Söhne der Sünde - A.C. Lelis - E-Book

Söhne der Sünde E-Book

A.C. Lelis

0,0
7,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nach fast dreitausend Jahren unerwartet aus der Verbannung befreit, bleibt Dämon Ornias keine Zeit, seine wiedergewonnene Freiheit zu genießen, denn die Sache hat einen kleinen Haken: Ohne die Jungfräulichkeit seines unfreiwilligen Beschwörers erlangt er seine volle Stärke nicht zurück. Und als wäre das nicht schon schwierig genug, muss er sich kurz darauf auch noch mit dem Sohn eines Höllenfürsten herumschlagen, dessen Schicksal mehr mit seinem verflochten ist, als Ornias lieb ist…

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 444

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Deutsche Erstausgabe (ePub) März 2015

© 2015 by A.C. Lelis

Verlagsrechte © 2015 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Fürstenfeldbruck

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Umschlagillustration: Janine Sander

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

ISBN ePub: 978-3-95823-541-0

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

Klappentext:

Nach fast dreitausend Jahren unerwartet aus der Verbannung befreit, bleibt Dämon Ornias keine Zeit, seine wiedergewonnene Freiheit zu genießen, denn die Sache hat einen kleinen Haken: Ohne die Jungfräulichkeit seines unfreiwilligen Beschwörers erlangt er seine volle Stärke nicht zurück. Und als wäre das nicht schon schwierig genug, muss er sich kurz darauf auch noch mit dem Sohn eines Höllenfürsten herumschlagen, dessen Schicksal mehr mit seinem verflochten ist, als Ornias lieb ist…

A.C. Lelis

Für Janine

Prolog

Achtung!

Das hier ist ein Tagebuch!

Mein Tagebuch.

Ich werde hier private und geheime Dinge aus meinem

unbedeutenden Leben reinschreiben, die niemanden

etwas angehen und wohl auch niemanden

interessieren.

Trotzdem, sollte ich jemals jemanden erwischen, der

hier drin rumschnüffelt, werde ich dieser Person nie,

wirklich niemals, verzeihen.

gez.: Julius Grote

Eintrag 6. Juni 2006

Ich glaube nicht, dass die Warnung am Anfang was nützen wird. Wenn ich ein Tagebuch finden würde, würde ich es schließlich auch lesen. Auf jeden Fall werde ich das Buch so verstecken, dass es niemand finden wird. Außer meiner Mutter würde sowieso niemand auf die Idee kommen, in meinem Zimmer zu schnüffeln. Vielleicht, ganz vielleicht, lässt sie sich wirklich von der Warnung abschrecken. Aber eigentlich glaube ich nicht daran. Also kann ich auch gleich zur Sache kommen und sie gegebenenfalls ordentlich schocken.

Es gibt natürlich einen Grund, warum ich mir dieses Buch gekauft habe. Ich muss es endlich loswerden. Jetzt, wo ich mir sicher bin. Bisher habe ich es nie ausgesprochen, geschweige denn aufgeschrieben. Gedacht oder eher befürchtet habe ich es schon ganz oft. Jetzt bin ich mir aber sicher und es muss raus:

Ich bin schwul.

So schwierig, wie ich dachte, ist es gar nicht. Ich bin schwul. Ein doofer Satz. Aber mein erstes Coming-out. Auch wenn es hoffentlich niemand liest. Es ist aber dennoch ein komisches Gefühl. Aufregend irgendwie. Vielleicht sogar befreiend. Nach dieser Sache kann ich bestimmt alles hier reinschreiben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwas Schlimmeres über mich zu sagen gibt als das. Auch wenn man überall liest, dass es nicht schlimm ist, ein Homo zu sein. Ich finde es schlimm. Ich wäre lieber normal.

Ich. Wer bin ich eigentlich? Julius. Siebzehn Jahre alt. Schwarze Haare. Graue Augen. Viel zu klein und dürr. Mittelmäßiger Schüler eines kleinstädtischen Gymnasiums. Ich bin später eingeschult worden und trotzdem der Kleinste in meiner Klasse. Keine besonderen Hobbys oder Interessen. Natürlich Jungfrau. Langweilig.

Damit komme ich zum zweiten Grund, warum ich mir dieses Buch gekauft habe: Ich will mich verändern! Ich will interessanter werden. Und damit ich merke, ob das klappt, werde ich hier alles dokumentieren. Ich weiß nämlich auch, wie ich mich verändern möchte. Wenn ich schon nicht normal sein kann, und die Chancen dafür sind bei meiner Sexualität und dem Aussehen eindeutig sehr gering, will ich GANZ anders sein.

Der erste Schritt: Ich brauch andere Klamotten. Allerdings liegt hier auch schon das erste Problem, denn meine Mutter ist der Ansicht, dass ich genug Kleidung im Schrank habe. Dinge, die sie mir ausgesucht hat und die mir aufgrund meines mangelnden Wachstums schon seit meiner Konfirmation passen. Mit der Frau kann man einfach nicht reden. Ich hab's schon tausendmal probiert. Sinnlos.

Darum werde ich heute Abend in unserem Garten ein kleines Feuer machen. Auch wenn ich Hausarrest auf Lebenszeit bekomme, sehe ich darin den einzigen Weg, meiner Mutter endlich klarzumachen, dass ich keine 12 mehr bin.

Der zweite Schritt: Ich brauch andere Freunde. Oder eher: Ich brauch endlich richtige Freunde. Menschen, die mich so akzeptieren, wie ich bin. Denen ich nichts vormachen muss. Die nicht solche Idioten sind, wie die aus meiner Klasse. Ich werde mich nicht länger verstellen und dann werde ich ja sehen, ob es Menschen gibt, die es mit mir aushalten. Ich hoffe, es gibt sie.

Der dritte Schritt: Ich muss ausziehen. Aber das hat noch Zeit. Bevor ich mein Abi gemacht habe, kann ich mir das ohnehin abschminken. Meine Eltern werden mich nicht gehen lassen. Wenn ich Glück habe, schmeißen sie mich heute nach der Kleiderverbrennung raus. Einen Versuch ist es wert.

Kapitel 1

Innerhalb weniger Momente steht das Kleiderbündel in Flammen. Das bleiche Gesicht des Jungen wird von einem warmen Leuchten erhellt. Er lächelt und blickt gebannt auf das Feuer. Ebenso gebannt blicke ich zurück. Der Knabe ist ein hübsches Exemplar. Mein Erlöser. Aber es stimmt etwas nicht. Irgendwie habe ich mir das hier anders vorgestellt.

»Julius!« Eine tiefe, strenge Männerstimme. »Was machst du da?«

Der Junge zuckt zusammen und sieht scheu über seine Schulter. Ein Mann stürmt aus der gläsernen Terrassentür des Hauses in den Garten. Mit einem Feuerlöscher erstickt er den kleinen Scheiterhaufen. Zurück bleiben nur die schwelenden Überreste der Kleidungsstücke. Sie sind noch erkennbar, jedoch nicht mehr zu retten. Das kann aber eigentlich nicht der Grund sein, wieso sie mich nicht bemerken. Ich verstehe nicht, was hier los ist.

Der Junge blickt seinem Vater beklommen entgegen.

»Sind das etwa deine Sachen?!«

Trotzig strafft der Junge die schmalen Schultern. Er nickt.

»Alle deine Sachen?«, erkundigt sich der Mann fassungslos.

Wieder nickt der Junge. »Bis auf die, die ich anhab, und der Konfirmationsanzug.«

»Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?«, brüllt der Mann und ehe der Sohn ausweichen kann, hat der Vater ihm eine schallende Ohrfeige verpasst.

Die Ohren des Jungen werden augenblicklich rot und dann auch seine Wange. Es ist ihr anzusehen, dass sie anschwellen wird. Automatisch nähere ich mich ihm, um den Schaden zu beurteilen. Es gelingt mir. Endlich. Ich kann mich wieder bewegen. Also bin ich tatsächlich frei… Nur so schrecklich schwach.

»Was ist hier los?«

Eine Frau taucht ebenfalls an der Terrassentür auf. Die Mutter des Jungen vermutlich. Ihr Mann fährt zu ihr herum. Den Jungen hat er am Arm gepackt und zieht ihn mit sich. Mit der freien Hand deutet er auf ihn. »Dein Sohn hat den gesamten Inhalt seines Kleiderschrankes angezündet!«

»Julius!«, entfährt es der Frau entgeistert, ehe sie sich an ihren Mann richtet. »Er ist auch dein Sohn!«

»Ich habe ihm diesen Unsinn mit den Klamotten ganz bestimmt nicht beigebracht!«

Die beiden Eltern stieren sich eine Weile erbost an, ehe sie sich wieder auf ihre Brut besinnen. »Du!«, knurrt der Vater den Jungen an. »Rauf in dein Zimmer!«

Das lässt sich Julius nicht zweimal sagen. Mit gesenktem Kopf flüchtet er an der Mutter vorbei ins Haus und rennt die Treppen im Flur in den ersten Stock hinauf. Ich folge ihm in einen kleinen, schlichten Raum. Darin befindet sich nicht viel mehr als ein Bett, ein Schreibtisch und ein Schrank. Auf einem einfachen Brett an der Wand steht eine Handvoll Bücher. Nichts Interessantes dabei. Lehrbücher, Sachbücher, ein paar Romane.

Während ich mich noch weiter umsehe, schmeißt sich Julius aufs Bett. Sein Blick richtet sich auf den fast leeren, geöffneten Schrank. Darin befindet sich nur noch Unterwäsche und der besagte Anzug. Ein melancholisches Lächeln legt sich auf die ebenmäßigen Züge des Jungen. Wenigstens er scheint zufrieden mit seiner Tat.

Ich bin es auch. Doch allmählich kommt mir ein unheimlicher Verdacht, der vielleicht erklärt, wieso er mich immer noch nicht bemerkt hat. Es war nur Zufall. Ein großer Zufall, aber eben keine Absicht. Er weiß gar nicht, dass ich hier bin. Deshalb reagiert er nicht auf mich. Dennoch bin ich mir sicher, dass er der Schlüssel ist. Die Quelle.

Von unten dringen die erregten Stimmen seiner Eltern zu uns herauf. Sein Lächeln verschwindet. Unruhig richtet er sich auf und tastet mit der Hand über seine misshandelte Wange. Ich frage mich, ob das schon alles gewesen ist. Julius anscheinend auch. Er wirkt recht unbehaglich, aber nicht verängstigt, während er auf das Urteil seiner Erzeuger wartet.

Es dauert nicht lange, bis seine Mutter an die Tür klopft. »Komm bitte mit nach unten. Wir möchten mit dir reden.«

Julius nickt und folgt ihr fast schleichend, so vorsichtig tritt er auf.

Mit verschränkten Armen erwartet ihn sein Vater im Wohnzimmer und blickt unheilvoll auf seinen Sohn herab. Der Mann ist recht groß, vor allem im Vergleich zu seinem Sprössling.

»Was zum Teufel hast du dir bei dieser hirnlosen Aktion gedacht?«, will er streng wissen.

Julius holt tief Luft. »Ich… hab diese Klamotten gehasst! Ich bin siebzehn und will mir meine Sachen selbst aussuchen dürfen.«

»Hast du eine Ahnung, wie viel diese Sachen gekostet haben?«, fragt seine Mutter. »Und sie waren noch völlig in Ordnung! Andere Kinder sind froh, wenn sie überhaupt etwas zum Anziehen haben!«

Bei dem Wort Kinder zuckt Julius' Mundwinkel verräterisch. Doch letztlich meint er nur: »Sie waren hässlich und haben überhaupt nicht zu mir gepasst.«

Sein Vater schnaubt. »Du besitzt keinerlei Sinn für den materiellen Wert von Dingen! Geh erst einmal arbeiten und lerne, was Geld bedeutet!«

»Ich würde ja gerne arbeiten, aber ihr lasst mich ja nicht.« Der kühne Gesichtsausdruck, den er aufsetzt, ist nicht echt. Er hat Angst, das kann ich riechen. Zur Hölle, ich kann endlich wieder riechen!

»Dafür sind deine Noten viel zu schlecht, Julius«, entgegnet seine Mutter. »Du sollst lieber lernen.«

»Und es gibt auch noch andere Wege, wie du die Bedeutung von Geld lernst. Zum Beispiel könnten wir auch darauf verzichten, dir neue Sachen zu kaufen«, droht sein Vater. »Dann kannst du nackt herumlaufen. Wie würde dir das gefallen?«

Julius schiebt den Unterkiefer vor. Ohne zu zögern beginnt er sich auszuziehen. »Ich gehe lieber nackt zur Schule, als die Sachen anzuziehen, die ihr für mich aussucht!«

Als er sich auch noch die Hose auszuziehen beginnt, reißt seinem Vater der Geduldsfaden endgültig. Er packt Julius' bloße Schultern, um ihn aufzuhalten und dabei gleichzeitig einmal kräftig zu schütteln. »Hast du den Verstand verloren?!«

»Walter! Lass den Jungen doch!«, ruft die Mutter erschrocken.

Tatsächlich scheint sie zu ihrem Mann durchzudringen. Doch die rauen Finger hinterlassen unschöne, weiße Abdrücke auf der ohnehin schon blassen Haut des Jungen, die sich schnell rot verfärben. Das gefällt mir nicht. Aus einem uralten Instinkt heraus, dringe ich ins Bewusstsein des Vaters ein und mache es mir zu eigen. Nach kurzem Ringen greift Walter in seine Gesäßtasche und holt sein Portemonnaie hervor. Er, beziehungsweise ich entnehme ihr eine größere Anzahl an Geldscheinen und halte sie dem verstörten Jungen entgegen.

Die Stimme seines Vaters klingt monoton, als ich ihn sagen lasse: »Dann kauf sie dir eben allein. Aber wehe, wenn du nicht ordentlich mit ihnen umgehst!«

Sowohl die Mutter als auch Julius blicken den Vater perplex an. Doch dann greift Julius zögernd nach dem Geld. Ich gebe es ihm. Er mustert mich, beziehungsweise seinen Vater, irritiert. Möglich, dass ihm etwas an den Augen seines Vaters auffällt. Kleinigkeiten, die ich nicht kontrollieren kann. Ein Schimmern womöglich. Dann spüre ich, wie mir die Kontrolle gänzlich zu entschlüpfen droht. Ich bin so verflucht schwach.

»Du hast Hausarrest«, sage ich noch. »Geh wieder auf dein Zimmer!«

Dann werde ich regelrecht aus dem Körper geschleudert. Der Junge nickt verwirrt und macht sich davon. Diesmal fällt es mir schwerer, ihm zu folgen. In seiner Kammer angekommen, finde ich Julius beim Geldzählen. Es sind etwa zweihundert Euro. Mit einem breiten Lächeln geht er zu der Wandschräge des Zimmers, die mit hellen Kiefernbrettern vertäfelt ist. Er fummelt etwas an einem von ihnen und schiebt es schließlich zur Seite. Aus dem entstandenen Spalt holt er ein schwarzes Buch hervor. Schnell lässt er das Geld zwischen den aufgeschlagenen Seiten verschwinden. Dann legt er es zurück und verschließt den Spalt wieder. Gerade rechtzeitig, bevor seine Mutter unangekündigt ins Zimmer tritt. Durch mich hindurch. Widerlich. Ich hasse es, wenn das passiert.

»Ich weiß nicht, was in deinen Vater gefahren ist«, sagt sie sachlich. »Vielleicht tat ihm die Ohrfeige leid, aber ich werde auf jeden Fall mitkommen, wenn du dir von dem Geld etwas kaufst.«

»Ich kann das auch alleine«, entgegnet Julius. »Bin alt genug!«

»Nun, anscheinend bist du nicht ganz so reif, wie du denkst, wenn du deine Sachen anzündest!«, erwidert seine Mutter streng. »Ich möchte nur verhindern, dass du Lumpen kaufst.«

»Aber ich will mir aussuchen, was ich mag«, beharrt Julius.

»Und ich bestimme, ob es gekauft wird oder nicht. Aussuchen darfst du es dir meinetwegen. Aber ich möchte nicht, dass du qualitativ schlechte Ware kaufst.«

Julius wirkt recht unglücklich, gibt jedoch nach. »Okay…«

»Gut. Am besten gehst du jetzt schlafen«, rät ihm seine Mutter. Ihre kühle Art scheint nichts Besonderes für ihn zu sein. »Ich hoffe, du erwartest nach dieser Aktion kein Abendbrot.«

»Nein.« Julius setzt sich aufs Bett. Seine immer noch bloßen Schultern sinken nach vorn. Er ist zu mager. Anscheinend wird er öfter auf diese Art bestraft. Siebzehn. So sieht er nicht aus. Aber das gefällt mir. Außerdem muss er noch Jungfrau sein, sonst wäre ich nicht hier. Gefällt mir sogar sehr. Wenn ich nur nicht so schrecklich müde und schwach wäre…

***

Am nächsten Tag folge ich Julius notgedrungen zur Schule. Ich muss in seiner Nähe bleiben, sonst werde ich noch weiter geschwächt. Gleichgültig, ob es ihm bewusst ist oder nicht: Er ist meine Quelle. Außerdem finde ich ihn recht unterhaltsam.

Sein Gang wirkt leichter, kaum dass er das Haus seiner Eltern hinter sich gelassen hat. In der Schule jedoch scheint die Last auf seinen Schultern wieder schwerer zu werden. Mit einem leisen Gruß an seine Mitschüler setzt er sich auf einen Platz in einer der hinteren Reihen und holt einen Block hervor. Fast unverzüglich beginnt er zu zeichnen.

Niemand scheint ihn zu beachten, es gibt jedoch auch keine Hänseleien, denen andere Mitschüler eindeutig zum Opfer fallen. Etwa das Mädchen mit den fettigen Haaren und dem unansehnlichen Mitesser auf der Wange oder der schlaksige Junge mit der altmodischen Brille und den Latzhosen. Julius scheint dagegen ebenso unsichtbar wie ich zu sein.

Als die Stunde beginnt, setzt sich ein anderer Junge neben Julius. Sie wechseln ein paar Worte und Julius lächelt sogar scheu, doch dann konzentrieren sie sich für den Rest der Stunde auf den Unterricht. In der großen Pause muss er mit den anderen das Klassenzimmer verlassen. Er geht zum Hausmeister, der belegte Brötchen verkauft, und holt sich gleich zwei davon.

»Na, ist bei dir der Wohlstand ausgebrochen?«, spottet ein Junge aus seiner Klasse gutmütig, als er ihn dabei sieht.

Julius lächelt wieder scheu. »Ja, kann man so sagen.«

»Sonst kaufst du dir nie was«, stellt der andere Junge fest. »Hast du nichts zu essen bekommen, oder was?«

»Quatsch.« Julius errötet flüchtig. »Ich hab nur verschlafen und das Frühstück verpasst.«

Tatsächlich hat er gefrühstückt, doch unter den strengen Blicken seiner Eltern ist ihm schnell der Appetit vergangen.

Der andere Junge lacht ihn aus. »Kommst du mit zu den anderen? Wir sind beim Kicker.«

»Gern«, willigt Julius ein.

Er spielt jedoch nicht mit, sondern isst schweigend sein Brötchen, während er den üblichen Jungenscherzen seiner Mitschüler lauscht. Sein Blick ist dabei schüchtern gesenkt. So geht es den ganzen Vormittag weiter und ich langweile mich furchtbar. Irgendwie hatte ich mehr erwartet, nachdem er sich bei seinen Eltern so rebellisch aufgeführt hat. Doch es geschieht nichts.

Nach dem Unterricht wird Julius von seiner Mutter mit dem Auto abgeholt.

»Hast du das Geld auch nicht verloren?«, erkundigt sie sich.

Julius schüttelt den Kopf und sinkt tiefer auf dem Beifahrersitz zusammen.

»Ich nehme es dir schon nicht wieder weg«, meint seine Mutter beruhigend. Sie fahren eine Weile schweigend. Wie schon beim Frühstück wirkt die Atmosphäre sehr angespannt.

»In welchen Geschäften sollen wir schauen?«, fragt seine Mutter schließlich.

Julius seufzt. »Musst du echt mitkommen?«

»Ja.« Die Stimmlage der Mutter duldet keinen Widerspruch.

Julius seufzt nochmals. »Dann lass uns auf dem Parkplatz bei der Polizei halten und von dort zu Fuß in die Innenstadt laufen. Ich weiß noch nicht, in welche Geschäfte ich will.«

»Gut, wie wäre es, wenn wir bei Böttcher gucken?«, schlägt seine Mutter vor.

Julius wirft ihr einen entrüsteten Blick zu. »Nein!«

»Karstadt? Dort ist die Auswahl größer.«

»Auch nicht.« Julius schüttelt entschieden den schwarzen Schopf. »Ich will nicht in Opaklamotten rumlaufen.«

***

Eintrag 7. Juni 2006

Es hat geklappt! Und total genial: Meine Mutter hat erst zu Hause gemerkt, dass wir nur schwarze Sachen gekauft haben. Eigentlich findet sie das furchtbar, aber sie hat auch keinen Bock, alles wieder umzutauschen. Haha.

Also zu Schritt zwei. Ich will andere Leute kennenlernen. Irgendwie verstehe ich mich ja mit den Jungs in meiner Klasse. Aber nur weil ich nicht ich bin. Oder ich bin ich, aber ein Ich, das ich kacke finde. Ich muss mich verändern.

Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, könnte es ein ziemliches Problem geben, mit dem »neue Leute kennenlernen«. Ich hatte ganz vergessen, dass ich ja Hausarrest auf unbestimmte Zeit bekommen habe. Mein Vater spricht immer noch nicht normal mit mir. Ich schätze, dass es mit der Aufhebung noch eine Weile dauern wird.

Bis dahin könnte ich ja ein wenig trainieren, wie man lockerer wird. Im Moment habe ich nämlich noch keine Ahnung, wie ich auf neue Leute überhaupt zugehen soll.

Es gibt ein paar »Goths« an der Schule, aber die sind alle in anderen Klassen als ich. Ziemlich unwahrscheinlich, dass sie sich mit mir abgeben werden. In diesem Provinznest hier ist es ohnehin fast unmöglich jemand Neues zu treffen. Ich hab schon oft überlegt wegzulaufen, aber das ist natürlich Quatsch. Natürlich weiß ich, dass ich es gar nicht so schlecht getroffen hab. Ich will schließlich zur Schule gehen. Irgendwie werde ich das Abi schon schaffen. Noch drei Jahre… Oh Mann, ganze DREI Jahre!

***

Es dauert eine ganze Woche, ehe jemand aus Julius' schulischem Umfeld bemerkt, was für Veränderungen mit ihm vorgehen. Zunächst ist es der Klassenlehrer, der – sehr zu meiner Belustigung – an den Jungen herantritt und ihn betreten fragt, ob jemand gestorben ist. Julius verneint verlegen.

Als Nächstes bemerken es die Mädchen und beginnen, hinter seinem Rücken zu lästern. Bei Leviathan, was für gehässige Weiber! Eins, das Lisa heißt, geht schließlich zu ihm. Julius hat sich gerade einen Kaffee aus einem der Automaten geholt, daher stehen wir alleine in der Schulaula.

»Na, Julius. Haste neue Klamotten?«, erkundigt sie sich lächelnd.

Julius erwidert das Lächeln auf seine scheue, immer etwas traurig wirkende Art und nickt.

Sie runzelt die Stirn. Ihr Lächeln stirbt. »Alle schwarz?«

»Und?«, fragt Julius zurück. Sein Lächeln verschwindet ebenfalls.

Lisa mustert ihn lange. »Willst du etwa einer von diesen Freaks werden?«

»Ich mag schwarz.«

»Warum das denn?« Lisas Blick wird eine Spur verächtlich.

»Wieso muss ich einen Grund haben?«, fragt Julius zurück und will sich abwenden.

Doch das Mädchen hält ihn zurück, indem sie nach seinem Arm greift. Der Kaffee in Julius' Becher schwappt über seine Hand. Er verzieht das Gesicht und wechselt rasch den Becher in die andere Hand, um sich die betroffene abzulecken. Seine grauen Augen richten sich dabei anklagend auf Lisa.

Doch die ignoriert das gekonnt. »Du warst mal so was wie mein bester Freund. Ich habe null Bock, dich ständig verteidigen zu müssen. Das wirkt doch scheiße auf die Dauer.«

»Wir sind seit der fünften Klasse keine besten Freunde mehr, Lisa«, antwortet Julius mit einem leisen Vorwurf in seiner Stimme. »Und das ist deine Entscheidung gewesen. Warum willst du mich noch verteidigen? Lass es doch einfach.«

»Ist doch klar, dass ich dich in Schutz nehme«, entgegnet Lisa resolut. »Du warst wie ein Bruder für mich. Aber wenn du dich so dämlich aufführen willst, lass ich es wirklich.«

»Okay«, sagt Julius nur und will sie stehen lassen.

Dabei achtet er jedoch nicht darauf, wohin er geht. Prompt prallt er gegen einen Schüler aus der Oberstufe. Zufällig handelt es sich dabei ausgerechnet bei dem um einen dieser… Goths – so hatte der Kleine sie doch genannt? Ich habe sie schon öfter gesehen, wenn Julius seine Runde über den Pausenhof gedreht hat. Vielleicht hat er das in der Hoffnung getan, von ihnen angesprochen zu werden. Aber dazu hat er sich einfach zu unauffällig verhalten. Bis jetzt.

Der Angerempelte ist recht groß für einen Schüler, etwa eins neunzig, obgleich er noch sehr jungenhaft wirkt; er hat noch nicht die breiten Schultern eines Mannes. Seine Haare sind schwarz gefärbt und er trägt mehrere Piercings: Eins in seiner Augenbraue, eins an seiner Nasenwurzel, eins in seiner Unterlippe und drei im oberen Bereich seines linken Ohres. Außerdem hat er einen Kaffeefleck auf seinem schwarzen Hemd.

»Oh… S-sorry«, bringt Julius stockend hervor.

»Shit«, flucht sein Gegenüber und sieht an sich herunter.

Julius blickt unruhig über seine Schulter. Kurz wirkt es auf mich so, als würde er nichts lieber tun, als seine Flucht fortzusetzen. Doch dann reißt er sich zusammen und greift in die Hosentasche, um ein graues Stofftaschentuch hervorzuzaubern. Damit betupft er unaufgefordert den Fleck. Keine Ahnung, ob ich mich dafür schämen oder es niedlich finden soll. Der große Junge vor ihm starrt reichlich überrascht auf ihn herunter. Irgendwie scheint er erst jetzt bemerkt zu haben, wo der Kaffee eigentlich herkam.

»Lass doch. Schon okay«, bittet er peinlich berührt. Beinahe sanft schiebt er Julius von sich. Seine Augen verengen sich.

Julius wirkt ziemlich blass. »Ähm… sorry, ich hab nicht aufgepasst, wohin ich laufe…«

»Mit Kaffee in der Hand solltest du gar nicht laufen«, rät sein Gegenüber.

Julius nickt verlegen und sieht wieder über seine Schulter. Lisa, die die Szene verfolgt hat, wendet sich mit einem verächtlichen Zucken ihrer Mundwinkel ab.

»Stress mit dem Mädel gehabt?«, folgert das Kaffeeopfer.

Julius nickt, sieht zu Boden und murmelt eine weitere Entschuldigung. Am liebsten würde ich ihn treten oder schubsen. Jedenfalls irgendetwas tun, damit er den Mund aufkriegt und was anderes von sich gibt als Entschuldigungen.

»Macht nichts. Schwarz ist praktisch. Man sieht keine Kaffeeflecken, wenn sie erst mal trocken sind«, erklärt der Junge und will sich abwenden. Doch dann überlegt er es sich anders und mustert Julius intensiv. »Bist du eigentlich neu?«

Julius schüttelt den Kopf.

Der andere macht ein erstauntes Gesicht. »Bist mir noch nie aufgefallen. Wie heißt du?«

»Julius«, antwortet der leise.

»Ich bin Dennis. In welcher Klasse bist du?«

»In der elften.« Julius traut sich kurz aufzusehen, um Dennis einen geradezu bewundernden Blick zuzuwerfen. Dem scheint das nicht zu entgehen und sehr zu gefallen. Sein Lächeln wird ein Tick selbstgefällig.

»Okay, Julius.« Er nickt lässig. »Wir sehen uns. Ciao.«

»Ciao«, flüstert Julius und sieht ihm nach.

Erst nach einer Weile erwacht er aus seiner Starre. Er betrachtet den Kaffee in seiner Hand missmutig. Ohne den Rest zu trinken, schmeißt er ihn in die nächste Mülltonne.

Kapitel 2

Vielleicht hat Lisa ihn wirklich beschützt. Jedenfalls wird Julius neuerdings Opfer von Hänseleien. Es beginnt an dem Tag, an dem er seine Haare das erste Mal anders trägt. Zuvor hat er sie immer zu einer Igelfrisur hochgekämmt und gegelt. Vielleicht, um größer zu wirken. An diesem Tag trägt er sie wild verstrubbelt. Er sieht aus, als wäre er gerade aufgestanden. Mir gefallen seine lockigen, leicht zerzausten Haare sehr. Seine Mitschüler scheinen davon jedoch weniger angetan zu sein.

»Ey, was ist los, Julius?«, spottet Karsten, einer der Tonangebenden in der Klasse. »Hast du deinen Kamm heute Morgen nicht gefunden?«

»Hab ihn nicht gesucht«, entgegnet Julius – etwas zu leise, um wagemutig zu klingen.

»So kannst du aber nicht auf die Beerdigung gehen.« Tobias lehnt sich Beifall heischend vor.

Julius versucht, möglichst unbelastet zu wirken, was ihm jedoch misslingt. »Welche Beerdigung?«

»Na, zu der du noch gehen willst.« Tobias grinst gemein.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!