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Sex ja - aber keine feste Beziehung! Da gibt Sophie sich ganz cool. Auch wenn Herz und Körper in Flammen stehen, als sie Marco Esposito nach Jahren wiedersieht. Nie hat sie die Nacht mit ihm vergessen - und auch nicht, dass er danach spurlos aus ihrem Leben verschwand. Diesmal will sie es ihm nicht so leicht machen. Aber das fällt ihr unsagbar schwer...
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Seitenzahl: 200
IMPRESSUM
So nah am Tabu erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© by Anne Marie Rodgers Originaltitel: „Lovers’ Reunion“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 1086 - 2000 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Gabriele Braun
Umschlagsmotive: Stockbyte/ThinkstockPhotos
Veröffentlicht im ePub Format in 08/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733742720
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Marco Esposito blieb mit seinem dunkelblauen Leihwagen ein paar Meter vor seinem Elternhaus in Elmwood Park am Straßenrand stehen. In diesem Vorort von Chicago war er aufgewachsen, und der vertraute Anblick der roten Geranien am Fenster über der Garage rief Erinnerungen an glückliche Zeiten in ihm wach. Sie brachten ein wenig Licht in die dunkle Verzweiflung, die ihn überkommen hatte, seit ihm sein Arzt eröffnet hatte, dass er mit seinem rechten Bein niemals mehr die volle Bewegungsfreiheit erlangen würde.
Er ließ den Wahlhebel des Automatikgetriebes heftiger als nötig in die Position „parken“ einrasten, öffnete die Tür und stieg sehr vorsichtig aus dem Wagen, um mit dem verletzten Knie nirgends anzustoßen. Die meiste Zeit machte es ihm keine Beschwerden, solange er darauf achtgab.
Marco nahm einen tiefen Atemzug der für Anfang Mai außergewöhnlich milden Luft. Da ihm bewusst war, dass es in Chicago um diese Jahreszeit auch noch schrecklich kalt sein konnte, genoss er das schöne Wetter. Als Geologe, der beruflich weltweit im Einsatz war, verbrachte er die meiste Zeit in den Tropen und zog ein warmes Klima vor.
In dem Moment, als er seinen Stock nahm und um den Wagen herum ging, verfinsterte sich seine Stimmung wieder. Er hasste diese Krücke, brauchte sie für kurze Entfernungen auch nur noch selten. Aber er hatte den langen anstrengenden Flug von Buenos Aires hinter sich, und wenn er müde war, konnte es passieren, dass ihm das kranke Bein ohne Vorwarnung wegknickte. So ging er langsam, seine Reisetasche über der Schulter, zum Haus.
„Marco!“ Er hörte den Freudenschrei seiner Mutter schon, bevor sich die Tür öffnete. Dann stürmte Dora Esposito die Stufen und den kleinen Hang hinunter wie ein junges Mädchen. In diesem Augenblick wäre niemand auf die Idee gekommen, dass sie die Mutter von fünf erwachsenen Kindern war.
Ehe Marco wusste, wie ihm geschah, umarmte sie ihn voller Begeisterung, und er schlang den linken Arm um sie. Dabei fiel sein Blick auf ihre gepflegten blonden Wellen, in denen sich keine einzige graue Strähne zeigte. „Du färbst dein Haar also immer noch, Ma?“
Seine Mutter gab ihn lächelnd frei. „Wie du siehst, ich kann’s nicht lassen.“ Sie wischte sich die Augen. „Wie lange willst du bleiben?“
Marco antwortete zögernd: „Ich weiß noch nicht.“
Ein Schatten huschte über Doras Gesicht. „Nun erzähl mir ja nicht, dass du morgen schon wieder weg musst. Manchmal glaube ich, dass du nur vorbeikommst, um die Übernachtungskosten fürs Hotel zu sparen.“
Er lachte. „Nein, Ma, diesmal bin ich nicht auf der Durchreise, sondern ich werde hier bleiben.“ Arm in Arm gingen sie den Weg zum Haus hinauf.
Dora Esposito fehlten selten die Worte, aber einen Moment lang wusste sie nicht, was sie dazu sagen sollte. „Du machst dich über deine alte Mutter lustig“, entgegnete sie schließlich.
„Nein, das würde ich mir nie erlauben.“ Vor der Treppe ließ Marco seine Mutter los. Aus Erfahrung wusste er, dass er sich bei Stufen, so flach sie auch waren, äußerst konzentrieren musste. „Ich habe für das Sommer- und das Herbstsemester einen Lehrauftrag in Purdue. So wirst du mich in den nächsten Monaten öfter sehen, als dir vielleicht lieb ist.“
Seine Mutter fasste sich ans Herz. „Das kann ich kaum glauben.“ Dann merkte sie, wie er sich beim Treppensteigen anstrengte. „Oh, Bambino, lass mich dir helfen!“
Als sie ihn zu stützen versuchte, lächelte er gequält. „Lass nur, Ma. Ich komme gut allein hoch. Es dauert bei Stufen nur etwas länger. Außerdem glaube ich nicht, dass ein Fliegengewicht wie du mich halten könnte, falls ich stolpern würde.“
Sie nickte und versuchte sich ihre Erschütterung nicht anmerken zu lassen. „Okay, dann werde ich vorgehen. Mal sehen, ob in deinem Zimmer alles in Ordnung ist.“
„Einverstanden!“ Aber er war schneller, als er dachte, und es gelang ihm sogar, seiner Mutter auf der obersten Stufe die Tür zu öffnen. „Gleich morgen werde ich mich nach einem Apartment umsehen, damit ich dir nur bis Ende des Monats auf die Nerven gehe.“
„Auf die Nerven gehen? Nun hör schön auf!“, rief sie empört. „Seit Teresa auch noch ausgezogen ist, finde ich es einfach zu ruhig im Haus.“ Sie strahlte über das ganze Gesicht. „Oh Marco, es ist wunderbar, dass du nach Hause gekommen bist.“ Dann verschwand sie ins Obergeschoss.
Marco stellte seine Tasche ab und sah sich in dem kleinen Haus um, wo er mit seinen vier Schwestern aufgewachsen war. Im Wohnzimmer stand der neue großformatige Fernseher, den er seinem Vater vor ein paar Jahren gekauft hatte, damit der alte Herr während der Baseballsaison die Spiele der Chicago Bulls besser verfolgen konnte. Die übrige Einrichtung war wesentlich älter, jedoch praktisch und gemütlich. Neben dem Sofa entdeckte Marco den Handarbeitskorb seiner Mutter, und wie früher waren Tischchen und Schränke mit ihren hübschen Häkeldeckchen dekoriert.
Eines ihrer spitzenartigen Prachtstücke lag auf dem Tisch im Esszimmer. Dort hingen an einer Wand gerahmte Familienfotos von Marco und seinen vier Schwestern, Camilla, Elisabetta, Luisa und Teresa als Babys, bei der Erstkommunion und bei der Abschlussfeier der High School. Aber es gab auch Konterfeis von Onkeln und Tanten und das Hochzeitsfoto seiner Eltern. An der gegenüberliegenden Wand sah Marco das vertraute alte Kruzifix. Auf dem Schränkchen darunter stand ein Strauß bunter Tulpen aus dem Garten. Viel hat sich wirklich nicht verändert, ging es ihm durch den Kopf.
Auch die Küche fand er so vor, wie er sie in Erinnerung hatte, bis auf die neue Geschirrspülmaschine, die die Geschwister den Eltern gemeinsam zu Weihnachten geschenkt hatten. War das vor zwei Jahren? Marco musste überlegen. War es tatsächlich schon mehr als zwei Jahre her, dass er das letzte Mal zu Besuch hier war?
Ja, stimmt genau, dachte er. Die letzten Weihnachtsfeiertage hatte er nämlich in einem Krankenhaus in Paraguay zugebracht, wo er gegen die tückische Infektion gekämpft hatte, die sein rechtes Bein zu zerstören drohte. Fast hätten sie es ihm amputieren müssen. Marco graute immer noch bei dem Gedanken. Im Regenwald gab es eben Unmengen von Bakterien. Es war ein Wunder, dass er sich nicht noch Schlimmeres eingefangen hatte.
Er ging zum Fenster über der Spüle und schob die Gardine zur Seite, um einen Blick auf die gepflegten kleinen Gärten der Nachbarhäuser zu werfen. Soviel er wusste, waren alle Nachbarskinder längst erwachsen und ausgezogen. In der einst so lebendigen Straße wohnten nur noch Senioren, die unentwegt darüber redeten, ihre kleinen Backsteinhäuser zu verkaufen und ins sonnige Florida zu ziehen. Allerdings kannte er kein einziges Paar, das diesen Plan verwirklicht hätte.
Plötzlich tat sich etwas auf dem angrenzenden Grundstück. Eine schlanke Mädchengestalt mit schulterlangen dunklen Locken tauchte, begleitet von einem Cockerspaniel, auf der Terrasse auf. Obwohl sie Marco den Rücken zudrehte, fesselte sie seine ganze Aufmerksamkeit. Was für eine tolle Figur diese zierliche Frau hatte, scheinbar endlos lange schlanke Beine und aufregend weibliche Kurven genau an den richtigen Stellen!
Es musste die Frau eines der Domenico-Jungen sein. Warum sich so ein entzückendes Geschöpf allerdings an Stef, Tommie, Vincente oder Geordie gebunden hatte, war Marco schwer begreiflich. Er grinste, als ihn Erinnerungen an alte Zeiten überkamen.
Die Domenicos hatten, seit er denken konnte, im Haus nebenan gewohnt. Ja, sie hatten das Haus im gleichen Jahr wie seine Eltern gekauft, und im folgenden Jahr hatte jede Familie ihr erstes Baby bekommen. Später bildeten Marco und die Domenico-Jungen ein unschlagbares, in der ganzen Gegend berühmt-berüchtigtes Basketballteam.
Sie waren alle wie eine große Familie gewesen, Marco, seine vier Schwestern und die sieben Kinder der Domenicos. Von klein auf hatten sie miteinander gespielt, sich geliebt und geprügelt.
Was jedoch Sophie, das jüngste Mitglied des Domenico-Clans anging, hatte Marco schon immer mehr als nur freundschaftliche Gefühle für sie gehegt.
Sophie – er atmete tief durch und vermied allzu erotische Erinnerungen an sie. Er hatte nämlich immer noch ein schlechtes Gewissen, weil er ihre Beziehung so abrupt beendet hatte, und ihm graute davor, Sophie auf der Feier zur goldenen Hochzeit seiner Eltern, die seine Schwestern heimlich planten, wiederzusehen.
Auf der einen Seite hoffte er, dass sie mittlerweile einen netten Mann geheiratet und eigene Kinder hatte. Auf der anderen Seite … Er unterdrückte die törichten Gedanken. Es spielte wirklich keine Rolle mehr, was er fühlte. Wenn er Sophie in den sechs Jahren immer noch nicht vergessen hatte, war das allein seine Schuld. Er hätte es damals nicht so weit kommen lassen dürfen, dann hätte sie sich keine falschen Hoffnungen gemacht, einmal seine Frau zu werden. Auch damals war ihm eigentlich schon klar gewesen, dass das Abenteuer ihn mehr lockte als die Frauen. Er wollte die Welt kennenlernen, nichts erschien ihm reizvoller.
Marco beugte sich vor, um besser sehen zu können, und stieß fast mit der Nase gegen die Fensterscheibe. Die Frau auf der Terrasse hatte sich umgewandt, sodass er ihr Gesicht erkennen konnte. Ja, es war tatsächlich Sophie.
Plötzlich spürte er, wie ihm das Blut zu Kopf stieg. Sein Atem ging schneller. Sie war verdammt hübsch! Das niedliche Pummelchen hatte sich in einen schönen Schmetterling verwandelt. Marco hatte es damals ja selbst nicht verstanden, warum er sich in sie verliebt hatte. Mit seinen früheren Freundinnen, den Teenage-Queens und Cheerleaders, konnte sie nicht mithalten. Sophie war eher schüchtern und still.
Aber dann hatte Marco ihr süßes Geheimnis entdeckt. Dieses junge Mädchen mit den üppigen Formen und der seidigen Haut hatte sich in seinen Armen in ein liebestolles Kätzchen verwandelt. Er war Sophies Reizen ganz und gar verfallen, sodass es danach keine anderen Frauen mehr für ihn gab.
Unentwegt starrte Marco seine Jugendliebe durch die Fensterscheibe an. Sophie hatte die Hände in die Taschen ihrer engen Jeans gesteckt und er konnte deutlich erkennen, wie schlank sie geworden war. Von ihren früheren Pölsterchen an Bauch und Hüften fehlte jede Spur, wohingegen ihre Brüste immer noch so rund und voll wie damals wirkten. Verdammt sexy sieht sie aus, schoss es Marco durch den Kopf.
„Hey, Buddy! Was ist mit dir los?“, rief sie dem Cockerspaniel zu, der sie ausgelassen umkreiste. Dann verschwanden die beiden durch die Terrassentür ins Haus.
Irgendwie fühlte Marco sich niedergeschlagen. Er musste daran denken, wie er ihr damals rundheraus erklärt hatte, dass eine Heirat für ihn nicht infrage käme. Das musste sie fürchterlich verletzt haben. Dann war er abgereist und hatte sie in ihrem Schmerz allein gelassen. Nein, beim besten Willen konnte er jetzt nicht erwarten, dass sie ihn mit offenen Armen empfangen würde.
Während ihm das alles schmerzlich bewusst wurde, kam seine Mutter in die Küche. „Marco, setz dich doch. Du musst erst mal etwas essen.“ Dann trat sie zu ihm ans Fenster. „Gibt es da draußen was Hübsches zu sehen?“
„Lass das, Ma.“ Er hinkte zum Küchentisch und nahm Platz. „Ich bin keine achtzehn, sondern sechsunddreißig und interessiere mich nicht mehr für Teenies.“
„Wer spricht denn von Teenies?“, fragte seine Mutter vorwurfsvoll. „Ein Mann wie du braucht eine Frau, keinen Teenie. Du solltest endlich dein Vagabundenleben aufgeben und heiraten, Marco, besonders jetzt, wo du …“
„Ma, bitte“, unterbrach Marco sie. „Das Thema haben wir doch schon zur Genüge abgehandelt.“
Lächelnd kniff sie ihm in die Wange, bevor sie sich zu ihm setzte. „Okay, okay, ich möchte doch nur, dass mein Junge glücklich wird.“
„Sei ehrlich, Ma. Du möchtest nur die meisten Enkelkinder in der ganzen Nachbarschaft haben.“ Er schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an. „Versuch ja nicht, mich zu verkuppeln! Versprichst du mir das?“
Dora stieß einen heftigen Seufzer aus und bekreuzigte sich demonstrativ. „Ich verspreche es!“
Während Marco die köstliche Minestrone aß, die niemand so gut zubereitete wie seine Mutter, wanderten seine Gedanken wieder zum Nachbarhaus. Er hatte dort keinen jüngeren Mann gesehen, und außerdem hätte ihm seine Mutter sicher erzählt, wenn die kleine Sophie geheiratet hätte. Was sie wohl beruflich machte? War sie mit jemandem zusammen? Würde sie sich immer noch so gut in seinen Armen anfühlen wie damals? Zweifellos wäre Sophie genau das, was er jetzt brauchte, um darüber hinwegzukommen, dass die Zeit, in der er abenteuerliche Expeditionen in die entlegensten Winkel der Erde unternommen hatte, für ihn unwiderruflich vorbei war.
Sophie Morrell zuckte ärgerlich zusammen, als das Telefon läutete. Sie hatte es sich gerade in ihrer kleinen Wohnung auf dem Sofa gemütlich gemacht und war in einen spannenden Liebesroman vertieft.
Jetzt musste sie aufstehen und den Telefonhörer abnehmen. „Hallo?“
„Hallo, Schwesterherz, was machst du gerade?“
„Hallo, Vee!“, rief Sophie erfreut. Violetta war mit einunddreißig nur zwei Jahre älter als sie, und die beiden hatten sich immer schon gut verstanden. „Im Moment mache ich gar nichts, außer mich zu entspannen. Ich habe heute Nachmittag nach dem Dienst noch bei unseren Eltern vorbeigeschaut, und jetzt liege ich auf dem Sofa und lese.“
„Hast du schon etwas gegessen?“
„Natürlich habe ich gegessen.“ Sophie lachte. „Du machst dir wirklich viel zu viele Gedanken um mich.“
„Als deine große Schwester bin ich regelrecht dazu verpflichtet, das zu tun“, erwiderte Violetta. Danach wurde sie ernster. „Ich will dir nicht auf die Nerven gehen, Soph. Ich möchte mich nur ein bisschen um dich kümmern. Das bin ich so gewohnt.“
„Schon gut.“ Sophie wusste genau, was ihre Schwester sagen wollte. Während Sophie ihren kranken Mann aufopfernd gepflegt hatte, hatte ihr Vee beigestanden, so gut sie konnte, und sie manchmal sogar daran erinnern müssen, etwas zu essen. Beim Tod ihres Mannes hatte Sophie mehr als zwanzig Pfund an Gewicht verloren und glich einem wandelnden Skelett. Erst durch Violettas Fürsorge hatte sie danach allmählich wieder etwas zugenommen.
Sophie wünschte natürlich niemandem, auf diese Weise abzunehmen. Dennoch war sie im Nachhinein froh, dass sie ihre überschüssigen Pfunde los war. In den folgenden zwei Jahren hatte sie sehr auf ihre Ernährung geachtet und trieb regelmäßig Sport, sodass sie ihr Idealgewicht halten konnte.
Es kostete sie eigentlich keine große Anstrengung bei ihrem Beruf als Sozialarbeiterin. Sie arbeitete in einer Sozialstation in einem vornehmlich von armen Latinos bewohnten Stadtteil und kam selten vor sechs oder sieben Uhr abends nach Hause. Der Arbeitstag war oft so hektisch, dass sie einfach nicht dazu kam, eine Mittagspause einzulegen, um etwas zu essen.
Aber Sophie liebte ihren Beruf sehr. Es war ihre Aufgabe, jungen ledigen Müttern zu erklären, wie sie ihre kleinen Kinder versorgen und sich gleichzeitig auf eine Berufstätigkeit vorbereiten konnten. Für Sophie gab es nichts Schöneres, als die hübschen dunkeläugigen Babys im Arm zu halten.
Und wenn sie manchmal auch bittere Tränen vergoss, weil das Schicksal so grausam war, sie in frühen Jahren zur Witwe ohne eigene Kinder zu machen, so ließ sie es sich nicht anmerken.
Natürlich wurde sie in ihrem Beruf häufig mit den Schattenseiten des Lebens konfrontiert und sie vermisste ihren Mann Kirk. Aber es befriedigte sie auch, helfen zu können. Gerade weil sie selbst schon so viel Leid durchgemacht hatte, mangelte es ihr nicht an Verständnis und Geduld im Umgang mit den Mitmenschen.
„Es gibt große Neuigkeiten“, verkündete Vee am anderen Ende der Leitung.
„So, was denn?“
„Rate mal.“
Sophie rollte die Augen, obwohl ihre Schwester das ja nicht sehen konnte. „So ganz ohne Anhaltspunkt geht das schlecht.“
„Okay, ich werde dir einen Hinweis geben. Wo wird in Kürze goldene Hochzeit gefeiert?“
„Bei den Espositos, aber was …“
„Und welches schwarze, aber überaus attraktive Schaf der Familie ist wohl aus der Ferne heimgekehrt?“
Marco war nach Hause gekommen. Auf einmal hatte Sophie Schmetterlinge im Bauch. „Er ist doch kein schwarzes Schaf“, verteidigte sie ihn prompt. „Und er ist nur aus beruflichen Gründen so viel unterwegs.“ Sobald sie es ausgesprochen hatte, merkte sie, wie komisch das gerade aus ihrem Mund klingen musste. Aber die Tatsache, dass Marco in Chicago war, brachte sie ziemlich aus der Fassung.
„Sophie Elenora, du brauchst ihn nicht zu verteidigen!“, rief Vee hitzig. „Erst hat er bei dir den Verliebten gespielt, und dann hat er dich beim ersten Auslandsangebot alleingelassen. Vergiss das nicht.“
„Ich verstehe schon, was du meinst, Vee.“ Sophie seufzte und strich sich das Haar aus der Stirn. „Es ist mir ja gelungen, einen anderen Mann zu finden. Wirklich, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Vee, meine Gefühle für Marco waren nichts als jugendliche Schwärmerei. Das ist längst vorbei.“ Sie ließ ihre Stimme so arglos wie möglich klingen. „Aber ich freue mich doch, ihn wiederzusehen. Er war ja so lange Zeit fort. Ist dir eigentlich klar, dass mit ihm dann bei der goldenen Hochzeit alle Esposito- und Domenico-Kids wieder zusammentreffen, die ganze Gang von früher?“
„Ja, das finde ich auch toll“, gab Vee zu. „Übrigens, ich habe gestern Camilla getroffen. Sie fragte, ob wir ihr Samstagabend helfen könnten, den Saal zu schmücken.“
„Sag Camilla, dass ich es mir in meinem Kalender vormerken werde.“ Camilla war Marcos ältere Schwester, die die Organisation der Feier übernommen hatte, die im zur Kirche gehörenden Gemeindezentrum stattfinden sollte.
Danach wechselte Vee das Thema. Die Schwestern redeten noch einige Minuten über dies und das, bevor sie sich eine gute Nacht wünschten und auflegten.
Für Sophie war es mit dem friedlichen Abend jedoch vorbei. Es gelang ihr einfach nicht mehr, die Gedanken an Marco zu verdrängen, wie sie es all die Jahre getan hatte. Dass er in der Stadt war, versetzte sie in helle Aufregung und ließ die Erinnerung an ihn lebendig werden.
Mühelos konnte sie sein Bild heraufbeschwören. Plötzlich schien er vor ihr zu stehen und sie mit seinen ausdrucksvollen dunklen Augen anzuschauen. Das lockige schwarze Haar trug er immer rigoros kurz geschnitten, sodass sein Gesicht mit den schmalen Wangen, der römischen Nase und den wohlgeformten Lippen fast klassisch wirkte. Seine Schwestern hatten ihn nicht umsonst damit aufgezogen, dass er der Schwarm aller Mädchen war. Fanden die Frauen ihn immer noch so unwiderstehlich wie früher? Hatte sein Blick immer noch diese geheimnisvolle hypnotische Kraft?
Jedes Mal, wenn Marco sie angesehen hatte, war es Sophie durch und durch gegangen. Er war sieben Jahre älter als sie und als er achtzehn war, rissen sich alle Mädchen um ihn. Die kleine Sophie Domenico war für ihn da noch nicht mehr als die kleine Schwester der Nachbarsjungen.
Aber das hatte ihr nichts ausgemacht. Nachdem Marco sie bei seiner Schulabschlussparty auf die Wange geküsst hatte, war es um die Elfjährige geschehen. Sophie konnte ihn nie wieder vergessen, und selbst die üblichen Bilder der Teenageridole fehlten in ihrem Zimmer. Für Sophie gab es in den folgenden Jahren nur Marco.
Als er dann auf ihrer Sweet-Sixteen-Party auftauchte, schwebte sie im siebenten Himmel. Er hatte gerade sein Diplom gemacht und seinen ersten Arbeitsvertrag als Forschungsassistent in der Tasche.
Zum Abschied hatte er sie damals auf die Lippen geküsst. Es war eigentlich nicht viel mehr als ein kurzer brüderlicher Kuss, Sophie kam es jedoch schon fast wie eine Liebeserklärung vor. Obwohl sie danach mit anderen jungen Männern ausging, wurde nie etwas Ernstes daraus, denn verglichen mit Marco waren sie alle uninteressant.
Wie konnte ich nur so in ihn vernarrt sein, dachte Sophie später, wenn sie sich daran erinnerte. Marco kam höchstens viermal im Jahr nach Hause und meistens nahm er kaum von ihr Notiz. Aber sie stand jedes Mal eifersüchtig am Fenster, um festzustellen, ob er ein Mädchen mit nach Hause brachte. Einmal, als sie bei einer ausgelassenen Silvesterparty der Espositos beobachtet hatte, wie Marco Ella Pescke küsste, war sie in Tränen ausgebrochen.
Dann war ihr neunzehnter Geburtstag gekommen. Er lag mitten im Sommer am neunten Juli. Zur Feier des Tages spendierten ihre Eltern der ganzen Familie ein Essen im Restaurant. Alle waren gekommen, sogar Sophies hochschwangere Schwester Arabella, die schon seit Tagen die Geburt ihres ersten Babys erwartete.
Aber die schönste Geburtstagsüberraschung für Sophie war, dass Marco mit ihren beiden ältesten Brüdern auftauchte. Er sei gerade erst angekommen und müsse schon bald wieder weg, erzählte er.
Wie glücklich und stolz sie war, als er ihr feierlich zum Geburtstag gratulierte. Sie hätte ihn den ganzen Abend anhimmeln können. Aber gerade als das Essen aufgetragen wurde, platzte Arabellas Fruchtblase. Während ihr Mann losrannte, um den Wagen zu holen, ließen sich die anderen das Essen einpacken. Danach besetzte der ganze Clan den Wartesaal der Geburtsstation. Die Krankenschwester hatte nicht schlecht gestaunt. „Gehören Sie etwa alle zur Familie?“
Auch Marco hatte es sich nicht nehmen lassen mitzukommen. „Dann kann ich Ma morgen früh einen detaillierten Bericht liefern“, erklärte er.
Arabellas Baby ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem die Krankenschwester verkündet hatte, dass Arabella ein Mädchen geboren hatte, machte sich die Familie erleichtert auf den Heimweg, bis auf Sophie.
Offenbar waren ihre Gebete erhört worden, denn Marco legte einen Arm um ihre Schulter und bot ihr an, sie nach Hause zu fahren. Vor lauter Aufregung vergaß Sophie, ihm zu antworten, sie ging nur schweigend mit zu seinem Wagen. Während der Fahrt erzählte Marco ihr von seiner interessanten Arbeit im australischen Busch, sodass sie sich allmählich etwas entspannte. Er hielt an einer Tankstelle, um etwas zu trinken zu besorgen, und dann redeten die beiden weiter. Als sie schließlich heimkamen, war es weit nach Mitternacht und ihre Straße dunkel und verlassen.
Marco stieg aus, um Sophie die Tür zu öffnen. „Danke, dass du mir auf der Rückfahrt so nett Gesellschaft geleistet hast.“ Er hob ihr Kinn ein wenig an und küsste sie spontan auf die Lippen.
Er mochte es nur als harmlosen Gutenachtkuss aufgefasst haben, doch für Sophie war es viel mehr. Sie schlang die Arme um seinen Hals und klammerte sich wie eine Ertrinkende an ihn. Marco zuckte zusammen, diese leidenschaftliche Reaktion hatte er wirklich nicht erwartet. Aber dann zog er Sophie fest an sich, und ihr leises Stöhnen brachte ihn dazu, weiterzumachen.
Wieder küsste er sie auf den Mund, wobei seine Zunge zärtlich über ihre Lippen fuhr, um schließlich in ihren Mund einzudringen. Während dieses langen heißen Kusses streichelte Marco ihren Rücken und ihre Hüften. Das verfehlte seine Wirkung nicht – Sophie war wie Wachs ins seinen Händen.
Als er schließlich den Kopf hob, lächelte er sie verwundert an. „Das hätte ich nicht von dir erwartet“, stieß er atemlos hervor.
Sophie wurde rot bis in die Haarspitzen und befreite sich aus seiner Umarmung. „Es tut mir leid, ich wollte nur …“
Marco ließ sie jedoch nicht ausreden, sondern brachte sie mit einem weiteren Kuss zum Schweigen. Von Neuem spürte er, wie sie sich fast verzweifelt an ihn presste. Was für ein Temperament die kleine Sophie doch hatte und wie gut sie sich anfühlte! Sobald er Luft geholt hatte, stellte er etwas klar. „Ich habe nicht gesagt, dass es mir nicht gefällt, sondern nur, dass ich es nicht erwartet hätte.“ Für einen Moment schaute er sie seltsam fragend an. Sophie wurde schon wieder nervös, aber dann sprach er die erlösenden Worte. „Darf ich dich für morgen Abend zum Essen einladen und danach ins Kino?“
Überwältigt von Erinnerungen, ging Sophie zum Fenster und starrte hinaus in die Dunkelheit, als ob sie Marco dort finden könnte. Sie sehnte sich so nach ihm und musste immerzu an ihn denken.
Nach dem ersten Rendezvous hatte sie sich etwa noch zwanzigmal mit ihm getroffen. Wenn er es beruflich einrichten konnte, flog er hin und wieder für einen kurzen Besuch bei ihr ein.