Spiel der Herzen - Barbara Cartland - E-Book

Spiel der Herzen E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Die vornehme Gesellschaft Europas, die sich jeden Sommer im eleganten Kurort Baden-Baden ein Stelldichein gibt, ist fasziniert von der reinen Schönheit und dem natürlichen Charme von Selina. Vor allem die Männer verwöhnen sie mit Komplimenten und aufwendigen Blumengeschenken. Endlich kann Selina die schrecklichen Erlebnisse, die hinter ihr liegen, vergessen. Sie lässt sich aber nicht von dem Glanz der Salons und der Ballsäle betören, sondern schenkt ihr Herz dem Berufsspieler Quintus Tiverton, der sie vor der Gefahr schützt, in unehrenhafte Liaisons verstrickt zu werden. Auch er kann sich ihrem Liebreiz nicht entziehen...

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1 ~ 1868

Es goß in Strömen, und der von den Bergen herüberwehende Wind war bitterkalt, als ein Gentleman in den Hof der Poststation einritt.

Die erleuchteten Fenster, das Stimmengewirr und das fröhliche Lachen waren angenehm nach einem langen Ritt, bei dem das Wetter ungemütlicher gewesen war als der Schlamm und die unebene Straße.

Der Mann schwang sich aus dem Sattel und wartete, bis sein Diener auf einem anderen Pferd vorritt und ihm die Zügel abnahm. Erst dann ging der Mann in den Gasthof.

Als er durch die Tür trat, war er überrascht, einen illustren Kreis um ein großes Holzfeuer versammelt zu sehen. Sie saßen in dem niedrigen Raum und tranken und rauchten.

Er ging zum Wirt hinüber, der damit beschäftigt war, Bier in Tonkrüge zu schenken, und erklärte mit bestimmtem Ton: »Ich wünsche für die Nacht ein Zimmer für mich selbst und eines für meinen Diener.«

»Unmöglich, mein Herr«, antwortete der Wirt, ohne den Blick zu heben.

Doch dann sah er auf.

Als er die Erscheinung des Reisenden wahrnahm, sagte er mit völlig anderem Ton: »Es tut mir außerordentlich leid, mein Herr, daß ich Ihnen nicht zu Diensten sein kann. Aber Tatsache ist, daß wir bereits mehr Gäste haben, als wir unterbringen können.«

Der Herr schaute sich um.

»Woher kommen die alle?« fragte er neugierig.

Er erkannte sehr wohl, daß es sich hier nur um eine kleinere Poststation handelte, und er hatte gewiß nicht erwartet, hier elegante Damen in Seidenkleidern und kostbaren Pelzen und Herren in modischen, enganliegenden Jacketts und Mänteln anzutreffen, die mit Zobel besetzt waren.

»Ein Steinschlag hat die Schienen blockiert, mein Herr. Diese Reisenden befinden sich alle auf dem Weg nach Baden-Baden. Sie zogen es vor, Schutz in meinem Gasthof zu suchen, anstatt die Nacht im Zug zu verbringen.«

»Ich hoffe doch, Sie können mir irgend etwas zu essen geben?«

»Gern, mein Herr. Es wird mir ein Vergnügen sein. Aber ich kann Ihnen nur mit dem größten Bedauern versichern, daß wir wirklich keine Bettkammer mehr frei haben.«

Während der Wirt noch sprach, trat seine Frau, eine untersetzte, stämmige Frau mit Spitzenkappe und weißer Schürze, an seine Seite und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Der Wirt schien zu zögern.

 Dann sagte er: »Ich wage es kaum, Euch diesen Vorschlag zu machen, mein Herr, aber es gibt noch eine Kammer im Speicher, die unbesetzt ist. Für gewöhnlich wird sie einem Diener zugewiesen. Aber Ihr könntet euch zumindest niederlegen, und es wäre angenehmer, als die Nacht im Stuhl zu verbringen.«

»Ich nehme es!« sagte der Fremde kurz angebunden. »Und wenn mich jetzt jemand im Speiseraum bedienen wollte? Ich möchte Wein bestellen.«

Als er sich umdrehte und zum Speisesaal hinüberging, folgten ihm die Blicke der Wirtin bewundernd.

Kein Zweifel, er sah nicht nur gut, sondern auch vornehm aus und trug seine Kleider mit der nachlässigen Eleganz, die ihn als Engländer auswies.

Ebenso wie ihrem Mann waren auch ihr der goldene Siegelring und die Perle in seiner Krawatte nicht entgangen.

Aber es war nicht nur der Eindruck von Reichtum und Eleganz, der sie dem Herrn nachstarren ließ, bis er nicht mehr zu sehen war. Da war noch etwas anderes, etwas, das auch die anderen Frauen dazu bewegt hatte, ihm einen zweiten Blick zu schenken, als er durch den überfüllten Raum schritt.

Da es bereits spät war, war der Speisesaal leer, mit Ausnahme von ein paar älteren Männern, die vor einer Flasche Port hockten.

Der Neuankömmling nahm an einem Tisch nahe des offenen Kamins Platz. Als der Kellner herbeieilte, um seine Bestellung entgegenzunehmen, sah er die Speisekarte gründlich und sorgfältig durch und wählte dann seine Speisen mit einer solchen Kenntnis aus, daß es ihm mehr Respekt eintrug, als man den meisten Reisenden entgegenbrachte.

Nachdem er nur kurz gewartet hatte, brachte man ihm gut gekochten Hecht, zartes Geflügel, Wildbret in einer Marinade aus Wein und eine Auswahl an Obstspeisen, die alle sehr appetitlich aussahen.

Der Wein war nicht überragend, aber gut trinkbar, und nachdem er eine große Menge verzehrt hatte - es war seine erste Mahlzeit an diesem Tage -, lehnte sich der Herr in seinem Stuhl zurück und nippte seinen Port.

Ihm war warm, er hatte keinen Hunger mehr, und wie immer das Bett auch sein mochte, er wußte, daß er gut schlafen würde.

Der Speisesaal war jetzt leer, und in dem Raum, der noch voller Reisender gewesen war, als er eintraf, war es jetzt viel ruhiger.

Die meisten der Frauen hatten sich nach oben in die Zimmer zurückgezogen, die ihnen zugewiesen worden waren, und die Männer, die noch am Kamin saßen und rauchten, nickten mit den Köpfen, offensichtlich zu müde, um sich noch zu unterhalten.

Der Herr sah sich nach dem Wirt um. Er war dabei, seinen Umsatz an Getränken zu errechnen, die an diesem Tag verkonsumiert worden waren.

»Ist mein Zimmer für mich bereit?« fragte der Herr.

»Euer Diener hat Eure Habe bereits hinaufgebracht, mein Herr. Ich kann nur noch einmal mein Bedauern darüber ausdrücken, daß ich Euch keine würdigere Bettstatt zu bieten habe.«

»Ich werde schon zurechtkommen«, meinte der Fremde großzügig.

»Wenn Ihr bitte die Treppe hinauf steigen würdet, mein Herr. Der Raum befindet sich unter dem Dach. Es ist gleich die erste Tür, wenn Ihr ganz oben ankommt.«

»Ich werde es schon finden«, antwortete der Herr und schlenderte langsam die Eichentreppe hinauf, bis er schließlich den Dachboden erreichte. Hier war es so niedrig, daß er den Kopf beugen mußte.

Er wußte sehr wohl, daß in einem solchen Gasthof die Speicherkammern, die ja direkt unter dem Dach lagen, im Sommer heiß und im Winter kalt waren, und so war er erleichtert, als er das Feuer im Kamin entdeckte.

Das Zimmer war klein und enthielt ein Bett, das an einer Wand stand, und einen Stuhl.

Das Bett hatte offensichtlich schon bessere Tage gesehen. Es war wohl von einem der besseren Zimmer im Gasthof in den Speicher geschleppt worden, damit es aus dem Weg war.

Es war ein hohes, plumpes Kastenbett, wie es die deutsche Hausfrau liebte, und die Vorhänge, die einst für Intimität gesorgt hatten, waren jetzt dünn und voller Löcher.

Aber auf den ersten Blick konnte der Herr sehen, daß die groben Leintücher sauber waren, und er war ziemlich sicher, daß die Matratze aus Gänsefedern und somit außerordentlich bequem war.

Er zündete eine Kerze an, die auf dem Kaminsims stand. In diesem Augenblick hörte er den Schrei aus dem Nebenzimmer.

Während der Herr still stand und lauschte, hörte er einen zweiten Schrei, und dann noch einen, und noch einen.

Da die Schreie gedämpft klangen, ging der Herr durchs Zimmer zur gegenüberliegenden Wand, um zu hören, was dort vor sich ging.

Zu seiner Überraschung hörte er eine Frauenstimme auf Englisch sagen: »Nein... nein... bitte nicht... schlagen Sie mich nicht mehr... ich... es tut mir leid, sage ich Ihnen... es tut mir... leid... ich wollte... es nicht tun.«

»Ob du das wolltest oder nicht, du weißt, was du getan hast, und ich werde dafür sorgen, daß du so etwas nie wieder tun wirst!« erwiderte eine böse, ebenfalls weibliche Stimme.

Man hörte das Geräusch einer Peitsche, und jeder weitere scharfe Knall zog einen halbunterdrückten Schrei nach sich.

Wieder flehte die Stimme: »B-bitte... bitte... nicht mehr... ich konnte... nichts dafür... ich schwöre es... ich konnte... nicht anders.«

Das Geräusch der Peitsche klang fast monoton herüber, bis die Schreie schwächer wurden.

»Das soll dir eine Lehre sein«, erklärte die Frauenstimme scharf, »eine Lehre, die du so bald nicht vergessen wirst. Wenn wir in Baden-Baden sind, wirst du mir gehorchen und tun, was ich will. Andernfalls liefere ich dich der Polizei aus, und die werden dich nach Paris zurückschicken, wo du auf die Guillotine geschickt wirst. Ist das klar?«

Keine Antwort wurde hörbar, und die Frau fuhr mit verächtlicher Stimme fort: »Du wirst mir gehören und genau das tun, was ich sage! Andernfalls werden die Prügel, die du heute Nacht von mir bekommen hast, ein Nichts sein im Vergleich zu dem, was du dann bekommen wirst. Denk darüber nach, Selina, denk gut darüber nach.«

Jemand knallte eine Tür zu und entfernte sich mit energischen Schritten über die Treppe nach unten.

Gerade wollte der Herr sich wieder seinem gemütlichen Feuer zu wenden, als er verzweifeltes Weinen hörte. Es klang herzzerreißend.

Der Herr lauschte einen Augenblick, ehe er resolut durchs Zimmer schritt.

»Das geht mich überhaupt nichts an«, sagte er zu sich.

Aber er konnte dem Weinen nicht ausweichen: Selbst am äußersten Ende seines Zimmers konnte er es noch hören, und er wußte, daß er nicht würde schlafen können, solange es anhielt.

Einen Augenblick kämpfte er innerlich mit sich. Dann nahm er die Kerze vom Kaminsims, öffnete die Tür und trat auf den Korridor hinaus.

Er ging ein paar Schritte, bis er zum Nebenzimmer kam. Ein Schlüssel steckte in der Tür. Die Frau hatte ihn sicherlich umgedreht, als sie nach unten ging. Wer immer dort weinte, war eingeschlossen.

Wieder zögerte der Herr einen Augenblick. Dann klopfte er leise an die Tür.

Das Weinen brach ab. Plötzliche Stille trat ein. Der Herr klopfte erneut.

Als er keine Antwort erhielt, wartete er eine Sekunde, öffnete dann die Tür und betrat das Zimmer.

Es sah fast genauso aus wie das seine, nur brannte hier kein Feuer im Kamin. Auf einem Tischchen neben dem Bett stand eine Kerze.

Der Herr blieb an der Tür stehen. Im Licht seiner eigenen Kerze und der anderen auf dem Tisch konnte er eine zusammengekauerte Gestalt auf dem Bett ausmachen.

Zuerst dachte er, es wäre ein Kind. Doch dann erhob sich ein Gesicht vom Kissen, und er blickte in zwei sehr große, tränennasse Augen in einem kleinen, herzförmigen Gesicht.

Tränen liefen über die bleichen Wangen des Mädchens, und das helle Haar fiel ihr über die Schultern.

»W... was... wollen... Sie?«

Es gab keinen Zweifel: Aus ihrer Stimme klang Entsetzen.

 Sanft antwortete der Herr: »Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich bin nur gekommen, um zu sehen, ob ich Ihnen helfen kann.«

Das Mädchen auf dem Bett holte Luft, und die Tränen strömten aus ihren Augen, als sie mit gebrochener Stimme antwortete: »Mir kann... niemand helfen.«

»Sind Sie da ganz sicher?«

»G-ganz sicher«, antwortete sie.

Der Herr wartete einen Augenblick, bevor er sagte: »Da wir beide Engländer in einem fremden Land sind, können wir vielleicht über Ihr Problem sprechen.«

Er glaubte, so etwas wie Hoffnung in ihrem Gesicht aufleuchten zu sehen, ehe sie antwortete: »Sie... Sie sind sehr... freundlich... aber Sie können... mir nicht helfen... es ist unmöglich.«

Der Herr lächelte.

»Ich habe eine sonderbare Abneigung dagegen, daß mir jemand erklärt, ein Problem wäre unlösbar. Ich bin schon immer der Meinung gewesen, daß man mit jeder Schwierigkeit fertig werden kann. Man muß nur wissen, wie.«

Die Augen des Mädchens ruhten auf seinem Gesicht, und er hatte das Gefühl, sie überlegte, ob sie ihm trauen könnte.

»Ich verspreche Ihnen, Sie allein zu lassen, wenn Sie das wünschen. Aber wenn Sie so weiterweinen, dann machen Sie es mir unmöglich zu schlafen.«

»Sie... haben gehört... was passiert ist?« fragte das Mädchen leise.

»Ich habe es gehört.«

»Es gibt keinen Grund, warum ich Sie mit meinem Problem belasten sollte.«

»Wie ich bereits sagte, wir kommen aus demselben Land, und ich bin außerordentlich neugierig zu erfahren, warum man Sie so grausam behandelt.«

Bei diesen Worten betrachtete er ihren Körper, und sie machte eine kleine, nervöse Geste der Scham.

Sie trug nur ein dünnes, hochgeschlossenes Baumwollnachthemd mit langen Ärmeln. Im Licht der Kerzen waren die Blutflecken leicht zu erkennen, die die Peitschenstriemen auf ihrem Rücken verursacht hatten.

»Ich würde vorschlagen«, meinte der Herr ruhig, aber bestimmt, »daß Sie unter die Bettdecke kriechen, wo es wärmer ist. Ich werde mich derweil umdrehen, und dann können Sie mir erzählen, was Sie getan haben, um solche Strafe auf sich zu laden.«

Während er sprach, durchquerte er das Zimmer, um seine Kerze auf das schmale Kaminsims zu stellen.

Die Fensterläden waren geschlossen, aber dennoch war das Zimmer kalt, und er dachte voll Bedauern an das Feuer, das nebenan in seinem eigenen Schlafzimmer so warm brannte.

Er hörte das Geräusch einer Bewegung hinter sich, und dann sagte eine leise, noch immer verschreckte Stimme: »Ich... ich bin... im Bett.«

Er drehte sich um.

Sie hatte sich aufgesetzt, hielt sich die Decke vor die Brust. Ihr blondes Haar fiel über die Schultern und ließ sie aussehen, als wäre sie gerade einem Märchen entstiegen.

Der Herr ging auf sie zu und sah sich dabei um, ob es einen Stuhl gab, auf den er sich setzen konnte. Doch der einzige in diesem Zimmer war von den Kleidern des Mädchens bedeckt. So setzte er sich auf den äußersten Rand ihres Bettes.

»So, nun erzählen Sie mir, warum Sie hier sind«, forderte er sie auf.

Als er das sagte, sah er sie an und erkannte, daß sie selbst mit diesem Tränen verschmierten Gesicht noch ungewöhnlich schön war. Ja, sagte er sich selbst, ich habe schon lange kein so schönes Mädchen mehr gesehen.

Ihre Haut war nahezu durchsichtig, ihre Augen hatten das tiefe Blau des Mittelmeers oder vielleicht auch von Enzian.

Ihre Nase war klein und gerade. Die Lippen zitterten noch, aber er konnte dennoch sehen, daß sie einen schönen Schwung hatten.

»Wer sind Sie?« erkundigte er sich.

»Mein Name ist... Selina Wade.«

»Und ich heiße Quintus Tiverton. So, damit hätten wir uns einander vorgestellt.«

Er lächelte, als er das sagte, und es war ein verführerisches Lächeln, wie alle Frauen gefunden hatten, seit er es zum ersten Mal als Mittel eingesetzt hatte. Damals hatte er noch in der Wiege gelegen.

»W... wollen Sie wirklich, daß... ich Ihnen... von mir erzähle?« fragte Selina zögernd.

»Ich bitte darum«, antwortete Quintus Tiverton, »andernfalls, so versichere ich Ihnen, werde ich die ganze Nacht wach liegen und mich fragen, was die Wahrheit ist.«

»Sie... Sie werden entsetzt sein... wenn Sie sie hören.«

Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er antwortete: »Ich kann Ihnen versichern, Miss Wade, daß mich nichts entsetzt.«

Selina seufzte leise und lehnte sich in die Kissen zurück.

Es war eine unwillkürliche Geste, und die Striemen auf ihrem Rücken ließen sie zusammenzucken. Hastig richtete sie sich wieder auf.

»Wie konnte es irgend jemand wagen, Sie so zu behandeln?« fragte Quintus Tiverton scharf.

»Ich... ich nehme an... es ist meine eigene Schuld«, antwortete Selina. »Aber... ich konnte wirklich nichts anderes tun... wirklich nicht!«

»Ich glaube Ihnen. Aber Sie müssen mir zuerst einmal erzählen, was ich Ihnen glauben soll.«

Wieder lächelte er und merkte, daß Selina, die seit dem Augenblick, als er ihr Zimmer betreten hatte, gezittert hatte, nun ruhiger zu werden schien.

»Es ist alles so... verwirrend. Als Mrs. Devilin mich bat, mit ihr nach Frankreich zu gehen, dachte ich, ich würde es aufregend finden... ein Abenteuer, aber es war... entsetzlich!«

»Wer ist Mrs. Devilin?« erkundigte sich Quintus Tiverton.

»Ich habe sie bei der Arbeitsvermittlung kennengelernt«, antwortete Selina.

»Fangen Sie ganz von vorne an«, bat Quintus Tiverton. »Wer sind Ihre Eltern, und wo wohnen sie?«

»Meine Eltern sind beide tot. Wir haben in Little Cobham in Surrey gelebt.«

»Das kenne ich. Was hat Ihr Vater gemacht?«

»Er hatte ein wenig Grundbesitz, Land, das er gekauft hatte, nachdem er aus der Armee ausgetreten war. Er war Hauptmann bei den Husaren.«

Der Mann hörte zu, sagte aber nichts, und so fuhr sie fort: »Er hatte seine Pension, und Mama besaß ein wenig eigenes Geld. Aber als Papa starb und seine Pension nicht länger gezahlt wurde, stellte ich fest, daß Mamas Geld bereits ausgegeben war. Wir hatten nichts mehr.«

»Das Haus gehörte Ihnen nicht?«

»Das dachte ich, aber eine Hypothek lastete darauf.«

Selina seufzte leise.

»Ich hatte immer gedacht, ich würde weiter daheim leben, wenn Papa einmal etwas zustoßen würde. Ich hätte mir eine respektable Frau nehmen können, die bei mir gewohnt hätte... aber dann erfuhr ich, daß das Haus mir nicht mehr gehörte.«

Etwas Kindliches, Verlorenes lag in der Art, wie sie das sagte, und nach einem Moment bohrte Quintus Tiverton: »Und was geschah dann?«

»Mein Onkel erklärte mir, ich könnte bei ihm wohnen, aber ganz offensichtlich wollte er mich eigentlich nicht bei sich haben. Er ist Pastor und muß mit wenig Geld auskommen. Es ist so schon schwer genug für ihn.«

Sie machte eine kleine Bewegung mit der Hand und meinte dann: »Als ich meinem Onkel vorschlug, ich würde mir eine Arbeit suchen, schien er erfreut. Also fuhr ich nach London.«

»Allein?«

»Es gab ja niemanden, der mit mir hätte fahren können. Onkel Bertram hatte zu viel zu tun.«

»Verstehe. Weiter.«

»Ich wußte natürlich, daß ich mich an eine Stelle für Arbeitsvermittlung zu wenden hatte«, fuhr Selina fort. »Ich dachte, dort würde man mir raten, nach welcher Art von Arbeit ich suchen sollte. Ich... ich bin leider nicht sehr... talentiert.«

Als er in ihr Gesicht sah, in die großen, auf ihn gerichteten Augen, dachte Quintus, daß ein so hübsches Mädchen eigentlich auch nicht viele Talente zu besitzen brauchte.

Aber er sagte nichts, wartete begierig darauf, daß Selina mit ihrer Erzählung fortfuhr.

»Ich hatte gerade erst angefangen, der Sekretärin im Büro zu erklären, was ich wollte, in der Hoffnung, sie könnte mir einen Rat geben, als eine andere, ältere Frau neben sie trat und sagte: ,Ich glaube, Mrs. D’Arcy Devilin würde diese junge Frau gerne sehen.'

,Interessiert sie sich denn nicht für Betty Sheffield?' fragte die Sekretärin.

,Nein. Sie ist nicht hübsch genug.'

Ich fand, daß sich das ziemlich sonderbar anhörte. Aber ehe ich noch irgendwelche Fragen stellen konnte, wurde ich in ein kleines Zimmer geführt. Ich vermutete, daß dort die Arbeitgeber mit den Bewerbern zusammengeführt wurden.«

Selina holte tief Luft.

»In einem Sessel saß dort die schönste und eleganteste Dame, die ich jemals gesehen hatte.«

Quintus Tiverton hörte aufmerksam zu, und während Selina ihre Geschichte weitererzählte, mit leiser, zögernder Stimme, wobei sie manchmal stockte und anfing zu zittern, bekam er ein sehr lebhaftes Bild davon, was geschehen war.

Er erkannte wozu Selina nicht fähig gewesen war -, was hinter der Unterhaltung steckte und wie leicht ein Mädchen vom Lande sich von der Erfahrenheit dieser Frau verwirren ließ, die eine so verführerische Stelle zu bieten hatte.

Für Selina hatte Mrs. D’Arcy Devilin in ihrem weiten, raschelnden Satinrock, dem eleganten Taftmantel und dem mit langen Federn besetzten Hut wie ein Wesen aus einer anderen Welt ausgesehen.

Sie und ihre Eltern hatten in Little Cobham ein sehr zurückgezogenes Leben geführt.

Auch wenn sie gelegentlich die Damen der Grafschaft gesehen hatte, wenn sie ihrer Mutter einen Besuch machten, oder wenn sie selbst zu einem Empfang geladen war, so war Selina doch von dem eleganten Auftreten der Mrs. Devilin tief beeindruckt.

Später sollte sie erfahren, daß dies der Pariser Chic war. Aber im Augenblick war sie vollauf damit beschäftigt, die Dame zu bewundern, die sie von Kopf bis Fuß musterte, und sich ein wenig verlegen zu fühlen, als die Dame ihr mit scharfer Stimme Fragen stellte und sie mit einem durchdringenden Blick ihrer dunklen Augen bedachte.

»Ich benötige eine Gesellschafterin für meine Nichte, die bei mir in Paris lebt«, sagte sie. »Und ich kann es nicht ertragen, häßliche oder dumme Frauen um mich zu haben. Ich wünsche jemanden, der gebildet ist, der weiß, wie man mit wichtigen Personen richtig umgeht, die häufig mein Haus besuchen, und der die Grazie besitzt, die für junge Damen der Gesellschaft unbedingt erforderlich ist.«

»Ich... ich bin nicht sicher... was Sie darunter verstehen, Ma’am«, stammelte Selina.

»Sie müssen tanzen können. Sie müssen sich über verschiedene Themen zu unterhalten wissen, aber vor allen Dingen müssen Sie zuhören können.«

»Ich bin sicher, daß ich das kann«, antwortete Selina.

»Sie sind gewiß vorzeigbar«, fuhr die Dame mit ihrer harten Stimme fort. »Aber Ihre Kleider sind entsetzlich.«

»Soviel ich weiß, Ma’am, kommt die junge Frau vom Lande«, warf die Dame aus dem Büro ein.

Mrs. Devilin warf ihr einen ungeduldigen Blick zu.

»Ich glaube, Mrs. Hunt, ich würde dieses Mädchen lieber unter vier Augen sprechen.«

»Selbstverständlich, Madam, ich verstehe«, antwortete Mrs. Hunt.

Sie knickste und verließ das Zimmer. Selina blieb nervös vor Mrs. Devilin stehen.

»Sie dürfen sich setzen«, sagte diese großzügig. »Und nun beantworten Sie meine Fragen wahrheitsgemäß und genau.«

»Ich werde es versuchen«, antwortete Selina mit ihrer sanften Stimme.

»Sie sind Waise?«

»Ja, Madam.«

»Was für Verwandte haben Sie noch?«

Selina wunderte sich, daß es wichtig sein sollte, daß sie noch einen Onkel hatte, bei dem sie wohnen konnte, bis sie eine Stellung fand; außerdem eine Cousine in Schottland, die sie nie gesehen hatte; und eine zweite in Cornwall, die so alt war, daß es überhaupt keinen Sinn hatte, ihr auch nur noch einen Brief zu schreiben.

»Sie sind also bereit, nach Frankreich zu kommen?« erkundigte sich Mrs. Devilin.

»Ich würde sehr gerne reisen«, antwortete Selina, »und ich habe mir schon seit langem ganz besonders gewünscht, Frankreich und Italien kennenzulernen.«

»Ich wohne in Paris«, erklärte Mrs. Devilin. »Können Sie morgen mit mir abreisen?«

»Es gibt keinen Grund, warum ich es nicht könnte«, antwortete Selina.

»Ihr Onkel wird Sie nicht daran hindern?«

»Aber natürlich nicht, Madam. Er wird sich freuen, daß ich eine Stelle gefunden habe, auch wenn es in einem fremden Land ist.«

»Also gut. Treffen Sie mich morgen um halb zehn in Sheriff’s Hotel. Nehmen Sie nur wenig Kleider mit. Ich werde Sie in Paris neu einkleiden lassen. In den Kleidern, die Sie jetzt tragen, würden Sie zum Gespött aller werden.«

Aufgeregt kehrte Selina nach dem Gespräch zu ihrem Onkel zurück und erzählte ihm, daß sie ihm nicht länger zur Last fallen würde.

»Paris?« meinte er nachdenklich. »Nach allem, was ich so höre, ist Paris nicht gerade die geeignete Stadt für ein alleinstehendes junges Mädchen.«

»Ich glaube nicht, daß man Mrs. Devilins Nichte erlauben wird, ohne Anstandsdame irgendwohin zu gehen, Onkel Bertram«, hatte Selina geantwortet. »Mrs. Devilin erschien mir sehr streng.«

»Das hoffe ich«, sagte ihr Onkel. »Bist du sicher, daß es klug von dir war, gleich die erste Stelle anzunehmen, die man dir angeboten hat? Es könnte doch sein, daß es welche gibt, die dir lieber gewesen wären.«

»Mir gefällt diese hier sehr gut, Onkel Bertram. Du weißt doch, daß Papa mir immer von seinen Reisen ins Ausland erzählt hat, in der Zeit, als er noch in der Armee war. Ich finde den Gedanken herrlich, daß ich jetzt ein bißchen von der Welt zu sehen bekomme.«

»Es wird schon in Ordnung sein«, murrte ihr Onkel. »Aber vielleicht sollten wir ein paar Erkundigungen über diese Mrs. Devilin einziehen. Du sagst, sie wäre in der Agentur bekannt gewesen?«

»Allerdings. Als sie Mrs. Hunt hereingerufen und ihr erklärt hat, daß sie mich einstellen wollte, hat Mrs. Hunt gesagt: ,Ich hoffe bloß, Madam, daß Sie mit den anderen Mädchen, die ich Ihnen in der Vergangenheit geschickt habe, zufrieden gewesen sind.'

Mrs. Devilin hat gelacht. ,Viel zu sehr, Mrs. Hunt! Sie sind so attraktiv und charmant gewesen, daß sie beide schon geheiratet haben. Eine einen sehr reichen Mann, die andere einen Adligen.'

,Das ist schön für sie, Madam', rief Mrs. Hunt aus.

,Aber ärgerlich für mich!' erwiderte Mrs. Devilin. Deshalb habe ich Sie heute erneut aufgesucht; denn ich muß sagen, daß ich sehr zufrieden mit den Diensten bin, die Sie mir erwiesen haben.'

,Wir tun unser Bestes, Madam. Darf ich mir erlauben hinzuzufügen, daß wir das bei weitem größte und exklusivste Vermittlungsbüro in London haben. Unsere Kundschaft ist sehr vornehm. Ich sage immer zu meiner Assistentin, daß sich unsere Kundenliste liest wie eine Seite aus dem Debrett!'«

Nachdem Selina ihre Geschichte erzählt hatte, wartete sie auf den Kommentar ihres Onkels.

»Das klingt allerdings sehr gut, Selina«, hatte er gesagt.

Trotzdem klang Zweifel aus seiner Stimme, und Selina wußte, daß ihn der Gedanke immer noch beunruhigte, daß sie nach Paris ziehen wollte. Aber ihre Aufregung kannte keine Grenzen.

In jener Nacht hatte sie nicht schlafen können. Sie hatte ihren kleinen Lederkoffer gepackt und hatte wach gelegen, hatte abwechselnd Gott dafür gedankt, sie so gut beschützt zu haben, und gerätselt, was sie in Paris wohl alles erwarten würde.

Sie und Mrs. Devilin waren im Zug nach Dover gefahren, hatten den Ärmelkanal überquert und dann einen Zug nach Paris genommen.

Es war eine lange, ermüdende Reise gewesen, aber sie waren zweiter Klasse gefahren, und Selina hatte sich von Luxus und Bequemlichkeit umgeben gefühlt.

Erst als sie in Paris eintrafen, überraschte Mrs. Devilin sie mit der Nachricht, daß ihre Nichte nicht im Haus wäre.

Es war ein langes, schmales, graues Gebäude in einem, so erklärte man ihr, vornehmen Teil von Paris, ganz in der Nähe der Rue de St. Honoré.

Sie hatte angenommen, daß es Mrs. Devilin gehörte, doch aus ein paar Bemerkungen der Diener hatte sie gehört, daß es nur gemietet war, ja, Mrs. Devilin hatte es vor ihrer Rückkehr aus England nicht einmal gesehen.

Es war Mrs. Devilins Ehemann gewesen, Mr. D’Arcy, der alle Vorkehrungen getroffen hatte. Er war ein Mann mittleren Alters, prunkvoll übertrieben gekleidet, mit kühnen, unverschämten Augen. Selina zuckte vor ihm zurück, kaum daß sie sich sahen.

Er musterte sie langsam, genüßlich, impertinent, als wäre sie ein Pferd, das zum Verkauf angeboten worden wäre.

Dann sagte er: »Ich gratuliere dir, Celestine. Ich hätte selbst keine bessere finden können.«

»Ich dachte mir schon, daß du erfreut sein würdest«, antwortete Mrs. Devilin. »Hast du ihm erzählt, daß wir kommen werden?«

»Er ist schrecklich ungeduldig. Aber er wird noch ein wenig warten müssen, bis du diesem Kind ein paar Kleider gekauft hast.«

»Das ist mir klar«, antwortete Mrs. Devilin. »Sag der Schneiderin, sie soll gleich morgen früh hierherkommen und alles mitbringen, was sie hat. Sie weiß schon, was wir brauchen können.«

»Ja, natürlich«, antwortete D’Arcy Devilin.

Selina verstand nicht, worüber sie redeten.

Sie wurde in ihr Zimmer gebracht, und ein Diener, der sich sehr vertraulich gab, trug ihren Koffer hinauf.

Was sie überraschte, war die Tatsache, daß das Haus so klein war. Sie stellte fest, daß es außer ihrem eigenen Zimmer nur noch ein anderes Schlafzimmer in diesem Stockwerk gab, und dort schlief Mrs. Devilin.

Im Erdgeschoß gab es ein kleines Wohnzimmer. Dort wurde ihr ein leichtes Mahl serviert, ehe sie zu Bett ging, und sie sagte sich, daß sich im ersten Stock gewiß der Salon befand, in dem sie zweifellos am kommenden Tag sitzen würden.

Sie war aber zu müde, um sich den Kopf wegen des Hauses zu zerbrechen. Ja, sie konnte nicht einmal mehr über sich selbst nachdenken. Statt dessen beugte sie sich aus dem Fenster, ehe sie zu Bett ging, und versuchte, in der Dunkelheit zu erkennen, wie Paris aussah.

Am nächsten Morgen traf die Schneiderin ein. Mrs. Devilin erteilte ihr mit ihrer scharfen, autoritären Stimme, die Selina unterwegs als beunruhigend, ja sogar als furchterregend empfunden hatte, Befehle.

Selina war sehr empfindsam, und sie hatte das Gefühl, von Mrs. Devilin ging etwas aus... Je näher sie sie kennenlernte, desto mehr fühlte sie sich wie eine Katze, der man das Fell gegen den Strich streichelt.

Aber auch wenn Mrs. Devilins Ton scharf war, sie hatte immer nur freundlich zu Selina gesprochen.

»Wann werde ich Ihre Nichte kennenlernen?« fragte Selina, während die Schneiderin Maß nahm.

»Später«, antwortete Mrs. Devilin gleichgültig. »Sie ist im Augenblick nicht in Paris.«

»Dürfte ich mir dann die Stadt ein wenig ansehen, wenn noch Zeit bleibt?« bat Selina vorsichtig.

»Heute Nachmittag wirst du dafür keine Zeit haben. Nach der Anprobe der Kleider kommt die Friseuse, um dir das Haar zu waschen. Anschließend müssen wir verschiedene Kleinigkeiten kaufen, Schuhe, Handschuhe, ein, zwei Nachthemden. Und danach möchte ich, daß du dich ausruhst.«

»Aber was passiert denn heute Abend?« Selinas Augen sprühten.

Sie fragte sich, ob Mrs. Devilin sie vielleicht ins Theater oder zu einer Gesellschaft mitnehmen wollte.

Es war alles sehr aufregend und ganz und gar nicht so, wie sie es erwartet hatte.

Mrs. Devilin antwortete nicht sofort. Später, am Nachmittag, aber erklärte sie Selina: »Ich muß dir etwas sagen - ich weiß, daß du dich sehr darüber freuen wirst.«

»Worüber?«

»Da ist ein Herr, der dich unbedingt heiraten möchte.«

»Mich heiraten?« rief Selina verblüfft aus.

»Er ist sehr reich und sehr vornehm«, antwortete Mrs. Devilin, »und du bist wirklich eine ausgesprochen vom Glück gesegnete junge Frau.«

»Aber warum sollte er mich heiraten wollen? Er hat mich nie gesehen.«

»Ich habe ihm erzählt, wie schön du bist, und da er Witwer ist, braucht er eine Frau.«

»Ich kann nicht glauben, daß das ... wahr ist. Wer ist dieser... dieser Herr?«

»Der Marquis de Valpré, ein sehr alter Freund von mir. Um ehrlich zu sein, Selina, als ich nach London gefahren bin, hat er mich gebeten, eine junge und charmante Frau für ihn zu suchen.«

»A-aber er muß d-doch unzählige Frauen in F-frankreich kennen«, stammelte Selina.

»Er liebt englische Mädchen, vor allem, wenn sie blond sind«, erklärte Mrs. Devilin lächelnd. »Laß mich noch einmal betonen, Selina, daß er sehr wichtig ist. Ja, er ist eines der wichtigsten Mitglieder der französischen Gesellschaft. Die Valprés sind eine alte, aristokratische Familie.«

»Ich bin natürlich sehr... geehrt, daß er... an mich denkt. Aber bitte, Madam, verstehen Sie... ich kann... keinen Mann heiraten, den ich nicht… liebe.«

»Mein liebes Kind, du bist hier in Frankreich!« schalt Mrs. Devilin. »In Frankreich werden Ehen immer arrangiert. Von Liebe ist erst die Rede, wenn ein Paar Mann und Frau geworden ist.«

»In England ist das anders, jedenfalls bei den einfachen Leuten. Wenngleich ich glaube, daß die adligen Familien ihre Ehen immer noch...«

Ihre Stimme erstarb, weil sie auf Mrs. Devilins Gesicht einen Ausdruck sah, der ihr Angst machte.

»Willst du etwa Schwierigkeiten und Probleme machen?« fragte sie, und ihre Stimme war hart und unbeugsam.

Selina fuhr zusammen.

»Nein... wirklich nicht. Ich möchte... den M-marquis gern kennenlernen und... mit ihm reden. Vielleicht, wenn wir uns... kennenlernen...«

»Wenn du ihn erst kennengelernt hast, wirst du ihn gewiß lieben, wenn es das ist, was du dir erhoffst«, meinte Mrs. Devilin verächtlich. »Es dürfte dir nicht schwerfallen, wenn du daran denkst, daß es für ein mittelloses, unwichtiges Mädchen wie dich wundervoll sein wird, Geld und schöne Kleider zu besitzen und sich in den reichen, vornehmen Kreisen der Pariser Gesellschaft zu bewegen.«

Sie lächelte ein wenig.

»Es heißt, es hat niemals eine Zeit gegeben, die so extravagant, so luxuriös ist wie das Zweite Empire; die Juwelen sind prachtvoll, Selina; die Kleider lassen sich kaum beschreiben. Der Marquis kann dich zu einer der beneidetsten Frauen in Paris machen.«

Das klang allerdings wundervoll, sagte sich Selina. Aber sie hatte sich niemals vorgestellt, daß ausgerechnet ihr etwas Derartiges passieren würde.

Sie hatte davon geträumt, daß es irgendwo auf der Welt einen Mann geben würde, der sie lieben und sie bitten würde, seine Frau zu werden! Aber eine Ehe mit einem Mann, den sie niemals gesehen hatte, von dem sie nichts wußte, war erschreckend.

Mrs. Devilin wischte jeglichen Protest beiseite.

»Du wirst den Marquis heute Abend kennenlernen«, sagte sie. »Du wirst allein mit ihm dinieren, und du wirst ihn charmant finden. Er ist erfahren, ein Mann von Welt, und wenn du deine Karten klug ausspielst, Selina, er kann sehr großzügig sein.«

Selina verstand nicht, was sie damit meinte, aber sie beschloß, sich zu weigern, den Marquis zu heiraten, wenn sie ihn nicht mochte, ganz gleich, was Mrs. Devilin oder irgendjemand sonst dazu zu sagen hätte.