nordens. Auf Ingrimm!«
Er griff nach dem Becher und prostete seinen Mannen zu, so dass Rotwein über seine Hand schwappte. Ohne abzusetzen, leerte Wor den Becher. Zufrieden seufzend fuhr er sich mit dem Ärmel des Unterrocks über den Mund.
»Auf Ingrimm!« Das Heer hob die Becher und trank. Der Stimmenwirrwarr schwoll erneut an.
Loreena war dies recht, konnte sie ihrem Vater ein paar Worte zuflüstern, die nicht für jedermanns Ohren gedacht waren. »Wie ich sehe, geht es dir besser. Dennoch, du bist blass.«
»Das, mein Kind, hat wohl einen anderen Grund. Gewöhne dich dran.«
Ihre Miene verfinsterte sich. »Daran werde ich mich nie gewöhnen!«
Wor legte seine Handfläche liebevoll an ihre Wange. »Ich bin immer noch derselbe. Dein Vater hat dich vermisst. Er vermisst auch Lomas.«
Loreena schmiegte sich an wie ein Kätzchen und spürte sein Zittern. Sie fragte sich, ob er betrunken war oder ob die Wandlung zum Vampir ihn quälte. »Ich wünschte von ganzem Herzen, mein Bruder wäre bei uns.«
»Das wird er bald sein.« Zärtlich küsste er ihre Stirn.
Loreena blinzelte argwöhnisch. »Was meinst du damit? Ich weiß, es sind nicht nur Worte, um mich zu beruhigen. Dieser Unterton in deiner Stimme ist nicht zu überhören.«
»Du bist meine Tochter und kennst mich wahrhaft gut.« Er nahm die Hand von ihrer Wange. Mit der anderen stellte er den Holzbecher auf die Tafel. Sofort eilte eine Magd herbei, um den Becher erneut mit Wein zu füllen.
»Was hast du vor, Vater? Weißt du etwas, das ich ebenfalls wissen sollte?«
»Nein, da muss ich dich enttäuschen. Dennoch sollte ich dir mitteilen, dass ich in drei Tagen gen Frostlande aufbrechen werde, um Lomas zu befreien.«
»Das ist nicht dein Ernst!« Empört rüttelte sie an seinen Schultern. Als er wankte, hielt sie inne. »Du bist schwach. Dein Gesundheitszustand lässt keine neue Reise, keinen weiteren Kampf zu. Du brauchst Ruhe und Pflege. Wie kannst du einen einzigen Gedanken daran verschwenden, zum jetzigen Zeitpunkt aufzubrechen?«
Wor hielt ihr seine Hände hin, und Loreena ergriff sie. »Du hast recht. Es ist irrsinnig. Aber es gibt Dinge, die getan werden müssen. Zwei Feinde Ingrimms sind bereits in ihre Schranken gewiesen worden. Ein weiterer wird folgen.«
»Was hat das Volk davon, wenn sein König stirbt?«
Wor küsste ihre Fingerspitzen. »Ich muss meinen Sohn befreien, damit er mich beim Kampf gegen den Grafen unterstützt. Wie du schon sagtest, habe ich mein Wort gegeben, Aroqs Befehl Folge zu leisten – und mein Wort zählt! Dein Bruder jedoch schuldet niemandem etwas.«
Loreena wich zurück. »Und was ist mit mir? Wieso traust du mir nicht zu, dem Grafen die Stirn zu bieten?«
Er hob sanft ihr Kinn an. »Dummerchen! Nicht, weil du eine Frau bist oder meine Tochter, aber du hast Aroq indirekt dein Wort gegeben. Du hast die Verhandlung geführt. Mehr kann ich nicht verlangen.«
Loreena wandte sich zur Tafel und griff nach Wors Becher. Hastig trank sie, um ihren Kummer hinunterzuspülen. Sie glaubte kein Wort! Lomas war der Thronfolger. Ihm schenkte Wor sein Vertrauen. Erst, als ihr Bruder während der Schlacht auf der Ebene Fallbö in Gefangenschaft geriet, durfte sie mehr als nur ein Anhängsel des Königs sein. Loreena hatte ihre Chance genutzt. Stolz traf sie Entscheidungen und gab ihrem Vater Ratschläge. Ihr Einfluss wuchs, die Anerkennung Wors und des Volkes ebenfalls. Loreena war der Meinung, ein wertvoller Ersatz für Lomas zu sein. Nun wurde ihr bewusst, dass sie mehr Ersatz als wertvoll war und Wor ihr nicht zutraute, eines Tages auf dem Thron zu sitzen. Sie war gut genug, mit Graf Aroq zu verhandeln, da niemand sonst zur Stelle war. Aber Wor konnte sich offensichtlich nicht vorstellen, dass sie gegen den Vampir kämpfen konnte.
»Ich möchte Lomas auch in Tide haben«, murmelte sie und leerte den Becher. Vielleicht hatte ihr Vater recht. Sie war zu schwach für eine delikate Auseinandersetzung wie die gegen Valkenhorst. Diese Aufgabe verlangte nach Fingerspitzengefühl, Diplomatie und Strategie. Loreena musste zugeben, keinerlei Erfahrung in Regierungsgeschäften zu besitzen. Zudem hatte sie bereits bewiesen, wie schwach sie gegenüber Aroq war. Er hatte in ihr gelesen wie in einem offenen Buch und ihre geheimsten Sehnsüchte erkannt. Nicht einmal zu berühren brauchte er sie, um ihren Schoß vor Lust brennen zu lassen. Nein, sie war wahrlich nicht die rechte Person, um ihm die Stirn zu bieten. Ein Fehltritt und die Vampire würden von Ingrimms Plan, sie zu hintergehen, erfahren. Innerhalb eines Tages wäre das Reich von der Finsternis geknechtet.
Loreena hielt ihren Becher einem pausbackigen Diener, der hektisch mit einer Karaffe an der Tafel vorbeilief, unter die Nase und bekam neuen Rotwein eingeschenkt. Sie musste mehrmals schlucken, bevor sie etwas rufen konnte. »Auf Ingrimm!« Sie hob den Becher und schwenkte ihn.
Die Männer zögerten. Erst als Wor jubelte: »Das ist meine Tochter. So mag ich sie. Auf Ingrimm!«, erwiderten die Feiernden den Gruß, schlugen grölend die Holzbecher aneinander. Sie stimmten Lieder an und zitierten Gedichte über die größten Triumphe in der Geschichte des Reiches.
»Auf Ingrimm unter der Flagge von Valkenhorst!« Mit diesen Worten stapfte Graf Aroq mit zwölf Begleitern in den Saal. Sie gingen in Zweierreihen mit dem Oberhaupt an der Spitze. Sofort verstummten alle Feiernden. Gekleidet in Mänteln, deren Nähte aus silbernem Zwirn sich vom schwarzen Samt absetzten, jeder mit einem Gehstock aus Ebenholz, wirkten sie wie eine Armee der Finsternis. Ihre nachtfarbenen, polierten Stiefel glänzten im Schein der Kerzen und Fackeln. Die ledernen Handschuhe waren von mattem Wildleder. Abfällig blickten die Vampire auf die verschwitzten Männer, die in rotweinbesudelten Unterröcken ein derbes Fest feierten, als sie die Reihen schnellen Schrittes passierten. Erst vor König Wor hielten sie an.
Mit gerümpfter Nase glitt Aroqs Blick von Wors schweißverklebten Haaren über die Essensreste in seinem Bart bis hin zu den durchlöcherten Socken. »Offensichtlich war Eure Reise von Erfolg gekrönt.«
»Mehr als das. Ingrimms Heer erblühte zu neuer Pracht.«
Aroq schnaubte spöttisch. »Eine solche Phrase ist wohl eher ein Hohn, betrachtet man Euren Aufzug, edler König und ruhmreicher Feldherr.«
Loreenas Gesicht verfinsterte sich. Wie konnte dieser dahergelaufene Recke, noch dazu ein Vampir, sich eine derartige Frechheit erlauben? Und weshalb nahm ihr Vater dies hin, anstatt ihn das Fürchten zu lehren?
Die versammelte Gesellschaft schwieg. Wor und Aroq starrten einander hasserfüllt an.
Loreena war dies nicht genug. Sie nahm einen Schluck Rotwein und wankte auf den Grafen zu, um ihm gehörig die Meinung zu geigen. Niemand beleidigte ihren Vater. Er war ein starker Charakter, hatte viel erlebt und durchgemacht. Wor verdiente es mehr als jeder andere, respektvoll behandelt zu werden. Missmutig bemerkte sie den Alkohol in ihren Adern, der ihre Sinne zu vernebeln begann. Ihre Schritte waren unsicher. Die Bilder vor ihren Augen verschwammen bei jeder sachten Bewegung. Schwer lag der Becher in ihrer Hand, als wäre er ein Steinbrocken.
Sie steuerte weiterhin Aroq an. Plötzlich geriet sie ins Wanken. Ihr war schwindelig. »Wagt es ja nicht ... « Sie brach abrupt ab, denn ihr Fuß verfing sich im Kleidersaum. Ihre Arme schnellten nach vorn, um den Fall abzufangen. Der Boden näherte sich. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck. Aus der Ferne hörte sie Aufschreie. Der Graf stand unmittelbar vor ihr und fing sie auf. Der Becher, den sie immer noch in der Hand hielt, stieß gegen seine Schulter. Als sich der Rotwein über Aroqs Wange und Samtkragen ergoss, zog Loreena erschreckt die Luft ein. Die rote Flüssigkeit sah wie verwässertes Blut auf seiner Porzellanhaut aus. Noch immer hielt der Saum ihren Fuß gefangen und so fiel sie mit der Stirn gegen Aroqs Brustkorb. Als sie zum Grafen hochsah, musste sie wie in einem Alptraum ansehen, wie der Becher über ihr kippte. Der Wein floss über ihren Hals und ihre Haare. Endlich ließ sie den Holzbecher los. Er fiel auf Aroqs Stiefelspitze, rollte ab und blieb davor liegen. Loreena befreite hastig ihren Fuß aus dem Saum und fand ihre Balance zurück.
»Entschuldigung.« Sie wollte rückwärts ausweichen, doch der Graf hielt sie fest.
Seine Miene war frostig wie der Wald Goblin im tiefsten Winter. Eine blaue Ader trat auf seiner bleichen Stirn hervor. Wie ein Adler, der seine Beute mit den Krallen sicherte, sah er auf sie herab. Loreena erschauderte.
Diener hechteten herbei und boten Aroq Tücher an, um sich zu reinigen. Aber er ignorierte sie. Starr schaute er Loreena an. Jede Minute, die verstrich, steigerte ihre Furcht vor dem, was als Strafe folgen könnte. Sie verfluchte den Alkohol und schimpfte über ihre Ungeschicktheit. Ihr Übermut hatte sie bewegt, Wor verteidigen zu wollen – und die Situation verschlimmert.
Wahrhaftig bin ich nicht in der Lage, ein Land zu regieren. Sie wich erschreckt mit dem Gesicht aus, als Aroq sich zu ihr herunterbeugte. Nicht in der Lage, sich zu wehren oder fortzulaufen, konnte sie lediglich mit aufgerissenen Augen verfolgen, wie sein Mund sich ihrem Hals näherte. Sie fühlte seine Lippen auf ihrer Haut. Ängstlich versuchte sie, sich der gefährlichsten Waffe des Vampirs zu entwinden. Doch ein Entkommen war unmöglich. Sie spürte seine Eckzähne an ihrer Kehle. Die Zahnspitzen stachen gegen ihre Haut, bereit, ihr tödliches Werk zu vollbringen.
Verdammt, weshalb hilft mir denn niemand, schrie Loreena, unfähig auch nur ein einziges Wort hervorzubringen. Gleich würden sich Aroqs Zähne durch die Haut bohren, sich tief in ihr Fleisch pressen, um das Blut aus ihrem Körper zu saugen. Der König und das Heer ihres Heimatlandes wären Zeugen. Es würde innerhalb der eigenen Mauern geschehen. Sie wünschte sich, noch mehr Alkohol getrunken zu haben, um ihren Tod nicht so intensiv miterleben zu müssen.
Sie schrak zusammen, als seine Zunge über ihre Haut glitt, warm, feucht und sinnlich. Sie erschauderte wohlig. Aroq lachte leise, ohne von ihr abzulassen. Noch immer spürte sie die Zahnspitzen, aber auf seltsame Weise erregte sie die Gefahr. Lüstern leckte er den Rotwein ab, zog mit den Lippen an den Härchen in ihrem Nacken und züngelte über ihre Kehle. Er saugte an ihrem Kinn, unbeirrt von den Zuschauern.
Schließlich leckte er über ihre Ohrmuschel und wisperte: »Wenn Ihr mir das nächste Mal Wein zur Begrüßung anbieten wollt, reicht mir einfach einen Kelch. Diese Art der Verköstigung regt meinen Appetit nach Eurem köstlichen Nektar an.« Graf Aroq ließ von ihr ab. Er riss einem Diener mit Hakennase ein Tuch aus der Hand und wischte sich den Wein von Wange und Kragen.