Spielstrategien im Business - Andreas Buchholz - E-Book

Spielstrategien im Business E-Book

Andreas Buchholz

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Beschreibung

Die Autoren stellen ein innovatives Denkmodell vor, mit dem Führungskräfte vielversprechende neue Wachstums-Chancen erkennen und nutzen können - selbst in schwierigen Marktumfeldern. Der neue Ansatz: Wer im Markt einen wirklichen Durchbruch schaffen will, muss aus den konventionellen Spielregeln des Wettbewerbs ausbrechen und bereit sein, sie zu verändern, zu revolutionieren oder neu zu erfinden.

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Andreas Buchholz, Wolfram Wördemann

Spielstrategien im Business

Die Regeln des Wettbewerbs verändern

www.campus.de

Information zum Buch

Die Autoren stellen ein innovatives Denkmodell vor, mit dem Führungskräfte vielversprechende neue Wachstums-Chancen erkennen und nutzen können – selbst in schwierigen Marktumfeldern. Der neue Ansatz: Wer im Markt einen wirklichen Durchbruch schaffen will, muss aus den konventionellen Spielregeln des Wettbewerbs ausbrechen und bereit sein, sie zu verändern, zu revolutionieren oder neu zu erfinden. Wer diese Kunst versteht, kann sogar vermeintlich stärkere Gegenspieler im Markt schlagen, zurückdrängen oder regelrecht entmachten. Dies gelingt auch Unternehmen, die nicht von vornherein über Marktmacht, spektakuläre Produktinnovationen oder große Kapitalreserven verfügen. In vielen Fallbeispielen beweist dieses für die Unternehmenspraxis geschriebene Buch, dass jedes Unternehmen Spielregeln verändern und damit Wachstum im großen Maßstab erreichen kann.

Informationen zu den Autoren

Andreas Buchholz und Wolfram Wördemann sind Unternehmensberater für marktorientierte Wachstumsstrategien, davor waren sie Führungskräfte bei Procter & Gamble. Heute beraten sie unter anderem IBM/Lenovo, T-Mobile, Postbank, Tchibo, TUI, Danone, Pfizer, Sanofi-Aventis, Bayer, American Express sowie die Allianz. Regelmäßig veröffentlichen sie ihr profiliertes Fachwissen in vielen Zeitschriften und Büchern.

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2008 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH, KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

ISBN der Printausgabe: 9783593385525

E-Book ISBN: 9783593404295

www.campus.de

|7|Vorspiel …

»Sie haben die Gesetze des Marktes neu erfunden! – They changed the rules of the game!« – So klingt sie, die wahrscheinlich ultimative Auszeichnung für erfolgreiche Unternehmen; oft gesprochen am Rednerpult von würdevollen älteren Herren, die ihrer Aussage eine feierlich-andächtige Pause folgen lassen. Applaus!

Der Satz ist wie ein Ritterschlag für Unternehmen, die durch rebellisches Quertreiben neue Maßstäbe gesetzt und ihren Markt revolutioniert haben. Denken Sie daran, wie Apple mit seinem legendären »iPod« einen Strukturwandel in der Musikbranche mit eingeleitet hat. Wie Ryanair als erster Billigflieger das Airlinegeschäft revolutionierte. Denken Sie an Ikea, Red Bull, Starbucks oder Fielmann.

In jeder Branche gibt es Unternehmen, die an den etablierten Spielregeln rütteln, die das Spiel im Markt neu gestalten, die bei passender Gelegenheit in Führung gehen und ihre einst mächtigen Gegner zurückdrängen.

In diesem Buch geht es um mehr als konventionelle Erfolgsstorys. Es geht um die Kunst, mehr Einfluss, Steuerung und Kontrolle über den Wettbewerb zu erhalten – und dabei Wachstum im großen Maßstab zu erreichen.

Das Spiel als strategisches Denkmodell

Es ist allgemein üblich, den Wettbewerb im Markt mit einem »Spiel« zu vergleichen. Mitspieler sind die Unternehmen selbst und ihre Kunden, aber auch Händler, Journalisten, Meinungsbildner, Investoren. Wie in jedem Spiel orientieren sich auch die Marktteilnehmer an bestimmten Spielregeln, die man häufig auch die »Gesetze des Marktes« nennt. Es herrscht die Überzeugung vor, dass man Spielregeln respektieren und befolgen muss, wenn man gewinnen will.

|8|Interessanterweise scheinen aber ausgerechnet die erfolgreichsten Unternehmen genau das Gegenteil zu tun: Sie brechen die Regeln und Gesetze, um im großen Stil zu wachsen. Wir halten die strategische Kunst dieser Regelbrecher für viel spannender als das, was man von regeltreuen Mitspielern im Markt lernen könnte. So ist die zentrale These dieses Buches entstanden.

Wer im Markt einen wirklichen Durchbruch schaffen will, der muss bereit sein, die Spielregeln zu brechen, zu verändern, zu revolutionieren oder neu zu erfinden.

Wie aber macht man das? Wie funktioniert die Kunst der Regelmacher? Diese Frage bringt beachtliche Herausforderungen mit sich, denn die Spielregeln des Marktes sind reichlich abstrakt, nebulös, rätselhaft. Wie will man sie brechen, verändern, revolutionieren oder neu erfinden, wenn man sie nicht einmal »zu fassen« kriegt? Die Gesetze des Wettbewerbs sind nirgendwo nachschlagbar, nicht einmal schriftlich fixiert, und es gibt auch keine Autorität auf diesem Planeten, bei der man eine Änderung von Spielregeln beantragen könnte.

Es ist an der Zeit, diese geheimnisvollen Spielregeln einmal gründlicher unter die Lupe zu nehmen. Wir werden uns dabei mit spannenden Fragen befassen:

Was sind das eigentlich genau: die Spielregeln des Marktes? Wie »regeln« sie den Wettbewerb? Wie beeinflussen sie Markterfolg oder Misserfolg? – Inwiefern hängt es von den Spielregeln ab, ob mein Unternehmen zu den Gewinnern oder Verlierern gehört? – Was heißt es, aus den Spielregeln des Marktes auszubrechen? Wer kann die Spielregeln verändern, revolutionieren oder neu erfinden? Was passiert dann genau im Markt? – Kann das jeder machen? Und falls ja: Wie geht das? Was brauche ich dazu? Und welchen Nutzen habe ich genau davon?

Wir werden Ihnen in diesem Buch ein strategisches Denkmodell vorstellen, die sogenannte Spielstrategie. Damit können Manager auf strukturierte Weise ihre Chancen ausloten, die Regeln im Wettbewerb zu verändern, um außergewöhnliche Wachstumschancen zu verwirklichen. Das Modell ist für kleine oder regionale Nischenmärkte ebenso anwendbar wie für große, globale Massenmärkte. Mittelständische |9|Unternehmen können genauso davon profitieren wie multinationale Konzerne.

Wie die Idee zu diesem Buch entstanden ist

Als Unternehmensberater haben wir 14 Jahre lang Einblicke in die unterschiedlichsten Branchen gewonnen. Die Manager von heute stehen unter einem enormen Leistungsdruck. Jedes Jahr fordern Eigentümer, Investoren und Shareholder hohe einstellige oder zweistellige, manchmal dreistellige Wachstumsraten.

In der Zusammenarbeit fiel uns auf, dass Manager den Horizont des Denkens unterschiedlich abstecken, wenn sie über Wachstumsstrategien nachdenken. Die große Mehrheit aller Manager konzentriert sich, vereinfacht gesagt, auf die naheliegende Kernfrage, nämlich:

Wie muss sich unser Unternehmen im Marktumfeld verhalten, um das größtmögliche Wachstum zu erzielen?

Das ist die allgemein übliche, »logische« und vollkommen richtige Frage. Sie klingt so verführerisch selbstverständlich, dass man leicht die wichtige Limitierung übersieht, die darin verborgen ist. Denn diese Fragestellung geht implizit von einem »gegebenen Marktumfeld« aus, also von »Rahmenbedingungen« oder Marktgesetzen, die man von vornherein respektieren muss. Was aber, wenn einige dieser mutmaßlichen Rahmenbedingungen gar nicht so fest und unantastbar sind, wie sie den Anschein haben mögen?

In der deutlichen Minderheit ist ein zweiter Managertyp, der den Horizont des Denkens wesentlich breiter absteckt. Denn er stellt eine zusätzliche Frage, die etwa so klingt:

Können oder müssen wir die Regeln und Gesetze in unserem Markt verändern, damit wir den Durchbruch schaffen?

Der zweite Managertyp denkt also offener und radikaler über Wachstum nach. Er ist sich darüber bewusst, dass sein Unternehmen die Marktgesetze aktiv mitgestalten kann. Womit wir bereits ein erstes »faustformelhaftes« Verständnis davon gewinnen, was Spielstrategie bedeutet:

|10|Die Grundidee der Spielstrategie:

Die meisten Unternehmen planen ihr Wachstum innerhalb dessen, was sie als die Rahmenbedingungen des Marktes wahrnehmen. Der Spielstratege will den Rahmen selbst mitgestalten, um neue Freiräume und Entfaltungsmöglichkeiten für Wachstum zu schaffen.

Das wichtigste Kapital: freies, offenes und radikales Denken

Seit frühester Kindheit sind wir darauf konditioniert, Regeln zu befolgen – und nicht etwa, sie zu brechen oder umzugestalten. Allein Begriffe wie Markt-»Bedingungen« oder Rahmen-»Bedingungen« ermahnen zum Gehorsam. Im Übrigen sagt alle Lebenserfahrung: Wer ein Spiel gewinnen will, der muss sich an die Regeln halten. Der Respekt vor Regeln sitzt den meisten von uns tief in den Knochen.

Die Spielstrategie wird daher nur dem nutzen, der bereit ist, ohne Denkverbote die Regeln und Gesetze des Marktes auf den Prüfstand zu stellen. Man braucht einen freien Kopf, wenn man kreativ über Wachstum im größeren Stil nachdenken will. Es gilt also, sich von weitverbreiteten gedanklichen Vorbehalten zu befreien, wie zum Beispiel den folgenden:

»Spielregeln verändern kann man doch nur, wenn man zu den Großen der Branche gehört, viele Jahre Zeit hat und ein Vermögen investieren will. Das trifft auf uns nicht zu. Wir haben weder das nötige Kapital noch viele Jahre Zeit. Am Ende würden wir uns nur überheben.«

»Die Spielregeln in unserem Markt haben sich evolutionär über Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte herausgebildet. Die sind so, wie sie sind. Da können wir als einzelnes Unternehmen nichts groß verändern.«

»Unter Spielregeln stelle ich mir vor allem politische Rahmenbedingungen vor. Dafür gibt es in unserer Branche die Lobbyisten, die unsere Interessen vertreten. Die schöpfen schon aus, was auf dem politischen Parkett möglich ist.«

»Warum soll ich ein so großes Rad drehen und die Spielregeln in meinem Markt verändern? Wir haben doch schon genügend Probleme damit, unsere Produkte und Dienstleistungen erfolgreich zu vermarkten. Darauf müssen wir jetzt den Fokus legen.«

|11|»Es wäre ja phantastisch, den Markt zu revolutionieren, aber dafür braucht man bahnbrechende technologische Innovationen. Die sind leider bei uns derzeit nicht in Sicht. Also ist es besser, wenn wir erst mal den Ball flach halten.«

»Die Spielregeln im Markt zu verändern, das haben schon viele versucht und haben sich dabei ein blaues Auge geholt. Zu riskant. Am Ende stoßen wir da was an, was außer Kontrolle gerät, und dann machen uns die Wettbewerber und die Medien fertig. Das können wir uns nicht erlauben.«

Im Großen und Ganzen haben diese Vorbehalte sicherlich ihre Berechtigung. Entscheidend ist aber, dass sie das Denken limitieren und den Blick für die wirklich außergewöhnlichen Chancen und Potenziale im Markt verstellen können. Denken Sie an die außergewöhnlichen Unternehmen, von denen es heißt: »They changed the rules of the game!« Die haben sich in ihrem Denken nicht bremsen, einschränken oder limitieren lassen. Die haben offen gedacht, waren frei von Vorurteilen gegenüber den eigenen Möglichkeiten. Nur wer im strategischen Prozess keine Denktabus akzeptiert, kann wirklich alle Chancen erkennen und nutzen, die der Markt bietet.

Im Prinzip kann jeder die Regeln im Wettbewerb mitgestalten

Ein Vorurteil hören wir häufiger als alle anderen: Spielregeln neu erfinden – das können immer nur die anderen machen, nämliche multinationale Konzerne, vor allem Monopolisten – die großen Machtspieler eben. Wir halten mit einer unserer wichtigsten Thesen dagegen: Im Prinzip (!) kann jedes Unternehmen die Regeln und Gesetze des Marktes zu seinem Vorteil verändern. Auch mittelständische oder kleine Firmen sind von dieser Möglichkeit nicht ausgeschlossen.

Sie müssen nicht zu den größten oder mächtigsten oder finanzstärksten Spielern im Markt gehören. Sie müssen nicht Marktführer sein. Sie brauchen nicht unbedingt überragende Qualitäts- oder Leistungsvorteile oder revolutionäre Innovationen. Sie brauchen noch nicht einmal mit dem Gestus des Rebellen oder Revolutionärs anzutreten. Änderungen der Spielregeln können klein sein, minimalistisch. Sie können leise vonstattengehen, so leise, dass es anfangs kaum jemand bemerkt. Sie können spektakulär |12|unspektakulär eingefädelt werden. Sie lassen sich manchmal überraschend ökonomisch einführen, ohne dass man dafür abenteuerlich aufwändige Marketing- und Vertriebsoffensiven inszenieren muss.

Und doch sind die Auswirkungen aller Spielregel-Veränderungen im Markt von Natur aus radikal und können entsprechend dramatische Folgen haben – im positiven Sinne. Unsere Fallstudien werden zeigen, wie in Einzelfällen selbst junge Unternehmen den altehrwürdigen Platzhirschen im Markt neue Spielregeln diktieren – ohne dass diese sich dagegen wehren können. Wir zeigen Ihnen, wie selbst kleine Spieler ihre mächtigen Gegenspieler im Markt destabilisieren und deklassieren können – auch ohne spektakuläre Innovationen einzuführen.

Im Übrigen war es uns wichtig, Fallbeispiele aus möglichst unterschiedlichen Branchen auszuwählen, darunter Telekommunikation, Pharma, Medien, Konsumgüter, Handel, Unterhaltungselektronik, Lifestyle, Finanzdienstleistung, Tourismus, Chemie, Mode, Dienstleistung und Internet. Ein Teil unserer Fallbeispiele stammt aus Business-to-Consumer-Märkten, der andere Teil aus dem Business-to-Business-Sektor.

Unser strategisches Denkmodell ist für Manager aller Branchen und Hierarchiestufen nützlich, auch spartenübergreifend. Wir haben bewusst auf das beliebte deutsch-englische Fachchinesisch verzichtet, das sich in Unternehmensführung und Marketing eingebürgert hat. Denn wir würden es begrüßen, wenn auch Manager aus anderen Unternehmensbereichen sich mit dem Thema Markt und Wachstum beschäftigen.

Nach der Lektüre dieses Buches werden Sie Ihren Markt, Ihre Wettbewerber, Ihre eigene Stellung im Markt und Ihre Wachstumsmöglichkeiten sehr wahrscheinlich mit etwas anderen Augen sehen. Aber vor allem wünschen wir Ihnen, dass unsere Anleitung zum Andersdenken Ihnen hilft, die entscheidende Inspiration für das Wachstum der nächsten Jahre zu finden.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Spaß beim Lesen.

|13|Die radikale Art, über Wachstum nachzudenken

Die meisten Unternehmen verhalten sich im Wettbewerb wie regeltreue »Mitspieler«. Nur wenige setzen sich über die Spielregeln hinweg oder eröffnen ihr eigenes Spiel. Von diesen »Spielmachern« handeln jedoch die meisten großen Erfolgs- und Wachstumsgeschichten im Markt. Die gute Nachricht: Die Kunst der Spielmacher kann man lernen. Man braucht dazu nicht viel mehr als die Bereitschaft zu freiem, radikalem Denken.

1985 gründete der irische Unternehmer Tony Ryan eine Airline namens Ryanair, um mit günstigen Preisen den nationalen Linienflieger Aer Lingus herauszufordern. Die Firma wuchs schnell und kraftvoll – aber noch schneller wuchs der Schuldenberg. Drei Jahre später stand Ryanair vor dem Bankrott. Ein Wirtschaftsprüfer namens Michael O’Leary sah der drohenden Pleite ins Auge; er empfahl Tony Ryan, die Bücher zu schließen und Konkurs einzureichen. Tony Ryan aber drehte den Spieß um und setzte seinen ehemaligen Wirtschaftsprüfer O’Leary als neuen CEO und Chefsanierer ein. Der Rest ist Geschichte …

Ein »vorbildlicher« Regelbrecher

O’Leary fackelte nicht lange und gründete in Europa den neuen Markt der Billigflieger, frei nach dem Vorbild der amerikanischen Southwest Airlines. Doch um diesen neuen Discount-Markt aus dem Nichts zu erschaffen, musste O’Leary erst einmal (fast) alle Regeln und Gesetze der Branche über Bord werfen.

|14|Wo steht beispielsweise geschrieben, dass eine Airline unbedingt von den großen und teuren Airports der Metropolen aus starten muss? Ryanair setzt voll und ganz auf Provinz-Flughäfen. – Warum sind komplexe Streckenkombinationen nötig? Ryanair fliegt nur von Punkt zu Punkt. – Wer behauptet, man könne nur mit Langstreckenflügen richtig Geld verdienen? O’Leary baut einen effizienten »Shuttle«-Betrieb für die Kurzstrecken auf. – Warum braucht man eine ganze Flotte unterschiedlicher Flugzeugtypen? Ryanair konzentriert sich auf einen einzigen Flugzeugtyp. – Wofür Businessclass, wofür Airport-Lounge? Wofür Eincheck-Terminals im Flughafen, die von teurem Personal betreut werden müssen? Um Personal zu sparen, schleust Ryanair fast 100 Prozent aller Buchung über das Internet und Callcenter. – Warum glauben alle, Bordservice sei ein »Muss« für eine Airline? Ryanair verzichtet auf jede Art von Inflight-Entertainment und Gratis-Menüs. Das Unternehmen streicht sogar die kostenlosen Erdnüsse von der Liste, nicht weil sie zu teuer wären, sondern weil sie die Reinigungskosten unnötig in die Höhe treiben. – Welches Gesetz besagt, dass eine Airline ihr Geld mit dem Transport von Passagieren verdienen muss? Ryanair verdient ihren Profit mit Zusatzgeschäften: O’Leary schließt Kooperationsverträge mit Tourismuspartnern. Er vermietet die Rückseite der Sitzflächen als Werbeflächen, anstatt sie mit unwirtschaftlichen Känguru-Beuteln auszustatten. Er verkauft Mahlzeiten und Getränke. Er ist dabei, gebührenpflichtige Internet-Telefonie an Bord einzuführen. Schon heute machen solche Nebengeschäfte bei Ryanair 16 Prozent der Umsätze aus, bald sollen es 25 Prozent sein. Gegenwärtig träumt O’Leary davon, die Tickets bald umsonst abgeben zu können.

Kurzum: Ryanair bricht mit praktisch allen gewachsenen Strukturen und Konventionen. O’Leary erfindet das Fliegen neu – und sein neuer Billigfliegermarkt funktioniert nach ganz eigenen Regeln und Gesetzen. Das Ergebnis: Die neue Airline-Kategorie transportiert die doppelte Menge an Passagieren zur Hälfte der Kosten. Ein Flug von Lübeck nach London und zurück für 5 bis 10 Euro. Das ist Fliegen zu Taxipreisen … vorausgesetzt natürlich, Sie müssen mit dem Taxi nicht weiter fahren als bis zum Kiosk an der Ecke.

|15|Eine turbulente neue Dynamik greift um sich

Der Markt für Billigflieger erzeugte einen beispiellosen Boom. Hier wurde ein traditionsreicher Markt so gründlich neu erfunden, dass er sich sogar den Gesetzen der globalen Branchenkonjunktur entzieht. Der 11. September 2001 beispielsweise hat – fast – die gesamte Tourismusbranche in eine Krise gestürzt. Gleichzeitig boomten die Billigflieger. Überall in Europa schossen sie aus dem Boden und bewiesen der staunenden Finanzwelt, dass sie im Unterschied zu den »Premium«-Airlines satte Gewinne einfahren konnten – aller Krise zum Trotz. Auf dem Höhepunkt der Branchenkrise – im Jahr 2003 – bestellte Ryanair 100 neue Jets bei Boeing, im Wert von 6 Milliarden Dollar. O’Leary konnte dabei einen 40-prozentigen Rabatt aushandeln und rieb sich zufrieden die Hände: »Ich war in der Zeit nach dem September 2001 wohl der Einzige, der bei Boeing angerufen hat und etwas kaufen wollte.«

Der neue Markt setzt die großen, ehemals staatlichen Linienflieger unter Druck. Dass diese plötzlich auch Billigflieger gründen – so wie die Lufthansa mit ihrer 50-Prozent-Tochter Germanwings – dürfte wenige überraschen. Ironischerweise gewinnen die Billigflieger aber mit ihren kurzen Standzeiten und ihrem schnellen »Shuttle«-Service von Metropole zu Metropole so viel Vorsprung auf der Kurzstrecke, dass selbst Europas größter Linienflieger – British Airways – erwogen hat, sich nur noch auf die internationalen Langstrecken zu konzentrieren.

Dann der endgültige symbolische Triumph im Wettbewerb gegen die National-Airlines: Eine Woche, nachdem die irische Regierung Aer Lingus per Börsengang privatisiert hatte, machte O’Leary ein Übernahmeangebot von knapp 1,5 Milliarden Euro für den nationalen Carrier. Panikstimmung in der irischen Regierung. Sie weigerte sich zunächst, ihren 25-prozentigen Anteil zu verkaufen.

Der neue Billigfliegermarkt drängte aus der Nische heraus und verwandelte sich in den Wachstumsmotor der gesamten Branche. 2004 gab es allein in Europa 54 Billigfluglinien. Ihr Marktanteil betrug circa 30 bis 35 Prozent. Bis 2010 sollten 40 Prozent des Luftverkehrs den Billigfliegern gehören. Größter Nutznießer ist der Marktbegründer Ryanair: Der Umsatz liegt heute über 1,7 Milliarden Euro, der Vorsteuergewinn über 350 Millionen Euro. Noch in diesem Jahrzehnt will Ryanair europaweit zur größten Fluggesellschaft aufsteigen.

|16|Ein Strukturwandel revolutioniert die Branche

Provinzflughäfen erleben eine Renaissance ohne Beispiel. Der ehemalige US-Militärflughafen Hahn wird plötzlich für 200 Millionen Euro ausgebaut. Bund und Bahn wollen für 100 Millionen Euro die stillgelegte Bahnstrecke wieder in Betrieb nehmen. Pikantes Detail: Nicht nur der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport engagiert sich, sondern indirekt auch die Lufthansa – nämlich über ihre Fraport-Beteiligung. Die Medien amüsieren sich darüber, wie die Lufthansa das Wachstum ihres ärgsten Widersachers unterstützt.

Kollateralschäden entstehen sogar in – eigentlich – ziemlich entlegenen Branchen. Nach Ansicht des Verbands der Automobilindustrie beeinträchtigt die Flut von Billigflug-Angeboten auch den Reisebusverkehr. 10 Prozent weniger Neuzulassungen von Reise- und Stadtbussen sind zu verzeichnen. »Billigflieger belasten das Busgeschäft«, warnte die FAZ. Auch die Bahn kann sich dem Druck der Billigflieger nicht entziehen: der Luxuszug Metropolitan zwischen Köln und Hamburg musste zu einem normalen Intercity heruntergestuft werden. Die Billigflieger hätten dem Zug den Garaus gemacht, er könne nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden, sagte Bahnchef Mehdorn.

Billigflieger beschäftigen die führenden Köpfe der Tourismusbranche: Alltours-Geschäftsführer Verhuven klagte öffentlich, es sei absurd, wenn ein Bahnticket von Düsseldorf nach Frankfurt deutlich mehr koste als ein Flug von Düsseldorf nach Rom. Er forderte »staatlich festgelegte Mindestpreise für Flugtickets« sowie ein generelles Subventionierungsverbot für Billigfluglinien. Ironischerweise gilt Alltours selbst als einer der größten Preisdrücker der Tourismusbranche.

Strukturwandel bedeutet, dass der Billigflieger-Boom plötzlich eine in dieser Form nie gekannte Konkurrenz unter den Flughäfen schürt. Die Flughafen-Verwaltungen buhlen um Billigflieger. Besonders verlockend ist das üppige »Non-Aviation«-Geschäft, das mit Duty-Free-Shops, Restaurants, Boutiquen und Parkplätzen generiert wird. Es steht für bis zu 30 Prozent der Airport-Umsätze. Wer hätte das gedacht: Die Flughäfen machen sich hübsch für die Billigflieger! Dafür müssen sie konsequent die Kosten senken und industrielle Management- und Effizienzstandards erreichen. Auslagerung und Privatisierung sind angesagt. Seit auch immer mehr Geschäftsreisende die Billigflieger für sich entdecken, müssen |17|auch größere Airports runter vom hohen Ross und den billigen Quertreibern den Hof machen. »Alle Flughäfen ohne Billigflieger werden es künftig schwer haben, wirtschaftlich zu arbeiten«, sagt ein Branchenkenner.

Selbst die Politik erkennt Billigflieger als einen gewichtigen Standortfaktor. Dem Flughafen in Weeze am Niederrhein, kurz vor der holländischen Grenze, fließen beispielsweise hohe staatliche Subventionen zu, um Billig-Airlines anzulocken und so Arbeitsplätze in den strukturschwachen Regionen zu erhalten.

Mittlerweile hat der Billigflieger-Boom längst von Europa auf Russland, Asien und Afrika übergegriffen. Gerade in Asien revolutionieren die Billigflieger die Luftfahrt, weil der Markt jetzt erstmals seine Tore – breit wie Scheunentore – öffnet für die Mittelschichten, für die das Fliegen bisher ein unerreichbarer Wunschtraum war. In Asien gibt es 130 Millionenstädte, die meisten ohne internationale Fluganbindung, aber hoch interessant für Billigflieger. So rasant ist das Wachstum der Branche, dass in Ländern wie Indien und Afrika die Infrastruktur hinterherhinkt. Piloten werden in großer Zahl aus dem Ausland zurückgerufen, Airports unter Hochdruck ausgebaut.

Was ist neu?

Die Spielstrategie ist eine Anleitung zum Andersdenken. Oder, besser gesagt: Sie ist eine Inspiration für Manager, die über die nächsten Quartale hinausschauen und herausfinden wollen, wie sie Wachstum im größeren Maßstab erreichen können als in der Vergangenheit. Was muss man anders machen, um einen Durchbruch zu schaffen – oder endlich einen Turnaround einzuleiten? Mal angenommen, Sie haben gerade keine bahnbrechende Innovation in der Pipeline und auch keine unbegrenzten Kapitalreserven, um den großen Feldzug gegen die Wettbewerber anzuzetteln. Was dann? Kann man dann trotzdem einen durchschlagenden Markterfolg erzielen? Natürlich kann man das. Jeder kennt Fallbeispiele von Firmen, die das geschafft haben. Auch kleine Firmen sind dabei. Auch Newcomer. Warum sollte es also für irgendein Unternehmen zwingende Gründe geben, keine durchschlagende Erfolgsstory im Markt zu schaffen?

|18|Eines ist klar: Wenn die Wachstumskurve Ihres Unternehmens in naher Zukunft einen scharfen Knick nach oben verzeichnen soll, müssen Sie irgendetwas anders machen. Sie müssen anders denken, und zwar nicht nur anders als die anderen, sondern auch anders als bisher. Warum sollte dieselbe Art zu denken plötzlich die große Wende bringen? Wer Wachstum in größerem Stil plant, dem ist nicht damit gedient, dieselben strategischen Denkprozesse, -routinen und -schleifen immer wieder zu durchlaufen. Wenn sie in der Vergangenheit nicht den großen Wurf hervorgebracht haben, warum sollten sie in Zukunft plötzlich die entscheidende Inspiration provozieren?

Michael O’Leary in der Rolle des Spielmachers

Michael O’Leary ist das, was wir einen Spielmacher nennen: Anstatt im konventionellen Wettbewerb mitzuspielen, eröffnete er ein neues Spiel nach eigenen Regeln. Er setzte sich über jahrzehntealte Regeln und Konventionen der Branche einfach hinweg, entrümpelte die Spielregeln des Marktes und schaffte damit die Voraussetzungen für eine spektakuläre Erfolgsgeschichte. Nichts war ihm heilig …

Warum von den großen Flughäfen der Metropolen starten? Wofür komplizierte Streckennetze? Wofür aufwändige Administration, wofür Eincheck-Terminals? Wofür Businessclass oder Airport-Lounges? Wofür Bordservice, wofür kostenlose Mahlzeiten? Warum nicht das Geld lieber mit Zusatzservices verdienen? Warum kann Fliegen nicht kostenlos sein?

Das ist die grundsätzliche Qualität, die einen Spielmacher auszeichnet: Er wagt sich an die Spielregeln des Marktes heran. Was natürlich nicht bedeutet, dass er sich wie ein Quertreiber oder Ignorant blindlings gegen alle Normen oder Standards auflehnt. Aber er ist zumindest grundsätzlich bereit, das zu tun. Das allein unterscheidet ihn von der großen Anzahl der anderen Mitspieler im Markt. Ihr hervorstechendes Merkmal ist regelkonformes Verhalten. Die gesamte Riege hoch dekorierter Topmanager im europäischen Airline-Geschäft verhielt sich jahre- und jahrzehntelang spielkonform – und viele fuhren gut damit. Bis Ryanair von ganz unten kam und die Regeln im Wettbewerb kräftig durcheinander wirbelte.

|19|Die erfolgreichen Andersdenker und Regelbrecher sind meist nicht die »alten Hasen«, sondern die Newcomer und Outsider. Noch Ende der neunziger Jahre verkündete der damalige Lufthansa-Chef Jürgen Weber pauschal, Deutschland sei kein Markt für Billigflieger. O’Leary spottete damals zurück: »Wie zum Teufel weiß er das? Die Deutschen werden nackt über zerbrochenes Glas robben, um sie zu kriegen.«

Marktrevolutionen werden aus Ideen gemacht

Als O’Leary durchstartete, hatte er wahrlich nicht viel in der Hand: Keine technologische Innovation. Kein einzigartiges Patent. Kein nennenswertes Kapital, dafür jede Menge Schulden. Er verfügte über keinerlei Marktmacht, war auf dem Radarschirm des Marktes nicht mehr als ein Staubkorn.

Ja, nicht einmal die Idee der Billigflieger war neu, sondern schon so alt wie guter Whiskey – zwölf Jahre –, als Michael O’Leary sich ihrer annahm. »Geborgt« war die von der texanischen Fluglinie Southwest Airlines. Zwölf lange Jahre lang war die Idee im Keller der Branche gereift – aber keiner der »alten Hasen« im Geschäft hatte sich darum gekümmert.

O’Leary gilt bestimmt nicht als schlauer, intelligenter, kreativer oder erfahrener als andere Airline-Manager. Dafür war O’Leary mit einer Extraportion freiem, radikalem Denken und Kaltschnäuzigkeit im Überfluss ausgestattet. Bei ihm paarten sich der frische Blick von außen mit einer wahrscheinlich angeborenen Respektlosigkeit vor Spielregeln aller Art. Als junger Student, so sagt man, ließ er seinen Mercedes als Taxi anmelden, um in Dublin auf der Busspur fahren zu dürfen … Und heute plant er bereits die ersten Transatlantikflüge nach New York, die nicht mehr kosten als zwei Schachteln Zigaretten, nämlich 10 Euro. O’Leary ist ein notorischer Andersdenker. Nicht umsonst nennen die Medien ihn den »irren Iren«, den »irischen Asterix«, den »Raubauz der Lüfte«.

Was unterscheidet die Spielstrategie von anderen Business-Strategien?

Es gibt natürlich viele bewährte Business-Strategien. Sie alle zeigen Wege, wie man Wachstum erreichen kann – allerdings innerhalb der gegebenen |20|»Rahmenbedingungen« des Marktes. Denken Sie beispielsweise an »Positionierung«. Die meisten Unternehmen beschäftigen sich heute mit der Frage, wie sie sich im Marktumfeld am besten positionieren sollten. Sie denken also ganz ähnlich wie ein Schachspieler, der seine Figuren auf dem Brett positioniert – oder ein Fußballteam, das sich auf dem Spielfeld positioniert.

Aber Positionierung setzt in keiner Weise voraus, die Spielregeln auf den Prüfstand zu stellen oder gar zu brechen. Genau hier liegt aber der Schwerpunkt der Spielstrategie.

Die Spielstrategie setzt genau da an, wo die meisten anderen Business-Strategien aus legitimen Gründen aufhören, nämlich bei den Spielregeln des Marktes – und wie man sie gezielt und systematisch verändern kann.

Die Spielstrategie rückt die Spielregeln ins Rampenlicht. Das ist neu. Der Grund dafür ist klar: Die größten aller Erfolgsstorys im Markt handeln von Firmen, die den Wachstumshebel bei den Spielregeln des Marktes angesetzt haben – so wie Ryanair.

Um dem strategischen Geheimnis solcher Firmen auf die Spur zu kommen, ist es also höchste Zeit, diese abstrakten und rätselhaften Spielregeln genauer zu beleuchten.

Es wäre verfehlt, die Spielstrategie als Ersatz für andere bewährte Strategie-Methoden zu verstehen. Sie ist eher eine Aufbau-Strategie für diejenigen, die im Markt Großes bewegen wollen, auch wenn sie nicht unbedingt über außergewöhnliche Ressourcen verfügen.

Gemacht ist die Spielstrategie für Andersdenker, Großdenker, Freidenker. Sie verspricht viele Inspirationen, um offener und radikaler über Wachstum nachzudenken, als es allgemein üblich ist. Die Spielstrategie soll helfen, sich aus alten Denkmustern zu lösen und das Denken zu befreien. Welcher Manager ist auf Dauer schon völlig frei von Denkschablonen, Scheuklappen und Tunnelperspektiven? Sie halten hiermit also eine Befreiungsfibel für den Kopf in den Händen. Sie illustriert mit vielen Fallstudien in vier strategischen Kapiteln, wie man das Spiel im Markt gestaltet, dominiert, steuert, verändert oder sogar neu erfindet. Die strategischen Erkenntnisse sind eingefasst in ein Denkmodell, das Nutzen bringen und Spaß machen soll.

|21|Das Spiel als strategisches Denkmodell

Wir beginnen – wie könnte es anders sein – mit einer ganz einfachen oder – besser gesagt – mit einer besonders komplizierten Frage, nämlich: Was ist ein Spiel? Obwohl jedes Kleinkind versteht, was Spielen bedeutet, braucht man anscheinend Philosophen und Enzyklopädien-Schreiber, Kultur- und Verhaltensforscher, Mathematiker und Nobelpreisträger, um sich einer vernünftigen Definition auch nur anzunähern. Ironischerweise klingen viele dieser Definitionsversuche so akademisch schwülstig und sperrig, dass ihnen die Frische, die Leichtigkeit und die Kreativität des Spiels völlig abgehen.

Für dieses Buch – und für unser Denkmodell – reicht glücklicherweise eine pragmatische und faustformelhafte Definition im Einzeiler-Format:

Unter einem Spiel verstehen wir jede ge-»regel«-te Art des Wettbewerbs.

Das reicht. Mehr Definition braucht es vorerst nicht. Dieser Einzeiler erfüllt seinen Zweck, weil er das für uns Entscheidende in den Mittelpunkt rückt: nämlich die Spielregeln. Denn die unterscheiden das Spiel von anderen, unge-regel-ten Formen des Wettbewerbs – beispielsweise primitive Auseinandersetzungen, die nach dem »Gesetz des Dschungels« ausgefochten werden.

Der Wettbewerb in den Märkten zählt immer noch zu den geregelten Formen des Wettbewerbs, auch wenn gelegentlich über skrupellosen »Raubtier-Kapitalismus« geklagt wird. Im Großen und Ganzen bezweifelt niemand, dass die oft zitierten »Regeln und Gesetze« des Marktes auch heute noch gelten. Grundsätzlich erfüllen Spielregeln im Wettbewerb also die wichtige Funktion, Ordnung zu schaffen.

Kurze Zeitreise zurück zum Ursprung aller Spielregeln

In grauer Vorzeit galt das »Gesetz des Dschungels«, in der heutigen Welt gibt es den ge-regel-ten Wettbewerb. Wie ist es zu diesem Wechsel gekommen? Wo kommen das Spiel und seine Regeln ursprünglich her?

Wissenschaftler bringen die Entstehung des Spiels mit dem Ursprung aller Kultur in Verbindung. Die Menschwerdung (Hominisation) basiert |22|auf vier wesentlichen Faktoren, nämlich (a) der Entwicklung von Sprache, (b) dem kompetenten Gebrauch von Werkzeugen, (c) der Zähmung des Feuers und (d) der Entwicklung von expliziten Regeln für das Zusammenleben. Kulturhistoriker sprechen vom »Homo ludens« – dem spielenden Menschen – und stellen ihn neben den »Homo sapiens«, den weisen Menschen. Im fortschreitenden Prozess der Menschwerdung wurden die primitiven »Gesetze des Dschungels« durch soziale Regeln abgelöst. Der Einzelne musste mit seinen egoistischen Interessen zunehmend hinter dem Wohl der Allgemeinheit zurückstecken. Interessenskonflikte wurden zunehmend auf eine ge-regel-te Weise gelöst.

Die Erfindung vom Spiel und seinen Regeln kennzeichnet also eine kulturhistorische Errungenschaft – und letztlich einen Meilenstein auf der langen Evolutionsstraße vom Affen zum Menschen.

Von da war es aber noch ein weiter Weg bis zu klassisch-formalen Spielen – also Würfel- oder Brettspielen und sportlichen Wettbewerben. Die ersten überlieferten Brettspiele datieren bis in das Jahr 2800 vor Christus zurück und führen uns ins alte Ägypten. Als die ersten geregelten sportlichen Wettbewerbe gelten die Olympischen Spiele, die 776 vor Christus erstmals in Griechenland ausgetragen wurden.

Die Spielregeln in den Märkten sind so alt wie die Märkte selbst. Schon als in den Städten früher Kulturen die ersten Marktplätze entstanden, gab es so etwas wie einen Verhaltenskodex, der das jeweilige Verhandlungsspiel »regelte«. Im Mittelalter waren es die Zünfte, die das Marktgeschehen regelten. Noch heute leben Fragmente des alten Ehrenkodex fort – in der guten alten hanseatischen Kaufmannsehre ebenso wie in der italienischen correttezza commerciale.

Warum es beim Spiel eine höhere zweite Spielebene gibt

Spielregeln wurden im Lauf der Zeit zunehmend ausdifferenziert und formalisiert, um einen ordentlichen Rahmen um den Wettbewerb herum zu bauen. Ihre Funktion bestand darin, die Art und Weise zu regeln, wie Verhandlungen, Interessenskonflikte und Wettbewerbe ausgetragen werden. Spielregeln regeln das Verhalten der am Spiel beteiligten Parteien.

Damit dieses kulturhistorische Prinzip funktionieren kann, muss allerdings eine logische Prämisse erfüllt sein: Diese Spielregeln müssen außerhalb |23|der Reichweite der Mitspieler liegen. Was taugt die beste Ordnung, wenn die Mitstreiter – oder einige Privilegierte unter ihnen – nach den Regeln greifen können, um sie nach eigenem Belieben zu verändern, womöglich noch im laufenden Wettbewerb? Damit wäre die Idee der Ordnung ad absurdum geführt. Es ist daher ganz logisch zu fordern, dass die Spielregeln für die Mitspieler selbst »tabu« sein müssen.

Selbst die größten Egomanen, Quertreiber und Individualisten unter den Spielern dieser Welt respektieren das Tabu, das die Spielregeln umgibt. Erinnern Sie sich an den Tennis-Wüterich John McEnroe, den Fußball-Choleriker Zinedine Zidane und den boxenden Ohrenbeißer Mike Tyson: Sie waren oft zornig über die Auslegung von Spielregeln – aber die Regeln selbst haben sie nie infrage gestellt. Haben Sie jemals von einem Spitzensportler gehört, der die Spielregeln stürzen, revolutionieren oder neu erfinden wollte? Eben: Die Spielregeln genießen für den Mitspieler einen geradezu »heiligen« Status.

Und die Mitspieler in den Märkten? Die haben einen vergleichbaren Respekt vor den »Regeln und Gesetzen« des Marktes. Jeder will ein möglichst gutes Spiel spielen, will seine Stärken im Wettbewerb nach allen Regeln der Kunst ausspielen. Unternehmen investieren ein Vermögen in Markt- und Trendforschung, um die Regeln und Gesetze des Marktes besser zu verstehen, um sich besser darauf einstellen und sich enger daran orientieren zu können. Aber der Griff nach den Regeln und Gesetzen des Marktes liegt auch für viele Manager und Unternehmer in einer Tabuzone des Denkens. Und das ist im Großen und Ganzen auch gut so.

Es muss offensichtlich eine höhere zweite Spielebene geben, eine Metaebene, auf der die Spielregeln ersonnen, gestaltet, verwaltet und überwacht werden. Bei klassisch-formalen Spielen liegt die »Hoheit« über die Spielregeln bei externen Autoritäten. Sie heißen FIFA beim Fußball, FIDE beim Schach oder FIA in der Formel 1. Die Organisationen genießen die Macht, Spielregeln zu definieren, zu modifizieren, zu verändern, zu verwerfen oder umzugestalten. Im Vokabular der Spielstrategie heißen sie die »Masters of the Game«.

Bei klassisch-formalen Spielen sitzen die Spielmacher (oder: Masters of the Game) auf der zweiten Spielebene. Die zweite Spielebene ist somit die Steuerungs-, Kontroll- oder Machtebene im Spiel.

|24|Erster Besuch der zweiten Ebene: wie Regelmacher Regeln machen

Zur Eingewöhnung an diese momentan noch etwas rätselhafte zweite Spielebene lässt sich kurz am Beispiel des Fußballsports nachvollziehen, was da genau passiert.

Kurz vorab: Das Fußballspiel wurde im frühmittelalterlichen England erfunden. Zwei benachbarte Dörfer versuchten damals, einen Ball in das gegnerische Stadttor zu befördern. Das Fußballfeld war die Fläche zwischen den Dörfern. Spielregeln gab es zu der Zeit noch nicht.

Jetzt begeben wir uns gedanklich auf die zweite Spielebene und zappen hier oben im Zeitraffer durch die Entstehungsgeschichte der Fußballspielregeln, schauen also den »Regelmachern« von damals und heute über die Schultern. Alles begann, als einige Cambridge-Studenten die ersten Fußballregeln definierten. Danach bestand eine Mannschaft aus 15 bis 20 Spielern. 1863 gründeten Fußballbegeisterte in London die »Football Association« (FA) mit einem umfangreichen Regelwerk. 1866 wurde die Abseitsregel verändert: Ein Spieler befand sich nur noch dann im Abseits, wenn er bei der Ballannahme weniger als drei Gegner vor sich hatte. Im gleichen Zeitraum wurden Eckball und Freistoß eingeführt. 1870 begrenzte die FA die Zahl der Spieler auf elf. Ein Jahr später verbot der englische Fußballverband allen Feldspielern das Handspiel. Damals spaltete sich der American Football als eigene Sportart ab und löste sich von dem Prinzip des Toreschießens mit den Füßen; stattdessen wurde der Touchdown eingeführt. Der Strafstoß folgte 1891, die Abstufung des Strafkataloges für ein vorsätzliches und absichtliches Foulspiel entstand 1897 und die Verlängerung gibt es seit 1897. 1896 wurde in den »Jenaer Regeln« festgelegt, dass in Deutschland die Spielfelder frei von Bäumen und Sträuchern sein müssen. Seit 1924 darf ein Eckball direkt in ein Tor verwandelt werden. Seit 1970 gibt es die gelben und roten Karten. 1996 wurde zum ersten Mal das »Golden Goal« bei einer Fußball-Europameisterschaft eingeführt. Es besagt, dass mit dem ersten Tor in einer Verlängerung das Fußballspiel beendet ist.

Dieser Exkurs auf die zweite Spielebene macht bewusst, wie »fremd« sie uns eigentlich ist. Bei einem Spiel denken die meisten reflexartig an das, was auf der ersten Spielebene, dem Spielfeld, passiert. Die Innenperspektive des Spiels ist jedermann vertraut.

|25|Von der zweiten Spielebene aus entsteht aber ein ganz neuer Blickwinkel, die Außenperspektive auf das Spiel. Dieser Perspektivwechsel ist spannend, denn:

Aus der Innenperspektive sehen Spielregeln immer wie feste Rahmenbedingungen aus – oder sogar wie unumstößliche Naturgesetze. Von der zweiten Spielebene aus sind Spielregeln eher das genaue Gegenteil: nämlich kreative Gestaltungs- und Steuerungsinstrumente.

Eine reizvolle Vorstellung: Um 1870 herum saßen die Mitglieder der Londoner Football Association zusammen und erfanden Fußballregeln. Sie waren die Spiel- und Regelmacher, konnten all ihre Ideen, Ideale und Vorstellungen einbringen. Womöglich trafen sie sich abends beim Bier im Pub. Leicht vorstellbar, wie sie damals über den Elfmeter diskutierten und sich überlegten, ob nicht ein Dreizehnmeter oder ein Fünfzehnmeter zweckmäßiger wäre. Gut möglich, dass sie per Handzeichen darüber abgestimmt haben. Natürlich, das sind Spekulationen. Aber sie machen überdeutlich, was den Spielgestalter von einem normalen Mitspieler unterscheidet. Der Spielgestalter sieht Spielregeln ganz nüchtern als Instrumente an, um das Spiel nach gewissen Idealvorstellungen zu gestalten.

Ganz anders der typische Fußballspieler oder Fußballfan. Er konzentriert sich voll und ganz auf die Innenperspektive des Spiels. Er ist »verstrickt« in das Spiel und seine Emotionen. Er ist meist der größte Gegner von Regeländerungen, weil ihm die Regeln heilig sind. Diskutieren Sie einmal mit einem Fußballfan darüber, ob der Fußballsport nicht eine große Regelreform brauchen könnte. Sehr wahrscheinlich werden Sie ihm Blut, Schweiß und Tränen ins Gesicht treiben. Für ihn sind die Spielregeln nun mal unantastbar. Sie liegen in einer Tabuzone des Denkens.

Wie Spielgestalter das Spiel planvoll steuern und lenken

Das Fußballbeispiel hat gezeigt, welch mächtige Gestaltungsmöglichkeiten auf der zweiten Spielebene bestehen. Jetzt geht es darum, die Regel- |26|und Spielmacher als strategische Denker und Planer kennen zu lernen. Sie treffen ihre Festlegungen mit Kalkül, weil sie das Spiel planvoll in eine bestimmte Richtung steuern wollen. Sie greifen in die Strukturen und Mechanismen des Wettbewerbs ein und können dabei das Kräfteverhältnis zwischen den Mitspielern verändern oder sogar dramatisch verschieben.

Ein Beispiel dafür ist die Formel 1, die ja bekanntlich nicht nur ein faszinierender Sport, sondern – ganz nebenbei – auch ein Milliarden-Business ist.

Auf der zweiten Spielebene findet sich zum einen die Betreibergesellschaft SLEC, rund um die kauzige Gründer-Legende Bernie Ecclestone – und zum anderen natürlich die FIA, der Dachverband.

Diese Formel-1-Funktionäre sind immer im Einsatz, um das komplexe Regelwerk ständig weiterzuentwickeln. Fast jedes Jahr wird ein ganzes Paket voller neuer Spielregeln verabschiedet. Dabei lassen sich die Regelmacher natürlich von legitimen geschäftlichen Interessen leiten. Sie analysieren das Spiel und entwickeln es planvoll weiter, damit es für den Massenmarkt spannend bleibt – und immer neue Zielgruppen anzieht. Ein spezifisches Interesse, das die Regelmacher umtreibt, wird hier herausgegriffen, weil es für unsere Betrachtung besonders interessant ist, nämlich:

Die Formel 1 soll eher ein sportlicher »Wettbewerb der besten Fahrer« sein als ein »Wettbewerb der Hightech-Ingenieure«.