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Wie wir Manipulation erkennen und Menschen ehrlich für uns gewinnen Shitmoves sind manipulative Techniken, die im Gespräch anstelle von sachlichen Argumenten zum Einsatz kommen, mit einem einzigen Zweck: gewinnen um jeden Preis. Und seien wir mal ehrlich: Wir alle haben schon mal den einen oder anderen Shitmove eingesetzt, sind Opfer oder Zeugen davon geworden. In der Beziehung, im Job, in Talkshows, im Supermarkt. Und wem das stinkt, für den ist dieses Buch goldrichtig. Fast alle Probleme der Welt entstehen durch Kommunikation und lassen sich durch Kommunikation lösen. Einzige Voraussetzung: Wir dürfen nicht den Konflikt gewinnen wollen, sondern den Menschen. Sonst greifen wir früher oder später zu Shitmoves. Aber wie erkennt man die? Und wie reagiert man darauf? Solche und noch viel fragwürdigere Fragen zum Thema Manipulation beantwortet dieses Buch. Es sollte also besser nicht in die falschen Hände geraten. Vom Erfolgs-Duo des Podcasts »Couple Of« »Die beiden finden zwischen Ernsthaftigkeit und Humor immer die treffendsten Worte, bringen einen zum Nachdenken, zum Schmunzeln, zum Recherchieren, zum Weitererzählen.« Kristin Braband, Politik und Kultur
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Seitenzahl: 273
Iris Gavric | Matthias Renger
Vom Manipulieren und Manipuliertwerden
Iris Gavric und Matthias Renger haben festgestellt: Es ist fast unmöglich, Shitmoves zu vermeiden, wenn man sich streitet. Und da sich beide schon seit Jahren mit Kommunikation beschäftigen, streiten sie sich – wenn man es mit einem Videospiel vergleicht – in aufsteigenden Levels. Sie sind täglich füreinander der Endgegner. Wir alle kennen doch das Gefühl, immer wieder in die gleichen frustrierenden Konflikte zu geraten, die sowieso nur eskalieren. Wenn wir aber Manipulationen erkennen und gut darauf reagieren können, gewinnen wir Menschen ehrlich für uns. Vielleicht hilft dieses Buch, auch in anderen Beziehungen und Situationen, hier und da mal ein Level aufzusteigen.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Iris Gavric und Matthias Renger betreiben zusammen den Erfolgs-Podcast »Couple Of« und haben eine gemeinsame Kreativagentur. Wenn sie nicht gerade entspannt streiten, nehmen sie TikToks auf – manchmal machen sie auch beides. Wöchentlich bringen sie Hunderttausende zum Lachen und Nachdenken. Auf TikTok sind sie unter @matthiasrenger und @irisgavric zu finden. Die beiden leben zusammen in Berlin.
Vorwort
Kapitel 1 WARUM SHITMOVES?
1. Was ist überhaupt ein Shitmove?
2. The King’s Gambit
3. Für wen ist dieses Buch?
Kapitel 2 RHETORISCHE SHITMOVES
# 1 DISS MOVE
#2 KRANKER SHITMOVE
#3 QUASI SHITMOVE
#4 LABEL SHITMOVE
#5 LIEBER SHITMOVE
#6 OPFER SHITMOVE
#7 DYSTOPISCHER SHITMOVE
#8 ENTWEDER ODER SHITMOVE
#9 SELEKTIVER SHITMOVE
#10 STORYTIME SHITMOVE
#11 QUELLEN SHITMOVE
#12 TEAM SHITMOVE
#13 HOLY SHITMOVE
#14 SHIFT MOVE
#15 TWIST MOVE
#16 BULL SHITMOVE
#17 CHEAT MOVE
#18 QUIT MOVE
#19 SABOTAGE SHITMOVE
#20 TROTZ MOVE
Kapitel 3 UNERHÖRTE SHITMOVES
1. LAUTLOSE SHITMOVES
2. LAUTE SHITMOVES
3. DIE SHITPARADE
Danksagung
Quellenverzeichnis
Liest keiner.
[ʃɪtmu:vz]
(Subst. Plural) Manipulative Techniken, die im Gespräch anstelle von sachlichen Argumenten zum Einsatz kommen, mit einem einzigen Zweck: Gewinnen um jeden Preis.
Eigentlich kennst du bereits die Antwort. Du hast nämlich selbst schon den einen oder anderen Shitmove abgezogen. Garantiert! Selbst wenn du in deiner Freizeit Friedensdemos organisieren oder gewaltfreie Kommunikation unterrichten solltest – in dem Fall wahrscheinlich sogar erst recht. Komm, gib’s ruhig zu, kein Mensch ist heilig.
Na, fühlt sich das leicht manipulativ an? Ist es auch. Du kennst dieses unangenehme Gefühl von Shitmoves, wenn du schon mal an einem Streit oder auch nur an einer etwas lebhafteren Diskussion beteiligt warst. Wenn du plötzlich in die Verlegenheit kommst, dich für etwas zu rechtfertigen, das du gar nicht so gesagt oder gemeint hast. Wenn deine Argumente, die in ihrer Klarheit doch total überzeugen müssten, offenbar wirkungslos verpuffen. Wenn es immer schwieriger wird, beim Thema zu bleiben, weil alte Konflikte neu aufgewärmt werden. Wenn du all das, was sich gerade unfair anfühlt, noch nicht exakt fassen und benennen kannst, aber du kannst es bereits riechen. Weil es nach Shitmoves müffelt. Also, was genau ist das denn jetzt?
Ein Shitmove ist ein rhetorischer Trick. Ein verbales Foul Play. Wie beim Fußball ist das Ziel, ein Tor des Gegners zu verhindern. Ohne erwischt zu werden. Oder durch eine Schwalbe dem Gegner ein Foul zu unterstellen, um dann selbst leichter punkten zu können. Es geht also immer ums Punkten, ums Siegen. Shitmoves kommen ins Spiel, wenn wir das Falsche gewinnen wollen. Nämlich den Konflikt, nicht den Menschen. Und genau diese Erkenntnis liefert uns eine Art Kompass fürs Manipulieren und fürs Manipuliertwerden. Einen Leitgedanken, an dem wir uns für den Umgang mit Shitmoves in jeder Situation orientieren können: Das Ziel ist immer, den Menschen zu gewinnen, statt nur die Auseinandersetzung.
Wer sich also an der einen oder anderen Stelle fragt, wo wir denn nun stehen, weil uns so mancher Shitmove durchaus auch beeindruckt oder begeistert, kann sich immer wieder diese Grundidee ins Gedächtnis rufen. Sie ist der rote Faden, der sich durch dieses Buch zieht, für das wir jede Menge private und berufliche Shitmove-Expertise mitbringen. Denn bei uns dreht sich alles um Kommunikation: Iris hat jahrelange Erfahrung in der Werbung gesammelt, die ja bekanntlich aus reiner Manipulation besteht. Und Matthias hat in derselben Zeit als Schauspieler die feinen Nuancen der Rhetorik in Theorie und Praxis erforscht – ebenfalls eine Welt voller menschlicher Schattenseiten, denn ohne Konflikt gibt’s keine Spannung. Selbst romantische Momente hatten für uns von Anfang an immer auch mit unserer gemeinsamen Faszination für das Verwegene zu tun. Eines unserer ersten Dates war zum Beispiel ein Strafprozess gegen einen IS-Terroristen. Später gründeten wir eine Kreativagentur namens Arouse und starteten einen wöchentlich erscheinenden Comedy-Podcast namens »Couple Of«, der ebenfalls gerne den Fokus auf Unverschämtheiten in allen Varianten setzt. Kurz, unsere Vita verlangt geradezu ein Buch über Shitmoves von uns.
Und als Privatmenschen? Sind wir selbst mächtige Shitmover? Das möchten wir zwar vehement abstreiten, aber das würde der schlimmste Shitmover genauso machen. Also, beschreiben wir es mal so: Wir beide sind zum Zeitpunkt, da wir das hier schreiben, seit über sieben Jahren zusammen. Dabei sind wir nicht immer in allem einer Meinung. Wir streiten auch. Manchmal sogar – immer seltener – heftig. Und es ist unmöglich, heftig zu streiten, ohne dabei Shitmoves einzusetzen! So weit ist das normal in Beziehungen. Aber da wir uns beide seit Jahren rund um die Uhr mit Kommunikation beschäftigen, fühlt sich für uns Streiten allmählich an wie Levels in einem Videospiel. Es wird immer schwieriger, mit den gängigen Shitmoves durchzukommen, denn wir entlarven sie in Echtzeit beieinander. Dadurch wird Streit zwar nicht unbedingt angenehmer. Eher abstruser. Aber auf jeden Fall etwas, woran wir wachsen. Vielleicht hilft dieses Buch auch in anderen Beziehungen, in Talkshows oder sogar in den von Shitmoves dominierten Onlinediskussionen, hier und da mal ein Level aufzusteigen. Hoffentlich.
Fast alle Probleme der Welt entstehen durch Kommunikation und lassen sich durch Kommunikation lösen. Nicht weniger möchten wir hiermit anbieten. Wir wären naiv zu glauben, dass ein Buch die Welt retten kann. In der bisherigen Geschichte der Menschheit ist ein solcher Anspruch noch jedes einzelne Mal nicht nur schief-, sondern sogar gewaltvoll nach hinten losgegangen. Andererseits wäre es zynisch, überhaupt keine Hoffnung auf Verbesserung zu setzen. Es ist aber weder ein Buch über Hoffnung noch über Fatalismus, sondern über Aufrichtigkeit. Nicht als fromme Pose, sondern als souveräne Antwort auf beschissene Kommunikation. Wir sehen darin nämlich viel mehr als lieb gemeinte Rhetoriktipps. Für uns spielen Shitmoves eine so zentrale Rolle im Leben, dass dieses Buch einen Wendepunkt markiert, weil wir heute Worte für unsere jeweiligen Erfahrungen und deren gemeinsame Nenner finden.
Für Menschen, die mit Spielzeug sterben. Das klingt bizarr, aber hier kommt die Erklärung: Jedes Jahr erscheint eine Liste der 400 reichsten Menschen in den USA. Malcolm Forbes hat das gleichnamige Magazin von seinem Vater geerbt und 1982 die berühmte Forbes-Liste eingeführt. Und diesem Mann, Malcolm Forbes, wird ein Zitat zugeschrieben, das perfekt zu dieser Mentalität passt, die man für eine Rangliste des Superreichtums braucht. Es lautet: »He who dies with the most toys wins.« Wer mit dem meisten Spielzeug stirbt, gewinnt. Das ist mit Blick auf die Forbes-Liste zwar zunächst materiell zu verstehen, aber lesen wir diesen Spruch doch mal als Metapher für Macht und Streit: Wer sich im Leben am dominantesten durchsetzt, der gewinnt.
Wenn dir bei dieser Weltanschauung dezent übel wird, freut es dich vielleicht, dass du damit in anständiger Gesellschaft bist. Denn schon das Originalzitat hat offenbar vielen Menschen mit feinerem Wertekompass zu sehr nach Shitmoves gestunken, und es wurde abgewandelt in: »He who dies with the most toys still dies.« Wer mit dem meisten Spielzeug stirbt, stirbt trotzdem. Oder auf Macht und Streit bezogen: Wer sich im Leben am dominantesten durchsetzt, stirbt ebenso wie alle anderen.
Eine ziemlich existenzielle Antwort auf die harmlose Frage, für wen dieses Buch ist. Aber dieser Satz in seinen zwei Varianten bringt es so treffend auf den Punkt. Du kannst dich aus zwei verschiedenen Perspektiven mit Shitmoves beschäftigen: He who dies with the most toys wins.
Gefällt dir diese Version, dann kannst du dir hier frische Inspiration holen! Wenn du selbst gern mit Shitmoves arbeitest, ist dieses Buch dein Dojo. Wir geben eigene, beobachtete und fiktive Beispiele, suchen nach bewährten, verbreiteten, beeindruckenden und überraschenden Shitmoves, die selbst klar unterlegenen Standpunkten noch eine Chance auf ein vermeintliches Unentschieden oder sogar auf Triumph versprechen. Vor allem aber versprechen sie Spaß: Wenn wir eine Comicfigur namens »Der Shitmover« zeichnen würden, bekäme sie sicher von den meisten ein gemeines Grinsen verpasst. In Niedertracht steckt auch immer wenigstens eine Spur von Schadenfreude – sonst könnten wir ja einfach klasse miteinander umgehen, was aber für einen Fan dieser Version des Zitats halt ein Zeichen von Schwäche wäre. Ganz im Gegensatz zur zweiten, abgewandelten Formulierung: He who dies with the most toys still dies.
Ziehst du diese Version des Zitats vor, kann dieses Buch dir dabei helfen, die Shitmoves deines Gegenübers zu erkennen und dich dagegen zu wehren. Für die Verteidigung gegen Shitmoves gilt die Faustregel: Name it and tame it – Blicken und Knicken. Wörtlich: Benenne und zähme es! Das englische Name it and tame it klingt, ebenso wie Shitmoves, natürlich viel griffiger. Aber unter »Scheißbewegungen« würde man sich vermutlich eher ein Buch über Schließmuskeltraining oder Nationalismus vorstellen. Und »Blicken und Knicken« ist ein kläglicher Versuch, Bedeutung und Charakter ins Deutsche zu hieven – aber eigentlich ist ja viel wichtiger, welches Prinzip dahintersteckt: Wer eine miese Taktik benennt, hat höhere Chancen, sie dadurch zu entkräften, um dann vom Gegenüber zu fordern, den eigenen Standpunkt mit aufrichtigen Argumenten zu verteidigen. Theoretisch. Praktisch ist das meistens nicht ganz so einfach. Wir werden im Folgenden bei jedem einzelnen Shitmove versuchen, über diese Faustregel hinaus geeignete Gegenstrategien zu finden und sie praktisch anwendbar zu formulieren.
Vorweg eine rhetorische Frage: Sind wir uns einig, dass es von Vorteil für alle Beteiligten ist, fair und aufrichtig zu kommunizieren? Wir gehen optimistisch davon aus, dass fast jeder Mensch darauf mit Ja antworten dürfte. Vielleicht sogar jemand wie Donald Trump, der sich doch bei jeder Gelegenheit beklagt, dass es an Fairness in der Berichterstattung über seine Shitmoves mangelt.
Gerade an seinem Beispiel wird sichtbar: Eine starke Motivation für das Gegenteil von fairer und aufrichtiger Kommunikation kann einfach Entertainment sein. Um nicht erneut wiederzukäuen, welche Tiefschläge dieser fleischgewordene Shitmove konstant nutzt, mit der erfolgreichen Kalkulation, dass er damit die komplette Medienwelt am laufenden Band provozieren und so unsere Aufmerksamkeit strapazieren kann, schauen wir lieber auf eine Plattform, die ihn dafür vorübergehend verbannt hatte: Twitter. Dort ging es ja auch ohne Trump nicht fairer zu. Zu jeder Zeit ist eines der wichtigsten Erfolgskriterien für Tweets, und generell für Onlinekommentare, eine möglichst witzige Polemik. Wer eine vielleicht durchweg berechtigte Kritik aufrichtig und in einem angemessen ausführlichen Thread liefert, wird dafür normalerweise nicht mal annähernd so sehr gefeiert wie jemand, der die gleiche Kritik verkürzt und pointiert, aber eben auf Kosten der Fairness formuliert.
Entertainende Shitmoves werden belohnt.
Im Grunde ist die Motivation also Eitelkeit. Es schmeichelt unserem Ego, wenn Tausende unsere Gemeinheiten amüsant finden. Aber selbst ohne Publikum ist es unser Ego, das uns zu Shitmoves verführt. Triumph ist einfach ein gutes Gefühl. Und selbst wenn wir ahnen, dass es wohl kein glatter Sieg wird, dann will unser Ego wenigstens vor dem Gegenteil des schönen Gefühls bewahrt werden. Vor der kompletten Niederlage. Denn die tut nicht nur ein bisschen weh. An dieser Stelle müssen wir mal unser maximales Mitgefühl für Shitmover auffahren: Die Angst vor der Niederlage im Diskurs ist existenziell.
Denn viele Menschen verwechseln sich selbst mit ihren Meinungen.
Wir können doch nicht das zerstören lassen, was uns Identität gibt! Also greifen wir manchmal gleichsam aus Existenzangst zu Shitmoves. Vermutlich geschieht das sogar häufiger unbewusst und reflexartig als ganz bewusst mit machiavellistischer Intelligenz und Strategie. Kurz, diese drei egoistischen Motivationen stecken hinter unseren Shitmoves:
Entertainment
Triumph
Angst vor Niederlage
Und? Wem hilft’s, diese Motivationen auszumachen? Können wir damit schon etwas anfangen?
Aber sicher! Shitmoves zu benennen und dadurch zu entkräften, ist eine Frage der Technik und Übung. Aber die Erkenntnis, warum unser Gegenüber sich ihrer bedient, bringt uns doch einen grundlegenden Schritt weiter: Solange wir die gegnerische Intention nur als Angriff gegen uns selbst betrachten, werden wir mit hineingezogen in den Shitmove-Zwang. Dann müssen wir auch Fäkalien schleudern und dabei auch noch versuchen, sauber auszusehen. So anstrengend, hey!
Eigentlich hat die Polemik des Shitmovers aber ja gar nicht wirklich etwas mit uns zu tun. Es geht der anderen Person nur um sich selbst. Das zu erkennen und zur Grundlage der eigenen Reaktion zu machen, ist die Voraussetzung für echte Souveränität. Dabei lösen wir das Drama der drei Motivationen auch noch ganz beiläufig auf. Denn wer souverän ist, kann alle entertainen, nicht nur das eigene Lager, und braucht weder zu triumphieren noch eine Niederlage zu vermeiden. Diese Kategorien sind irgendwo da unten. Stehen wir drüber.
Gut, aber ist das einfach? Wenn es einfach wäre, würden nun nicht 272 Seiten voller Shitmoves folgen, deren Zweck meist darin besteht, uns in unserer Souveränität wieder umzuballern. Niemand ist unverwundbar beziehungsweise unbescheißbar. Selbst wer alle 272 Seiten auswendig lernt – was im Übrigen sowieso nicht das Ziel ist. Sondern Spaß und Aha-Momente. Also, wühlen wir uns mal zusammen durch die gängigen Shitmoves.
Der persönliche Angriff
Matthias: »Komm, wir starten mit dem Dissmove.«
Iris: »War so klar, dass du ausgerechnet damit anfängst.«
Matthias: »Was willst du damit sagen?«
Iris: »Nichts, was du begreifen würdest …«
Matthias: »Ey!«
Iris: »Voilà. Der Dissmove.«
Wir befinden uns im Jahr 1998. Die ganze Welt entdeckt gerade das Internet … Die ganze Welt? Nein! Ein von unbeugsamen Fernsehzuschauern bevölkertes Land hört nicht auf, der beginnenden Digitalisierung Widerstand zu leisten. Deutschland ist vom Internet so beeindruckt wie Asterix und Obelix von den Römern: gar nicht. Beeindruckt ist man hier von Thomas Gottschalk. Denn der hat bei Wetten, dass..? immer die absoluten Weltstars zu Gast, die Götter persönlich! Und wie behandelt er sie? Unbeeindruckt. Er duzt sie, betatscht ihre Knie, nennt sie »Kinder« und lässt sie über Erfolg und Versagen von Gabelstaplerfahrern wetten.
Für viele internationale Promis fühlt sich die Sendung einfach wie ein skurriler Traum an, so erzählen sie oft hinterher an anderer Stelle. Aber sie können das Erlebnis mit Humor nehmen, denn wer in allen anderen Shows wirklich wie die Götter behandelt wird, kann amüsiert drüberstehen, wenn mal das Gegenteil passiert. In dieser Geschichte geht es aber um einen deutschen Schauspieler, der das überhaupt nicht konnte und uns dadurch ein paar beispielhafte Dissmoves lieferte. Da sich das Internet gegen jeden Widerstand dann doch noch selbst in Deutschland durchgesetzt hat, findet man die folgende Szene auf YouTube unter dem Titel »Wetten dass – Streit mit Götz George (Original 1998)« und kann sich dieses Stück TV-Geschichte in die Gegenwart holen. Also, schnapp dir ’ne Handvoll Gummibärchen, und los geht’s.
Es gibt natürlich immer einen Grund, warum diese oder jene Promis zu Gast in einer großen TV-Show sind: Werbung. Das neue Album muss promotet werden, das neue Buch oder, wie in unserem Beispiel, der neue Film. Corinna Harfouch und Götz George sitzen also auf dem bunten Plüschsofa, weil sie die Massen ins Kino locken sollen. Sie haben einen Film namens Solofür Klarinette gedreht. Und Götz George ist ein sehr ernsthafter Schauspieler. So sehr, dass ihn kaum jemand noch ernster nehmen kann als er sich selbst, schon gar nicht ein Moderator, der vor allen Dingen eines ist: unbeeindruckt. Und so wird aus dem Auftritt ein Streit, in dem der Schauspieler einen Dissmove nach dem anderen bringt. Die bloße Idee, eine solche Promotion als Chance zu nutzen und das Publikum für sich zu gewinnen, scheint George nicht nur außer Acht zu lassen, sondern sogar zu verachten. Das Einzige, was er gewinnen will, ist die größtmögliche Distanz zu dieser seichten Spaßkultur. Deshalb bezeichnet er Thomas Gottschalk als Oberlehrer und disst sein Geplänkel: »Komm auf den Film zu sprechen, der ist mir wichtiger als das, was du redest.« Nur um sich dann zu beschweren, dass der Film eigentlich nicht in diese Runde passe, worauf Thomas Gottschalk sich erstmals deutlich wehrt: »Ach komm, bin ich zu dumm?!«
Was für eine klassische Reaktion, die wir vermutlich alle kennen, wenn die anfangs vielleicht noch subtilen persönlichen Angriffe sich nicht mehr übergehen lassen und man es mit immer weiter eskalierenden Dissmoves zu tun hat! Götz George lässt hier aber nicht nach, denn sein Film ist »kompliziert« – und wenn Gottschalk darauf scherzt, er selbst sei doch auch kompliziert, verspottet George ihn: »Ja, das wissen wir alle, das wissen wir. Du hast durch deine Filme wirklich sehr viel gezeigt, wie kompliziert du bist.« Das zunehmend buhende Publikum hält ihn nicht davon ab, auch weitere Scherze des Moderators als blödsinnig und dumm zu bezeichnen.
Gut, was wir mit Dissmove meinen, liegt ja längst auf der Hand. Dissen kommt vom englischen to disrespect und hat es sich mittlerweile in der deutschen Sprache bequem gemacht. Fast lautmalerisch bringt es den persönlichen Angriff zum Ausdruck, das Runterputzen, das Anpissen, oder wie die alten Römer es nannten, Argumentum ad hominem, wahlweise auch Argumentum ad personam, ein Scheinargument gegen den Menschen oder gegen die Person. Aber die alten Römer finden wir ja nicht so beeindruckend, wir brauchen es griffiger: Dissmove.
Es ist kein besonders komplizierter und vielleicht deshalb so häufig verwendeter Shitmove. Wir haben doch alle sofort etliche Beispiele im Kopf, wo es offenbar leichter fällt, das Gegenüber persönlich anzugreifen als dessen Standpunkte. Der fünfminütige Wetten-dass-Clip ist aber so schön aufschlussreich und transparent. Denn wir erkennen dort nicht nur den generell repräsentativen Grund für Georges Dissmoves gegen Gottschalk, sondern auch viele funktionierende und scheiternde Reaktionen darauf. Schauen wir uns doch zunächst mal diesen generell repräsentativen Grund genauer an.
Weil wir uns selbst angegriffen fühlen und im Angriff die beste Verteidigung sehen. Götz George ist von Anfang an gekränkt. Kurz vor dem Auftritt bei Wetten, dass.. ? hat die Bild-Zeitung dem Film, wie er es formuliert, »bereits einiges eingeschenkt«, und am liebsten würde er die blöde Kritik öffentlich revidieren. Aber Thomas Gottschalk steht ihm dabei im Weg, denn er nimmt ihn leider nicht ernst genug. Was ihm nicht als böse Absicht ausgelegt werden muss, es ist vielmehr sein Versuch, die spürbare Spannung abzubauen. Gottschalk ist das Problem nämlich offensichtlich schon aus den Vorgesprächen genau bewusst: »Bisschen auf den Götz aufpassen, ich weiß: Auftritte und Unterhaltungssendungen liebt er noch mehr als Interviews mit der Bild-Zeitung, gell?« Er will ihn also wohl nicht mit Absicht provozieren. Tut es aber mit jedem zweiten Satz. Denn sein unbeeindruckt-jovialer Moderationsstil verführt ihn ständig dazu, sich mit Götz George verbrüdern zu wollen. Kaum bestätigt Corinna Harfouch, sie habe Spaß mit ihrem Kollegen gehabt, schon boxt Gottschalk kumpelig seine Schulter und ruft: »Also isser lustig! Na bitte, Mensch, gib’s doch zu! In Wirklichkeit isser nämlich ein Kerl wie ich.«
Daran liegt’s! Götz George möchte eben nicht auf einer Ebene mit dem Hauptdarsteller aus Zwei Nasen tanken Super