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Allein die Schrift! Die Bibel als einzige Richtschnur der Kirche? Oder doch ein bischöfliches Lehramt, das die Bibel autoritativ auslegt? Wer hat die letzte Autorität in der Kirche? Wie kommt es zu normativen Entscheidungen? Die vorliegende Untersuchung beantwortet die Frage nach der Autorität in der Kirche, indem sie neutestamentliche Texte untersucht und so Bibelwissenschaft und Ökumene verbindet. Sie stellt die skizzierten Fragen an neutestamentliche Texte und zeigt deren Selbstverständnis auf. Welchen Autoritätsanspruch erheben die biblischen Texte für sich selbst? Was sagen sie über sich?
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Seitenzahl: 519
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Paul Metzger
Sie über sich
Eine exegetische Untersuchung zur Autorität der Schrift in ökumenischer Perspektive
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-7720-0052-2
Die vorliegende Untersuchung ist eng mit meiner beruflichen Biographie verknüpft.
Im Oktober 2009 kam ich als erster Bibelwissenschaftler in der mittlerweile 70jährigen Geschichte des Konfessionskundlichen Instituts nach Bensheim. Mir fiel bereits während meiner Einarbeitung in das Fachgebiet des Catholica-Referenten auf, dass die Ergebnisse und Methoden der aktuellen Bibelwissenschaft zwar in jüngeren ökumenischen Dokumenten Beachtung erfahren, doch immer noch weder in dogmatischen Diskussionen noch in Stellungnahmen von Kirchenleitungen verschiedener Konfessionen speziellen und vor allem wirksamen Niederschlag finden.
Dies ist nicht nur um der Sache selbst willen bedauerlich, sondern vor allem deshalb, weil viele konfessionelle Auseinandersetzungen – seien es fundamentaltheologische Weichenstellungen oder aktuelle ethische Sachfragen – einen Bezug zu biblischen Texten aufweisen. Die biblischen Texte werden im Konfliktfall aber oft lediglich als Argumente oder Belege angeführt, ohne deren Kontext genügend zu beachten. Die prinzipiell durchaus erkennbare Hochschätzung der Heiligen Schrift wird dann konterkariert durch das sorg- und bedenkenlose Zitieren vermeintlich passender Belegstellen. Die Warnung, dass ein Vers allein kein Argument in einer Diskussion darstellen kann, verhallt dabei oft ungehört.
Die grundlegende Idee dieser Untersuchung ist deshalb, die Schrift um ihrer selbst willen zu Wort kommen zu lassen. Ich folge damit dem protestantischen Instinkt, der gerne fragt: „Was sagt die Schrift dazu?“ und frage nun: „Was sagt sie über sich?“ Sehr verdichtet lässt sich darauf mit der vorliegenden Untersuchung antworten: Die biblischen Texte brauchen kein Lehramt, das über sie urteilt, aber sie brauchen ein Amt, das Garantie für sie übernimmt.
Wenn es stimmt, dass sich die verschiedenen Konfessionen einander annähern, sofern sie Christus nahekommen und Christus in erster Linie in der Schrift zu finden ist, dann scheint meine Hoffnung berechtigt, dass ein gemeinsames Verständnis der Heiligen Schrift im Sinne des Selbstverständnisses der Schrift einen wesentlichen Beitrag zum ökumenischen Fortschritt darstellen könnte. Da die abendländische Kirche auch und gerade im Streit über die Autorität der Schrift für die Kirche zerbrochen ist, erscheint eine exegetische Beschäftigung mit diesem Thema aussichtsreich in Bezug auf eine konstruktive Annäherung.
Die Idee der Untersuchung, ihre Methodik und ihr Fortgang wurden von vielen Gesprächen begleitet, und ich habe auf unterschiedliche Weise viel Unterstützung erfahren. Der ehemalige Leiter des Konfessionskundlichen Instituts, Dr. Walter Fleischmann-Bisten M.A., hat die Arbeit interessiert verfolgt, schließlich das Manuskript Korrektur gelesen und mit wertvollen Hinweisen versehen. PD Dr. Gisa Bauer war als kluge Gesprächspartnerin in nahezu jeder Phase der Arbeit nur eine Tür entfernt und immer bereit, zwei Zigaretten lang zu diskutieren. Mein Vater, Rektor i.R. Alfred Metzger, hat die einzelnen Kapitel und schließlich die ganze Arbeit Korrektur gelesen. Ebenso haben sich Pfarrer i.R. Wieland Schubing und das Ehepaar Dr. Jürgen und Dr. Gisela Stölting um das Manuskript verdient gemacht. Ihnen gebührt mein herzlicher Dank.
Im universitären Kontext waren mir Prof. Dr. Friedrich W. Horn, Prof. Dr. Jörg Lauster und Prof. Dr. Michael Tilly wertvolle Gesprächspartner, wofür ich ihnen ebenfalls danke.
Sehr zu danken habe ich der Evangelischen Kirche der Pfalz, die einen großen Teil der Druckkosten übernommen hat. Dies gilt ebenso für den Pfälzischen Bibelverein und den Evangelischen Bund Pfalz.
Weiter danke ich Frau Isabel Johe, Elena Gastring und Vanessa Weihgold vom Francke-Verlag für die verlegerische Betreuung des Manuskripts.
Zuletzt geht mein Dank an meine Frau und meine Kinder, die die Entstehung der Untersuchung mit großer Geduld und zuweilen freundlicher Irritation angesichts akademischer Dispute begleitet und mitgetragen haben.
Sola Scriptura! Allein die Schrift! Diese Wendung bezeichnet einen Kerngedanken reformatorischer Theologie und ist bis heute Kennzeichen der evangelischen Konfessionsfamilie. Allein die Schrift soll die maßgebliche Autorität sein.
Aber: Wollte die Schrift allein sein? Kann sie das sein? Beansprucht sie eigentlich selbst die Autorität, das zu sein, was insbesondere die evangelische Theologie ihr zuweist?
Diese Fragen umreißen die grundlegende Idee der vorliegenden Untersuchung. Sie fragt nach der Autorität, die die Schrift für sich selbst in Anspruch nimmt, und vergleicht diese mit der Autorität, die der Schrift von Seiten der theologischen Theoriebildung zugemutet wird.
Gleichzeitig versucht die Untersuchung, einem bekannten Grundsatz der ökumenischen Diskussion gerecht zu werden: Je näher die verschiedenen Konfessionen Christus kommen, desto näher finden sie auch zueinander. Da Christus unzweifelhaft in den biblischen Texten zu finden ist, da sich sein Antlitz auf ihnen spiegelt, kann das Bemühen um die Autorität der Schrift letztlich nur in einem ökumenischen Horizont geschehen. Es darf deshalb darauf gehofft werden, dass von dieser Untersuchung Impulse für die weitere ökumenische Diskussion ausgehen.
Wenn Autorität diskutiert wird, ist sie bereits beschädigt. Autorität lebt davon, fraglos akzeptiert und anerkannt zu werden. Autorität wird angerufen, bei Diskussionen ins Feld geführt und auf sie wird rekurriert. Autorität entscheidet am Ende verbindlich.1 Deshalb gibt Autorität Halt und Verlässlichkeit. Sobald sie in Frage gestellt wird, verliert sie ihre Funktion.2
Die Autorität der Schrift ist seit der Aufklärung (zumindest im Einflussbereich europäischer Theologie3) massiv in Frage gestellt worden.4 Daraus ergibt sich die Frage, welche Funktion die Schrift im Rahmen der theologischen Urteilsbildung einnimmt bzw. inwiefern sie für die Urteilsbildung eine oder die entscheidende Autorität darstellt.5 Durch diese Frage bewegt sich die Arbeit im Bereich der Fundamentaltheologie, die als wissenschaftliche „Selbstauslegung des Glaubens“6 verstanden wird.7 Gleichzeitig ist damit das Feld der Konfessionskunde und der ökumenischen Theologie betreten, in dessen Kontext die Frage eingebettet wird. Die Antwort auf diese Frage wird allerdings in exegetischer Perspektive gesucht.
So verbindet die Untersuchung verschiedene Arbeitsbereiche der Theologie miteinander,8 um so einen neuen Impuls zur Fragestellung vor allem im Hinblick auf die ökumenische Diskussion und die Bedeutung der neutestamentlichen Wissenschaft für die Konfessionskunde zu finden. Damit folgt sie der sowohl von kirchenleitenden Personen wie auch ausgewiesenen Ökumenikern gewonnenen Einsicht, dass sich die christlichen Konfessionen nur dann einander annähern können, wenn sie sich über die Bedeutung der Schrift im Klaren sind;9 denn „ohne eine Verständigung über die Autorität der Heiligen Schrift sind weitere Schritte aufeinander zu nicht möglich.“10 Zu diesem Ziel möchte die Untersuchung einen Beitrag leisten.
Die zentrale Idee, der sie sich verpflichtet weiß, wird dabei im Haupttitel ausgedrückt: Sie über sich! Diese Formulierung zeigt bereits die Herausforderung an, die durch die fundamentaltheologische bzw. konfessionskundliche Frage und die exegetisch zu suchende Antwort gegeben ist.
Die Fundamentaltheologie bestimmt in ihrem Interessensbereich die Frage nach der Schrift als die nach der „Quelle der Theologie“ und muss sie deshalb auch als ein Problem des Kanons diskutieren.11 Aus der „Bibel“ wird die (Heilige) „Schrift“.12 Die Fundamentaltheologie diskutiert folglich die Fragen, wie und warum die biblischen Texte als „Heilige Schrift“ anzusehen sind. Damit hängt die Frage zusammen, ob die Bibel als Ganze „Heilige Schrift“ darstellt oder ob es einen „Kanon im Kanon“ geben darf, der eine höhere Autorität besitzt als andere Schriften. Dieser Kernbestand kann historisch aufgefasst werden, etwa mit einer gewissen Nähe zu den Ereignissen, die in den Texten überliefert werden.13 Er kann aber auch sachlich-theologisch begründet werden. So kann z.B. den Evangelien aufgrund ihres Inhalts eine höhere Dignität zugesprochen werden als den Briefen.14 Schließlich muss die Fundamentaltheologie klären, ob „die kanonische Bedeutung als maßgebende Quelle der Begegnung mit der Offenbarung exklusiv nur für die biblischen Schriften zu behaupten“15 ist, sprich: Kann es noch andere Quellen der Offenbarung geben?16 Diese Frage wiederum führt bereits in den ökumenischen Horizont der zu verfolgenden Fragestellung hinein. Denn dort geht es um die Frage, ob z.B. die Überlieferung der Kirche wesentlich zur Schrift hinzutreten kann und ob es eine Instanz geben muss oder darf, die die Schrift autoritativ und vielleicht infallibel auslegen darf.17
In exegetischer Perspektive löst sich die „Heilige Schrift“ aus methodischen Gründen zunächst prinzipiell in die Vielzahl ihrer Texte auf.18 Sie wird (wieder) zur „Bibel“. Der Exegese geht es folglich darum, „die für den christlichen Glauben unhintergehbaren Ausgangstexte in ihrem geschichtlichen Kontext für die gegenwärtige theologische Theoriebildung und für die gegenwärtige kirchliche Praxis verständlich zu machen.“19 Erst von der Vielstimmigkeit her werden die übergeordneten Linien diskutiert und nach dem Zusammenhalt der Textsammlung gefragt. Dieser kann für die ganze Bibel in der gemeinsamen Bezeugung des Glaubens an Gott bestimmt werden20 oder im Hinblick auf das Neue Testament als „common focal point“, als „interpretative unity“21 bezeichnet werden, die darin besteht, dass die neutestamentlichen Texte eine christologische Ausrichtung aufweisen.
Der Begriff „(Heilige) Schrift“ ist demnach exegetisch nur vorsichtig zu verwenden, da er das Ergebnis fundamentaltheologischer Überlegungen darstellt. Er setzt letztlich also eine Kirche voraus, die in den biblischen Texten ihre „Heilige Schrift“ erkennt.22 Als Arbeitsbegriff ist er exegetisch deshalb kaum brauchbar.
„Sie über sich“ drückt also nicht nur die zentrale Idee der Untersuchung aus, sondern zeigt zugleich die Problematik der Verbindung der verschiedenen Teildisziplinen an. Der Untertitel präzisiert deshalb das Anliegen der Arbeit und gleichzeitig die exegetische Perspektive, die die Durchführung bestimmt. Die Untersuchung will mit Hilfe einzelner biblischer Texte die Autorität zur Sprache bringen, die diese Texte selbst für sich in Anspruch nehmen und sie so in die ökumenische Diskussion über sich einbringen.23 Dies scheint im bisherigen Verlauf der Diskussion nicht in ausreichendem Maß der Fall gewesen zu sein,24 da die Frage nach der Autorität der „Schrift“ vor allem im fundamentaltheologischen oder ökumenischen Bereich geführt wurde, ohne dass dabei die Autorität der einzelnen biblischen „Schriften“ eigens beachtet wurde.25 Es scheint folglich übersehen worden zu sein: „Auch die biblischen Texte selbst verhalten sich zur Frage ihrer Identität, und damit – mittelbar oder unmittelbar – auch Autorität, nicht indifferent.“26 Die Ergebnisse dieser Arbeit werden diese These bestätigen und zeigen, dass die Texte durchaus selbst gewisse Formen von Autorität aufweisen.
Die Autorität der „Schrift“ und die Autorität der (im vorliegenden Fall: neutestamentlichen) „Schriften“ werden also in ein Verhältnis gesetzt27 und zugleich gefragt, ob und welche Autorität sie gegenwärtig beanspruchen können.
Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Beobachtung, dass die verschiedenen Diskussionen zur Schriftautorität in verschiedenen Kirchen die Bibel lediglich als gemeinsamen Nenner zeigen. Konsens ist also, dass sie ein zentrales Thema der theologischen Theoriebildung und der kirchlichen Praxis darstellt.1 Dabei steht vor allem ihre hervorgehobene Verwendung in gottesdienstlichen Vollzügen außer Frage.2 Im Rahmen der theologischen Theoriebildung ist dies praktisch gesehen anders. Dass sie auch hier eine zentrale Rolle spielt, scheint deutlich, da sich alle christlichen Kirchen in irgendeiner Form auf die Bibel als Grundlage ihres eigenen Seins und Handelns berufen.3 Wie sie diese Rolle spielt und welche Facetten dabei bedacht werden müssen, ist hingegen weit weniger bestimmt.4 Grundsätzlich ist dabei eine „increasing tendency to shy away from confident use of the Bible as the principal source for theological judgement“5 festzustellen.6
Trotz der unzureichenden Klarheit, wie in der Gegenwart konkret mit der Bibel umzugehen ist, werden in den Auseinandersetzungen um nahezu alle konkreten Probleme der christlichen Kirchen Bibelzitate als Argumente beschworen oder komplexe biblische Auslegungen als Basis theologischer Argumentationsgänge verstanden. Dabei sind sowohl theoretische wie praktische Vorgehensweisen unterschiedlich,7 doch steht im Zentrum der Gemeinsamkeiten zwischen den Konfessionen eben die Bibel selbst. Deshalb ist sie selbst dahingehend zu befragen, welche Rolle sie sich selbst zuschreibt.8
In dem ersten Hauptteil werden in methodischer, historischer und ökumenischer Perspektive die Grundlagen für die exegetischen Untersuchungen gelegt.
Eine kurze Erläuterung des methodischen Zugriffs der Arbeit eröffnet die Untersuchung. Zuerst werden die verschiedenen semantischen Potentiale des Begriffs „Autorität“ skizziert und dann die Grundidee der Arbeit vorgestellt. Danach wird anhand von drei Fragekomplexen vorgeführt, dass die Diskussion um die Autorität der Schrift kein Glasperlenspiel im theologischen Elfenbeinturm darstellt, sondern konkrete Auswirkungen auf die Wirklichkeit der persönlichen Lebensführung wie auch auf gesellschaftliche Fragen hat. Deshalb hat diese Untersuchung in der Konsequenz auch eine praktische Bedeutung. Als Belege werden die aktuellen Diskussionen um die Frauenordination, das christliche Familienbild und die Haltung zur Homosexualität vorgeführt.
In einem eher historisch ausgerichteten Schritt fragt die Untersuchung sodann, wie es zur Hochschätzung der Bibel vor allem in der evangelischen Konfessionsfamilie gekommen ist. So wird erklärt, warum das hier untersuchte Thema eigentlich einen solch wichtigen Rang für Theorie und Praxis einnimmt.
Daran schließt sich als dritter Schritt ein Überblick über den aktuellen Stand der ökumenischen Diskussion an. Verschiedene konfessionelle Positionen werden skizziert und dabei die wesentlichen Unterschiede erläutert. Damit wird der Horizont abgeschritten, in dem die exegetischen Untersuchungen fruchtbar werden wollen.
Im zweiten Hauptteil werden die Texte exegetisch untersucht, die für diese Untersuchung gewinnbringend sind. Es handelt sich dabei um die hier als „Metatexte“ bezeichneten Perikopen Lk 1,1–4; Joh 20,30–31 (mit Joh 21,24–25) und Apk 1,1–3 (mit Apk 22,6–20).
Das Ergebnis bündelt die einzelnen Untersuchungen und setzt sie mit der gegenwärtigen Diskussion um die Autorität der Schrift in Beziehung. Diese Untersuchung erhofft sich davon, einen neuen Aspekt in diese Diskussion einbringen zu können.
Da es im vorliegenden Zusammenhang nicht darum geht, die komplexe Begriffsgeschichte von „Autorität“ breit auszuführen,1 ist es sinnvoll, den Begriff „Autorität“ so auszudifferenzieren, dass er für die Untersuchung heuristisch sinnvoll erscheint. Deshalb soll er grob in drei Bedeutungen eingeteilt werden.2
Im Zivilrecht des antiken Roms bezeichnet der Begriff „auctoritas“ die Gewährleistung, die z.B. ein Verkäufer für seine Ware übernimmt.1 Eine Person übernimmt damit Verantwortung, entweder für eine andere Person, indem sie für deren Verlässlichkeit bürgt, oder für eine Sache, deren Qualität sie garantiert, oder für eine Aussage, deren Wahrheit sie bezeugt.2 Autorität ist in diesem Sinn erstens immer an die Person gebunden, die sie garantiert, und zweitens abgeleitet von einer anderen Qualifikation der garantierenden Person. Die Autorität wird dabei durch eine besondere „Eigenschaft“ der Person erworben, die unterschiedlich bestimmt sein kann: materieller Reichtum, Amtsvollmacht, Fachwissen, soziale Stellung. Autorität ist demnach in diesem Sinn eine „Ansehensmacht“, eine „indirekte Macht“3, die nicht direkt ausgeübt werden muss. Diese Form der Autorität bleibt konkret auf die sie aufweisende, nicht aber bereits notwendig auch ausübende Person bezogen, was zugleich bedeutet, „daß auctoritas den Grund für ihren Gehorsamsanspruch in sich trägt, daß die Bestimmungsgründe des durch auctoritas induzierten Handelns nicht erörtert zu werden brauchen.“4 In diesem Sinn ist die Anrufung von „Autoritäten“ ein Beweisverfahren für die Richtigkeit einer Aussage5 und funktioniert reibungslos nur „als eingespielte, etwaige Rückfragen neutralisierende Autorität.“6
Als Vorgriff auf die eigentliche Untersuchung kann vermutet werden, dass der christliche Vorstellungshorizont an dieses Verständnis der Autorität anknüpft. Es dürfte klar sein, dass Gott (bzw. Jesus Christus) die eigentliche Autorität darstellt (so z.B. deutlich in Apk 1,1–3). Im Blick auf das Neue Testament wird diese Autorität in Jesus Christus inkarniert. Die erste und eigentliche Autorität des christlichen Glaubens hängt damit an der Person Christi. Sie kann als „charismatische“ Autorität bezeichnet werden, was der Autoritätsbestimmung Max Webers folgt. Dieser bestimmt den dritten Typ einer legitimen Herrschaft als den „charismatischen Charakter“. Er beruht „auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen.“7 Dieser Typ von Autorität steht also am Anfang der christlichen Überlieferungskette. Als charismatische Person garantiert Christus selbst seine Botschaft.8 Da Christus aber innerweltlich nach Tod und trotz Auferstehung nicht verrechenbar ist, sieht sich der christliche Glaube gezwungen, Instanzen zu benennen, in denen diese Autorität greifbar ist. Ihre Aufgabe besteht primär in der Gewährleistung, dass die Botschaft Christi auch ohne ihn garantiert werden kann. Wichtigste Bezugspunkte sind dabei die Texte, die von Christus erzählen und darin und dadurch seine Botschaft tradieren und deshalb letztlich im Begriff stehen, zu einem Kanon formiert zu werden, und die regula fidei, „die als principalis auctoritas bezeichnet werden kann“.9 Welche Autorität die Texte präzise für sich formulieren, ist die grundlegende Frage dieser Untersuchung.
Die inhaltliche Identität der christlichen Botschaft wird von Jesus, dem eigentlichen Inhaber der charismatischen Autorität, an die Apostel weitergegeben und durch diese wiederum der ganzen Kirche. Tertullian, der wesentlich zur Aufnahme des „auctoritas“-Begriffs in die kirchliche Sprache beigetragen hat, vermerkt dazu: „Wir haben die Apostel des Herrn zu Gewährsmännern [auctores], welche nicht einmal selbst nach ihrem Gutdünken etwas auswählten, um es einzuführen, sondern welche die von Christus empfangene Lehre den Nationen getreulich überlieferten.“ (praescr. 6,5)
Die „auctoritas“ Jesu kann also vermittelt werden. Als „auctores“ fungieren dabei die Apostel, die die Gewähr dafür übernehmen sollen, den Inhalt der Botschaft Christi wahrheitsgemäß weiterzugeben. „Traditio und auctoritas rücken damit zusammen.“10 Damit ist in den frühen Auseinandersetzungen um den christlichen Glauben ein Kriterium eingeführt, das sich in der weiteren Kirchengeschichte dauerhaft behaupten sollte: das Prinzip der apostolischen Sukzession.
Tertullian baut auf dieser Beweisführung das Vertrauen in den rechten Glauben seiner Kirche: „Gebt also die Ursprünge eurer Kirchen an, entrollt eine Reihenfolge eurer Bischöfe, die sich von Anfang an durch Abfolge so fortsetzt, daß der erste Bischof einen aus den Aposteln oder den apostolischen Männern, jedoch einen solchen, der bei den Aposteln ausharrte, zum Gewährsmann und Vorgänger hat. Denn das ist die Weise, wie die apostolischen Kirchen ihren Ursprung nachweisen.“ (praescr. 31,1)
Das Problem der personellen Sukzession im apostolischen Amt stellt demnach eine Sicherung von Autorität dar. Es ist der Idee nach der Versuch, die Gewährleistung so weit wie möglich auszuziehen. Doch ist dies bereits zu Tertullians Zeiten historisch nicht nachweisbar und folglich für die Gegenwart in seiner Beweiskraft erst recht unannehmbar. Die apostolische Sukzession wird – je länger sie behauptet wird – zum Glaubenssatz und verliert ihre eigentliche Funktion. Jedes weitere Glied der Kette macht diese historisch gesehen schwächer.11
Der ursprüngliche Sinn der Bewahrung christlicher Identität durch die apostolische Sukzession ist im Laufe der Überlieferung allerdings in den Sog des Begriffs „auctoritas“ geraten, der eine Ausweitung seiner Bedeutung erfahren hat.
Der zweite semantische Gehalt des Begriffs „auctoritas“ stellt eine Ausweitung des zivilrechtlichen Begriffsspektrums dar. In für die spätere Entwicklung, insbesondere für den gegenwärtigen ökumenischen Dialog ungünstiger Weise nähert sich der Begriff im weiteren Verlauf seiner Verwendung dem Vorstellungshorizont der „potestas“ an: Wer Autorität hat, also „Ansehensmacht“, darf auch faktisch Macht ausüben.1
Ein sprechender Beleg für die Entwicklung des „auctoritas“-Begriffs ist das Selbstzeugnis des Kaisers Augustus in seinen „Res Gestae“. Nachdem er nach seinem Dafürhalten die „Flammen des Bürgerkrieges gelöscht“ und Rom wieder auf den richtigen, also seinen Weg gebracht hat, kommt er zu dem Ergebnis: „Post id tempus auctoritate omnibus praestiti, potestatis autem nihilo amplius habui quam ceteri qui mihi quoque in magistratu collegae fuerunt.“ („Seit dieser Zeit überragte ich alle übrigen an Autorität, an Amtsgewalt aber besaß ich nicht mehr als die anderen, die auch ich im Amt zu Kollegen hatte.“; Res Gestae 34)
Zu erkennen ist daran, dass hier der Begriff „potestas“ in das Bedeutungsspektrum von „auctoritas“ eingeht und somit die reine „Ansehensmacht“ ausgeweitet wird. Der Begriff „auctoritas“ wurde dadurch „mehr und mehr zur Bezeichnung der allumfassenden Regierungsbefugnis des Kaisers und zum Rechtsgrund, auf dem seine Regierungsakte, Verfügungen und Entscheidungen auf allen Gebieten beruhten.“2 Jetzt kann derjenige, der über „auctoritas“ verfügt, diese auch direkt ausüben und anderen zur Verfügung stellen. So können Untergebene, Beamte, Diener, Boten in der Autorität des Kaisers auftreten und diese mittelbar ausüben. „Auctoritas“ ist deshalb kaum noch von „potestas“ zu unterscheiden. Deshalb ist es verständlich, dass die Aufgabe der Apostel als „auctores“ nun ebenfalls eine weitere „Eigenschaft“ bekommt. Weil sie diese wichtige Aufgabe haben, kommt ihnen auch Autorität im Sinne von Macht zu. Sie können die Botschaft übermitteln, weil sie das Vermögen und die Macht dazu haben. Dies hat unmittelbare Konsequenzen für das Verständnis der apostolischen Sukzession.
Sobald der Bischof als Nachfolger der Apostel verstanden wird, deren Autorität er geerbt hat, ist er in der Lage und der Pflicht, sich nicht nur als Verkünder, sondern auch als Bewahrer des Evangeliums zu sehen. Der Bischof kann und muss deshalb nicht nur „die Authentizität der Tradition, den Wahrheitsanspruch der Botschaft garantieren“,3 er kann daraus auch seinen eigenen Anspruch auf Führung der Kirche ableiten. Der Bischof tritt damit an die Stelle kaiserlicher Beamter, die ebenfalls eine abgeleitete Form der Autorität innehaben.
Der immens wichtige Unterschied zu ihnen besteht aber darin, dass kein Kaiser über dem Bischof steht, sondern der allenfalls im Geist präsente Christus. „Somit zeigt die Bedeutungsgeschichte in der lateinischen Patristik durchaus eine deutliche Analogie zur Begriffsentwicklung in der kaiserzeitlichen Amtssprache des (nichtchristlichen) Staates.“4
Dieser Aspekt der „auctoritas“ ist seitdem in der Kirchengeschichte immer präsent und oftmals problematisch. So kann man das Ringen um die Vorherrschaft zwischen Kaiser und Papst (Investiturstreit) im weltlichen Bereich5 genauso dazu zählen wie die Frage nach der Macht innerhalb der Kirche, was sich im Mittelalter z.B. als Kampf zwischen Papst und Konzil ausdrückt,6 aber auch viele weitere Konfliktfelder im Rahmen verschiedener Armutsbewegungen (z.B. der Waldenser) oder frühreformatorischer Bewegungen (z.B. der Hussiten) befeuert. Außerdem lässt sich die gesamte mittelalterliche Diskussion um das Verhältnis von „auctoritas“, „ratio“ und „experientia“, im Grunde also die auch heute noch relevante fundamentaltheologische Frage nach den Erkenntnisquellen der Offenbarung und des Wissens, in diesen Horizont einzeichnen.7 Auch die bis heute schwelende problematische Bestimmung von theologischer Wissenschaft und kirchlichem Lehramt hängt mit dieser, spätestens seit dem Mittelalter virulenten Frage zusammen.8 Ebenso lässt sich „das Geschehen der Reformation […] als ein weitreichender Autoritätenkonflikt verstehen, ausgelöst durch radikale Umwertungen innerhalb des traditionellen Autoritätengefüges.“9 Letztlich lassen sich die heutigen Streitigkeiten um die Autorität der Schrift genau an diesem Punkt anschließen: Wenn die Schrift Autorität hat, wie übt sie dann ihre Gewalt aus?
Ein dritter Bedeutungsgehalt von Autorität hängt mit der „potestas“-Problematik zusammen. Dieser Bedeutungsgehalt macht im Zuge der Neuzeit auch die Autorität an sich verdächtig. Es bricht sich deutlich die neuzeitliche Skepsis Bahn, wenn Autorität als „abergläubisches Vertrauen auf Lehrer und Traditionen [verstanden wird], das sich nicht durch Vernunft oder Erfahrung legitimieren lässt.“1
Im Zuge der Aufklärung ist daher jede Autorität suspekt, die sich nicht durch die eigene Vernunft bewahrheiten lässt. Akzeptiert wird sie deshalb nur noch als „Gesellschaftsvertrag“. Nur im gegenseitigen Einverständnis – so das Ideal – lässt sich Autorität legitim ausüben. Nun ist verständlich, dass man sich Autorität erwerben und diese von anderen anerkannt oder gar verliehen werden muss.2 Weithin anerkannt wird deshalb vor allem die fachliche Autorität, „die durch spezielles Wissen und erlernte Fähigkeiten geprägt ist.“3 Autorität wird also demjenigen zugestanden, der durch Kompetenz ausgewiesen wird. Hier scheint ein Autoritätsverständnis auf, das in der Diskussion um die Schriftautorität eine besondere Rolle spielen wird.4
Jegliche Autorität hat sich also erstens vor dem Forum der Vernunft und der Gesellschaft zu verantworten und muss zweitens gegenseitig anerkannt sein.5 Autorität ist demnach davon abhängig, dass sie bejaht wird und muss deshalb von denjenigen akzeptiert und gewollt sein, über die Autorität ausgeübt wird. So wird die Autorität eines Arztes aufgrund seiner fachlichen Qualifikation von denen anerkennt, die sich von ihm behandeln lassen. In dieser Beziehung wird Autorität zu einem „Relationsbegriff“.6
Wenn dies im gesellschaftlichen Bereich akzeptiert ist, verwundert es nicht, dass der Autoritätsbegriff auch im engsten menschlichen Beziehungsbereich, der Familie, neu bestimmt werden muss. Dieser Prozess ist bis in die Gegenwart hinein nicht abgeschlossen und wird vor allem in der Pädagogik unter Stichworten wie „antiautoritäre“ oder „autoritative Erziehung“ diskutiert.7
Autorität wird aber sowohl in gesellschaftlicher wie persönlicher Hinsicht nun in einem kommunikativen Geschehen verortet.8 Dies ist bereits bei Augustin im 4. Jh. n. Chr. zu beobachten, der die Notwendigkeit von Autorität im Vorgang des Lernens erkennt: „Zur Erkenntnis gelangen wir mit gleicher Notwendigkeit auf einem doppelten Wege, nämlich auf dem der Autorität und dem der Vernunft. Der Zeit nach geht die Autorität vor, der Sache nach aber die Vernunft.“ (De Ord. 2,26)9
Autorität hat demnach in erster Linie eine propädeutische Funktion. Es geht nicht um Gehorsam oder das Unterwerfen unter eine fremde Macht, sondern um das Vertrauen, das notwendig ist, um zu lernen und zu eigenständigen Positionen zu kommen. Autorität ist demnach lediglich – aber notwendig – der Anfang des Lernens.10 Sie ist die erste Stufe eines Prozesses, in dem sich die eigentliche Autorität erst aufbaut.
Autorität ist also drittens ein relationaler Begriff. Er bedeutet, dass Autorität von einer Gruppe von Menschen verliehen und akzeptiert werden muss. Autorität wird demnach gemacht und dann bestätigt. Letztlich gilt dann: „Autorität bewährt oder blamiert sich in der Kommunikation.“11
Als letzter Punkt ist zu notieren: Der Begriff „Autorität“ kommt im Neuen Testament nicht vor. Allerdings lassen sich Fragen aufzeigen, die damit zusammenhängen und in den Bereich der späteren Kirchengeschichte ausstrahlen. Drei Fragen ragen dabei in ihrer Bedeutung heraus:
Erstens: Wenn Autorität als Gewährleistung verstanden wird, dann ist zu fragen: Wer übernimmt die Gewähr dafür, dass Christus und seine Botschaft nicht verfälscht werden? Wenn Christus als Person die unhinterfragbare Autorität in der Kirche darstellt, wie lässt er sich erreichen? Wie kann Christus in der und für die Kirche zur Sprache kommen? Diese Frage dreht sich also um die Frage nach der Offenbarung und ihrer Vermittlung.
Zweitens: Wenn Autorität im Sinne von Macht verstanden wird, dann ist zu fragen: Obwohl Christus die eigentliche Macht ausübt, muss sich die Kirche dazu verhalten, wie sie diese umsetzt. Sie muss sich fragen, ob und mit welcher Begründung es eine abgeleitete Form der Autorität gibt, die dazu berechtigt, im Namen Gottes Macht auszuüben. Schließlich muss sie diese Macht dann auch jemandem (Papst?) oder einer Institution (Synode?) zuweisen. Wenn mit der Autorität die Macht in der Kirche verbunden ist, wer darf sie ausüben?
Drittens: Wenn Autorität im Sinne eines Vertrages verstanden wird, ist zu fragen: Wer (die Gläubigen? Christus?) überträgt wem (Amtsträger?) oder was (Schrift?) Autorität und auf welcher Grundlage? Wie weit reicht diese Vertragsautorität? Gibt es eine Kompetenz, die sie letztlich verstetigt und dem Vertragsverhältnis enthebt?
Konkret müsste gefragt werden, ob sich eine vorläufige Vertragsautorität zu einer anderen Form von Autorität wandeln lassen kann und unter welchen Bedingungen. Bezogen auf die Diskussion zwischen evangelischer und römisch-katholischer Kirche müsste diese Alternative konkret so formuliert werden: Liegt es in der Kompetenz des Lehramtes, die Autorität zu garantieren oder kann (und muss) die Schrift selbst ihre Kompetenz erweisen?
Diese drei Ebenen müssen unterschieden, können aber in der Praxis nicht klar getrennt werden, weil ihre Bedeutungen zusammenhängen und deshalb zuweilen – bewusst oder unbewusst – vermischt werden. Blickt man auf die Praxis der Kirchen, kann beispielsweise einer Person eine autoritative Stellung zugeordnet werden. Hat dieser Vorgang dann rein funktionale Gründe? Weil sie predigen soll? Dann wäre in erster Linie die erste Bedeutungsebene berührt. Oder gehört die autoritative Stellung als Amt zum Kirche-Sein zwingend dazu? Das tangiert die zweite Bedeutung von Autorität, weil damit das Amt an sich nicht nur eine Dienstfunktion, sondern auch eine Machtposition einnimmt. Die dritte Ebene wird berührt, wenn gefragt wird, wer das Amt verleihen darf. Ist dies eine demokratische Wahl? Dann wäre der „Gesellschaftsvertrag“ gegeben. Ist sie dies nicht, wäre eher an Autorität als Machtausübung zu denken, die sich wiederum legitimieren müsste.
Man kann diese verschiedenen Ebenen von Autorität also gut an der Frage nach dem Amt in der Kirche exemplifizieren. Nicht umsonst steht hier die apostolische Sukzession in ihrer Bedeutungsverschiebung von reiner inhaltlicher Nachfolge zur Nachfolge im machtvollen Amt im Blickpunkt.1 Allerdings verweisen die Beispiele letztlich auf das Problem, auf welcher Grundlage die „Amtsfrage“ beantwortet werden kann. Wenn auf die Schrift verwiesen werden soll, stellt sich auch diesbezüglich die Frage, welche Autorität der Schrift zukommt.
Damit ist die vorliegende Untersuchung – wiederum im Vorgriff – an ihrer zentralen Fragestellung angelangt. Erheben die neutestamentlichen Texte selbst einen Anspruch auf Autorität? Und wenn ja: welchen?
In ethischer, historischer, konfessionskundlicher und ökumenischer Hinsicht ist die Frage nach der Schrift wesentlich. Genauer die Frage nach ihrer Stellung im Zusammenspiel theologischen Erkennens und Argumentierens: Welche Autorität hat die Schrift? Und wie ist diese Autorität in die Diskussion einzubringen?
Die vorliegende Arbeit kann diese Fragen sowohl in ökumenischer als auch in fundamentaltheologischer Hinsicht nicht ausführlich behandeln oder gar beantworten. Lediglich ein Mangel der bisherigen Diskussion über die Autorität der Schrift soll aus exegetischer Perspektive behoben werden. Es scheint nämlich bei der Durchsicht der verschiedenen Diskussionsbeiträge zum Thema so, als ob zumeist aus dogmatischer Perspektive über die Schrift und ihre Autorität gehandelt wird, aber nicht aus der Sicht der Schrift selbst.1 Auf einen Nenner gebracht: Es wird über die Schrift geredet, aber nicht ausgehend von ihrem eigenen Anspruch. Die Diskussion wird nicht von ihren eigenen Aussagen über sich selbst her geführt.
Dies soll im vorliegenden Zusammenhang behoben werden. Damit folgt die Untersuchung dem klassischen, vor allem im Protestantismus anzutreffenden Reflex, die Bibel in allen möglichen Zusammenhängen zu befragen. Nur über sich selbst wurde die Bibel bislang nicht eingehend und methodisch verantwortet befragt.2 Dies ist die Grundidee der Untersuchung, wenn sie die Frage stellt: Welche Autorität beansprucht die Schrift selbst für sich?3
Um nicht Gefahr zu laufen, eine anachronistische Fragestellung an die Texte heranzutragen, kann im weiteren Verlauf der Untersuchung allerdings nicht mehr von „der Schrift“ die Rede sein, da dies die theologische Entscheidung bereits voraussetzt, dass „die“ Kirche „diese“ Texte der „Bibel“ als ihre „Schrift“ ansieht. Dies war aber zur Zeit der Abfassung der Texte nicht oder kaum im Bewusstsein ihrer Autoren.4 Der Zusammenhang von Kirche und Schrift ist dementsprechend in der dogmatischen Diskussion zu beachten.
Da im Fortgang der Untersuchung die Kirche als Leserin der Texte nicht weiter beachtet werden kann, sei es aus der methodischen Überzeugung der historisch-kritischen Methode heraus, sei es, weil von „der Kirche“ zum Zeitpunkt der Textentstehung in historischer Hinsicht noch nicht geredet werden sollte, müssen die biblischen Texte aus sich selbst heraus verstanden werden.5 Exegetisch korrekt ist daher zu formulieren: Welchen Autoritätsanspruch erheben die biblischen Texte für sich selbst?6
Da die biblischen Texte zu umfangreich sind, um im Rahmen einer Untersuchung vollständig in den Blick genommen werden zu können, sollen drei Konzentrationen helfen, einen sinnvollen ersten Zugang zum Thema zu finden.
Erstens soll sich die Frage nur auf Texte des Neuen Testaments konzentrieren. Dies legt sich nahe, da sich die christliche Theologie in besonderer Weise dieser Textsammlung verdankt. Diese erste Einschränkung bedarf einer kurzen Begründung, da damit die Frage nach dem Stellenwert des Alten Testaments für die christliche Theoriebildung und dessen Verhältnis zum Neuen anklingt.
Nachdrücklich wurde diese Frage in jüngster Zeit von Notger Slenczka aufgeworfen, der fragt „ob das Alte Testament eine normative Bedeutung für die christlichen Kirchen hat oder haben kann“.1 Er nimmt im Gespräch mit der alttestamentlichen Wissenschaft2 die unzweifelhaft historisch richtige These auf, wonach der alttestamentliche Kanon „den Ausdruck des Glaubens des nachexilischen Judentums“3 fixiert und bestimmt somit das Alte Testament als „den Ort […] einer religionsgeschichtlichen Voraussetzung des christlichen Glaubens“.4 Slenczka plädiert aus Gründen der historischen und intellektuellen – aber letztlich auch theologischen – Redlichkeit für eine „Rückübereignung des AT an das Judentum“5 und steht dem „Recht zur Aneignung des Alten Testaments als christliche[m] Buch“6 äußerst skeptisch gegenüber. Ist das Alte Testament also nur „die Identität stiftende Urkunde einer anderen Religionsgemeinschaft“?7 Eine normative Funktion könne das Alte Testament daher im Rahmen der christlichen Theoriebildung bestenfalls dann erheben, wenn seine Aussagen „einen genuinen Ausdruck des christlich frommen Selbstbewusstseins“8 darstellten.
Zwei Perspektiven sind in dieser Fragestellung grundlegend zu unterscheiden. Erstens muss in historischer Sicht anerkannt werden, dass das Alte Testament an sich kein Zeugnis für Jesus von Nazareth als Christus ablegen kann, weil seine Texte vor Christi Geburt geschrieben wurden. Historisch ist deshalb richtig, dass das Alte Testament Ausdruck des Glaubensbewusstseins des Antiken Judentums darstellt.9 Dass die werdende und frühe Christenheit weitere Schriften dem Alten Testament in einem eigenen Kanonteil an die Seite stellt, zeigt historisch aber auch, dass die Notwendigkeit weiterer Texte gegeben war, um das Besondere des Glaubens an Jesus Christus auszusagen. Das Alte Testament genügt also nicht, um das genuin Neue, das sich in Christus ereignet, auszusagen.10 In historischer Hinsicht gibt es keinen Zweifel daran, dass die jüdischen Texte „als Deutehorizont und Sprachwelt zum Ausdruck der eigenen neuen Erfahrungen“11 herangezogen wurden. Dadurch entledigten sich die frühen Christen der Notwendigkeit, tradierte Glaubensüberzeugungen (Monotheismus, Schöpfung) eigens aufzuzeichnen. Die jüdische Vorstellungswelt, die in diesen Texten präsent ist, wird also von Anfang an als unverzichtbar für den christlichen Glauben akzeptiert und damit das Alte Testament – wenn auch im Vergleich zum Judentum in unterschiedlichen Sprachen und Textkorpora12 – zum unverzichtbaren Teil der entstehenden christlichen Bibel erklärt.
Die zweite Perspektive, die mit dieser historisch gewachsenen Entscheidung verknüpft ist, fragt nach dem Verhältnis der beiden Textkorpora im Hinblick auf Normativität und Autorität von biblischen Texten im Verhältnis zueinander.
Eine Leitlinie, die wohl als Grundkonsens evangelischer13 und römisch-katholischer14 Theologie bezeichnet werden darf, besagt, dass das Alte Testament im Lichte des Christusgeschehens gelesen werden muss und nur in diesem Licht auch Christuszeugnis darstellt.15 Das Neue Testament hingegen thematisiert das eigentliche Christusgeschehen, das wiederum Ausgangspunkt und Grundlage des spezifisch christlichen Glaubens darstellt. Das Alte Testament bildet damit den Horizont, in dem versucht wird, das Ereignis zu verstehen. Damit trägt es gleichzeitig maßgeblich zu dessen Verständnis bei und bildet es somit auch aus.16 Insofern ist es sachgemäß, das Christusereignis, dessen Zeugnis in erster Linie das Neue Testament darstellt, als hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis des Alten Testaments als christlichem Zeugnis zu verstehen.17
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist für die vorliegende Untersuchung deutlich, dass der Ansatz der Autoritätsfrage zunächst im Neuen Testament zu suchen ist. Von daher erst kann dann in einem möglichen zweiten Schritt über die Autorität des Alten Testaments für die christliche Theoriebildung nachgedacht werden.
Eine zweite Konzentration wird innerhalb des neutestamentlichen Kanons vorgenommen.
Es bietet sich nicht an, die Frage der Schriftautorität in erster Linie im Hinblick auf die Briefliteratur des Neuen Testaments zu stellen. Diese Einsicht verdankt sich zunächst einer formalen Abgrenzung hinsichtlich der Gattung. Briefe stellen eine andere Kommunikationsform als die Evangelien und die Offenbarung des Johannes dar und setzen eine andere Kommunikationssituation voraus.1 Während Briefe eine „dialogstiftende und kommunikationsstabilisierende Funktion“2 aufweisen und den abwesenden Dialogpartner ersetzen,3 also ein Ersatz für die mündliche Rede darstellen,4 sind Evangelien und Offenbarung eher als eine „lineare Kommunikationsform“5 aufzufassen. Das heißt nicht, dass Evangelien und Offenbarung keine kommunikative Funktion haben, sondern lediglich, dass ihre Kommunikationssituation eine andere ist. Sie richten sich nicht nur an die Adressaten, die bei der Abfassung des Briefs vor Augen stehen, sondern haben einen grundlegend weiteren Horizont.6
Evangelien und Offenbarung sind bereits von Anfang darauf angelegt, als eigenständiges Werk, als Buch gelesen und gehört zu werden.7 Um das zu erreichen, brauchen sie eine andere Autorität als ein Brief. Denn Briefe funktionieren anders. Sie sind Teil einer beabsichtigten Kommunikationssituation, die entweder bereits vorher auf anderem Wege initialisiert wurde oder durch den ersten Brief begründet werden soll. „Die kommunikative Korrespondenzfunktion macht den Brief zum Brief.“8 Seine Situation bedingt, dass sein Autor in Erscheinung tritt. Dies ist bei den anonym überlieferten Evangelien nicht der Fall. Damit der Brief gelesen wird, muss beim Leser der Wunsch nach der Lektüre des Briefes geweckt werden. Dies erklärt, warum ein Brief eine gewisse Autorität für sich beanspruchen muss: damit der Leser ihn lesen will. Briefe, die darüber hinaus den Anspruch erheben, als autoritative Texte Anerkennung zu finden, sind deshalb direkt damit beschäftigt, auch die Autorität ihres Autors zu sichern, wobei der Autor dann wiederum die Autorität des Textes verbürgt. Ganz deutlich ist dies zu sehen, wenn z.B. Paulus in seinen Briefen die Legitimität seines Apostolats herausstellen muss (Gal 1,1; 2.Kor 10–12), um so Gehör für seine Texte zu schaffen.9 In diesem Sinn erhebt Paulus „fraglos kanonische, d.h. Norm setzen wollende Autorität“10 und bindet damit die Sache des Evangeliums auch an seine Person.11
Bei den pseudepigraphen Briefen12 des NT ist die Schaffung der Autorität des Autors durch Übernahme einer fremden Autorität ein wesentlicher Grundzug der angestrebten Kommunikation.13 Gleiches gilt grundsätzlich für einen weiten Teil der apokalyptischen Literatur.14 Eine Ausnahme stellt hierbei wahrscheinlich die Offenbarung des Johannes dar, die wahrscheinlich wirklich von einem Menschen namens Johannes verfasst wurde.15
Da sich die vorliegende Untersuchung vor allem aber für die Rolle der Schrift im Kontext der christlichen Theoriebildung und Lebensdeutung interessiert, sind eher Texte zu beachten, die einen narrativen Zusammenhang entfalten, in dem sich die Leser und Hörer selbst verstehen sollen. Die Evangelien und die Apk „als Spezialfall der autobiographischen Erzählung“16 bieten sich daher an.17 Sie bilden in dieser Hinsicht den Gründungsmythos des christlichen Selbst- und Weltverständnisses ab und begründen ihn damit.18 Briefe setzen diesen Zusammenhang aber bereits voraus und argumentieren in dessen Horizont. Insbesondere die Evangelien und in abgestufter Weise auch die Offenbarung stellen ihren Lesern demnach einen Horizont vor Augen, in dem sie sich selbst verstehen sollen. Von daher entwerfen sie einen Verstehenszusammenhang, der die Grundlage christlicher Lebensdeutung herstellt. Dies entspricht dem Zielpunkt dieser Arbeit, weshalb es neben den pragmatischen Erwägungen gerechtfertigt erscheint, die Briefliteratur für diese Untersuchung auszublenden.
In dieser Arbeit sollen Texte untersucht werden, die sich mit sich selbst beschäftigen.1 Sie sollen Auskunft darüber geben, warum oder mit welchem Zweck sie geschrieben wurden. Sie stehen mit dem Korpus des Werkes in engem Kontakt, kommentieren es, weisen aus, warum es geschrieben wurde und weshalb es verdient, Gehör zu finden.
Entscheidend ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung dabei, dass sie sich „an der Selbstbeschreibung des Textes orientiert“.2 Ein zu beobachtendes und zu beschreibendes „Textoberflächenphänomen“3 steht damit im Fokus des Interesses. Fragen nach der Erlebnisechtheit von Offenbarungen werden folglich genauso außen vor gelassen wie solche nach der Historizität des Erzählten.4 Mit dieser Konzentration werden alle Aspekte ausgeblendet, die sich auf außersprachliche Wirklichkeit beziehen. Beschrieben werden soll nur der Anspruch der Texte auf Autorität, nicht aber ob dieser Anspruch bei den Adressaten wirklich verfangen hat.5
Gleichfalls werden die Behauptungen der Texte nicht auf ihren Wirklichkeitsbezug untersucht und damit wird kein Urteil darüber abgegeben, ob die Texte gerade im Hinblick auf Apk 1,1–3 „wirklich“ von Gott gegeben sind. An diesem Punkt kann diese Untersuchung deshalb auch in keiner Weise methodisch ansetzen.6
Gemäß den Bestimmungen von Gérard Genette können die Texte, die zu untersuchen sein werden, auch als Paratexte bestimmt werden.1 Lk 1,1–4 müsste dann als Vorwort angesehen werden, das dazu dient, den Leser „durch einen typisch rhetorischen Überredungsapparat festzuhalten.“2 Joh 20,30–31 dürfte als Nachwort anzusprechen sein3 und Apk 1,1–3 wäre in seinem Sinn als thematischer Titel der Apk zu bestimmen.4
Die Untersuchung wird allerdings zeigen, dass die untersuchten Texte zwar wie Paratexte dem Werk beigeordnet (z.B. als Überschrift oder Vorwort5) sind, oft also die Schwelle markieren,6 die es zu übertreten gilt, um in das Werk hineinzugelangen (Lk 1,1–4; Joh 20,30–31) oder aus ihm herauszukommen (Joh 20,30–31), dies aber immer so vornehmen, dass auf das jeweilige Werk in kommentierender Absicht Bezug genommen wird, was wiederum einem Metatext entspricht.7 Gegen die Verwendung der Bezeichnung Paratext spricht im vorliegenden Fall, dass die zu besprechenden Texte nicht wie bei anderen Literaturwerken, die Genette vor allem zur Bestimmung seiner Kriterien heranzieht, deutlich als deren Rahmen abgegrenzt sind (eben deutlich als Titel oder Vor- und Nachwort), sondern bei den biblischen Texten „ins Kontinuum eines grösseren Zusammenhangs eingelassen sind.“8
Außerdem trifft auf diese kanonisch gewordenen Texte nicht zu, was bei Paratexten zu erwarten wäre. Im Gegensatz zum eigentlichen Text, der nach Genette „unwandelbar und als solcher außerstande [ist], sich an die Veränderungen seines Publikums in Raum und Zeit anzupassen“,9 leisten Paratexte genau das: „Der flexiblere, wendigere, immer überleitende, weil transitive Paratext ist gewissermaßen ein Instrument der Anpassung.“10 Deshalb kann und soll er sich in der Überlieferung des Werkes immer wieder wandeln, um dem Werk zu jeder Zeit dienlich sein zu können. Diese Flexibilität, die dafür sorgt, „dass der wesentlich stabilere Haupttext mit dem diachronen Wandel Schritt hält“,11 fehlt den biblischen Texten. Vielleicht ist im Zuge ihrer eigenen Kanonisierung ihr ursprünglich paratextueller Charakter, der aber vor allem für Apk 1,1–3 behauptet werden kann, verloren gegangen, sodass sie letztlich als Metatext angesehen werden müssen. In jedem Fall geht es also um die metakommunikative Funktion der Texte.12
Um nun drittens eine einheitliche und in der Exegese verbreitete Begrifflichkeit zu verwenden,13 sollen die Texte, die die beschriebenen Voraussetzungen aufweisen, daher als „Metatexte“ bezeichnet werden, da es der Untersuchung darauf ankommt, die kommentierenden, also selbstexplikativen Aussagen zu beschreiben.
Mit dieser Entscheidung geht eine weitere Konzentration einher, die sich aus inhaltlichen Gründen nahelegt. Die Leitfrage schließt Texte aus, die nicht erkennbar über sich selbst nachdenken, sondern von anderen Texten sprechen. In diesem Fall sind solche Texte keine Metatexte im Sinne dieser Untersuchung, da sie nicht ihre eigene Genese offenlegen, ihre eigene Absicht beschreiben und keine Autorität für sich selbst erheben.
Dies dürfte bei den „klassischen“ Stellen der Fall sein, die – meistens in dogmatischen Zusammenhängen – angeführt werden, wenn das Thema der Schriftautorität berührt wird.1 Röm 15,4; 2Tim 3,16 und 2Petr 1,20 werden demnach nicht nur deshalb von dieser Untersuchung ausgeschlossen, weil sie der Briefliteratur zugehörig sind, sondern auch weil sie nicht über sich selbst sprechen, sondern über die Texte ihrer „Heiligen Schrift“, also über historisch nur schwer exakt greifbare Varianten des Textcorpus, das man gewöhnlich „Altes Testament“ nennt.2
Röm 15,4 bezieht sich deutlich auf den zuvor zitierten Psalm 68,10 (LXX) und zeigt durch die Verwendung von προγράφω klar an, dass Paulus nicht an den eigenen Brief denkt.3
2Tim 3,16 bezieht sich gleichfalls nicht auf den 2Tim, sondern trifft eine Aussage über „die heiligen Schriften Israels.“4
Dies gilt auch für 2Petr 1,20, wo es nicht darum geht, den eigenen Brief als „Schrift“ zu qualifizieren, sondern darum, die Auslegung der aus den vorliegenden „Schriften“ Israels entnommenen Prophetie als legitim zu erweisen.5 Außerdem „bezieht er sich intentional auf andere neutestamentliche Briefe und (zumindest) ein Evangelium.“6
Alle drei Stellen beziehen sich also deutlich nicht auf sich selbst, sondern auf ihnen vorgegebene Texte und scheiden deshalb aus der Betrachtung dieser Untersuchung aus.
Da die Leitfrage dieser Arbeit so konsequent wie möglich durchgehalten werden soll, müssen verwandte Themen ebenfalls ausgeklammert werden. Es geht also weiterhin auch nicht darum, wie die neutestamentlichen Autoren mit den Texten umgehen, die ihnen vorliegen und von ihnen als „Heilige Schrift“ anerkannt werden. Der „Schriftgebrauch“ der einzelnen Autoren ist hiermit nicht das Thema dieser Untersuchung.7
Letztlich soll sich die Arbeit auch nicht damit beschäftigen, wie einzelne Texte oder Autoren der Bibel zu Autoritäten in verschiedenen geschichtlichen Zusammenhängen wurden.8 Dieses Thema wäre eher wirkungsgeschichtlich orientiert.
So bleiben lediglich drei Texte,9 die einen Einstieg in die Frage ermöglichen, welche Autorität die neutestamentlichen Erzählwerke für sich selbst beanspruchen: Lk 1,1–4; Joh 20,30–31 (21,24–25); Apk 1,1–3 (22,18–20).10
Diese Texte sollen besprochen werden, weil sie jeweils angeben, warum sie geschrieben wurden. Sie geben damit den eigenen Anspruch explizit zu erkennen und verweisen damit auf die Autorität, die der Text erheben will. Es scheint kein Zufall zu sein, dass die drei Texte in der selben Zeit, wahrscheinlich gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. entstanden sind,11 in einer Zeit also, die auf dem Weg zur Ausbildung eines Kanons zu sein scheint.12
Ökumenischer Konsens besteht darin, dass biblische Texte in gegenwärtigen kirchlichen Diskussionen eine Rolle spielen und auch in Publikationen von kirchenleitenden Gremien1 zum Tragen kommen sollen. Ihnen wird zugebilligt, Orientierung in den diskutierten Fragen zu bieten. Fraglich ist nur, wie dies konkret geschieht, wie also mit ihnen umgegangen wird. Dann zeigt sich trotz aller Konsenspapiere: „Die noch bestehenden Grenzen der Verständigung werden in den Dialogen vor allem dann spürbar, wenn kontroverse Einzelfragen unter Bezugnahme auf das biblische Zeugnis versuchsweise einander angenähert werden.“2 Solche Einzelfragen sind also der Praxistext jeglicher Konsensgespräche. Die Diskussion um drei Einzelfragen wird nun skizziert.
Eine breite Phalanx von Kirchen lehnt die Ordination von Frauen zum geistlichen Amt ab. Darunter sind die römisch-katholische Kirche, die orthodoxen und die altorientalischen Kirchen. Doch auch eine Reihe von Kirchen, die zum Lutherischen Weltbund oder zur Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen zählen, gehören dazu, z.B. die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche, und andere wenige Freikirchen.
Zwei typische Argumentationstypen, die im westlichen Christentum beheimatet sind, sollen hier aus der Breite der Diskussion herausgegriffen und vorgestellt werden.
Spätestens seit dem 2. Vatikanischen Konzil hat sich die römisch-katholische Kirche den exegetischen Wissenschaften und Einsichten geöffnet.1 Dies scheint allerdings nicht in alle Bereiche der Kirche hineingewirkt zu haben.
Papst Johannes Paul II. legt 1994 die dazu bis heute gültige Lehre der römisch-katholischen Kirche in seinem Apostolischen Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“ dar und beruft sich dabei auf Christus selbst: „Christus erwählte die, die er wollte (vgl. Mk 3,13–14; Joh 6,70), und er tat das zusammen mit dem Vater ,durch den Heiligen Geist‘ (Apg 1,2), nachdem er die Nacht im Gebet verbracht hatte (vgl. Lk 6,12).“2 Die angeführten Bibelstellen dienen dem Papst als Belege, die lediglich das bestätigen, was zuvor bereits der Text sagt. Ohne Einordnung in ihren Kontext sollen sie lediglich zuverlässige historische Informationen liefern, auf denen dann die Praxis der Kirche beruht. Theologische Konzeptionen der einzelnen Texte werden dabei außer Acht gelassen. Die Vollmacht der Kirche, Frauen zu weihen oder nicht zu weihen, wird also auf Grundlage von durch die Bibel berichteten und unhinterfragten Tatsachen begründet, und damit der Anspruch formuliert, dass die Kirche „als feststehende Norm die Vorgehensweise ihres Herrn bei der Erwählung der zwölf Männer“3 lediglich nachahmt und deshalb daran festhalten muss.
Als weiteres Argument wird die von der Bibel berichtete Praxis der Apostel genannt. Ihr Vorbild, nur Männer in die eigene Nachfolge zu berufen, werde ebenfalls nachgeahmt. Gleichzeitig wird die Argumentation auf der anderen Seite dadurch gestützt, dass Maria, obwohl als Gottes- und Kirchenmutter ausgezeichnet, eben keine Amtsvollmacht als Frau bekam.
Die römisch-katholische Ablehnung der Frauenordination führt also letztlich drei Argumente ins Feld: „das in der Heiligen Schrift bezeugte Vorbild Christi, der nur Männer zu Aposteln wählte, die konstante Praxis der Kirche, die in der ausschließlichen Wahl von Männern Christus nachahmte, und ihr lebendiges Lehramt, das beharrlich daran festhält, daß der Ausschluß von Frauen vom Priesteramt in Übereinstimmung steht mit Gottes Plan für seine Kirche.“4 Praxis und Tradition der Kirche sind zwei Argumente, die letztlich auf biblischer Überlieferung ruhen, die erstens in eklektischer Auswahl (Röm 16,7 findet keine Erwähnung) und zweitens als Tatsachenbericht herangezogen wird. Dahinter soll die Autorität Christi selbst stehen, dessen durch die biblischen Texte sicher festzustellendes Tun als Gesetz der Kirche aufgefasst wird, wie es zuverlässig wiederum in den Texten selbst überliefert ist. Die biblische Überlieferung wird als sicherer Beweis der Praxis Jesu aufgefasst und auf diesem vermeintlich sicheren Tun Jesu die ganze Lehre der Kirche in diesem Punkt begründet. Das Argument wird in seiner Konsequenz dann recht schlicht: Weil der Priester in Stellvertretung Christi handelt und Christus ein Mann war und nur Männer in seine „Amts-Nachfolge“ berufen hat, können keine Frauen Priester sein.
Damit die Diskussionen in der römisch-katholischen Kirche – aus Sicht des Papstes – endlich verstummen, legt er mit diesem Schreiben definitiv fest: „Damit also jeder Zweifel bezüglich der bedeutenden Angelegenheit, die die göttliche Verfassung der Kirche selbst betrifft, beseitigt wird, erkläre ich kraft meines Amtes, die Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,32), daß die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und daß sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben.“5
Historische „Tatsachen“, belegt durch biblische Zitate, werden also als Argumente in der Diskussion verwandt. Eine Einordnung in ihren sinngebenden Kontext unterbleibt.
Von anderen Voraussetzungen – deshalb zum Teil – einfacher argumentieren die Gegner der Frauenordination, die zum reinen Gehorsam gegenüber der Schrift aufrufen.6 Typisch für diesen Argumentationstyp ist die Diskussion der Problematik durch Helge Stadelmann, den ehemaligen Rektor der Freien Theologischen Hochschule Gießen.
Er erklärt die Frauenordination zu einem „Testfall für Bibeltreue“.7 In einem Vortrag zum Thema fragt er: „Wo findet sich ein biblischer Hinweis dafür, daß Gott für seine neutestamentliche Gemeinde angeordnet hat, Frauen in den Lehr- und Leitungsdienst der Gemeinde zu berufen?“8 Mit zwei Zitaten wird die erwartbare Antwort dann vorbereitet. Unter Verweis auf das wörtliche Verständnis von 1.Kor 14 und 1.Tim 2,11–15 wird das Nein zur Frauenordination auf ein göttliches Verbot begründet: „Nicht etwa die besseren Fähigkeiten des Mannes sind der Grund; auch nicht eine vermeintlich größere Anfälligkeit der Frau für Verführung. Sondern der souveräne Wille Gottes, wie er sich in der schöpfungsmäßigen Zuordnung von Mann und Frau äußert; und Gottes freier Willensentschluß, den er hier nun als neutestamentliche Konsequenz aus der Tatsache des Hörens der ersten Frau auf den Versucher kundtut, das sind die Gründe für dieses göttliche Nein.“9 Stadelmann warnt davor, die Frauenordination zuzulassen, da letztlich – schon bei Paulus selbst – drei Gründe ganz entschieden dagegen stehen: „Der erste Grund ist die übereinstimmende Praxis der Gemeinden […] Der zweite Grund ist, daß diese Verfügung dem entspricht, was schon in der alttestamentlichen Torah steht. […] Der dritte Grund ist – so Paulus – ganz einfach, daß es des Herrn Gebot ist, was ich euch schreibe. Wer aber das nicht anerkennt, wird von Gott nicht anerkannt‘ (Vv. 37b-38).“10
Alle drei Gründe beruhen darauf, biblische Zitate, hier eine Kombination von 1.Kor 14,33–38 mit 1.Kor 11,8–9 und der als „Schöpfungsordnung“ verstandenen Zuordnung von Mann und Frau aus Gen 2,20–24, wörtlich zu verstehen und darauf zu verzichten, sie in ihren soziokulturellen und theologischen Kontext einzubetten. Vor allem der dritte Grund, die Missachtung des göttlichen Gebotes, führt zu einer kaum verhohlenen Drohung: „Wenn heute nicht nur Landeskirchen, sondern auch Freikirchen sich für die Berufung von Frauen als Pastorinnen entscheiden, entscheiden sie sich damit gegen Gottes Wort. Sie setzen damit zugleich Gottes Segen aufs Spiel. Denn wer dieses Wort Gottes zum öffentlichen Lehren der Frau nicht anerkennt, wird von Gott nicht anerkannt. (1.Kor 14,38) Ohne diese Anerkennung Gottes kann eine Gemeinde aber nicht leben!“11 Seine eigene, eingangs gestellte Frage beantwortet er also dezidiert positiv: „Angesichts der biblischen Evidenz spricht manches dafür, das Ja oder Nein zur Frauenordination heute zu Recht als einen Testfall für wirkliche und nicht nur vorgegebene Treue zur Schrift zu sehen.“12
Ähnlich argumentiert Janis Vanags, Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands (LELB), die auf ihrer Synode am 3. und 4. Juni 2016 mit einer Drei-Viertel-Mehrheit beschloss, die Frauenordination wieder abzuschaffen.13 Was für den Lutherischen Weltbund zu einer echten Herausforderung hinsichtlich der Mitgliedschaft dieser Kirche werden dürfte, ist für den vorliegenden Zusammenhang deshalb interessant, weil Vanags zur Begründung dieser Entscheidung auf 1.Kor 14,34–35 verweist, ohne tiefer gehende exegetische Einsichten zu berücksichtigen. Zudem wird ähnlich wie im römisch-katholischen Kontext auf die Berufung der Zwölf Apostel, also ausschließlich Männer, verwiesen, die keine Frauen als Nachfolgerinnen haben dürften.14
Achtet man bei dieser Entscheidung auf die kulturellen Faktoren Lettlands, wonach Liberalität gefährlich für die lutherische Identität sein soll, zeigt sich wieder, dass biblische Texte immer eklektisch als Argument eingesetzt und gerade dort gerne unkommentiert herangezogen werden, wo sie die eigene Absicht untermauern.
Beide Beispiele aus ganz unterschiedlichen theologischen Kontexten zeigen, wie Zitate aus der Bibel in aktuelle Diskussionen umgesetzt werden, ohne dabei die Kontextualität der biblischen Texte zu beachten.
In der Frage der Frauenordination zeigt sich weiter, dass neue Allianzen geschmiedet werden, die sich nicht an den klassischen Konfessionsgrenzen orientieren, sondern ethische Fragen in den Vordergrund rücken. Es gibt im Einzelfall dann keinen Dissens zwischen „evangelisch“ und „katholisch“, sondern eher zwischen „liberal“ und „konservativ.“ Weitere Einzelfragen lassen sich aufzählen.
Darf Familie in christlicher Perspektive mehr sein als Vater, Mutter, Kind? Und wie kann die Bibel bei der Beantwortung dieser Frage helfen?
Eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die 2013 veröffentlicht wurde, beschäftigt sich mit dieser Problematik.1 Darin nimmt die EKD ernst, dass „angesichts gravierender gesellschaftlicher Veränderungen wie sinkender Geburtenraten, dem Wandel der Altersstruktur, veränderter Geschlechterverhältnisse, steigender Scheidungs- und Trennungsraten, weltweiter Wanderungsprozesse, flexibler und mobiler Erwerbsarbeit sowie risikoreicher Arbeitsmarktstrukturen, mit denen sich Familien (je nach ihrem gesellschaftlichen Ort) derzeit auseinandersetzen müssen, […] traditionelle Orientierungen ins Wanken“2 geraten. „Angesichts des tiefgreifenden sozialen und kulturellen Wandels ist auch die Kirche aufgefordert, Familie neu zu denken und die neue Vielfalt von privaten Lebensformen unvoreingenommen anzuerkennen und zu unterstützen.“3 Deshalb plädiert die EKD dafür: „Alle familiären Beziehungen, in denen sich Menschen in Freiheit und verlässlich aneinander binden, füreinander Verantwortung übernehmen und fürsorglich und respektvoll miteinander umgehen, müssen auf die Unterstützung der evangelischen Kirche bauen können.“4 Dies beinhaltet also nicht nur die klassische Klein- oder Großfamilie, sondern verschiedene Formen des Zusammenlebens: „Dabei hat unser Bild von Familie in den letzten Jahren eine Erweiterung erfahren: Familie – das sind nach wie vor Eltern (ein Elternteil oder zwei) mit ihren leiblichen, Adoptiv- oder Pflegekindern, vielleicht erweitert um die Großelterngeneration. Familie, das sind aber auch die so genannten Patchwork-Familien, die durch Scheidung und Wiederverheiratung entstehen, das kinderlose Paar mit der hochaltrigen, pflegebedürftigen Mutter und das gleichgeschlechtliche Paar mit den Kindern aus einer ersten Beziehung.“5
Mit dieser Bestimmung – und vor allem der Frage nach der Homosexualität – hat die EKD ein Problemfeld eröffnet, das so viele Kritiker auf den Plan gerufen hat, dass die EKD sich verpflichtet fühlte, ein öffentliches Symposium durchzuführen.6 Gleichzeitig zeigte sie sich von den kritischen Reaktionen so beeindruckt, dass sie Arbeiten an einer Stellungnahme zur Sexualethik stoppte.7
Ein Kristallisationspunkt der Diskussion bildete die Frage, ob die EKD mit ihrer Orientierungshilfe die Institution „Ehe“ auflösen wolle. Dies wird ausdrücklich in dem Text verneint: „Die Evangelische Kirche in Deutschland würdigt die Rechtsform der Ehe als besondere Stütze und Hilfe: Sie schafft und sichert dauerhaft und folgenhaft die durch ihren Öffentlichkeitscharakter dokumentierte wechselseitige Verantwortlichkeit und Verlässlichkeit, aber auch den Schutz des Schwächeren in der Partnerschaft.“8 Allerdings entspreche andererseits „ein Verständnis der bürgerlichen Ehe als ,göttliche[r] Stiftung‘ und der vorfindlichen Geschlechter-Hierarchie als Schöpfungsordnung […] weder der Breite biblischer Tradition noch dem befreienden Handeln Jesu, wie es die Evangelien zeigen.“9 Mit dieser Bestimmung ist nicht nur die Position zur Ehe dargelegt, sondern auch der Umgang mit der Bibel als autoritativem Text. Die Autorität der Schrift wird nicht dadurch anerkannt, dass aus dem Kontext gerissene Schriftzitate als Belege angeführt werden, sondern durch das Hören auf den „Grundton“ der Bibel: „Durch das biblische Zeugnis hindurch klingt als ,Grundton‘ vor allem der Ruf nach einem verlässlichen, liebevollen und verantwortlichen Miteinander, nach einer Treue, die der Treue Gottes entspricht.“ Gut protestantisch sucht die EKD damit das, „was Christum treibet“10 auf und versucht von daher ihre Konkretionen zu folgern. In methodischer Hinsicht heißt das: „Angesichts der Vielfalt biblischer Bilder und der historischen Bedingtheit des familiären Zusammenlebens bleibt entscheidend, wie Kirche und Theologie die Bibel auslegen und welche Orientierung sie damit geben.“11
Im vorliegenden Zusammenhang soll keine Diskussion um die Ehe an sich geführt werden,12 hier ist entscheidend, dass die EKD für sich sehr wohl in Anspruch nimmt, einen zeit- und schriftgemäßen Umgang mit der Schrift vorzulegen. Dieser Einschätzung widerspricht der Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Michael Diener, wenn er dem Text attestiert, die Bindung „an das Schriftzeugnis in seiner eigenen Klarheit und Priorisierung“13 aufgegeben zu haben. Dagegen wendet sich mit Vehemenz die Hamburger Neutestamentlerin Christine Gerber in ihrem Beitrag zum bereits erwähnten Symposion, die betont, dass eine bestimmte Position nicht dadurch schriftgemäß sei, wenn sie beständig biblische Zitate in ihren Gedankengang einbaut, „sondern durch die Orientierung an Liebe und Gerechtigkeit.“14
Im Rahmen dieser Debatte zeigt sich, dass sich sozialethische Entscheidungen christlicher Kirchen an der Bibel orientieren sollen, die Bibel als Autorität also geachtet wird, aber gleichfalls umso dringlicher, dass kein Konsens darin besteht, wie konkret mit den biblischen Texten in den einzelnen Argumentationsgängen umzugehen ist.15
Gleichzeitig lässt sich die zuvor gemachte Beobachtung der neuen Allianzen wieder nachweisen: Evangelikale Positionen treffen sich mit denen der römisch-katholischen Kirche, während „liberale“ Katholiken sich hier gegen ihr eigenes Lehramt tolerant eingestellt zeigen. Die klassischen Konfessionsgrenzen nehmen in ihrer Bedeutung für das alltägliche Leben hingegen weiter ab.
Ein anderer Kristallisationspunkt der Debatte um das Familienpapier der EKD ist die generelle Stellung christlicher Kirchen zur Homosexualität.
Die EKD stellt in ihrer Orientierungshilfe hierzu fest, dass die Bibel vom „Grundton“ der Liebe her gelesen werden muss und kommt dann zu dem Ergebnis: „Liest man die Bibel von dieser Grundüberzeugung her, dann sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften, in denen sich Menschen zu einem verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten, auch in theologischer Sicht als gleichwertig anzuerkennen.“1 Doch nicht nur homosexuelle Partnerschaften an sich stehen zur Debatte. Vielmehr geht es auch darum, ob Homosexualität generell akzeptiert wird oder nicht doch „geheilt“ werden sollte, ob solche Partnerschaften gesegnet werden dürfen (hier spielt dann wieder die Frage eines allgemein anerkannten Eheverständnisses eine Rolle),2 ob Homosexuelle Ämter in der Kirche übernehmen dürfen (und wenn ja welche) und schließlich ob homosexuelle Geistliche heiraten und „im Pfarrhaus“ leben dürfen.3 Alle Fragen, die mit Homosexualität zusammenhängen, werden einzeln diskutiert und in verschiedenen Konfessionen verschieden beantwortet.4 Gerade die letzte Frage, die in sehr zugespitzter und spezieller Weise das Problem in den Blick nimmt, wurde in der jüngeren Vergangenheit äußerst kontrovers behandelt.5