Song of Love - Jessa Holbrook - E-Book

Song of Love E-Book

Jessa Holbrook

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Beschreibung

Betrügen? Nie hätte Sarah gedacht, dass sie das Dave je antun würde – Dave, der Sunnyboy, ihr musikalisches Alter Ego, mit dem sie so glücklich ist. Und doch. Als sie in einer heißen Sommernacht Will begegnet, flammt etwas in ihr auf, das sich ihrer Kontrolle entzieht. Von Leidenschaft getrieben, beginnen Sarah und Will ein Versteckspiel, das beiden bald nicht mehr genug ist. Sie wollen nur noch füreinander da sein. Doch der Sommer währt nicht ewig. Als Will sich aufmacht, um aufs College zu gehen, schwört er Sarah Treue. Nur: Was bedeutet Treue für jemanden, der selbst schon einmal betrogen hat? Sarah beginnt zu zweifeln. Vor allem, als sie Dave wiedertrifft ... Prickelnde Liebesgeschichte in sechs Teilen.

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Seitenzahl: 439

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DIE AUTORIN

Jessa Holbrook ist ein Pseudonym. Jessa stammt aus einer sehr kleinen Stadt, die aber eine sehr große Bibliothek besaß. Mit sechs Jahren entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern und beschloss, sich einmal komplett durch alle Regale zu lesen. Daran arbeitet sie heute noch. Ihre Leidenschaft hat sie zum Beruf gemacht und gesteht, dass sie die Bücher, die sie im Schlafzimmer liest, mit dem Roman betrügt, der im Erdgeschoss liegt. Und die beiden ahnen nichts von ihrer heimlichen Affäre mit der Schwarte, die sie im Küchenschrank versteckt hat.

Jessa Holbrook

SONG

OF LOVE

Aus dem Englischen

von Michaela Link

Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

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1. Auflage 2016

Copyright © 2013 by Jessa Holbrook

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»While You’re Away« bei Razorbill,

an imprint of Penguin Random House

© 2015, 2016 für die deutschsprachige Ausgabe

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Alle Rechte für die deutschsprachige Ausgabe vorbehalten

Aus dem Englischen von Michaela Link

Lektorat: Roman Stadler

Umschlaggestaltung: Carolin Liepins,

unter Verwendung eines Fotos von

© Shutterstock (Aleshyn Andrei, Zheltyshev)

TP · Herstellung: kw

ISBN: 978---3-6-41190-4V001

www.cbt-buecher.de

TEIL 1

Als wir uns fanden

Kapitel 1

Eine Party für Götter und Göttinnen hatte Tricia es genannt, um dem Ganzen ein bisschen mehr Stil zu verleihen.

Alle sollten in Toga kommen. Viel Haut und jede Menge Bier zur Feier des verrückten Wetters mit fast siebenundzwanzig Grad im April. Bedauerlicherweise waren gerade Die Avengers total in. Deshalb flirtete an diesem Abend jede zweite Aphrodite in Tricias Haus am See mit einem mehr oder weniger überzeugenden Thor-Verschnitt.

»Ich glaube nicht, dass es das war, was Tricia sich vorgestellt hat«, sagte ich zu Dave Echols, meinem Freund, fasste nach seiner Hand und deutete mit dem Kopf in Richtung der Ansammlung gemischter Gottheiten, während wir unser Bühnenequipment aufbauten.

Mit einem Grinsen erwiderte Dave: »Sie wollte eine Party, sie hat eine Party gekriegt.« Dann beugte er sich zu mir herüber, um mich zu küssen.

Dave und ich waren das Unterhaltungsprogramm für die Pause – eine Band von hier, die schon auf der Party sein würde, wenn der DJ kurz wegmusste, um seine Mutter von der Arbeit abzuholen. Normalerweise spielten wir unsere eigenen Songs. Aber heute Abend würden wir eine Stunde lang Rocksongs in abgefahrenen Indie-Coverversionen bringen.

Während ich den Tonabnehmer an meiner Akustikgitarre testete, warf ich einen kurzen Blick ins Publikum. Ein Scheinwerfer schien mir zu folgen und zwar auf keine gute Weise. Jeder stutzte und ließ den Blick über mein Kostüm schweifen. Als beste Reaktion erntete ich Verwirrung, als schlimmste Belustigung. Ich zwang mich zu einem Lächeln und baute weiter auf.

Die Info, dass ein Bettlaken über einem normalen kleinen Schwarzen als Verkleidung völlig ausgereicht hätte, war leider an mir vorbeigegangen. Streberin die ich war, hatte ich den Schrank meiner Schwester Ellie geplündert. Ellie tanzte für das Columbus Repertory Ballet Theater und hatte deshalb jede Menge Krimskrams, aus dem sich super eine Göttin zusammenbasteln ließ. Ein Wickelrock aus dünnem, durchscheinendem Stoff über einem silberdurchwirkten Gymnastikanzug. Silberne Gymnastikschuhe mit farblich passenden Bändern, die sich über Kreuz meine Beine hochschlängelten.

Mit dem Ergebnis noch nicht ganz zufrieden hatte Ellie nach weiteren Bändern gewühlt, um mir diese dann in mein dichtes, dunkles Haar zu binden. Weiß mit Gold abwechselnd. Sie hatte geflochten und gezupft und damit meinen wilden Schopf gebändigt. Dann – als Balletttänzerin konnte sie wohl gar nicht anders – hatte sie mir das Haar zu einem perfekten Knoten aufgesteckt, noch einzelne Strähnen ins Gesicht gezogen und ihr Werk begutachtet. Nachdem sie mit ihrem Handy ein Foto von mir gemacht hatte, hatte sie zufrieden erklärt, ich sei nun bereit loszurocken, und mich meiner Wege geschickt.

Als ich von zu Hause weggefahren war, hatte ich mich gut gefühlt – sogar hübsch. Ein wenig nackt, weil ich das Haar sonst nie hochgesteckt trug. Aber gut.

Dieses Selbstbewusstsein löste sich in Luft auf, als ich auf Tricias zur provisorischen Bühne umfunktionierte Terrasse trat. Es waren massenhaft Leute gekommen, der gesamte Pool war mit einem hölzernen Tanzboden abgedeckt. Unter einer weißen, mit Lichtern behängten Pergola wurden Snacks und Drinks unters Volk gebracht. Und dann war da ich – das übereifrige Mädchen auf der Bühne, völlig übertrieben herausgeputzt vor einem Meer aus Bettlaken und Brustpanzern aus Plastik.

Tricia bahnte sich mit schierer Gewalt einen Weg durch ihre Gäste und kam auf die Bühne. »Ihr seid so toll. Vielen, vielen Dank, dass ihr das übernommen habt.«

»Jederzeit«, antwortete Dave und wandte ihr seine volle Aufmerksamkeit zu.

Sofort sah Tricia nur noch ihn. Und warum auch nicht? Mit seinem strahlenden All-American-Boy-Gesicht erntete Dave von überallher bewundernde Blicke. Er war der blauäugige, blonde Junge von nebenan, die Fahne lässig über der Schulter und Moms Apfelkuchen in der Hand. Im Ernst, bei den Paraden am vierten Juli beteten die Leute ihn förmlich an. Und nach unseren Auftritten taten es die Mädchen. In Scharen, selbst wenn sie in festen Händen waren.

Ich mochte Daves Herumgeflirte nicht. Und auch wenn es nichts zu bedeuten hatte – jedes Mal wenn er seine Aufmerksamkeit jemand anderem zuwandte, konnte ich einen Anflug von Eifersucht nicht unterdrücken.

Tricia hatte ihren eigenen Freund – keinen anderen als Will Spencer, den größten Frauenheld unserer Highschool. Absolut niemand verstand, wie sie ihn sich hatte angeln können und wie sie ihn hielt. Tricia hatte Geld, sah wahnsinnig gut aus und war zudem noch wirklich sympathisch. Definitiv ein guter Fang. Sie stach aus der Menge der anderen Mädchen heraus, mit ihrer Mähne kupferfarbenen Haares und ihren glasklaren, grünen Augen. Aber Will hatte nie so gewirkt, als würde er sich mit einem einzigen Mädchen zufriedengeben. Oder mit zehn. Oder hundert. Nicht wenn er die Wahl hatte und sie alle haben konnte. Will und Tricia waren das ewige Mysterium der zwölften Klasse.

Ich konnte nicht umhin, mir zu wünschen, das ewige Mysterium würde von meinem Freund ablassen.

»Ich bin so froh, dass ihr auf privaten Partys spielt«, schnurrte Tricia und umklammerte Daves Mikroständer.

Dave schaltete seinen Verstärker ein und lächelte. »Für dich? Alles.«

Das gefiel mir alles gar nicht, aber ich sagte nichts. Dave flirtete mit jedem. Und allem. Einmal hatte ich ihn einem Baby zuzwinkern sehen und kurz darauf einem Hund. Die Menschen hofierten ihn mit leuchtenden Augen, und er konnte nicht anders, als etwas von diesem Glanz zurückzustrahlen.

Aber um fair zu bleiben – er flirtete auch mit mir. Wenn wir spielten, beugte er sich manchmal vor, um mir etwas ins Ohr zu flüstern. Zwischen den Mikrofonen, gerade laut genug, dass ich es hören konnte: Die Strophe hast du toll rübergebracht. Ich liebe es, wie deine Wimpern das Licht einfangen. Dinge, die nie jemand anders zu mir sagen könnte oder würde.

Was bedeutete, dass ich mich zusammenreißen und wieder auf meine Arbeit konzentrieren musste. Ich stimmte kurz meine Gitarre und schlug ein paar Akkorde an – die, mit denen ich immer sagte: »Hör auf zu flirten und lass uns mit diesem Gig anfangen.«

»Bis später«, sagte Tricia, und als die Menge in erwartungsvolle Begeisterung ausbrach, war sie verschwunden.

Dave machte einen Schritt zurück. Er stupste mich mit dem Ellbogen an und schaltete dieses Lächeln ein, das nur mir galt, mir allein. Das ungleichmäßige Partylicht verwandelte das Blau seiner Augen in ein Sturmgrau. Er blickte mich an, und irgendwo in diesem Blick gab es einen ruhigen Ort, der mir half, mein Zentrum zu finden. Ich fühlte mich nackt und verletzlich in diesem Kostüm und jetzt forderte ich alle dazu auf, mich anzusehen.

Aber als Dave in die erste Nummer einstieg, begann ich, mich besser zu fühlen. Ein warmes Prickeln lief über meine nackte Haut. Es schirmte mich ab gegen die Kühle, die vom Fluss hochstieg. Unsere Blicke trafen sich und blieben aneinander hängen und dann durchbrach seine honigweiche Tenorstimme die Nacht. Beim Refrain umtanzten sich unsere Stimmen harmonisch. Für einen Moment waren nur wir beide da. Nur er und ich und die Musik.

Und dann war es, als stünden wir unter Strom. Es war pure Elektrizität, ihm in die Augen zu schauen und gleichzeitig das Publikum im Griff zu haben.

Alle lachten, weil wir es wollten. Es hat einfach etwas Urkomisches, wenn zwei Leute mit Akustikgitarren LFMAO und Kanye West spielen; das gehörte zu unserer Show. Aber einen halben Song später begannen alle mitzusingen. Sie stellten ihre Becher weg und tanzten. Götter und Göttinnen bewegten sich im Takt – in unserem Takt.

Während ich mich dem Rausch hingab, mit Dave Musik zu machen, hatte ich das Gefühl, als könne ich den Himmel berühren. Meine Fingerspitzen brannten und meine Haut war schweißbedeckt. Ich überließ mich ganz der Musik und ich glitzerte. Dave auch, golden und schön.

Konzentration und innere Erregung schienen seine Haut aufzuheizen, Schweiß sammelte sich in der faszinierenden Kuhle seines Schlüsselbeins. Als er lachte und dabei den Kopf in den Nacken warf, schauten alle hin. Alle mussten hinschauen. Sie alle wollten ihn anfassen und ich verstand das vollkommen.

Wenn wir auftraten, machte es mir nie etwas aus, ihn mit anderen zu teilen. Auf der Bühne waren wir wie eine einzige Person und die Bewunderung galt uns beiden. Wir schwebten zusammen am Himmel dahin, wie hätte ich etwas dagegen haben können? Mein Problem begann, wenn wir aufhörten zu spielen. Wenn wir von der Bühne herunterstiegen, war es, als würden Daves Füße den Boden nicht berühren. Er mischte sich unter die Leute, flirtete und wurde bewundert, während ich, sobald ich mich nicht mehr hinter der Musik verstecken konnte, schüchtern wurde und unweigerlich an den Rand des Geschehens driftete. Ich stürzte ab. Und es tat jedes einzelne Mal weh.

Nach unserem Auftritt kam die Audienz. Dave machte sich nicht die Mühe, seine Gitarre abzulegen, als die DJane ihre Bühne zurückforderte. Stattdessen arbeitete er sich durch die Party, den Arm um seine schwarze Epiphone Jane gelegt, deren Saiten im Schein der Lichterketten glänzten. Gedankenverloren streichelte Dave die Kurven seiner Gitarre, während die Leute ihn mit Drinks, Komplimenten und Häppchen traktierten.

Mit meiner Gitarre im Koffer stahl ich mich davon, ohne dass mich jemand beachtete. Ich zog mein Handy heraus und checkte Instagram, um zu sehen, ob jemand Aufnahmen von unserem Auftritt gepostet hatte. Eine ganz gute Methode, es so aussehen zu lassen, als sei ich beschäftigt statt einfach nur allein.

Dass Dave alle Aufmerksamkeit auf sich zog, überraschte mich nicht mehr, aber ich würde mich wohl nie daran gewöhnen. Unsere Songs waren wirklich unsere, Gemeinschaftsproduktionen. Selbst wenn wir die Songs anderer Leute sangen, taten wir das als gleichberechtigtes Team und in voller Harmonie, wann immer möglich. Aber kaum, dass wir die Bühne verließen, existierte ich nicht mehr, und Dave war der Star.

Am anderen Ende der Party folgte alles dem üblichen Drehbuch und ich sah zu, wie die Szene ihren Lauf nahm. Wieder einmal. Heatherly Watkins legte Dave ihre flache Hand mitten auf die Brust. Natürlich konnte ich in dem Lärm ihre Stimmen nicht hören, aber ich sah sie lachen. Ha-ha-ha-oh-Dave-du-bist-so-witzig.

Sie hatte da ihre ganz eigene Art. Sie neigte den Kopf zur Seite und sah Dave durch ihre Wimpern an – darauf bedacht zu lachen, aber nicht so heftig, dass ihr etwas so Entsetzliches wie ein Prusten entfleuchte. Sie hätte mir ja leidgetan, aber das Ziehen in meiner Brust lenkte mich ab. Ich hasste es aus vielen Gründen, Daves übliches Spiel nach unseren Auftritten zu beobachten. Aber heute Abend machte es mir besonders viel aus.

Ich duckte mich unter eine Pergola und wandte Dave und Heatherly den Rücken zu. Jane, meine beste Freundin, musste hier irgendwo sein. Bestimmt würde sie mich nach Hause fahren.

Während ich nach Jane suchte, trieb es Will Spencer, the one and only, in meine Richtung. Tricias Freund. Notorischer Herzensbrecher. Selbstbewusst in Hollister-Shorts und einem Secondhand-T-Shirt, ließ er einen Finger über meine Schultern gleiten.

Obwohl seine Berührung hauchzart war, fühlte sie sich an wie ein Kuss. Ein geflüstertes Geheimnis, das in mir eine unerwartete Hitzewallung auslöste. Überrumpelt hielt ich den Atem an, während ich von innen heraus brannte. Diese heftige, animalische Reaktion machte mich bewegungslos.

Er kam um mich herum und stellte sich mir in den Weg. »Und du bist?«

Noch bevor ich ihm meinen Namen nennen konnte, wachte mein Gehirn auf. Natürlich wusste er, wer ich war. Vor nicht einmal zwanzig Minuten hatte ich mich über ein Mikrofon gebeugt und gesagt: »Ich bin Sarah Westlake, das ist Dave Echols – und wir sind Dasa.« Selbst wenn Will und ich nicht schon in denselben Kindergarten und dann in dieselben Schulen gegangen wären, konnte meine Identität für ihn kein Geheimnis sein.

Es war wahrscheinlich das Kostüm, das ihn interessierte. Es gab mir das Gefühl, als hätte ich größere Brüste und kurvigere Hüften als in meinen normalen Klamotten. Als sei jeder Zentimeter von mir entblößt. Ich verschränkte die Arme vor der Brust, bevor ich antwortete. »Athene.«

»Göttin der Weisheit, Hüterin der Eulen.«

Überrascht sagte ich: »Genau.«

»Gute Wahl.« Dann deutete er mit dem Kopf auf die improvisierte Bühne. »Und auch ein guter Auftritt.«

Und plötzlich war alles völlig in Ordnung. Einfach weil Will dieser Typ war. Über allem schwebend und doch unglaublich präsent. Selbst als ich noch in der Neunten war und er in der Zehnten, war er schon ganz oben: Highschool-Adel mit einer gehörigen Portion noblesse oblige.

Er hatte schwarzes Haar, das sich in der Hitze kräuselte. Schwarze Augenbrauen und schwarze Wimpern, die seine strandblauen Augen betonten. Jetzt in der zwölften Klasse hatte er seine volle Größe erreicht. Breite Schultern, schmale Taille – die meisten weiblichen Partygäste hätten gutes Geld dafür bezahlt, als Thorhammer an Wills Gürtelschlaufe zu baumeln.

Statt zu seinen Leuten zu gehen, blieb Will stehen. Bei mir. Lehnte sich gegen das Geländer und musterte mein Gesicht. Nur mein Gesicht. Sein Blick ging nie weiter nach unten, aber das brauchte er auch nicht. Die Art, wie er auf meine Lippen starrte, ließ sie brennen.

Ich versuchte, Nachdruck in meine Stimme zu legen, und antwortete: »Danke. Jetzt klär mich auf.«

»Was meinst du?«

»Was ist das?«, fragte ich und deutete auf sein nicht vorhandenes Kostüm. »Die Gastgeberin ist deine Freundin. Ich weiß, dass du die Online-Einladung bekommen hast. Sagt dir ›Götter und Göttinnen‹ irgendwas?«

»Atlas ist ein Gott.« Will zog sein T-Shirt glatt, sodass die Silhouette eines Mannes, der eine Weltkugel hielt, erkennbar wurde.

»Nein, er war ein Titan. Das ist ein Unterschied.«

Will machte eine wegwerfende Handbewegung und fing meinen Blick aus dem Augenwinkel auf. »Wenn Thor bleiben darf, dann darf Atlas das auch. Meinst Du nicht, dass es vielleicht doch zählt?«

Das Funkeln in seinem Lächeln weckte meinen Widerspruchsgeist. Ich ließ meinen Blick über seine Turnschuhe und wieder nach oben zu seinen Sportklamotten wandern. Zum allerersten Mal flirtete ich selbst. Und es war ein faszinierendes Gefühl. Mit einem unbekümmerten Achselzucken informierte ich ihn herausfordernd: »Sorry, nein.«

»Nein?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Und wie du schon sagtest, Athene ist weise, also muss ich recht haben.«

»Offensichtlich«, antwortete er.

Er drückte mir einen Stapel leerer Becher in die Hand. Dann packte er sein Shirt am Saum und zog es sich über den Kopf. Seine Haut war vom Winter noch blass, was den dunklen Haarflaum auf seiner Brust hervorhob. Eine Spur davon zog sich bis runter zu seinem Nabel und verschwand in Shorts, die zu tief saßen. Viel zu tief – und ich starrte hin.

»Jetzt bin ich Herkules«, erklärte er und nahm alle Becher bis auf einen wieder an sich. »Hol dir ein Bier, Athene. Tanz ein bisschen.«

Mit einem Augenzwinkern warf er sich sein Shirt über die Schulter und ging davon. Ich konnte das Muskelspiel auf seinem Rücken sehen, der genauso durchtrainiert war wie seine Brust. Und ganz unten zeigten sich neckisch zwei Grübchen, als er sich durch die Menge arbeitete.

Ich umklammerte meinen Becher, schüttelte den Kopf und rief ihm nach: »Herkules zählt nicht. Das ist ein Halbgott!«

Will schaute sich um. Es war ein schönes Gefühl, die volle Aufmerksamkeit eines Halbgottes zu haben. Selbst inmitten einer Party, die vor Typen, die sich zum Flirten rausgeputzt hatten, wimmelte, stach er hervor. Es war, als wären seine Konturen in Silber nachgezeichnet. Jede Kante, jedes Detail – wenn ich blinzelte, sah ich noch immer seine Umrisse in der Dunkelheit.

Mit einem frechen Lächeln salutierte Will mir. Dann zeigte er auf den Tisch mit dem Fassbier und winkte mich ohne ein Wort weiter. Ich verspürte eine Hitzewallung, die nichts mit dem Wetter zu tun hatte. Eigentlich wurde es gerade kühler, jetzt wo die Sonne unterging. Ich zitterte in meinem knappen Kostüm. Wahrscheinlich hätte ich nach Hause gehen sollen, aber es gab einen Grund, warum ich blieb:

Der durchtriebene, berüchtigte Will Spencer hatte sich zu mir umgedreht.

Kapitel 2

Ein halbes Bier und vier Minigyros später hatte Dave Heatherly abgeschüttelt, aber nur, um sich mit Olivia zu unterhalten.

Was ich brauchte, war etwas Ruhe, um meine Batterien wieder aufzuladen. Ein bisschen Dunkelheit klang ebenfalls gut, Dunkelheit, in der ich nicht zuzusehen brauchte, wie Dave sein Bad in der Menge nahm. Wenn ich zufällig Will über den Weg lief, na ja, das wäre auch nicht das Schlimmste von der Welt.

Ich setzte mich von der Party ab und ging hinunter in Richtung Ufer. Nebel hing über dem Fluss und driftete das Ufer entlang gegen das Bootshaus der Pattens.

Ich hatte das Anwesen von Tricias Familie noch nie zuvor erkundet. Zunächst einmal machte mich die Tatsache nervös, dass das Grundstück überhaupt als »Anwesen« bezeichnet werden konnte. Meine Familie war nicht arm. Wir hatten ein dreigeschossiges Haus mit einem netten Garten dahinter, neben einem anderen, das genauso aussah.

Die Elektronikfabrik in der Stadt hatte für uns alle die digitale Kluft überbrückt. Niemand brauchte näher an eine Großstadt zu ziehen, um klarzukommen. Das bedeutete, dass alle in den Vororten lebten, und unser Haus befand sich im malerischsten und grünsten weit und breit. Mittelschicht eben. Der Inbegriff von nett.

Im Gegensatz zu Tricias Familie, der besagte Fabrik gehörte. Das geschichtsträchtigste Stück Land im County war ihr Zuhause. Das Haus war ein renoviertes Herrenhaus, eine Holzkonstruktion aus der Kolonialzeit, kunstvoll ausgeführt mit grauem Holz und makellos weißen Fensterläden. Es warf einen strengen Schatten über den Pool und das Gästehaus.

Mit seinen langen, symmetrischen Fenstern und identischen Fensterläden schien es kummervoll auf die Party zu blicken. Als akzeptiere es zwar, dass der größte Teil der Oberstufe Handstand auf dem Bierfass machen und sich volllaufen lassen musste, ohne dies aber wirklich gutheißen zu können.

Tricias Haus war eine durch und durch ernsthafte Angelegenheit. Aber am Fuß des abschüssigen Rasens, direkt unten am Fluss, war da noch das Bootshaus. Und das war unglaublich. Die Pattens ließen sich dort jedes Jahr für die Firmenweihnachtskarte fotografieren. Die bezaubernd hässlichen Pullover wechselten, das Märchenbootshaus blieb immer das gleiche.

Einer wilden Laune der Zwanziger Jahre entsprungen, schrie das Bootshaus förmlich nach knappen Röcken und Schwarzgebranntem; es hatte Pfeiler aus ganzen Baumstämmen und krumme Äste umrahmten den ausgebleichten, verwitterten Steg. Und jetzt gerade kräuselte sich eine dünne Rauchfahne aus dem steinernen Schornstein des Bootshauses und vermischte sich mit dem Dunst, der vom Wasser herüberwehte.

Ich folgte dem scharfen, lockenden Geruch. Er bedeutete, dass dort unten jemand war, und ich hatte den Verdacht, dass es genau die Person war, die ich sehen wollte.

Die kühle Luft, die vom Wasser aufstieg, ließ mich frösteln und ich beeilte mich, das Bootshaus zu betreten. In der Mitte des hölzernen Bodens waren Ruderboote aufgestapelt. Sie neigten sich bedrohlich zur Seite. In ein paar Wochen würden sie an ihren Liegeplätzen schaukeln, wo jetzt nur ein paar Schwimmer und Bojen sanft auf den Wellen tanzten und träge gegen den Holzsteg schlugen. Es klang, als hätte das Bootshaus einen Herzschlag.

Während ich mich zu orientieren versuchte, rief ich: »Hallo?«

»Hey, Athene«, antwortete Will.

Zuerst zögerte ich. Ich hatte zwar gehofft, ihn hier anzutreffen, war aber trotzdem nicht darauf vorbereitet. Ich spürte wieder seine geisterhafte Berührung auf meinen Schultern. Während ich versuchte, die Erinnerung daran abzuschütteln, duckte ich mich unter einer Reihe von Schwimmern durch.

Die Luft war feucht und es roch nach altem Holz und Rauch. Als ich auf der anderen Seite wieder auftauchte, wehte mir Hitze entgegen, und eine Silhouette stand vor einem steinernen Kamin, in dem orangefarbene Flammen tanzten.

Immer noch mit nacktem Oberkörper prostete Will mir mit einer Flasche zu. »Hast du dich verirrt?«

Wahrscheinlich würde er nicht verstehen, dass ich einfach nur eine Atempause gebraucht hatte. Ich war wütend auf Dave, ganz zu schweigen davon, dass ich erschöpft war vom Gedränge so vieler Körper um mich herum.

Will dagegen umgab sich mit Menschenmengen wie mit einem Umhang. Menschen umkreisten ihn; er war präsent und hatte Raum mitten unter ihnen. Es schien mir, als würde Will sogar seine Energie daraus ziehen.

Ich schüttelte den Kopf. »Bin nur neugierig.«

»Warst du schon mal hier?«

»Erstes Mal«, sagte ich und schaute mich neugierig um.

»Willkommen. Mach’s Dir bequem.«

Will hatte es sich bequem gemacht. Ein Ruderboot stand am Feuer auf dem Boden und war mit dicken Decken ausgelegt. Zwei bernsteinfarbene Flaschen glänzten auf dem Kaminsims. Root Beer.

Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn und fragte: »Du bist nicht zum ersten Mal hier, oder?«

»Manchmal«, meinte Will, »muss man auf das Schweigen lauschen, um den Lärm schätzen zu können.«

Ein fragendes Lächeln umspielte meine Lippen. »Ist das deine Geheimphilosophie?«

»Daran ist nichts Geheimes.«

Er zuckte mit den Achseln und auf seinen nackten Schultern glänzte leicht der Feuerschein. Orange- und Goldtöne umspielten ihn und hoben jede elegante Rundung seines Körpers hervor. Er zog seine Shorts hoch und deute auf das Ruderboot. »Mach’s dir gemütlich. Bleib ein bisschen.«

Mein Gewissen flüsterte mir eine Warnung zu. Dave würde das nicht gefallen. Und ich war mir nicht sicher, ob das hier so ganz ungefährlich war. Nicht, weil ich glaubte, dass Will mir wehtun würde. Ganz im Gegenteil: Will stand in dem Ruf, Mädchen sehr, sehr glücklich zu machen. Eine Menge Mädchen. Aber ich machte keinen Rückzieher und schüttelte nur langsam den Kopf.

»Sollte ich eigentlich nicht.«

»Ich auch nicht«, erwiderte Will. »Aber ich bin trotzdem hier.«

Diese nachdenkliche Version von Will machte mich neugierig. Ich hatte ihn nie für jemanden gehalten, der … na ja, dachte.

Oder besser, er war nicht gerade der Moleskine-Notizbuch-Typ. Ich konnte mich nicht erinnern, dass er je einen Beitrag für die Schülerzeitung verfasst hätte, und bei Schulsportveranstaltungen war er auch nicht gerade der mitreißendste Einheizer am Mikrofon.

Will war der Typ, der auf und ab über das Spielfeld rannte und ins Publikum winkte. Der tosenden Applaus verlangte und ihn bekam. Bis die ganze Sporthalle tobte und es einem echt unter die Haut ging.

Bis zu diesem Augenblick hatte ein nachdenklicher Will nicht einmal in meiner Phantasie existiert. Will Spencer war der blauäugige böse Bube, der mit geschwellter Brust herumlief – und das wirkte authentisch, nicht so, als wolle er irgendeine Pose einstudieren.

Und weil ich keine Ahnung hatte, was er in mir sah, ließ ich mich in das Boot sinken. Wills nachdenkliche Seite war ja tatsächlich eine Überraschung. Vielleicht suchte er wirklich jemanden zum Reden. Konversation war definitiv nicht das, was die meisten Leute im Sinn hatten, wenn sie an Will dachten.

Die meisten der Decken waren aus Wolle, aber die Steppdecke, die oben lag, war ziemlich weich. Ich ließ mich darauf nieder. Der Kiel des Bootes war nicht besonders standsicher, schließlich war das hier ein Holzboden und kein Wasser. Ich wurde rot und versuchte mich hinzusetzen wie ein normales menschliches Wesen – aber es war halt ein Boot. An Land. Aus purer Gehässigkeit mir gegenüber machte es mir die Sache schwer.

Ungelenk schob ich mich auf meinen Sitzplatz und versuchte, es mir irgendwie bequem zu machen. Nachdem ich die Beine über die Seite gelegt hatte, stützte ich mich zuerst auf den einen Ellenbogen, dann auf den anderen. Schließlich gab ich es auf und legte meine Arme auf den Knien ab. Während ich Will zusah, wie er sich vor dem Feuer bewegte, fragte ich mich, was die Drehung seiner Schultern bedeutete. Ob die Neigung seines Kopfes auf irgendetwas hinwies.

Schließlich sagte ich: »Du enthältst mir etwas vor.«

»Tatsächlich?«

»Oh ja. Ich sehe doch, wie du dich hier draußen mit den guten Sachen versteckst.«

Mit einem Blick auf die Flaschen auf dem Kamin wartete ich darauf, dass Will mein Lächeln bemerkte. Den neckenden Ton in meiner Stimme. Ich weiß nicht, warum ich das tat, nur dass mich der nachdenkliche Will Spencer vollkommen durcheinanderbrachte. Ich vergaß, still und ernst zu sein. Ich vergaß, dass ich die vergessene Hälfte meiner eigenen Band war, eine introvertierte Person in einer Welt voller Extrovertierter. Er ließ mich das vergessen und das gefiel mir. Um ihm auf die Sprünge zu helfen, sagte ich: »Also?«

Mit einem Lachen nahm Will die Flasche in die Hand. »Die letzte.«

»Jetzt bin ich traurig.«

Seine Füße machten auf dem glatten Holzboden kaum einen Laut. Als er sich neben mich sinken ließ, schwankte das Boot unter seinem Gewicht. Irgendwie wusste er genau, wie er sich in einem Ruderboot auf dem Trockenen, das mit altem Bettzeug vollgestopft war, hinsetzen musste. Er war völlig locker. Flüssig, geschmeidig. Schatten lagen über seiner Kinnlinie und liefen seinen Hals hinunter.

Bequem zurückgelehnt und mit einem Arm über der Seitenwand durchbrach er die rauchgeschwängerte Stille mit einer eleganten Handbewegung. Die Flasche baumelte von seinen Fingerspitzen. Lässig berührte er meine nackte Haut mit dem kühlen Glas. »Ich kann teilen.«

»Da hab ich was anderes über dich gehört«, bemerkte ich. Er berührte meine Haut wieder mit der Flasche und mit einem Schaudern lehnte ich mich zurück. Die Form des Bootes ließ uns notgedrungen näher zusammenrutschen. Mein Blick fiel auf seine nackte Brust und die in der Tat absolut perfekte Linie seines Schlüsselbeins.

Will nahm gemächlich einen Schluck von seinem Root Beer und rührte sich nicht. Das brauchte er auch nicht. Als ich den Kopf hob, sah ich ihm direkt in die Augen. Sie waren so dunkel, dass sie beinahe schwarz wirkten. Es machte mich nervös, ihm so nah zu sein. Von Augen verschluckt zu werden, die alles verbargen, was hinter ihnen vorging.

Seine Lippen öffneten sich und er sagte leise: »Das ist sehr verlockend.«

Natürlich würde er nicht fragen, was ich gehört hatte. Er scherte sich wahrscheinlich nicht darum. Oder er wusste es. Feste Freundin hin oder her, man erwartete von Will Spencer, dass er der böse Bube war, der einem guttat.

In meinem ersten Jahr auf der Highschool hatte er mit Stephanie Kim hinter der Bühne rumgemacht, während des zweiten Aktes von Unsere kleine Stadt. Als Verantwortliche für die Scheinwerfer war Stephanie es gewohnt, dass Leute hinter ihr herumhuschten und sich beeilten, von einer Seite des Theaters auf die andere zu gelangen.

Also dachte sie sich nichts dabei, als sie Will auf sich zukommen sah. Jede Menge Leute landeten hinter den Kulissen. Sie war schon ein wenig überrascht, als er neben ihr stehen blieb. Aber von hier hatte man gute Sicht. Warum also nicht?

Plötzlich war er näher herangekommen. Er lächelte und hob einen Finger an die Lippen. Bis auf den heutigen Tag schwört Stephanie, dass sie nicht weiß, wie es geschah. In der einen Minute wartete sie auf ihr nächstes Stichwort. In der nächsten hatte sie die Arme um Wills Hals geschlungen und seine Zunge im Mund.

Das grüne Blitzen des Lichtsignals unterbrach die beiden. Als es erlosch, glitt er leise davon. Sie schwor, er habe etwas zu ihr gesagt, aber sie konnte sich nicht mehr erinnern, was es war. Woran sie sich erinnerte, war, dass die Leute auf der Bühne ohne Scheinwerfer ziemlich im Dunkeln tappen würden, also war sie auf ihren Posten zurückgekehrt. Will ließ sie dort wie eine Irre lächelnd zurück.

Das war buchstäblich ihr erster und letzter persönlicher Kontakt gewesen. Er ging ihr nicht aus dem Weg; ihr war es nicht peinlich. Anschließend lächelten sie immer, wenn sie im Flur aneinander vorbeikamen. Aber das war’s auch. Dieser Kuss hinter der Bühne war ein perfekter Augenblick gewesen, dem nichts hinzuzufügen war.

Das war einer der Schlüsselmomente gewesen, die Wills fast legendärem Ruf begründet hatten. Manchmal schien es, als hätte er einen solchen Moment mit der gesamten weiblichen Hälfte der zwölften und der halben elften Klasse gehabt. Aber Will trug es mit Würde, und es fühlte sich richtig an, als er die Finger wieder über meine Schultern gleiten ließ. Es schockierte mich, wie anders diese kleinen Berührungen sich anfühlten als Daves großen Gesten. Wenn Dave mir einen Arm um die Schulter legte, war ich zufrieden. Wenn Will mich berührte, stand ich in Flammen.

»Du bist sehr still«, bemerkte er.

Ich wusste nicht, warum, aber ich antwortete: »Du bist schlau.«

Das brachte ihn zum Lachen. Ein spöttisches, beinahe verdutztes Geräusch brach aus ihm heraus. Er rutschte zu mir herüber und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Mit neu erwachtem Interesse musterte er im Feuerschein mein Gesicht. Es lag etwas in diesen Augen, das ich noch nie zuvor gesehen hatte.

Er war ein Mensch.

Will Spencer, König der Zwölftklässler, reich, beliebt und vollkommen, war ein Mensch. Diese Erkenntnis brannte und sprühte Funken wie ein Streichholz und zehrte die Luft zwischen uns auf. Und als seine sanften Berührungen sich einen anderen Weg suchten – als seine Fingerknöchel meine Wange streiften –, hatte ich keine Angst. Ich beugte mich vor und küsste ihn und es kam mir nicht falsch vor, das zu machen.

Niemand sonst hatte diesen Will geküsst, da war ich mir sicher. Ein sanfter, überraschter Laut drang aus seiner Kehle. Eine weitere kleine allzu menschliche Regung, ein kleines Detail, das wundervoll echt war. Ich hörte, wie er die Flasche auf den Boden stellte. Das Boot schaukelte unter uns und trommelte einen sanften Rhythmus auf den Boden. Wills Lippen, einen Moment zuvor noch so dünn und spöttisch, waren üppig und voll.

Als ich mich zu ihm neigte, fiel meine Hand auf seine immer noch nackte Brust. So viel Haut, sein Körper so wohlgeformt. Es wäre eine Lüge gewesen, ihn einen Adonis zu nennen. Er war kein blondes, hübsches Ding mit Zuckerguss. Er war dunkel und verführerisch.

Partymusik wurde vom Wind zu uns herübergetragen, fern und verzaubert. Wir waren umringt von dem leisen Ruf der Wellen, dem trägen Schlagen des Kiels auf dem Holzboden, während wir den Raum zwischen uns mit Seufzern und Raunen füllten.

Ich öffnete die Lippen und er glitt in mich hinein. Es war ein tiefer Kuss, einer, der gesüßt war von Root Beer und der Würze von Zimtkaugummi. Mein Mund brannte – und alles, was ich wollte, war ein besserer Ort.

Einer, an dem wir uns zusammen ausbreiten konnten. Einer, an dem mein Haar offen war, sodass er die Finger hineinflechten konnte. Seine Finger schienen sich auch danach zu sehnen, so wie sie mit meinen Locken an den Wangen spielten.

Fast unmerklich übernahm er die Kontrolle. Gerade als ich mit meinen kurzen Fingernägeln über seine Haut fuhr, drückte er mich zurück in die Decken. Seine Finger ließen meine Wangen erglühen. Als sie an meinem Hals hinabglitten, hielt ich sie nicht auf. Warum sollte ich sie aufhalten? Der Gedanke wehte davon; mein Körper sprach für mich. Ich zerschmolz unter ihm, passte mich seiner Gestalt an.

Er hatte so viel nackte Haut, die es zu erkunden galt. Seine Schulten bewegten sich unter meinen Händen. Sein Atem fiel auf meine Lippen. Feuchte Hitze sammelte sich zwischen unseren Körpern, eine Hitze, die anders war, als die trockenen, sanften Wellen, die immer noch vom Feuer herüberkamen. Während ich Wills Rücken streichelte, streckte ich mich ihm zu einem weiteren Kuss entgegen, hungrig und ohne Scham.

Es kümmerte mich nicht, dass wir uns im Grunde nicht kannten. Dass ich noch nie so mit jemandem zusammen gewesen war. Dass es wahrscheinlich falsch war. Tatsächlich schien genau das ein Grund dafür weiterzumachen. Ich hatte einen Will gesehen, den sonst niemand gesehen hatte. Das Geheimnis in seinen hellen Augen, den echten Will, den er hinter einem breitem Lächeln und lockerem Flirten versteckte.

Vor allem hatte ich das schwindelerregende Gefühl, dass es kein Moment sein würde. Die anderen Mädchen waren mit dem Will zusammen gewesen, der sich hinter einer glänzenden, glamourösen Fassade versteckte. Natürlich drifteten sie wieder auseinander. Für sie reichte einmal und die Sache war erledigt. Das hier war anders. Dieser Will gehörte mir und nur mir. Ich wusste, dass es lächerlich war, das zu glauben, aber so empfand ich nun mal.

Mit einem heiseren Raunen stützte er sich auf die Ellbogen. Dunkles Haar, leicht feucht von Schweiß, klebte an seiner Stirn. Seine Augenbrauen waren fragend nach oben gezogen. Schatten drehten sich in seinen hellblauen Augen, in denen ich viele Fragen und pures Erstaunen sah. Seine spöttischen Lippen hatten sich gerötet und er starrte mich benommen an. Das war der Moment, in dem auch er begriff, dass ich ihm gehörte.

Kapitel 3

Das war noch ein neuer Will für mich – der unsichere Will, dem gerade etwas Grundlegendes klar geworden war, und der sich bebend fragte, was er jetzt machen sollte. Er kam mit seinem Gesicht näher zu mir und seine Lippen streiften die meinen. Die Berührung war sehr zart, beinahe so, als würde er von etwas abgelenkt. Dann öffnete er die Augen und blickte in mich hinein. Seine Lippen öffneten sich erneut, diesmal, um zu sprechen.

Bevor er ein Wort sagen konnte, brachte ihn lautes, widerhallendes Gelächter zum Schweigen. Erschrocken lösten wir uns voneinander. Ich zitterte vor Panik. Was, wenn das Dave war? Selbst wenn er es nicht war, rief mir diese Unterbrechung ins Gedächtnis, dass ich nicht hier sein sollte – nicht bei Will. Ich schluckte und drehte mich gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie Emmalee Dekker und Simon Garza ins Bootshaus geschlendert kamen.

Das war eine überraschende Kombination. Simon war ein Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und der Herausgeber des Videomagazins unserer Schule. Er hatte einen Hass auf all die Sportprogramme, die die ganze Sendezeit und alle finanziellen Mittel der East River High verschlangen, und er hielt damit nicht hinterm Berg. Vor allem nicht gegenüber Emmalee, der Kapitänin unserer Mädchen-Baseballmannschaft – nicht Softball, Baseball. Als er sie interviewen sollte – es hatte ein positiver Beitrag werden sollen über ihre erfolgreiche Kampagne, unter Berufung auf den Geschlechtergleichstellungsartikel das Team überhaupt erst zu bekommen –, hatte er sie stattdesssen böse in die Falle gelockt.

Daher war es merkwürdig, Simon und Emmalee überhaupt zusammen zu sehen. Will sprach genau das aus, was ich dachte, seine Stimme leise und nur für mich bestimmt.

»Wie betrunken müssen die denn sein, um miteinander rumzumachen?«

»Nicht mehr messbar«, sagte ich. »Die sind vierhundertdreiundzwanzig Meilen von ›nur ein paar Bierchen‹ entfernt.«

Wir würden irgendetwas sagen müssen. Sie wussten nicht, dass wir da waren und ihnen zusahen. Und dann nicht mehr zusahen, weil wir schließlich keine Spanner waren. Sondern Leute, die sich unversehens am falschen Ort zur völlig falschen Zeit wiederfanden. Plötzlich machte ich mir richtig Sorgen. Die beiden ertrugen einander im besten Fall gerade so. Was, wenn sie das hier später bereuten? Wenn sie nicht einmal nüchtern genug waren, um zu begreifen, was sie taten? Doch trotz meines Unbehagens zögerte ich noch.

Vielleicht waren sie die ganze Zeit über insgeheim verrückt nacheinander gewesen. Wenn es in Filmen vorkam, nannte meine beste Freundin Jane dieses Phänomen die Hass-zu-heiß-Umkehr. Wenn sie über drei Viertel des Films streiten, bis sie schließlich herausfinden, dass sie in Wirklichkeit Seelenverwandte sind. Ich liebte das. Es war so romantisch, wenn zwei Menschen wussten, dass da etwas zwischen ihnen war, und sie einfach nicht voneinander lassen konnten. Es war ein Triumph der Romantik: kämpfen ums ewige Glück. Und danach immer noch ein bisschen weiterkämpfen, damit es nicht langweilig wird.

Traurigerweise war Hzh der Grund, warum Jane mit mir nicht mehr in romantische Komödien ging. Obwohl sie der absolute Filmfreak war, zog sie an dem Punkt die Grenze. Sie sagte, darin würde Typen nur beigebracht, sich zum Deppen zu machen, und Mädchen, sich damit abzufinden. Sie hatte dieses spezielle Kotzgeräusch, das sie sich ausschließlich für Szenen aufsparte, in denen das unglückliche Duo begriff, dass sie ineinander verliebt waren. Es war buchstäblich das Ekelhafteste, was ich je gehört hatte.

Will stand auf, nahm meine Hand und zog mich auf die Füße. Er musste das gleiche Unbehagen verspürt haben, denn er war plötzlich wieder ganz sein öffentliches Selbst. Geschmeidig und gefasst ging er direkt auf Simon und Emmalee zu, als würden sie sich nicht gerade an einem der Pfeiler aneinander reiben. Irgendwie schaffte Will es, es freundlich klingen zu lassen und nicht einmal ein bisschen peinlich, als er sagte: »Hey, Leute, ich hatte ja keine Ahnung, dass ihr hier drin seid.«

Die beiden lösten sich voneinander. Als sie es taten, war offensichtlich, dass sie sich nur mit knapper Not gegenseitig aufrecht hielten. Tatsächlich hätten sie, wäre die Stütze nicht gewesen, wahrscheinlich bereits am Boden gelegen. Simon strich sich mit einer Hand über sein wildes, rotes Haar und kriegte irgendwie ein Lächeln zustande.

»Hey, Will. Hey.«

»Hier herrscht eine Menge Verkehr«, bemerkte Will. Dann schenkte er Emmalee ein Lächeln. »Alles okay?«

»Mir geht’s so gut«, hauchte Emmalee. Sie versuchte, ihre Toga vorne hochzuziehen, griff aber daneben. Ihr Göttinnenkostüm klaffte auseinander und sah aus, wie das, was es war: ein zerknittertes Bettlaken, das gerade dabei war herunterzurutschen. Glücklicherweise gehörte sie zur Brigade der kleinen Schwarzen. Keine Gefahr, sich tatsächlich zu entblößen, aber sie wirkte, als fühle sie sich unbehaglich, schon fast derangiert.

Simon stolperte – über nichts, wie es schien – und verlor das Gleichgewicht. Das setzte eine Kettenreaktion in Gang: Will hielt ihn fest und dann kippte Emmalee nach vorn. Ich fing sie auf und fiel wundersamerweise selbst nicht hin.

Emmalees Haut roch zuckrig süß, aber ihr Atem war Bier pur. Saures, würziges Bier im Übermaß, und ihre Haut war fiebrig heiß. Sie lehnte sich jetzt mit ihrem ganzen Gewicht auf mich, als sei sie sich nicht sicher, ob sie mit beiden Füßen auf dem Boden stand.

Ich war einmal so betrunken gewesen. Ein einziges Mal. Diese Nacht hatte damit geendet, dass ich mich in Janes Azalee erbrochen hatte und mit dem Gesicht nach unten auf ihrem Schlafzimmerboden weggetreten war. An viel mehr erinnerte ich mich nicht und die Erinnerung daran weckte in mir den Beschützerinstinkt gegenüber Emmalee. Und es beschämte mich, dass ich nicht diejenige gewesen war, die als Erste vorgetreten war.

»Vielleicht sollten wir dich nach Hause bringen«, sagte ich.

Will nickte und schaute von Simon zu Emmalee. »Was meint ihr? Bringen wir euch nach Hause?«

»Ähm«, murmelte Emmalee und legte ihre Stirn in Falten. »Trish hat gesagt, ich könnte im Gästehaus bleiben. Ja. Hat sie wirklich genau so gesagt.«

Ich nickte beruhigend. »Das hat sie, ich glaube dir.«

Simon antwortete nicht sofort. Nicht weil er unentschlossen war, sondern weil er ein wenig abzudriften schien. Sie waren wirklich jenseits des messbaren Bereichs, was ihren Alkoholpegel anging. Plötzlich klopfte er Will auf die Brust und nickte. »Kannst du mich fahren, Mann?«

»Tut mir leid. Ich hatte zwei Bier«, antwortete Will. »Aber Dave spielt gewöhnlich das Beschwipsten-Taxi, wenn wir eins brauchen. Stimmt’s, Sarah?«

Und mit dieser einen Frage zog sich alles in mir zusammen. Mein Herz verkrampfte sich plötzlich so, dass es sich anfühlte, als hätte es aufgehört zu schlagen. Meine Kehle schnürte sich zu und mein Rücken verspannte sich. Plötzlich war ich ein Draht, der sich von Sekunde zu Sekunde fester spannte. Wie eine Gitarrensaite, die nachlässig gestimmt war und nun zu reißen drohte.

Als ich Dave das letzte Mal gesehen hatte, war er gerade dabei gewesen, sich im warmen Schein von Olivia Bernowskis Aufmerksamkeit zu sonnen. Immer noch mit seiner Gitarre in Händen, immer noch getragen vom Hochgefühl nach unserem Auftritt. Es stimmte, dass er nicht trank. Und deswegen fuhr er Leute nach Hause, wenn sie einen Fahrer brauchten. Meistens betrunkene Leute. Leute, die high waren, Leute, die sich stritten und so ihrer Mitfahrgelegenheit nach Hause verlustig gingen. Leute, die übrig blieben, wenn ihre Freunde sie für eine andere Party irgendwoanders einfach stehen ließen.

ENDE DER LESEPROBE