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Shogun E-Book

James Clavell

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Beschreibung

Der große historische Roman über die Einigung Japans und den Aufstieg des Shōgunats — jetzt neu verfilmt als Blockbuster-Serie bei Disney+ Im Jahr 1600 strandet der englische Navigator John Blackthorne an der Küste eines Landes, das erst wenige Europäer erreicht haben: Japan. Blackthorne bleibt nur wenig Zeit, um sich in der fremden Sprache und Kultur zurechtzufinden. Und er muss seine Vorstellungen von Loyalität, Mut und Moral hinterfragen. Schon bald gerät er mitten hinein in den Machtkampf der japanischen Fürsten, der das Land zu zerreißen droht. Blackthorne tritt in den Dienst des faszinierenden Strategen Toranaga. Doch als er sich in die Übersetzerin Mariko verliebt — die Frau eines Samurais in Toranagas Diensten — wird seine Loyalität auf eine harte Probe gestellt. In einem Land, das sich unaufhaltsam wandelt, hängt nicht nur Blackthornes Überleben davon ab, dass er die richtigen Entscheidungen trifft. Denn nur einer der rivalisierenden Fürsten kann siegreich sein und Shōgun werden. Einer der besten historischen Romane der Welt James Clavells Weltbestseller Shōgun gehört zu den meistverkauften Romanen aller Zeiten und wurde mehrfach hoch erfolgreich verfilmt. Die neueste Serienadaption läuft im Frühjahr 2024 beim Streamingdienst Disney+.

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Seitenzahl: 2101

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James Clavell

Shogun

Übersetzt von Werner Peterich

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Im Jahr 1600 strandet der englische Navigator John Blackthorne an der Küste eines Landes, das bislang nur wenige Europäer erreicht haben: Japan.

Nach seiner Ankunft muss Blackthorne nicht nur rasch lernen, sich in der für ihn unbekannten Kultur und Sprache zurechtzufinden, sondern auch seine eigenen Vorstellungen von Loyalität, Mut und Moral hinterfragen.

Schon bald gerät er mitten hinein in den Machtkampf der japanischen Fürsten, der das Land zu zerreißen droht. Blackthorne tritt in den Dienst des faszinierenden Strategen Toranaga, doch seine Loyalität wird auf eine harte Probe gestellt, als er sich in die Übersetzerin Mariko verliebt - die Frau eines Samurais in Toranagas Diensten.

In einem Land, das sich unaufhaltsam wandelt, hängt nicht nur Blackthornes Überleben davon ab, dass er die richtigen Entscheidungen trifft. Denn nur einer der rivalisierenden Fürsten kann den Titel erringen, nach dem alle streben und Shōgun werden.

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Hinweis zur Neuausgabe

Widmung

Prolog

Erstes Buch

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

Zweites Buch

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

Drittes Buch

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

Viertes Buch

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

Fünftes Buch

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

Sechstes Buch

60. Kapitel

61. Kapitel

Nachbemerkung

Hinweis zur Neuausgabe

Wir haben den 1975 geschriebenen Text an die moderne Rechtschreibung angepasst.

In der Ausdrucksweise einzelner Figuren im Roman finden sich in wörtlicher Rede einige rassistische Zuschreibungen und Begriffe, die in der Zeit, in der der Roman spielt, in Gebrauch waren, heute aber nicht mehr verwendet werden.

Auf größere Eingriffe in den Text haben wir verzichtet, da diese die Urheberrechte des bereits verstorbenen Autors und des ebenfalls verstorbenen Übersetzers verletzt hätten.

Für zwei Seeleute, Kapitäne der Royal Navy,

die ihre Schiffe mehr liebten als ihre Frauen –

wie man es von ihnen erwartete.

An dieser Stelle

möchte ich all jenen – Toten wie Lebenden – danken,

die mir, in Asien wie in Europa, geholfen haben,

diesen Roman möglich zu machen.

Lookout Mountains, Kalifornien

Prolog

Der Sturmwind zerrte an ihm. Er spürte, wie die Kälte sich tief in ihm ausbreitete, und er wusste: Wenn sie nicht binnen drei Tagen Land sichteten, würden sie alle tot sein. Zu viele Todesfälle auf dieser Fahrt, dachte er; ich bin Hauptpilot einer toten Flotte. Ein Schiff übrig von fünf, achtundzwanzig Mann Besatzung von ursprünglich einhundertsieben – von denen allerdings nur zehn sich noch auf den Beinen halten können, während der Rest dem Tode nahe ist, darunter unser Generalkapitän. Kein Proviant, fast kein Wasser mehr, und das, was wir noch haben, brackig und faulig.

Er hieß John Blackthorne, und er war allein an Deck – bis auf den Ausguck am Bugspriet, Salamon, der Stumme, der sich im Lee des Schanzkleides hingekauert hatte und die See vor ihnen absuchte.

In einer plötzlichen Bö krängte das Schiff, und Blackthorne hielt sich an der Armlehne seines auf dem Achterdeck nahe dem Steuerrad festgezurrten Seestuhls fest, bis es sich ächzend wieder aufrichtete. Es handelte sich um die Erasmus, ein zweihundertsechzig Tonnen großes, dreimastiges, schwer bewaffnetes Kauffahrteischiff aus Rotterdam, mit zwanzig Kanonen bestückt und als Einziges übrig geblieben von der ersten Expeditionsflotte, die von den Niederlanden ausgesandt worden war, dem Feind in der Neuen Welt vernichtende Schläge zu versetzen: den ersten holländischen Schiffen überhaupt, die den Geheimnissen der Magellanstraße mit Gewalt auf den Grund gingen. Vierhundertundsechsundneunzig Männer, durch die Bank Freiwillige und allesamt Holländer – bis auf drei Engländer: zwei Piloten und einen Offizier. Ihre Orders: die spanischen und portugiesischen Besitzungen in der Neuen Welt zu plündern und hinterher in Brand zu stecken; ständige Handelsniederlassungen zu eröffnen; neue Inseln im Stillen Ozean zu entdecken, die als dauernde Stützpunkte dienen konnten, und das Land für die Niederlande zu beanspruchen; und schließlich nach drei Jahren wieder nach Hause zurückzukehren.

Die protestantischen Niederlande hatten seit über vier Jahrzehnten mit dem katholischen Spanien im Krieg gelegen und kämpften darum, das Joch ihrer verhassten spanischen Herren abzuschütteln. Rein juristisch gesehen bildeten die Niederlande, manchmal auch Holland oder Duitsland genannt, immer noch einen Teil des spanischen Reiches. England, ihr einziger Verbündeter, das erste Land der Christenheit, welches mit dem Heiligen Stuhl in Rom gebrochen und vor nunmehr rund siebzig Jahren protestantisch geworden war, hatte in den vergangenen zwanzig Jahren gleichfalls Krieg gegen Spanien geführt und bekannte sich seit einem Jahrzehnt offen als Bundesgenosse der Holländer.

Der Wind frischte noch mehr auf, und das Schiff schlingerte. Es lief unter gerefften Segeln – nur die Sturm-Marssegel waren gesetzt, doch selbst mit diesem wenigen an Leinwand trugen Strömung und Wind sie machtvoll auf den dunkelnden Horizont zu.

Dort droht noch mehr Sturm, sagte Blackthorne sich, und noch mehr Riffe und noch mehr Untiefen. Und unbekannte See. Herrgott! Mein Leben lang hab ich der See die Stirn geboten und bin immer Sieger geblieben. Ich werde immer Sieger bleiben!

Der erste englische Pilot, der die Magellanstraße durchfahren hat! Jawohl, der erste – und der erste Pilot, der über diese asiatischen Meere segelt – bis auf ein paar Hunde von Portugiesen oder mutterlose Spanier, die sich immer noch einbilden, die Welt gehöre ihnen! Der erste Engländer in diesen Gewässern …

In so vielen Dingen der Erste! Jawohl. Und so viele Tote hatten diese Ersttaten gekostet!

Abermals schmeckte er den Wind und schnupperte, aber nichts deutete auf die Nähe von Land hin. Er suchte das Wasser ab, aber das war nur grau und aufgewühlt. Kein Fleck Seetang und kein Farbtupfer, der auf eine Sandbank oder einen Küstensaum hätte schließen lassen. Zwar sah er steuerbords noch den Rücken eines Riffs, doch das verriet ihm nichts. Seit einem Monat schon bedrohten Unterwasserfelsen sie; nirgends jedoch eine Spur von Land. Dieser Ozean ist endlos, dachte er. Mein Gott! Dazu bist du doch ausgebildet worden – über das unbekannte Meer zu segeln, es kartografisch aufzunehmen und wieder nach Hause zurückzukehren. Wie viele Tage jetzt fern von daheim? Ein Jahr, elf Monate und zwei Tage. Das letzte Mal hatten sie in Chile Land gesichtet: vor hundertdreiunddreißig Tagen, am anderen Ende jenes Ozeans, den als Erster Magellan vor achtzig Jahren befahren und den er den Stillen genannt.

Der Hunger nagte an Blackthorne, und sein Mund und sein ganzer Körper schmerzten vom Skorbut. Er zwang seine Augen, den Kompassstand zu registrieren, und seinen Verstand, die Position annähernd zu berechnen. Sobald er ihren Standort erst einmal in seine Kurskarte – seinen roteiro, wie die Portugiesen ihre geheimen Karten nannten – eingetragen hatte, war er sicher auf diesem Punkt des Ozeans. Und dann war auch sein Schiff sicher, und vielleicht gelang es ihnen gemeinsam, die japanischen Inseln zu entdecken oder gar das Gülden Reich des Priesters Johannes, von dem die Legende berichtete, dass es nördlich von Kathay gelegen sei – wo immer dieses Kathay auch liegen mochte.

Und mit meinem Anteil an den Reichtümern werde ich dann wieder in See stechen und gen Westen segeln – nach Hause, der erste englische Pilot, der den Erdball umschifft; und dann werde ich die Heimat nie wieder verlassen. Niemals! Beim Haupt meines Sohnes!

Der schneidende Wind setzte dem Schweifen seiner Gedanken ein Ende und hielt ihn wach. Jetzt zu schlafen wäre töricht. Aus diesem Schlaf würde ich nie wieder aufwachen, dachte er, reckte die Arme, um die verkrampften Rückenmuskeln zu entspannen, und zog seinen Rock fester um sich. Er sah, dass die Segel gebrasst und das Steuerrad sicher festgezurrt war. Der Ausguck auf dem Vordersteven war wach. Daher lehnte er sich geduldig zurück und betete um Land.

»Geht nach unten, Pilot. Diese Wache übernehme ich, wenn Ihr einverstanden seid.« Der Dritte Steuermann, Hendrik Specz, schleppte sich den Niedergang herauf, das Gesicht grau vor Erschöpfung, die Augen eingesunken, die Haut fleckig und gelblich. Schwerfällig lehnte er sich gegen das Kompasshaus, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Heiliger Herr Jesus, scheiß auf den Tag, an dem ich Holland verlassen.«

»Wo ist der Erste Steuermann, Hendrik?«

»In seiner Koje. Kann nicht rauskommen aus seiner Koje voll Schiet! Und wird’s auch nie wieder tun – bis vorm Jüngsten Gericht!«

»Und der Generalkapitän?«

»Stöhnt nach Essen und Wasser.« Hendrik spuckte aus. »Ich hab ihm gesagt, ich brat ihm ’n Kapaun und servier ihm den aufm silbernen Tablett, zusammen mit ’ner Flasche Brandy, ihn runterzuspülen. Schiet-huis! Coot!«

»Halt deine Zunge im Zaum!«

»Mach ich ja, Pilot! Aber er ist ein madenzerfressener Narr – und seinetwegen werden wir alle ins Gras beißen!« Der junge Mann rülpste und würgte schillernden Schleim hervor. »Heiliger Herr Jesus, steh mir bei!«

»Geh nach unten und komm gegen Morgengrauen wieder!«

Unter Schmerzen ließ Hendrik sich auf einem Seestuhl nieder. »Unten riecht’s nach Tod! Ich werde diese Wache übernehmen, wenn Ihr nichts dagegen habt. Welchen Kurs laufen wir?«

»Wo immer der Wind uns hinträgt.«

»Wo ist das Land, das Ihr uns versprochen habt? Wo sind sie denn jetzt – diese japanischen Inseln, frag ich Euch?«

»Voraus.«

»Immer voraus! Gott im Himmel – Ihr hattet keine Orders, ins Unbekannte hinauszufahren. Wir sollten längst zurück sein, in Sicherheit, uns unsre Bäuche vollschlagen und nicht hinterm Sankt-Elms-Feuer herjagen.«

»Geh unter Deck, und hüte deine Zunge!«

Verbissen wandte Hendrik den Blick von dem großen bärtigen Mann. Wo sind wir jetzt?, hätte er fragen wollen. Warum darf ich diesen roteiro, die geheime Kurskarte, nicht sehen? Aber er wusste, dass man einem Piloten derlei Fragen nicht stellt, insbesondere diesem nicht. Trotzdem, dachte er, wünschte ich, ich wäre noch so kräftig und gesund, wie ich es war, als ich Holland verließ. Dann würde ich jetzt nicht warten, sondern dir deine graublauen Augen zerquetschen, dieses wahnsinnig machende überhebliche Lächeln aus deinem Gesicht vertreiben und dich zur Hölle schicken, wo du ja hingehörst. Dann wäre ich Hauptpilot, und wir hätten einen Niederländer, der dieses Schiff befehligt – und keinen Ausländer –, und die Geheimnisse wären uns sicher. Denn gewiss werden wir bald Krieg gegen euch Engländer führen. Es geht uns um dieselbe Sache: um die Beherrschung der Meere, darum, alle Handelswege zu kontrollieren, die Neue Welt zu beherrschen und Spanien die Luft abzudrücken.

»Vielleicht gibt es diese japanischen Inseln gar nicht«, brummelte Hendrik plötzlich, »und das Ganze ist nichts weiter als ein gottbewondenes Märchen.«

»Es gibt sie. Zwischen dem dreißigsten und vierzigsten Grad nördlicher Breite. Und jetzt halt den Mund, oder geh nach unten!«

»Unten lauert der Tod«, brummelte Hendrik, schaute geradeaus und schweifte mit seinen Gedanken ab.

Blackthorne rückte sich in seinem Seestuhl zurecht. Heute schmerzte sein Körper schlimmer als sonst. Du bist glücklicher dran als die meisten, dachte er. Glücklicher jedenfalls als Hendrik. Nein, nicht glücklicher. Nur vorsichtiger. Du hast dein Obst aufbewahrt, wohingegen die anderen das ihre bedenkenlos aufgegessen haben. Und zwar entgegen deinen ausdrücklichen Warnungen. Deshalb ist dein Skorbut noch verhältnismäßig leicht, wohingegen die anderen ständig unter Blutstürzen leiden, ihnen ihre Eingeweide davonlaufen, die Augen schwären und wehtun und die Zähne im Zahnfleisch wackeln. Wie kommt es nur, dass Menschen nie klug werden?

Er wusste, dass sie alle Angst vor ihm hatten, sogar der Generalkapitän – und die meisten ihn hassten. Aber das war normal; denn auf See war der Pilot es, der das Kommando führte; er war es, der den Kurs bestimmte und das Schiff befehligte, der sie von Hafen zu Hafen brachte.

Jede Fahrt war gefährlich heutzutage, denn die wenigen Seekarten, die es gab, waren so unzuverlässig, dass sie nahezu nutzlos waren. Überdies gab es absolut keine Möglichkeit, die geografische Länge zu bestimmen, auf der man sich befand.

»Finde eine Möglichkeit, die Länge zu bestimmen, und du bist der reichste Mann auf der Welt«, hatte sein alter Lehrer, Alban Caradoc, zu ihm gesagt. »Die Königin, Gott beschütze sie: ›Ich gebe dir zehntausend Pfund für die Antwort auf das Rätsel, und ein Herzogtum obendrein.‹ Die mistfressenden Portugiesen werden dir noch mehr geben – eine goldene Galeone. Und die mutterlosen Spanier – zwanzig? Sobald kein Land mehr in Sicht ist, bist du für immer verloren, mein Junge. Es sei denn …«

»Es sei denn, man ist im Besitz eines roteiro!«, hatte Blackthorne fröhlich ausgerufen, weil er wusste, dass er seine Lektion gelernt hatte. Dreizehn war er damals gewesen und seit einem Jahr Lehrjunge bei Alban Caradoc, Pilot und Schiffsbaumeister, der die Stelle seines Vaters für ihn übernommen hatte, den er verloren, und ihn nie geschlagen, sondern ihm wie den anderen Jungen die Kunst des Schiffsbaus beigebracht und ihn eingewiesen in die Geheimnisse der Seefahrt.

Ein roteiro, das war ein kleines Buch mit den ins Einzelne gehenden Eintragungen eines Piloten, der schon einmal dort gewesen war. Er enthielt Aufzeichnungen über die magnetischen Kompasskurse zwischen den einzelnen Häfen und Kaps, Landzungen und Kanälen. Des Weiteren die Ergebnisse der Lotmessungen, Wassertiefen und Farbe des Wassers und die Beschaffenheit des Meeresbodens. Es war daraus ersichtlich, wie wir hingekommen sind und wie wir wieder zurückkehrten; wie viele Tage man für einen bestimmten Schlag brauchte, wie der Wind gewesen war, wann und aus welcher Richtung er geweht, welche Strömungen man gewärtigen musste, die Zeit der Stürme und die Zeit günstiger Winde; wo man ein Schiff kielholen und reinigen und wo man Wasser übernehmen konnte, wo es Freunde gab und wo Feinde; Sandbänke, Riffe, Tiden, Häfen; kurz, sofern es ein guter roteiro war, alles, was für eine sichere Reise notwendig war.

Die Engländer, Holländer und Franzosen besaßen Kurskarten für ihre eigenen Gewässer, doch die Meere der übrigen Welt waren nur von Kapitänen aus Portugal und Spanien befahren worden, und diese beiden Länder betrachteten sämtliche roteiros als Staatsgeheimnis. Roteiros, die die Seewege zur Neuen Welt oder die Geheimnisse der Magellanstraße oder des Kaps der Guten Hoffnung enthielten – beides portugiesische Entdeckungen und folglich die Seewege nach Asien –, wurden von Portugiesen wie Spaniern eifersüchtig gehütet und von ihren holländischen und englischen Feinden mit gleichem Eifer gesucht. Allein, ein roteiro war nur so gut wie der Pilot, der ihn angelegt, der Schreiberling, der ihn mit der Hand kopiert, oder die äußerst seltenen Drucker, die sie gedruckt. Ein roteiro konnte daher Fehler enthalten – selbst solche, die absichtlich hineingebracht worden waren. Ganz sicher konnte ein Pilot immer erst dann sein, wenn er selbst da gewesen war. Zumindest einmal.

Auf See war der Pilot der Führer, derjenige, dem das letzte Wort über Schiff und Mannschaft zustand. Er allein führte vom Achterdeck aus das Kommando. Solch ein Wein kann einem zu Kopf steigen, sagte Blackthorne sich. Und wenn man einmal an ihm genippt, konnte man ihn nie wieder vergessen, brauchte man ihn unentwegt. Das ist eins von den Dingen, die einen am Leben halten, wenn die anderen sterben.

Er raffte sich hoch und verrichtete seine Notdurft ins Speigatt. Später lief der Sand im Stundenglas beim Kompasshäuschen aus, und er drehte es um und schlug die Glasen.

»Kannst du noch wach bleiben, Hendrik?«

»Ja. Ja, ich glaub schon.«

»Ich werde jemand raufschicken, der den Ausguck am Vordersteven ablöst. Pass auf, dass er im Wind steht und nicht in Lee. Das hält ihn wenigstens wach, und seine Sinne bleiben geschärft.« Einen Augenblick überlegte er, ob er das Schiff nicht in den Wind drehen und für die Nacht treiben lassen sollte, doch dann entschied er dagegen, stieg den Niedergang hinunter und machte die Tür zur Back auf. Der Niedergang führte hinab ins Mannschaftslogis. Die Kammer ging über die gesamte Breite des Schiffes und bot Platz für Kojen und Hängematten von einhundertundzwanzig Mann. Wärme umfloss ihn, und er war dankbar dafür und nahm den ständig vorhandenen beißenden Gestank aus den Bilgen unten einfach nicht wahr. Keiner von den rund zwanzig Männern kam aus seiner Koje heraus.

»Geh an Deck, Maetsukker«, sagte er auf Holländisch, der Lingua franca der Niederlande, die er neben Portugiesisch, Spanisch und Latein vollkommen beherrschte.

»Ich bin am Sterben«, sagte der kleine Mann mit den scharf geschnittenen Zügen und drückte sich tiefer in die Koje hinein. »Mir ist übel. Seht, der Skorbut hat mir die ganzen Zähne genommen. Herr Jesus Christ, hilf uns, wir werden alle zugrunde gehen! Wenn Ihr nicht wäret, säßen wir jetzt alle daheim, gesund und munter. Ich bin Kaufmann, kein Seemann. Ich gehöre nicht zur Mannschaft … Nehmt einen anderen. Johann dort ist …« Er schrie auf, als Blackthorne ihn mit einem Ruck aus der Koje herausriss und gegen die Tür schleuderte. Blut rann ihm aus dem Mund, und er war wie benommen. Ein brutaler Tritt in die Seite ließ ihn aus seiner Benommenheit wieder erwachen.

»Schaff jetzt deine Visage an Deck und bleib dort, bis du tot umfällst oder wir Land sichten.«

Der Mann riss die Tür auf und floh in panischer Angst.

Blackthorne blickte die anderen an – sie starrten zurück.

»Wie fühlst du dich, Johann?«

»Ganz gut, Pilot. Vielleicht bleib ich doch am Leben!«

Johann Vinck war dreiundvierzig, Oberkanonier und Bootsmannsmaat, der Älteste an Bord. Er hatte weder Haare noch Zähne mehr, war von der Farbe abgelagerten Eichenholzes und ebenso stark. Vor sechs Jahren hatte er zusammen mit Blackthorne an der Suche nach der Nordostpassage teilgenommen, und beide Männer wussten voneinander, was dem anderen zuzumuten war und was nicht. »In deinem Alter sind die meisten Menschen bereits tot, folglich bist du uns allen ein Stück voraus.« Blackthorne war erst sechsunddreißig.

Vinck setzte ein freudloses Grinsen auf. »Das macht der Brandy, Pilot, der und das Nocken und das heiligmäßige Leben, das ich geführt hab.«

Keiner lachte. Dann wies jemand auf eine bestimmte Koje. »Pilot, der Bootsmann ist tot.«

»Dann bringt die Leiche an Deck! Wascht sie und schließt ihm die Augen! Du, du und du!«

Diesmal waren die Männer im Handumdrehen aus ihrer Koje heraus, und mit vereinten Kräften schleiften sie die Leiche aus dem Mannschaftslogis heraus. »Du übernimmst die Morgenwache, Vinck. Und Ginsel, du den Ausguck.«

»Aye, aye, Sir!«

Blackthorne kehrte an Deck zurück.

Er sah, dass Hendrik noch nicht eingeschlafen und das Schiff in Ordnung war. Der abgelöste Ausguck, Salamon, torkelte mehr tot als lebendig an ihm vorüber, die Augen aufgedunsen und gerötet vom schneidenden Wind. Blackthorne ging hinüber zu der anderen Tür und stieg nach unten. Der Gang führte in die große Achterkabine, die das Quartier des Generalkapitäns sowie die Vorratskammern beherbergte. Seine eigene Kammer lag an Steuerbord, und die andere, an Backbord, bildete für gewöhnlich die Unterkunft der drei Steuerleute. Jetzt teilten sie Baccus van Nekk, der oberste der Kaufleute, Hendrik, der Dritte Steuermann, und Croocq, der Schiffsjunge. Alle drei waren sterbenskrank.

Er trat in die große Kabine. Der Generalkapitän, Paulus Spillbergen, lag halb bewusstlos in seiner Koje. Er war ein gedrungener Mann in den besten Jahren, normalerweise sehr fett, jetzt jedoch ausgemergelt, sodass die Hautfalten seines Wanstes schlaff in Falten herunterhingen. Blackthorne holte aus einem Geheimfach einen Deckelkrug mit Wasser und half ihm, ein wenig zu trinken. »Danke«, sagte Spillbergen mit schwacher Stimme. »Wo ist Land – wo ist Land?«

»Voraus«, erwiderte er, ohne es jetzt freilich selbst mehr zu glauben, stellte den Krug zurück, verschloss seine Ohren vor dem Gejammer, ging und hasste ihn aufs Neue.

Vor fast genau einem Jahr hatten sie Tierra del Fuego oder Feuerland erreicht, und die Winde waren günstig gewesen für einen Vorstoß ins Unbekannte der Magellanstraße. Doch der Generalkapitän hatte befohlen, an Land zu gehen und nach Gold und Schätzen zu suchen.

»Himmelherrgott, Generalkapitän, seht Euch dies Land doch an! In diesen Wüsteneien gibt es keine Schätze!«

»Es heißt, das Land sei reich an Gold, und wir können es für die glorreichen Niederlande in Besitz nehmen.«

»Die Spanier sind seit fünfzig Jahren mit großer Stärke hier.«

»Vielleicht – aber vielleicht doch nicht so weit südlich, Hauptpilot.«

»So tief im Süden sind die Jahreszeiten anders als bei uns. Im Mai, Juni, Juli und August herrscht hier tiefster Winter. Aus dem roteiro geht hervor, dass der rechte Zeitpunkt äußerst wichtig ist, um durch die Magellanstraße hindurchzukommen. In ein paar Wochen schlagen die Winde um, und dann müssten wir hierbleiben und vielleicht monatelang überwintern.«

»In wie viel Wochen, Pilot?«

»Laut roteiro in acht. Aber die Jahreszeiten sind nicht immer gleich.«

»Wir werden das Land ein paar Wochen lang erforschen. Dann bleibt uns immer noch reichlich Zeit, und falls notwendig, segeln wir wieder gen Norden und plündern noch ein paar Städte, was, meine Herren?«

»Wir müssen es jetzt versuchen, Generalkapitän. Die Spanier haben nur wenige Kriegsschiffe im Stillen Ozean. Hier hingegen wimmelt es von ihnen, und sie halten Ausschau nach uns. Ich sage, wir müssen weiter.«

Doch der Generalkapitän hatte sich über ihn hinweggesetzt und die Frage durch eine Abstimmung unter den anderen Kapitänen entschieden – nicht durch die anderen Piloten, einem Engländer und drei Holländern –, und die fruchtlosen Beutezüge an Land waren unter seiner Führung weitergegangen.

In diesem Jahr waren die Winde früh umgeschlagen, und sie hatten dort unten überwintern müssen, da der Generalkapitän wegen der spanischen Flotte Angst hatte, weiter nach Norden hinaufzusegeln. Vier Monate waren verstrichen, ehe sie hatten weitersegeln können. Und mittlerweile waren einhundertundsechsundfünfzig Mann verhungert, erfroren, und sie hatten die Kalbsfelle gegessen, mit denen das Tauwerk zugedeckt gewesen war. Die furchtbaren Stürme innerhalb der Meerenge hatten die Flotte auseinandergetrieben, und die Erasmus war das einzige Schiff gewesen, das den vorbestimmten Treffpunkt vor der Küste von Chile erreicht hatte. Einen vollen Monat hatten sie dort auf die anderen gewartet, doch waren die Spanier immer näher herangekommen, und dann, als die Spanier drohten, sie in die Zange zu nehmen, hatten sie die Segel gesetzt und waren ins Unbekannte hinausgefahren. Bei Chile hatte der geheime roteiro aufgehört. Weiter war er nicht gegangen.

Blackthorne ging den Gang entlang, schloss die Tür zu seiner eigenen Kammer auf und drehte den Schlüssel hinter sich wieder um. Die Balkendecke war niedrig, die Kammer war klein und aufgeräumt, und er musste sich bücken, als er hinübertrat, um sich an seinen Schreibtisch zu setzen. Er schloss eine Schublade auf und wickelte bedächtig den letzten der Äpfel aus, die er die ganze Fahrt von der Insel Santa Maria vor der chilenischen Küste bis hierher so sorgsam aufbewahrt hatte. Er war angestoßen und sehr klein; dort, wo er anfing zu faulen, war er von einer weißlichen Schimmelschicht bedeckt. Er schnitt ein Viertel heraus. Im Gehäuse waren ein paar Würmer. Er aß sie jedoch mit, eingedenk der alten Seemannsweisheit, dass Würmer genauso gut gegen den Skorbut wären wie der Apfel selbst, ja, dass sie das Ausfallen der Zähne verhinderten, wenn man sie am Gaumen zerrieb. Er kaute vorsichtig, denn seine Zähne taten ihm weh, und die Mundhöhle war entzündet und wund. Dann trank er etwas Wasser aus einem Weinschlauch. Es schmeckte brackig. Zuletzt wickelte er den Rest des Apfels wieder ein und schloss ihn fort.

Eine Ratte huschte durch die Schatten, die von der über seinem Kopf hängenden Öllampe geworfen wurden. Die Holzplanken knarrten angenehm. Kakerlaken krochen zuhauf über den Boden.

Ich bin müde, ach, so müde!

Er warf einen Blick auf seine lange schmale Koje mit dem einladenden Strohsack darauf.

Ach, bin ich müde!

Schlaf doch diese eine Stunde lang, riet ihm der Teufel in ihm. Und wenn es nur für zehn Minuten ist – dann bist du wieder frisch für eine Woche! Tagelang hast du jetzt nur ein paar Stunden geschlafen, und den größten Teil davon auch noch oben an Deck in der Kälte. Du musst schlafen. Schlaf! Sie sind auf dich angewiesen …

»Ich werde nicht schlafen! Das tue ich morgen«, sagte er laut und zwang seine Hände, seine Kommode aufzuschließen und seine Kurskarte herauszunehmen. Er sah, dass die andere, der portugiesische roteiro, sicher und unberührt dalag, und das erfreute ihn. Er nahm einen sauberen Federkiel und hob an zu schreiben: »21. April A. D. 1600. Fünfte Stunde. Abenddämmer. Den 133. Tag von Santa Maria, Chile, entfernt, auf dem 32. Grad nördlicher Breite. Die See immer noch hoch, der Wind kräftig, das Schiff getakelt wie bisher. Die Farbe der See ein mattes Graugrün und bodenlos. Wir laufen immer noch auf einem Kurs von 270 Grad vorm Wind, drehen leicht nach Nordwest ab, kommen rasch voran, laufen zurzeit etwa zwei Leguas von je drei Seemeilen. Wie ein Dreieck geformte große Riffe zur halben Stunde gesichtet in einer Entfernung von einer halben Legua Nordost bei Nord.

Heute Nacht sind drei Männer am Skorbut gestorben: Joris, der Segelmacher, Reiss, der Kanonier, und de Haan, Zweiter Steuermann. Nachdem wir ihre Seelen Gott anempfohlen hatten und da der Generalkapitän immer noch darniederliegt, übergab ich sie ohne Leichentücher der See, denn es war niemand da, der sie hätte einnähen können. Heute starb der Bootsmannsmaat Rijckloff.

Konnte heute die Höhe der Sonne mittags nicht messen, denn der Himmel war wieder überzogen. Aber ich schätze, wir befinden uns immer noch auf dem richtigen Kurs, und die japanischen Inseln müssten bald auftauchen …«

»Aber wie bald?«, fragte er die Schiffslaterne, die über seinem Kopf baumelte und mit dem Rollen des Schiffes hin und her schwankte. Wie jetzt eine Karte zeichnen? Es muss einen Weg geben, sagte er sich wohl zum tausendsten Mal. Wie den Längengrad bestimmen? Es muss einen Weg geben! Wie das Gemüse frisch erhalten? Was ist Skorbut …?

»Man sagt, es sei die Seepest, mein Junge«, hatte Alban Caradoc gesagt. Er war ein Mann mit einem mächtigen Bauch, einem großen Herzen und einem zotteligen grauen Bart gewesen.

»Aber könnte man das Gemüse nicht kochen und die Brühe aufheben?«

»Sie verdirbt, mein Junge. Kein Mensch hat es je geschafft, sie aufzuheben.«

»Man sagt, Francis Drake wird bald auslaufen.«

»Nein, du kannst nicht mitfahren, mein Junge!«

»Ich bin fast vierzehn. Ihr habt Tim und Watt erlaubt, bei ihm anzumustern, und er braucht noch Piloten-Lehrlinge.«

»Die sind schon sechzehn. Und du bist kaum dreizehn.«

»Es heißt, er soll versuchen, die Magellanstraße zu durchfahren und dann die Küste entlang in unerforschte Gebiete vorzustoßen – bis nach Kalifornien –, um die Straße von Anian zu finden, welche den Stillen Ozean mit dem Atlantik verbindet. Von Kalifornien bis ganz hinauf nach Neufundland, die Nordwestpassage schließlich …«

»Von der man annimmt, dass es sie gibt, diese Nordwestpassage, mein Junge! Bis jetzt hat kein Mensch bewiesen, dass es sie wirklich gibt.«

»Er wird es schaffen. Er ist jetzt Admiral, und wir werden das erste englische Schiff sein, das die Magellanstraße durchfährt, das erste auf dem Stillen Ozean, das erste … nie wieder wird sich mir eine solche Chance bieten …«

»Aber selbstverständlich wird das geschehen, und er wird niemals hinter Magellans Geheimnis kommen, es sei denn, es gelingt ihm, einen roteiro zu stehlen oder einen portugiesischen Piloten gefangen zu nehmen, der ihn hindurchlotst. Wie oft muss ich es dir noch sagen – ein Pilot muss Geduld haben! Lerne, dich in Geduld zu fassen, mein Junge, du hast noch viele …«

»Bitte!«

»Nein!«

»Warum?«

»Weil er zwei, drei Jahre fortbleiben wird, vielleicht noch länger. Die Schwachen und die Jungen werden das schlechteste Essen bekommen und am wenigsten vom Wasser. Und von den fünf Schiffen, die auslaufen, wird nur seines zurückkommen. Du würdest es niemals überleben, mein Junge, niemals …«

»Dann werde ich nur auf seinem Schiff anheuern. Ich bin kräftig. Er nimmt mich bestimmt!«

»Hör zu, mein Junge. Ich bin unter Drake auf der Judith gefahren, seinem Fünfzigtonner, bei San Juan de Ulua, wo wir und Admiral Hawkins – er fuhr auf der Minion – uns durch die dreckfressenden Spanier den Weg aus dem Hafen herauskämpften. Wir hatten Sklaven von Guinea zum spanischen Festland gebracht, aber wir besaßen keine spanische Handelslizenz, und sie überlisteten Hawkins und lockten unsere Flotte in die Falle. Sie hatten dreizehn große Schiffe, wir nur sechs. Drei der ihren versenkten wir, und sie schickten unsere Schiffe Swallow, Angel, Caravelle und die Jesus of Lubeck in die Tiefe. O ja, Drake hat uns aus dieser Falle herausgehauen und nach Hause gebracht. Mit elf Mann an Bord, die die Geschichte erzählen konnten. Hawkins hatte fünfzehn. Von vierhundertundacht lustigen Teerjacken. Drake ist erbarmungslos, mein Junge. Was er will, ist Ruhm und Gold, aber nur für Drake; zu viele Männer sind tot, das zu beweisen.«

»Aber ich werde nicht sterben. Ich werde einer von den …«

»Nein! Du bist für zwölf Jahre unter Lehrvertrag. Zehn davon fehlen dir noch, und dann erst bist du frei. Doch bis dahin, bis 1588, wirst du lernen, Schiffe zu bauen und sie zu befehligen – wirst du Alban Caradoc gehorchen, Schiffsbaumeister und Pilot und Mitglied des Trinity House – sonst bekommst du niemals deine Lizenz. Und wenn du keine Lizenz hast, wirst du nie ein Schiff durch englische Gewässer lotsen, nie ein einziges englisches Schiff vom Achterdeck her auf irgendeinem Meer befehligen; denn so lautete das Gesetz des guten Königs Harry, Gott sei seiner Seele gnädig! So lautete das Gesetz der großen Hure Mary Tudor, möge ihre Seele in der Hölle schmoren, und so lautet das Gesetz der Königin, möge sie immer und für alle Zeit regieren – so lautet das Gesetz Englands, und es ist das beste Schifffahrtsgesetz, das es jemals gegeben hat!«

Blackthorne wusste noch, wie er seinen Herrn und Meister und das Trinity House gehasst hatte, jenes von Heinrich VIII. im Jahre 1514 für die Ausbildung sämtlicher englischer Piloten und Kapitäne geschaffene Gesetz, und die zwölf Jahre halber Leibeigenschaft gehasst, ohne die er, wie er wohl wusste, niemals das Einzige in der Welt bekommen würde, um das es ihm ging. Und wie er Alban Caradoc womöglich noch mehr gehasst, als – zum ewigen Ruhm – Drake und seine Hunderttonnen-Schaluppe, die Golden Hind, wie durch ein Wunder nach England zurückgekommen war, nachdem sie drei Jahre hindurch als verschollen gegolten – das erste englische Schiff, das den Erdball umfahren –, und an Bord die reichste Ausbeute an Raubgut heimgebracht, die jemals hier an Land geschafft worden war: die unglaubliche Summe von anderthalb Millionen Pfund Sterling in Gold, Silber, Gewürzen und Gerät aus Edelmetall.

Dass vier von den fünf Schiffen verloren gegangen waren und acht von zehn Mann ihr Leben gelassen und Tim und Watt gestorben und ein gefangen genommener portugiesischer Pilot Drakes Expedition durch die Magellanstraße hindurchgelotst und in den Stillen Ozean geführt, hatte seinen Hass nicht besänftigen können; dass Drake einen Offizier hatte aufknüpfen lassen, Kaplan Fletcher exkommuniziert wurde und er es nicht geschafft hatte, die Nordwestpassage zu finden, nahm kein Jota von der Bewunderung, die ihm in ganz England entgegengebracht worden war. Die Königin hatte fünfzig Prozent der Schätze für sich beansprucht und ihn zum Ritter geschlagen. Der niedere Adel und die Kaufleute, die das Geld für die Expedition aufgebracht hatten, machten dreihundert Prozent Profit und drängten ihn, seine nächste Freibeuterfahrt ausrüsten zu dürfen. Und alle Seeleute baten, wieder mit ihm fahren zu dürfen, denn er hatte Beute heimgebracht, er war zurückgekehrt, und mit dem ihnen zustehenden Anteil am Raub waren die wenigen Glücklichen, die das Abenteuer überlebt hatten, reich bis an ihr Lebensende.

Ich hätte zu den Überlebenden gehört, hatte Blackthorne sich gesagt. Ganz bestimmt. Und mein Anteil an dem Schatz hätte ausgereicht, um …

»Rotz voruiiit! – Riff voraus!«

Anfangs spürte er den Ruf mehr, als dass er ihn gehört hätte. Dann, unter dem Heulen des Sturms, vernahm er den klagenden Ruf ein zweites Mal. Im Nu war er draußen aus seiner Kammer, den Niedergang hinauf und auf dem Achterdeck; sein Herz hämmerte, seine Kehle war wie Pergament. Es war dunkle Nacht, es regnete, und einen Moment frohlockte er, denn er wusste, dass die Regensammler, die vor so vielen Wochen aufgespannt worden waren, bald zum Überlaufen voll sein würden. Er riss den Mund auf und hielt ihn dem nahezu waagerecht fallenden Regen entgegen, schmeckte seine Süße und kehrte dann dem heftigen Wind den Rücken zu.

Er sah, dass Hendrik wie gelähmt war vor Schrecken. Der Ausguck am Vordersteven, Maetsukker, kauerte nahe der Bugschanze, schrie Unzusammenhängendes und wies voraus. Dann richtete auch er die Augen über das Schiff hinaus. Das Riff war kaum zweihundert Yard entfernt: große schwarze Felsklauen, gegen welche die hungrige See anrannte. Die schäumende Gischtlinie erstreckte sich von Steuerbord nach Backbord und war nur hier und da unterbrochen. »Alle Mann an Deck!«, schrie Blackthorne und schlug heftig die Glocke.

Der Lärm riss Hendrik aus seiner Benommenheit. »Wir sind verloren!«, schrie er auf Holländisch. »Ach, Herr Jesus, steh uns bei!«

»Hol die Mannschaft an Deck, du Scheißkerl! Du hast geschlafen! Beide habt ihr geschlafen!« Blackthorne schob ihn auf den Niedergang zu, klammerte sich am Steuerrad fest, ließ die Lasche von den Griffen herunterrutschen, stemmte sich gegen die Speichen und riss das Rad hart nach Backbord herum.

Er musste alle Kraft aufwenden, als das Ruder sich gegen die Strömung legte. Das ganze Schiff erbebte. Dann, als der Wind es packte, begann der Bug sich immer schneller zu wenden, und bald darauf lagen sie dwars vor Strömung und Wind. Die Sturmsegel bauschten sich und versuchten lahm, das gesamte Gewicht des Schiffes zu tragen, und alle Taue strafften sich und heulten. Die heranrauschende See türmte sich über ihnen, und sie gaben nach, liefen querab vom Riff, als er die große Woge heranrollen sah. Er rief den aus dem Vorschiff heraufkommenden Männern eine Warnung zu und kämpfte mit dem Steuerrad, als ginge es um sein Leben.

Die See stürzte sich auf das Schiff. Es legte sich auf die Seite, und er dachte schon, es wäre um sie geschehen, doch es schüttelte sich wie ein nasser Terrier und schwang sich aus dem Wellental heraus. In mächtigen Schwallen lief das Wasser durch die Speigatts ab, und er rang nach Atem. Er sah, dass die Leiche des Bootsmanns, die sie zur Bestattung an Deck gebracht hatten, verschwunden war und dass die nachfolgende Welle womöglich noch gewaltiger war als die vorige. Sie packte Hendrik und hob ihn in die Höhe; nach Luft ringend und ins Leere greifend verschwand er überm Schanzkleid im Meer. Eine weitere Woge wälzte sich brüllend übers Deck, und Blackthorne hakte sich mit einem Arm in den Speichen des Steuerrads fest – das Wasser floss an ihm vorbei. Jetzt trieb Hendrik fünfzig Yard backbords auf der See. Der Sog des Wassers führte ihn wieder neben das Schiff, dann schleuderte eine gigantische Sturzsee ihn hoch übers Schiff, hielt ihn eine Weile dort – er schrie –, riss ihn dann weiter fort, zerschmetterte ihn auf dem Kamm eines Riffs und verschlang ihn.

Das Schiff hielt aufs offene Meer zu und versuchte, Fahrt zu machen. Eine weitere Rah riss, und das Fall samt Talje flatterten wie wild, bis sie sich in der Takelage verhedderten.

Vinck und noch jemand kämpften sich bis aufs Achterdeck hinauf und stemmten sich in die Speichen des Steuerrads, um ihm zu helfen. Blackthorne konnte das bedrohliche Riff steuerbords erkennen – es lag zum Greifen nahe. Voraus und backbords ragten weitere Klippen aus der See, doch hier und dort erkannte er auch Lücken dazwischen.

»Den Besan hinauf, Vinck! Backgasten ho!« Handbreit um Handbreit zogen Vinck und zwei Matrosen sich in den Fetzen der Takelage des Hauptmasts empor, während andere weiter unten sich in die Taue legten, um ihnen behilflich zu sein.

»Achtung, voraus!«, schrie Blackthorne.

Die See schäumte übers Deck, riss einen weiteren Mann mit sich und trug die Leiche des Bootsmanns wieder an Bord. Der Bugspriet ragte steil aus dem Wasser, schlug dann abermals auf eine Woge und schickte noch mehr Wasser an Bord. Vinck und die anderen lösten unter Flüchen die Bändsel, mit denen das Segel festgezurrt war. Unversehens öffnete es sich dann, knatterte, als wären es Kanonenschläge, als es sich mit Wind füllte, und das Schiff machte einen Satz vorwärts.

Vinck und seine Helfer hingen schwankend über dem Wasser, begannen dann jedoch ihren Abstieg.

»Riff – Riff voraus!«, kreischte Vinck.

Blackthorne und der andere Mann wirbelten das Steuerrad nach Steuerbord herum. Das Schiff zögerte, wendete dann und schrie auf, als die kaum vom Wasser überspülten Felsen an seinem Rumpf entlangkratzten. Aber es war nur ein Schrammer, und die Felsnase zerkrümelte unter der Wucht des Anpralls. Die Planken hielten, und die Männer an Bord atmeten auf.

Blackthorne erspähte eine Lücke in den Riffen voraus und hielt mit dem Schiff darauf zu. Der Wind blies jetzt heftiger, die See war noch aufgewühlter als zuvor. Die Erasmus schlingerte unter dem Ansturm einer Bö, das Steuerrad wurde den Männern aus den Händen gerissen und drehte sich wild. Gemeinsam packten sie es wieder und brachten das Schiff auf Kurs, doch es bockte und hüpfte wie verrückt. Wasser überflutete das Deck und wälzte sich ins Vorschiff, schmetterte einen Mann gegen das Schott; das ganze Unterdeck stand unter Wasser, genauso wie das Oberdeck.

»An die Lenzpumpen!«, schrie Blackthorne. Er sah, wie zwei Männer hinabgerissen wurden.

Der Regen peitschte ihm ins Gesicht, und er musste die Augen zusammenkneifen. Das Licht des Kompasshauses sowie die Hecklaterne waren längst erloschen. Als dann eine neuerliche Bö das Schiff noch weiter vom Kurs abbrachte, rutschte ein Matrose aus, und abermals drehte das Steuerrad sich wie wild, und sie mussten es fahren lassen. Der Mann schrie auf, als die eine Speiche ihm gegen den Kopf schlug und er der See preisgegeben dalag. Blackthorne riss ihn hoch und ließ ihn nicht mehr los, bis die brodelnde Sturzsee abgelaufen war. Dann erkannte er, dass der Mann tot war, und ließ ihn auf den Seestuhl fallen; die nächste Woge spülte ihn vom Achterdeck hinunter.

Der Einschnitt im Riff lag jetzt drei Strich in Luv, doch sosehr er sich auch abmühte, Blackthorne konnte die Erasmus nicht dazu bringen, sich darauf zuzubewegen. Verzweifelt hielt er nach einem anderen Kanal Ausschau, wusste jedoch, dass keiner vorhanden war, und so ließ er das Schiff vorübergehend vom Wind abfallen, um Fahrt zu gewinnen, und drehte es dann wieder hart in Luv. Ein kleines Stück kam es voran und hielt den Kurs.

Es ging ein Aufstöhnen und ein gequältes Erzittern durch den Rumpf, als der Kiel über die rasiermesserscharfen Zacken der Felsen hinwegrutschte, und alle an Bord glaubten bereits, die Eichenbohlen und Planken würden auseinanderbersten und das Wasser hereinfluten. Jetzt schoss das Schiff, völlig außer Kontrolle, schlingernd voran.

Blackthorne rief um Hilfe, doch niemand hörte ihn, und so kämpfte er abermals allein mit dem Steuerrad – und der See. Einmal wurde er beiseite geschleudert, doch bekam er es wieder zu fassen und klammerte sich daran fest, wobei er sich in seiner zunehmenden Benommenheit die Frage stellte, wieso das Ruder eigentlich überhaupt so lange gehalten habe.

An der engsten Stelle der Durchfahrt wurde die See zu einem Mahlstrom: Der Sturm presste das Wasser vorwärts, und die Felsen engten es ein. Gewaltige Brecher stürzten sich auf das Riff, um wieder zurückzurauschen und sich gegen das herankommende Schiff zu werfen, bis die Wogen untereinander kämpften und aus allen Richtungen der Windrose angriffen. Das Schiff lief dwars und wurde völlig hilflos in einen Wirbel hineingerissen.

»Scheiß auf dich, Sturm!«, wütete Blackthorne. »Lass deine dreckigen Hände von meinem Schiff!«

Abermals drehte das Steuerrad sich wie rasend, und das Deck legte sich erschreckend auf die Seite. Der Bugspriet geriet gegen einen Felsen und wurde losgerissen; ein Teil der Takelage ging mit über Bord. Der Fockmast bog sich durch wie ein Bogen und brach. Mit Äxten fielen die Männer an Deck über die Taue her, um sie zu kappen, während das Schiff den brodelnden Kanal entlangtorkelte. Sie hackten den Mast frei; er ging über Bord, und ein Mann mit ihm, der sich in das Gewirr von Tauen und Segeln verstrickt hatte. Der dergestalt Gefesselte schrie auf, aber es gab nichts, was sie hätten tun können, und so sahen sie nur hilflos zu, wie der Mast neben dem Schiff verschwand und noch einmal auftauchte, um dann nie wiederzukommen.

Vinck und die anderen, die verschont geblieben waren, blickten zurück zum Oberdeck, wo Blackthorne dem Sturm wie ein Wahnsinniger trotzte. Sie bekreuzigten sich und verdoppelten ihre Gebete; einige weinten vor Angst, doch alle hofften sie, mit dem Leben davonzukommen.

Für einen Augenblick verbreiterte sich die Durchfahrt, und das Schiff verlangsamte seine Fahrt, doch vor ihnen verengte sie sich wieder, und die Felsen zu beiden Seiten schienen zu wachsen und über sie hinauszuragen. Die Strömung wurde auf der einen Seite zurückgeworfen, nahm das Schiff mit sich, drehte es wieder, dass es erneut dwars lag, und warf es dann seinem Geschick entgegen. Blackthorne hörte auf, den Sturm zu verfluchen, versuchte, das Ruder mit Gewalt nach Backbord herumzureißen. Doch das Schiff verleugnete sein Ruder, und auch die See kümmerte sich nicht darum.

»Dreh dich, du Höllenhure!«, keuchte er. Seine Kraft verließ ihn zusehends. »Helft mir doch!«

Die See lief rascher und rascher, und er meinte, sein Herz zerspringe; trotzdem kämpfte er gegen den Druck des Wassers an. Er versuchte, die Augen auf ein bestimmtes Ziel gerichtet zu halten, doch alles um ihn herum drehte sich; die Farben gingen durcheinander und verblassten. Das Schiff war tot, und genau in diesem Augenblick rutschte der Kiel über eine Schlickbank. Die Erasmus fuhr herum. Das Ruder griff in die See. Und dann vereinten Wind und Wasser sich, dem Schiff zu helfen; gemeinsam drehten sie es vorm Wind herum, und es rauschte durch den Engpass hindurch in Sicherheit – in die Bucht, die dahinter lag.

Erstes Buch

1

Blackthorne war plötzlich wach. Einen Augenblick vermeinte er zu träumen, weil er an Land war und der Raum unfasslich: klein und sehr sauber und mit weichen Matten ausgelegt. Er selbst lag auf einer dicken wattierten Decke; eine andere war über ihn gebreitet. Die Zimmerdecke bestand aus poliertem Zedernholz und die Wände aus Zedernrahmen, die mit einem durchscheinenden Papier bespannt waren, welches das Licht angenehm dämpfte. Neben ihm stand ein leuchtend rotes Tablett mit kleinen Schalen darauf. In der einen befand sich kaltes gegartes Gemüse, das er heißhungrig hinunterschlang, ohne des pikanten Geschmacks recht gewahr zu werden. In einer anderen war Fischsuppe – auch diese Schale leerte er. Eine dritte enthielt einen dicken Gerstenbrei, den er gleichfalls rasch aufaß, wobei er sich seiner Finger bediente. Das Wasser in einem eigenartig geformten Trinkgefäß war warm und schmeckte sonderbar – leicht bitter, aber durchaus nicht unangenehm.

Dann bemerkte er das Kruzifix in der Nische.

Dann bin ich also in einem spanischen oder portugiesischen Haus, dachte er, und der Schreck fuhr ihm in die Glieder. Bin ich hier auf den japanischen Inseln? Oder in Kathay?

Ein Rahmen der Wand glitt beiseite. Eine nicht mehr ganz junge gedrungene Frau mit rundem Gesicht kniete neben der Tür und verneigte sich lächelnd. Ihre Haut war golden, ihre Augen dunkel und schmal, und ihr langes schwarzes Haar war auf dem Kopf hochgetürmt. Sie trug eine graue Seidenrobe nebst kurzen weißen Socken mit dicker heller Sohle und eine breite violette Schärpe um den Leib.

»Goshujinsama, gokibun wa ikaga desu ka?«, sagte sie. Als er sie verständnislos anstarrte, wartete sie – dann sagte sie es noch einmal.

»Bin ich hier in Japan?«, fragte er. »In Japan? Oder in Kathay?«

Diesmal war es an ihr, ihn verständnislos anzustarren, und dann sagte sie etwas anderes, was er nicht verstehen konnte. Plötzlich ging ihm auf, dass er nackt war. Seine Kleidung war nirgends zu sehen. Mittels Zeichensprache gab er ihr zu verstehen, dass er sich anzuziehen wünsche. Dann zeigte er auf die leeren Schalen, und sie begriff, dass er noch Hunger hatte.

Lächelnd verneigte sie sich und schob die Tür wieder zu.

Erschöpft legte er sich zurück. Die noch ungewohnte Bewegungslosigkeit des Bodens war schuld, dass sich in seinem Kopf alles drehte, doch raffte er sich zusammen, um sich wieder zu fangen. Ich erinnere mich, dass wir den Anker warfen, dachte er. Zusammen mit Vinck. Ja, ich glaube, es war Vinck. Wir befanden uns in einer Bucht. Die Erasmus war auf eine Schlickbank aufgelaufen und bewegte sich nicht mehr. Zwar konnten wir hören, wie die Wellen sich am Ufer brachen, aber es bestand keine Gefahr mehr. Am Ufer waren Lichter zu erkennen, dann lag ich in meiner Kammer, und es wurde Nacht um mich. An etwas anderes erinnere ich mich nicht mehr. Dann kamen Lichter durch die pechschwarze Nacht und sonderbare Stimmen. Ich redete englisch, dann portugiesisch. Einer von den Einheimischen sprach ein wenig Portugiesisch. Oder war er vielleicht sogar Portugiese? Nein, ich glaube, er war Eingeborener. Habe ich ihn gefragt, wo wir wären? Ich weiß es nicht mehr. Dann waren wir wieder im Riff, und die große Woge kam abermals herangerauscht, ich wurde hinausgerissen auf die See und war am Ertrinken – nein, die See war warm und wie ein ellendickes Seidenbett. Sie müssen mich an Land getragen und hierhergebracht haben. »Es muss dieses Bett hier gewesen sein, das sich so weich und warm anfühlte«, sagte er laut. »Ich habe noch nie zuvor auf Seide geschlafen.« Die Schwäche übermannte ihn, und er verfiel in einen traumlosen Schlaf.

Als er wieder erwachte, fand er mehr Essen in den irdenen Schalen, und seine Kleider waren ordentlich neben ihm abgelegt. Man hatte sie gewaschen, gebügelt und mit winzigen, sehr feinen Stichen ausgebessert.

Aber sein Messer war fort – desgleichen fehlten seine Schlüssel.

Ich verschaff mir besser ein Messer, und zwar rasch, dachte er. Oder eine Pistole.

Seine Augen wanderten zum Kruzifix. Trotz seiner Furcht packte ihn immer stärkere Erregung. Sein Leben lang hatte er unter Piloten und Fahrensleuten Erzählungen über die unerhörten Reichtümer gehört, die Portugals unbekanntes Reich im Osten bergen sollte; dass es den Portugiesen mittlerweile gelungen sei, die Heiden zum Katholizismus zu bekehren und auf diese Weise an sich zu fesseln; wo das Gold so billig war wie rohes Eisen, und wo es Smaragde, Rubine, Diamanten und Saphire gab wie Sand am Meer.

Wenn das mit den Katholiken stimmt, sagte er sich, dann stimmt alles andere vielleicht auch. Was die Reichtümer betrifft. Jawohl. Aber je schneller er wieder bewaffnet war und sicher hinter den Stückpforten der Erasmus stand, desto besser.

Er aß die Speisen, kleidete sich an, stand ein wenig unsicher auf den Beinen und fühlte sich nicht in seinem Element, wie übrigens immer an Land. Seine Stiefel fehlten. Er ging zur Tür hinüber, wobei er leicht schwankte, sodass er die Hand ausstreckte, um sich festzuhalten; aber die leichten Leisten der Rahmen konnten sein Gewicht nicht tragen und zerbrachen; das Papier riss entzwei. Er richtete sich auf. Die entsetzte Frau im Korridor starrte zu ihm hinauf.

»Tut mir leid«, sagte er, und in seiner Unbeholfenheit kam er sich merkwürdig unsicher vor. Die Reinheit des Raumes war irgendwie besudelt.

»Wo sind meine Stiefel?«

Verständnislos starrte die Frau ihn an. Folglich fasste er sich in Geduld und machte ihr durch Zeichensprache sein Begehr begreiflich, woraufhin sie einen Gang entlangeilte, niederkniete, eine weitere Schiebetür aufschob und ihn heranwinkte. Stimmen ließen sich in der Nähe vernehmen und das Geräusch rinnenden Wassers. Er trat durch die Schiebetür und befand sich in einem anderen, nahezu kahlen Raum. Dieser ging auf eine Veranda hinaus, deren Stufen zu einem kleinen Garten hinunterführten, der von einer hohen Mauer eingefasst war. Neben diesem Haupteingang standen zwei alte Frauen, drei in leuchtend rote Gewänder gekleidete Kinder und ein alter Mann, offensichtlich ein Gärtner, denn er trug einen Rechen in der Hand. Augenblicklich verneigten sich alle ehrerbietig und hielten die Köpfe gesenkt.

Zu seiner Verwunderung sah Blackthorne, dass der alte Mann nackt war bis auf ein kurzes, schmales Lendentuch, das kaum seine Geschlechtsteile bedeckte. »Morgen«, sagte er, da er nicht wusste, was er sonst sagen sollte.

Sie blieben regungslos stehen, die Köpfe immer noch gesenkt.

Befremdet starrte er sie an; dann erwiderte er unbeholfen die Verneigung. Erst daraufhin richteten sie sich alle auf und lächelten ihn an. Der alte Mann verneigte sich noch einmal und machte sich wieder an seine Arbeit. Die Kinder starrten ihn an, brachen dann unvermittelt in Lachen aus und stoben davon. Die alten Frauen verschwanden in der Tiefe des Hauses, aber er spürte, dass sie ihn nicht aus den Augen ließen.

Unten an der Treppe sah er seine Stiefel stehen. Ehe er sie aufheben konnte, hatte sich die nicht mehr ganz junge Frau davor hingekniet, und zu seiner Verlegenheit half sie ihm, die Stiefel anzuziehen.

»Vielen Dank«, sagte er. Er überlegte einen Augenblick, dann deutete er auf sich selbst. »Blackthorne«, sagte er mit Bedacht. »Blackthorne.« Dann wies er auf sie. »Und wie heißt du?«

Ohne zu begreifen, sah sie ihn an.

»Black-thorne«, wiederholte er langsam, zeigte wieder auf sich und dann auf sie. »Wie heißt du?«

Sie runzelte die Stirn, dann schien ihr etwas zu dämmern, denn sie zeigte auf sich und sagte: »Onna! Onna!«

»Onna!«, wiederholte er, genauso stolz auf sich, wie sie auf sich war. »Onna.« Sie lächelte glücklich. »Onna!«

Der Garten war mit nichts zu vergleichen, was er je gesehen hatte: ein kleiner Wasserfall, ein Bach mit einer kleinen Brücke, sorgsamst gepflegte Kieswege und Felsen und Blumen und Sträucher.

»Unglaublich!«, sagte er.

»Unaubich?«, wiederholte sie hoffnungsvoll.

»Nichts«, sagte er. Doch dann, da er nicht wusste, was sonst tun, schickte er sie mit einer Handbewegung fort. Gehorsam und höflich verneigte sie sich und ging.

Blackthorne saß gegen einen Pfosten gelehnt in der warmen Sonne. Wo die anderen wohl sind? Ob der Generalkapitän noch lebt? Wie viele Tage habe ich geschlafen? Ich erinnere mich, dass ich aufgewacht bin, gegessen und wieder weitergeschlafen habe; das Essen war genauso unbefriedigend wie die Träume. Die Kinder wirbelten aufgeregt vorbei, spielten Haschen, und er war verlegen ob der Nacktheit des Gärtners, denn wenn der Mann sich bückte oder vornüberbeugte, konnte man alles sehen, und Blackthorne war verwundert, dass die Kinder das gar nicht zu bemerken schienen. Über der Mauer sah er ziegel- und strohgedeckte andere Gebäude, und weiter weg hohe Berge. Ein frischer Wind fegte über den Himmel und ließ den Häufchenwolken keine Ruhe. Bienen summten auf der Suche nach Nektar – es war ein herrlicher Frühlingstag. Sein Körper verlangte nach mehr Schlaf, doch er raffte sich auf und ging auf die Gartentür zu. Der Gärtner lächelte und eilte herbei, ihm die Tür aufzuhalten, verneigte sich und schloss sie hinter ihm.

Das Dorf war um den halbmondförmigen, nach Osten sich öffnenden Hafen herum gebaut; zweihundert Häuser vielleicht. Sie drängten und duckten sich am flachen Hang des Berges, der sich bis ans Ufer hinunterzog. Darüber waren terrassenförmig Felder und Feldwege angelegt, die nach Norden und Süden führten. Die Uferstraße unten war gepflastert, eine steinerne Rampe führte von dort ins Wasser hinein. Ein guter sicherer Hafen mit steinerner Mole; Männer und Frauen, die Fische säuberten und Netze knüpften; am Nordende ein im Bau befindliches Boot von eigentümlicher Form. Weit draußen auf See erblickte er Inseln, im Osten ebenso wie im Süden. Die Riffe lagen also dort oder hinter dem Horizont.

Im Hafen lag eine Menge weiterer sonderbar gebauter Boote, die wohl zumeist dem Fischfang dienten, einige davon mit einem großen Segel, viele mit zwei Riemen ausgestattet – wobei die Ruderer standen und sich mit den Riemen gegen die Strömung anstemmten und nicht sitzend pullten, wie er es getan hätte. Ein paar von den Booten sollten gerade auslaufen, andere waren mit dem Bug am hölzernen Pier vertäut, während die Erasmus fünfzig Yard vom Ufer entfernt wohlverankert in ruhigem Wasser dalag. Wer hat das getan, fragte er sich. Es lagen Boote längsseits seines Schiffes, und er konnte Einheimische an Bord erkennen. Nur niemand von seinen eigenen Leuten.

Er sah sich im Dorf um und wurde sich der vielen Augen bewusst, die ihn beobachteten. Sobald die Leute sahen, dass er sie bemerkte, verneigten sie sich, woraufhin er die Verneigung erwiderte, wobei er immer noch recht verlegen war. Daraufhin gingen sie fröhlich weiter ihrer Beschäftigung nach, eilten hin und her, blieben stehen, schienen seine Anwesenheit gar nicht zu bemerken. Was ist es nur, was so sonderbar an ihnen ist, fragte er sich. Es sind doch nicht nur ihre Kleider und ihr Benehmen. Es ist – sie tragen keine Waffen, schoss es ihm fassungslos durch den Sinn. Weder Schwerter noch Handfeuerwaffen! Wie kommt das nur?

Offene Läden mit einem kunterbunten Angebot an Waren sowie zu Ballen verpackte Güter säumten die kleine Straße. Der Estrich der Läden war etwas erhöht, und Käufer wie Verkäufer knieten oder hockten auf den reinlichen Bodenbrettern. Blackthorne bemerkte, dass die meisten Holzschuhe oder Bastsandalen trugen, einige von ihnen mit den gleichen dicksohligen weißen Socken, die einen Einschnitt zwischen großem Zeh und dem danebenliegenden aufwiesen, um die Riemen der Fußbekleidung hineinzuschieben; allerdings ließen sie Holzschuhe wie Sandalen draußen auf der Erde stehen. Diejenigen, die barfuß liefen, säuberten ihre Füße und schlüpften in saubere Haussandalen. Sehr vernünftig, wenn man sich’s überlegt, sagte er sich im höchsten Maße verwundert.

Dann sah er den Mann mit der Tonsur auf sich zukommen, und Furcht stieg aus seinen Hoden in seine Eingeweide, sodass ihm übel wurde. Offensichtlich war dieser Priester Portugiese oder Spanier. Er trug eine wallende orangefarbene Robe, und weder Rosenkranz und Kruzifix waren an seinem Gürtel zu übersehen – noch die kalte Feindseligkeit, die ihm ins Gesicht geschrieben stand. Sein Gewand war schmutzig von der Reise und seine europäischen Stiefel schlammverkrustet. Er schaute zum Hafen hinaus und zur Erasmus hinüber, und Blackthorne wusste, dass er sie als holländisches oder englisches Schiff einordnen musste, das neu war auf den meisten Meeren, schlanker und schneller, ein bewaffnetes Kauffahrteischiff, entworfen und verbessert nach den englischen Kaperschiffen, die auf den spanischen Meeren so viel Verheerung anrichteten. Den Priester umgaben zehn Einheimische, schwarzhaarig und mit schwarzen Augen, einer so gewandet wie er, nur dass er Riemensandalen trug. Die anderen hingegen waren in vielfarbene Gewänder oder weite Hosen gekleidet oder trugen nur einfach Lendentücher. Bewaffnet aber war keiner von ihnen.

Alles in ihm drängte Blackthorne davonzulaufen, solange noch Zeit war, doch er wusste, dass er nicht die Kraft dazu hatte und dass es auch keinen Ort gab, an dem er sich hätte verbergen können. Die Größe seiner Gestalt und die Farbe seiner Augen machten ihn zum Fremden in dieser Welt. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand.

»Wer seid Ihr?«, fragte der Priester auf Portugiesisch. Er war ein beleibter, dunkler Mann Mitte zwanzig mit einem langen Bart.

»Wer seid Ihr?« Blackthorne starrte ihn seinerseits an.

»Das da ist ein niederländischer Pirat! Ihr seid ein ketzerischer Holländer. Ihr seid Seeräuber! Gott sei Euch gnädig!«

»Wir sind keine Seeräuber. Wir sind friedliche Kaufleute – nur unseren Feinden gegenüber nicht. Ich bin Pilot dieses Schiffes. Wer seid Ihr?«

»Pater Sebastio. Wie seid Ihr hierhergekommen? Wie?«

»Wir sind an Land getrieben worden. Wo sind wir hier? Ist dies hier Japan?«

»Ja. Japan. Nippon«, erklärte der Priester ungeduldig und wandte sich an einen der Männer, der älter schien als die anderen, dabei klein von Statur und hager, aber mit kräftigen Armen und schwieligen Händen, den Scheitel geschoren und das Haar zu einem dünnen Pinsel zusammengebunden, der genauso grau war wie seine Augenbrauen. Bedächtig redete der Priester auf Japanisch auf ihn ein und wies dabei wiederholt auf Blackthorne. Alle schienen entsetzt, und einer von ihnen bekreuzigte sich rasch, als wollte er sich beschützen.

»Holländer sind Ketzer, Aufrührer und Piraten. Wie heißt Ihr?«

»Ist das hier eine portugiesische Niederlassung?«

Die Augen des Priesters waren hart und blutunterlaufen. »Der Dorfschulze sagt, er habe die Behörden von Eurer Ankunft verständigt. Wo ist der Rest Eurer Mannschaft?«

»Wir sind vom Kurs abgetrieben worden. Wir brauchen nur Proviant und etwas Zeit, um unser Schiff auszubessern. Dann werden wir weitersegeln. Wir bezahlen für alles …«

»Wo ist der Rest Eurer Mannschaft?«

»Das weiß ich nicht. An Bord. Ich nehme an, sie sind an Bord.«

Abermals holte der Priester Auskünfte beim Dorfschulzen ein, der Antwort gab, auf das andere Ende des Dorfes wies und umständliche Erklärungen von sich gab. Der Priester wandte sich wieder Blackthorne zu. »Verbrecher werden hierzulande gekreuzigt, Pilot. Ihr werdet sterben. Der Daimyo mit seinen Samurai ist bereits auf dem Weg hierher. Gott sei Eurer Seele gnädig!«

»Was ist ein Daimyo?«

»Ein Lehnsherr. Ihm gehört diese ganze Provinz. Wie seid Ihr hierhergekommen?«

»Und Samurai?«

»Krieger – Soldaten – Angehörige der Kriegerkaste«, sagte der Priester zunehmend irritiert. »Woher kommt Ihr, und wer seid Ihr?«

»Eure Aussprache ist mir fremd«, sagte Blackthorne, um ihn zu verunsichern.

»Seid Ihr Spanier?«

»Ich bin Portugiese!«, erklärte der Priester hochfahrend. Er hatte tatsächlich nach dem Köder geschnappt. »Ich habe Euch doch schon gesagt, ich bin Pater Sebastio aus Portugal. Wo habt Ihr so gut Portugiesisch sprechen gelernt, eh?«

»Aber Portugal und Spanien sind heute doch ein und dasselbe Land«, erklärte Blackthorne spöttisch. »Sie haben ein und denselben König.«

»Wir sind ein eigenes Land. Wir sind ein eigenständiges Volk. Das ist immer so gewesen. Wir führen unsere eigene Flagge. Unsere überseeischen Besitzungen haben mit den spanischen nichts gemein. König Philipp hat uns das zugestanden, als er unser Land an sich riss.« Mit sichtlicher Mühe gelang es Pater Sebastio, sich zu beherrschen; seine Finger zitterten. »Er hat meine Heimat vor zwanzig Jahren mit Waffengewalt in seine Hand gebracht! Seine Soldaten und diese Ausgeburt des Teufels, der spanische Tyrann, der Herzog von Alba – sie haben uns unseren rechtmäßigen König genommen. Que va! Jetzt regiert Philipps Sohn, aber auch er ist nicht unser richtiger König. Bald werden wir unseren eigenen König wiederhaben.« Und giftig fügte er dann noch hinzu: »Ihr wisst, dass das die Wahrheit ist! Was dieser Teufel Alba Eurem Land angetan hat, hat er auch meinem Land angetan.«

»Das ist eine Lüge. Alba war eine Pest in den Niederlanden, aber erobert hat er sie nie. Sie sind immer noch frei. Und werden es immer bleiben. Aber in Portugal hat er eine kleine Armee zerschlagen, und Euer ganzes Land hat die Waffen gestreckt. Kein Mut! Ihr könntet die Spanier hinauswerfen, wenn Ihr wolltet, doch das werdet Ihr nie tun. Keine Ehre. Keine cojones.«

»Möge Gott Euch für alle Ewigkeit in der Hölle schmoren lassen«, brauste der Priester auf.

Blackthorne konnte nicht anders – er spürte, wie der Schrecken der Religion in ihm hochstieg. »Priester besitzen nicht das Ohr Gottes, und sie sprechen auch nicht mit seiner Stimme. Wir sind frei von Eurem stinkenden Joch und werden es auch weiterhin bleiben!

Es war kaum vierzig Jahre her, dass Maria die Blutige aus dem Hause Tudor Königin von England gewesen war und der Spanier Philipp II., Philipp der Grausame, ihr Gemahl. Diese fromme Tochter Heinrichs VIII. hatte katholische Priester, Inquisitoren und Ketzerprozesse sowie die Oberherrschaft des römischen Papstes wieder nach England gebracht und das, was ihr Vater getan und der Kirche von Rom in England an Wandel gebracht, wieder rückgängig gemacht – gegen den Willen der Mehrheit. Fünf Jahre hindurch hatte sie regiert, und das Reich war zerrissen gewesen vor Hass und Zorn und Blutvergießen. Doch dann war sie gestorben, und mit vierundzwanzig Jahren war Elizabeth Königin geworden.«

Bewunderung erfüllte Blackthorne und eine tiefe kindliche Liebe, wenn er an Elizabeth dachte. »Vierzig Jahre hindurch hatte sie mit der Welt in Konflikt gelegen. Sie hatte Päpste, das Heilige Römische Reich, Frankreich und Spanien mit Schläue überlistet und erfolgreich bekämpft. Exkommuniziert, bespien, im Ausland verleumdet, hat sie uns in einen sicheren Hafen geführt – uns stark und unabhängig gemacht.«

»Wir sind frei«, sagte Blackthorne zu dem Priester. »Ihr seid unterjocht. Wir haben heute unsere eigenen Schulen, unsere eigenen Bücher, unsere eigene Bibel, unsere eigene Kirche. Ihr Spanier seid alle gleich! Abschaum! Und Ihr Mönche seid einer wie der andere: Götzenanbeter!«

Der Priester hielt sein Kruzifix in die Höhe, reckte es zwischen sich und Blackthorne wie einen Schild. »O Gott, befreie uns von diesem Übel! Ich bin kein Spanier, habe ich Euch gesagt! Ich bin Portugiese! Und ich bin kein Mönch! Ich bin ein Bruder der Gesellschaft Jesu!«

»Oh, einer von denen! Ein Jesuit!«

»Jawohl! Möge Gott Eurer Seele gnädig sein!« Pater Sebastio zischte etwas auf Japanisch, und die Männer stürzten auf Blackthorne zu. Er trat zurück gegen die Wand und traf einen Mann, aber die anderen fielen über ihn her, und ihm war, als müsste er ersticken.

»Nanigoto da?«

Augenblicklich hörte das Handgemenge auf.

Der junge Mann stand zehn Schritt entfernt. Er trug Hosen und Holzschuhe, einen leichten Kimono; zwei Schwerter in Scheiden staken in seinem Gürtel: das eine kurz wie ein Dolch, das andere ein leicht gebogenes zweihändiges Langschwert.

»Nanigoto da?«, fragte er scharf, und als niemand sofort antwortete, noch einmal: »Nanigoto da?«

Die Japaner fielen auf die Knie, die Köpfe im Schmutz. Nur der Priester blieb stehen. Er verneigte sich und fing an, stockend zu erklären, doch der Mann fiel ihm verächtlich ins Wort und wies auf den Dorfschulzen. »Mura!«