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Patrizia erwacht schwer verletzt im Krankenhaus und kann sich anfänglich nicht mehr an das Erlebte erinnern. Doch nach und nach kommen die Erinnerungen zurück. Patrizia wird nun klar, dass die Bösen immer noch ihr Unwesen auf der Erde treiben und sie diesem ein Ende bereiten muss. Doch dazu braucht sie die Hilfe der Skyländer. Doch wo stecken die Skyländer? Und weshalb stellt ihre zuständige Ärztin im Spital ihr so seltsame Fragen? Ehe Patrizia sich versieht steckt sie schon wieder Mitten im Kampf gegen die Bösen.
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Inhaltsverzeichnis
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Anfang des nächsten Monats
Epilog
Schmerzen. Unendliche, unerträgliche Schmerzen. Woher kamen sie? Sie waren überall und doch nicht zu orten. Es tat weh. So weh. Aber nicht nur der Körper, auch die Seele schmerzte. Wieso? Was war geschehen? Was konnte nur zu so viel Schmerz führen? Dunkelheit. Schöne, alles verschlingende Dunkelheit. Stille. Unglaubliche Stille. War das der Tod? War er so unheimlich still? Und war er so schmerzvoll? War es die Hölle? Vielleicht. Stimmen. Gab es denn in der Hölle Stimmen? Und wieso klangen sie so bekannt? So vertraut? War es vielleicht doch der Himmel? Und wie hatte ich es verdient im Himmel zu sein? Wieder Schmerzen. Nein, doch nicht der Himmel. Der Himmel konnte nicht so schmerzhaft sein. Das würde sonst eine lange Ewigkeit. Aber halt, die Ewigkeit war ja lang. Unendlich, unvorstellbar lang. Also doch eher die Hölle. Wieder Dunkelheit. Innere Ruhe. Innere Zufriedenheit. Inneres Glück. Also doch der Himmel? Nein, eher Drogen, die die Schmerzen nahmen. Die nun wieder nachliessen. Die alles wieder zur Hölle machten. Wo waren die Stimmen? Wo war das Vertraute? Dunkelheit. Rote Augen. Verfaulte Zähne. Grünliches Zahnfleisch. Pergamente Haut. Hässlichkeit. Angst. Nein! Bitte nicht! Nein! Die Stimme schrie in mir. Immer und immer wieder. Bis wieder, ja, Dunkelheit. Ein Alptraum. Klar, nicht im Himmel oder in der Hölle. Nein, nur ein Alptraum. Oder doch die Realität? Die Hölle auf Erden? Die gab es nicht. Die Erde war die Erde. Der Himmel der Himmel. Und die Hölle die Hölle. So war es. Aber was war dann los? Wieso schwebte ich zwischen Himmel, Erde und Hölle und wieder zurück? Kälte. Eisige Kälte. Angst. Siedende Hitze. Feuer. Angst. Was war los? Wieso hörte es nicht auf? Hörte es denn nie mehr auf? Schmerzen. Immer und immer wieder Schmerzen. Endlich wieder Stimmen. Ruhige Stimmen. Unverständliche Stimmen. Unbekannte Stimmen. Was sagten sie? Was wollten sie von mir? Wieso halfen sie mir nicht? Angst. Was war los? Was war nur los? Wieso hörte es nie auf? Wieso hörte das alles einfach nicht auf? Wie konnte ich es beenden? Was konnte ich bloss tun? Wo war meine Seele? Wieso schmerzte sie nicht mehr? War sie schon weg? Wurde sie geholt und mein Körper und Geist nicht? Angst. Ruhe. Stille. Dunkelheit.
Langsam schlug ich die Augen auf. Doch ich schloss sie sofort wieder. Die Helligkeit brannte in meinen Augen. Herrje, wie das Licht schmerzte! Als hätte ich nicht sonst schon genug Schmerzen! Wieder öffnete ich sie. Nur einen Spalt breit, um mich ans Licht zu gewöhnen. Ich fühlte mich wie in Watte gepackt. Meine Ohren schienen verstopft, mein Körper taub, gefühlslos. Nur meine Augen nahmen nun alles klar wahr. Ich lag in einem Raum. Ganz alleine. Als ich mich genauer umsah, bemerkte ich, dass es ein Krankenzimmer war. Aber wie war ich hierhergekommen? Ruhig lag ich da und versuchte zu verstehen was geschehen war. Doch mein Hirn war auch in Watte gepackt. Da ging im Moment gar nichts. Also schloss ich wieder die Augen und versuchte mich zu entspannen. Das war natürlich nicht möglich. Wie auch? Da lag ich in einem Krankenzimmer, ganz alleine, und hatte keine Ahnung wie ich hierhergekommen war. Überhaupt, ich hatte ja nicht mal eine Ahnung was geschehen war. Den Schmerzen nach musste es etwas Schlimmeres gewesen sein. Vielleicht ein Autounfall? Ob mein armes Auto nun Schrott war? Das wäre zu traurig. Hoffentlich hatte ich niemanden tot gefahren. Das wäre nämlich noch trauriger. Nein, einen Autounfall hatte ich nicht. Davon war ich fast 100% überzeugt. Was kam dann sonst noch in Frage? Eigentlich gab es eine ganz einfache Lösung um das herauszufinden. Ich griff nach dem Rufknopf für die Krankenschwester. Ich hatte ihn kaum losgelassen, als es schon an der Türe klopfte. ‚Knocking on heaven’s door‘ ging es mir durch den Kopf und ich wollte ‚herein‘ rufen, doch meine Stimme machte keinen Wank. Die war auch in Watte gepackt. ‚Funktioniert bei mir eigentlich überhaupt noch etwas?‘ dachte ich gefrustet. Zum Glück wartete die Person vor der Tür gar nicht auf ein ‚herein‘, sondern kam unaufgefordert rein. Es war eine etwa 40jährige, etwas übergewichtige, sehr sympathisch scheinende Frau. „Frau Waidmeyer, sind Sie wach?“ fragte sie mich überrascht. ‚Nein, ich liege hier nur mit offenen Augen etwas herum und spiele mit dem Rufknopf‘ hätte ich gerne geantwortet. Hätte, wenn meine Stimme funktioniert hätte. Mit schnellen Schritten kam sie auf mich zu. „Ich bin Doktor Mahler“, stellte sie sich vor und strich mit der Hand über meine Stirn, was irgendwie mütterlich rüberkam. „Wie geht es Ihnen? Ihre Eltern werden froh sein, zu sehen dass Sie wieder wach sind. Nun sind Sie endlich über dem Berg.“ Über welchem Berg sollte ich sein? War ich mal hinter dem Berg gewesen? Dann musste es dort ziemlich strub gewesen sein, denn über dem Berg war auch nicht gerade lustig. „Können Sie sprechen?“ bohrte sie weiter, da ich noch keinen Mucks von mir gegeben hatte. Was für eine blöde Frage. Ich hätte sicher schon lange geantwortet, wenn es mir möglich gewesen wäre. Zumindest hätte ich sie gebeten, etwas leiser zu sprechen. Ihre Stimme dröhnte nämlich durch das Zimmer und hämmerte wütend auf meinen Kopf ein. Ich schüttelte den Kopf. Hatte zumindest das Gefühl es zu tun. Ob er mir auch gehorchte, konnte ich nicht sagen. Den Schmerzen nach würde ich sagen ja. Ja tatsächlich, ich hatte den Kopf geschüttelt, denn Frau Doktor Mahler meinte in einer Lautstärke als wäre ich taub und nicht stumm, „das kommt schon wieder. Sie brauchen jetzt einfach viel Zeit. Aber zusammen packen wir das. Und Ihre Freunde werden Ihnen auch helfen. Sie haben tolle Freunde. Jeden Tag waren sie hier. Und Ihre Eltern erst. Wunderbare Menschen.“ Dann schwieg sie wieder und in meinem Kopf hallte immer wieder wie ein Echo der Satz, ‚wunderbare Menschen‘ nach. Nun hatte ich bei ihnen im Büro meine Stelle angetreten und jetzt fiel ich bereits das erste Mal aus. Das würde ja noch lustig werden mit mir. Müde schloss ich die Augen und hoffte, die gute Frau Doktor würde mich wieder verlassen. Da ich sie nichts fragen konnte und sie nicht von sich aus etwas zu meinem Zustand erklärte, brauchte ich sie nicht mehr. Glaubte sie vielleicht, ich wüsste noch was geschehen war? Wieso ich hier lag? Und vor allem, glaubte sie allen Ernstes, nachdem ich seit etwa zehn Minuten wieder bei Bewusstsein war, dass ich wusste welche Blessuren ich hatte? Den Schmerzen nach zu urteilen war mein ganzer Körper eine einzige offene Wunde. Aber das konnte ich mir nicht vorstellen. Also musste es sonst etwas sein. Über all diesen Gedanken musste ich eingeschlafen sein, denn als ich wieder zu mir kam, war es angenehm dunkel im Zimmer. Und niemand der mich mit seinem lauten Sprechorgan volllaberte. Müde lag ich da. Wie lange ich wohl schon hier war? Ich versuchte mich zu räuspern, was gar nicht mal so schlecht klappte. Dann versuchte ich ins leere Zimmer zu sprechen. Das hingegen klappte noch nicht. Also schloss ich wieder die Augen und hoffte auf Schlaf, der mich bald darauf übermannte. Beim nächsten Erwachen war es wieder hell. Jemand war da. Ich spürte es sofort. Einen Moment packte mich eine ungewöhnliche Panik, doch die liess sofort nach als ich die Stimmen meiner Eltern hörte. Langsam öffnete ich die Augen und blickte sie dann an. Gerührt standen sie am Bett. Meine Mutter umarmte mich stürmisch und mein Vater fauchte sie an, „hei, nicht so heftig! Die Verletzungen die sie hat reichen im Moment total!“ Trotzt der Schmerzen die sie mir verursachte, genoss ich es in ihren Armen zu liegen. Am liebsten hätte ich sie gar nicht mehr losgelassen. Doch irgendwann war die Kuschelstunde zu Ende. Sie setzte sich hin, hielt jedoch weiter meine Hand. Mein Vater stand etwas verlegen abseits. Gerne hätte ich ihm gesagt, dass er sich doch auch setzen solle. Doch es ging immer noch nicht. Schweigend sassen sie einfach da. Auch sie erzählten nichts davon was geschehen war und was für Verletzungen ich hatte. Durch lautes Klopfen an der Türe wurden wir aufgeschreckt. Auf das ‚ja?‘ von meinem Vater stürmten meine Freunde herein. Was war das für eine Freude sie zu sehen. Alle waren da. Jens, Markus und Regula, Paula und Andreas. Und alle sprachen durcheinander. Jens: „Patrizia, wie schön dass du wach bist.“ Regula, natürlich, „wir haben uns solche Sorgen gemacht.“ Andreas: „was machst du nur für Sachen.“ Paula, „Mann, war das eine schlimme Zeit. Wir hatten echt Angst um dich.“ Markus, scherzhaft, „mach so was nie mehr, verstanden? Unsere Nerven werden um dich herum ganz schön strapaziert.“ Gerührt hörte ich dem wilden Durcheinander zu. Ich konnte gar nicht glauben, dass sie alle da waren. So viele Freunde! Noch nie in meinem Leben hatte ich so viele Freunde auf einmal gehabt. Wie gerne hätte ich etwas geantwortet. Ihnen gedankt, dass sie gekommen sind. Dass sie für mich da waren. Doch es ging nicht. Alle nahmen mich kurz in den Arm und drückten meine Mutter regelrecht zur Seite, die mir fast etwas Leid tat. Doch als ich den Blick in ihren Augen sah, wusste ich, dass sie sich genauso freute wie ich, dass ich so tolle Freunde hatte. Und dann schwiegen alle verlegen. Sie merkten dass ich nicht antwortete, dass ich ihre Umarmung nicht richtig erwiderte. Das kommt schon wieder, habt nur etwas Geduld, wollte ich ihnen Mut machen. Doch ich schwieg. Taktvoll wie meine Eltern waren, verliessen sie nun das Zimmer und liessen uns alleine. Regula und Paula setzten sich sofort zu mir ans Bett. Die Männer standen herum, genau wie mein Vater zuvor. „Hei Patrizia, kannst du sprechen?“ fragte mich Regula behutsam. Wieder schüttelte ich den Kopf, was nun schon ganz gut klappte. Besorgt schaute sie mich an und sagte, obwohl sie es dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen nicht so meinte, „das kommt bald wieder. Es braucht nur Zeit. Du bist nun mal sehr schwer verletzt worden.“ Was ist denn geschehen? wollte ich endlich wissen, doch fragen konnte ich es nicht. Und erzählen wollte sie es mir auch nicht. Herrje, wie lange musste ich denn noch im Ungewissen bleiben? Alle erzählten irgendetwas Alltägliches, nur nicht das, was ich wirklich wissen wollte. Jens erzählte, dass er zur Zeit sehr wenig zu tun hätte. Der Beginn der Sommerferienzeit merke man halt schon. „Ja bei uns auch“, stimmte ihm Paula zu. „Nur bei uns ist wie immer die Hölle los“, erwiderte Markus lächelnd. „Zum Glück habe ich bald Ferien. Dann können Regula und ich in Italien ein paar Tage so richtig ausspannen.“ „Ja, Ende dieser Wochen verreisen wir. Und jetzt, da du auf dem Weg zur Besserung bist, können wir auch viel ruhiger gehen. Ich weiss nicht, ob ich sonst hätte fahren können“, meinte die gutherzige Regula. „Bei uns ist auch viel los. Du weisst ja, dass die Sicherheitsbranche immer zu tun hat. Je länger je mehr“, gab auch noch Andreas seinen Senf dazu. Ja das wusste ich, immerhin hatte ich mal mit ihm zusammen gearbeitet, bis er mich rausgemobbt hatte. Nicht mit böser Absicht, aber trotzdem. Es tat jetzt noch weh daran zu denken. Natürlich lange noch nicht so sehr, wie ich körperliche Schmerzen hatte. Zum Glück hatten sie nachgelassen, aber ich spürte sie immer noch. Na ja, immerhin spürte ich noch etwas. Von einem zum anderen schauend, hörte ich ihnen aufmerksam zu. Erst jetzt bemerkte ich, wie beruhigend es war, so alltägliche Dinge zu hören. Es lenkte mich gut ab. Doch nach einer Weile wurde ich unglaublich müde und schloss erschöpft die Augen. Als meine Freunde bemerkten, dass ich vor mich hindöste, schlichen sie leise aus dem Zimmer. Als ich wieder erwachte war es wieder dunkel im Zimmer. Nun übte ich zu sprechen. Nach und nach gelang es mir immer besser. Zuerst war es nur ein Krächzen, doch schon bald sprach ich mit mir selber ellenlange Dialoge. Natürlich kam ich mir ein bisschen behämmert vor, wie ich da in diesem dunklen Zimmer mit mir selbst plauderte. „So, jetzt geht es wieder mit dem Sprechen. Das braucht einfach seine Zeit. Es lag gar nicht an den Stimmbändern oder sonst was, ich hatte ganz einfach nicht die Kraft dazu. So einfach ist das. Jetzt kann ich endlich fragen was mit mir passiert ist. Und welche Arten von Verletzungen ich habe. Wenigstens sind die Schmerzen nicht mehr so schlimm. Ob ich wohl mal klingeln soll? Aber ich glaube ich frage besser meine Eltern was geschehen ist. Oder meine Freunde. Mal schauen wer morgen als Erstes aufkreuzen wird.“ Und so plapperte ich vor mich hin und fühlte mich dabei überglücklich. Aber wie sehr das Sprechen erschöpfte! Das hätte ich nie gedacht. Langsam döste ich wieder weg. Als Erstes tauchten am nächsten Tag meine Eltern auf. „Hallo zusammen“, begrüsste ich sie und meine Mutter rannte vor Freude auf mich zu. „Patrizia, Patrizia, du sprichst ja wieder!“ „Ja! Ich habe heute Nacht fleissig geübt. Und jetzt klappt es schon wieder richtig gut.“ „Was heisst, du hast heute Nacht geübt?“ „Ich habe nur ein bisschen vor mich hin geplappert. Das hat meine Stimmbänder wieder geölt. Und jetzt laufen sie wie geschmiert.“ Ich lachte über mein Wortspiel, doch dann schoss ein Schmerz durch meinen Körper und das Lachen verging mir sofort wieder. „Dir geht es ja wieder richtig gut“, bemerkte mein Vater trocken, dem nicht aufgefallen war, dass mich die Schmerzen verstummen liessen. Ich nickte übertrieben begeistert. Meine Eltern hatten nun schon genug Sorgen wegen mir gehabt. Da wollte ich nicht auch noch jammern. Als sich meine Mutter gesetzt hatte und mein Vater wieder wie bestellt und nicht abgeholt herumstand, stellte ich die alles entscheidende Frage. „Was ist eigentlich mit mir passiert? Ich habe überhaupt keine Erinnerung daran.“ „Was? Ist das wahr?“ fragte meine Mutter verblüfft und mein Vater riss vor Erstaunen die Augen weit auf. „Wie kannst du dich denn nicht mehr daran erinnern?“ „Woran soll ich mich erinnern? Sagt es mir doch endlich!“ fauchte ich meine überraschten Eltern an. „Du wurdest angeschossen. Stell dir vor, du wurdest am frühen Abend einfach niedergeschossen! Und das bei uns! Hier in der Schweiz! Was ist nur los in letzter Zeit? Diese Gewalt immer. So sinnlose Gewalt. Daran sind nur die Ausländer schuld. Die kommen hier zu uns, glauben das Paradies auf Erden zu finden. Dabei müssen wir hart arbeiten für unseren hohen Lebensstandard. Und wenn es dann nicht so läuft wie sie erhoffen, dann beginnen sie wehrlose Schweizer zu verprügeln und wild um sich zu schiessen und klauen und rauben und…“, er hatte sich regelrecht in Rage gesprochen und einen ganz roten Kopf bekommen. Doch als er bemerkte, dass er leicht vom Thema abgekommen war, stoppte er sich und schaute mich nur hilflos an. „Aha“, meinte ich sarkastisch, denn ich wusste nun immer noch nicht genau was passiert war. Und irgendwie wollte ich nicht glauben, dass das Ausländer gewesen waren. Denn ich sah vor mir rote, glühende Augen. Und die hatten Ausländer nicht. Oder doch? Mir kamen komischerweise meine Skyländer-Freunde in den Sinn. Doch die hatten auch nicht solche Augen. Die hatten wunderschöne helle Augen. Die loderten nicht. Vielleicht die von David manchmal, wenn ich ihn wieder zur Weissglut getrieben hatte. Ich schloss die Augen und sah sie vor mir. David, der cholerische von ihnen. Der keine Verletzungen haben konnte und Verletzungen heilen konnte. Gabriel, der ruhige, unsichere, der durch alles hindurchsah. Und dann noch Matthias, der verschlossene, der nie etwas sagte. Er war die Kampfmaschine, mit unglaublichen Kräften. Ich hatte kurz ihre Kräfte und wusste, was sie alles konnten. Es war toll. Aber nicht nur. Es war auch eine Bürde und ich war ehrlich froh gewesen, als diese Fähigkeiten mich wieder verlassen hatten. Als normaler Mensch ging es einem schon am besten. „Also, jetzt nochmals von Anfang bis Ende, die Ausländer lassen wir jetzt mal zur Seite“, bat ich meinen Vater, es mir endlich, bitte endlich, zu erzählen. Ohne Ausschweifungen. Ohne Hasstiraden. Ohne politische Statements. Er räusperte sich verlegen, „erzähl doch du“, forderte er meine Mutter auf. „Nein erzähl nur, du weisst genauso viel wie ich“, gab sie etwas säuerlich zurück. Er raffte sich also endlich auf, mir alles genau zu erzählen. „Wir wissen es ja auch nicht so genau. Wir haben dich erst hier im Krankenhaus wieder angetroffen. Aber der Notarzt hat uns alles genau erklärt.“ „Es war der Stationsarzt“, berichtete ihn meine Mutter. „Na gut der Stationsarzt“, gab er genervt zu. „Also, der Stationsarzt hat uns alles erklärt. Sie haben einen anonymen Anruf erhalten. Es war ein Mann, der ganz ruhig erklärte, dass eine schwer verletzte, bewusstlose, junge Frau in der Baumgasse liegt. „Wo ist denn die Baumgasse?“ fragte ich ganz erstaunt, als würde man hier nicht von mir sprechen. „Das ist die kleine Gasse, gleich bei dir um die Ecke. Sie ist eine Abkürzung zu deinem Zuhause“, erklärte meine Mutter. Jetzt sah ich die Gasse vor mir, konnte mir aber nicht erklären, was ich zum Teufel dort gesucht hatte. Mein Vater holte ungeduldig Luft, „soll ich weitererzählen oder willst du es tun?“ fragte er sie gehässig. „Erzähl nur, du hast jetzt schon damit angefangen.“ „Also dann lass mich gefälligst auch zu Ende erzählen!“ „Hei, hört auf euch zu streiten! Ich will jetzt, verdammt nochmal, endlich wissen was mit mir geschehen ist!“ Als sie merkten, dass mir der Geduldsfaden nun endgültig riss, fuhr mein Vater ganz kleinlaut fort und meine Mutter schwieg. „Also, der anonyme Anrufer hat alles ganz genau beschrieben. Sofort ist eine Ambulanz los. Dort fand man dann dich, in einer Blutlache liegend. Schwer verletzt. Von dem Anrufer jedoch keine Spur. Du lagst mitten in der Gasse und es war ein Glück hatte dich jemand gefunden. Denn dort geht ja fast nie jemand durch.“ Er holte tief Luft. Er musste das Gesagte erst einmal verdauen. Mich jedoch traf das nicht so. Es kam mir vor als würde mich das alles gar nichts angehen. Dabei sprach er doch von mir! Als er fortfuhr war seine Stimme leise und brüchig, „Sie reanimierten dich sofort noch am Tatort. Dein Leben hing an einem seidenen Faden. Du hattest unglaublich viel Blut verloren. Wenigstens hatten die Schüsse keine Organe verletzt. Es war wie ein Wunder. Dann brachten sie dich ins Krankenhaus. Wir wurden informiert und kamen natürlich sofort hierher. Du lagst da, ganz blass und an allerlei Schläuchen angehängt. Es war grauenhaft. Zudem hatten wir das Gefühl, dass du uns hören würdest. Dass dich aber auch das Erlebte immer noch quälen wurde. Du lagst ruhig da, doch deine Augen gingen immer wieder hinter den geschlossenen Lidern hin und her.“ Wieder schwieg er und schaute ins Leere. „Und dann?“ brachte ich ihn wieder in das Hier und Jetzt zurück. „Tja, und dann wurden wir angerufen, dass du wach bist. Weisst du, dass du fast eine Woche im Koma gelegen hast? Wir waren immer da. Wir glaubten schon, dich verloren zu haben. Was war das für eine Erleichterung, als du uns angeblickt hast. Es wäre für uns das Schlimmste gewesen, wenn wir dich für immer verloren hätten.“ Er hatte Tränen in den Augen und plötzlich wurde mir bewusst, dass er von mir sprach. Dass das alles mir geschehen war. Dass ich tatsächlich im Krankenhaus lag. Dass ich tatsächlich angeschossen, ja fast gestorben wäre. Die Realität traf mich wie ein Hammerschlag und nun traten auch mir die Tränen in die Augen. Wer hatte mir das bloss angetan? Wer konnte nur einen solchen Hass gegen mich haben, dass er mich töten wollte? So brutal niedergeschossen hatte. Im Wissen, mich zu töten. Ja, im Vorhaben, mich zu töten. Noch nie hatte ich Feinde gehabt. Nie wollte mir jemand wirklich böse. Und diejenigen, die mich nicht so mochten wie ich war, die gingen mir einfach aus dem Weg und ich ihnen. Ich suchte nie die offene Konfrontation, deshalb war es mir auch unverständlich, wer einen solchen Hass gegen mich hegen konnte. „War ich vergewaltigt worden?“ fragte ich nun voller Furcht, da mir das die Einzige einleuchtende Tat war, die danach vielleicht zu einer Tötung führen würde. „Zum Glück nicht, mein Schatz“, sagte meine Mutter und drückte mir die Hand. „Nein, du wurdest nicht ausgeraubt, nicht vergewaltigt, auch nicht geschlagen. Du wurdest einfach nur brutal niedergeschossen.“ „Vielleicht wurde ich mit jemandem verwechselt? In der dunklen Gasse hätte das doch möglich sein können.“ „Es war noch nicht dunkel. Und klar wäre das möglich“, warf nun mein Vater wieder ein. „Eigentlich muss es so gewesen sein, denn wer sonst hätte einen Grund dich zu erschiessen?“ bestätigte nun auch meine Mutter meine Bedenken. Ich zuckte mit den Schultern. Wieso hatte ich keine Erinnerungen an die Tat? Wie konnte man so etwas vergessen? Nur wenn einem die Skyländer das Wissen löschten. Aber die waren verschwunden, schon seit geraumer Zeit. „Hat man wenigstens den anonymen Anrufer ausfindig gemacht?“ „Nein, auch nicht. Es ist alles so unklar.“ Wie nun ab jetzt wohl meine Zukunft aussehen würde? Hatte ich von nun an Angst alleine rauszugehen? Konnte ich mich noch unbeschwert draussen bewegen? Ohne mit der dauernden Angst, dass mich jemand erschiessen wollte? Die Gedanken an meine Zukunft quälten mich auch noch lange nachdem meine Eltern gegangen waren. Vielleicht würde ich nie mehr dieselbe sein. Aber hier im Krankenhaus brauchte ich keine Angst zu haben, hier konnte ich mich sicher fühlen.
An diesem Tag kam dann auch noch die Polizei vorbei und stellte mir jede Mengen Fragen, die ich alle nicht beantworten konnte. Ich wusste noch genau, dass ich einen schönen Abend mit meinen Freunden verbracht hatte. Ich erinnerte mich, dass ich einen Rock trug und Sandaletten. Ich wusste auch noch, wie ich durch den warmen Sommerabend nach Hause spazierte und wie leer die Strassen waren. Aber wieso war ich in diese verfluchte dunkle Gasse gegangen? Ich ging nie, wirklich nie, durch diese Gasse nach Hause, obwohl sie eine Abkürzung war. War ich jemandem begegnet, den ich kannte? War ich verfolgt worden? Aber wenn ja, dann wäre ich doch nie in diese Gasse gelaufen. Die wäre ja wie eine Falle gewesen. Dort hätte mich ja erst recht niemand gesehen oder gehört. Nein, das war unvorstellbar. Verzweifelt rieb ich mir über die Stirn, doch die Erinnerung wollte und wollte nicht kommen. Also zockelten die Polizisten unverrichteter Dinge wieder ab. Bevor sie gingen wollte ich noch wissen, woher denn der anonyme Anruf gekommen sei. Man könne doch heute leicht herausfinden, wem ein Handy oder Festnetzanschluss gehörte. Leider war der Anruf von der einzigen Telefonkabine gekommen die es noch in der Gegend gab. Seltsam, ich hatte mal Samuel, den Skyländer, gebeten, von dort aus einen Anruf für mich zu erledigen. Nur war das schon ewig her und Samuel war tot. Aber diese Telefonkabine kannte natürlich nicht nur Samuel, sondern jeder Mensch in der Stadt und wahrscheinlich auch einige Auswärtige. „Ist Ihnen noch etwas in den Sinn gekommen?“ fragte mich der Polizist, da ich gedankenverloren aus dem Fenster geguckt hatte. Verwirrt schaute ich zurück. Die Polizisten hatte ich schon wieder vergessen. „Nein, nein“, log ich ihn an, „es ist nur alles so seltsam. Wer hat mir das bloss angetan? Und wer war der Anrufer? Das wäre doch kein Problem gewesen, sich zu erkennen zu geben?“ „Wir haben den Verdacht, dass es der Täter sein könnte. Vielleicht kam er plötzlich in Panik, als er merkte, dass er Sie getötet hat, oder Sie sterben könnten.“ Nein, das machte für mich keinen Sinn. Man schoss doch nicht auf eine Person und geriet dann plötzlich in Panik. Zudem hatte mein Vater gesagt, dass der Anrufer ganz ruhig gewesen sei. Das sagte ich dem Polizisten auch. „Bei psychisch kranken Menschen weiss man nie so genau, was in ihnen vorgeht. Aber Sie haben schon Recht. Es ist seltsam. Leider hat in letzter Zeit die Gewalt hier in der Gegend extrem zugenommen. So viel wie in letzter Zeit mussten wir schon lange nicht mehr ausrücken. Und die Verbrechen werden leider auch immer brutaler. Obwohl, so etwas wie Ihr Schicksal ist zum Glück eine Ausnahme.“ Ich erwiderte nichts darauf. Sie verabschiedeten sich von mir und ich lag wieder alleine da mit meinen Gedanken. Als die Ärztin kam, wollte ich wissen, wie lange ich noch hierbleiben müsse. „Wenn es so aufwärtsgeht, noch ein paar Tage, dann müssen Sie aber sicher noch eine Woche zu Hause bleiben und sich schonen. Und eine psychologische Therapie würde ich Ihnen auch empfehlen. Zum einen, weil Sie zuerst Ihre Amnesie überwinden müssen. Zum anderen, weil Sie sonst mit Langzeitschäden Ihrer Psyche rechnen müssen.“ „Ich will sicher nicht zum Psychiater!“ rutsche mir wütend raus. „Frau Waidmeyer, ich weiss aus Erfahrung, dass die Vorstellung einen Psychiater aufzusuchen als sehr unangenehm empfunden wird. Aber es wird Ihnen weiterhelfen, wieder den Rank im Leben zu finden“, belehrte sie mich. Schmollend schwieg ich. Die hatte ja keine Ahnung! Sollte ich vielleicht dem Herr Psychiater auch erzählen, dass ich Freunde aus Skyland hatte? Dass ich mit meinen Freunden gegen die Bösen gekämpft hatte? Dass wir damit die Erde, oder zumindest die Schweiz, gerettet hatten? Und dann könnte ich ja auch noch vom Fliegen erzählen und vom Unsichtbar-Werden und von der Burg der Bösen und vom verseuchten Wasser und… Plötzlich wurde mein wütender Gedankenfluss durch etwas unterbrochen. Der Polizist hatte vorhin etwas gesagt, das mich jetzt stutzig machte. Was war es nur gewesen? Ich hasste mein Hirn, das sich wie ein Löchersieb anfühlte. Ich schloss die Augen und dachte an unser Gespräch. Leider wurden meine Bemühungen von der Frau Ärztin unterbrochen. „Haben Sie es sich schon überlegt? Oder brauchen Sie noch etwas Zeit?“ „Etwas Zeit, ich überleg es mir“, wimmelte ich sie ab. „Tun Sie das, aber es ist wichtig.“ Sie schaute mich an, als wollte sie mich mit ihrem Blick beeinflussen. Ich hatte nur ein müdes Lächeln dafür übrig. Die hatte noch nie in die Augen der Bösen geschaut. Etwas eingeschnappt ging sie von dannen. Was hatte ich vorhin überlegen wollen, als sie mich in meinen Gedanken störte? Mist, jetzt wusste ich nicht einmal mehr, was ich eigentlich überlegt hatte. Müde legte ich den Kopf ins Kissen und liess die Gedanken schweifen. Klar! Die Aussage des Polizisten! schoss es mir durch den Kopf. Also, nochmals von vorne. Was hatte er gesagt, was mich stutzig gemacht hatte? Ich ging das Gespräch nochmals durch. Die Telefonkabine? Nein. Der anonyme Anrufer? Nein. Reumütige Täter? Nein. Oh Gott, wie konnte ich nur so verwirrt sein. Steigende Gewalt! Klar, dass war es! Die Gewalt habe in letzter Zeit stark zugenommen. Die Bösen hatten Einfluss auf die Gefühle der Menschen und machten diese oft aggressiv. Sie konnten sie zwar auch extrem gefügig und liebevoll machen, ich hatte es am eigenen Leib erlebt, aber meistens machten sie aggressiv. Waren sie noch auf der Erde? Einen Moment sah ich ein halb verfaultes Monster vor mir und riss entsetzt meine Augen auf. Mein Herz klopfte wie verrückt. Woher hatte ich dieses Monster? Woher hatte ich so ein schreckliches Bild. Wahrscheinlich von einem dieser billigen Horrorfilmen, die ich ab und zu ganz gerne sah. Aber das Bild war zu realistisch. Das Monster sah mir direkt ins Gesicht mit lodernden Augen und halbverfaultem Zahnfleisch. Die Haut pergamenten. Voller Panik richtete ich mich auf. Wieso reagierte ich derart hysterisch auf dieses Bild? Keuchend sass ich da und versuchte mich zu beruhigen. Doch es wollte mir einfach nicht gelingen. Das Gesicht verzog sich zu einem Lächeln und dann sah ich es ganz deutlich. Eine Pistole. Eine Pistole, die direkt auf mich zielte. Erbarmungslos. Ein Lachen. Nicht mal unfreundlich. Aber dann das Gesicht. Dieses hässliche, angsteinflössende Gesicht. Eigentlich war es gar kein Gesicht. Es gab keinen Begriff dafür. Ein Angstschrei entfuhr mir. Und dann war es, als würde ich aus einer Trance erwachen. Aus einem ganz schlimmen Albtraum erwachen und dabei hinein in meinen eigenen realen Albtraum, namens Leben. Hektisch schaute ich mich im Zimmer um. Ich war allein. Mein Schrei schien niemand gehört zu haben. Mir war übel. Ich hatte Angst zu sterben. Ich glaubte, mein Herz würde jeden Moment seinen Dienst kündigen. Das schien auch irgendwo angezeigt worden zu sein, denn plötzlich stürmte die Ärztin ins Zimmer. „Was ist denn bei Ihnen los?“ wollte sie besorgt wissen und eilte zu mir. „Ich hatte einen Albtraum“, murmelte ich und legte mich erschöpft zurück in die Kissen. „Wissen Sie wieder was geschehen ist?“ fragte sie mich, als könnte sie direkt in mich hineinsehen. „Keine Ahnung. Nein, ich glaube nicht“, wich ich ihrer Frage aus. „Was heisst, Sie glauben nicht? Vielleicht sollten Sie mit mir über Ihren Traum sprechen? Oder ich hole Ihnen einen Psychologen. Dann wäre endlich diese Ungewissheit weg.“ Da ist keine Ungewissheit mehr, dachte ich bitter. Und was ich jetzt brauchte war kein Psychiater oder Psychologe, sondern meine Freunde. Sie waren die Einzigen, die wussten, dass die Bösen und die Skyländer existierten. Ich musste das unbedingt mit ihnen besprechen. „Wo ist mein Handy?“ wollte ich wissen und wich somit ihrer Frage aus. „Wieso?“ fragte sie skeptisch. „Sie wissen etwas, das sehe ich doch. Bitte, Sie müssen mit mir sprechen. Oder zumindest mit der Polizei. Und die können Sie von hier aus anrufen. Einen solchen Verbrecher muss man möglichst schnell von den Strassen nehmen. Also bitte. Oder haben Sie Angst? Angst weil Sie ihn kennen? Haben Sie Angst vor einem Vergeltungsschlag? Man kann Ihnen helfen.“ Nein, kann man nicht. Ich möchte dich mal sehen, wenn so ein Monster vor dir steht, blöde Kuh, fluchte ich innerlich. Wieder begann ich zu lügen. Ich war darin nun schon so gut, dass ich nicht mehr rot wurde. Ich hatte kein schlechtes Gewissen dabei. Es war zur Normalität geworden. „Ich möchte das Handy, damit ich mich bei meiner Freundin melden kann. Ich habe geträumt, dass sie auch erschossen wurde. Ich habe Angst um sie!“ Ich gab meiner Stimme einen hysterischen Klang. Sie schien zu glauben, denn sie öffnete wortlos den Schrank im Zimmer und brachte mir mein Handy. „Hier. Aber wenn Ihnen etwas in den Sinn kommt, melden Sie es. Und ich wusste nicht, dass Sie… na ja, dass Sie…“, sie stotterte etwas rum und ich hatte keine Ahnung, auf was sie hinaus wollte. Fragend schaute ich sie an. Sie räusperte sich verlegen. „Nicht so wichtig“, winkte sie ab und wollte gehen. „Doch, Sie dürfen das nicht in sie hineinfressen, sonst müssen Sie mit Langzeitschäden Ihrer Psyche rechnen“, wiederholte ich ihre Worte spöttisch. Zu meinem Erstaunen lachte sie laut los. Sie konnte sich fast nicht mehr erholen und ich fiel in das Lachen ein. Liess es dann jedoch sofort wieder sein. Da Lachen verursachte immer noch Schmerzen am ganzen Körper. „Sie sind mir eine“, meinte sie immer noch lachend und dann, wieder ernst, „nein, was ich sagen wollte ist, dass ich nicht wusste, dass Sie lesbisch sind. Aber das ist ja nicht schlimm, überhaupt kein Problem für mich. Und zu der ganzen Geschichte tut es auch nichts zur Sache. Es könnte nur sein, dass Sie vielleicht von jemandem überfallen wurden, der etwas gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen hat. Das müssten Sie vielleicht der Polizei sagen. Es gibt so verbohrte, die können sich damit nicht abfinden…“ als sie Luft holen wollte, unterbrach ich sie, da ich nur noch Bahnhof verstand, „wie kommen Sie darauf, dass ich Lesbe bin?“ „Was? Aber Sie haben doch…“, jetzt verstand sie es nicht mehr. „Ich habe doch nie gesagt, eine Lesbe zu sein.“ „Sie wollten doch Ihre Freundin anrufen?“ meinte sie verunsichert. „Ja und?“ Doch dann ging mir ein Licht auf. „Sie haben verstanden, dass ich eine feste Freundin habe? Eine Beziehung mit ihr?“ Schmunzelnd erklärte ich, „sie ist meine Freundin, ja. Aber meine Freundin aus der Schulzeit. Sie ist verheiratet und ich nicht lesbisch. Also, ich nenne sie einfach Freundin, weil sie die mir am nächsten stehende Frau ist. Platonisch klar?“ Und dann überlegte ich mir, dass nun Paula eigentlich auch dazu gehörte. Wer hätte das je gedacht? Paula war immer die leicht verwirrte, oberflächliche Kollegin gewesen, mit der ich mal Mittagessen ging oder am Abend zu einem Feierabendkaffee traf. Sie kam immer zu spät, vergass meinen Geburtstag und hatte mich auch schon sehr fies behandelt. Deshalb hatte ich zu ihr nie diese enge Bindung wie zu Regula, mit der ich alle meine Sorgen, Ängste und Freuden geteilt hatte. Und Regula hatte Paula gehasst. Aber seit Paula wusste, dass die Bösen existierten, gehörte sie dazu. War sozusagen auf gleicher Stufe wie Regula. Und Regula akzeptierte sie. „Es tut mir leid, dann habe ich Sie falsch verstanden“, entschuldigte sich Frau Mahler. „So schlimm ist das auch wieder nicht. Ich habe auch kein Problem mit Lesben. Aber ich will nicht, dass es heisst ich sei eine Lesbe und deshalb angeschossen worden. Dann würde man nur nach einem falschen Täter suchen.“ „Ja klar, das wäre natürlich ganz schlecht. Also, ich muss jetzt wieder los“, sagte sie auf die Türe zeigend und eilte aus dem Zimmer. Schnell zog ich mir die Decke über den Kopf und lachte vor mich hin. Etwas verkrampft, aber ich konnte es einfach nicht zurückhalten. Vielleicht hätte ich sie im Glauben lassen sollen, dass sie im Recht sei und dann wäre die Polizei einer falschen Spur nachgegangen. Und ich hätte Ruhe gehabt. Aber das wäre unfair Regula und Markus gegenüber. Die hätten sicher nie in diesen Plan eingewilligt. Als ich mich wieder beruhigt hatte, kroch ich unter der Bettdecke hervor, holte tief Luft, da ich darunter fast erstickte wäre, nahm das Handy zur Hand und schrieb allen, dass ich schlechte Neuigkeiten betreffend den Bösen hätte. Nachdem ich es abgeschickt hatte, löschte ich die SMS sofort. Es war vielleicht paranoid, aber ich hatte Angst, dass Frau Mahler zu nachtschlafender Zeit mein Handy durchstöbern würde. Nach und nach schrieben alle zurück. Entsetzt, ängstlich, aber auch mit Vorbehalten. Ich las heraus, dass sie glaubten ich würde etwas zusammenspinnen, ausgelöst durch den Überfall auf mich. Ich schrieb nur allen zurück, dass sie doch bitte so schnell wie möglich ins Krankenhaus kommen sollten.
Um 17.30 Uhr sassen doch tatsächlich alle bei mir am Bett und schauten mich freudig überrascht an. Sie freuten sich sehr, dass ich wieder sprechen konnte und mich so gut erholt hatte. Zuerst sprachen wir darüber doch dann wollte Markus endlich wissen, „was ist denn wegen den Bösen?“ „Ich möchte, dass jemand die Türe beobachtet. Ich weiss es tönt voll blöd, aber ich habe Angst meine Frau Doktor könnte an der Türe lauschen. Ich habe ihr erzählt, ich hätte geträumt, dass Regula ebenfalls angeschossen worden sei und ich ihr deshalb unbedingt schreiben muss. Sie glaubte nicht und meinte, ich würde irgendetwas verheimlichen. Natürlich hat sie damit Recht. Trotzdem hat sie mir das Handy gegeben. Ich will nicht, dass sie etwas von den Bösen erfährt. Sonst bin ich reif für die Klapsmühle und da will ich unter keinen Umständen hin.“ „Okay, wir werden abwechselnd aus dem Zimmer gehen, während du uns erzählst, was geschehen ist. Auch wenn sie dann etwas hören sollte, wird sie nie die Zusammenhänge haben, die es benötigt, um die ganze Geschichte zu verstehen“, meinte Jens. „Also, dann mal los“, forderte mich Andreas ungeduldig auf. „Es war Hieronymus“, sagte ich schlicht und alle reagierten anders darauf. Paula schrie mich fast an, „Hieronymus ist tot! Wie kannst du nur so etwas Blödes von dir geben!“ Ihr Gesicht hatte rote Flecken bekommen. Sie war mit Hieronymus zusammen gewesen, bis, ja, bis zu dem Tag, als er umgebracht worden war. Eigentlich hätte umgebracht worden sein müssen. Sie hatte nie ganz verstehen können, dass Hieronymus wirklich einer der Bösen war. Immerhin hatte sie fast ein halbes Jahr mit ihm Bett und Tisch geteilt. Wahrscheinlich eher Bett als Tisch, denn die Bösen brauchten nichts zu essen. Obwohl sie auch kein Fortpflanzungstrieb hatten und somit keinen Sex. Aber Paula hatte mir mal von seinen Qualitäten im Bett vorgeschwärmt, also ging ich davon aus, dass sie zusammen Sex gehabt hatten. Ich verstand, dass sie nun wütend reagierte. Sicher hatte sie ihn nie ganz vergessen. Genauso wenig wie ich je Samuel vergessen konnte und sein Tod mir immer noch wehtat. Ihr Brustkorb hob und senkte sich erregt und sie schüttelte immer wieder den Kopf. Markus fragte, „wieso sollte Hieronymus noch leben?“ und Regula, „wieso sollte Hieronymus so etwas tun?“ Und Jens, „Das glaub ich nicht. Hieronymus ist doch tot.“ Und Andreas, „wie kommst du jetzt darauf?“ Da mir die Frage von Andreas die sinnvollste schien, ging ich auf sie ein. „Ich hatte keine Ahnung, was mit mir geschehen war. Doch dann, nach und nach kam mir alles wieder in den Sinn. Es war grässlich. Es war Hieronymus.“ Damit hatte ich natürlich noch gar nichts erklärt, deshalb wollte Paula wissen, „ja, das hast du schon gesagt. Aber wie kommst du darauf?“ „Weil er es war. Ist das so schwer zu verstehen?“ „Das musst du schon genauer erklären. Immerhin waren wir alle dabei, als er starb.“ „Habt ihr es gesehen? Habt ihr gesehen, wie er sich in Staub auflöste? Das glaube ich nämlich nicht.“ Alle schauten gedankenverloren vor sich hin und hingen den Erinnerungen an die besagte Nacht im Februar nach. Nach und nach schüttelten alle den Kopf. „Na also“, sagte ich triumphierend. „Aber ich versteh das nicht. Da war doch keiner mehr“, meinte Jens verwirrt. „Ihr habt keinen gesehen. Aber die können sich unsichtbar machen, hier auf der Erde. Und wer sonst hätte Gabriel so zugerichtet? Das war dieser Hieronymus.“ „Nein, sicher nicht. Das hätte Hieronymus niemals getan“, beharrte Paula weiter auf ihrer guten Meinung zu Hieronymus. „Nun hör endlich auf damit, Hieronymus zu verteidigen. Er ist ein Verbrecher. Etwas Schlechtes. Also sieh es endlich ein!“ herrschte sie Regula an und ich war froh, dass jemand ihr das mal sagte. Ich hatte nämlich noch nicht die Kraft zum Streiten. Paula schaute sie böse an, sagte aber an mich gewandt, „und weiter? Wo sind deine Beweise?“ „Patrizia hat schon Recht“, stärkte nun auch Jens mir den Rücken. „Da war keiner als wir das Gebäude verliessen. Es war ganz ruhig. Und dann, plötzlich, liegt da Gabriel halbtot im Schnee. Glaubst du er hat sich selber verletzt? Sei doch realistisch. Und wenn Patrizia sagt, sie hätte Hieronymus gesehen, dann ist es sicher auch so gewesen.“ „Danke. Ja also, an diesem Abend war ich nach Hause unterwegs, nachdem wir ja zusammen gewesen waren. Und dann war da plötzlich jemand hinter mir. Ich bekam es mit der Angst zu tun und wollte als Abkürzung durch die Baumgasse.“ „Wo ist die Baumgasse?“ fragte mich Regula verwundert. Ich war also nicht die Einzige, die das nicht wusste. „Das ist die kleine Gasse, die man als Abkürzung zu meiner Wohnung nehmen kann.“ Sie nickte verstehend und ich fuhr fort, „ich weiss nicht, welcher Teufel mich geritten hat, diese Abkürzung zu nehmen. Ich gehe dort nie, wirklich nie durch. Doch nun war ich dort und plötzlich, als ich ziemlich genau in der Mitte der Gasse war, wurde ich angesprochen. Hinter mir stand Hieronymus. Er hielt eine Pistole in der Hand. Ich glaubte, nicht Recht zu sehen. Denn auch ich glaubte doch, er sei tot. Ich zweifelte an meinem Verstand. Doch es war alles real. Er kam auf mich zu. Zuerst war ich wie erstarrt, doch dann versuchte ich zu fliehen. Ja und dann schoss er auf mich.“ Ich schwieg. Ich sah alles so klar vor mir. Niemand sagte ein Wort bis ich wieder fortfuhr mit der Erzählung. „Als ich da so blutend vor ihm kniete, hielt er mir die Pistole an die Stirn. Und dann geschah etwas Furchtbares.“ Ich musste tief Luft holen, um es sagen zu können. Ich hatte das Gefühl, mein Brustkorb wäre zugeschnürt. Ich hatte Angst, dass es mit dem Aussprechen dieser Worte zur Tatsache würde. Solange es niemand wusste, war es eine Fantasie von mir. Doch jetzt würde es zur Realität. „Er hat sich verändert als er vor mir stand. Ja, ja“, ich nickte, als müsste ich mir selber Mut machen, „er lächelte und dann zogen sich die Lippen zurück. Immer weiter.“ Pause. „Dann kamen verfaulte Zähne und vergammeltes, grünes Zahnfleisch zum Vorschein.“ „Das ist doch gar nicht wahr“, unterbrach mich Paula, „Hieronymus hat sehr schöne Zähne und gesundes Zahnfleisch.“ „Jetzt lass sie doch endlich zu Ende erzählen“, meinte Andreas ungehalten. Er und Paula kamen sehr gut miteinander aus. Deshalb hörte Paula auch auf ihn und schwieg, wenn auch etwas beleidigt. Unbeirrt fuhr ich fort, „seine Augen verschwanden irgendwie in den Höhlen und begannen zu glühen. Ja und dann wurde seine Haut zu Pergament und zog sich über den Schädel und er sah aus wie ein Totenkopf. Er war ein Monster geworden.“ Alle schwiegen bestürzt. Natürlich war Paula als erste mit einer Erklärung zur Hand, „das muss der Schock sein. Wie soll jemand plötzlich wie ein Monster aussehen?“ „Du verstehst es immer noch nicht, oder? Bist du so blöd oder tust du nur so? Seit du weisst, dass es Skyländer und Böse und weiss ich nicht was alles gibt, sollte auch jemandem wie dir einleuchten, dass sich einer von denen in ein Monster verwandeln kann“, giftete sie Regula an. „Aber sicher nicht Hieronymus“, gab Paula trotzig zurück. „Wer sonst? Etwa Andreas?“ fragte Regula spöttisch. „Ich weiss nicht, was euer Problem mit Hieronymus ist. Okay, er ist einer der Bösen. Okay, er hat Scheisse gebaut. Aber wieso sollte er Patrizia anschiessen? Wieso ausgerechnet sie? Und wie kann er verfaulte Zähne und feurige Augen und was weiss ich sonst alles für einen Mist haben? Könnt ihr mir das plausibel erklären? Dann werde ich gut zuhören und es euch glauben. Vorher nicht.“ Mit verschränkten Armen und trotzigem Blick sah sie einen nach dem anderen von uns an. „Wie sollen wir denn das Übernatürliche erklären? Wie würdest du einem Aussenstehenden denn zum Beispiel die Bösen plausibel erklären?“ fragte Markus nüchtern. Darauf hatte sie natürlich keine Antwort. „Ich habe keine Ahnung, wieso er mich angeschossen hat. Eigentlich erschiessen wollte. Ich weiss auch nicht, wer mich gerettet hat. Aber ich weiss, dass der Schütze Hieronymus war. Das hat nichts mit einem Schock zu tun.“ Plötzlich schaute ich zur Tür. „War mal jemand draussen?“ flüsterte ich aufgeregt, obwohl ich wusste, dass das nicht der Fall gewesen war. Jens übernahm das und kam mit erhobenem Daumen zurück. Niemand in Sicht. Nach dieser Pause hatten sich die Gemüter wieder beruhigt. „Das Seltsame ist, dass der Polizist, der mich befragt hatte, meinte, dass in letzter Zeit die Gewalt hier in der Gegend extrem zugenommen hat. Wenn ich also 1+1 zusammenzähle, dann muss ich zum Schluss kommen, dass die Bösen wieder aktiv sind. Scheinbar konnten die Skyländer das Tor zu Welt nicht schliessen, so dass weiter Böse zu uns kommen können.“ Betroffenes Schweigen. „Also war alles vergebens“, meinte Andreas ernüchtert. „Nein, das würde ich so nicht sagen“, meinte ich während Markus gleichzeitig sagte, „sieht so aus.“ Wir schauten einander an und ich musste lachen. „Ist das etwa lustig?“ fragte Paula giftig. „Nein, leider nicht. Es ist mir nur so rausgerutscht“, entschuldigte ich mich. Regula, die gute Seele, ergriff sofort meine Partei, „lass sie doch lachen! Immerhin wurde sie von deinem Ex angeschossen, ja fast getötet“, und an mich gewandt, “ich bin ehrlich gesagt froh dich lachen zu hören.“ Dankbar nickte ich ihr zu. „Und was wollen wir jetzt machen?“ fragte Jens. Das war eigentlich die entscheidende Frage. „Ich weiss es nicht. Habt ihr eine Idee?“ fragte ich die anderen. „Im Moment könnten uns die Skyländer am meisten helfen“, meinte Jens und diese Aussage erstaunte mich. Er war gar nicht gut auf die Skyländer zu sprechen. Vor allem nicht auf David. „Ja klar, aber die haben sich ja aus dem Staub gemacht. Einfach davongeflogen. Schön haben die sich aus der Affäre gezogen“, höhnte Paula. „Hei, immerhin war damals Gabriel halb tot. Und die konnten sicher nicht zurück nach Skyland. Das heisst, wahrscheinlich sind sie schon lange tot. Und falls sie noch leben, dann jämmerlich irgendwo hier auf der Erde. Also bitte hör auf, über sie herzuziehen, die haben es noch schwerer als wir“, wies ich Paula wütend zurecht. „Also, wie weiter?“ nahm Markus wieder den Faden auf. „Viel machen können wir im Moment nicht. Wir müssen jetzt einfach die Augen offen halten. Aber ohne die Skyländer sind wir machtlos, da hat Jens schon Recht“, fasste ich unsere Situation zusammen. „Und was machen wir, wenn uns tatsächlich einer der Bösen über den Weg läuft?“ wollte Regula wissen. „Eigentlich können wir gar nichts tun. Schlimm oder? Aber wahrscheinlich zeigen sie sich gar nicht mehr. Wenn sie tatsächlich so aussehen wie Hieronymus, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, dann können die sich nicht mehr unter den Menschen zeigen.“ Nach diesem, Gespräch verliessen mich meine Freunde aufgewühlt und ich hatte ein schlechtes Gewissen deswegen. Doch ich konnte mich niemandem anderes als ihnen anvertrauen und ich hatte alles einfach loswerden wollen. Als Frau Mahler etwas später mein Zimmer betrat, sah sie mich seltsam an. Ganz still war sie. Ob sie wohl doch etwas mitbekommen hatte? Oder ob sie noch verlegen war, weil sie mich als Lesbe bezeichnet hatte? Doch das glaubte ich weniger. Was also war bloss los mit ihr? Sie machte Visite, wünschte mir eine gute Nacht und verschwand dann aus dem Zimmer. Grübelnd lag ich im Bett. Wenn doch nur die Skyländer da wären. Noch nie hatte ich mich so sehr nach ihnen gesehnt. Doch sie waren weg. Verschwunden. Und wie hätte ich sie zu mir holen können? Plötzlich kam mir etwas in den Sinn. Den Skyländer-Ruf! Wieso war mir der nur bloss nicht schon früher eingefallen? David hatte mir mal gezeigt wie ich ihn rufen konnte. Es war ein seltsames Geräusch, das man eigentlich als Mensch gar nicht machen konnte. Aber er hatte meine Stimmbänder so manipuliert, dass ich es nun auch konnte. Ich brauchte nur die Augen zu schliessen, ganz fest an die drei zu denken und dann die Worte in Skyländisch sagen. Ich war ganz aufgeregt und hatte das Gefühl, als müsste ich nun einen Vortrag vor vielen Menschen halten. Was wäre das für ein Glück wenn es klappen würde! Mit geschlossenen Augen lag ich gerade eben da und wollte anfangen als die Zimmertüre geöffnet wurde. Das war jetzt aber schnell gegangen! Leider war es aber nur Frau Mahler, die verlegen das Zimmer betrat. „Frau Waidmeyer, ich nochmals. Ich wollte nur nochmals nachfragen ob Ihnen in der Zwischenzeit wieder in den Sinn gekommen ist wer das Ihnen angetan hat?“ wollte sie wissen. Irgendwie kam sie mir so scheinheilig vor. „Nein, leider nicht. Ich sehe zwar in der Zwischenzeit den ganzen Vorgang des Überfalls vor mir, aber ich sehe die Person, die das getan hat nicht. Irgendwie verschwimmt immer alles vor meinem inneren Auge.“ „Hm. Haben Sie wenigstens der Polizei gesagt wie der Angriff abgelaufen ist?“ „Nein nicht. Sollte ich?“ „Ja klar! Vielleicht hilft das weiter. Soll ich sie für Sie anrufen?“ „Ja gerne“, gab ich unwillig zurück und wünschte mir, dass die Polizisten heute keine Zeit für meinen blöden Angriff haben würde. Leider standen sie schon kurz danach in meinem Zimmer und ich erzählte ihnen alles haarklein wie es sich wirklich zugetragen hatte. Nur Hieronymus liess ich aus dem Spiel. Mit den Worten, „danke für Ihre genauen Angaben und sollte Ihnen noch etwas in den Sinn kommen, und ist es für Sie noch so unwichtig, dann melden Sie sich doch bitte wieder bei uns.“ Und weg waren sie. Frau Mahler jedoch leider nicht. „Fühlen Sie sich jetzt besser?“ wollte sie fürsorglich wissen. „Ja, jetzt fühl ich mich super“, gab ich ironisch zurück. Sie bemerkte meine Ironie nicht einmal. „Wie schön für Sie. Das freut mich sehr. Schon bald sind Sie wieder zu Hause. Freuen Sie sich darauf?“ „Klar. Und noch mehr freue ich mich wieder zur Arbeit zu gehen. Ich hätte nie gedacht, dass das mal der Fall sein wird.“ Ich lachte fröhlich und sie stimmte mit ein. „Na dann, schlafen Sie gut und träumen Sie was Schönes.“ „Danke, ja nach diesem Gespräch werde ich das tun.“ Endlich verliess auch sie das Zimmer und mein Lächeln erlosch augenblicklich. Wehe dem, der mich jetzt noch stören würde! Wieder schloss ich die Augen und rief mir das Bild der drei Skyländer hervor. Das war gar nicht so einfach. Ich sah immer nur der blutende Gabriel vor mir. Genervt öffnete ich die Augen, beruhigte mich etwas und schloss sie wieder. Nun konzentriere ich mich auf David. Etwas irritierte mich an seinem Gesicht, das ich sah. Ich überlegte eine ganze Weile was, bis mir auffiel, dass dieses Gesicht von David lächelte. Das war jedoch nicht der wahre David, denn die Skyländer durften nicht lachen, sonst würden sie sterben. Dieses Schicksal widerfuhr Samuel und ich war sogar dabei. Zerrissen war er worden. Einfach so. Nur weil er gelacht hatte. Nun verscheuchte ich das Bild vom lachenden David und konzentrierte mich voll auf Matthias. Doch da war es auch nicht besser. Sein Gesicht war ganz schmal. Und, oh Mist! Er hatte ebenfalls rote Augen. Lodernde Augen, genau wie Hieronymus. Was war bloss los mit mir? Wieso konnte ich sie nicht mehr so sehen, wie sie waren? Aber vielleicht waren sie nicht mehr so wie früher? Vielleicht hatten sie sich verändert? Vielleicht war Gabriel tot und ich sah ihn deshalb immer nur blutend? Vielleicht konnte David tatsächlich wieder lachen? Und vielleicht war Matthias einer der Bösen? Oder er war einfach so zu einem Monster geworden? Fragen, die mich unglaublich beschäftigten. Als ich mich wieder beruhigt hatte, versuchte ich es nochmals. Ich versetzte mich in meine Wohnung. Ich schloss die Türe auf und blickte dann ins Wohnzimmer. Und tatsächlich, da sassen sie. Einer neben dem anderen. Ich sah ihre hübschen Gesichter vor mir. Ihre hellen, eindrucksvollen Augen, ihre schwarzen gelockten Haaren. Und dann murmelte ich den Skyländer-Ruf vor mich hin. Die Worte waren in Skyländisch und tönten als würde eine Schlange eine lebende Maus verspeisen, mit Zischen und Fiepen. Als ich die Augen wieder öffnete war ich immer noch alleine im Zimmer. Die ganze Nacht lag ich wach, doch das Zimmer blieb leer. Und meine Hoffnung sank auf den Nullpunkt.
Wie Frau Mahler versprochen hatte, durfte ich das Krankenhaus ein paar Tage später verlassen. Meine Eltern holten mich ab und brachten mich zur Wohnung. Es war ein seltsames Gefühl. Ein Gefühl von Freiheit. Vor allem war ich froh, Doktor Mahler entkommen zu sein. Diese Frau hatte mir richtig Angst gemacht in den letzten Tagen. Oft war sie plötzlich im Zimmer gestanden und hatte mich dauernd bedrängt, ob ich jetzt wisse, wer es getan hätte. Und ob ich eine Therapie machen wolle. Mit Händen und Füssen wehrte ich mich dagegen und mit der Zeit schien sie aufgegeben zu haben. Als ich nun vor meiner Wohnung stand, klopfte mir mein Herz bis zum Hals. Ich hatte Angst, dass es vielleicht nicht mehr sein würde wie früher. Dass ich Angst haben würde in meiner Wohnung. Dabei liebte ich meine Wohnung über alles. Sie war meine Höhle, in die ich mich zurückziehen konnte von dem Leben da draussen, in der ich mich wohl fühlte und einfach ich sein konnte. Mein Vater öffnete für mich die Wohnungstür als ich den bereits eingesteckten Schlüssel einfach nicht drehen wollte. Kurzentschlossen packte er meine Tasche, öffnete die Türe und schob mich dann in die Wohnung. Alles war wie früher, nichts hatte sich verändert. Ich ging von einem Raum zum anderen. Meine Mutter hatte zur Begrüssung einen Strauss Sonnenblumen auf den Salontisch im Wohnzimmer hingestellt. Sie schien auch meine Wohnung geputzt und scheinbar meine Wäsche gewaschen haben, denn auf meinem Stuhl, auf dem normalerweise jede Menge bereits getragene Kleider lagen, war nun nichts. Leer und verlassen stand er da und mir tat dieser Anblick weh. Er zeigte mir, dass wenn ich nicht mehr gekommen wäre, alles bereit wäre, um die Wohnung zu räumen. Ein trauriger Gedanke. Ich bedankte mich bei meiner Mutter fürs Putzen, Waschen und Aufräumen und sie meinte überrascht, „wie meinst du das?“ „Hei, ich kenne doch meine Wohnung. Und meine Ordnung. Oder eben manchmal nicht so Ordnung.“ Müde lächelte ich sie an. Sie ging nicht mehr weiter darauf ein, sondern fragte stattdessen, „sollen wir dir noch etwas helfen? Vielleicht einen Tee machen? Oder willst du alleine sein?“ „Ich bin jetzt gerne ein bisschen alleine.