Siebenmeter für die Liebe - Dora Heldt - E-Book + Hörbuch

Siebenmeter für die Liebe Hörbuch

Dora Heldt

4,4

Beschreibung

Nur Augen für den tollen Sportlehrer Ein spritziger, origineller Teenager-Roman mit Happy-End. Absolute Gute-Laune-Lektüre! - Volltreffer Liebe! Das Jugendbuch von Bestsellerautorin Dora Heldt! - Freundschaft, Schwärmerei und die allererste Verliebtheit - Witzig, spritzig und mit einem Schuss Romantik erzählt Paula ist stinksauer. Der Umzug nach Hamburg ist genauso schlimm wie befürchtet: Der Schulweg ist kompliziert, die Lehrer sind gewöhnungsbedürftig und die Mädchen Großstadtzicken. Und in ihrer früheren Heimatstadt sitzen ihre besten Freundinnen und spielen in der nettesten Handballmannschaft überhaupt. Es ist alles ein Jammer. Doch dann kommt ein neuer Sportlehrer an Paulas Hamburger Schule: Florian Hoffmann. Nicht zu fassen! Paulas ehemaliger Lieblings-Handballspieler bei der Bundesliga. Alle Mädchen sind sofort in ihn verliebt. Aber nur Paula weiß, um welche Berühmtheit es sich bei ihm handelt. Doch nicht nur seinetwegen nimmt Paulas Leben in der Großstadt plötzlich mächtig Fahrt auf.

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Zeit:2 Std. 5 min

Sprecher:Josefine Preuß
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Dora Heldt

Siebenmeter für die Liebe

Deutscher Taschenbuch Verlag

Ungekürzte Ausgabe

2014 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

© 2008 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

eBook ISBN 978-3-423-41073-1 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-71586-7

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website

www.dtv.de/ebooks

Ich hasse Aufstehen

Plötzlich bin ich allein vor dem Tor. Ich springe höher, als ich je zuvor gesprungen bin, lege alle Kraft in den Wurf, sehe den Ball aufs Tor fliegen: rechter Innenpfosten, linker Innenpfosten, Netz. Das Siegtor. Gewonnen. Ja, ja, ja! Wir sind Weltmeister. Die Zuschauer in der Halle toben, trampeln mit den Füßen, der Schiedsrichter pfeift ab und pfeift und pfeift.

»Paula! Bist du taub?« Mit wenigen Schritten ist meine Mutter an meinem Bett und schlägt mit Schwung auf den Wecker. »Es klingelt seit zehn Minuten. Los jetzt, komm hoch, es ist gleich sieben Uhr.«

Ich bin immer noch im Siegestaumel und antworte nicht. Ihre Stimme ist jetzt ein Zimmer weiter. Ich lasse meine Augen zu.

»Anton. Aaanntooon.«

Mein kleiner Bruder hat anscheinend auch keinen Bock, sich aus seinen Träumen zu verabschieden. Leider ist meine Mutter zäh.

»Anton, hallo, aufwachen. Die Sonne scheint.«

Widerwillig mache ich die Augen auf und sehe mich um. Statt Tribünengesängen höre ich Antons Brummen, statt Trikot trage ich ein geringeltes T-Shirt und statt Weltmeister bin ich ein Handballtalent ohne Verein.

Seit zwei Wochen wohnen wir in Hamburg. Mein Vater ist jetzt irgendeine Art Chef in der Zentrale seiner Bank geworden, ich habe extra nicht genau hingehört, was er da nun soll, es ist mir auch total egal.

Weil mein Vater nun Karriere macht, muss die ganze Familie umziehen, 100 Kilometer zwischen Arbeitsplatz und Familie sind angeblich zu viel. Das sagt meine Mutter, die so tut, als wäre der Umzug das Beste, was uns allen passieren könnte. So ein Quatsch.

Ausgerechnet Hamburg! Ich habe tagelang im Internet gegoogelt, Hamburg ist in der Verbrechensstatistik ganz weit oben. Egal was, Morde, Diebstähle, Entführungen, Erpressungen; Hamburg ist immer dabei. Ich habe meinen Eltern mitgeteilt, in was für eine kriminelle Gegend sie uns verschieben wollen, mir wäre es ja egal, aber Anton, der freundliche und arglose Anton ist schließlich erst acht Jahre alt und somit doch eine ganz leichte Beute für jeden Verbrecher. Meine Eltern haben behauptet, das neue Haus liegt in einer sehr sicheren Gegend, ich sollte mir mal keine Sorgen machen. Gut, habe ich gesagt, dann will ich auch keine Heulerei, wenn Anton verschleppt wird. Ich sparte mir die Information, dass Dieter Bohlen ebenfalls in Hamburg wohnt, für später auf. Meine Mutter hasst ihn.

Meine Mutter steht wieder in meiner Tür. »So, Anton ist wach. Du liegst ja immer noch im Bett. Komm jetzt frühstücken!«

Sie verschwindet, ich setze mich auf und sehe Anton im Flur. Seine Haare sind völlig verstrubbelt, seine Brille sitzt schief. Er lächelt mich an. Wenn er dann mal aufgewacht ist, hat er sofort gute Laune. Er wird nur nie schnell wach.

»Guten Morgen, Paula.« Anton geht nach unten.

Ich glaube, er hat gar nicht mitbekommen, dass wir umgezogen sind. Ich muss ihm das noch mal deutlich machen. Er kann ruhig auch mal ein bisschen maulen.

Als ich in die Küche komme, kotzt Mr Bean gerade auf den kleinen neuen Küchenteppich. Meine Mutter stürzt sofort hin und versucht, mit der einen Hand den Kater wegzuschieben und mit der anderen den Teppich zu retten. Vergeblich. Mr Bean reihert in Ruhe zu Ende und springt danach auf die Fensterbank. Der Teppich ist wohl hin.

»Wer hat denn den Kater reingelassen?« Meine Mutter ist sauer und fixiert mich.

Ich streiche Mr Bean über den Kopf, er schnurrt und lässt sich auf die Seite fallen. »Man sollte Katzen nicht verpflanzen, sie ertragen keinen Ortswechsel und rächen sich auf ihre Weise. Sie vergeben das nie.«

Anton sieht mich mit großen Augen an. »Und du meinst, Mr Bean kotzt jetzt immer?«

»Anton. Bitte nicht solche Wörter.« Meine Mutter schrubbt schlecht gelaunt auf dem Teppich rum. »Und du erzähl ihm nicht immer solchen Blödsinn. Solange Mr Bean sein Futter kriegt, ist es ihm egal, wo er wohnt.«

»Zu Hause hat er nie gekotzt.«

»Paula! Hier ist jetzt zu Hause. Und es heißt, er hat sich übergeben.«

»Wie auch immer. Katzen hassen Umzüge. Du wirst es noch erleben.«

Ich setze mich an den Tisch und warte. Ein Wunder, meine Mutter lässt mir das letzte Wort. Dann ist sie wirklich sauer. Aber es ist auch nicht einzusehen, dass Mr Bean seit zwei Wochen im Keller schlafen muss, bloß weil meine Mutter Angst um ihren neuen Parkettboden hat.

»Außerdem hat er gar nicht auf das Parkett gekotzt und …«

»Paula. Bitte.«

Der Fleck auf dem kleinen Teppich wird immer größer, die Stimme meiner Mutter klingt nicht so, als hätte sie Lust zu diskutieren. Ich gucke Anton an, der sich die Rückseite der Cornflakes-Packung durchliest, während er sich einen Löffel nach dem anderen in den Mund schiebt.

»Na, Anton? Wie findest du eigentlich die neue Schule?«

Meine Mutter stöhnt, dabei ist meine Stimme zuckersüß.

Anton sieht hoch. »Gut.«

»Besser als in Mackelstedt?«

»Noch nicht.«

Ich schaue meine Mutter an. »Anton hat auch Heimweh. Ellen hat mir gestern eine SMS geschickt, dass unser Haus immer noch leer steht. Wir könnten wieder zurück.«

Sie wirft die Papiertücher in den Abfalleimer und lässt sich auf einen Stuhl sinken.

»Paula, ich kann es nicht mehr hören. Ich bin als Kind dauernd umgezogen, da wirst du es wohl auch mal schaffen. Papa ist jetzt ein halbes Jahr entweder im Hotel oder auf der Autobahn gewesen, das ist doch kein Leben. Jetzt sind wir doch wenigstens wieder alle zusammen.«

»Na toll«, ich ziehe die Cornflakes vor Antons Nase weg, »und wo ist Papa jetzt?«

»Er musste heute früher anfangen. Ausnahmsweise. Wir haben uns gestern Abend übrigens mal die Hamburger Handballvereine aus dem Internet ausgedruckt. Es gibt jede Menge, es ist leicht, was zu finden.«

»Vergiss es.« Ich gieße die Milch mit so einem Schwung in die Schüssel, dass eine kleine Fontäne auf den Boden spritzt. Mr Bean springt sofort von der Fensterbank und erledigt das, unter dem genervten Blick meiner Mutter.

»Ich spiele nicht mit so Großstadtzicken.«

»Paula, du kannst dir doch wenigstens mal was ansehen.«

»Nein.« Ich schiebe die halb volle Schüssel zurück und stehe auf. »Entweder TuS Mackelstedt oder gar nichts. Ihr wolltet umziehen. Ich nicht. Und jetzt gehe ich in diese beknackte Schule, in der ich kein Schwein kenne.«

Meine Mutter sieht mir vom Küchenfenster aus hinterher, da bin ich sicher. Also lasse ich die Schultern hängen und gehe mit schleppendem Gang los. Sie kann ruhig ein schlechtes Gewissen kriegen.

Am Ende der Straße steigt ein großer Mann mit einer riesigen Sporttasche aus einem Auto. Er sieht von Weitem aus wie Heiner Brand, der Ex-Handballbundestrainer. Ich kneife die Augen zusammen und gehe ein bisschen schneller. Das wäre ja ein Hammer. Sicherheitshalber drehe ich mich noch mal zum Küchenfenster um. Nichts. Schultern hoch und los. Der Trainer geht auf einen Mann zu und gibt ihm die Hand. Ein Reporter? Der Tasche nach könnte es sein. Platz für Aufnahmegeräte und Fotoapparate. Ich bin noch nicht nah genug dran. Sie reden miteinander. Noch zwanzig Meter. Je näher ich komme, desto weniger sieht der Typ aus wie Heiner Brand. Er ist viel jünger, blonder und hat nicht mal einen Bart. Es war wohl doch nur die Sporttasche. Und die Größe. Na ja, aber ich habe fast den Ex-Bundestrainer gesehen. Er fährt weg, der andere bleibt stehen. Ich muss an ihm vorbei, grüße freundlich, sein Blick ist verwundert. An einer Ampel muss ich warten, Zeit genug, ihm einen Blick über die Schulter zuzuwerfen. Ich bilde mir ein, seine Stimme zu hören: »Warte mal, bist du nicht …? Natürlich, ich erkenne dich, das ist doch Paula Hansen vom TuS Mackelstedt? Ich werde verrückt. Halt!«

Natürlich warte ich, schließlich ist die Ampel immer noch rot. Schon steht er neben mir.

»Die berühmte Paula Hansen. Ich bin Sportjournalist und ein riesiger Fan von dir. Ich habe alle Spiele von dir gesehen, ah, das 8 : 0 damals gegen Kiel, oder das 12 : 11 in der letzten Minute gegen Oldenburg, das waren Sternstunden des Frauenhandballs, aber was um alles in der Welt tust du hier?«

Ich lege beruhigend meine Hand auf seinen Arm und sehe ihn bezwingend an. »Das kann ich Ihnen nicht in zwei Minuten erklären, aber ich habe ein Problem. Sogar ein großes. Ich kann im Moment nicht spielen, so wie es aussieht, noch lange nicht. Man hält mich hier gefangen, fernab von Sporthallen und Handbällen.«

»Nein!« Der Reporter schreit es fast. »Das geht nicht. Du musst spielen! Ich werde dir helfen, ich habe Kontakte, warte ab, überlass alles uns. Wir holen dich zurück nach Mackelstedt.«

»Ich muss gehen.«

»Warte. Morgen früh, dieselbe Zeit, derselbe Ort.«

»Ja.« Ich brülle ihm die Antwort begeistert entgegen und knalle mit voller Wucht in einen Rücken. Mein Gesicht ist umgeben von rotem Haar. Wir springen im selben Moment auseinander und sehen uns erschrocken an.

Die gute Nachricht ist, dass ich sie kenne: Sie sitzt in der neuen Klasse neben mir.

Die schlechte Nachricht: Ich habe keine Ahnung, wie sie heißt. Janina, Jasmin, Julia?

Sie reibt sich das Kreuz, während sie mich verwirrt ansieht.

»Hallo Paula. Hast du mich nicht gesehen?« Sie ordnet ihren langen roten Pferdeschwanz, den ich bei der Kollision etwas durcheinandergewirbelt habe.

»Hallo, ähm, ich war mit den Gedanken woanders. Entschuldigung.«

Janinajasminjulia runzelt die Stirn. »Wohnst du hier in der Gegend?«

»Ja, da hinten, Sielstraße. Und du?«

Sie zeigt die Straße runter. »Über der Bäckerei. Die gehört meinen Eltern.« Sie lächelt schüchtern. »Also, wenn du mal Kuchen brauchst …«

Wir setzen uns langsam wieder in Bewegung. Wie heißt sie bloß noch? Ich habe einfach kein Namensgedächtnis.

»Ich finde es ziemlich schwierig, sich so viele neue Gesichter und Namen zu merken.«

Sie sieht mich mitleidig an. »Das kann ich mir vorstellen. Ich könnte das nie.«

Tja, ich auch nicht. Dabei hat sie mir am ersten Tag ihren Namen gesagt. Ich kann sie schlecht noch mal fragen. »Hast du eigentlich einen Spitznamen?«

Sie schüttelt den Kopf. »Nein, du?«

Klappt auch nicht.

»Nö. Aus Paula kann man ja nichts machen.«

»Das ist doch ein schöner Name. Ich finde den schöner als meinen.«

Nicht mal das kann ich beurteilen.

»Dein Name ist doch schön. Wenigstens schön kurz.«

Sie bleibt stehen und fragt irritiert: »Du findest Johanna schön kurz?«

»Na ja, jedenfalls nicht so richtig lang. Meine beste Freundin heißt Ellen-Andrea, das sind ja wohl ein paar Silben mehr.«

Manchmal bin ich selbst überrascht, was für ein Schwachsinn mir so einfällt.

Johanna zieht die Augenbrauen hoch, lächelt aber trotzdem. »Die lebt wahrscheinlich noch in dem Ort, wo ihr früher gewohnt habt, oder?«

Der Ort, in dem wir früher gewohnt haben …

»Ja. In Mackelstedt. Aber vielleicht ziehen wir da ja auch wieder hin. Mir hat es da viel besser gefallen und …«

Ich beiße mir auf die Lippe, weil ich plötzlich die Gesichter meiner Eltern vor mir sehe. Da gibt es so eine blöde Abmachung …

Wir hatten beim Essen mal wieder einen ziemlichen Krach. Ich habe nur erwähnt, dass meine ganze Klasse total bescheuert ist und dass ich davon überzeugt bin, in dieser Stadt unter die Räder zu kommen. Da wurde mein Vater richtig sauer. »Paula, jetzt hör endlich auf! Wir geben uns alle Mühe, es für euch so einfach wie möglich zu machen. Mackelstedt ist doch nicht aus der Welt, Ellen oder Ann-Kathrin oder Jana, was weiß ich, wer alles, kann uns doch am Wochenende oder in den Ferien besuchen. Deine Freundinnen finden Hamburg bestimmt klasse.«

Ich antwortete nicht, ich hätte sonst lügen müssen. Außer Ellen, die ganz meiner Meinung war, fand meine ganze Handball-Mannschaft Hamburg cool.

Mein Vater fuhr fort. »Pass auf, wir machen dir einen Vorschlag: Bemüh dich ein bisschen, such dir Freunde und einen Sportverein und lauf nicht ständig schlecht gelaunt und beleidigt durch die Gegend. Dann wirst du auch ganz schnell neue Freundinnen finden. Die Handballer vom HSV spielen doch in der Bundesliga. Wir können mal in die Halle gehen, wenn Heimspiele sind.«

Dazu sagte ich nichts, er sollte nicht glauben, ich würde so schnell umkippen. Aber die Color-Line-Arena wäre schon toll. Vielleicht könnten wir den THW Kiel sehen. Und alle Spieler in echt. Ich heftete meinen Blick auf meinen Teller und bemühte mich, gelangweilt zu klingen. »Können wir ja machen. Meinetwegen.« Ich schob die Pizzaränder an den Tellerrand. »Und das war jetzt der Vorschlag?«

Mein Vater seufzte und sah mich traurig an. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Meine Mutter angelte sich ein Stück Pizzarand von meinem Teller und aß es nachdenklich auf. Sie sah müde aus und ernährte sich jetzt auch noch von meinen Resten.

»Tut mir leid.«

Beide sahen mich ernst an.

»Ja, es tut mir echt leid, aber ich … na ja, also ich kann ja mal gucken.«

Mehr konnten sie wirklich nicht von mir verlangen. Sie taten es auch nicht. Stattdessen verkündete mein Vater etwas Sensationelles: »Wir haben uns Folgendes überlegt: Wenn du jetzt über deinen Mackelstedter Schatten springst und dich wirklich bemühst, in Hamburg Fuß zu fassen, dann melden wir dich im Herbst zum Handball-Camp in Malente an.«

Er ignorierte mein Aufspringen. »Aber nur, wenn du dich wirklich anstrengst. Geh auf die anderen zu, sei nett, gib nicht an und sag bitte nie, in Mackelstedt war alles besser. Ist das ein Angebot?«

Ich sprang ihm regelrecht um den Hals. Ich würde so was von nett sein, dass es nur so krachte. Malente. Ein kleiner Ort mit einer großen Sportschule. Zehn Tage Handball-Training mit Bundesliga-Spielern und Super-Trainern. Sehr begehrt und sehr teuer. Und Paula Hansen bald mittendrin.

Und jetzt stehe ich hier nett mit Johanna und sage, dass es mir in Mackelstedt besser gefallen hat.

»Ich meine, ich kannte mich da besser aus, weißt du, ich verlaufe mich hier andauernd und …«

Johanna sieht mich mitleidig an. »Das ist bestimmt ganz schön ungewohnt für dich. Wenn du willst, können wir jeden Morgen zusammen gehen, es ist ja derselbe Weg.«

Ich nicke erleichtert, sie ist ganz okay, sie findet mich nett, das ist doch schon ein großer Schritt in Richtung Malente.

Miss Wichtig und die anderen

Als wir in die Klasse kommen, verstummt sofort das Gespräch. Sie haben über mich geredet, zumindest glaube ich das. Nicht alle natürlich, aber dieser Pulk am Fenster. Sie stehen zu viert um ein großes, dünnes, langhaariges, blondes Mädchen herum. Sie ist mir gleich aufgefallen, als ich zum ersten Mal in die Klasse kam. Sie sitzt ganz hinten und wickelt sich dauernd die Haare um die Finger, während sie mit arrogantem Blick Kaugummi kaut. Außerdem ist sie immer geschminkt, blaue Augen, rosa Lipgloss. Barbie lässt grüßen. Ich hätte sie auf mindestens 15 geschätzt, vielleicht ist sie das ja auch, was bedeuten würde, dass sie mindestens zweimal sitzen geblieben ist. Das kann ich mir wieder vorstellen. Seit ich hier bin, hat sie nicht ein einziges Mal im Unterricht was gesagt. Dafür trägt sie bauchfreie T-Shirts und hat einen Rucksack in Pink. Aber anscheinend ist sie Miss Wichtig, sie hat ständig ihr Gefolge hinter sich und ignoriert mich, wenn sie mich nicht gerade blasiert mustert.

Johanna folgt meinem Blick und stößt mich an. »Sie hat tolle Haare, oder?«

Das blonde Gift hat sich die Spange aus dem Haar genommen und schüttelt die blonden Locken, die fast bis zur Taille fallen.

»Hm?«

»Na, Jette. Guck doch mal hin.« Johanna sieht sehnsüchtig auf Miss Wichtig, die genau merkt, dass wir hinstarren, und jetzt affektiert kichert. Ich erhebe meine Stimme. »Och, ich bin froh, dass ich keine Blondine bin. Dein Rot finde ich viel schöner.«

Zack. Blondies blaue Augen bohren sich in meine. Frost legt sich um uns. Ich denke an Malente und lächele sie an. Nett. Sehr nett. Die Klingel rettet mich, ich drehe mich zu meinem Tisch um. Betont langsam schiebt sich das Gift an mir vorbei, nicht ohne meine Tasche von der Lehne zu schubsen. Da ich den Reißverschluss nie schließe, entleert sich der gesamte Inhalt im Gang.

»Oh, sorry.« Sie haucht es mehr, als sie es sagt, nicht ohne auf meinen besten Tintenroller zu treten, der hörbar knackt. Aus der Ecke kommt ein Kichern, Miss Wichtig bleibt stehen und sieht auf Johanna und mich hinunter, wie wir in der Hockstellung mein Zeug aufsammeln.

»Das tut mir aber leid.«

Sehr langsam stopfe ich Hefte, Tempos, Bücher und die restlichen Stifte zurück in die Tasche und stehe noch langsamer auf. Johanna bleibt unten und findet noch meinen Radiergummi.

»Macht gar nichts. Kann ja passieren.«

Alles für zehn Tage Handball-Camp. Dabei wären mir richtig gute Antworten eingefallen. Aber ich soll mich bemühen. Und deshalb lächele ich schon wieder. Und setze mich an meinen Tisch.

»Johanna und Jette, bitte!« Frau Kruse unterrichtet Deutsch und Geschichte und steht bereits an der Tafel, von wo aus sie die Klasse beobachtet. »Was macht ihr denn da? Johanna, hast du jetzt alles?«

Johannas Gesicht ist gerötet, schnell lässt sie sich auf ihren Stuhl fallen. »Entschuldigung, wir haben Paulas Tasche runtergeworfen.«

»Wieso wir, das war …« Der Fuß trifft mich am Knöchel, ich unterdrücke einen Schmerzensschrei und gucke meine Sitznachbarin wütend an. »Bist du …?«

»Paula und Johanna! Können wir bitte anfangen? Im Buch, Seite 154.«

Während alle in ihren Büchern blättern, beuge ich mich zu Johanna und frage leise: »Was sollte das? Die Ziege hat meine Tasche doch extra runtergeschmissen. Wieso verteidigst du sie?«

Johanna behält Frau Kruse im Blick und flüstert: »Quatsch. Ich verteidige sie nicht.«

Nicht zu fassen! Die nette Johanna ist eine ängstliche Maus und Miss Jette Wichtig die Königin? Ich drehe mich zur letzten Reihe um. Jette hat ihr Wallehaar wieder in die Glitzerhaarspange gezwängt und lächelt mich zuckrig an. Ich lächele noch zuckriger zurück, nicht ohne mich darauf zu freuen, was mir so alles einfallen wird, nachdem ich in Malente war.

Wir sollen eine Kurzgeschichte schreiben, zum Thema ›Herbst‹. Das ist doch ein Zeichen, denke ich, nach den Ferien ist bald Herbst und dann kann sich Missis warm anziehen.

Nach dem Pausenklingeln folge ich Johanna in den Schulhof. Wir setzen uns mit unseren Broten auf eine Bank, die unter einer riesigen Trauerweide steht. Kurz danach kommt das Mädchen auf uns zu, das vor uns sitzt. Johanna sieht ihr entgegen.

»Hallo Frieda, soll ich rutschen?«

»Ja«, schwer atmend lässt sie sich fallen. Frieda hat kurze braune Haare, trägt eine kleine runde Brille und ist ziemlich pummelig. Sie hat so gar nichts von den Jettes und Vanessas dieser Welt. Die Hose ist zu kurz und zu eng, der braune Pullover sieht aus wie ein Sack und solche Schuhe trägt noch nicht mal meine Tante Ilse. Und das will was heißen.

Plötzlich merke ich, dass Frieda mich mit ihren klaren blauen Augen mustert. Sie weiß genau, was ich gerade gedacht habe, da bin ich mir sicher und merke, dass ich rot werde. Frieda hält ihren Blick auf mich gerichtet. »Und? Alles gesehen?«

Sie klingt weder beleidigt noch sauer. Ich huste verlegen und suche nach irgendeinem netten Satz, doch bevor er mir einfällt, wendet sich Frieda an Johanna. »Hast du vielleicht noch ein Brot übrig? Ich habe meins liegen gelassen.«

Ich strecke ihr sofort meine Dose entgegen. »Hier bitte, nimm, mit Käse und Tomate, ich habe immer zu viel mit.«

»Danke.« Sie lächelt kurz und fängt an zu essen, vielleicht nimmt sie das als Entschuldigung an. Die beiden sitzen schweigend nebeneinander und kauen, eigentlich wollte ich von Johanna wissen, was das mit Jette sollte. Vielleicht geht es auf dem Nachhauseweg. Frieda schnippt sich ein paar Krümel von der Hose, was es auch nicht besser macht, und sieht mich wieder an. Sie hat richtig schöne Augen. Allerdings sieht man das nur, wenn sie ihre dicke Brille abnimmt, um sie zu putzen. So wie jetzt.

»Hast du dich schon eingelebt?«

»Ach, ich wohne ja erst zwei Wochen hier, das kann ich noch gar nicht richtig sagen. Ich muss mich erst an die ganzen neuen Lehrer und Schüler gewöhnen.«

»Wenn du irgendwo Probleme hast, kannst du ja Bescheid sagen.« Sie klappt die Brotdose wieder zu und gibt sie mir. »Ich kann dir dann helfen.«

»Was für Probleme meinst du?«

Ich kann sie ja bitten, Jette zu verprügeln. Bevor ich den Gedanken zu Ende denken kann, mischt sich Johanna ein.

»Frieda ist die Klassenbeste. Sie hat mir im letzten Schuljahr meine Mathezensur gerettet. Und sie ist überall so gut.«

Frieda grinst ein bisschen schief und kratzt sich am Kopf. »Na ja, bis auf Sport. Da muss ich mir langsam mal was ausdenken.«

Ich betrachte sie erneut, diesmal unauffälliger. Sie ist wirklich ziemlich dick, sportlich sieht sie nicht gerade aus. Trotzdem frage ich betont harmlos: »Wieso? Magst du keinen Sport?«

Johanna dreht sich weg, Frieda winkt frustriert ab. »Ich hasse diesen Sportunterricht. Entweder machen wir Geräteturnen oder Leichtathletik. Kannst du dir vorstellen, wie ich auf einem Schwebebalken hänge? Oder am Stufenbarren? Und ich kriege schon Seitenstechen, wenn ich den Sportplatz nur sehe, Laufen und Weitsprung kann ich genauso wenig.«

In Mackelstedt haben wir in jeder Stunde etwas anderes gemacht, Svenja Petersen hat auch mit uns Handball gespielt. Sie ist eine tolle Sportlehrerin. Aber ich soll nicht von der alten Schule schwärmen, Malente ist das Zauberwort. Also schiebe ich meine Gedanken beiseite und antworte: »Geräteturnen kann ich auch nicht leiden.«

Frieda guckt mich verzweifelt an. »Aber ich habe eine Fünf in Sport. Und wenn ich die nicht wegbekomme, darf ich nicht Geige lernen.«

»Geige?«

»Frieda ist auch noch supermusikalisch.« Johanna sieht sie mitleidig an. »Sie spielt schon Flöte und Klavier und Herr Gross, unser Musiklehrer, hat ihr jetzt vorgeschlagen, noch Geigenunterricht zu nehmen. Das will sie jetzt unbedingt und …«

»Mein Vater spielt Tennis und rudert und kann nicht verstehen, dass er so ein dickes, unsportliches Kind hat.« Frieda seufzt. »Und deshalb hat er beschlossen, dass ich nur zur Musikschule darf, wenn ich eine Drei in Sport kriege. Das schaffe ich nie.«

Da hat sie ein echtes Problem, das sehe ich ein.

»Macht dir denn keine Sportart Spaß?«

Sie zieht eine Grimasse. »Außer Turnen und dieser blöden Leichtathletik haben wir ja noch nie was anderes gemacht. Vielleicht mal Völkerball, aber das ist doch auch bescheuert.«

Johanna sieht auf die Uhr und steht auf. »Es klingelt gleich. Aber warte doch mal ab, wir kriegen doch einen neuen Sportlehrer, vielleicht ist der ja besser als die blöde Grabowski. Unsere alte Lehrerin ist nämlich an eine andere Schule gegangen, die war echt furchtbar.«

Es klingelt und Frieda quält sich hoch. »Ich habe keine große Hoffnung. Er wird ja kaum mit uns Schach spielen, da könnte ich vielleicht was machen, aber sonst …«

Wir gehen langsam in die Klasse zurück und ich überlege, wie ich Nachhilfe in Sport geben könnte. Immerhin habe ich jede Menge guter Vorsätze.

Nach Schulschluss mache ich mich wieder gemeinsam mit Johanna auf den Weg. Sie ist zwar ganz anders als Ellen, aber irgendwie okay. Und vielleicht ist sie bloß anfangs so schüchtern.

»Hast du eigentlich Geschwister?«

Johanna nickt. »Einen Bruder. Julius. Er ist zwei Jahre älter. Und du?«

»Auch einen Bruder, aber vier Jahre jünger. Ich hätte viel lieber einen älteren.«

»Och, so toll ist das auch nicht. Er hat das größere Zimmer und das bessere Fahrrad, ansonsten kümmert er sich nicht viel um mich.«

»Bist du mit Frieda befreundet?«

»Wir kennen uns schon aus dem Kindergarten. Sie ist in Ordnung, es ist aber schwer, sie mal aus ihrem Zimmer zu kriegen. Sie ist nur glücklich, wenn sie mit einem Buch auf der Couch liegt oder irgendwas am Computer recherchiert. Oder Musik macht oder Matherätsel löst. Mein Bruder sagt, sie hat zu viel Hirn.«

»Besser als zu wenig«, antworte ich und denke an Jette, »und sie ist nett.«

»Ja, klar.« Johanna beeilt sich mit der Antwort und wird wieder rot. »So meinte ich das auch nicht. Frieda ist eben ein bisschen anders als die anderen. Ich kann sie nie überreden, mal mit zum Schwimmen oder ins Kino zu gehen, das interessiert sie alles nicht. Sie kommt sofort, wenn du deine Hausaufgaben nicht kannst, aber nie nur so.«

»Aber sie wirkt gar nicht wie eine Streberin, sie meldet sich doch auch kaum.«

»Sie ist keine Streberin, sie weiß nur alles, das lässt sie aber nicht raushängen. Na ja, du wirst sie ja besser kennenlernen, dann weißt du, was ich meine.«

»Hat sie denn keinen Stress mit den anderen, wenn sie so ganz anders ist?«

Johanna grinst. »Das ist ihr total egal. Jette hat ein paar Mal versucht, sie fertigzumachen, an Frieda hat sie sich aber die Zähne ausgebissen. Da steht sie drüber.«

Die sanfte Frieda. Ich bin beeindruckt und hoffe, ich kann ihre Hilfe bei den Hausaufgaben in Naturalien eintauschen. Vielleicht, indem ich ihr ein bisschen Nachhilfe in Sport gebe.

Inzwischen sind wir vor der Bäckerei angekommen.

»Soll ich dich morgen früh abholen?«

Johanna nickt und lächelt. »Gern. Um zwanzig nach sieben?«

»Gut, ich …«

Ich zucke zusammen, weil ein Fahrradfahrer viel zu dicht an mir vorbeifährt und dabei auch noch klingelt.

Ich hasse diese wild gewordenen Radfahrer, Großstadtaffen, die so tun, als wären sie Tarzan. Bevor ich dem Idioten hinterherbrüllen kann, was ich über ihn denke, bremst er, dreht um und fährt genau auf uns zu. Dabei habe ich überhaupt noch nichts gesagt.

Er hält vor uns an und sieht erst mich, dann Johanna an. Grüne Augen unter einer roten Kappe. Und mindestens einen Kopf größer als wir.

»Hi.«