Shattered Smile: Wenn ich perfekt wäre - Sabrina Heilmann - E-Book
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Shattered Smile: Wenn ich perfekt wäre E-Book

Sabrina Heilmann

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Beschreibung

Ein New-Adult Roman um eine junge Frau, die gegen Selbstzweifel und Mobbing kämpft und durch die Liebe ihren Weg zu sich selbst findet – für alle Leser:innen von Mona Kasten und Laura Kneidl

»Ich setzte Stein für Stein auf meine bereits meterhohe Schutzmauer. Doch so sehr ich mich auch bemühte, sie stürzte ein und begrub mich unter ihren Trümmern.«

Ihr Leben lang stand Candice im Schatten ihrer Schwester, der berühmten Designerin Odette Medeaux. Sie ist unsicher und zweifelt oft an sich selbst.
Kurz nachdem Candice die Zusage für ein Auslandssemester erhält, lernt sie Valentin kennen, der überall dort aufzutauchen scheint, wo sie auch ist. Obwohl Candice Probleme hat, ihm zu vertrauen, kommen die beiden sich näher.
Doch ihr schlechtes Bauchgefühl mahnt sie zur Vorsicht, denn Valentin scheint zu perfekt für ihre gebrochene Seele.

Warnung: Dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte

»Sabrina Heilmann hat wieder einmal eine emotionale, aber wundervolle Geschichte geschaffen! Eine Geschichte, die Mut macht. Absolut lesenswert!« ((Leserstimme auf Netgalley))
»Ein wunderschönes Buch was mich zum Lachen und Weinen gebracht hat. Ein großes Highlight dieses Jahr!« ((Leserstimme auf Netgalley))

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Warnung: Dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte

© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Cornelia Franke

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Motto

Playlist

Prolog

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Epilog

Danksagung

Für all diejenigen,

die dazu stehen,

herrlich unperfekt zu sein.

Wir sind geboren worden,

um natürlich zu sein …

und nicht perfekt.

Anonym

Playlist

Donne-moi ton coeur – Louane

Masquerade – Lindsay Stirling

Bad Child – Tones and I

Á l’autre – Louane

Schön genug – Lina Maly

L’odeur des joints – Hollydays

Don´t cry – Daisy Gray

No time to die – Billie Eilish

Underground – Lindsay Stirling

Artemis – Lindsay Stirling

Aimer á mort – Louane

Elements – Lindsay Stirling

Underdog – Alicia Keyes

Prolog

Leer.

Das hätte ich auf die Frage, wie ich mich fühle, antworten müssen.

Beschissen.

Das hätte ich sagen sollen, als man mich fragte, wie es mir geht.

Aber ich hatte geschwiegen.

Jedes Mal.

Weil ich immer schwieg. Weil ich mich niemandem anvertraute und gelernt hatte, dass Reden Silber war und Schweigen Gold.

Ich lächelte alles tapfer weg und führte stattdessen einen Kampf, den niemand sah. Ich quälte mich von Tag zu Tag, versuchte zu verstehen, was ich falsch gemacht hatte. Warum war nichts an mir genug? Und gleichzeitig alles zu viel? Was musste ich ändern?

Alles, was ich mir wünschte, war, dass sie mich nicht mehr wahrnahmen. Mir nicht mehr sagten, was ich alles nicht war, was ich alles nicht sein durfte.

Ich wollte unsichtbar sein.

Ich wollte endlich frei sein …

… und dann würde ich vielleicht herausfinden, wer ich wirklich war.

Eins

»Ich kann ihr die Wahrheit nicht sagen, Maman.«

Die Stimme meiner Schwester hallte durchs Wohnzimmer und ich stoppte überrascht an der Wohnungstür. Leise schloss ich sie und hoffe, dass Odette mich nicht bemerkt hatte.

»Odette, ich verstehe deine Angst, aber bevor Candice nach Rom geht, sollte sie davon erfahren«, antwortete Maman. Ihre Stimme klang durch den Lautsprecher des Smartphones verzerrt.

Ich lauschte. Den Geräuschen nach lief meine Schwester aufgeregt hin und her, wie immer, wenn eine Situation außerhalb ihrer Kontrolle lag, oder ihr etwas über den Kopf wuchs.

»Wir wissen nicht, ob sie eine Zusage erhalten hat. Es ist zwar ein Schreiben von der Uni gekommen, doch dort könnte alles Mögliche drin stehen. Ohne diesen verdammten Brief, wüsste ich nicht einmal, was sie vorhat.«

Meine Mutter seufzte laut. »Odette, du hättest nicht in ihren Sachen wühlen dürfen, sondern abwarten, bis sie dir davon erzählt.«

Meine Schwester lachte auf, es klang seltsam traurig. »Also nie«, hauchte sie und mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen.

Ich schlüpfte aus den Sneakers. Was für ein Geheimnis hatten Maman und Odette vor mir? Und warum sollte meine Bewerbung für ein Auslandssemester in Rom etwas ändern?

»Maman, wenn Can…«

Ich schlich in Richtung Wohnzimmertür, den Blick konsequent nach oben gerichtet. Plötzlich trafen meine Zehen auf einen Widerstand, der heute Morgen noch nicht dort gewesen war. »Merde!«, fluchte ich und meine Schwester verstummte schlagartig.

»Maman, ich muss auflegen. Ich melde mich in den nächsten Tagen bei dir.«

Odette kam in den Flur gerauscht und starrte mich aus ihren unergründlichen, eiskalten Augen an. »Candice.«

Stumm betrachtete ich meine sechzehn Jahre ältere Schwester. Ihr perfekt geföhntes Haar fiel über ihre schlanken Schultern. Die Arme hatte sie abwehrend vor der Brust verschränkt.

»Wieso bist du schon zu Hause? Hast du keine Vorlesungen mehr?«, fauchte sie.

Ich holte tief Luft und widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. »Ich habe Semesterferien und war in der Bibliothek, um an meinem Aufsatz zu arbeiten. Das habe ich dir gesagt, bevor ich gegangen bin.«

»Wie auch immer.« Odette drehte sich um und marschierte zurück ins Wohnzimmer. Ich folgte ihr, während ich in Gedanken abwog, ob ich sie auf das Telefonat ansprechen sollte. Ich gehörte nicht zu den Menschen, die offene Konfrontationen mit anderen suchten. Abgesehen davon, dass ich oft schüchtern oder ängstlich reagierte, hatte ich heute keine Lust, mit Odette zu diskutieren. Das kam ohnehin viel zu oft vor.

»Gib mir den Brief von der Uni in Rom!«, forderte ich so selbstbewusst wie möglich. Odette hörte auf, die Umschläge auf dem Esstisch zu sortieren.

»Du hast uns belauscht«, knurrte sie. Das war keine Feststellung, sondern ein Vorwurf.

»Ich habe euch bis in den Hausflur gehört. Gib mir den Brief!«

Meine Schwester zog einen dünnen, weißen Umschlag aus dem Stapel und warf ihn mir vor die Füße. Ihr arroganter Blick schickte einen Schauer durch meinen Körper.

»Glaube nicht, dass ich einen Cent dafür zahlen werde! Wenn du so unbedingt von hier wegwillst, musst du das allein schaffen!«, zischte sie giftig. Sekunden später knallte die Wohnungstür ins Schloss.

Bisher hatte ich immer im Schatten meiner Schwester gestanden. Als ich Bestnoten mit nach Hause gebracht, den Kunstpreis in der Schule gewonnen und einen der begehrten Studienplätze am Ècole spéciale d’architecture bekommen hatte, bejubelten alle nur die erfolgreiche Newcomer-Designerin Odette Medeaux. Weil ich keine Miete zahlen und mir auch sonst keine Gedanken um Geld machen musste, ertrug ich es stumm.

Ich wollte mir die Wut nicht anmerken lassen, doch als ich mich nach unten beugte und den Umschlag aufhob, zitterten meine Finger.

Mein Blick fing das winzige Logo der Universitá degli Studi di Roma ein und mein Herzschlag beschleunigte sich.

Ich holte tief Luft. Obwohl ich so ungeduldig auf dieses Schreiben gewartet hatte, traute ich mich nicht, den Umschlag zu öffnen.

Als ich wenig später den schmalen Sandweg im Jardin de la Nouvelle erreichte, durchströmte mich sofort ein Gefühl der Befreiung. In die kleine Pariser Parkanlage, die an das Wissenschaftsmuseum Palais de la Découverte angrenzte, zog ich mich immer dann zurück, wenn ich mich nach Ruhe sehnte. Aber heute war es nicht die Ruhe, die mich zu meinem liebsten Platz in der Stadt führte. Sondern der Wunsch, den Brief allein für mich zu lesen. Er hatte die Macht inne, mein bisheriges Leben völlig auf den Kopf zu stellen.

Schnellen Schrittes erreichte ich die alte Steintreppe, die mir schon vor Jahren mein Herz gestohlen hatte. Glücklich sank ich auf die vorletzte Stufe und lehnte mich mit dem Rücken an das unebene Felsgestein, welches sie auf der rechten Seite eingrenzte. Dichtes Grün bot mir den Schutz, den ich suchte. Touristen tummelten sich lieber in den berühmten Parks, wie dem Jardin du Luxembourg oder in der schön gestalteten Anlage des Louvre. Ich hingegen gehörte zu den Menschen, die sich oft vom Trubel des Pariser Lebens zurückzogen und es bevorzugten, ihren Gedanken allein nachzuhängen. So oft hatte ich mich in dieser Stadt fehl am Platz gefühlt, hatte mich gefragt, wie ich in das Bild der französischen Leichtigkeit passen sollte. Denn die Vorzeige-Pariserinnen waren schlank, groß, atemberaubend schön und stilsicher.

Das komplette Gegenteil von mir.

Während der Schulzeit war ich eines der pummeligsten Mädchen gewesen und auch heute, mit zweiundzwanzig Jahren, stachen meine weiblichen Rundungen ins Auge. Mein Oberkörper und meine Arme waren nicht übermäßig dick, doch die Hüften waren zu ausladend und meine Oberschenkel zu prall, was meine schmale Taille zusätzlich betonte. Obwohl ich mein Gesicht mit den außergewöhnlichen, bernsteinfarbenen Augen hübsch fand, machten sich die anderen nur über meine Naturlocken lustig.

Meine Klassenkameraden hatten nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich weniger wert war, nur weil ich ihrem optischen Ideal nicht entsprach. Tag für Tag hatten sie das Messer tiefer in mein Herz getrieben und damit nicht nur einen Teil meiner Persönlichkeit, sondern auch meines Selbstbewusstseins zerstört.

Mein Studium sollte ein Neuanfang sein. Doch ich lernte schnell, dass es ein noch schlimmeres Gefühl gab.

Die Ignoranz, mit der ich jetzt zu kämpfen hatte.

An der Uni interessierte sich niemand für mich. Ich ging zu meinen Kursen und verschwand in der Masse, die täglich in die Hörsäle strömte.

Ich hatte mir das Studentenleben immer anders vorgestellt, daran waren die amerikanischen Filme schuld. Hatte davon geträumt, mit meinen Kommilitonen zu lernen, Party zu machen, ein Teil einer Gruppe zu werden. Endlich akzeptiert zu werden.

Während andere Studenten lachend den Hörsaal oder Seminarraum verließen und sich für das Wochenende verabredeten, warf ich ihnen nur sehnsüchtige Blicke zu, in der Hoffnung, man würde einen Schritt auf mich zugehen.

Nichts passierte – und ich selbst war zu schüchtern, um den ersten Schritt zu machen. Selbst bei Gruppenprojekten hatte ich das Gefühl, dass mich niemand dabeihaben wollte.

Und nun hatte ich endlich eine weitere Chance, neu zu beginnen. Ich musste lediglich über meinen Schatten springen.

Langsam zog ich den Briefumschlag aus meiner Tasche, öffnete ihn und faltete den Zettel auseinander. Meine Augen huschten über die wichtigsten Zeilen.

Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie den Anforderungen unseres Auswahlverfahrens entsprechen und wir Ihnen im folgenden Semester einen Platz an der Universitá degli Studi di Roma anbieten können.

Ich studierte seit zwei Jahren Architektur am École spéciale d’architecture. Das Studium war großartig und ich widersprach gern, wenn es jemand als trocken und langweilig bezeichnete. Natürlich waren die theoretischen Kurse zur Bau- und Kunstgeschichte oft zäh wie Kaugummi, doch der praktische Teil machte all das wieder wett. Wenn ich zeichnete und Modelle baute, tauchte ich in eine Welt ein, in der die Realität keine Rolle spielte. Eine Welt, in der ich glücklich und zufrieden mit mir selbst war.

Als ich mich für das Auslandssemester an der Universität in Rom beworben hatte, hatte ich niemals mit einer Zusage gerechnet. Seufzend faltete ich den Brief zusammen und verstaute ihn im Umschlag, den ich in der Tasche verschwinden ließ.

Ich hatte aus einem spontanen Impuls heraus eine Bewerbung eingereicht und dachte jetzt zum ersten Mal darüber nach, wen ich in Paris zurücklassen würde.

Meine Schwester …

Meine einzigen Vertrauten und besten Freunde Nic und Stefanie.

Während ich tief Luft holte, stand ich auf und hing mir die Tasche über die Schultern, doch ein Schimmern im Felsen erweckte meine Aufmerksamkeit. Meine Finger tasteten danach und ich zog das feingliedrige Band einer rotgoldenen Kette aus einer Felsspalte. Überrascht betrachtete ich das schlichte Medaillon, das zum Vorschein kam. Es sah teuer aus. Warum ließ es jemand hier im Felsen zurück?

Behutsam öffnete ich den winzigen Verschluss und blickte auf das Foto einer jungen Frau, die ein Baby liebevoll auf die Stirn küsste. Obwohl dieses Bild ausgeblichen und in schlechter Qualität war, hatte es dennoch etwas Vertrautes, das ich nicht zuordnen konnte. Glück und Wärme kannte ich in meiner Familie nicht.

Mit einem Lächeln auf den Lippen legte ich die kleine Kostbarkeit an seinen Platz zurück. Es fühlte sich falsch an, es mitzunehmen. Der Besitzer hatte das Medaillon nicht verloren, sondern sicher aus einem guten Grund versteckt.

Meine Gedanken schweiften erneut zu meiner großen Chance ab, als ich den Heimweg antrat. Rom faszinierte mich seit einem gemeinsamen Urlaub mit meinen Eltern. Die Architektur dort war ein Traum. Warum freute ich mich nicht über das Auslandssemester, sondern zog es in Betracht, in Paris zu bleiben? Die Stadt hatte mir bisher nur Leid gebracht.

Je länger ich darüber nachdachte, desto lächerlicher kam ich mir vor. Jeder normale Mensch in meiner Situation hätte längst die Koffer gepackt.

Wenn ich ein Zeichen bekommen könnte …

Als hätte das Universum mich gehört, hallte plötzlich ein lautes Fluchen durch die Parkanlage.

»Merde!«

Erschrocken sah ich mich um, entdeckte jedoch niemanden. Ich folgte dem schmalen Weg und wurde auf einen Mann aufmerksam, der auf einer Bank saß und sein Gesicht in den Händen barg. Stumm betrachtete ich ihn aus meinem sicheren Versteck und kam nicht umhin, zu bemerken, wie attraktiv der Unbekannte trotz der verzweifelten Körperhaltung war. Er hatte eine sportliche Figur, nicht zu übertrieben muskulös, aber so gut in Form, dass Frauen sich bei ihm beschützt fühlen würden. Mit den Händen fuhr er durch sein brünettes, mittellanges Haar, seine feingliedrigen Finger massierten die Schläfen. Als er sie wieder sinken ließ, erhaschte ich einen Blick auf seine angespannten Gesichtszüge, seine Mundwinkel hingen merklich nach unten.

Was ihm wohl zugestoßen war? Am liebsten wäre ich zu ihm gegangen und hätte ihn gefragt, ob ich ihm helfen konnte. Allerdings machte ich nie den ersten Schritt. Es ängstigte mich, zurückgewiesen und komisch angeschaut zu werden.

Plötzlich hob der Unbekannte den Kopf und der Blick aus seinen blauen Augen traf den meinen. Ich hielt den Atem an, wollte mich abwenden, doch mein Körper war wie erstarrt. Mein Verstand arbeitete in diesem Moment gegen mich. Er sah mich weder komisch an, noch wertete er mich ab und dennoch fühlte ich mich unwohl. Als ein ehrliches Lächeln auf seinen Lippen erschien, zog sich mein Herz zusammen und ich schluckte schwer. Ich ertrug kaum die heimlichen Blicke der Menschen, so offen angestarrt und angelächelt zu werden, hielt ich kaum aus.

Als mein Körper wieder gehorchte, senkte ich den Kopf und lief eilig davon. Ich drehte mich nicht noch einmal zu dem Fremden um, der mir mit seinem Blick und seinem Lächeln auf eine seltsame Art zu nahe gekommen war. Wenn es etwas gab, dass mir noch mehr Probleme bereitete als die Unsicherheit in Bezug auf meinen Körper, dann war es der Umgang mit Männern.

Während der Schulzeit waren meine Schwärmereien nie gut für mich ausgegangen. Sie waren immer ein gefundenes Fressen für meine Mitschüler, die sich lustig über mich machten, sobald sie davon erfuhren. Stefanie hingegen stellte mir während der zehnten Klasse meinen ersten Freund vor. Nachdem er mich jedoch nach lächerlichen zwei Monaten wegen einer anderen Frau verlassen hatte, konzentrierte ich mich ausschließlich auf meinen Abschluss. Erst kurz danach lernte ich einen Mann kennen, der mich so liebte, wie ich war. Maxime und ich waren ein knappes Jahr ein Paar, bis er ein Jobangebot in Lyon bekam. Nach einem Monat Fernbeziehung trennten wir uns.

Seitdem besaß mein Studium die oberste Priorität in meinem Leben.

Mit meinen zweiundzwanzig Jahren hatte ich kaum Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gesammelt. Ich war viel zu schüchtern und zu ruhig, um einen Mann anzusprechen, der mir gefiel. Erschwerend kam hinzu, dass die Pariser Männer sich nicht für Frauen wie mich interessierten. Ich war viel zu oft wegen meiner Kurven und meines Gewichts abgelehnt worden, da nützte mir auch mein hilfsbereiter, empathischer Charakter nichts. Um die inneren Werte scherte sich eh niemand.

Gedankenverloren bog ich in die Avenue Montaigne, im achten Arrondissement. Hier befand sich das Geschäft meiner Schwester Odette, in direkter Nachbarschaft von Designern wie Chanel, Louis Vuitton und Prada. Das Haus, in dem die Modeboutique mit Showroom und integriertem Atelier lag, hatten meine Eltern damals gekauft. Odette und ich lebten in einer großen Wohnung, die sich über den gesamten ersten Stock erstreckte. Die vier weiteren Wohnungen im Haus vermieteten meine Eltern, um sich ihren Lebensabend an der Côte d’Azur zu finanzieren.

Als ich meine Zimmertür hinter mir geschlossen hatte und mich an das kühle Holz lehnte, traf ich eine Entscheidung, was das Auslandssemester betraf. Ich würde nach Rom gehen, um dort zu studieren und so diesem französischen Wahnsinn und auch Odette zumindest für einige Zeit zu entfliehen. Ich hatte die Nase voll von diesem Leben. Dieses Mal würde ich meine Chance nutzen, um endlich glücklich zu sein.

Doch zuvor würde ich das Geheimnis lüften, das meine Familie vor mir verbarg.

Zwei

Verzweifelt stand ich am nächsten Tag vor meinem Kleiderschrank und blickte ratlos hinein. In zehn Minuten sollte ich Nic im Atelier abholen, damit wir gemeinsam ins La Nuit Noire, unsere Stammbar, gehen und uns mit Stefanie treffen konnten.

Wenn ich weiter trödelte, würde ich wieder zu spät kommen. Ich wusste nicht, was ich anziehen sollte, hatte kein Make-up aufgelegt und die brünetten Haare nicht geglättet. Ein Blick in den Spiegel ließ mich zusammenzucken. Ich sah aus wie eine Vogelscheuche … die wirren Locken, die dunklen Ringe unter den Augen und die Speckrollen am Bauch. Andere Frauen machten sich mit der Größe von einem Meter dreiundsiebzig und dieser Figur einen Namen als Curvy Model, doch ich empfand nur Abscheu für mein Übergewicht. Ich schüttelte mich und wandte mich von meinem Spiegelbild ab.

Seufzend griff ich nach einem braunen Shirt, das meine Kurven kaschierte, und nach einer schlichten, schwarzen Jeans, die den Rest erledigte.

Nachdem ich mich umgezogen hatte, ging ich ins Bad und deckte die Augenringe mit Concealer ab. Ich fuhr einige Male skeptisch mit den Fingern durch die Locken und band sie schließlich zu einem losen Dutt, damit sie nicht weiter nervten.

Ich schlüpfte in die Sneakers und verließ mit nur fünf Minuten Verspätung meine Wohnung – Rekord! Den schlechten Witz über mein Zeitmanagement würde mein bester Freund Nic sich trotzdem erlauben.

Ich eilte die Treppe nach unten und schloss die Tür im Erdgeschoss auf, die direkt zum Stofflager führte. Freundlich begrüßte ich die drei Mitarbeiterinnen meiner Schwester, die gerade eine neue Lieferung in die Regale sortierten. Durch eine weitere Tür gelangte ich in das Atelier, dem Herzen des Modelabels. Odette hatte alles darangesetzt, dass ihre Mitarbeiter eng zusammenarbeiteten. Nachdem meine Eltern ihr das Label überschrieben hatten, ließ sie das Atelier komplett umbauen. Die Einrichtung war modern und in Weiß- und Brauntönen gehalten. Die bunten Stoffe auf den vier Schneidertischen brachten genug Abwechslung mit. Am Ende des Raumes folgten die Büros, die nur durch Glasscheiben vom Atelier getrennt waren. Privatsphäre gab es hier nicht. Auch wenn Odette und ich kein gutes Verhältnis hatten, musste ich ihr zugestehen, dass sie eine gute Chefin war. Sie bezog ihre Mitarbeiter stets mit ein und versuchte, alle Unstimmigkeiten aus dem Weg zu schaffen, um ein positives Arbeitsklima zu kreieren. Und das gelang ihr, denn in den fünf Jahren, in denen sie das Label Medeaux nun erfolgreich führte, hatte niemand ihr Team freiwillig verlassen.

Als ich Nic entdeckte, sprach er gerade mit einem Mann an einem der Schneidertische. Die beiden hatten sich über die Skizze eines Kleides gebeugt und mein bester Freund tippte auf das Papier.

»Ich würde vorschlagen, wir verlängern den Rock, dann wirkt das Kleid eleganter.« Nic war so in die Arbeit vertieft, dass er weder meine Verspätung noch mein Ankommen bemerkt hatte.

Nic und ich lernten uns vor zwei Jahren im Atelier meiner Schwester kennen, wo er als Chefdesigner arbeitete. Nachdem ich einen Scherz auf Odettes Kosten gemacht hatte, war das Eis zwischen uns gebrochen und er lud mich spontan auf einen Cocktail ein. Nicht mit unehrenhaften Absichten, wie er selbst gesagt hatte. Daraufhin hatte ich herzlich gelacht, denn ich hatte bereits mitbekommen, dass er nicht an Frauen interessiert war.

»Nic?«, fragte ich mit dünner Stimme, weil ich es unangenehm fand, seine Unterhaltung zu unterbrechen. Nic wandte sich mir zu und ein glückliches Lächeln stahl sich auf meine Lippen, das sogleich wieder verschwand.

Ich hielt den Atem an.

Der Mann aus dem Park.

Warum war er im Atelier meiner Schwester?

Angespannt umarmte ich Nic, während ich den Blick nicht von dem Fremden lösen konnte. Auch er betrachtete mich und mir entging die Mischung aus Überraschung und Erleichterung nicht. Freute er sich etwa, mich wiederzusehen? Was hatte das zu bedeuten?

»Tut mir leid, wir waren so in die Arbeit vertieft, ich wollte dich nicht warten lassen«, durchbrach Nic die peinliche Stille und strich sich durch seine blonden Haare. »Ich glaube, du kennst Valentin noch nicht. Er arbeitet seit letzter Woche hier. Ob du es glaubst oder nicht, deine Schwester hat mein Flehen erhört, einen weiteren Designer einzustellen.« Nic wandte sich an Valentin, der den Blick nicht von mir gelöst hatte. Ich stieß den Atem aus, den ich angehalten hatte. Meine Hände zitterten. Ich wollte dieser Situation schleunigst entfliehen.

Valentin … was für ein schöner Name.

Mein Herz machte einen nervösen Sprung. Trotzdem fühlte ich mich angreifbar in seiner Nähe. Besonders, wenn er mich anlächelte.

»Valentin, das ist Candice, Odettes jüngere Schwester«, stellte Nic mich vor.

»Sa… Salut«, krächzte ich und hasste, dass man mir die Unsicherheit anhörte.

»Schön dich kennenzulernen, Candice«, erwiderte Valentin freundlich.

»Wir nennen sie alle nur Candy. Weil sie so süß ist, verstehst du?« Nic schenkte Valentin ein breites Grinsen, während meine Wangen sich tiefrot färbten. Konnte der Erdboden sich bitte auftun? Diese Situation war noch unangenehmer als das Aufeinandertreffen gestern im Park. Es war beschämend. Wieso zum Teufel konnte Nic nicht die Klappe halten?

»Es ist egal, wie du mich nennst, süß bin ich jedenfalls nicht«, murmelte ich. »Nic, können wir los?« Ich kniff die Lippen fest aufeinander.

»Ja, sofort. Ich muss nur noch zu …« Ich bemerkte, wie es in seinem Kopf arbeitete. »… zu Claude, wegen … wegen der Schnittmuster für ein Kleid. Gib mir fünf Minuten.«

Nic eilte davon und ich riss fassungslos die Augen auf. Es war offensichtlich, dass er nach einer Ausrede gesucht hatte, um mich mit Valentin allein zu lassen. Am liebsten wäre ich ihm nachgelaufen, hätte ihn am Arm gepackt und grob aus dem Atelier geschleift. Was dachte er sich nur dabei? Er wusste, dass ich nicht gut darin war, Small Talk zu führen. Und schon gar nicht mit einem Mann wie Valentin, der mein Innerstes mit seiner bloßen Anwesenheit durcheinanderbrachte.

Merde!

Verlegen senkte ich den Blick zu Boden und anschließend quer durch das Atelier.

»Bist du oft im Jardin de la Nouvelle?«, durchbrach er auf einmal die Stille und ich starrte ihn überrascht an.

»Ähm … ouais.« Unsicher biss ich mir auf die Lippe und atmete tief durch.

»Ich habe dich nie dort gesehen.« Ich hob vorsichtig die Schultern und wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. »Ich muss gestern einen fürchterlichen Eindruck auf dich gemacht haben.«

»Wir haben alle mal einen schlechten Tag.« Meine Stimme war so leise, dass Valentin mich bestimmt kaum verstand.

»Bist du heute wie…«, setzte er an.

»Candy, können wir los?« Nic tauchte auf und legte mir einen Arm um die Schultern. Sofort entspannte ich mich. Er gab mir Ruhe und Sicherheit.

Ich tauschte einen letzten Blick mit Valentin, bevor ich stumm nickte.

»Mach nicht mehr zu lange, Valentin.« Nic klopfte ihm auf die Schulter.

»Werde ich nicht. Viel Spaß euch beiden.«

Kaum, dass ich genügend Abstand zwischen Valentin und mich gebracht hatte, atmete ich erleichtert aus. Nic zog fragend eine Augenbraue nach oben. Natürlich durchschaute er mich sofort.

»Okay, was ist los?«, fragte er ohne Umschweife. Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Was stimmt mit dir nicht, Candy? Valentin ist heiß, er ist freundlich und, verdammt noch mal, hetero.«

»Du weißt, dass ich das nicht kann«, seufzte ich und lief weiter.

»Tss«, stieß Nic theatralisch aus und folgte mir.

»Ich kenne ihn nicht und nur weil er gut auss…«

»Shh, ich will nichts hören!« Mein bester Freund schnitt mir das Wort ab und ich verdrehte genervt die Augen. »Hast du nicht bemerkt, wie er dich angesehen hat? Du sollst ihn nicht gleich heiraten, sondern kennenlernen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, er arbeitet für meine Schwester, das ist komisch.«

»Oh nein, Candice Medeaux, so kommst du mir nicht davon. Ich habe deine Masche durchschaut. Ob du es glaubst oder nicht, es gibt tatsächlich Männer, die auf Frauen mit Kurven und Charakter abfahren und die diese lebenden Kleiderständer abstoßend finden.«

»Ich habe noch keinen kennengelernt«, erwiderte ich missmutig. Auch die Medien suggerierten immer, dass es für das dicke Mädchen kein Happy End gab.

Fassungslos griff Nic nach meinem Arm und stoppte mich.

»Wenn ich auf Frauen stehen würde, hätte ich dich längst an mich gekettet, Schätzchen«, versicherte er. Der Ausdruck in seinen stahlgrauen Augen ließ keinen Widerspruch zu, dann zog er mich in einer schwungvollen Bewegung in seine Arme. Ich hatte keine Chance, mein bester Freund war zwei Köpfe größer als ich und viel stärker.

»Verdammt, Nic«, murmelte ich und löste mich von ihm, weil ich beinahe gestolpert wäre. Mit hochrotem Kopf blickte ich mich nach den Passanten um. Ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen. Besonders mitten auf der Straße. Ich hasste ihre Blicke. »Du zählst nicht, weil du mein bester Freund bist. Du bist nicht objektiv.«

»Wenn ich mich in einen Mann verliebe, der aussieht wie Gerard Depardieu, würdest du dann meine Aufrichtigkeit anzweifeln?«

»Nein, so bist du nicht und …«

»Warum fällt es dir dann so schwer, zu glauben, dass Männer nicht nur nach dem Äußeren gehen?«

Leere Worte. Nic wollte mich nur aufmuntern, aber so funktionierte mein Leben nicht.

»Warum machst du dich immer so klein?«, seufzte er.

»Weil ich kleiner bin als du«, scherzte ich halbherzig und versuchte, vom Thema abzulenken.

»Du weißt genau, was ich meine.« Nic legte seine Hände um mein Gesicht. »Versprich mir nur eine Sache, Candy. Wenn Valentin sich ernsthaft für dich interessiert – worauf ich meinen hübschen Hintern verwetten würde – wirst du ihn nicht von dir stoßen, nur weil du dir einredest, nicht gut genug zu sein.«

Statt einer Antwort dachte ich an meine Entscheidung, Paris schon im Herbst zu verlassen und nach Rom zu gehen. Warum machte mir das Schicksal es unnötig schwer und setzte mir Valentin vor die Nase?

Sollte er etwa das Zeichen sein, um das ich im Park gebeten hatte? Es war absurd. Männer wie Valentin interessierten sich nicht für Frauen wie mich. Er war perfekt … zu schön, um wahr zu sein. Und ich war … unscheinbar, nicht liebenswert. Ich war ein Makel in der Hochglanzwelt der Modeindustrie.

»Es spielt keine Rolle, ob er Interesse an mir hat«, flüsterte ich und fing Nics fragenden Blick ein.

»Was bedeutet das jetzt?«

»Später«, murmelte ich und setzte den Weg fort.

 

Als wir am La Nuit Noire ankamen, hatte Stefanie einen der begehrten Tische vor der Bar ergattert. Es war ein heißer Julitag, der dazu einlud, in den kleinen Cafés und Bars einen Absacker zu trinken und sich mit seinen Freunden zu unterhalten.

»Habt ihr auf die Uhr geschaut?«, schimpfte Steff und sprang auf, um uns zu umarmen.

»Nur weil du ausnahmsweise pünktlich bist«, stichelte Nic und wir nahmen Platz.

»Ich habe das Übliche bestellt«, verkündete sie und setzte ein Lächeln auf. Stefanie strich sich ihre brünetten, schulterlangen Haare aus dem Gesicht, die mit einigen blonden Strähnen versehen waren. Sie hatte ein leichtes Make-up aufgelegt, trug eine schwarze Jeans und ein stilvolles, violettes Top, dazu farblich passende Ballerinas. Manchmal beneidete ich sie, weil sie mit ihren überschüssigen Kilos viel besser umging als ich. Meine beste Freundin versteckte sich nicht in weiten und nichtssagenden Sachen, sondern trug knallige Farben und enganliegende Tops, die ihre Kurven noch mehr betonten.

»Verdammt, Steff, du siehst heiß aus.« Nic grinste sie wegen des Outfits anerkennend an und lehnte sich entspannt zurück.

Als Stefanie damals in meine Klasse gekommen war, sprach sie nur gebrochen Französisch. Ihre Eltern waren wegen eines Jobangebots von Berlin in die Stadt der Liebe gezogen. Nachdem ich bemerkte, dass Steff von den anderen genauso ausgegrenzt und gemobbt wurde wie ich selbst, hatten wir uns angefreundet. Von diesem Moment an hatte sie hinter mir gestanden und mich in Schutz genommen. Sie war stärker als ich, steckte die Beleidigungen viel besser weg und fühlte sich wohl in ihrer Haut.

Seit sie in einer Bäckerei als Verkäuferin arbeitete und ich studierte, entwickelten sich unsere Leben zwar auseinander, dennoch trafen wir uns jeden Freitag hier in dieser Bar.

Die Kellnerin brachte ein Bier für Steff und einen Cocktail für Nic und mich.

»Ich werde nie verstehen, wie du dieses eklige Zeugs runterbekommst.« Naserümpfend betrachtete Nic das Bier und schüttelte sich.

»Manchmal frage ich mich, ob du nicht besser ein Mädchen geworden wärst«, stichelte sie und Nic verdrehte die Augen. Nic und Stefanie hatten sich durch mich kennengelernt und waren in Wirklichkeit wie Feuer und Wasser. Sie trafen sich nie ohne mich.

Stefanie erhob ihr Glas und fragte: »Okay, worauf trinken wir an diesem wunderbaren Freitag?« Wir taten es ihr gleich. Das war der beste Moment, mein Schweigen zu brechen und mein Geheimnis zu lüften. Meine Freunde mussten erfahren, dass diese gemütlichen Runden ab Oktober vorerst ausfallen würden.

»Darauf, dass ich im Herbst nach Rom gehen werde«, rückte ich leise mit der Sprache heraus. Beinahe zeitgleich froren Nics und Steffs Gesichtszüge ein und sie stellten ihre unangerührten Gläser zurück auf den Tisch.

»Du gehst wohin?«, fragte Stefanie schockiert. Einige Leute auf der Straße drehten sich zu ihr um.

»Nach Rom«, flüsterte ich und senkte den Blick, weil mir die Aufmerksamkeit der Passanten unangenehm war. »Ich habe die Zusage für ein Auslandssemester erhalten.«

»Und wann dachtest du, erzählst du uns das?« Steffs Blick war ebenso fassungslos.

»Ich habe nicht damit gerechnet, angenommen zu werden. Gestern kam die Zusage.« Ihr finsterer Blick verunsicherte mich und ich rutschte auf meinem Stuhl kaum merklich nach unten, um mich klein zu machen. Was hatte ich falsch gemacht?

»Candy, entschuldige. Ich … es ist nur so, wir waren nie länger als zwei Wochen voneinander getrennt«, erwiderte Stefanie.

Nic hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sein Blick ruhte auf mir. Würde er meine Pläne ebenfalls verurteilen? So wie Odette?

»Sag doch etwas«, bat ich ihn leise und mein bester Freund atmete geräuschvoll aus.

»Ich finde es toll, wirklich«, begann er und ein sanftes Lächeln erweichte seine angespannten Gesichtszüge. »Ich frage mich nur, warum gerade jetzt? Wo doch dieser verboten heiße Typ angefangen hat, bei deiner Schwester zu arbeiten und er auf dich steht.«

Nicht schon wieder!

Stefanie klappte die Kinnlade nach unten.

»Was für ein heißer Typ? Wie heißt er? Wie sieht er aus?«, wollte sie wissen und meine Wangen färbten sich zum zweiten Mal an diesem Tag feuerrot.

»Valentin Dumas, der neue Designer, den Odette letzte Woche eingestellt hat. Hundert Prozent an Frauen interessiert und hin und weg von unserer zuckersüßen Candy.« Nic zog wissend die Augenbrauen nach oben.

»Können wir bitte nicht darüber sprechen? Valentin hat nichts mit meiner Entscheidung zu tun.« Ich liebte Nic wie einen Bruder und Stefanie wie eine Schwester, doch es ging mir gegen den Strich, wie sie mich in diesem Moment vorführten. Dieser Valentin und ich hatten zwei Worte miteinander gewechselt und Nic interpretierte alle möglichen Sachen hinein. Das nervte mich.

Stefanie trank einen Schluck Bier. »Du kannst nicht die Kurve kratzen, wenn hier plötzlich jemand auftaucht, der auf dich steht.«

»Ich gehe nach Rom, weil ich ein Auslandssemester an einer renommierten Uni absolvieren darf«, rechtfertigte ich mich.

»Deine Zukunft, logisch«, plapperte Steff weiter. »Du tust immer alles für deine Zukunft und vergisst dabei dein Leben. Wann hattest du das letzte Mal richtig Spaß? Wann warst du das letzte Mal mit mir in der Stadt shoppen und einen Kaffee trinken?«, fragte meine Freundin weiter. Ich kniff die Lippen aufeinander. »Siehst du, du kannst dich nicht einmal daran erinnern, weil du immer irgendwelche Ausreden hast. Du versteckst dich!«

Ich verschloss mich und baute eine meterhohe Mauer um mich. Stefanies Worte trafen mich hart, doch nicht, weil sie verletzend waren, sondern weil sie recht hatte. Ich machte mich kleiner, hielt den Druck aus, wie damals in der Schule. Es war unerträglich. Sie sollte aufhören.

Doch wie hörte man mit einem Verhalten auf, das so intuitiv war wie Atmen?

»Wann warst du das letzte Mal verliebt, Candy? Wann hast du dich in ein Abenteuer gestürzt? Wann hast du in dieser Stadt so gelebt, wie man in dieser Gott verdammten Stadt lebt?« Stefanies Worte kreisten durch meinen Kopf, wurden lauter und lauter. Wie tausend Nadeln bohrten sie sich in mein Herz, hinterließen Schmerz und Enttäuschung. Tränen der Hilflosigkeit stiegen in meine Augen und ich schluckte trocken. Es war zu viel. Der Stuhl kratzte über den Boden, als ich aufsprang.