Skyland II - Ruth Herbst - E-Book
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Skyland II E-Book

Ruth Herbst

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Beschreibung

Patrizia kann sich an ihr Abenteuer in Skyland nicht mehr erinnern. Dies ändert sich, als David bei ihr auftaucht und ehe sie sich versieht, steckt sie schon wieder mitten in einer Weltrettungsaktion. Die Bösen haben einen Weg gefunden, von Skyland auf die Erde zu gelangen. Nun verseuchen sie das Wasser, sodass die Menschen depressiv werden. Patrizia muss wieder einmal den Skyländern helfen die Bösen zu stoppen. Doch nicht immer kann sie das Böse vom Guten unterscheiden und neben dem Kampf gegen die Bösen läuft auch in ihrem Leben nicht alles rund. Zum Glück kann sie diesmal auch ihre Freunde als Hilfe mit ins Boot nehmen.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

Prolog

Das Klingeln des Weckers riss ihn aus einem wirren Traum, den er vergass, kaum hatte er die Augen geöffnet. Zufrieden drehte er sich auf den Rücken und streckte sich. Voller Vorfreude dachte er an den kommenden Tag. Heute stand ein wichtiges Kundengespräch an und er konnte es förmlich fühlen, wie er diesen fetten Fisch an Land ziehen würde. Dann hätte er sich endlich auch einen dieser Boni verdient, die seine Kollegen regelmässig einsackten, um dann mit ihren Luxusferien, Luxusautos und Luxusuhren zu prahlen. Während er dalag, träumte er davon, wie sein neues Leben aussehen würde. Doch dann rief er sich zur Vernunft, dass er zuerst das Gespräch erfolgreich hinter sich bringen musste. Bevor er das Bett verliess, drehte er sich zu seiner Frau um, von der nur die Nase und die dichten schwarzen Locken zu sehen waren. Als er sie nun so betrachtete, wurde ihm bewusst, wie sehr er sie liebte. Er beugte sich über sie, und küsste sie sanft auf die Nasenspitze. Dann stand er leise auf, nahm seine Kleider vom Stuhl neben dem Bett und ging damit ins Bad. Nachdem er eiskalt geduscht hatte, rasierte er sich mehr recht als schlecht, gelte dafür aber umso penibler seine Haare zurück. In der Küche stellte er die Kaffeemaschine ein und holte die Zeitung aus dem Briefkasten, ganz in Gedanken versunken, mit welchen Argumenten er beim heutigen Gespräch überzeugen konnte. Auf dem Weg vom Briefkasten zurück ins Haus wurde ihm bewusst, wie durstig er war. Bevor er seinen Kaffee trinken würde, brauchte er unbedingt ein grosses Glas Wasser. Seine Zunge war pelzig, wahrscheinlich von der gestrigen Pizza Diavolo. Einen Moment dachte er, wie schön es gestern gewesen war: Er mit seiner Frau in der gemütlichen Pizzeria um die Ecke, ein feines Glas Wein, ein gutes Gespräch und eine romantische Atmosphäre. Was war er doch für ein Glückspilz! Mit grossen Schlucken trank er das Glas leer. Das Wasser schmeckte nach Kupfer und hinterliess einen seltsamen Geschmack in seinem Mund. Es war eklig und erinnerte ihn an den Geschmack von Blut, obwohl er natürlich noch nie Blut getrunken hatte. Er drehte den Wasserhahn nochmals auf und roch am Wasser, doch er konnte nur das Abwaschmittel riechen das neben der Spüle stand. Wahrscheinlich kam der Geruch von den alten Rohren in ihrem Haus. Würde es nicht bessern, müsste er den Sanitärinstallateur bestellen. Die Rohre auszutauschen würde einen rechten Batzen Geld kosten, aber wenn das Wasser weiterhin diesen Geschmack im Mund hinterliess, musste etwas getan werden. Er trank einen Schluck Kaffee, in der Hoffnung, den unangenehmen Geschmack damit loszuwerden. Während er die Zeitung aufschlug, überkam ihn plötzlich eine seltsame Leere und Traurigkeit. Er las all die Horrormeldungen, von denen in der Zeitung berichtet wurde. Krieg, Mord, Massaker, Vergewaltigungen, Prügeleien und vielem mehr. Es fand keinen aufmunternden, positiven Artikel. Als er zu den Todesanzeigen kam und sie überflog, fielen ihm drei auf, bei denen die Verstorbenen scheinbar Selbstmord begangen hatten. Alle drei Menschen waren noch jung gewesen und bei allen hiess es „wir akzeptieren deinen letzten Wunsch“ oder so ähnlich. Ihm erschien alles so sinnlos. Seltsam, eben noch hatte er sich auf den heutigen Tag gefreut und nun sah er gar keinen Sinn mehr in seinem Leben. Was würde es ihm bringen, wenn er einen neuen Kunden akquirieren konnte? Was würde ihm das ganze Geld bringen, das er dafür erhalten würde? Was würde es ihm bringen, wenn er eine liebe Frau hatte? Was, wenn er ein eigenes Haus hatte? Er würde doch sowieso eines Tages sterben. Vielleicht sogar mal an einer schweren Krankheit, unter Qualen. Dann würde ihm all dies sowieso nichts mehr nützen. Gehen musste jeder schlussendlich alleine. Und mitnehmen konnte man auch nichts. Vielleicht hatte seine Frau sowieso schon längst einen Neuen und wartete nur darauf, bis er abkratzte? Vielleicht hasste sie ihn ja in Wirklichkeit und spielte ihm die ganze Zeit nur die grosse Liebe vor? Er nahm den letzten Schluck Kaffee, stellte die Tasse in die Abwaschmaschine und ging dann zurück ins Bad, um sich noch die Zähne zu putzen, obwohl ihm auch das sinnlos erschien, es war mehr die tägliche Routine, die ihn dazu zwang. Wenigstens war jetzt der Kupfergeschmack im Mund weg. Doch das war ihm egal. Alles war ihm egal. Er zog sich wie in Trance die Schuhe und den Mantel an. Dann nahm er seine Aktenmappe und den Autoschlüssel aus der Schale im Gang und verliess das Haus. Draussen war es eisig kalt. Der Wind blies ihm ins Gesicht und trieb ihm Tränen in die Augen. Doch das bemerkte er kaum. Wie ein Roboter öffnete er die Garagentüre, stieg ins Auto und fuhr davon. Den Verkehr nahm er kaum wahr. Was wollte er eigentlich noch auf dieser Erde? Wozu brauchte es ihn noch? Er hatte keine Kinder und seine Eltern waren bereits tot. Seine Arbeitskollegen wären sicher froh, wenn er nicht mehr da wäre, dann hätten sie einen Konkurrenten weniger und ein anderer könnte mit dem Kunden verhandeln. Die würden sich sicher darum reissen. Und je mehr er darüber nachdachte, war er ganz sicher überzeugt davon, dass seine Frau längst einen anderen, einen besseren Mann gefunden hatte. Er fuhr über eine rote Ampel, bemerkte es jedoch nicht, nicht einmal als ein empörter Autofahrer, dem er den Weg abgeschnitten hatte, hupte. Die Strassen waren trocken, kein Schnee und kein Eis. Vor ihm kam eine grosse Kurve, die er immer gerne mit Schuss nahm. Sie war grosszügig ausgebaut und nur bei eisiger Strasse gefährlich. Doch heute kam er auf die Kurve zu, sah sie jedoch nicht. Er sah überhaupt nichts und tat überhaupt nichts. Anstatt das Lenkrad zu drehen, fuhr er einfach gerade aus. Er schoss auf die Leitplanke zu, welche er mit hohem Tempo durchbrach. Kein Schrei entfuhr ihm, spürte weder Angst noch Schmerzen. Dann überschlug sich das Auto mehrmals, bevor es am Ende des Abhanges von einem grossen Baum gestoppt wurde.

Kapitel 1

Laute Stimmen vor meinem Fenster weckten mich. Was war das für ein verdammter Radau? Wütend zog ich mir die Decke über den Kopf. Es war Samstag, ich könnte ausschlafen und nun wurde ich von irgendwelchen gedankenlosen Menschen, welche in unnatürlicher Lautstärke sprachen, geweckt. Noch halb im Schlaf streckte ich den Arm auf die rechte Seite des Bettes aus. Erst dann wurde mir bewusst, dass Jens nicht mehr bei mir war. Ich spürte einen Stich im Herz. Nicht mal ein ganzes Jahr waren wir zusammen gewesen. Ich hatte immer gewusst, dass ich kein Beziehungsmensch bin, doch irgendwie hatte ich die Hoffnung gehabt, mit Jens den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Ich hatte geglaubt, wenn man etwas wirklich will, es auch zu schaffen. Doch es hatte nicht geklappt. Jens hatte sich vor der Trennung aber auch ziemlich seltsam benommen. Schnell schob ich alle Gedanken an Jens beiseite. Der Gedanke an ihn tat immer noch weh. Zudem hatte ich immer das Gefühl des Versagens, wenn ich an ihn dachte. Alle führten Beziehungen, nur ich brachte nicht mal das fertig. Plötzlich fragte ich mich, wieso ich eigentlich immer noch nur auf der linken Seite des Bettes lag, da ich doch nun wieder das ganze Bett für mich alleine zur Verfügung hatte. Ich rollte mich in die Mitte, doch als ich die kalte Matratze unter mir spürte, rollte ich mich schnell wieder zurück und streckte den Arm aus, um das Radio einzuschalten. Dabei streifte ich den Wecker, welcher auf den Boden fiel. Was war heute bloss los? Entnervt strampelte ich die Bettdecke weg, nahm den Wecker unter dem Bett hervor, schaute nach, ob er noch funktionierte, was er tat und stellte ihn dann wieder auf das Nachttischchen. Dann stellte ich das Radio ein und legte mich zurück ins Bett. Es kam gerade ein Song von Michael learns to rock, dessen Titel mir zwar im Moment nicht in den Sinn kam, ich jedoch den Text kannte, so dass ich, im Bett liegend, laut mitsang. Als der Song fertig war, gab es Werbung und ich stellte meine Ohren auf Durchzug. Was sollte ich heute machen? Am liebsten wäre ich zur Arbeit gegangen. Jetzt, da ich ausgeschlafen hatte, wäre es mir egal gewesen. Seit Jens weg war, fühlte ich mich oft einsam. Das war mir früher nie passiert. Ich war glücklich gewesen, wenn ich möglichst viel alleine war. Doch mit Jens hatte ich immer sehr viel unternommen und nun war es schwierig, wieder mit dem vorherigen Leben weiterzufahren. Wenigstens hatte ich eine neue Stelle, bei der ich sehr gerne arbeitete. Mir wäre es egal gewesen, wären es 100% gewesen, doch ich arbeitete nur 80%. Den zusätzlichen Freitag wusste ich in letzter Zeit kaum rumzubringen. Ich versuchte Pläne zu machen, doch mir fiel gar nichts ein. Dabei hätte es schon das eine oder andere gegeben, das ich hätte tun können. Doch für alles fehlte mir die Motivation. Komischerweise hatte ich früher mit meiner wenigen Freizeit viel eher etwas anzufangen gewusst. Während der letzten Tage war es sehr kalt gewesen, also mochte ich mich nicht mit der Digitalkamera draussen rumzutreiben. Kleider shoppen konnte ich auch nicht, das hatte ich letztes Wochenende schon getan und mit meinem 80%-Lohn lagen regelmässige Shoppingtouren sowieso nicht mehr drin. Zudem war mein Schrank derart voll, dass ich nach dem Waschen Mühe hatte, all die Kleider wieder zu verstauen. Vielleicht könnte ich wieder einmal mit meiner Mutter abmachen. Ich hatte sie schon eine Weile nicht mehr gesehen, da in der Schreinerei meines Vaters reger Betrieb herrschte und sie mit den administrativen Aufgaben voll ausgelastet war. Ich hatte ihr mal meine Hilfe angeboten, doch davon wollte sie nichts wissen. Ich hätte doch sicher sonst schon viel um die Ohren, hatte sie gemeint. Als ich das verneinte, glaubte sie nur, ich würde ihr etwas vormachen. Sie glaubte, alle jungen Menschen haben viel um die Ohren. Dabei sollte sie doch eigentlich ihre eigene Tochter besser kennen. Aber ich beharrte nicht darauf und liess es sein. Nun kamen im Radio die Nachrichten und ich hörte aufmerksam zu. In der Gegend hatte sich ein schwerer Autounfall ereignet. Obwohl die Strassen trocken und es eine übersichtliche Kurve war, war gestern Morgen ein junger Mann mit dem Auto einfach geradeaus einen Abhang heruntergefahren. Der Mann verstarb bei diesem schweren Unfall. Nun suchte die Polizei Zeugen. Ich fragte mich, ob dieser Mann wohl eine Familie hatte. Das war schon tragisch. Da stand man am Morgen nichts ahnend auf und plötzlich war nichts mehr so, wie es war. Aber das war das Problem mit dem Schicksal. Es schlug einfach zu und fragte nicht lange, ob es heute passen würde. Da würde es ja nie passen. Mit halbem Ohr hörte ich noch die Wettervorhersage. Der Sprecher erzählte etwas von weiterhin kaltem Wetter. Im Unterland mit Nebel in den Bergen mit schönstem Sonnenschein. Wenigstens hatten die Wintersportorte etwas von diesen kalten Tagen. Aber bei uns unten war es schon sehr trostlos. Und das bereits seit über zwei Wochen. Ich stand auf, da es mir im Bett langsam langweilig wurde und stellte mich unter die Dusche. Dann zog ich mich warm an, packte meine Handtasche und machte mich auf den Weg in die Stadt. Ich hatte mich entschlossen, wieder einmal in die grosse Bücherei zu gehen. Sicher würde ich dort ein gutes Buch finden, ich fand eigentlich immer eins. Vor dem Haus fuhr gerade die Nachbarin ihr Auto rückwärts aus dem Parkplatz. Ich hielt einen grossen Sicherheitsabstand und wartete, bis sie definitiv fortfahren würde. Rückwärtsfahrenden Autofahrerinnen traute ich nie. Obwohl ich selber Auto fuhr, oder gerade deshalb. Ich war auch oft unberechenbar. Bei den Frauen war das immer seltsam. Sie machten meistens Unfälle bei den ungefährlichsten Manövern, zum Beispiel beim Ein- oder Ausparkieren. Männer hingegen brachten eher mit ihrem Machogehabe die anderen Verkehrsteilnehmer in Gefahr. Die Nachbarin war immer noch am Manövrieren. Sie fuhr ein bisschen Rückwärts. Bremste. Schaltete, dass es laut und deutlich zu hören war. Dann wieder ein Stück vorwärts. Bremsen. Räder in die andere Richtung einschlagen. Wieder ein Stück rückwärts. Bremsen. Räder in die andere Richtung einschlagen. Vorwärtsgang, dass es knirschte. Fahren. Bremsen. Noch etwas rückwärts. Wieder bremsen. Wieder Vorwärtsgang. Als ich schon glaubte, bis zum jüngsten Tag hier stehen zu müssen, hörte ich plötzlich eine scheue Stimme hinter mir, die mir bekannt vorkam. „Hallo Patrizia“. Es war eine Frauenstimme und ich drehte mich um. Da stand doch tatsächlich Paula. Ganz entgeistert starrte ich sie an. Paula war mal eine gute Kollegin von mir gewesen, bis sie sich in einen gewissen Paolo verliebt hatte, der sich dann als Krimineller entpuppt hatte. Da sie sich für ihn und gegen mich entschiede hatte, hatte ich ihr die Freundschaft gekündigt. Früher war Paula eine kräftige kleine Frau mit kurzen schwarzen Haaren und einem ernsten Gesicht gewesen. Doch jetzt war sie ganz dünn, hatte dunkle Augenringe und ihre Haare fielen ihr in fettigen Strähnen auf die knochigen Schultern. Sie sah erbarmungswürdig aus, trotzdem tat sie mir nicht leid. Mir kam unser letztes Gespräch in den Sinn, bei dem sie mich schwer beleidigt hatte, was mich sehr verletzt hatte. Obwohl ich an unserem damaligen Streit auch nicht ganz unbeteiligt gewesen war. Aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie war die mit dem kriminellen Freund gewesen, nicht ich. Ich ersparte ihr und mir eine Begrüssung und schaute sie nur an. Auch sie schien nicht recht zu wissen, was sie sagen sollte, denn sie schwieg nun ebenfalls. Ich gab ihr zehn Sekunden, dann würde ich davonlaufen. Eigentlich war sie immer eine liebenswürdige Person gewesen. Sicher hatte dieser Paolo sie zu diesem bösartigen Menschen gemacht und plötzlich verspürte ich Mitleid mit ihr. Ich glaube fest daran, dass in jedem Mensch etwas Gutes steckt, aber auch immer etwas Böses. Jeder Mensch kam gut auf die Welt, also weiss und rein, doch dann entwickelte sich das Schwarze, das Böse. Bei einigen blieb es ein kleiner unbedeutender Fleck, bei anderen jedoch verschlang es das Weisse regelrecht. Paula, da war ich mir sicher, war immer noch mehr weiss als schwarz. Doch Paolo war sicher fast nur noch schwarz mit einem winzigen Pünktchen weiss. Das Pünktchen war wahrscheinlich so klein, dass es nicht mal mit einer Lupe, sondern nur mit einem Spezialmikroskop zu finden war. Mist, bei diesen ganzen Gedanken hatte ich vergessen auf zehn zu zählen. War die Zeit schon um, dass ich davonlaufen würde? Gerade eben wollte ich mit dem Zählen beginnen, als Paula den Mund aufmachte. Sie hatte gerötete Wangen, was sicher nicht nur vom kalten Wind kam. „Patrizia. Ich möchte mich entschuldigen für unseren Streit. Es tut mir echt leid, was ich damals gesagt habe. Ich meinte das echt nicht so, gar nichts von alledem. Ehrlich!“ Sie schaute mich flehentlich an, doch ich schwieg immer noch. Was hätte ich schon sagen sollen? Es wäre entweder etwas Verletzendes gewesen oder einer meiner blöden, unpassenden Sprüche. Plötzlich sagte sie „Achtung!“ und zog mich zur Seite. Der freie Parkplatz meiner Nachbarin war nun von einer anderen Autofahrerin entdeckt worden, die nun weit ausholte, um auch sicher einparkieren zu können. Nur hatte sie ausser Acht gelassen, dass da noch zwei Frauen standen, die miteinander sprachen. Zumindest eine sprach. Ich machte schnell einen Schritt zur Seite, die Autofahrerin hatte davon immer noch nichts mitbekommen und dann sah ich wieder Paula an. „Puh, danke! Ja, du warst echt fies zu mir. Du weisst gar nicht wie sehr mich das verletzt hatte. Vor allem weil du doch sonst nicht so bist.“ Sie schaute mich verlegen an, wollte soeben etwas sagen, doch dann drehte sie sich um und brüllte die Autofahrerin, die nun ausgestiegen war, an, „wozu hast du eigentlich Augen im Kopf? Bist du blind oder was?“ Die Autofahrerin schaute genauso überrascht, wie ich mich fühlte. „Was ist denn los?“ fragte sie Paula. „Du hast uns fast über den Haufen gefahren! Hast du deinen Fahrausweis im Lotto gewonnen?“ und murmelnd fügte sie noch hinzu, „blöde Kuh“. Die Autofahrerin schien immer noch nichts zu begreifen, trotzdem sagte sie, „tut mir leid, aber ich habe euch nicht bemerkt. Tut mir wirklich leid.“ „Ja das haben wir auch bemerkt“, erwiderte Paula schnippisch. Die Autofahrerin schaute uns beide verängstigt an. Wahrscheinlich dachte sie, dass wir gleich Waffen aus unseren Jacken zaubern und uns auf sie stürzen würden. Oder was auch immer. Paula winkte nur böse ab und sagte nichts mehr. Dann drehte sie sich wieder mir zu. Ich klappte meinen offenen Mund wieder zu. So kannte ich Paula überhaupt nicht. Früher war sie eine ruhige, introvertierte Frau gewesen, die etwa so temperamentvoll war, wie eine Fledermaus am Tag. Doch jetzt war sie regelrecht zur Furie geworden und ich schämte mich dafür, mit ihr hier zu stehen und zu sprechen. Wahrscheinlich wurde ich nun in den gleichen Topf wie sie geworfen. Ihre Augen funkelten immer noch wütend, doch plötzlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. „Tut mir leid, aber die ignorante Art einiger Leute geht mir so auf die Nerven! Diese Frau hätten wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, dass sie uns überfahren hat, wenn wir an ihrem Auto geklebt hätten.“ Wider Willen musste ich lachen, als ich mir diese Szene vorstellte, wie wir am Auto kleben würden und die Autofahrerin seelenruhig davonlaufen würde. Und wenn sie dann wieder zurückkäme, würde sie sich beim Abfahren wundern, weshalb das Auto so holprig fuhr. Paula lächelte nun ebenfalls. „Hast du vielleicht Zeit für einen Kaffee?“ fragte sie nun schüchtern. Bei dieser Frage hatte ich sofort ein Déjà-vu. Genau das hatte sie mich vor etwa anderthalb Jahren auch gefragt. Und dann war die Situation eskaliert und ich hatte Paula bis jetzt nicht mehr gesehen. Gerne hätte ich ‚nein‘ gesagt, doch mit welcher Begründung? Dass ich noch schnell in die Buchhandlung müsse und danach den Rest des Wochenendes in meiner Wohnung versauern würde? Natürlich hätte ich mir auch eine gute Lüge einfallen lassen können, doch Lügen war nicht meine Stärke. Meistens erzählte ich viel zu viel, plapperte sinnlos drauflos, so dass meine Lügen sofort durchschaut wurden. „Na gut“, sagte ich wenig überzeugt. Ich fügte mich dem Schicksal. Nun würde ich wenigstens einmal an diesem Wochenende mit jemandem ein normales Gespräch führen. „Super!“ Ein Strahlen zog über Paulas Gesicht, das sie komischerweise noch schlechter aussehen liess. Ihre Haut war wie Pergament und knitterte seltsame, als sie nun lächelte. „Und, wo möchtest du hin?“ fragte ich sie. Diesmal wollte ich nicht entscheiden. „Wir könnten doch in die Stadt. Ein bisschen Laufen tut mir gut und zudem liebe ich dieses kalte Wetter, es ist herrlich, wenn einem der Wind ins Gesicht bläst und man sich dann wieder aufwärmen kann.“ Ich nickte zustimmend. Das ging mir jeweils genauso. Es war heimelig, wenn man draussen in der Kälte war und dann wieder in die Wärme konnte, anstatt den ganzen Tag in der Wärme zu verbringen. Also spazierten wir los und schwiegen einander an. Ich hatte nicht das Bedürfnis etwas zu sagen und sie anscheinend auch nicht. Als wir an einem Café vorbeiliefen, sahen wir, dass es drinnen noch freie Tische hatte. Wir kehrten um und gingen hinein. Beim Eintreten empfing uns eine mollige Wärme. Wir setzten uns an einen Tisch am Fenster, ich bestellte einen Latte Macchiato und ein Gipfeli, Paula einen Cappuccino. Wir schwiegen weiterhin und Paula begann erst zu sprechen, als die Kellnerin unsere Bestellung brachte. Sofort begann ich den Schaum meines Latte Macchiatos oben ab zu löffeln, während Paula fragte, „bist du immer noch böse auf mich?“ Einen kurzen Moment überlegte ich. War ich das? Wahrscheinlich schon. Vor allem verletzt. Aber mir machte auch etwas anderes zu schaffen. Ich hatte grottenschlechte Menschenkenntnisse. Paula kannte ich doch schon eine ganze Weile, oder glaubte sie zumindest zu kennen und dann enttäuschte sie mich derart. Das machte mir Angst. Wem konnte ich denn noch trauen? Aber natürlich waren die Menschen unberechenbar. Ich würde einen Menschen nie wirklich kennenlernen. Die meisten Menschen kannten ja nicht einmal sich selbst richtig. Offen schaute ich Paula an. „Irgendwie schon. Du hast mich einfach enttäuscht. Das war echt schlimm und ich hatte mir gewünscht, dich nie mehr wiederzusehen“, sagte ich ehrlich. Sie schaute mich ganz bestürzt an. „Ist das wahr?“ „Ja, aber irgendwie kann ich dir auch nicht richtig böse sein, dazu kennen wir uns zu lange und ich weiss, dass du eigentlich eine ganz liebenswürdige Person bist.“ Sie entspannte sich ein bisschen, um sich bei meiner nächsten Frage gleich wieder zu verkrampfen. „Wie geht es denn Paolo?“ wollte ich nun wissen. Sie schwieg eine ganze Weile, spielte mit ihrem Löffel und schaute auf die Tischplatte. Dann hob sie den Kopf und schaute mir direkt in die Augen. „Ich weiss es nicht. Als er ins Gefängnis musste, habe ich ihn noch ein paar Mal besucht. Doch ich habe dadurch all meine Freunde verloren, sogar meine Familie wollte nichts mehr von mir wissen. Erst da merkte ich, dass Paolo das nicht wert ist. Doch jetzt ist es schon zu spät. Meine Familie hasst mich und ich fühle mich so einsam.“ Eine Träne rollte ihr über die Wange und sie wischte sie schnell weg. „Tut mir leid. Ich sollte hier nicht rumheulen, immerhin habe ich mir dieses Schlamassel selber zu verdanken.“ Wie wahr, dachte ich sarkastisch, sagte aber, „ist es wirklich so schlimm?“ „Ja“, hauchte sie nur. Meine Frage war eigentlich überflüssig gewesen, ich brauchte sie mir nur anzuschauen. „Zum Glück habe ich noch meine Arbeit, dann bin ich wenigstens um Menschen.“ Plötzlich fielen mir unsere Parallelen auf. Auch ich war oft alleine, nur hasste mich meine Familie nicht und ich hatte immerhin noch Regula, auch wenn die in letzter Zeit meistens mit Markus, ihrem Ehemann, beschäftigt war. „Wie lange muss Paolo noch im Gefängnis bleiben?“ wollte ich nun wissen. Ich hoffte, noch den Rest seines Lebens, doch das war hier in der Schweiz leider sicher nicht der Fall. „Noch etwa fünf Jahre, je nachdem. Du weisst ja wie das ist.“ Nein, das wusste ich nicht, doch ich wollte nicht nachhaken. Wir hatten gar keine gemeinsamen Themen mehr. Früher plauderten wir stundenlang über Bücher, Filme, Schauspieler und Promis, doch jetzt erschien mir dies alles zu banal. Ich mochte nicht mit ihr über einen Film sprechen, während ich wusste, dass ihr damaliger Freund versucht hatte, eine Frau zu vergewaltigen. „Und sonst so? Was Neues? Du hast ziemlich abgenommen“, versuchte ich das Gespräch wieder zum Laufen zu bringen, da auch sie scheinbar keine Gesprächsthemen hatte, obwohl sie ja auch mal hätte fragen können, wie es mir ginge. Aber das schien ihr nicht in den Sinn zu kommen. „Danke, aber es geht mir nicht gut. Ich esse kaum noch etwas. Weisst du wie oft ich mich gefragt habe, was aus mir geworden wäre, wenn ich auf dich gehört hätte? Dann wäre jetzt alles noch beim Alten.“ Verlegen schaute ich sie an. Meine damaligen Worte waren also doch nicht spurlos an ihr vorbeigezogen. Wie oft hatte ich sie vor diesem Paolo gewarnt, doch sie glaubte doch tatsächlich, ich hätte es auf ihn abgesehen! „Ach komm schon. Du solltest auch nicht auf mich hören. Ich lasse den lieben langen Tag so viel Mist raus, da ist es gut, wenn das meiste nicht gross beachtet wird.“ Ich lächelte sie an worauf sie mein Lächeln erwiderte. „Ich würde so gerne wieder öfters mit dir abmachen“, sagte sie, fast schon bittend. Das war eigentlich das Letzte was ich wollte, doch ich würde mich sicher wieder mit ihr treffen. Vielleicht würde es sogar wieder wie früher. Und ich war ja nicht mit vielen Freunden beschenkt, da konnte ich froh sein um jeden, der mich mal treffen wollte. „Klar, wir könnten doch wieder mal zusammen essen gehen, so wie früher. Weisst du, ich arbeite jetzt nur noch 80%, da habe ich auch längeren Mittag.“ „Aber wieso arbeitest du nur noch 80%? Musste dein Pensum abgebaut werden?“ fragte sie ganz erstaunt und mir kam in den Sinn, dass sie gar nichts von meinem Stellenwechsel wusste. „Nein, ich habe letzten Sommer die Stelle gewechselt, es war einfach nichts mehr für mich. Ich hasste es dort zu arbeiten. Und nun bin ich bei einer Sicherheitsfirma angestellt und schmeisse dort das Büro, was echt Spass macht. Aber wie gesagt, leider nur 80%.“ „Aber wieso hast du dir nicht eine 100% Stelle gesucht?“ wollte Paula erstaunt wissen. Ich wusste es selbst nicht und das sagte ich ihr auch. Damals war eine seltsame Zeit gewesen. Dauernd war ich müde, unmotiviert und traurig gewesen. Doch dann lernte ich Jens kennen und alles änderte sich. Und jetzt war eigentlich alles wieder beim Alten, nur dass ich nicht mehr dauernd müde, unmotiviert und traurig war. Sondern nur noch ab und zu. „Aber ich will diese Stelle unter keinen Umständen wechseln. Wir haben ein tolles kleines Team und die Arbeit macht mir echt Spass.“ „Na dann, was willst du noch mehr?“ sagte Paula nur, doch ich merkte ihr an, dass sie mich nicht ganz verstand. Vielleicht beneidete sie mich auch. Wieder schwiegen wir. Als ich merkte, dass wir zwei uns für heute alles gesagt hatte, meinte ich, „du, ich muss langsam los. Aber ich melde mich nächste Woche mal, damit wir zusammen Mittagessen gehen können.“ Sie schien enttäuscht zu sein, dass ich unser Treffen bereits wieder beendete, doch sie holte ihren Geldbeutel aus der Tasche und meinte, „ich lade dich ein.“ „Das musst du doch nicht!“ wehrte ich erstaunt ab. „Doch. Ich weiss gar nicht, wie ich mein Verhalten bei unserem letzten Treffen wieder gut machen kann. Aber ich fange mal damit an, dass ich dich einlade“, sagte sie und lächelte verlegen. „Vielen Dank!“ Sie bezahlte und dann verabschiedeten wir uns. Ich lief in die entgegengesetzte Richtung, in die Stadt. Der Wind schien mir nun viel unangenehmer, da ich aus der Wärme kam. Als ich bei der Buchhandlung ankam, ging ich sofort rein und steuerte auf die Abteilung mit den Krimis zu. Ich nahm Bücher raus, las die Zusammenfassung auf der Rückseite und legte sie dann wieder zurück. Irgendwie passte mir heute gar nichts. Gedankenverloren blickte ich mich um und dann fiel mir ein Plakat mit einem Sonnenuntergang ins Auge, auf dem der Spruch stand, „Die Dunkelheit kann einen erschrecken, auch wenn man dem Untergehen der Sonne zugeschaut hat.“ Wie wahr, sinnierte ich. Plötzlich hörte ich eine Stimme neben mir. „Der Spruch ist ziemlich gut, nicht?“ Erstaunt drehte ich mich um. Neben mir stand ein rothaariger junger Mann, der ebenfalls auf das Plakat blickte und danach mich ansah. Er lächelte. „Ja. Der hat sicher ein Mann geschrieben“, sagte ich lachend. Verwirrt schaute er mich an. „Aber wieso denn?“ „Meistens merken die Männer erst, dass etwas den Bach runtergeht, wenn es bereits zu spät ist.“ „Was soll denn das wieder heissen?“ fragte er leicht säuerlich. „Bist du eine von diesen Emanzen, die glauben, die Männer hätten nichts im Griff?“ Ich war erstaunt, dass er so verletzt reagierte. Schnell begann ich zu erklären, „nein, überhaupt nicht. Aber wir Frauen bemerken meistens, dass etwas nicht gut ist, wenn uns das Wasser bis zum Hals steht. Bei den Männer ist das erst der Fall, wenn das Wasser ihnen schon über den Kopf steigt und ihre Gelfrisur zum Teufel geht.“ Wieder lachte ich, um zu zeigen, dass es bloss ein Witz war. „Das hat vielleicht was“, lenkte er zu meinem Erstaunen ein. „Aber ihr Frauen habt auch eure Fehler.“ „Natürlich haben wir die, jedoch andere, aber deshalb nicht weniger. Wir merken das Wasser nur früher, weil es uns bereits beim Hals das Make-up versaut“, fügte ich noch kichernd hinzu. Er nickte schmunzelnd und schaute wieder gedankenverloren zum Plakat. Plötzlich hörte ich eine weibliche Stimme, die durch die ganze Buchhandlung hindurch rief, „Manuel, kommst du endlich? Ich bin fertig!“ Wie auf Kommando drehten wir beide die Köpfe in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Ich sah eine hübsche blonde Frau, die den Mann neben mir böse anschaute und dann mir einen giftigen Blick zuwarf. War diese Frau etwa blind? Hatte die tatsächlich das Gefühl, ich könnte ihr den Mann ausspannen? Gegen dieses hübsche Weibsbild hätte ich nicht mal im Traum eine Chance. Höchstens wenn es um das Benehmen gegenüber dem Mann ging. Er schaute mich entschuldigend an, sagte „tschüss“ und ging dann schnell zu seiner Begleiterin. Er warf mir noch einen Blick zu und zuckte die Schultern, als müsste er sich für seine Freundin entschuldigen. Diese hatte den Blick und das Schulterzucken bemerkt und liess nun einen Redeschwall los, den ich zum Glück nicht verstand. Armer Manuel! Ich las den Spruch noch einmal. Er gefiel mir immer besser. Es war doch tatsächlich so, dass man etwas oft kommen sah, jedoch erst reagierte, wenn es zu spät war. Ich wendete mich wieder den Büchern zu, fand aber immer noch nichts. Also sah ich mich noch in den anderen Abteilungen um. Erst bei der Abteilung Science-Fiction fand ich ein Buch über einen Mann, der die Welt vor Zombies retten musste. Das gefiel mir. Heute war ich genau in der Stimmung für so was. Nachdem ich das Buch bezahlt hatte, machte ich mich wieder auf den Heimweg. Zu Hause packte ich sofort das Buch aus, machte mir einen Kaffee, öffnete eine Packung Kekse und setzte mich damit auf das Sofa. Ich begann zu lesen und bald war ich total in das Buch vertieft. Die Story war spannend geschrieben. Von Anfang an ging sie voll los. Der Mann machte seine Sache ziemlich gut und trotzdem war er nicht über alle Zweifel erhaben. Das fand ich toll. Ich hasste es, wenn ein Superheld daherkam und einfach alles rettete, was es zu retten gab. Zum Glück hatte ich bereits am Freitag die Wohnung geputzt und die Wäsche gemacht. So konnte ich mich mit gutem Gewissen meinem Buch widmen. Genau das richtige bei diesem Wetter. Plötzlich nahm ich unwirsch wahr, dass mein Handy summte, welches ich auf dem Küchentisch vergessen hatte. Sollte ich aufstehen und nachsehe wer mich anrief oder lieber sitzen bleiben? Doch da sich schon mal jemand bei mir meldete, stand ich auf und sah, dass mich Regula suchte. „Hallo?“ fragte ich fröhlich. Regula war meine beste Freundin und ein unglaublich lieber Mensch. Nur manchmal fast etwas zu perfekt. „Hi Patrizia. Wie geht es dir?“ „Danke gut. Und selber?“ „Toll, aber hör mal zu, Markus ist für fünf Tage auf Geschäftsreise und da wollte ich dich fragen, ob du mit mir ein bisschen in die Stadt kommst.“ Eigentlich hatte ich es gerade so gemütlich zu Hause, anderseits traf ich Regula nur noch selten und so sagte ich zu. „Klar! Wann wollen wir uns denn treffen?“ „Ich könnte in etwa fünfzehn Minuten bei dir sein. Bist du bis dann parat?“ „Sicher, bis später!“ „Bis dann!“ Und nun begann ein geschäftiges Treiben. Zuerst verstaute ich die schmutzige Kaffeetasse in der Abwaschmaschine, versorgte die restlichen Kekse in einer Büchse und stellte mich dann vor den Kleiderschrank, um etwas Anständiges anzuziehen. Ich hatte, wie immer, ein riesen Problem damit. Schlussendlich entschied ich mich für einen roten Rollkragenpullover und eine hellblaue Jeans, dazu legte ich mir noch eine Kette, die ich erst letzte Woche gekauft hatte, um. Da Regula immer so bezaubernd aussah, wollte ich nicht wie der letzte Lump daherkommen. Ich dachte an ihre Hochzeit im Frühling und wie toll sie in ihrem Kleid ausgesehen hatte. So stellte ich mir die perfekte Braut vor. Sie hatte ihre blonden Haare so hochgesteckt, dass nur einige Löckchen aus dem Knoten herausfielen. Dazu war sie dezent geschminkt gewesen und hatte dieses hellblaue, enge Kleid an, das einen tiefen und doch nicht exhibitionistischen Ausschnitt hatte. Sie hatte einen perfekten Kleidergeschmack, den sie wieder einmal unter Beweis gestellt hatte. Und Markus hatte auch toll ausgesehen in seinem dunkelblauen Anzug. Es war zwar nur die zivile Trauung gewesen, doch es war wunderschön gewesen. Der Vater von Markus, ein ehemaliger Alkoholiker, hatte alles organisiert und das perfekt. Er war der Trauzeuge von Markus gewesen und ich die Trauzeugin von Regula. Trotz ihrer netten Art, hatte Regula nicht viele Freunde. Woran das lag, konnte ich mir auch nicht erklären. Dass Markus seinen Vater als Trauzeuge gewählt hatte, war sicher speziell, aber sie hatten eine schwere Zeit hinter sich und er wollte ihm damit seine Liebe zeigen. Es war ein lustiger Tag geworden. Zum Fest kamen noch die Arbeitskollegen und –kolleginnen von Regula und Markus. Natürlich waren auch die Eltern von Regula da und Markus Bandkollegen, die für die musikalische Unterhaltung zuständig waren. Sie spielten Jazz, Swing, aber auch aktuelle Hits und das echt super. Obwohl ich eigentlich nicht tanzen kann, wagte ich mich doch aufs Tanzparkett. Es war toll. Beim Essen sass ich am Tisch von Regula, Markus, ihren Eltern und Markus Vater. Er sass mir gegenüber und war unglaublich unterhaltsam. Hätte ich es nicht gewusst, hätte ich nie geahnt, dass er lange Zeit wegen seiner Alkoholsucht in einer psychiatrischen Klinik war. Das Einzige was darauf hinwies war, dass er etwas verlebt aussah, zumindest sah er älter aus als er war. Den ganzen Abend erzählte er Anekdoten und Witze, aber niemals primitiv, sondern immer auf eine lustige Art. Markus war ihm sehr ähnlich. Nicht optisch, sondern in der Art wie er etwas erzählte oder sich selber auf den Arm nahm. Regula hatte mit ihm einen richtigen Glückstreffer gelandet. Die Klingel schreckte mich aus meinen Gedanken. Jetzt hatte ich noch nicht mal die Schuhe und den Mantel angezogen! Schnell schlüpfte ich hinein, band mir einen farbigen Schal um den Hals, packte meine Handtasche und eilte dann nach unten. „Hallo Regula“, begrüsste ich sie leicht schnaufend. Mit meiner Kondition stand es nicht zum Besten, doch ich war zu faul um Sport zu treiben. Lieber sass ich den ganzen Tag Kekse essend auf dem Sofa und nahm für die kürzesten Strecken das Auto. Und dauernd nahm ich mir vor, mit dem Rauchen aufzuhören, was ich bis jetzt noch nicht geschafft hatte. Aber zum Glück war ich nur eine Wochenend- und Gelegenheitsraucherin. „Hallo Patrizia. Sorry, ich wollte dich nicht hetzen.“ „Kein Problem. Ich war eigentlich parat, doch dann wurde ich von den schönen Erinnerungen an deine Hochzeit abgelenkt“, erklärte ich lachend. „Na gut, das ist eine Entschuldigung, die ich akzeptiere“, meinte sie augenzwinkernd und dann liefen wir los. „Übrigens apropos Hochzeit, kannst du mir nicht nochmals die Fotos schicken, welche du gemacht hast? Ich muss sie einer Arbeitskollegin schicken. Sie heiratet nächsten Frühling und möchte noch einige Ideen sammeln.“ „Aber klar.“ Ich war die Hochzeitsfotografin gewesen. Obwohl ich mich anfänglich dagegen gewehrt hatte, ich wollte nicht, dass sie schlechte Hochzeitsfotos hatten und das dann meine Schuld wäre, hatte es mir einen riesen Spass gemacht. Die Fotos waren wirklich gut geworden und wurden auch immer wieder gelobt. „Und wie geht es dir so?“ wollte ich nun wissen. „Super!“ Sie strahlte mich an und sah einmal mehr bezaubernd aus. Eine blaue Mütze brachte ihre Augen regelrecht zum Strahlen. Zudem trug sie einen schmal geschnittenen sandfarbenen Mantel, der ihre Figur sehr vorteilhaft betonte. Es war seltsam. Obwohl ich Regula nun schon sehr lange kannte, konnte ich mich nicht daran gewöhnen wie hübsch und perfekt sie war. Meistens kam ich mir neben ihr ziemlich schäbig vor. Was kein Wunder war. Ich hatte weder ihre schönen Haare, noch die tolle Figur oder die reine Haut. Aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass meine innere Schönheit sicher ebenso gross war, wie ihre. Obwohl ich das im Grunde meines Herzens auch bezweifelte. Ich war faul, hatte oft Gefühlsschwankungen, war ungeduldig und manchmal auch unfair. Sie jedoch war auch in diesen Belangen perfekt. Sie war ausgeglichen, zielorientiert, geduldig, fair und immer gut zu ihren Freunden. Davon hatte ich schon mehr als einmal profitiert. Zudem war sie nicht nachtragend, was ich von mir nicht behaupten konnte. Doch das war mein Glück. Denn als sie Markus kennenlernte, machte ich ihn dauernd schlecht, da ich das Gefühl hatte, dass er sich seltsam benahm. Zum Glück hörte sie nicht auf mich, denn sein seltsames Benehmen kam daher, dass sein Vater ein Ex-Alkoholiker war und sich zu der Zeit noch in einer psychiatrischen Klinik auf Entzug aufhielt. Das getraute sich Markus Regula nicht sofort zu erzählen. Regula jedoch kannte mich gut genug und wusste von meinen miserablen Menschenkenntnissen und so liess sie meine Meinung bei einem Ohr rein und beim andern wieder raus und liess Markus die nötige Zeit, bis er ihr erzählte, was der Grund für sein Verhalten war. Soeben erzählte Regula, dass sie mit Markus eine grössere Wohnung suche. Ich hatte nur mit halbem Ohr zugehört und erschrak nun. Sie wollten doch hoffentlich nicht wegziehen? Ein Leben ohne Regula konnte ich mir nicht vorstellen. Auch wenn ich sie in letzter Zeit nicht mehr oft sah, war sie doch meine beste, und ehrlich gesagt zurzeit auch einzige, Freundin. „Wollt ihr denn wegziehen?“ fragte ich nun. „Nein, wir suchen etwas in der Nähe.“ Und dann packte sie mich am Arm. „Ich könnte doch nicht einfach so von dir wegziehen! Mit wem würde ich dann quatschen und wie heute, in die Stadt gehen?“ Erleichterung durchflutete mich. Sie sah es also genauso wie ich. Oft hatte ich Angst, dass ihr unsere Freundschaft nach der Hochzeit nicht mehr so wichtig wäre. „Ja, stell dir vor wie traurig das wäre“ und ich lächelte sie bei diesen Worten an. Wir waren nun beim Einkaufszentrum angelangt und wollten soeben reingehen, als mich Regula auf einen Mann aufmerksam machte. „Schau dir mal diesen Schönling dort drüben an, der starrt dich die ganze Zeit an.“ Ich drehte den Kopf in die Richtung, in die sie dezent gezeigt hatte. Dort stand tatsächlich ein Schönling. Er hatte schwarze, kurze, lockige Haare, zudem erstaunlich helle Augen, war gross und kräftig. Und er starrt mich wirklich an, mit total unbeweglicher Miene. Irgendwie war mir das unheimlich. „Kennst du ihn?“ fragte mich Regula und einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, diese Szene bereits einmal erlebt zu haben, doch mir wollte nicht einfallen, wann und wo. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich kenne keinen Mann, der so hübsch ist. Das müsste ich doch wissen.“ „Das denke ich auch. Aber findest du ihn nicht auch unheimlich? Mir wird ganz mulmig, wenn ich sehe, wie er dich anstarrt.“ Wieder warf ich ihm einen Blick zu. „Mir eigentlich auch. Komm lass uns nach drinnen gehen. Hoffentlich verfolgt er uns nicht.“ Ich lachte unsicher, schaute nochmals zurück und dann gingen wir ins Einkaufscenter. Wir schlenderten durch die Läden, stöberten ein bisschen in den Kleidern, Regula probierte das eine und andere Kleidungsstück an und dann setzten wir uns in ein Café. Dort erzählte ich Regula, dass ich doch tatsächlich wieder einmal Paula über den Weg gelaufen war und mich erbarmt hatte, mit ihr einen Kaffee zu trinken. Ich erzählte, wie schlecht es Paula gehe und dass sie immerhin den Kontakt zu Paolo abgebrochen hatte. Regula die Paula nicht ausstehen konnte, wetterte sofort los. Die solle mich doch nach ihrem schändlichen Benehmen in Ruhe lassen und es geschehe ihr Recht, dass sie nun keine Freunde mehr hatte und so weiter und so fort. Einerseits tat es mir gut, dass Regula gleich dachte wie ich, anderseits kannte ich Paula schon so lange und sie tat mir auch irgendwie leid. Immerhin konnte ja jeder Mal einen groben Fehler im Leben machen. Da musste man schon etwas nachsichtig sein. So plauderten wir noch eine ganze Weile und genossen unseren Frauennachmittag. Den Typen vor dem Einkaufscenter hatte ich längst wieder vergessen. Er kam mir erst wieder in den Sinn, als wir nach draussen kamen. Das war kein Wunder, denn er stand immer noch, oder schon wieder, da. Regula und ich blieben gleichzeitig stehen. Wieder starrte er mich an und diesmal wurde ich wütend. „Was will eigentlich dieser Lackaffe von mir?“ fragte ich Regula. Sie zuckte nur die Schultern. „Komm, wir gehen einfach weiter, als hätten wir ihn nicht bemerkt.“ Das war natürlich nicht möglich, da wir ihn nun etwa zwei Minuten lang angeglotzt hatten. Trotzdem liefen wir los und unterhielten uns über irgendwelche belanglose Themen und taten so, als wäre er Luft. Als Regula einmal kurz nach hinten blickte, meinte sie nur, „er ist uns nicht gefolgt. Wahrscheinlich steht er einfach nur gerne vor dem Einkaufscentrum und gafft Frauen an.“ Erleichtert meinte ich, „hoffentlich! Der Typ ist ungemütlich, obwohl er toll aussieht.“ „Ja hübsch ist er auf jeden Fall. Der hat es doch gar nicht nötig, den Frauen so nachzuschauen. Aber ist dir aufgefallen, dass er nur dich beachtet hat und mich überhaupt nicht?“ „Ja, das ist seltsam.“ „Wieso seltsam? Vielleicht hat er ein Auge auf dich geworfen?“ „Naja, kein Mann sieht einfach an dir vorbei und zu mir. Das ist nicht normal. Und deshalb macht mir dieser Typ Angst.“ Regula schwieg und schien mich zu verstehen. Als wir bei mir zu Hause ankamen, fragte mich Regula, ob ich mich in die Wohnung trauen würde. „Sicher. Der wird schon nicht auf dem Sofa auf mich warten.“ Und dann musste ich lachen und sie fiel mit ein. Mit drei Küsschen und dem Versprechen, uns bald wieder zu treffen, verabschiedeten wir uns. Dann ging ich die Treppe hinauf in die Wohnung, unwissend, dass ich mich geirrt hatte.

Kapitel 2

Als ich die Wohnung betrat, war ich froh, endlich wieder in der Wärme zu sein. Ich fühlte mich ganz verfroren. Schnell zog ich Schal, Mantel und Schuhe aus und ging dann in die Küche, um einen Tee zu machen. Doch als ich am Wohnzimmer vorbeikam, blieb mir fast das Herz stehen. Einen Moment hatte ich das Gefühl eine Fata Morgana zu sehen. Da sass doch tatsächlich dieser hübsche Typ auf dem Sofa! Er schaute mich mit seinem ausdruckslosen Gesicht an und machte nicht die Anstalten aufzustehen. Ich stand einfach nur da und starrte mit offenem Mund zurück. Nicht mal schreien konnte ich. Da öffnete er den Mund und begann ruhig zu sprechen. „Hallo Patrizia. Du erinnerst dich nicht mehr an mich, aber ich mich an dich. Wir hatten schon mal miteinander zu tun.“ Ein kurzer Gedanke zuckte durch mein Gehirn und es kam mir tatsächlich so vor, als hätte ich bereits einmal mit diesem Mann zu tun gehabt. Aber wann und wo? Ich würde mich doch mit Sicherheit daran erinnern. So einen hübschen Mann würde ich sicher nicht vergessen. Zudem hatte ich in meinem Leben noch nicht mit so vielen verschiedenen Menschen näher zu tun gehabt, als dass ich mich nicht mehr an alle erinnert könnte. „Mein Name ist David.“ Wieder ein Gedankenblitz. Der Name kam mir bekannt vor. Doch dann kam mir in den Sinn, dass ich mal geschäftlich mit einem David zu tun gehabt hatte, an meiner ehemaligen Arbeitsstelle. Doch den David hatte ich nie gesehen, nur immer telefonisch Kontakt gehabt. Natürlich wäre es möglich, dass er mich gestalkt hatte und mit den heutigen technischen Möglichkeiten war es ein Leichtes, ein Foto von jemandem im Internet zu finden und den Wohnort herauszufinden. Ich wurde unsicher. War er es tatsächlich? Oder müsste ich diesen David von einer anderen Gelegenheit her kennen? Plötzlich platze ich hilflos heraus, „wie bist du in meine Wohnung gekommen? Und wieso verfolgst du mich? Was willst du von mir?“ Ich funkelte ihn wütend an. „Ich erkläre dir alles sofort, aber zuerst musst du dich wieder erinnern. Dazu muss ich deine Stirn anfassen.“ „Aha, du willst mich also anfassen? Was fällt dir eigentlich ein? Denkst du ich sei ein Flittchen? Ich lasse mich doch nicht einfach von einem wildfremden Mann anfassen!“ Seine Gesichtszüge entspannten sich, doch er lächelte nicht. „Das scheint genau die Reaktion zu sein, die du auch beim ersten Zusammentreffen mit Samuel an den Tag gelegt hast.“ Jetzt war ich ernsthaft verwirrt. Was hatten eigentlich alle mit diesem Samuel? Zuerst hatte Jens wegen eines Samuels rumgezickt und nun kam dieser David und erzählte ebenfalls, dass ich einen Samuel kennen würde, was ich definitiv nicht tat. Daran würde ich mich doch erinnern. Langsam begann ich an meinem Verstand zu zweifeln. War ich nicht ganz normal und hatte etwas erlebt, an das ich mich tatsächlich nicht mehr erinnern konnte? Aber was war das, und wieso wussten alle etwas davon, nur ich nicht? Hatte ich ein schlimmes Erlebnis gehabt und deshalb mein Gedächtnis verloren? Eine Amnesie? „Ich kenne keinen Samuel!“ fauchte ich nun David an. „Und übrigens kenne ich dich auch nicht. Ich weiss nicht, wie du auf diese hirnrissige Idee kommst! Hältst du mich etwa für bekloppt?“ „Bitte, Patrizia, ich halte dich nicht für bekloppt, aber wenn ich deine Stirn berühren darf, kommt dein Wissen zurück. Dann wirst du alles wieder verstehen.“ „Und was soll ich verstehen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwas zu verstehen gäbe!“ Langsam wurde ich verzweifelt. Ich stand am Eingang zum Wohnzimmer, mit vor der Brust verschränkten Armen und fühlte mich so seltsam. So, als gäbe es tatsächlich etwas, das ich wissen müsste. Doch was wäre das? Und wieso hatte ich immer wieder diese seltsamen Gedankenblitze, als wäre da ein Wissen vorhanden, das im Moment noch im Dunkeln lag? Sollte ich diesem Spinner auf meinem Sofa wirklich glauben? „Also, nochmals von vorne. Wie bist du reingekommen?“ „Ich komme überall rein“, erklärte er, nun leicht genervt. „Du hast aber die Türe nicht aufgebrochen, ich musste sie mit dem Schlüssel aufschliessen.“ „Jetzt hör mir endlich mal zu! Du bist immer noch so mühsam wie früher…“ er machte kopfschüttelnd eine Pause und ich fragte mich, was er wohl mit dieser Bemerkung meinte. Klar war ich immer noch gleich mühsam wie früher, doch woher konnte er das wissen? „Wenn du nicht sofort meine Wohnung verlässt, kann ich für nichts garantieren“, drohte ich ihm mit geballten Fäusten, was ziemlich lächerlich war, da ich gegen diesen kräftigen Mann nicht den Hauch einer Chance hätte, doch mir fiel auf die Schnelle nichts anderes ein, als eine plumpe Drohung auszusprechen. Doch dieser Schuss ging auch nach hinten los. „Ach Patrizia, hör doch auf damit. Ich weiss, dass du nie jemanden schlagen würdest, nicht mal könntest wenn du wolltest oder wenn du die Person dir gegenüber noch so sehr hassen würdest. Da kannst du mir nichts vormachen.“ Meine Verwunderung wuchs immer mehr. Er hatte Recht. Ich war tatsächlich unfähig jemanden zu schlagen, nicht mal wenn ich es müsste, um mein Leben zu verteidigen. Ich verabscheute Gewalt. Sie war sinnlos und ich wäre sowieso meistens die Unterlege. „Okay, das stimmt. Aber woher weisst du das alles?“ fragte ich nun resigniert, da mich dieser David tatsächlich gut kennen musste. Besser als meine engsten Bekannten, was ziemlich beängstigend war. „Erinnerst du dich an Skyland?“ wollte er mit hochgezogenen Augenbrauen wissen. Vor meinen Augen erschien kurz das Bild eines grünen Landes, doch dann verschwand es gleich wieder. Woher hatte ich jetzt dieses Bild? So stellte ich mir die Landschaft in Irland vor, doch ich war noch nie in Irland gewesen, also war das nicht möglich. Trotzdem hatte ich das Bild sehr klar vor meinem inneren Auge gesehen, als wäre ich tatsächlich schon mal dort gewesen. Ich schüttelte also nur den Kopf. Doch er hatte mein Zögern bemerkt. „Du hast zwar alles wieder vergessen, doch wenn ich dir alles erzähle, kommen deine Gedanken wieder zurück. Aber es geht einfacher, wenn ich dir die Stirn anfasse.“ „Was hast du nur immer mit meiner blöden Stirn?“ fauchte ich ihn an. Er schüttelte nur resigniert den Kopf und verwarf seine Hände. „Herrje, nun stell dich doch nicht so an. Glaubst du etwa ich würde dich begrabschen wollen? Dann würde ich mir sicher etwas anderes vornehmen als deine Stirn.“ Ich zögerte. Wenn er meine Stirn anfassen würde, was würde dann geschehen? Wäre ich dann nicht mehr ich? Aber das wäre ja wie in meinem Science-Fiction-Roman und somit völliger Humbug. Vielleicht wollte er mich auch nur zu sich locken, um mich dann zu in seine Gewalt zu bringen? Meine Gedanken wirbelten umher. Ich wusste echt nicht, was ich tun sollte. Noch nie war ich eine entscheidungsfreudige Person gewesen. Doch nun hatte ich einen Grund nicht entscheidungsfreudig zu sein. Also, eigentlich hatte ich mich ja entschieden. Der Typ sollte verschwinden und mich in Ruhe lassen. Doch diese Entscheidung schien er nicht zu akzeptieren. Also blieb mir eine Alternative, die ich jedoch nicht wollte. Plötzlich schien ihm der Geduldsfaden zu reissen, denn er stand auf. Erschrocken wich ich einen Schritt zurück. Der Typ war riesig, das bemerkte ich erst jetzt, als er stand. Langsam kam er auf mich zu. „Du musst keine Angst haben. Am besten setzt du dich hin.“ Wieder schüttelte ich den Kopf. „Das möchte ich nicht“, sagte ich leise. Ich hatte Angst. Echt grosse Angst. Meine Beine fühlten sich wie Pudding an. Ich stand einfach da und glaubte jeden Moment zusammenzuklappen. Doch dann war er bei mir, nahm mich sanft am Arm und führte mich zum Sofa. Willenlos folgte ich ihm. Was hätte ich schon tun können? Als ich mich vorsichtig aufs Sofa gesetzt hatte, setzte er sich neben mich und legte mir dann die Hand auf die Stirn. Und dann geschah etwas Schreckliches. Wilde Bilder stürzten auf mich ein. Zuerst sah ich einen Mann, der David unglaublich ähnlich sah, bei mir im Schlafzimmer. Was wollte denn der dort? fragte ich mich ganz verwirrt. Doch dann kam mir nach und nach alles wieder in den Sinn. Es war Samuel, der mich für die Mission überredete, zu der ich schlussendlich ja sagte. Dann flog ich mit ihm nach Skyland. Das befreiende Gefühl beim Fliegen, die kleinen Häuser und noch kleineren Menschen unter mir. Dann Skyland, das grüne Land, welches ich vorhin für Irland gehalten hatte. Die anderen. David, der mich schlug. Dann die Burg der Bösen. Die Bombe und die Pläne. Das miese Gefühl, wenn ich in der Nähe der Bösen war. Das Vernichten der Bombe und Stehlen der Pläne. Der Kampf in der Burg. Die Flucht hinaus. Und dann der Tod von Samuel. Ein unglaublicher Schmerz in meinem Innern raubte mir fast den Atem, als ich das alles sah und es mir wieder bewusst wurde. Ich hatte Samuel geliebt und als er starb, wäre ich am liebsten auch gestorben. Der Schmerz war riesig gewesen und jetzt war er nicht weniger. Ich spürte, wie mir die Tränen über die Wangen liefen und ein Schluchzen aus meiner Kehle kam, während David weiterhin ruhig seine Hand auf meiner Stirn hatte. Dann sah ich wieder meine Wohnung und David, der mich zurückbegleitet hatte. Und schlussendlich, wie er mir, ich lag im Bett, die Hand auf die Stirn legte und ich wusste, jetzt werde ich alles wieder vergessen. Wie konnte ich nur! Ich hatte so viel erlebt und bis jetzt keinen Schimmer mehr davon gehabt. Doch gleichzeitig wünschte ich mir, wieder Unwissend zu sein. Als David die Hand wegnahm, sah ich dauernd Samuels Gesicht vor mir. Ich nahm ein Taschentuch aus meiner Hosentasche und putzte mir damit das Gesicht und die Nase. „Wieso musstest du mich wieder daran erinnern?“ fragte ich David wütend und mir kam in den Sinn, dass ich mit Samuel oft solche Gespräche geführt hatte. Wie oft hatte er mich wütend gemacht! Und trotzdem, wie hatten wir uns gut unterhalten. Er hatte oft die seltsamsten Fragen gestellt, da die Skyländer keine richtigen Menschen sind. Er wollte alles wissen und hat mich damit oft zum Lachen gebracht. Lachen. Das war auch so eine Sache. Samuel, David und die anderen waren abtrünnige der Bösen, dem Volk von Skyland. Als sie sich gegen die Bösen stellten, verloren sie ihr Lachen. Jeder der lacht wird buchstäblich zerrissen. Samuel war das passiert, er starb, weil er lachte. Nach und nach kam mir alles in den Sinn und ich konnte nur den Kopf schütteln, dass ich das tatsächlich vergessen hatte. Plötzlich kam mir ein anderer Gedanken. Vor Schreck hielt ich die Luft an. Mir wurde nun bewusst, warum sich Jens vor unserer Trennung so seltsam benommen hatte. Dauernd hatte er mich gefragt, ob ich mich wieder mit Samuel treffen würde, doch ich wusste von keinem Samuel und nahm an, dass Jens mir in seiner Eifersucht einen imaginären Freund andichtete. Dabei gab es diesen Samuel tatsächlich. Jens hatte allen Grund eifersüchtig zu sein. Als er nämlich zum ersten Mal in meine Wohnung kam, war Samuel auch da und gab mir, vor Jens, einen Kuss. Damals war das noch nicht so schlimm, da wir nicht richtig zusammen waren. Als ich dann wusste, dass mir mein Wissen genommen würde, schrieb ich Jens, dass er mir versprechen müsse, Samuel nie mehr zu erwähnen. Er versprach es, hielt sich dann aber doch nicht daran. Er musste mich für total neben der Spur oder total verlogen gehalten haben, dass ich mich nicht einen Moment an Samuel erinnern konnte. Kein Wunder, wurde er immer wütender und eifersüchtiger, bis ich mich von ihm trennte. Irgendwie liebe ich ihn jetzt immer noch, oder eher respektieren, doch damals hasste ich ihn fast. David sass ruhig neben mir und schaute mir direkt ins Gesicht. Eine weitere Angewohnheit der Skyländer. Dauernd schauten sie einem ins Gesicht oder direkt in die Augen, was ziemlich verwirrend sein konnte, denn sie hatten wunderschöne blaue oder grüne Augen. Ausgenommen Samuel, der hatte wunderschöne braune Augen gehabt, die in seinen letzten Tagen jedoch auch immer heller geworden waren. „Und was willst du nun hier? Mich besuchen und sehen wie es mir geht?“ fragte ich spöttisch. Zu David hatte ich noch nie einen guten Draht, obwohl er mich daran hinderte, zu sehen, was mit Samuel geschah, als er lachte und mich nach Abschluss der Mission zurück auf die Erde brachte.

---ENDE DER LESEPROBE---