Sinnliche Nähe, verbotene Küsse - Rachael Stewart - E-Book

Sinnliche Nähe, verbotene Küsse E-Book

Rachael Stewart

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Beschreibung

Tech-Mogul Gabe Curran soll das schöne, reiche Partygirl Avery beschützen, nicht zu einer Affäre verführen! Das hat er ihrem Bruder versprochen, auch wenn er sich insgeheim schon immer zu ihr hingezogen fühlt. Aber eine feste Beziehung ist nichts für ihn, egal, wie sehr er Avery begehrt. Schweren Herzens musste er sie deshalb vor drei Jahren abweisen, als sie ihn küssen wollte. Doch als sie ihn jetzt auf seinem Anwesen in Kroatien besucht, knistert es so heiß zwischen ihnen, dass er sein Verlangen trotz allem nicht länger unterdrücken kann …

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Seitenzahl: 212

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IMPRESSUM

JULIA, erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2023 by Rachael Stewart Originaltitel: „Off-Limits Fling with the Heiress” erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe 2024 in der Reihe JULIA,, Band 072024 Übersetzung: Gudrun Bothe

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751524643

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Gabe

Ich habe ein paar Regeln im Leben.

Erstens: Lass dich nicht von der Arbeit ablenken.

Zweitens: Binde dich an niemanden.

Und drittens: Schwängere um Himmels willen niemanden.

Das ist alles. Wer einen Vater wie meinen hat, lernt schnell, dass Geld die Welt regiert und Sex zum Vergnügen da ist. Fortpflanzung ist etwas für andere Menschen. Denn es fehlte noch, dass ich ein Kind so erziehen würde, wie mein Vater es bei mir getan hat.

Mein Leben ist nahezu perfekt. Zum Beispiel jetzt gerade. Ich bin in einem exklusiven New Yorker Nachtclub, genieße den besten Whisky, den man für Geld kaufen kann, und …

„Also, das ist ja mal ein Prachtstück …“

Okay, meine Gesellschaft könnte etwas kultivierter sein.

Ich drehe mich zu meinem Begleiter um, der einen leisen Pfiff auf seine geschmacklose Bemerkung folgen lässt. Das Start-up, das mich gerade umwirbt, ist sehr vielversprechend, aber leider ist der Geschäftsführer ein riesiger Idiot! Das Problem ist, dass mein Dad seinem Vater Geld schuldet und mich dazu überredet hat, die Schulden zu begleichen.

Ich würde es nicht tun, wenn es nicht auch mir etwas nützen würde. Ich will dieses Unternehmen und weiß, was ich damit anstellen kann. Was ich nicht will, ist diese spezielle Sorte Mann als Mitarbeiter.

„Oh mein Gott, ist das …?“ Der Idiot runzelt die Stirn. „Ist das Avery Monroe? Aidens kleine Schwester?“

Mein Kopf wirbelt herum, mein Körper gerät in Aufruhr, bevor ich sie überhaupt sehe. Sie kann nicht … Sie sollte nicht hier sein, aber so ist es.

Habe ich schon erwähnt, dass ich meine eigene Regel gebrochen habe? Mehr oder weniger …

Ich kenne Aiden seit unserer Kindheit. Er ist mein bester Freund. Es gibt nichts, was ich für ihn – oder die Menschen, die ihm nahestehen – nicht tun würde, aber seine kleine Schwester … Sie steht für Ärger.

Und jetzt gerade treibt sie es auf die Spitze. Ihr langes kastanienbraunes Haar fällt auf ihre nackten Schultern, so frei und locker wie der Vibe, den sie ausstrahlt. Tiefrote Lippen, stark geschminkte Augen, sehr viel glatte, cremefarbene Haut und eine zentimeterdicke, eng anliegende Halskette. In der Mitte des schwarzen Samtes befindet sich ein Kreuz, das genauso provozierend ist wie ihr kaum vorhandenes figurbetontes Kleid.

Ich unterdrücke ein Fluchen. Mit ihren zwanzig Jahren gilt sie zumindest in diesem Bundesstaat als minderjährig. Sie muss doch wissen, dass sich hier irgendwo Presseleute herumtreiben. Dass jeden Moment jemand herausfinden könnte, wer sie ist, und sie kurzerhand hinauswerfen lassen könnte. Eine Szene, die morgen für Schlagzeilen sorgen und den Monroe-Namen weiter in Verruf bringen würde, obwohl er in den letzten Jahren dank ihr und ihrer Ausschweifungen schon genug gelitten hat.

„Hey, wo willst du hin?“ Der Idiot starrt mich an, während ich aufstehe, und fragt sich wahrscheinlich, warum ich es so eilig habe.

„Mir reicht’s für heute. Ich seh dich um acht im Büro. Wir können dann die Verträge aufsetzen.“

Er lässt sich ins dunkle Leder zurücksinken, der überraschte Ausdruck in seinem Gesicht weicht einer gewissen Aufregung. Er denkt, er hätte bekommen, was er will, und ich habe keine Zeit, es richtigzustellen.

Avery bahnt sich ihren Weg zur Bar, die Menge teilt sich vor ihr, als wäre sie eine Royal, und ich balle die Hände zu Fäusten. Ich hätte mir denken können, dass sie in der Stadt ist. New York ist ihre neue Spielwiese, seit sie letztes Jahr ihr Studium in Oxford abgebrochen hat, aber dieser Club sollte besser darauf achten, wen er hereinlässt.

Ich ziehe mein Handy aus der Tasche, schicke meinem Fahrer eine Nachricht, damit er sich auf den Weg macht, und dränge mich durch die Menge. Ihr bleibt kaum eine Sekunde, um meine Anwesenheit zu registrieren, als ich mich auch schon bei ihr unterhake und sie auf schnellstem Weg in Richtung Hinterausgang zerre.

„Gabe?“ Sie taumelt neben mir her. Die grünen Augen weit aufgerissen, blinzelt sie mich an. Trotz ihrer hohen Absatzstiefel überrage ich sie um Längen, und mein Kiefer ist so angespannt, dass ich nicht antworten kann. Ihr Parfum ist berauschender als der Whisky, den ich zuvor getrunken habe, ihr Arm unter meinem ein prickelndes Magnetfeld. Mit aller Kraft wehre ich mich gegen die verwirrende Berührung und erinnere mich daran, dass sie Aidens Schwester ist – zu jung, zu verboten und zu viel … selbst für mich.

Zu klug und zu selbstzerstörerisch auf dem Weg, den sie eingeschlagen hat.

Wir treten hinaus ins Freie, wo eisiger Nieselregen auf uns herabfällt. Ich atme tief ein und lasse Avery mit einer ausladenden Bewegung los. Ich brauche den Abstand, die frische Luft, die nicht mit ihrem Duft vermengt ist. „Steig ein.“

Mein Fahrer hat schon die Tür meines metallisch grauen Aston geöffnet, doch sie starrt mich an, eine Hand in die Hüfte gestützt, das Kinn herausfordernd vorgereckt.

„Für wen hältst du …?“

„Ich habe gesagt, steig ein!“

Schon lasse ich den Blick durch die dunkle Gasse schweifen – auf der Suche nach zufälligen Passanten, die die Kamera zücken und ein Foto von unserer Auseinandersetzung schießen könnten. Es stünde innerhalb von Sekunden auf allen Social-Media-Kanälen, und diese Art von Aufmerksamkeit kann ich gar nicht gebrauchen. So sollte Avery es eigentlich auch sehen, doch sie sorgt schon seit Jahren für Negativschlagzeilen. Kann anscheinend nicht genug davon bekommen.

Ihre Trauer kann daran auch nichts mehr ändern. Das Mitgefühl für Daddy‘s Girl, das den plötzlichen Tod ihres Vaters zu verkraften hatte, ist schon lange aufgebraucht und umgeschlagen in Feindseligkeit gegen die Reichen und die verwöhnte Erbin, die nur um sich selbst kreist. Nicht, dass ich auch nur die Hälfte davon glauben würde – aber beim Anblick der streitlustigen Frau vor mir fällt es schwer, mich daran zu erinnern.

„Kein ‚Hallo, Avery. Hey, wie geht’s dir?‘“ Ihre Augen blitzen unter der bernsteinfarbenen Lampe auf, die über der Tür hängt. „Es muss Monate, wenn nicht Jahre her sein …“

Regentropfen fallen von dem Geländer der Feuerleiter auf uns herab und rinnen meinen Nacken hinunter, doch ich zucke nicht einmal mit der Wimper. Unser letztes Treffen ist höchstens drei Monate her, woran sie sich auch erinnern würde, wenn sie nicht so betrunken beziehungsweise high wäre. Ich bin mir nicht sicher, was sie ist. Vielleicht beides.

„Hi, Avery. Hey, wie geht’s dir? Es muss Monate, wenn nicht Jahre her sein. Jetzt steig ein.“

Sie verschränkt die Arme und rührt sich nicht vom Fleck. Die Mundwinkel meines Fahrers zucken nach oben, doch er traut sich nicht zu lächeln. Niemand würde es wagen, mir zu widersprechen. Niemand außer Avery, wie es aussieht.

„Oder soll ich deinen Bruder anrufen und ihm sagen, wo wir sind, wo du gewesen bist?“

Hörbar atmet sie aus, murmelt etwas Undeutliches vor sich hin und setzt sich in Bewegung. Sie klettert auf den Rücksitz, ohne sich um die luxuriöse Polsterung oder ihren knappen Rock zu kümmern, der dabei viel zu sehr hochrutscht.

Fluchend folge ich ihr hinein und wappne mich gegen ihren Protest. Ich könnte Jenkins anweisen, sie nach Hause zu bringen, aber wahrscheinlich würde sie ihn – sobald sie außer Sichtweite wären – dazu überreden, anzuhalten und umzudrehen.

„Wo schläfst du?“

„Warum?“

„Wenn du nicht mit zu mir kommen willst, würde ich dir raten, es jetzt zu sagen.“

„,Würde ich dir raten, es jetzt zu sagen‘“, äfft sie mich nach. „Du bist genauso schlimm wie Aiden.“

„Das nehme ich mal als Kompliment.“

„Das sieht dir ähnlich! Du bist zehn Jahre älter als ich, aber du bist nicht nur steinalt, sondern auch stinklangweilig. Oder ist das normal, wenn man die dreißig überschreitet?“

„Es sind zwölf Jahre.“

„Zwölf?“

„Wir sind zwölf Jahre auseinander. Und es ist weder alt noch langweilig, sein Privatleben aus der Öffentlichkeit herauszuhalten, sondern das einzig Richtige, was man tun kann. Besonders, wenn man die Tendenz hat, alles falsch zu machen.“

Sie lacht schallend auf. „Und was ist mit Spaß, Gabe? Was spricht dagegen, sein Leben zu leben und jede Sekunde davon zu genießen? Du weißt schon, dass man nur einmal lebt, oder?“

Ich unterdrücke ein plötzliches Lächeln. Es macht einfach zu viel Spaß, sich mit ihr zu streiten, und ist viel besser als die Gesellschaft, die ich noch vor zehn Minuten ertragen musste. Wären wir nicht wegen ihrer schlechten Entscheidungen in dieser Situation, würde ich mir erlauben, dieses kleine Intermezzo zu genießen. „Adresse?“

Sie nennt sie mir, wobei ihre Miene noch verdrießlicher wird. Mein Blick fällt wie von selbst auf ihre rot geschminkten Lippen, die viel zu voll und verführerisch sind. Was mich daran erinnert, dass sie zwar Aidens Schwester, aber auch eine Frau ist, eine Frau, die mich auf Ideen bringt, die ich lieber nicht weiter ergründen will.

Ich räuspere mich, wende den Blick ab und sehe Jenkins’ hochgezogene Augenbraue durch den Rückspiegel. Er ist sich wegen der Zieladresse unsicher, und ehrlich gesagt, mir geht’s genauso. Die Adresse sagt mir nämlich nichts, dabei kenne ich diese Stadt so gut wie meine Westentasche. Zumindest die Viertel, die man kennen muss.

Ich bedeute ihm mit einem Nicken, weiterzufahren.

„Du weißt schon, dass sich meine Freunde fragen werden, wo ich geblieben bin, oder?“

Ich sehe sie flüchtig an. „Sind Sie auch minderjährig?“

„Zu Hause bin ich volljährig.“

Ich würde sie gern fragen, wo für sie zu Hause ist. Ihre Familie besitzt Häuser in ganz Nordamerika und Europa, aber soweit ich weiß, hat sie sich dort seit dem Abbruch ihres Studiums nicht mehr sehen lassen. Obwohl sie früher so gern zu Hause war, hat sie sich in den letzten sechs Jahren immer mehr distanziert. Gegenüber den Menschen, die wichtig sind, die wichtig sein sollten. Begreift sie das nicht?

„Findest du dein Verhalten deshalb in Ordnung? Willst du morgen früh überall in der Klatschpresse stehen? Willst du deiner Familie diese Blamage wirklich antun?“

„Was macht das für einen Unterschied? Die Leute von der Presse drucken doch eh, was sie wollen.“

„Nicht, wenn du ihnen keinen Anlass gibst.“

„Mir doch egal.“ Sie lehnt sich in ihrem Sitz zurück, die Arme vor dem Bauch verschränkt, was ihre weiblichen Rundungen zur Geltung bringt. Rundungen, die ich nicht zur Kenntnis nehmen, deren Anblick ich nicht genießen will. Nicht, wenn sie von Aidens Schwester sind, Aidens Schwester, die nicht nur tabu für mich ist, sondern auch vollkommen verkorkst. Ich würde ihr gern helfen, doch ich weiß, dass sie meine Hilfe nicht will.

Ich zwinge mich, woanders hinzusehen, starre aus dem Fenster und betrachte die leuchtenden Türme und belebten Gehwege, die immer dunkler und schmutziger werden … Vernagelte Fenster, Müll auf den Straßen, verlassene Schlafsäcke und ausgerollte Kartons auf dem Boden – wo zum Teufel sind wir hier?

Hier kann sie nicht bleiben. „Mit wem warst du heute Abend aus?“

„Das geht dich nichts an.“

„Schläfst du bei deinen Freunden?“

Sie wirft mir einen vernichtenden Blick zu.

„Du solltest ihnen zumindest schreiben und sie wissen lassen, dass es dir gut geht.“

Sie lacht höhnisch auf. „Darüber machst du dir Sorgen?“ Als sie draußen etwas sieht, lehnt sie sich zu meinem Fahrer vor. „Sie können hier anhalten, danke. Ich laufe von hier aus.“

„Ist das dein Ernst?“, frage ich überrascht, wenn nicht gar panisch.

„Was denn?“

„Ich lass dich hier nicht raus.“

„Ist diese Straße unter deinem Niveau, oder was?“

„Sie ist nicht mal …“ Ich knirsche mit den Zähnen. „Ich setze dich hier nicht ab.“

„Ich schlafe hier.“

„Nur über meine Leiche.“

„Das ließe sich einrichten.“ Sie starrt mich unnachgiebig an.

„Sir?“ Jenkins durchbricht die Spannung, bittet um Anweisung, und mir fällt nur eine ein.

„Nach Hause, schnell.“

„Oh nein, das werden wir nicht“, wirft sie dazwischen.

„Oh doch, auch auf die Gefahr hin, dass dir das übertrieben erscheint.“ Mein Wagen, der langsam am Gehweg entlangschleicht, zieht bereits zu viel Aufmerksamkeit auf sich. Jeden Moment wird eine der halb nackten Frauen, die auf dem Bürgersteig auf und ab stolzieren, ans Fenster klopfen und fragen, ob ich Gesellschaft möchte. Ich fluche im Stillen. Was hat Avery in dieser Gegend zu suchen? Sie könnte sich New Yorks beste Wohnviertel leisten, sie könnte … Verdammt, alles ist besser als das hier.

Bei wem schläft sie hier? Bei dem Typen, mit dem sie sich trifft? Vielleicht sogar einem Dealer? Ich habe Gänsehaut und spüre einen Knoten im Magen. „Ich lass dich auf keinen Fall hier. Dein Bruder würde mir das nie verzeihen.“ Und ich mir selbst auch nicht … Sie ist seine Schwester, weshalb sie genauso gut mit mir verwandt sein könnte.

„Und ich werde dir nie verzeihen, dass du mir im Club eine Szene gemacht hast.“

„Lieber eine Szene vor den Leuten im Club als morgen vor der ganzen Welt.“

„Das interessiert mich nicht.“

„Das sollte es aber!“

„Für wen hältst du dich, Gabe? Du bist nicht mein Vater und auch nicht mein Bruder oder meine Mutter. Du hast kein Recht, mir zu sagen, was ich tun oder lassen soll.“

„Wollen wir wetten?“

Sie schnaubt, und ich bin es leid, mit ihr zu streiten. Je schneller wir bei mir sind, desto eher kann ich herausfinden, wo sie gerade wohnt, was sie dorthin verschlagen hat und wo sie bis zu ihrer Abreise bleiben soll.

„Du hast heute Abend doch sicher etwas Besseres vor, als meinen Babysitter zu spielen.“

„Das sollte man meinen, nicht wahr?“ Ehrlich gesagt, habe ich das nicht. Selbst in Anbetracht des Übernahmeangebots, das ich morgen früh abgeben werde, sind die Millionen, die ich dem Curran-Imperium einbringen werde, nichts gegen sie. Weil gerade alles neben Avery Monroe verblasst, ebenso wie vor dem Pressedebakel, vor dem ich sie bewahren will.

Jetzt gerade sitzen wir in einem Boot. In einem sehr engen Boot. Es gibt kein Entkommen, und ich bin mir nicht mehr sicher, was schlimmer ist. Die Art und Weise, wie mein Körper unwillkürlich auf sie reagiert – oder die Paparazzi, die es auf diese rebellische Erbin abgesehen haben. Ein Jagdinstinkt, den sie nicht noch anstacheln sollte.

Was meinen eigenen angeht … den kann ich kontrollieren. Sie ist Aidens Schwester, vollkommen tabu, und ja, in ihren Augen bin ich steinalt. Das hat sie mir gerade sogar ins Gesicht gesagt.

Aber steinalt? Wirklich? Ich rutsche auf meinem Sitz hin und her, unterdrücke ein neues Fluchen. Einfach unglaublich.

Avery

Ich sitze ganz still, die Lippen zusammengepresst, ebenso wie meine Oberschenkel. Denn ich bin mit Gabe Curran unterwegs. Gabe freaking Curran. Der Mann, der meine Fantasien beflügelt hat, seit ich in die Pubertät kam, und der einzige Mann, der in mir nie mehr als die kleine Schwester seines besten Freundes sehen wird. Eine Nervensäge. Ein Kind, das erzogen gehört, das sich ruhig und unauffällig verhalten sollte.

Am liebsten würde ich schreien.

Ich habe es satt, in eine Schublade gesteckt und bemitleidet zu werden. Armes reiches Mädchen, das den Vater verloren hat und seitdem nicht weiß, was es aus sich machen soll. Oder schlimmer noch, eine verzogene, egoistische Göre und eine Schande für den Monroe-Namen.

Ich weiß nicht, was mich mehr ärgert. Die öffentliche Meinung über mich, für die ich allein verantwortlich bin, oder die Ignoranz meiner Familie, gegen die ich mich so gut wie möglich zu wehren versuche. Aber für alle, die es noch nicht wissen: Geld macht nicht glücklich. Und das Leben ist beschissen.

Nicht dass ich noch irgendetwas besitzen würde, was ich mitnehmen könnte. Ob Gabe weiß, dass mein Bruder mir den Geldhahn zugedreht hat? Und ich meine nicht, dass er mir das Taschengeld gekürzt hätte, sondern wirklich nichts, niente, komm alleine klar, ciao. Verstohlen sehe ich zu Gabe hinüber und bereue es sofort, weil mein Puls zu rasen beginnt und eine Hitzewelle meinen Körper erfasst. Obwohl diese Gefühle immer noch besser sind als die Depression, die Einsamkeit, die Kälte …

Ich drehe mein Gesicht zum Fenster, damit er die Tränen nicht sieht, die sich in meinen Augen sammeln. Depression macht vor nichts halt. Es ist egal, wie vermögend, gesegnet und glücklich du an der Oberfläche bist. Und ich versuche ja, mich zu bessern. Wirklich.

Doch wenn nur deine Freunde Interesse zeigen und sich Sorgen machen und die eigene Familie nichts mehr von dir wissen will, dann kannst du es dir nicht leisten, wählerisch zu sein. Was die Drogen, den Alkohol betrifft, weiß ich, dass ich davon loskommen muss, und ich bin auf dem Weg dorthin. Wirklich.

„Was ist passiert, Avery?“

Ich ignoriere den schroffen Unterton in seiner Stimme, die Art und Weise, wie sie meine Haut zum Prickeln bringt. Wie sorgenvoll sie klingt. Und spanne mich noch mehr an. Ich gebe vor, mehr an der Welt da draußen interessiert zu sein als an dem Mann neben mir. Jenem Mann, der Kraft, Stabilität, Ruhe und Wärme ausstrahlt. Der tabu für mich ist und zugleich nach Regen riecht. Nach einem Hauch Whisky, holzigem Rasierwasser und nasser Natur. Sein Geruch stellt seltsame Dinge mit mir an, Dinge, die ich nicht kontrollieren kann, und ich will, dass es aufhört. Es wird erst aufhören, wenn ich ihn losgeworden bin.

„Setz mich einfach am nächsten Hotel ab und ich werde …“

„Was? Einchecken? Denkst du, ich wäre von gestern?“

Ich kann ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. „Wie gesagt, in meinen Augen bist du steinalt, von daher …“

„Lustig, Avery. Sehr lustig.“

„Ich weiß. Ich bin ein richtiger Scherzkeks.“ Meine Stimme trieft vor Sarkasmus, aber ich kann nichts dagegen tun. Er bringt meine schlechtesten – und besten – Seiten zum Vorschein, je nachdem, wie man es betrachten will. „Aber wenn du denkst, ich würde bei dir übernachten, hast du dich geschnitten.“

„Was ist so schlimm an meiner Wohnung?“

„Zunächst einmal bist du darin.“

Jetzt macht er sich über mich lustig. Es zuckt um seine Mundwinkel, seine Augen funkeln im schwachen Licht. Ich sollte wegsehen, irgendetwas gegen die Hitze tun, die er in meinem Unterleib auslöst, die Art von Hitze, die mir nur noch mehr Ärger einbringen wird. Oder noch mehr Demütigung. Keins der Szenarien scheint sehr verlockend.

„Ist das wirklich so abschreckend?“

Im Gegenteil, und das ist das Problem. „Wenn ich Lust auf Gesellschaft hätte, die mich an meinen Bruder erinnert, wäre ich wie er zu unserem Weihnachtstreffen in den Rockies gefahren.“

„Warum bist du’s nicht?“

Ich beiße mir auf die Zunge, um nichts zu sagen, auch wenn mir viele Antworten in den Sinn kommen. Weil Dad an Weihnachten gestorben ist und ich nicht mehr so tun will, als hätte sein Tod diese Jahreszeit nicht für immer ruiniert. Weil ich die letzte Person bin, die mein Bruder sehen möchte. Weil ich es nicht ertrage, in der Nähe meiner Mutter zu sein, ohne dass sie mich sieht … wirklich sieht.

„Ist er sauer auf dich?“

„Wann ist er das nicht?“

Er betrachtet mich nachdenklich, und ich kämpfe gegen den Wunsch an, meine Worte zurückzunehmen. „Es liegt an dir, etwas daran zu ändern. Das weißt du, oder?“

„Wenn du das wirklich glaubst, dann kennst du meinen Bruder nicht so gut, wie du denkst.“

„Ich nehme mal an, dass die Beziehung nicht mehr so gut ist, seit du dein Studium geschmissen hast.“

Ein Studium, das mein Bruder für mich ausgesucht hat … Ich schnaube, weil ich das Gefühl habe, dass er meine Gedanken liest. „Unsere Beziehung war schon vorher nicht besonders gut.“

„Komm schon, Avery. Er will nur das Beste für dich.“

„Du hast keine Ahnung, wovon du redest.“

„Dann erklär es mir.“

Das Letzte, was ich brauche, ist das Mitleid dieses Mannes oder – was noch schlimmer wäre – mehr von jener Verachtung, mit der schon mein Bruder reagiert hat, als ich ihm erzählte, dass ich Schmuckdesign studieren und eines Tages meine eigene Marke auf den Markt bringen will. Ökologische, einzigartige Schmuckstücke, in denen ich mich wiederfinde, die zwar den Monroe-Namen tragen, aber so wenig wie möglich mit Vermögensverwaltung, dem Schwerpunkt unserer milliardenschweren Firma, zu tun haben.

„Dein Bruder liebt dich.“

Ich lache spöttisch auf und schüttele den Kopf. Er hat wirklich keine Ahnung. Und ich werde einen Teufel tun und es ihm erklären. Wir sitzen schweigend da, bis das Auto vor dem Wolkenkratzer mit seinem Penthouse hält. Er dreht sich zu mir um, doch ich habe bereits die Tür geöffnet und steige aus. Ich brauche den Abstand, die Luft, einen Moment ohne ihn und seine verwirrende Präsenz.

„Danke, Jenkins.“ Er ist schon hinter mir, bevor ich einmal kurz Luft holen konnte. „Das wär’s für heute. Sie können Feierabend machen.“

„Alles klar, Sir.“

Ich bedanke mich mit einem Nicken, bin jedoch zu abgelenkt, um zu sehen, ob er es bemerkt hat. In Gedanken singe ich den Text eines Weihnachtsliedes, um nicht darüber nachzudenken, wohin ich gerade gehe. Es ist eine Bewältigungstechnik, die ich benutze, wenn die Stimmen in meinem Kopf zu laut werden, die Stimmen, die mich herunterputzen, die mir sagen, ich wäre nichts wert, und mich an meinen Verlust erinnern. An Dad.

„Hier entlang.“

Er winkt mich auf den Bürgersteig. Ich gehe in sicherem Abstand hinter ihm her. Dennoch kann ich seinen Duft in der Luft riechen und seine Wärme spüren, während ich durch seine große Gestalt vor dem rauen Wind geschützt werde. In diesem Moment fällt mir ein, dass ich meine Jacke im Club vergessen habe. Ich fluche. Ich mag es nicht, Sachen zu verlieren. Meine Freunde lassen oft irgendwo etwas liegen, ohne sich darum zu kümmern, aber es gibt schon genug Entbehrungen im Leben; ich muss sie nicht noch herausfordern.

Trotz meines knappen Outfits und der winterlichen Kälte friere ich nicht. Der Grund dafür dreht sich gerade zu mir um, die dunklen Brauen zusammengezogen, und sieht mich mit seinen blauen Augen verwirrend eindringlich an. „Was ist los?“

„Meine … Meine Jacke ist noch im Club.“

„Ich lasse sie holen.“

Natürlich. Er ist Gabriel Curran und hat Kontakte auf der ganzen Welt, von New York ganz zu schweigen. Wahrscheinlich hat er auf jedem Kontinent und in jedem Bundesstaat eine andere. Ob er hier eine hat? Eine, die zu Hause auf ihn wartet?

„Ist das ein Problem?“ Er sieht mich merkwürdig an. Erst jetzt stelle ich fest, dass ich wie festgefroren auf dem Gehweg stehe.

„Was?“

„Wenn ich die Jacke holen lasse?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Soll ich das Augenverdrehen dann als Zeichen deiner Zustimmung werten?“

Oh Gott, habe ich das gerade wirklich getan? Meine Schultern sind bis zu den Ohren hochgezogen, meine verschränkten Arme drücken nichts als Abwehr aus, doch wenn er den wahren Grund für das Augenverdrehen kennen würde, stünde mein Gesicht noch mehr in Flammen.

„Sorry, ich war mit den Gedanken woanders.“ Ich gehe in das Gebäude, das er dicht hinter mir betritt. „Danke. Dass du meine Jacke holen lässt, meine ich.“

„Gern geschehen.“ Er gibt dem Türsteher ein Zeichen, den Aufzug zu rufen, doch sein Blick bleibt die ganze Zeit auf mir. „Wie geht es dir, Avery? Jetzt mal ehrlich.“

Unwillkürlich sehe ich ihn an. Etwas an der Ernsthaftigkeit in seiner Stimme weckt in mir den Wunsch, mich ihm anzuvertrauen. Alles herauszulassen. Doch dann erinnere ich mich daran, wer sein bester Freund ist und was Gabe nicht ist: ein loyaler Freund von mir. Jemand, der mich nicht verurteilt, der nichts weitererzählt.

Ehrlich gesagt, Selbstmitleid ist ohnehin das Letzte, was ich heute Abend neben allem anderen gebrauchen kann. Ich will vergessen, wie es ist, am Leben zu sein, dass Dad fort ist und ich mich nie einsamer gefühlt habe. Und Weihnachten kann mich mal kreuzweise. „Was glaubst du, wie es mir geht?“, frage ich und schenke ihm mein schönstes Lächeln.

„Ich weiß es nicht, Avery.“ Seine Stimme ist ein leises Raunen, auf das mein Körper sofort – gegen meinen Willen – reagiert. „Deshalb frage ich ja.“

„Es geht mir gut.“

„Das glaube ich nicht.“

„Doch, wirklich.“

„Ich denke, du bist seit dem Verlust deines Vaters in einer Abwärtsspirale und weißt nicht, wie du wieder herauskommen sollst.“

Seine Direktheit nimmt mir den Wind aus den Segeln. Ich stehe mit offenem Mund da und atme scharf ein. Tränen schießen mir in die Augen, als ich an jenen Tag vor fast sieben Jahren zurückversetzt werde. Den Tag, den ich nur noch vergessen will. Seitdem ich so tue, als wäre nichts geschehen … Auch wenn es nicht stimmt.

„Was weißt du schon?“

„Ich weiß, was in der Klatschpresse steht und was dein Bruder und deine Mutter denken. Die Drogen, der Alkohol, die Partys … Dass du heute Abend in diesem Club warst, bestätigt es nur.“

Mein Blut rauscht durch meine Adern, meine Nackenhaare stellen sich auf. „Sag mal, ist es eigentlich sehr anstrengend, so ein aufgeblasener Besserwisser zu sein, oder fliegt dir das zu?“