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Shakespeare forever.
In ihrer berühmten und erfolgreichen Sammlung erzählen die Geschwister Lamb die zwanzig bekanntesten Shakespeare-Stücke in Form einfühlsamer Geschichten nach. Unter Weglassung verzweigter Nebenhandlungen konzentrieren sie sich auf das wesentliche Geschehen um die Hauptgestalten, die sie durch ihr Handeln, ihre Beweggründe und Empfindungen charakterisieren. Das komplexe Geschehen wird verständlich umrissen und die jeweils besondere Atmosphäre vermittelt. In der deutschen Version folgen die Dialoge weitgehend der Schlegel-Tieck’schen Übersetzung.
Weit mehr als einfache Inhaltsangaben sind diese Nacherzählungen eigenständige Geschichten, die einerseits raschen Überblick gewähren, andererseits Spannung und Lesegenuss bereiten. Ein vorzügliches Werk für Schüler, Studenten, das Kinopublikum der letzten Shakespeare-Verfilmungen und alle, die raschen Überblick suchen. Auch zum Vorlesen für Kinder bestens geeignet.
„Nun endlich auch bei uns: die Dramen in Kurzform.“ Schweriner Volkszeitung.
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Seitenzahl: 558
Shakespeare forever
In ihrer berühmten und erfolgreichen Sammlung erzählen die Geschwister Lamb die zwanzig bekanntesten Shakespeare-Stücke in Form einfühlsamer Geschichten nach. Unter Weglassung verzweigter Nebenhandlungen konzentrieren sie sich auf das wesentliche Geschehen um die Hauptgestalten, die sie durch ihr Handeln, ihre Beweggründe und Empfindungen charakterisieren. Das komplexe Geschehen wird verständlich umrissen und die jeweils besondere Atmosphäre vermittelt. In der deutschen Version folgen die Dialoge weitgehend der Schlegel-Tieck’schen Übersetzung. Weit mehr als einfache Inhaltsangaben sind diese Nacherzählungen eigenständige Geschichten, die einerseits raschen Überblick gewähren, andererseits Spannung und Lesegenuss bereiten.
Ein vorzügliches Geschenk für Schüler, Studenten, das junge Kinopublikum der letzten Shakespeare-Verfilmungen und alle, die raschen Überblick suchen. Auch zum Vorlesen für Kinder bestens geeignet.
»Nun endlich auch bei uns: die Dramen in Kurzform.« Schweriner Volkszeitung
Mary und Charles Lamb
Shakespearefür Eilige
Die zwanzig besten Stückeals Geschichten
Herausgegebenvon Günther Klotz
Inhalt
Informationen zum Buch
Komödien
Die beiden Veroneser
Der Widerspenstigen Zähmung
Die Komödie der Irrungen
Ein Sommernachtstraum
Der Kaufmann von Venedig
Viel Lärmen um nichts
Wie es euch gefällt
Was ihr wollt
Maß für Maß
Ende gut, alles gut
Perikles, Fürst von Tyrus
Das Wintermärchen
Cymbeline
Der Sturm
Tragödien
Romeo und Julia
Hamlet, Prinz von Dänemark
Othello
König Lear
Macbeth
Timon von Athen
Anhang
Anmerkungen
Nachwort
Über Mary und Charles Lamb
Impressum
Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …
Es lebten einmal in der Stadt Verona zwei junge Männer von Adel namens Valentin und Proteus, zwischen welchen lange Zeit eine feste, nie unterbrochene Freundschaft bestanden hatte. Sie besuchten fleißig miteinander die Hörsäle und verbrachten ihre Mußestunden meistens einer in des anderen Gesellschaft, ausgenommen wenn Proteus ein junges Mädchen besuchte, das er liebte; und diese Besuche bei seiner Angebeteten und diese Leidenschaft des Proteus für die schöne Julia waren die einzigen Gegenstände, über welche die Freunde nicht übereinstimmten. Denn Valentin, der selbst nicht liebte, fühlte sich mitunter ein bißchen gelangweilt, wenn er seinen Freund immer und ewig von seiner Julia reden hörte, und dann pflegte er wohl über Proteus zu lachen und in scherzenden Ausdrücken über die Leidenschaft der Liebe zu spotten und zu erklären, daß niemals solche müßige Träumereien bei ihm Eingang finden würden; denn er ziehe das freie, glückliche Leben, das er führe, bei weitem den ängstlichen Hoffnungen und Befürchtungen des verliebten Proteus vor.
Eines Morgens kam Valentin zu Proteus, um ihm mitzuteilen, daß sie eine Zeitlang sich trennen müßten, denn er sei im Begriff, nach Mailand zu reisen. Proteus, der gar nicht geneigt war, seinen Freund scheiden zu lassen, brachte viele Gründe vor, um Valentin zu bestimmen, daß er ihn nicht verlassen möchte. Aber Valentin sagte: »Höre auf, mir zuzureden, teurer Proteus. Ich will nicht wie ein Müßiggänger meine Jugend in Trägheit zu Hause hinbringen. Jungen, die stets zu Hause hocken, behalten für immer einen hausbackenen Witz. Wäre deine Neigung nicht gefesselt an die süßen Blicke deiner holdseligen Julia, so würde ich dich bitten, mich zu begleiten, um die Wunder fremder Länder zu beschauen; aber da du verliebt bist, so liebe nur immer weiter, und möge deine Liebe gesegnet sein.«
Sie schieden voneinander mit gegenseitigen Versicherungen unwandelbarer Freundschaft. »Liebster Valentin, lebe wohl!« sagte Proteus; »denke an mich, wenn du irgendein seltenes Ding erblickst, das schön und der Beachtung wert ist auf deinen Reisen, und wünsche mich zu dir, dein Glück zu teilen.«
Valentin trat noch an demselben Tage seine Reise nach Mailand an; und Proteus setzte sich, als sein Freund ihn verlassen hatte, nieder, um einen Brief an Julia zu schreiben; er gab ihn ihrer Dienerin Lucetta zur Besorgung an ihre Herrin.
Julia liebte Proteus ebenso zärtlich wie er sie. Aber sie war eine stolze Jungfrau und glaubte, daß es ihrer weiblichen Würde nicht wohl anstünde, sich zu leicht gewinnen zu lassen. Deshalb tat sie, als bemerkte sie seine Leidenschaft nicht, und sie verursachte ihm im Verlauf seiner Bewerbung viel Aufregung und Unruhe.
Und als Lucetta Julia den Brief überreichte, wollte sie ihn nicht annehmen und schalt ihr Mädchen, daß sie sich Briefe von Proteus geben lasse, und befahl ihr, das Zimmer zu verlassen. Aber heimlich wünschte sie so sehr, den Inhalt des Schreibens zu erfahren, daß sie bald das Mädchen wieder hereinrief, und als Lucetta zurückkam, sagte sie: »Wieviel Uhr ist es?« Lucetta, die wohl merkte, daß ihre Herrin mehr den Brief zu sehen wünschte, als die Tageszeit zu erfahren, antwortete nicht auf ihre Frage, sondern überreichte wieder den zurückgewiesenen Brief. Julia, voll Ärger, daß ihr Mädchen sich die Freiheit nahm, sich den Anschein zu geben, als kenne sie ihren wirklichen Wunsch, zerriß den Brief in Stücke, warf sie auf den Fußboden und wies ihre Dienerin noch einmal hinaus. Als Lucetta im Begriff war, sich zurückzuziehen, hielt sie ihren Schritt an, um die Stücke des zerrissenen Briefes aufzulesen; aber Julia, die sich nicht so von ihnen zu trennen gedachte, sagte, sich ärgerlich stellend: »Geh, mach dich fort! Laß die Papiere liegen. Du hättest sie gern in Händen, mich zu ärgern.«
Julia fing nun an, die zerrissenen Stücke, so gut sich’s machen ließ, zusammenzusuchen. Sie brachte zuerst diese Worte heraus: »Der liebeswunde Proteus«; und sie jammerte laut über diese wie ähnliche Liebesworte, die sie herausbrachte, obgleich sie alle in Fetzen zerrissen waren oder, wie sie sagte, verwundet (durch den Ausdruck »der liebeswunde Proteus« war ihr dieser Gedanke gekommen), und sie sprach zu den Papierstückchen gütige Worte: sie wolle sie an ihrem Busen wie in einem Bette herbergen, bis ihre Wunden alle geheilt wären, und sie wolle jedes einzelne Stückchen küssen, wie um Ersatz zu leisten für ihr Unrecht.
In dieser Weise plauderte sie noch einige Zeit mit sich selbst in anmutigem Spiel, halb Kind, halb Jungfrau, bis sie die Unmöglichkeit erkannte, das Ganze zu entziffern; und zürnend über ihre Lieblosigkeit, solche süßen Liebesworte, wie sie sie nannte, zerstört zu haben, schrieb sie einen Brief an Proteus, der viel freundlicher war, als sie jemals einen geschrieben hatte.
Proteus war entzückt beim Empfang einer so günstigen Antwort auf seinen Brief; und während des Lesens rief er aus: »O süße Liebe, o süße Zeilen, süßes Leben!« Mitten in seiner Begeisterung wurde er unterbrochen durch seinen Vater. »Ei! ei!« sagte der alte Mann, »was für ein Brief ist’s, den du liest?«
»Vater«, erwiderte Proteus, »es ist ein Brief von meinem Freund Valentin in Mailand.«
»Gib mir den Brief; laß sehen, was er enthält«, sagte sein Vater.
»Durchaus nichts Neues«, erwiderte Proteus in großer Bestürzung; »er schreibt mir nur, wie sehr der Herzog von Mailand ihn liebt, der ihn täglich mit Gnadenbeweisen überhäuft, und wie sehr er mich dorthin wünscht, um an seinem Glück teilzunehmen.«
»Und wie stehst du zu diesem Wunsche?« fragte der Vater.
»Nur Eurem Willen bin ich untertan«, erwiderte Proteus, »und nicht darf mir des Freundes Wunsch gebieten.«
Nun traf es sich, daß Proteus’ Vater über diesen Gegenstand mit einem Freunde gerade gesprochen hatte; der Freund hatte gesagt, er wundere sich, daß er es ruhig mit ansehe, wie sein Sohn seine Jugend daheim zubringe, während die meisten ihre Söhne hinaussandten, um auswärts ihr Glück zu machen. »Einige«, sagte er, »schicken sie in den Krieg, um dort ihr Glück zu versuchen, andere zur Entdeckung weit entlegener Inseln, noch andere zum Aufenthalt auf fremden Hochschulen. Da ist zum Beispiel sein Freund Valentin, der ist an den Hof des Herzogs von Mailand gegangen. Euer Sohn ist wohl geeignet für einen dieser Lebenswege, und in seinem reiferen Alter wird es ein großer Nachteil für ihn sein, in seiner Jugend nicht die Welt gesehen zu haben.«
Proteus’ Vater hielt den Rat seines Freundes für sehr richtig, und da Proteus ihm erzählt hatte, daß Valentin seine Gegenwart wünsche, damit er an seinem Glück teilnehmen könne, so beschloß er sofort, seinen Sohn nach Mailand zu schicken; und ohne demselben einen Grund für seinen plötzlichen Entschluß anzugeben, da es die Gewohnheit dieses höchst entschiedenen alten Mannes war, seinem Sohn zu befehlen, nicht mit ihm zu verhandeln, sprach er: »Mein Wille stimmt mit Valentins Wunsch überein«; und da er sah, wie sein Sohn erstaunt dreinblickte, fügte er hinzu: »Sei nicht verwundert, daß ich so plötzlich beschließe, daß du einige Zeit am Hofe des Herzogs von Mailand zubringen sollst. Denn was ich will, das will ich; damit gut! Auf morgen halte dich fertig abzureisen. Kein Einwand gilt; du weißt, ich fackle nicht.«
Proteus wußte, daß es nutzlos war, Einwendungen gegen seinen Vater zu erheben, der nie duldete, daß er über seinen Willen mit ihm rechtete; und er machte sich Vorwürfe, seinem Vater über Julias Brief die Unwahrheit gesagt zu haben: Diese Lüge hatte ihn in die leidige Notwendigkeit versetzt, sie zu verlassen.
Jetzt, da Julia sah, sie müßte Proteus auf lange Zeit verlieren, heuchelte sie nicht länger Gleichgültigkeit; und sie sagten einander ein trauriges Lebewohl unter vielen Schwüren treuer und beständiger Liebe. Sie wechselten sogar Ringe, welche sie beide versprachen ewig zu bewahren zur Erinnerung aneinander; und so trat Proteus nach schmerzlichem Abschied seine Reise nach Mailand an, dem Aufenthaltsort seines Freundes Valentin.
Valentin stand wirklich, wie Proteus es seinem Vater vorgeschwindelt hatte, in hoher Gunst beim Herzog von Mailand; und noch etwas anderes war ihm begegnet, wovon Proteus sich nicht einmal träumen ließ; denn Valentin hatte seine Freiheit, mit der er früher soviel zu prahlen gepflegt hatte, geopfert und war ebenso leidenschaftlich verliebt wie Proteus.
Diejenige, welche diese wunderbare Wandlung in Valentin bewirkt hatte, war Fräulein Silvia, Tochter des Herzogs von Mailand, und sie liebte ihn nicht minder; aber sie verheimlichten ihre Liebe vor dem Herzog, weil er sich zwar sehr gnädig gegen Valentin zeigte und ihn täglich in seinen Palast lud, aber doch seine Tochter für einen jungen Freier zur Gemahlin bestimmt hatte, der Thurio hieß. Silvia jedoch verschmähte diesen Thurio, denn er besaß durchaus nicht das feine Gefühl und die vortrefflichen Eigenschaften Valentins.
Diese beiden Nebenbuhler, Thurio und Valentin, waren eines Tages gerade bei Silvia zum Besuch, und Valentin unterhielt Silvia damit, daß er jedes Wort Thurios ins Lächerliche zog: da trat der Herzog selbst ins Zimmer und teilte Valentin die willkommene Nachricht von der Ankunft seines Freundes Proteus mit. Valentin sagte: »Hätte ich etwas noch zu wünschen gehabt, so wäre es das, ihn hier zu sehen.« Und dann pries er seinen Freund höchlich dem Herzog und sagte: »Gnädiger Herr, ich bin freilich ein träger Müßiggänger gewesen, doch mein Freund hat seine Tage und Stunden zu schönem Vorteil genutzt. Er ist vollkommen an Gestalt und Geist, an jeder Zierde reich, die Edle ziert.«
»Nun, so bewillkommnet ihn, wie er’s verdient«, sagte der Herzog; »Silvia, ich spreche zu dir und zu Euch, lieber Thurio; was Valentin betrifft, so habe ich nicht nötig, ihn dazu aufzufordern.« Hier wurden sie unterbrochen durch Proteus’ Eintritt, und Valentin stellte ihn Silvia vor mit den Worten: »Mein holdes Fräulein, nehmt ihn gütig auf, daß er gleich mir sich Eurem Dienste weihe.«
Als der Besuch beendet war und Valentin und Proteus sich allein miteinander befanden, sagte Valentin: »Nun sprich, wie ging es allen, da du schiedest? Wie steht’s um deine Dame und deine Liebe?« Proteus erwiderte: »Liebesgespräche waren dir zur Last. Ich weiß, du hörst nicht gern von Liebessachen.«
»Ja, Proteus«, erwiderte Valentin, »dies Leben ist nun völlig umgewandelt. Gebüßt habe ich, weil ich verschmäht die Liebe. Denn um der Liebe Hohn an mir zu rächen, nahm sie den Schlaf den Augen ihres Knechtes. O Teurer, Liebe ist eine mächtige Herrin; sie hat mich so gebeugt, daß ich bekenne, es gibt kein Weh, das ihrer Strafe gliche, doch auch nicht größere Lust, als ihr zu dienen. Jetzt mag ich kein Gespräch als nur von Liebe. Jetzt ist mir Frühstück, Mittags-, Abendmahl, Schlummer und Schlaf das bloße Wort der Liebe.«
Dies Bekenntnis von der Veränderung, welche die Liebe bewirkt hatte in Valentins Stimmung, bereitete seinem Freunde Proteus große Genugtuung. Aber »Freund« dürfen wir Proteus nicht länger nennen, denn dieselbe allmächtige Liebe, über die sie eben sprachen, schuf sogar während ihrer Unterhaltung über die in Valentin hervorgebrachte Veränderung in Proteus’ Herzen ihre Wunder. Er, der bisher ein Vorbild treuer Liebe wie vollkommener Freundschaft gewesen war, hatte sich jetzt in dem kurzen Zusammensein mit Silvia in einen falschen Freund und treulosen Liebhaber verwandelt; denn beim ersten Anblick Silvias war alle seine Liebe für Julia verschwunden gleich einem Traum, und nicht hatte seine lange Freundschaft für Valentin ihn zurückgeschreckt von dem Versuch, ihn aus ihrer Zuneigung listig zu verdrängen. Er hatte zwar, wie es gewöhnlich der Fall ist, wenn Menschen, die von Natur gut sind, anfangen zu sündigen, manche Gewissensbedenken, bevor er beschloß, Julia zu verlassen und Valentins Nebenbuhler zu werden; aber letztendlich wurde er Herr über sein Pflichtgefühl und überließ sich fast ohne Gewissensbisse seiner neuen unglücklichen Leidenschaft.
Im Vertrauen teilte Valentin ihm die ganze Geschichte seiner Liebe mit, und wie ängstlich sie dieselbe vor dem Herzog, ihrem Vater, verborgen hätten; auch erzählte er ihm, daß er, an der Möglichkeit seine Zustimmung zu erlangen verzweifelnd, Silvia überredet habe, in der nächsten Nacht ihres Vaters Palast zu verlassen und mit ihm nach Mantua zu gehen. Sodann zeigte er Proteus eine Strickleiter, mittels deren er nach eingetretener Dunkelheit Silvia aus einem der Fenster des Palastes zu entführen gedachte.
Als Proteus diesen vertrauensvollen Bericht von den heiligsten Geheimnissen seines Freundes vernommen hatte, beschloß er – es ist kaum zu glauben, aber doch war es so –, zum Herzog zu gehen und ihm das Ganze zu offenbaren.
Der falsche Freund begann seinen Bericht an den Herzog mit manchen geschickten Redensarten; so zum Beispiel, daß er durch die Gesetze der Freundschaft eigentlich verpflichtet wäre zu verheimlichen, was er jetzt zu enthüllen im Begriff sei, aber die gnadenvolle Gunst, die der Herzog ihm erwiesen habe, und die Pflicht, die ihm auferlegt sei durch diese Gnade, sei für ihn Sporn und Antrieb, das auszusprechen, was sonst kein Gut der Welt ihm je entrisse. Dann erzählte er alles, was er von Valentin gehört hatte, wobei er nicht die Strickleiter unerwähnt ließ und die Art, wie Valentin sie unter einem langen Mantel zu verbergen gedächte.
Der Herzog hielt Proteus für ein wahres Wunder von Rechtschaffenheit, insofern er lieber seines Freundes Plan verraten als ein Unrecht verheimlichen wollte; er pries ihn sehr und versprach ihm, Valentin nicht zu sagen, von wem ihm dieses zu Ohren gekommen war, sondern durch eine List Valentin dahin zu bringen, daß er selbst das Geheimnis verriete. Zu diesem Zweck wartete der Herzog die Ankunft Valentins am Abend ab; er sah ihn bald nach dem Palast hineilen, und er bemerkte zugleich etwas, das in seinen Mantel verhüllt war; er vermutete sofort, daß dies die Strickleiter wäre.
Der Herzog hielt ihn an mit den Worten. »Freund Valentin, wohin in solcher Eile?« – »Mit Eurer Gnaden Gunst«, erwiderte Valentin, »ein Bote wartet, um meinen Freunden Briefe mitzunehmen, und eben wollte ich sie ihm übergeben.« Nun hatte diese Lüge Valentins keinen besseren Erfolg als die Unwahrheit, die früher Proteus seinem Vater vorgespiegelt hatte.
»Sind diese Briefe von großer Wichtigkeit?« fragte der Herzog.
»Sie enthalten nichts weiter, gnädiger Herr«, erwiderte Valentin, »als daß sie meinem Vater mitteilen, daß ich mich an Eurer Gnaden Hof wohl und glücklich fühle.«
»Nun, dann hat die Sache nicht Eile«, sagte der Herzog; »warte noch einen Augenblick bei mir. Ich wünsche deinen Rat in einer Angelegenheit, die mich nah angeht.« Er erzählte dann Valentin eine gut erfundene Geschichte; sie sollte die Einleitung sein, um ihm sein Geheimnis zu entreißen. Valentin wisse, daß er seine Tochter mit Thurio zu vermählen wünsche, aber sie sei widerspenstig und seinen Befehlen ungehorsam. »Sie nimmt weder Rücksicht darauf«, sprach er, »daß sie mein Kind ist, noch scheut sie mich als ihren Vater. Und dieser Hochmut, sage ich dir vertraulich, hat ihr das Vaterherz schon lange entfremdet. Ich hoffte sonst, die letzten Lebensjahre gepflegt von Kindesliebe hinzubringen. Doch jetzt ist mein Entschluß, ein Weib zu nehmen, sie aber dem zu lassen, der sie will. Möge ihre Schönheit ihre Mitgift sein, denn mich und meine Güter schätzt sie nicht.«
Valentin wunderte sich, wo dies alles hinauswollte, und gab zur Antwort: »Was will Euer Gnaden, daß ich hierin tue?«
»Nun«, sagte der Herzog, »die Dame, die ich zu heiraten wünsche, ist wählerisch und spröde und achtet wenig meines Greisenalters Beredsamkeit. Zudem hat sich die Art der Werbung seit meiner Jugend allzusehr verändert; drum wollte ich dich zu meinem Führer wählen, mich anzuweisen, wie ich freien soll.«
Valentin gab ihm im allgemeinen eine Vorstellung von den verschiedenen Arten der Werbung, die damals von jungen Leuten angewandt wurden, wenn sie einer schönen Dame Liebe zu gewinnen wünschten, zum Beispiel Geschenken, häufigen Besuchen und ähnlichem.
Der Herzog erwiderte darauf, daß die Dame jedes Geschenk, welches er ihr sandte, zurückgewiesen habe und daß sie von ihrem Vater so streng gehalten würde, daß niemand bei Tage Zutritt zu ihr erlangte.
»Ei!« sagte Valentin, »dann müßt Ihr sie bei Nacht besuchen.«
»Aber bei Nacht«, sagte der schlaue Herzog, der nun auf das eigentliche Ziel der Unterredung hinsteuerte, »sind ihre Türen fest verschlossen.«
Valentin schlug nun unglücklicherweise vor, daß der Herzog bei Nacht in das Zimmer der Dame mittels einer Strickleiter einsteigen möge; er wolle ihm eine zu diesem Zweck geeignete verschaffen. Und schließlich riet er ihm, diese Strickleiter unter einem Mantel, wie er ihn jetzt trüge, zu verbergen.
»Leih mir deinen Mantel«, sagte der Herzog, der diese lange Geschichte nur ersonnen hatte, um einen Vorwand zu haben, ihm den Mantel abzunehmen. Und kaum hatte er diese Worte gesagt, als er auch schon Valentins Mantel faßte; und indem er diesen zurückschlug, entdeckte er nicht bloß die Strickleiter, sondern auch einen Brief an Silvia, den er sofort erbrach, um ihn zu lesen. Und dieser Brief enthielt einen klaren Bericht über die geplante Flucht. Der Herzog machte Valentin schwere Vorwürfe, daß er sich undankbar erwiesen habe, indem er so die ihm gewährte Gunst vergelte durch das Bestreben, seine Tochter zu entführen; schließlich verbannte er ihn auf ewig vom Hof und aus der Stadt Mailand; und Valentin wurde gezwungen, noch in derselben Nacht abzureisen, ohne auch nur Silvia wiedergesehen zu haben.
Während Proteus in Mailand sich so damit beschäftigte, Verrat an Valentin zu üben, verzehrte sich in Verona die arme Julia in Kummer über Proteus’ Abwesenheit; und ihre Liebe zu ihm überwältigte zuletzt so sehr ihr Schicklichkeitsgefühl, daß sie beschloß, Verona zu verlassen und ihren Geliebten in Mailand aufzusuchen. Und um sich auf dem Wege vor Gefahr zu sichern, legten sie und ihre Zofe Lucetta Mannestracht an, und in dieser Verkleidung reisten sie ab und kamen in Mailand an, bald nachdem Valentin infolge von Proteus’ Verräterei aus der Stadt verbannt war.
Julia betrat Mailand um die Mittagszeit, und sie nahm ihre Wohnung in einem Wirtshaus; und da ihre Gedanken sich alle mit ihrem teuren Proteus beschäftigten, so ließ sie sich in ein Gespräch mit dem Wirt ein, in der Hoffnung, dadurch einige Nachrichten über Proteus zu erhalten.
Dem Wirt gefiel es sehr, daß dieser hübsche junge Mann (denn dafür hielt er sie ja), der, nach seiner äußeren Erscheinung zu schließen, von hohem Stande sein mußte, so freundlich mit ihm sprach; und da er eine gute Seele war, so tat es ihm weh, daß der Fremde so überaus traurig aussah. Und um seinem jungen Gast ein Vergnügen zu bereiten, schlug er ihm vor, er möge mitkommen, um eine herrliche Musik zu hören, die ein vornehmer Herr diesen Abend seiner Geliebten darbringen würde.
Der Grund, warum Julia so gar traurig aussah, war der, daß sie nicht recht wußte, was Proteus denken würde von dem unvorsichtigen Schritt, den sie getan hatte. Denn sie wußte, daß er sie liebte wegen ihres edlen jungfräulichen Stolzes und ihres Seelenadels, und sie fürchtete, sie möchte sich nun in seiner Achtung herabsetzen. Das war es, was ihre Züge so schwermütig und gedankenvoll machte.
Mit Freuden nahm sie das Anerbieten des Wirtes an, mit ihm zu gehen und die Musik zu hören; denn heimlich hoffte sie, sie könnte Proteus unterwegs begegnen.
Aber als sie an den Palast kam, wohin der Wirt sie führte, wurde ihr ganz anders zumute, als wie der freundliche Wirt es gedacht hatte, denn dort erblickte sie zu ihres Herzens Kummer ihren Geliebten, den unbeständigen Proteus, wie er seiner angebeteten Silvia eine Abendmusik brachte und Worte der Liebe und der Bewunderung an sie richtete. Und Julia mußte es mit anhören, wie Silvia von einem Fenster aus mit Proteus sprach und ihm Vorwürfe machte, daß er seine eigene treue Braut vergesse und daß er gegen seinen Freund Valentin so undankbar sei; und dann verließ Silvia das Fenster, weil sie nicht Lust hatte, seiner Musik und seinen schönen Redensarten zu lauschen. Denn sie war ihrem verbannten Valentin treu und verabscheute das unedle Benehmen seines falschen Freundes Proteus.
Obgleich Julia in Verzweiflung war über dasjenige, wovon sie soeben Zeugin gewesen, so liebte sie doch noch immer den unbeständigen Proteus; und da sie hörte, daß er sich kürzlich von einem Diener getrennt habe, so ersann sie unter dem Beistand ihres freundlichen Wirtes den Plan, sich bei Proteus als Edelknaben zu verdingen. Und Proteus ahnte nicht, daß sie Julia wäre, und schickte sie mit Briefen und Geschenken an ihre Nebenbuhlerin Silvia, und er sandte sogar durch sie eben den Ring, den sie ihm als Abschiedsgeschenk in Verona gegeben hatte.
Als sie zu Silvia mit dem Ring kam, war sie sehr froh zu sehen, daß diese die Werbung des Proteus gänzlich verschmähte; und Julia oder der Edelknabe Sebastian, wie sie genannt wurde, kam mit Silvia in ein Gespräch über Proteus’ erste Liebe, die verlassene Julia. Sie ließ (wie man zu sagen pflegt) ein gutes Wort für sich mit einfließen und sagte, daß sie Julia kenne (wie sie wohl durfte, da sie ja selbst die besprochene Julia war); sie erzählte, wie zärtlich Julia ihren Herrn und Gebieter liebe und wie sehr seine Vernachlässigung und Unfreundlichkeit sie grämen würde, und in allerliebstem Doppelsinn fuhr sie fort: »Julia ist ungefähr von meinem Wuchs und meiner Gesichtsfarbe, sie hat dieselben Augen und dasselbe Haar wie ich«, und in der Tat sah Julia wie ein sehr hübscher Jüngling in ihrem Knabenanzug aus. Silvia fühlte Mitleid mit dem lieblichen Mädchen, das so schmählich verlassen war von dem geliebten Mann; und als Julia den Ring überreichte, den Proteus gesandt hatte, wies sie ihn zurück mit den Worten: »Ihm Schmach über Schmach, mir diesen Ring zu schicken! Ich nehme ihn nicht, denn oft hörte ich ihn sagen, daß seine Julia ihn beim Abschied gab. Ich danke dir, hübscher Knabe, weil du Mitleid für sie fühlst, das arme Mädchen! Hier, nimm meine Börse; ich schenke sie dir um Julias willen.« Diese tröstlichen Worte von den Lippen ihrer gütigen Nebenbuhlerin erfreuten das kummerbeladene Herz der verkleideten Julia.
Doch wir müssen zu dem verbannten Valentin zurückkehren. Er wußte kaum, welchen Weg er einschlagen sollte, denn er fühlte wenig Neigung, nach Hause zu seinem Vater als ein in Ungnade gefallener und verbannter Mann zurückzukehren. Als er durch einen einsamen Wald wanderte, nicht weit entfernt von Mailand, wo er seinen teuren Herzensschatz, die geliebte Silvia, zurückgelassen hatte, wurde er plötzlich von Räubern angefallen, die sein Geld verlangten.
Valentin erzählte den Räubern, daß er ein vom Unglück verfolgter Mann sei, daß er in die Verbannung gehe und daß er kein Geld habe; die Kleider, die er am Leibe trage, seien sein ganzer Reichtum.
Als die Räuber hörten, daß er ein unglücklicher Mann wäre, machten sie, betroffen von seiner edlen Miene und seinem männlichen Benehmen, ihm den Vorschlag, daß, wenn er mit ihnen leben und ihr Hauptmann sein wolle, sie bereit wären, sich unter seinen Befehl zu stellen; wenn er aber ihr Anerbieten ausschlüge, würden sie ihn töten.
Valentin, der sich wenig darum kümmerte, was ihm geschähe, willigte ein, mit ihnen zu leben und ihr Hauptmann zu sein, vorausgesetzt, daß sie keine Gewalttätigkeiten verübten an wehrlosen Frauen oder armen Reisenden.
So war der edle Valentin gleich Robin Hood, von dem noch die Volkslieder erzählen, der Hauptmann von Räubern und Geächteten, und in dieser Lage fand ihn Silvia. Das war aber folgendermaßen zugegangen:
Um der Vermählung mit Thurio zu entgehen, auf welcher ihr Vater noch immer bestand, war Silvia zuletzt zu dem Entschluß gekommen, Valentin nach Mantua zu folgen, denn sie hatte gehört, ihr Geliebter habe dort einen Zufluchtsort gefunden. Aber darin war sie nicht recht unterrichtet; denn er lebte noch immer im Wald unter den Räubern, indem er zwar ihr Hauptmann hieß, aber keinen Anteil an ihren Plünderungen nahm, und das Ansehen, das sie ihm übertragen hatten, in keiner anderen Absicht verwertete, als daß er sie zwang, den von ihnen geplünderten Reisenden Barmherzigkeit zu erweisen.
Silvia hatte den Plan erdacht, aus dem Palast ihres Vaters zu entfliehen mit einem alten würdigen Edelmann namens Eglamour; ihn hatte sie mit sich genommen, um einen Schutz auf der Reise zu haben. Sie mußte durch den Wald kommen, wo Valentin und die Räuber hausten; und einer von diesen Räubern bemächtigte sich Silvias, und er würde auch Eglamour gefangengenommen haben, wenn dieser sich nicht durch die Flucht gerettet hätte.
Der Räuber, welcher Silvia aufgegriffen hatte, bemerkte die Angst, in welcher sie sich befand, aber er hieß sie ruhig sein, denn er werde sie nur in eine Höhle führen, worin sein Hauptmann wohne, und sie habe nichts zu fürchten, denn der Anführer sei ein ehrenwerter Mann und zeige sich gegen wehrlose Frauen immer menschlich. Aber Silvia sah wenig Trost darin, daß sie als Gefangene vor den Hauptmann geächteter Räuber geführt werden solle. »O Valentin«, rief sie schmerzlich aus, »das dulde ich deinethalben.«
Aber als der Räuber sie nach der Höhle seines Hauptmanns geleitete, vertrat ihm plötzlich den Weg Proteus, der auf die Nachricht von Silvias Flucht ihren Spuren bis in diesen Wald gefolgt war. Noch immer war Julia, als Edelknabe verkleidet, sein Diener. Proteus befreite jetzt Silvia aus den Händen des Räubers; aber kaum hatte sie Zeit, ihm für den ihr geleisteten Dienst zu danken, da begann er von neuem sie mit seiner Liebeswerbung zu quälen. Und während er sie heftig drängte, in die Heirat mit ihm ihre Einwilligung zu geben, und sein Edelknabe (die unselige Julia) in großer Angst daneben stand – mußte sie doch fürchten, daß der große Dienst, den Proteus soeben Silvia geleistet hatte, sie bewegen würde, ihm eine Gunst zu erweisen –, wurden sie alle gewaltig überrascht durch das plötzliche Auftreten Valentins, der, auf die Nachricht, daß seine Räuber eine Gefangene gemacht hätten, herbeigeeilt war, sie zu trösten und aufzurichten.
Proteus warb noch immer um Silvias Hand, und er fühlte sich so beschämt, von seinem Freund bei dem Verbrechen ertappt zu sein, daß er urplötzlich von Gewissensbissen und Reue ergriffen wurde; und er gab wegen des Unrechts, das er Valentin getan hatte, einen so lebhaften Schmerz kund, daß Valentin, dessen Natur edel und großmütig war, selbst bis zur Überschwenglichkeit, ihm nicht allein verzieh und ihn wieder wie früher als Freund in sein Herz schloß, sondern auch in plötzlicher Aufwallung seines Heldensinns sagte: »Ich vergebe dir ohne Rückhalt; und alles, was von Silvia mir gehört, das opfere ich dir.« Julia, die in ihrer Verkleidung neben ihrem Herrn stand, hörte dies sonderbare Anerbieten, und da sie fürchtete, Proteus würde, da er erst eben sich selbst wiedergefunden hätte, nicht fähig sein, auf Silvia zu verzichten, so fiel sie in Ohnmacht; und alle waren um sie beschäftigt, sie wieder ins Bewußtsein zurückzurufen. Sonst würde Silvia sich auch sehr verletzt gefühlt haben, so an Proteus verschenkt zu sein, obgleich sie sich wohl kaum vorstellen konnte, daß Valentin sein überschwengliches und allzu großmütiges Freundschaftsanerbieten aufrechterhalten würde. Als Julia sich von ihrer Ohnmacht erholt hatte, sagte sie: »Ich hatte vergessen, daß mein Herr mir befahl, diesen Ring Silvia zu übergeben.« Proteus, einen Blick auf den Ring werfend, sah sofort, daß es derjenige war, den er Julia gegeben hatte als Gegengeschenk für den, welchen er von ihr empfangen und welchen er durch den vermeintlichen Edelknaben an Silvia gesandt hatte. »Ha! was ist das?« rief er; »dies ist Julias Ring, wie kamst du zu dem Ring, Knabe?« Julias Antwort war: »Julia selbst gab ihn mir, und Julia selbst brachte ihn hierher.«
Proteus blickte sie jetzt aufmerksam an und erkannte zweifellos, daß der Knabe Sebastian kein anderer war als Julia selber; und die Beweise, die sie von ihrer Beständigkeit und treuen Liebe gegeben hatte, waren von so mächtiger Wirkung auf ihn, daß die Liebe für sie sein Herz wieder erfüllte und er seiner eigenen teuren Braut wieder angehörte. Freudig trat er jeden Anspruch an die schöne Silvia an Valentin ab, der sich so sehr um sie verdient gemacht hatte.
Proteus und Valentin waren noch mitten darin, sich gegenseitig des Glücks zu versichern, das sie über ihre Versöhnung und über die Hingebung ihrer treuen Geliebten empfanden, da wurden sie überrascht durch den Anblick des Herzogs von Mailand und Thurios, die zur Verfolgung Silvias hierhergekommen waren.
Thurio näherte sich zuerst und versuchte Silvia zu ergreifen, indem er rief: »Silvia ist mein.« Da fuhr aber Valentin in feuriger Erregung auf ihn los: »Thurio, zurück! Sagt Ihr noch einmal, Silvia sei Euer, so sollt Ihr Euren Tod sofort umarmen! Hier steht sie, wagt nur, sie anzurühren! Wagt nur, sie anzuatmen, die ich liebe!« Als Thurio, der ein großer Feigling war, diese Drohung vernahm, zog er sich zurück mit dem Worte, er frage nicht nach ihr und nur ein Tor würde sein Leben wagen für ein Mädchen, das ihn nicht liebe.
Der Herzog, welcher selbst ein tapferer Mann war, sagte jetzt in großem Zorn: »Desto niederträchtiger und elender ist es von Euch, solche Mittel um ihren Besitz aufzuwenden, wie Ihr getan habt, und dann sie so leichten Kaufs zu lassen.« Darauf sich an Valentin wendend, sprach er: »Mich freut, Valentin, dein edler Zorn, du wärst der Liebe einer Kaiserin würdig. Nimm deine Silvia, du hast sie verdient.« Valentin küßte darauf demütig dem Herzog die Hand und empfing mit geziemendem Dank das herrliche Geschenk, das er ihm mit seiner Tochter gemacht hatte. Zugleich benutzte er diesen freudigen Augenblick, den gutgelaunten Herzog anzuflehen, er möge die Räuber, mit denen er sich im Walde verbunden habe, begnadigen. Er versicherte, wenn sie gebessert und der Gesellschaft zurückgegeben wären, würde sich unter ihnen mancher treffliche Mann finden, der für große Dienste wohl geeignet wäre; denn die meisten unter ihnen seien ebenso wie Valentin mehr wegen staatsbürgerlicher Vergehungen verbannt, als daß sie gemeiner Verbrechen schuldig gewesen seien. Dem stimmte der Herzog bereitwillig bei; und jetzt blieb nur noch übrig, daß dem Proteus, dem falschen Freunde, als Strafe für seine Liebessünden bestimmt wurde, der Erzählung von der ganzen Geschichte seiner Liebesabenteuer und seiner Treulosigkeiten in Gegenwart des Herzogs beizuwohnen. Und die Scham über die erzählten Dinge wurde als genügende Strafe für sein erwachtes Gewissen angesehen. Hierauf kehrten die Liebespaare nach Mailand zurück, und ihre Hochzeit wurde in Gegenwart des Herzogs mit großem Gepränge und vielen Festlichkeiten gefeiert.
Katharina, die Widerspenstige, war die älteste Tochter Baptistas, eines reichen Edelmannes in Padua. Sie war eine Jungfrau von so unlenksamem Geist und so hitziger Gemütsart, und ihre Zunge war zu so lautem Widerspruch geneigt, daß sie in Padua nur bekannt war unter dem Namen »Katharina, die Widerspenstige«. Es war höchst unwahrscheinlich, ja es schien in der Tat unmöglich, daß sich je ein Mann finden würde, der es wagte, dieses Mädchen zu heiraten, und deswegen tadelte man Baptista sehr, daß er zögerte, seine Zustimmung zu geben zu vielen glänzenden Anträgen, die ihrer liebenswürdigen Schwester Bianca gemacht wurden; denn er wies alle Bewerber Biancas mit der Entschuldigung ab, daß, wenn er erst die ältere Schwester in Ehren los wäre, sie dann volle Freiheit haben sollten, sich an die junge Bianca zu wenden.
Es ereignete sich trotzdem, daß ein Edelmann namens Petruchio nach Padua kam, in der Absicht, sich nach einer Gemahlin umzusehen, und daß dieser, durchaus nicht entmutigt durch jene Berichte von Katharinas Gemütsart, auf die Kunde von ihrem Reichtum und ihrer Schönheit sich rasch entschloß, diesen vielbesprochenen Widerspruchsgeist zu heiraten und Katharina so zu zähmen, daß sie ein sanftes und verträgliches Weib würde. Und sicherlich war keiner so geeignet, mit dieser Herkulesarbeit fertig zu werden, wie Petruchio; denn er besaß einen ebenso stolzen Geist wie Katharina, und er war ein witziger und überaus glücklich angelegter Mann von heiterster Laune, außerdem aber so klug und von so treffendem Urteil, daß er sich wohl darauf verstand, sich leidenschaftlich und höchst aufgeregt zu stellen, während er innerlich so ruhig war, daß er selbst lustig hätte lachen können über seinen eigenen vorgeblichen Zorn, denn seine natürliche Gemütsart war sorglos und behaglich-zufrieden. Die ungestüm polternde Weise, die er annahm, als er Katharinas Gatte wurde, war nur aus Scherz hervorgegangen oder, wenn man es richtiger ausdrückt, aus Verstellung, die ihm sein überaus kluger Verstand eingab, denn er sah darin das einzige Mittel, das leidenschaftliche Gebaren der heftigen Katharina in ihrer eigenen Art zu übertrumpfen.
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