Spionin wider Willen (Sammelband 1) - Mila Roth - E-Book

Spionin wider Willen (Sammelband 1) E-Book

Mila Roth

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Beschreibung

"Nehmen Sie diesen Umschlag. Bringen Sie ihn nach Bonn zu Axel Wolhagen. Die Adresse finden Sie im Telefonbuch. Händigen Sie nur ihm – niemand anderem – den Umschlag aus. Geben Sie ihn unter keinen Umständen jemand anderem als Axel Wolhagen. Lassen Sie sich seinen Ausweis zeigen. Und kein Wort darüber – zu niemandem!" "Aber …" "Tun Sie es einfach!" Stell dir vor, du willst nur jemanden vom Flughafen abholen, und plötzlich steht dieser gut aussehende Fremde vor dir, drängt dir einen Umschlag mit einer DVD auf und verlangt, dass du ihn jemandem übergibst. Würdest du den Umschlag annehmen und den Auftrag ausführen? Und was, wenn du dadurch ins Fadenkreuz einer internationalen Terrorvereinigung gerätst? Genau das passiert der 32-jährigen Janna Berg aus der kleinen Stadt Rheinbach bei Bonn. Ehe sie sich versieht, findet sie sich inmitten von Geheimdiensten, gefährlichen Terroristen und Kriminellen wieder und muss um ihr Leben fürchten. Und als wäre das nicht genug, wirbelt der attraktive und rätselhafte Geheimagent Markus Neumann auch noch ihre Gefühlswelt ordentlich durcheinander. Dieser Sammelband enthält die Bände 1-3 der erfolgreichen Agententhriller-Serie "Spionin wider Willen" ungekürzt: Spionin wider Willen Von Flöhen und Mäusen Freifahrtschein  ==============  Spionin wider Willen Janna Berg, 32, Pflegemutter von achtjährigen Zwillingen, will eigentlich nur ihre Schwester vom Flughafen Köln-Bonn abholen. Doch plötzlich steht ein gut aussehender Fremder vor ihr und drängt ihr einen Umschlag mit einer DVD auf. Widerwillig nimmt sie den Umschlag an, nicht ahnend, dass sie sich damit ins Fadenkreuz einer internationalen Terrorvereinigung begibt. Der attraktive Geheimagent Markus Neumann setzt alles daran, die DVD zurückzubekommen und das Rätsel um deren Inhalt zu lösen. Doch dann scheint ausgerechnet Janna den Schlüssel zur Lösung des Geheimnisses zu kennen. Und das bringt die beiden in Lebensgefahr … Von Flöhen und Mäusen Aus einer Datenbank werden hochsensible Steuerdaten von Bankern und Politikern gestohlen. Rasch führen erste Spuren zu einem bekannten Rheinbacher Steuerberater. Doch dieser ist offiziell über jeden Verdacht erhaben. Das »Institut« steht vor einem Problem, denn die Ermittlungen geraten ins Stocken. Dann stellt sich heraus, dass ausgerechnet Janna Berg, Zivilistin und Pflegemutter zweier Kinder, Verbindungen zu der Zielperson hat. Obwohl es ihm alles andere als recht ist, muss Agent Markus Neumann sie überreden, dem Geheimdienst noch einmal zu helfen. Janna stimmt zu, aber damit fangen die Probleme erst an … Freifahrtschein Während eines Besuchs auf dem Jahrmarkt trifft Janna Berg auf zwei alte Bekannte: Die Geschwister Alim und Abida sind Mitglieder der terroristischen Gruppierung Söhne der Sonne und scheinen etwas im Schilde zu führen. Der Geheimdienst schickt Markus Neumann, um der Sache auf den Grund zu gehen. Zusammen mit Janna soll er sich als Mitarbeiter des Meinungsforschungsinstituts ausgeben und eine Umfrage unter den Schaustellern durchführen. Rasch finden die beiden heraus, dass die Terroristen offenbar einen Anschlag auf eines der Fahrgeschäfte planen. Um das Schlimmste zu verhindern, müssen Janna und Markus ihre Tarnung sogar noch ausweiten … mit überraschenden Folgen.

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Table of Contents

Spionin wider Willen

Impressum

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Von Flöhen und Mäusen

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Freifahrtschein

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Mila Roth

Spionin wider Willen

Fall 1 für Markus Neumann und Janna Berg

 

 

 

Always expect the unexpected!

Erwarte stets das Unerwartete!

Impressum

 

Spionin wider Willen (Sammelband 1)

 

eBook Edition, 1. Auflage November 2024

Copyright © Mila Roth (Pseudonym)

Herausgeberin: Petra Schier, Lerchenweg 6, 53506 Heckenbach

www.mila-roth.de | [email protected]

Cover-Design unter Verwendung von Abbildungen von Adobe Stock

© illustrart / © paunovic / © elnavegante / © adidesigner23 / © tiero / © Creativa Images

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten.

Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin möglich.

Die Personen und Handlungen im vorliegenden Werk sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Erwähnungen von historischen bzw. realen Ereignissen, realen Personen oder Orten sind rein fiktional.

 

Haftungsausschluss: Die Autorih übernimmt keine Haftung für Schäden, die durch die Anwendung der Inhalte entstehen.

1

Bonn, Reuterstraße

Hinterhof eines Wohnhauses

Sonntag, 17. Juli, 4:46 Uhr

Die Straßenbeleuchtung warf fahles Licht gegen die Hauswände, drang jedoch nicht bis in den dunklen Hinterhof des schmucklosen Mehrfamilienhauses. Alles war ruhig, nicht einmal das an Wochentagen so beständige Summen des Straßenverkehrs drang an Markus Neumanns Ohr. Zum wiederholten Mal warf er einen Blick auf das Leuchtziffernblatt seiner Armbanduhr und fluchte innerlich. Bernd ließ sich Zeit. Zu viel Zeit. In weniger als einer Stunde würde es hell werden. Sie hatten geplant, die Übergabe noch vor Sonnenaufgang durchzuführen, damit Bernd im Schutz der Dunkelheit wieder verschwinden konnte.

Als Markus das Geräusch sich rasch nähernder Schritte vernahm, hob er den Kopf; sein Körper spannte sich an; seine Hand wanderte automatisch unter die schwarze Lederjacke und schloss sich um den Griff seiner Waffe.

Die Schritte wurden langsamer, dann erklang unvermittelt ein kurzer, markanter Pfiff. Markus antwortete auf die gleiche Weise und trat aus dem Schatten der Hausecke auf die leicht untersetzt wirkende Gestalt zu. »Frühaufsteher?«, raunte er.

»Nachtschwärmer«, kam die vereinbarte Losung. Sein Gegenüber war deutlich außer Atem. »Hier.«

Markus nahm einen braunen, gepolsterten Briefumschlag entgegen. »Irgendwelche Probleme?«, wollte er wissen.

»Ich hoffe nicht«, antwortete sein Kollege. »Verfolger habe ich keine bemerkt.«

»Okay, ich bringe Axel den Umschlag so schnell wie möglich. Sieh zu, dass du wieder untertauchst, Bernd.«

»Worauf du dich verlassen kannst. Sag Axel, er soll …«

Ein dumpfer Knall ließ beide Männer zusammenzucken. Bernds Augen weiteten sich, er erstarrte, rang nach Atem, wollte etwas sagen. Doch nur noch ein Gurgeln kam aus seiner Kehle, dann brach er tot zusammen.

Markus fluchte, sprang mit einem Satz hinter die Hausecke zurück. Sie hatten ihn natürlich längst entdeckt. Schritte klackten auf dem Bürgersteig. Markus erlaubte sich keinen weiteren Blick auf seinen toten Kollegen. Er schob den Umschlag unter seine Jacke, durchquerte den kleinen Hof, überwand eine schon leicht bröckelige mannshohe Steinmauer. Dann rannte er.

2

Außenbezirk von Rheinbach

Gut Tomberg (ehemaliger Gutshof)

Sonntag, 17. Juli, 6:27 Uhr

 

Das wiederholte Krähen des Hahnes aus dem Garten ihrer Mutter weckte Janna Berg aus angenehmen Träumen. Eine kühle Brise wehte durch das gekippte Fenster ihres Schlafzimmers herein. Die Luft roch nach Regen. Seufzend drehte Janna sich auf die Seite und warf mit einem Auge einen Blick auf ihren Wecker. Dann fiel ihr ein, dass Sonntag war und sie endlich einmal ausschlafen durfte, weil die Kinder drüben bei Jannas Eltern übernachteten.

Mit einem Lächeln zog sie sich die Decke bis zur Nasenspitze hoch und versank gerade wieder in ihren wohlverdienten Schlaf, als das Telefon neben ihr auf dem Nachttisch klingelte.

Stöhnend presste sie ihr Gesicht ins Kissen, angelte aber gleichzeitig nach dem Hörer. Nach einem Blick auf das Display verdrehte sie die Augen. Sie setzte sich auf und räusperte sich, bevor sie den Anruf annahm. »Hallo Feli. Hast du mal auf die Uhr geschaut?«

Das fröhliche Lachen ihrer jüngeren Schwester erklang am anderen Ende der Leitung. »Guten Morgen, Janna. Tut mir leid, hab ich dich etwa geweckt?«

»Es ist Sonntag!«

»Du bist doch sonst auch immer … O je, die Kinder sind bei Mama und Papa, nicht wahr? Tut mir wirklich leid, daran hab ich nicht gedacht. Du hast ja nur so selten Gelegenheit, dich mal richtig auszuschlafen. Ich wüsste gar nicht, wie ich das mit den beiden Rabauken aushalten sollte. Versteh mich nicht falsch, sie sind ja wirklich lieb und alles … Aber ich wüsste nicht, wie … Ach, was soll’s. Hör zu: Du musst mich abholen kommen.«

»So, muss ich das?« Janna schmunzelte über den Redestrom ihrer Schwester. Wenn Feli aufgeregt war, quasselte sie ohne Punkt und Komma. Eine Eigenschaft, die in der weiblichen Linie ihrer Familie weit verbreitet war. Sie selbst hatte sich auch schon vielfach dabei ertappt.

»Ja, klar. Ich rufe nämlich aus dem Flugzeug an. Dubai war ein Traum, sag ich dir! Aber der Rückflug – grässlich anstrengend. Ich habe ewig lange warten müssen und auch keinen Direktflug bekommen. Deshalb musste ich eben hier in Paris umsteigen. Wir landen um kurz nach acht am Flughafen Köln-Bonn.« Ohne Luft zu holen, gab Feli auch noch das Terminal und weitere Details zu ihrem Flug durch und schloss mit den Worten: »Ich freu mich schon so, endlich wieder nach Hause zu kommen. Aber jetzt muss ich Schluss machen, wir starten nämlich gleich und ich muss mein Handy ausmachen. Bis nachher dann!« Ein Knacken in der Leitung verriet Janna, dass ihre Schwester das Gespräch beendet hatte. Sie war während des Telefonats bereits aufgestanden und hinüber ins Bad gegangen. In Windeseile wusch sie sich, fuhr sich ein paarmal mit der Bürste durch ihre kupferroten Locken und band sie im Nacken zu einem lockeren Zopf zusammen. Dann zog sie das nächstbeste Kleidungsstück aus ihrem Schrank – ein knöchellanges, gelb geblümtes Sommerkleid, das ihrer schlanken, grazilen Figur schmeichelte.

Zehn Minuten später eilte sie über den mit Natursteinen gepflasterten Hof hinüber zum alten Gutsgebäude – dem Wohnhaus ihrer Eltern. Wie erwartet war die Hintertür unverschlossen; ihre Mutter werkelte bereits in der von Kaffeeduft erfüllten Küche. »Guten Morgen, Mama«, grüßte Janna und gab ihrer Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

»Nanu, was machst du denn schon hier?«, wunderte Linda Berg sich und reichte ihrer Tochter eine der frischgebackenen Waffeln, die sie gerade zubereitete. »Wolltest du nicht ausschlafen?«

»Feli hat angerufen. Sie landet in etwa einer Stunde in Köln-Bonn. Ich soll sie abholen.«

»Feli kommt nach Hause? Was für eine Überraschung!« Linda strahlte. »Ich dachte, diese Fotoreise dauert noch drei oder vier Wochen.« Ein besorgter Ausdruck stahl sich in ihre Augen. »Sie wird den Job doch nicht etwa hingeschmissen haben?«

Janna zupfte ein Stückchen von ihrer Waffel ab und schob es sich in den Mund. »Ich hoffe nicht. Sie klang ganz fröhlich und zufrieden.« Kurz blickte sie auf ihre Armbanduhr. »Ich muss los. Hoffentlich ist nicht wieder Stau auf der A59.«

»So früh am Sonntagmorgen bestimmt nicht«, erwiderte Linda. »Aber fahr trotzdem vorsichtig! Und zieh dir eine Jacke an. Es soll heute nicht gerade warm werden und wahrscheinlich auch noch regnen.«

»Mach ich!« Janna griff kurzerhand nach der braunen Strickjacke ihres Vaters, die über einer der Stuhllehnen am Küchentisch hing, und warf sie sich über. Dann wandte sie sich wieder zur Tür. »Heb mir ein paar Waffeln auf, ja?«

»Natürlich. Kommt Sander später vorbei?«

Obwohl Janna bereits so gut wie zur Tür hinaus war, hielt sie inne und drehte sich noch einmal um. »Ja, Mama, er kommt heute Nachmittag vorbei. Wir wollen mit Till und Susanna in den Freizeitpark gehen.«

»Warum hast du ihn nicht schon zum Mittagessen eingeladen? Es wäre doch nett, wenn die ganze Familie …«

»Mama.« Janna schüttelte leicht den Kopf.

Linda legte den Kopf schräg. »Was denn? Sander gehört doch so gut wie zur Familie.«

Janna seufzte. »Ich weiß. Aber deswegen müssen wir doch nicht ununterbrochen zusammen sein. Wir werden einen netten Nachmittag miteinander verbringen, das reicht doch. Und jetzt muss ich wirklich los.« Um weitere Diskussionen zu vermeiden, schloss Janna die Tür hinter sich und eilte hinüber zu ihrem dunkelblauen 5er Golf.

***

Konrad-Adenauer-Flughafen Köln/Bonn

Sonntag, 17. Juli, 8:15 Uhr

 

Vorsichtig öffnete Markus Neumann die Tür der Herrentoiletten am Terminal eins und blickte wachsam erst in die eine, dann in die andere Richtung. Nachdem er von seinen Verfolgern stundenlang quer durch Bonn und Köln gejagt worden war, hatte er den Flughafen angesteuert. Er hatte sie nicht abgehängt, das wusste er. Sie suchten das Flughafengelände nach ihm ab, und sie waren zu dritt. Aber hier konnte er im Notfall auf die Hilfe der patrouillierenden Bundespolizisten zurückgreifen. Doch damit würde seine Tarnung auffliegen, und das wollte er möglichst vermeiden. Er blickte prüfend an sich hinab. Die graublaue Montur der Reinigungskräfte war, so hoffte er, unauffällig genug, um ihn weitgehend unsichtbar zu machen. Leider waren ihm Hemd und Hose etwas zu kurz, was ihm bei seiner Körperlänge von 192 cm nicht verwunderlich erschien. Die meisten Mitglieder der Putzkolonne waren offensichtlich ein gutes Stück kleiner als er.

Da er weit und breit keinen seiner Verfolger ausmachen konnte, trat er aus seinem Versteck und ging langsam und möglichst unauffällig die Ladenstraße am Terminal entlang. Viele Menschen waren bereits unterwegs, obgleich es noch früh am Morgen war. Die Ferienzeit war angebrochen; ankommende und abreisende Urlauber gaben sich in den Shops der Ladenzeile beinahe wortwörtlich die Klinke in die Hand. Als er einen Lederwaren-Shop erreicht hatte, sah er einige Meter vor sich einen der drei Männer, die ihn so hartnäckig verfolgten. Markus stieß einen tonlosen Fluch aus und sprang in den Eingang des Shops. Dabei rempelte er eine ältere Dame an, die ihn dafür mit unfreundlichen Worten auf Niederländisch bedachte. Ohne sie weiter zu beachten, lugte er vorsichtig in die Ladenstraße und konnte gerade noch beobachten, wie sein Verfolger ein Fastfood-Restaurant betrat.

Ohne zu zögern, lief Markus los – in die entgegengesetzte Richtung. Mehrfach stieß er mit Passanten zusammen, entschuldigte sich halbherzig und eilte weiter. Als er Terminal zwei erreichte, ging er schnurstracks in das nächstbeste Café und setzte sich an einen der Tische direkt am Eingang. Von hier aus hatte er einen guten Überblick über die vorbeiflanierenden Reisenden. Er musste wieder vom Flughafengelände herunter, möglichst, ohne seine drei Freunde auf sich aufmerksam zu machen. Sollten sie lieber noch ein Weilchen die Terminals nach ihm absuchen.

In einiger Entfernung sah er erneut den Mann von eben, einen drahtigen Kerl etwa Anfang vierzig mit sonnengebräunter Haut, kurzen schwarzen Locken und dichtem Schnauzbart. Diesmal betrat er einen der Bekleidungsläden. Ärgerlich verzog Markus die Mundwinkel und fluchte erneut lautlos. Diese Typen waren lästiger als Schmeißfliegen – und zehnmal anhänglicher. Wenn er nicht in Bewegung blieb, würden sie ihn bald aufspüren, dann wäre der wertvolle Inhalt des Umschlags verloren.

In seinem Kopf arbeitete es, sein Blick wanderte suchend über die Gesichter der Menschen, die das Terminal bevölkerten. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass seine drei Verfolger sich offenbar entschlossen hatten, ab jetzt gemeinsam nach ihm zu suchen, anstatt das Gelände getrennt zu durchkämmen. Sie kamen langsam in seine Richtung.

Markus ballte die Hände zu Fäusten, presste die Lippen zusammen. Etwas musste ihm einfallen, und zwar schnell! Als er sich erneut nach allen Seiten umsah, fiel sein Blick auf die schlanke Gestalt einer rothaarigen Frau ohne Gepäck, die gerade eine der großen Anzeigetafeln studierte und offenbar auf jemanden wartete. Sie trug ein hübsches gelbes Kleid und eine unpassend große Männerstrickjacke, die ihre schlanke Gestalt wie ein Sack umgab. Nicht gerade ein Musterbeispiel für Haute Couture, doch zumindest wirkte sie unauffällig.

Mit einem Blick in Richtung der Ladenstraße versicherte sich Markus, dass seine Verfolger ihn noch nicht entdeckt hatten, dann stand er auf und verließ das Café.

***

Janna studierte die große Anzeigetafel, entdeckte den Flug, den Feli ihr genannt hatte. Das Flugzeug war bereits gelandet. Natürlich würde es noch ein Weilchen dauern, bis sie ihre Schwester in Empfang nehmen konnte, aber sie war froh, es tatsächlich rechtzeitig hierher geschafft zu haben. Vielleicht sollte sie sich die Wartezeit mit einer Tasse Kaffee und einem Croissant oder Muffin vertreiben. Die Waffel, die ihre Mutter ihr vorhin zugesteckt hatte, zählte als Frühstück nicht – sie hatte lediglich Jannas Appetit geweckt.

Sie blickte sich nach einem Bistro um und erschrak, als unvermittelt ein hochgewachsener, breitschultriger Mann mit dunkelbraunem Haar und in der Montur der Flughafenreinigungskräfte neben ihr auftauchte und sie am Arm berührte. »Hey, was soll das?« Unwillkürlich machte sie einen Schritt rückwärts, was jedoch nur dazu führte, dass der Fremde ihr folgte und seinen Griff um ihren Arm leicht verstärkte. Er zog sie nicht ganz sanft mit sich.

»Regen Sie sich bitte nicht auf«, sagte er in beschwörendem Ton. »Gehen Sie einfach ein Stückchen mit mir – dort hinüber zum Café.«

»Was soll das? Sind Sie verrückt geworden?« Janna versuchte erneut, sich ihm zu entziehen. »Lassen Sie mich sofort los!«

»Bitte …« Der Fremde suchte ihren Blick. »Sie müssen mir helfen. Ich werde … Ich bin in Schwierigkeiten.«

Janna starrte ihn für einige Sekunden sprachlos an. Dann schüttelte sie energisch den Kopf. »Soll das ein Witz sein? Ist das hier die versteckte Kamera?«

»Bitte!«, wiederholte er mit Nachdruck. »Begleiten Sie mich einfach in das Café. Ich muss mit Ihnen reden. Es ist sehr wichtig!« Unter seinem beschwörenden Blick begann sich Janna zunehmend unwohl zu fühlen. Die Augen des Mannes waren von einem undefinierbaren Braunton mit grauen und grünen Einsprengseln. Und sie wirkten überraschend aufrichtig.

Der Griff um ihren Arm verstärkte sich erneut. »Bitte!«, wiederholte der Mann nun noch dringlicher. »Kommen Sie mit!«

Janna konnte sich nicht erklären, weshalb sie auch nur in Erwägung zog, der Aufforderung dieses Fremden Folge zu leisten, doch sein gehetzter und gleichzeitig so irritierend ehrlicher Blick veranlasste sie dazu, ihm tatsächlich in Richtung des Cafés zu folgen. »Also gut«, sagte sie. »Womit kann ich Ihnen helfen?«

Der Mann zog sie mit sich an einen der wenigen Tische, die noch frei waren. Als sie sich setzten, rückte er seinen Stuhl so, dass er den Eingang im Auge behalten konnte. »Hören Sie gut zu«, begann er mit gesenkter Stimme und zog gleichzeitig einen braunen, gepolsterten Briefumschlag unter seinem Hemd hervor. Dabei blitzte an seinem Hosenbund etwas auf, von dem Janna entsetzt hoffte, dass es sich nicht wirklich um eine Waffe handelte.

Er schob ihr den Umschlag hin und sah erneut zur Tür, dann suchte er wieder ihren Blick. »Nehmen Sie diesen Umschlag. Bringen Sie ihn nach Bonn zu Axel Wolhagen. Die Adresse finden Sie im Telefonbuch. Händigen Sie nur ihm – niemand anderem – den Umschlag aus.«

Nun war es an Janna, sich zur Tür umzudrehen und danach ihre übrige Umgebung ins Auge zu fassen. »Das ist ja wohl wirklich ein Scherz, oder? Wo sind die Kameras?«

»Hören Sie, das ist kein Scherz, sondern eine Angelegenheit von enormer Wichtigkeit. Tun Sie einfach, was ich gesagt habe. Axel Wolhagen in Bonn. W-O-L-H-A-G-E-N«, buchstabierte er. »Verstanden? Die Adresse steht im …«

»Telefonbuch. Natürlich habe ich das verstanden. Aber was um alles …« Janna sah erstaunt zu ihm auf, da er sich schon wieder erhoben hatte. »Wohin gehen Sie?«

Er drehte sich noch einmal zu ihr um. »Geben Sie den Umschlag unter keinen Umständen jemand anderem als Axel Wolhagen. Lassen Sie sich seinen Ausweis zeigen. Und kein Wort darüber – zu niemandem!«

»Aber …«

»Tun Sie es einfach!« Damit verließ er das Café und wandte sich nach rechts. Gerade als er aus Jannas Blickfeld verschwunden war, sah sie drei südländisch aussehende Männer von links vorbeirennen. Rasch stand sie auf und verließ das Café. Sie hörte empört protestierende Stimmen der Reisenden, die von den drei Männern unsanft beiseite gestoßen wurden. Halb aus Neugier, halb entsetzt lief sie ebenfalls ein Stück in die gleiche Richtung und schnappte entgeistert nach Luft, als sie beobachtete, wie einer der Verfolger den hochgewachsenen Mann auf der Rolltreppe stellte und in die Seite boxte. Bevor jemand auf die beiden aufmerksam werden konnte, waren sie bereits wieder von der Rolltreppe herunter. Die drei Verfolger umringten den Mann in Putzuniform und stießen ihn vor sich her in Richtung der Treppen. Janna war sich nicht sicher, doch es sah so aus, als hielte einer der Drei dem Gefangenen eine Schusswaffe gegen die Rippen.

Ihr wurde eiskalt und heiß zugleich. Zischend stieß sie die Luft aus, von der sie gar nicht bemerkt hatte, dass sie sie angehalten hatte. Ihr Herz hämmerte rasend schnell in ihrer Brust. In was um alles in der Welt war sie da gerade hineingeraten? Eine Entführung? Oder ein anderes Verbrechen? Unschlüssig blickte sie auf den braunen Umschlag. Sollte sie ihn nicht am besten einem der patrouillierenden Polizisten übergeben? Was, wenn der Inhalt gefährlich war? Illegal? Würde sie sich strafbar machen, wenn sie ihn behielte? Vorsichtig tastete sie den Umschlag ab. Der Inhalt fühlte sich hart an und leicht, wie die Hülle einer CD.

Nervös knabberte sie an ihrer Unterlippe, dann fiel ihr ein, weshalb sie eigentlich hier am Flughafen war. Ihre Schwester würde gleich aus der Abfertigung kommen. Nachdenklich drehte sie den Umschlag in ihren Händen. Warum nur hatte sie ihn angenommen und noch dazu versprochen, ihn an diesen Axel Wolhagen auszuliefern? Wobei … eigentlich hatte sie es ja nicht versprochen. Dieser Mann hatte sie dazu gedrängt. Sie konnte noch immer hingehen und den Umschlag in den nächstbesten Mülleimer werfen. Oder doch der Polizei übergeben. Ja, Letzteres war sicher das Beste.

Dennoch zögerte Janna. Vor ihrem inneren Auge tauchte wieder das Gesicht des Fremden auf, seine seltsamen braunen Augen, sein intensiver Blick. Er hatte nicht wie ein Verbrecher gewirkt. Eher wie … Sie wusste es nicht. Schließlich hatte sie auch noch niemals in ihrem Leben mit leibhaftigen Gangstern zu tun gehabt.

Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr und meinte, in einiger Entfernung einen der drei Verfolger zu erkennen. Instinktiv schob sie den Umschlag in ihre Umhängetasche und verschloss den Reißverschluss. Als sie sich umdrehte, um nach einem Ort zu suchen, an dem sie sich unsichtbar machen konnte, hörte sie jemanden freudig ihren Namen rufen. Im nächsten Moment wurde sie erneut unsanft herumgerissen und heftig umarmt.

»Janna!«, rief Felicitas und drückte sie übermütig an sich. »Bin ich froh, endlich wieder zu Hause zu sein!«

3

Außenbezirk von Rheinbach

Gut Tomberg

Sonntag, 17. Juli, 12:10 Uhr

 

»Warum ist Feli denn nicht gleich mit hierhergekommen?«, beschwerte sich Jannas Mutter. »Ich habe mich schon so gefreut, sie wiederzusehen, und für eine Person mehr ist auch immer genug zu essen da. Du hättest sie wirklich überreden sollen, Janna. Immerhin ist das Kind jetzt schon mehr als zwei Monate in der Weltgeschichte herumgejettet. Da hätte ihr ein ordentliches, selbst gekochtes Mittagessen bestimmt gutgetan. Janna? Janna, hörst du mir überhaupt zu?« Linda drehte sich vom Herd weg, an dem sie eifrig hantierte, und blickte mit gerunzelter Stirn auf ihre Tochter, die sich über ein Telefonbuch beugte. Dann wandte sie sich an ihren Mann, der neben Janna am Küchentisch saß und in der Sonntagszeitung las. »Nun sag doch auch mal was, Bernhard! Findest du nicht auch, dass Janna ihre Schwester hätte mitbringen müssen?«

Bedächtig ließ Bernhard Berg seine Zeitung sinken und faltete sie ordentlich zusammen, bevor er antwortete. »Sicher, Linda, das hätte sie. Wie ich sie kenne, hat sie es auch bestimmt versucht. Aber du kennst doch unsere Feli. Wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, bringt sie so leicht niemand davon ab. Eine typische Eigenart der Berg-Frauen, wie ich anfügen möchte.« Liebevoll lächelte er seiner Frau zu. Er war ein Mann von mittlerer Größe, schlank mit ehemals blonden, nunmehr ergrauten Locken, die er seiner älteren Tochter vererbt hatte. Das leuchtende Kupferrot hingegen hatte sie von ihrer Mutter, ebenso wie ihre offene, zupackende und stets fröhliche Art. Momentan jedoch wirkte sie alles andere als heiter. Bernhard sah seiner Tochter an, dass etwas sie beschäftigte. »Wen oder was suchst du denn im Telefonbuch, Schätzchen?«

Janna hob kaum den Kopf. »Nichts Besonderes«, antwortete sie etwas zerstreut. »Sag mal, Papa, weißt du zufällig, wo in Bonn die Angelbisstraße ist?«

»Die Angelbisstraße?« Bernhard rieb sich das Kinn. »Die müsste in der Nordstadt sein. Beim Sportpark Nord. Warum? Musst du da hin?«

Janna nickte vage.

»Hast du einen neuen Kunden dort?«, hakte nun auch Linda nach. »Du sagtest doch, dass du eine neue Anzeige für deinen Büroservice in der Bonner Rundschau und im General-Anzeiger aufgegeben hättest.«

Janna wollte schon verneinen, hielt sich aber gerade noch zurück und nickte erneut unbestimmt. »Hm. Ich muss noch mal weg, Mama.« Sie klappte das Telefonbuch zu und stand auf.

»Jetzt?« Ihre Mutter blickte sie verwundert an. »Aber mein Essen ist in einer halben Stunde fertig. Ich habe extra für dich und die Kinder mitgekocht! Und hast du vergessen, dass Sander heute Nachmittag herkommt? Ihr wolltet doch zusammen in den Freizeitpark gehen. Obwohl ich nicht sicher bin, ob sich das Wetter bis dahin hält. Es sieht sehr nach dem Regen aus, den sie gemeldet haben. Willst du nicht lieber …«

»Ich bin zurück, bevor er da ist«, unterbrach Janna sie hastig. »Entschuldige bitte, Mama, aber ich muss dringend was erledigen.« Erneut schnappte sie sich die Strickjacke ihres Vaters, warf sie sich über, griff nach ihrer Tasche und war mit einem »Bis später!« zur Tür hinaus.

Linda tauschte einen irritierten Blick mit ihrem Mann aus. »Was ist denn mit Janna los? Seit sie vom Flughafen zurück ist, benimmt sie sich so merkwürdig.«

»Merkwürdig?« Bernhard schmunzelte. »Sie wird einfach noch etwas vorhaben, das uns nichts angeht. Sie ist erwachsen, Linda, und nicht verpflichtet, uns über jeden ihrer Schritte Rechenschaft abzulegen.«

»Rechenschaft, so ein Unsinn!«, rief Linda empört. Nachdenklich tippte sie sich mit dem Zeigefinger gegen die Unterlippe. »Sie wird sich doch nicht mit einem anderen Mann treffen?«

»Unsere Janna?« Nun lachte Bernhard schallend. »Du liebe Zeit, was für eine Vorstellung. Du liest viel zu viele Romane, mein Schatz.«

»Kannst du mir dann sagen, wohin sie jetzt fährt?« Linda blickte aus dem Fenster, durch das Jannas davonrollender Wagen zu sehen war.

»Nein, kann ich nicht. Wenn es wichtig ist, werden wir es schon noch erfahren.« Mit diesen Worten stand auch Bernhard auf. »Ich schau mal, wo sich unsere beiden Rabauken herumtreiben.«

»Wahrscheinlich mit dem Hund irgendwo im Garten. Sorg bitte dafür, dass sie sich ordentlich die Füße abtreten und die Hände waschen«, rief Linda ihm nach. Kaum war er zur Tür hinaus, trat sie an den Tisch und betrachtete das Telefonbuch, das Janna zurückgelassen hatte. Dann zuckte sie resignierend mit den Schultern und kümmerte sich wieder um ihren Sonntagsbraten.

***

Bonn, Angelbisstraße

Sonntag, 17. Juli, 13:15 Uhr

 

Janna parkte ihren Golf in einer der Parkbuchten am Straßenrand und blickte prüfend an dem weißen Mehrfamilienhaus empor, in dem sich, wenn die Angaben im Telefonbuch stimmten, die Wohnung von Axel Wolhagen befand, mitten in einem unauffälligen Wohnviertel mit Ein- und Mehrfamilienhäusern. Vereinzelt waren Passanten unterwegs. Hin und wieder fuhr ein Radfahrer die Straße entlang. Vor den Eingängen einiger Häuser standen Kinderfahrräder. Dies war doch sicherlich nicht das Hauptquartier von irgendwelchen Gangstern. Sie schauderte etwas, stieg dann aber entschlossen aus. Im Auto sitzen zu bleiben, brachte sie nicht weiter. Schließlich wollte sie diesen ominösen Umschlag endlich loswerden.

Die Eingangstür des Wohnhauses stand offen, deshalb trat Janna nach einem Blick auf das Klingelschild einfach ein und stieg die Treppen hinauf in den ersten Stock. Es roch nach Zwiebeln und gebratenem Fleisch. Um diese Zeit saßen die Bewohner des Hauses bestimmt alle beim Mittagessen. Kurz kam Janna der Gedanke, dass es unhöflich war, zu dieser Stunde zu stören, dann besann sie sich jedoch. Hatte der Mann, der ihr den Umschlag gegeben hatte, etwa so gewirkt, als kümmerten ihn sonntägliche Essenszeiten? Warum also sollte sie darauf Rücksicht nehmen? Als sie die Wohnungstür erreichte, neben der ein kleines Schild mit dem Namen Wolhagen angebracht war, hob sie die Hand zum Klingelknopf, zögerte jedoch, denn die Tür stand einen Spalt weit offen.

Sie ließ die Hand wieder sinken.

Aus dem Inneren der Wohnung vernahm sie Stimmen, die sich leise und unverständlich unterhielten. Ihr Herz schlug plötzlich schneller. Der Mann am Flughafen hatte nichts davon gesagt, dass sich noch andere Leute in der Wohnung aufhalten würden. Im Gegenteil – hatte er nicht darauf bestanden, dass sie nur diesem Axel und niemandem sonst den Umschlag aushändigen sollte? Was, wenn die Leute in der Wohnung gefährlich waren?

Nervös und unentschlossen fingerte Janna an ihrer Umhängetasche herum. Hinter sich hörte sie Schritte auf der Treppe. Gerade, als sie sich umdrehen wollte, wurde die Wohnungstür aufgerissen. Ein Mann mit brauner Haut, schwarzem Haar und dichtem schwarzem Vollbart stand vor ihr. Hinter ihm erkannte sie eine ebenso dunkelhäutige Frau in einem schwarzen Hosenanzug.

Janna wich erschrocken einen Schritt zurück.

»Wer sind Sie?«, fuhr der Mann sie unfreundlich an. In seiner Aussprache schwang ein fast unmerklicher arabischer Akzent mit. »Was wollen Sie hier?«

»Ich, äh …« Janna suchte fieberhaft nach einer Antwort. »Ich bin die … äh, Putzfrau. Herr … Herr Wolhagen bat mich, heute herzukommen, weil …«

»Putzfrau?« Der Mann musterte sie stirnrunzelnd.

»Herr Wolhagen ist leider nicht zu Hause«, übernahm nun die Frau das Wort. Auch sie sprach mit leichtem Akzent. »Er musste … fort. Sie müssen ein anderes Mal wiederkommen.«

»Oh, das ist aber … ärgerlich«, brachte Janna stockend heraus. »Wissen Sie, wann er zurückkommt?«

»Nein.« Die Frau schüttelte den Kopf und lief dann einfach an ihr vorbei die Treppe hinunter. Der Mann beachtete sie ebenfalls nicht weiter, sondern ging noch einmal in die Wohnung zurück. Janna blickte ihm unentschlossen nach und erhaschte dabei einen Blick auf das, was wohl das Wohnzimmer sein musste. Das heillose Durcheinander verriet, dass dort offenbar alle Schränke durchwühlt worden waren. Ihr Herz pochte noch schneller und sie schluckte nervös.

»Entschuldigen Sie, junge Frau.«

Beim Klang der Stimme direkt hinter ihr wäre sie vor Schreck beinahe in die Luft gesprungen.

»Habe ich das richtig gehört, Sie sind Putzfrau?«

Die Stimme gehörte einer kleinen alten Dame mit grauem, zu einem ordentlichen Dutt aufgestecktem Haar und einer altmodischen Brille, die ihr bis auf die Nasenspitze gerutscht war. »Wissen Sie, ich suche schon lange nach einer zuverlässigen Putzhilfe. Vielleicht hätten Sie Interesse, bei mir anzufangen? Ich meine, wo Sie doch schon eine Putzstelle hier im Haus haben? Das wäre doch praktisch, nicht wahr?«

Der Mann kam wieder aus der Wohnung und zog die Tür hinter sich zu. Im Vorbeigehen warf er Janna noch einen neugierigen Blick zu.

»Ja, äh, nein«, antwortete Janna zerstreut. »Ich meine, ich muss jetzt leider gehen.«

»Aber die Putzstelle! Ich zahle gut und schwer ist die Arbeit auch nicht. Ich bin ja nur allein in meiner Wohnung und …«

»Tut mir leid, ich kann nicht.«

»Aber …«

»Auf Wiedersehen.« Janna wandte sich ab und eilte die Treppe hinab. An der Haustür sah sie sich nach allen Seiten um, doch das merkwürdige Paar war verschwunden. Rasch lief sie zu ihrem Auto, stieg ein, schloss den Sicherheitsgurt und fuhr los. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken wild umher. Wo war sie da hineingeraten? Sollte sie zur Polizei gehen? Würde die sie überhaupt ernst nehmen?

Ratlos zupfte sie an ihrem Zopf herum. Am besten war es wohl, erst einmal zurück nach Hause zu fahren. In einer Stunde würde Sander vor ihrer Tür stehen.

Sie bog nach links ab und fuhr dann in Richtung Autobahn. Den alten braunen Opel Kadett, der ihr in einigem Abstand folgte, bemerkte sie nicht.

4

Bonn, Kaiserstraße

Sonntag, 17. Juli, 14:20 Uhr

 

Der nachtschwarze Z3 verringerte sein Tempo, als er sich dem dreistöckigen, gelb und weiß gestrichenen und sehr gepflegten Gebäude näherte, das – wie viele Häuser in diesem Viertel – im Stil der Gründerzeit erbaut worden war. Vor dem doppelflügligen Eingang stand eine weiße, metallgerahmte Tafel mit der Aufschrift Institut für Europäische Meinungsforschung. Der Sportwagen bog in die unauffällige Zufahrt zur Tiefgarage des Gebäudes ein.

Markus Neumann parkte auf seinem angestammten Platz und quälte sich aus dem Wagen. Seine Rippen schmerzten höllisch – er konnte von Glück sagen, dass nichts gebrochen war. Seine drei fremdländischen Freunde waren nicht gerade mit Samthandschuhen ausgestattet gewesen. Missmutig blickte er an seiner schmutzigen, an einigen Stellen zerrissenen Putzmannmontur hinab und fuhr sich mit gespreizten Fingern ordnend durch die Haare. Dann ging er zu der Tür, die ins Treppenhaus des Instituts führte. Dort tippte er den Sicherheitscode auf dem Touchscreen eines kleinen Computers ein und legte danach seine rechte Handfläche auf den Scanner. Augenblicke später öffnete sich die Tür und er trat ein.

»Wow, schickes Outfit«, begrüßte ihn Melanie Teubner, eine schlanke, schwarzhaarige Kollegin aus seiner Abteilung. In ihren strahlend blauen Augen funkelte es amüsiert. »Lass mich raten – das ist der letzte Schrei auf Alcatraz.«

»Ha, ha.« Markus warf ihr einen verdrießlichen Blick zu. »Wo ist Walter?«

»Na wo schon? Wo er immer ist – in seinem Büro.«

Markus murmelte etwas Unverständliches und machte sich auf den Weg zu seinem Vorgesetzten. Die schwarzhaarige Schönheit folgte ihm. »Mir scheint, als hättest du eine Tracht Prügel kassiert.«

Markus blickte kurz über seine Schulter. »Nicht mehr als die drei Typen, die Bernd auf dem Gewissen haben.«

»Bernd ist tot?« Im Gesicht seiner Kollegin zeichnete sich ehrliches Bedauern ab. »Hast du ihnen eine ordentliche Abreibung verpasst?«

»Worauf du dich verlassen kannst, Melanie.« Ohne anzuklopfen, öffnete er die Glastür zum Büro des Abteilungsleiters Walter Bernstein. »Hallo Walter.« Als er den zweiten Mann im Zimmer bemerkte, zuckte er unmerklich zusammen, nickte dem Leiter des Büros für interne Angelegenheiten jedoch einigermaßen freundlich zu. »Herr Dr. Schwartz.«

Der dunkelhaarige Mann, der am Schreibtisch lehnte, musterte Markus stirnrunzelnd und strich sich dabei über den akkurat gestutzten Kinnbart. »Herr Neumann. Wie nett, dass Sie sich entschlossen haben, sich uns heute doch noch anzuschließen. Wir warten seit Stunden auf Ihren Bericht.«

Markus verdrehte die Augen. »Verzeihen Sie, wenn ich Sie von Ihrem Sonntagskaffee abgehalten habe, Herr Dr. Schwartz, aber dummerweise musste ich erst drei ungebetene Schmeißfliegen vom Arsch kriegen.«

»Markus!« Walter Bernstein schüttelte warnend den Kopf. Er war ein mittelgroßer Mann Mitte fünfzig, von kräftiger Statur. Sein braunes Haar wies an den Schläfen erste graue Strähnen auf. Er faltete die Hände auf seinem Schreibtisch. »Was ist vorgefallen? Sie sehen aus, als habe jemand versucht, Sie durch den Fleischwolf zu drehen.«

»Oder durch das Triebwerk eines Flugzeugs«, murmelte Markus.

»Wie wir dem neuesten Polizeibericht entnehmen durften, ist Ihr Kollege Bernd Meuser heute früh einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen«, sagte Dr. Schwartz emotionslos. »Ihre Erklärung?«

Markus seufzte. »Wir hatten als Treffpunkt einen Hinterhof in der Reuterstraße ausgemacht. Bernd gab mir die DVD, wollte gerade wieder verschwinden, da haben sie ihn erwischt.«

»Mitten auf der Straße.«

»Ich hatte keine Zeit ihn wegzuschaffen.«

»Sie waren ohne Verstärkung und ohne Mikrofon unterwegs.«

»Ich habe mich an Bernds Anweisungen gehalten. Er wollte keinen Verdacht auf uns lenken.«

»Das scheint ja gut funktioniert zu haben.«

Markus ballte die Hände, beherrschte sich jedoch. »Wenn er andere Agenten in der Umgebung bemerkt hätte, wäre er gar nicht erst zum Treffpunkt gekommen. Er war über ein halbes Jahr verdeckt tätig und wusste, was er tat.«

Dr. Schwartz ging auf seinen ätzenden Ton nicht ein. »Wenigstens ist Meuser nicht umsonst gestorben. Ich gehe davon aus, dass Wolhagen die DVD bereits analysiert hat? Wann dürfen wir mit den ersten Ergebnissen rechnen?«

Markus räusperte sich unbehaglich. »Da gibt es ein kleines Problem.«

***

Außenbezirk von Rheinbach

Gut Tomberg

Sonntag, 17. Juli, 14:30 Uhr

 

Der in die Jahre gekommene Opel Kadett verringerte sein Tempo auf Höhe des alten Gutshofes. Alim ließ ihn noch ein Stückchen weiterrollen und bog dann in einen schmalen Feldweg ab, hielt an. »Bist du sicher, dass sie nur eine Putzfrau ist?«, fragte er seine Schwester Abida mit einem Stirnrunzeln. »Denn dafür wohnt sie hier reichlich luxuriös, finde ich.«

Abida zuckte mit den Achseln. »Meinst du, sie gehört zu ihnen?«

»Schon möglich. Ein Kurier vielleicht. Sie sieht nicht aus wie ein Profi. Aber der Schein kann trügen.« Alim strich sich nachdenklich über den Bart. »Vielleicht ist es besser, wir behalten sie im Auge. Mit etwas Glück führt sie uns zu der DVD.«

Abida kräuselte die Lippen. »Meinst du? Burayd wird wütend werden, wenn wir hier unsere Zeit verplempern.«

»Er wird noch wütender, wenn er erfährt, dass wir die DVD noch immer nicht zurückhaben. Wir bleiben erst mal hier. Geh unauffällig zum Briefkasten da am Tor und schau, ob ein Name dransteht. Vielleicht können unsere Leute etwas mehr über diese angebliche Putzfrau herausfinden.«

»Wie du meinst.« Abida löste ihren Sicherheitsgurt und stieg aus dem Wagen. Sie blickte sich gründlich um und ging dann wie eine zufällige Spaziergängerin auf den großen Torbogen des Hofes zu.

***

Bonn, Kaiserstraße

Institut für Europäische Meinungsforschung

Sonntag, 17. Juli, 14:35 Uhr

 

»Sie haben was bitte?« Dr. Schwartz‘ Stimme überschlug sich fast. »Derartig wichtige und GEHEIME Informationen an eine Zivilistin weitergegeben? Sind Sie verrückt geworden, Neumann?«

»Mir blieb keine andere Wahl«, verteidigte Markus sich mit gequälter Miene. »Wenn ich ihr den Umschlag mit der DVD nicht gegeben hätte, wäre er jetzt vermutlich wieder in der Hand der Terroristen.«

»Vermutlich?«

»Ziemlich sicher.« Markus bemühte sich weiter um eine aufrechte Haltung, obwohl die Schmerzen in seinen Rippen mittlerweile fast unerträglich geworden waren. »Diese Typen sind nicht zimperlich. Ich hatte großes Glück, ihnen zu entkommen.«

»Warum haben Sie am Flughafen keine Verstärkung angefordert?«, knurrte Schwartz verärgert.

Markus verzog verdrießlich die Lippen. »Bei meiner Flucht aus der Reuterstraße habe ich mein Handy verloren. Es blieb keine Zeit, ein anderes Telefon zu benutzen. Und am Flughafen wollte ich Aufsehen vermeiden. Wer weiß, was die Männer sonst angestellt hätten.«

»Na wunderbar.« Dr. Schwartz verschränkte die Arme vor der Brust. »Deshalb gibt es Mikrofone, Herr Neumann. Standardausstattung eines Agenten. Ist Ihnen klar, in welch prekäre Situation Ihr Alleingang uns gebracht hat? Wieder einmal, wie ich anfügen möchte. Aber warum gebe ich überhaupt vor, überrascht zu sein? Der Begriff Teamplay ist Ihnen ja vollkommen fremd.«

Walter Bernstein griff nach dem Telefonhörer. »Melanie? Gib der Technikabteilung bitte durch, dass sie sofort Neumanns SIM-Karte deaktivieren müssen.« Er warf Markus einen kurzen Blick zu und setzte hinzu: »Und sie sollen ihm ein neues Handy heraufbringen lassen. Wie? Natürlich mit der gleichen Nummer.«

»Ein ordentliches Smartphone!«, rief Markus, kurz bevor Walter die Verbindung zu Melanie unterbrach. Auf Walters Blick hin erklärte er schulterzuckend: »Die neuen Modelle sind einfach praktischer. Mein alter Knochen hatte nicht mal Internetzugang, und das GPS hat auch nicht richtig funktioniert.«

»Könnten wir wohl wieder auf das ursprüngliche Thema zurückkommen?«, warf Dr. Schwartz gereizt ein. »Was ist nun mit dieser Frau, der Sie den Umschlag gegeben haben?«

»Ich habe sie zu Axels Wohnung geschickt, damit sie ihm die DVD aushändigt.«

»Und Sie glauben, sie hat das getan?«

Markus rief sich kurz das Gesicht der rothaarigen Frau ins Gedächtnis. »Ich schätze schon.«

»Sie schätzen?« Dr. Schwartz‘ Stimme wurde wieder eine Spur lauter.

»Sie erschien mir passend. Eine unauffällige Frau, Ende zwanzig, vielleicht Anfang dreißig. Wirkte wie eine Hausfrau oder so was. Schien auf jemanden zu warten.«

»Ja, hoffentlich nicht auf ihre Komplizen.«

Markus schüttelte den Kopf. »Sie sah nicht aus wie eine Terroristin.«

»Ach, Sie wissen also neuerdings, woran man Terroristen erkennen kann?« Höhnisch blickte Dr. Schwartz ihn an. »Das ist ja wunderbar. Dürfte wohl all unsere Probleme auf einen Schlag lösen.«

»Sie trug ein Kleid mit einer Strickjacke darüber, die ihr viel zu groß war.«

»Und das disqualifiziert sie als Terroristin?« Dr. Schwartz‘ Stimme troff vor Sarkasmus.

»Sie ist eine ganz normale Frau. Der Aussprache nach hier aus der Gegend. Kein direkter Dialekt, aber definitiv die Intonation der Bonner Gegend. Vermutlich hat sie gerade auf ihren Mann gewartet oder so. Wie gesagt: Hausfrau, wahrscheinlich Mutter. Ungefährlich.«

»Das hoffe ich für Sie, Neumann. Haben Sie Wolhagen schon kontaktiert?«

»Das hatte ich jetzt vor.«

»Worauf warten Sie dann noch?«

Bevor Markus etwas erwidern konnte, öffnete sich die Glastür und eine kleine brünette Frau mit schicker Kurzhaarfrisur trat ein. Gerlinde Bernstein war nicht nur seit 22 Jahren mit Walter Bernstein verheiratet, sondern ebenso lange auch seine Assistentin und inzwischen Chefsekretärin. Ihre klaren blauen Augen wirkten höchst besorgt, als sie ihrem Mann eine Mappe mit Akten überreichte. »Das kam gerade von der Polizei. Wie es aussieht, gab es in Axel Wolhagens Wohnung ein Feuer. Nachbarn haben es bemerkt und die Feuerwehr gerufen. Der Brand konnte schnell gelöscht werden. Leider fand man auch Wolhagens Leiche in der Wohnung. Er wurde erschossen.«

Für einen Moment war es so still in dem Büroraum, dass man das Ticken der kleinen Uhr auf dem Schreibtisch überdeutlich hören konnte.

Markus stöhnte unterdrückt und fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs Haar. »Verdammt.«

»Ganz meine Meinung«, sagte Walter mit finsterer Miene. An seine Frau gewandt fragte er: »Irgendwelche Spuren? Wurde die DVD gefunden?«

»Keine Spuren bisher. Auch keine DVD.«

Dr. Schwartz drehte sich langsam in Markus Richtung und fixierte ihn. »Und nun? Irgendwelche schlauen Einfälle?«

Markus zog die Augenbrauen zusammen. »Sie glauben doch nicht etwa, dass diese Frau Axel umgebracht hat?«

»Wissen wir es?«

»Das ist lächerlich!«

»Und wo steckt sie? Wie ist ihr Name? Wo wohnt sie?«

Markus fuhr sich erneut unbehaglich durch die Haare. »Das müsste herauszufinden sein.«

»Müsste herauszufinden sein?«, echote Schwartz und verdrehte die Augen.

Walter Bernstein räusperte sich. »Was meinen Sie mit herausfinden?«

Markus hob die Schultern. »Sie hat sich eine ganze Weile am Terminal zwei aufgehalten. Die Überwachungskameras müssten sie eingefangen haben. Wenn ich mir die Aufzeichnungen hole und mit unserem neuen Gesichtserkennungsprogramm abgleiche …«

»Und wer soll das bezahlen?«, wetterte Schwartz aufgebracht. »Das Programm läuft noch in der Beta-Phase und kostet täglich Tausende von Euros. Wegen Ihrer Kopflosigkeit dürfen die Steuerzahler jetzt eine weitere unnötige Ausgabe des Staates finanzieren, Neumann. Ganz zu schweigen von dem Papierkrieg, den ein solches Vorgehen produzieren wird. Aber den dürfen Sie dann schön selbst erledigen. Falls wir überhaupt dafür grünes Licht bekommen. Die Bundesanwaltschaft wird Sie aber eher zum Sonntagsbrunch verspeisen, fürchte ich.«

»Herr Dr. Schwartz«, unterbrach Walter ihn mit ruhiger Stimme. »Es geht hier um ein Dokument von enormer Wichtigkeit für die nationale – vielleicht sogar für die internationale Sicherheit. Ganz sicher werden wir die Zustimmung erhalten, die Überwachungsvideos anzusehen und mit dem Programm abzugleichen. Mit Ihren Verbindungen zum Generalbundesanwalt …«

»… darf ich jetzt wieder mal den Bockmist auskehren, den unser Held hier verzapft hat.« Dr. Schwartz‘ Miene sagte deutlich aus, was er von der ganzen Sache hielt.

Gerlinde Bernstein räusperte sich leise. »Herr Neumann ist ein ausgezeichneter Agent.« Sie hielt kurz inne. »Seine Methoden sind nur manchmal etwas ungewöhnlich, aber bisher hat er noch immer gute Ergebnisse erzielt. Ist das nicht das Wichtigste?«

»Hmpf.« Finster blickte Dr. Schwartz von ihr zu Markus. »Aber zu welchem Preis? Meiner Ansicht nach wird es Zeit, dass Ihnen jemand ein bisschen mehr auf die Finger schaut, Neumann.« Er ging zur Tür. »Eines verspreche ich Ihnen jedenfalls: Den Papierkrieg haben Sie morgen auf dem Schreibtisch. Ich werde in dieser Hinsicht keinen Finger rühren. Und nun sehen Sie zu, dass Sie diese Frau ausfindig machen!«

Die Tür fiel mit einem deutlichen Klappen hinter ihm ins Schloss. Markus und Walter sahen einander einen langen Moment schweigend an; schließlich hob Walter die Schultern. »An die Arbeit, Markus. Sie haben einen anstrengenden Rest-Sonntag vor sich.«

5

Rheinbach, Bachstraße

St.-Martin-Grundschule

Montag, 18. Juli, 7:55 Uhr

 

»Los, ihr beiden, wir sind spät dran. Beeilt euch, in eure Klasse zu kommen.« Janna beugte sich zu den achtjährigen Zwillingen Till und Susanna hinab und gab beiden einen raschen Kuss auf die Wange.

Till grinste: »Wir sind nur so spät, weil du verschlafen hast, Janna!«

»Weiß ich doch, mein Schatz.« Janna lächelte zurück und versuchte, nicht daran zu denken, was ihr in der vergangenen Nacht so lange den Schlaf geraubt hatte, sodass sie schließlich, nachdem sie doch eingeschlafen war, den Wecker überhört hatte. »Also lauft jetzt. Und heute Mittag nehmt ihr den Bus nach Hause, okay?«

»Klar. Tschüss, Janna!« Susanna winkte noch einmal, dann verschwanden die beiden Blondschöpfe im Inneren des Schulgebäudes.

Janna blickte ihnen noch einen Moment nach, dann wandte sie sich ab, um zu ihrem Auto zurückzukehren. Mitten in der Bewegung hielt sie abrupt inne, da sie beinahe gegen eine breite Männerbrust gelaufen wäre.

»Nette Kinder haben Sie, Frau Berg.«

Janna schnappte nach Luft und starrte den Mann an, der so unvermittelt vor ihr aufgetaucht war. Heute trug er einen schicken, dunkelgrauen Anzug, weißes Hemd und Krawatte. Dennoch erkannte sie ihn sofort wieder. »Sie!« Janna schluckte und bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Was tun Sie hier? Wie haben Sie mich gefunden?«

Markus setzte sein charmantestes Lächeln auf, von dem er wusste, dass es, falls nötig, Steine erweichen konnte. »Das wollen Sie gar nicht so genau wissen, Frau Berg. Wichtig ist, dass ich Sie gefunden habe. Wo ist der Umschlag? Sie haben ihn noch nicht nach Bonn gebracht, oder?« Ohne auf ihre leichte Gegenwehr zu achten, nahm er sie sanft am Arm und führte sie in Richtung Parkplatz.

»Doch, habe ich.«

Markus blieb abrupt stehen, sodass Janna beinahe gestolpert wäre.

»Aber als ich dort ankam, waren zwei merkwürdige Leute in der Wohnung von Herrn Wolhagen.«

»Merkwürdige Leute?«, echote er und sah sie neugierig an.

Janna zögerte. »Ja, na ja, sie sahen irgendwie arabisch aus und sprachen mit leichtem Akzent. Und sie sagten mir, dass Herr Wolhagen nicht da sei und ich später wiederkommen solle.«

»Sie haben mit den beiden gesprochen?« Markus‘ Blick verfinsterte sich eine Spur.

»Ja, was hätte ich denn tun sollen? Der Mann stand ganz plötzlich vor mir und … Ich glaube, sie haben die Wohnung durchsucht.«

»Wie bitte?« Offensichtlich konnte Markus ihrem Gedankensprung nicht ganz folgen.

Janna nickte bekräftigend. »Der Mann und die Frau haben die Wohnung durchsucht. Jedenfalls herrschte dort eine ziemliche Unordnung, soweit ich durch den Türspalt sehen konnte. Und dann stand er plötzlich vor mir und fragte, was ich dort wolle, und ich sagte, ich sei die Putzfrau. Da hat er …«

»Putzfrau?«

»Ja, denn auf die Schnelle fiel mir nichts Besseres ein. Ich erinnerte mich an Ihren Aufzug gestern am Flughafen und dachte … Na ja, also ich sagte, ich sei die Putzfrau, und er und die Frau schickten mich weg. Dann war da noch diese alte Frau, die wohl auch in dem Haus wohnt, und mich gleich einstellen wollte, aber ich …«

»Halt, Moment!« Markus hob beide Hände, um ihrem Redestrom Einhalt zu gewähren. »Eine alte Frau?«

»Ja, sie dachte, ich sei wirklich eine Putzfrau, und sie suchte wohl gerade eine, deshalb …«

»Was ist mit dem Umschlag?«, unterbrach Markus sie mit leichter Ungeduld in der Stimme. »Haben Sie ihn dem Mann gegeben?«

»Nein, natürlich nicht.« Janna schüttelte den Kopf. »Sie sagten doch, dass ich ihn nur Herrn Wolhagen geben dürfe. Der war aber nicht da, also bin ich wieder gegangen. Ich wollte heute Mittag noch mal hinfahren, um zu sehen, ob er inzwischen wieder zu Hause ist.«

»Den Weg können Sie sich sparen. Vermutlich war er auch gestern schon zu Hause«, murmelte Markus. »Mit einer Kugel im Kopf.«

»Was bitte?« Jannas Stimme kippte leicht; sie starrte Markus entgeistert an.

Markus sah sie mit undurchdringlichem Blick, jedoch wieder äußerst charmantem Lächeln an. »Begleiten Sie mich bitte ein Stück. Ich möchte Sie gern zu einer Tasse Kaffee einladen.«

»Einer Tasse Kaffee?«

Ohne ein weiteres Wort machte Markus kehrt und zog Janna erneut mit sich. Sie gingen den Weg zurück, den sie gekommen waren, an der Schule vorbei und dann ins Rheinbacher Stadtzentrum zur nächstbesten Bäckerei mit Bistro. Markus bestellte Kaffee und führte Janna zu einem kleinen Tisch in der hintersten Ecke. Galant rückte er ihr den Stuhl zurecht und setzte sich dann ihr gegenüber.

Janna musterte ihn verstohlen. Seine Manieren waren ausgezeichnet und wollten nicht ganz zu seinem leicht rüden Tonfall passen. Seine selbstsichere Art wirkte überdies ein wenig einschüchternd auf sie, und sein Lächeln brachte sie irgendwie aus dem Konzept. »Also gut«, begann sie im Flüsterton, damit die wenigen anderen Gäste an den übrigen Tischen nichts mitbekamen. »Nun sagen Sie mir endlich, was hier vorgeht!«

Markus nickte und überlegte, wie viel er ihr verraten durfte, verraten musste. Er beschloss, dass Ehrlichkeit bei dieser Frau vermutlich der richtige Weg war. »Sie sind leider durch meine Schuld in einen kleinen, sicherheitsrelevanten Zwischenfall verwickelt worden.«

»In einen was?«

»Gestern am Flughafen hatte ich keine andere Wahl, als Ihnen den Umschlag zu geben. Er durfte auf keinen Fall in die falschen Hände geraten.«

Janna runzelte die Stirn. »Sie meinen, in die Hände dieser Männer, die Sie auf der Rolltreppe angegriffen haben?«

Überrascht hob Markus den Kopf, nickte dann aber.

»Wie sind Sie diesen Typen entkommen?«

Um Markus‘ Mundwinkel zuckte es, gleichzeitig spürte er jedoch dem Schmerz nach, der noch immer in seiner Rippengegend saß. »Ich wurde dafür trainiert, solchen Typen zu entkommen.«

»Sind Sie bei der Polizei?«

»Nicht ganz.«

Janna zog die Augenbrauen zusammen. »Was soll das denn bedeuten?«

»Ich arbeite für das Institut für Europäische Meinungsforschung in Bonn.«

»Meinungsforschung?« Jannas ratloser Blick ließ Markus erneut schmunzeln, doch er riss sich zusammen. Er musste es diplomatisch angehen, schließlich konnte man nie wissen, wie Zivilisten auf seinen Berufsstand reagierten. Schon gar nicht nach den Skandalen der vergangenen Monate.

Bevor er etwas sagen konnte, kam eine junge Kellnerin und brachte den bestellten Kaffee. Während sie die beiden Tassen vor ihnen abstellte, warf sie Markus einen neugierigen Blick zu, der deutlich besagte, dass ihr gefiel, was sie sah. Markus schenkte ihr ein freundliches Lächeln und zwinkerte ihr zu. Die Kellnerin lächelte zurück und hätte wohl ein Gespräch begonnen, wenn Janna nicht mit am Tisch gesessen hätte.

Janna verdrehte die Augen. Dieser Mann verstand es sichtlich, seinen Charme zu versprühen. Bei seinem Aussehen war es wohl nur natürlich, dass ihm die Frauen zu Füßen lagen. In seinem gut sitzenden Anzug sah er aus wie ein Dressman, der gerade einem Katalog oder einer Plakat-Werbung entstiegen war. Selbst in seinem gestrigen Aufzug als Putzmann hatte er noch attraktiv gewirkt. Ein bisschen ärgerte sie sich, dass sie sich seiner Wirkung nicht ganz entziehen konnte. Doch letztlich war sie ja auch nur eine Frau, und sie hätte schon tot sein müssen, um nichts von seiner Attraktivität wahrzunehmen. Sie musste es sich ja nicht unbedingt anmerken lassen, wie sehr er sie beeindruckte. Immerhin schien er seiner selbst um einiges zu sicher zu sein, und auf so etwas konnte sie gut verzichten.

Markus‘ nächste Worte rissen sie unsanft aus ihren Gedanken: »Ich muss Sie bitten, die folgenden Informationen strikt für sich zu behalten, Frau Berg«, begann er schließlich mit gesenkter Stimme. »Sie dürfen sie niemandem preisgeben. Nicht Ihrer Familie, Ihren Kindern, Ihrer besten Freundin … auch nicht Ihrem Mann. Die nationale Sicherheit hängt davon ab.«

»Ich habe keinen …« Janna stockte. »Die nationale Sicherheit?«

»Das Institut ist die Tarnung für einen europäischen Geheimdienst.«

»Geheimdienst?« Alles Blut wich aus Jannas Gesicht. »Sie meinen, Sie sind ein …«

»Agent, ja. Und entschuldigen Sie, dass ich mich bisher noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Markus Neumann.«

Janna schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte leise. »Ich glaube, ich bin im falschen Film!«

»Wie bitte?« Markus sah sie verständnislos an. Als sie die Hände schließlich wieder sinken ließ, erwiderte sie seinen Blick.

»Sind Sie sicher, dass Sie Neumann heißen und nicht Bond?«

»Ganz sicher, Frau Berg. Es geht um ein Dokument von allerhöchster Wichtigkeit. In dem Umschlag, den ich Ihnen gegeben habe, ist eine DVD mit brisanten Daten über eine terroristische Vereinigung, die Söhne der Sonne, wie sie sich selbst nennen. Obgleich da wohl auch die eine oder andere Tochter involviert sein dürfte.«

»Was meinen Sie?«

Markus zuckte die Achseln. »Sie sagten, dass gestern auch eine Frau in Axels Wohnung gewesen ist.«

Janna nickte. Sie bemühte sich noch immer, ihre Fassung zurückzugewinnen. Damit, dass dieser Mann für einen Geheimdienst arbeitete, hatte sie zuallerletzt gerechnet. »Sie sind also ein Agent? Ein Spion? So wie in Verfassungsschutz, BND, Militärischer Abschirm…«

»Pst!« Markus hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste. »Schon gut, schon gut. Sie wissen von den Skandalen der letzten Zeit. Das Institut ist in keinen davon verwickelt. Wir operieren selbstständig und, wie gesagt, auf europäischer Basis. In jedem EU-Land gibt es Niederlassungen; wir unterstehen offiziell einer Oberaufsicht in Brüssel, aber jede Landesniederlassung erhält ihre Gelder, Richtlinien und Aufträge vom jeweiligen Staat.«

»Warum hat man noch nie von diesem Institut gehört?«

Markus lächelte breit. »Weil wir das Wort Geheimdienst wörtlich nehmen, Frau Berg.«

»Aha.« Janna strich sich eine Haarlocke, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, hinters Ohr. »Aber jetzt haben Sie mir doch davon erzählt.«

»Unsere Sicherheitsabteilung hat Sie als gefahrlos eingestuft«, erwiderte er, noch immer lächelnd. »Und meine Menschenkenntnis sagt mir, dass Sie dieses kleine Geheimnis für sich behalten werden.«

Irritiert von dem charmanten Ton und dem Funkeln in seinen Augen, blickte Janna auf ihre Hände, faltete sie vor sich auf dem Tisch. »Sie sagten etwas von nationaler Sicherheit. Was ist mit meiner Sicherheit und der meiner Familie?«

Markus nickte ihr kurz zu und ergriff ihre Hand, ließ sie jedoch ebenso rasch wieder los, als er ihren befremdeten Blick wahrnahm. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Frau Berg. Ihr Haus – der Gutshof – wird in diesem Moment von einem Team Agenten überwacht. Ein weiterer Kollege wird dafür sorgen, dass Ihre Kinder auf dem Heimweg im Schulbus sicher sind.«

»Und ich?«

»Sie bleiben vorerst in meiner Nähe.«

»Tatsächlich?« Sie runzelte die Stirn.

»Ich möchte, dass Sie mir den Umschlag mit der DVD aushändigen. Damit müssten Sie außer Gefahr sein. Natürlich wird die Überwachung erst aufgehoben, wenn wir dessen ganz sicher sein können.«

Janna schlug erneut die Hände vors Gesicht und stützte die Ellenbogen auf dem Tisch auf. »Ich bin wirklich im falschen Film. Geheimdienst, Terroristen … Und ich …« Sie hob den Kopf. »Das ist ja fast wie in dieser Fernsehserie aus den Achtzigern.«

»Was?« Erneut konnte Markus ihr offensichtlich nicht folgen.

»Na diese Serie über den Agenten und die Hausfrau … kennen Sie die nicht?« Sie winkte ab. »Ach, vergessen Sie es. Den Umschlag habe ich zu Hause.«

»Dann würde ich sagen, fahren wir gleich hin«, schlug Markus vor. »Sie geben mir die DVD und sind mich für alle Zeit los.«

»Hoffentlich«, murmelte Janna und stand auf.

Markus bezahlte den Kaffee, dann verließen sie das Bistro.

Sie hatten gerade die Einmündung zur Bachstraße erreicht, als Janna abrupt stehen blieb. »O Gott!«, sagte sie erstickt.

»Was ist?« Markus sah sie neugierig von der Seite an.

Janna deutete mit dem Kinn in Richtung der Kreissparkasse. »Da ist die Frau, die gestern in der Wohnung Ihres Kollegen gewesen ist.«

»Wo?« Unauffällig tastete Markus mit Blicken die Umgebung ab.

»Am Eingang der Sparkasse«, flüsterte Janna. »Jetzt ist sie weg.«

»Sind Sie sicher?« Markus fluchte unterdrückt. »Kommen Sie mit. Beeilen Sie sich!« Er nahm sie einfach am Handgelenk und zog sie im Laufschritt mit sich. »Geben Sie mir Ihre Autoschlüssel!«

»Was? Warum?«

»Weil mein Auto zu weit entfernt steht. Sie haben doch auf dem Himmeroder Wall geparkt, das ist näher.«

»Ja, aber …«

»Nun geben Sie mir schon den Schlüssel!«

Inzwischen hatten sie den großen Parkplatz erreicht. Noch im Laufen zerrte Janna am Reißverschluss ihrer Handtasche und wühlte nach dem Schlüssel. Markus riss ihn ihr geradezu aus der Hand und steuerte zielsicher auf ihren Golf zu. Janna schoss flüchtig der Gedanke durch den Kopf, woher er eigentlich so genau wusste, welches ihr Auto war, doch er hatte sich bereits hinters Steuer geklemmt und den Sitz mit einem Ruck zurückgeschoben. »Steigen Sie ein, verdammt noch mal!«, rief er ihr zu.

Janna gehorchte, und noch bevor sie die Beifahrertür richtig ins Schloss gezogen hatte, schoss der Wagen bereits los. Entsetzt umklammerte sie mit einer Hand den Griff an der Tür, mit der anderen versuchte sie, den Sicherheitsgurt anzulegen, was ihr nach zwei Fehlversuchen schließlich auch gelang.

»O nein!« Sie kniff die Augen zusammen, als Markus den Wagen vom Parkplatz herunter und dann auf die große Kreuzung zusteuerte. Die Ampel zeigte bereits gelb, doch er trat aufs Gas und lenkte den Golf mit quietschenden Reifen nach links.

Mit viel zu hoher Geschwindigkeit schossen sie auf einen Kreisel zu. Janna klammerte sich krampfhaft an den Türgriff, als sich ihr Wagen gefährlich scharf in die Kurve legte. Irgendwo hupte jemand. Augenblicke später näherten sie sich dem Bahnübergang. Die Ampel zeigte Rot; die Schranken senkten sich bereits, doch Markus gab erneut Gas und schaffte es gerade noch rechtzeitig über die Schienen.

»Sind Sie wahnsinnig?«, quietschte Janna und räusperte sich hastig. »Wollen Sie uns umbringen?«

»Im Gegenteil«, antwortete Markus ruhig. »Ich bemühe mich, uns aus der Schusslinie zu befördern.«

Janna wagte einen Blick auf sein Profil. Er fuhr sehr konzentriert; sein Blick wechselte immer wieder zwischen Straße und Rückspiegel.

An der nächsten Kreuzung hielt er dann doch, da die Ampel auch hier auf Rot stand. Mit der linken Hand griff er in eine Innentasche seines Jacketts und förderte ein Smartphone zutage. Er wählte eine Nummer im Kurzwahlspeicher und hielt sich das Gerät ans Ohr, während er wieder anfuhr. »Kellermann? Hör zu, unsere Freunde sind offenbar der Zivilistin auf der Spur. Setz deine Leute in Alarmbereitschaft. Wir haben es hier offenbar mit einem Mann und einer Frau zu tun, beide arabisch, beide Akzent. Kann aber auch sein, dass meine drei Freunde von gestern bei euch auftauchen.« Er lauschte kurz. »Okay, haltet die Stellung – ich bin in ein paar Minuten da.« Rasch beförderte er das Handy zurück in die Innentasche.

Janna sah ihn strafend an. »Telefonieren am Steuer ist verboten.«

Markus‘ Kopf fuhr zu ihr herum.

»Besitzen Sie kein Headset?«, fragte sie.

Er runzelte die Stirn und konzentrierte sich wieder auf die Straße. »Glauben Sie nicht, dass wir im Augenblick andere Probleme haben?«

»Für die ich mich bei Ihnen bedanken darf, Herr Neumann«, fauchte sie. »Noch niemals musste ich vor irgendwem flüchten! Geschweige denn Angst haben, dass meine Familie von Terroristen bedroht wird.«

»Ich habe mich bereits bei Ihnen für die Unannehmlichkeiten entschuldigt.«

Janna schüttelte den Kopf. »Haben Sie nicht.«

Wieder warf er ihr einen kurzen Seitenblick zu. »Hören Sie.« In seiner Stimme schwang Ungeduld mit. Inzwischen hatten sie einen weiteren Kreisel erreicht. Markus nahm die erste Abfahrt. »Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen. Sobald wir bei Ihnen ankommen, geben Sie mir den Umschlag mit der DVD, dann sind Sie mich los.«

»Sie bin ich dann vielleicht los. Aber wie, glauben Sie, fühlt es sich an zu wissen, dass mein Haus von Agenten umstellt ist, weil da draußen irgendwelche Terroristen herumlaufen, die hinter mir her sind?«

»Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob sie hinter Ihnen her sind. Und unsere Leute werden Sie gar nicht bemerken, Frau Berg.«

Er bog in eine Abzweigung nach rechts ab und hielt kurz darauf in einem Feldweg, nahe bei Gut Tomberg.

»Warum fahren Sie nicht auf den Hof?«, wollte Janna verunsichert wissen.

»Schon vergessen, dass ich einem Geheimdienst angehöre? Sie dürften mich gar nicht kennen, geschweige denn mit mir gesehen werden. Also steige ich hier aus und Sie fahren Ihr Auto selbst auf den Hof. Ich warte an Ihrer Hintertür auf Sie.«

»Also gut.« Janna stieg gleichzeitig mit ihm aus und setzte sich hinters Steuer. Rasch fuhr sie das Auto auf den Hof und stellte es vor ihrem Haus ab. Als sie die Hintertür erreichte, erwartete Markus sie bereits. Gemeinsam betraten sie das Haus; Janna steuerte auf die große, helle Wohnküche zu. Sie öffnete einen der cremefarbenen Hängeschränke und griff in das oberste Fach. »Hier, bitte.« Sie übergab ihm den Umschlag. Auf seinen fragenden Blick erklärte sie. »Dort oben reichen Till und Susanna nicht heran, deshalb lege ich sicherheitshalber wichtige Unterlagen immer in den Schrank. Was die beiden nicht sehen, macht sie nicht neugierig.«

»Ah.« Markus‘ Augenmerk war bereits auf den Umschlag gerichtet. Umstandslos riss er ihn auf, entnahm ihm die DVD. Nach einem kurzen Blick auf die Hülle, auf der ein seltsames kryptisches Zeichen prangte, schob er sie unter sein Jackett. Den Umschlag warf er achtlos auf die Anrichte. »Das wär’s«, sagte er erleichtert. »Ich danke Ihnen für Ihre Hilfsbereitschaft, Frau Berg.« Schon wandte er sich zur Tür, sah sich jedoch noch einmal kurz in der sauberen, freundlich wirkenden Küche um. Sein Blick blieb erst an einem bunten Blumenstrauß auf dem Küchentisch hängen, dann an den farbenfrohen Kinderzeichnungen, die Janna an der Wand und am Kühlschrank befestigt hatte. »Machen Sie sich keine Sorgen. Unsere Männer werden für Ihre Sicherheit sorgen, solange es nötig ist.« Er fing ihren Blick auf und lächelte. »Aber vergessen Sie nicht, dass niemand von dem kleinen Zwischenfall erfahren darf. Nicht Ihre Kinder, nicht Ihr Ehemann …«

»Ich bin nicht verheiratet«, rutschte es Janna heraus, obgleich es ihn gar nichts anging.

Markus musterte sie überrascht. »Sie sind alleinerziehend?«

»Gewissermaßen.« Sie merkte auf. »Müssten Sie das nicht wissen, wenn Sie mir schon hinterhergeschnüffelt haben?«

»Geschnüffelt?« Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Sagt man nicht so?«

»Eigentlich nicht. Und was Ihren Familienstand angeht – der war für mich nicht relevant.« Er lächelte unverbindlich. Sein Blick schweifte noch einmal durch den Raum und für einen Moment glaubte Janna, einen merkwürdigen Ausdruck der Anerkennung über sein Gesicht huschen zu sehen. Doch der Augenblick war zu schnell vorbei, als dass sie sich sicher sein konnte.

Er wandte sich ihr wieder zu. »Wie gesagt, Sie müssen sich keine Sorgen machen. Ich verlasse Sie jetzt.«

Janna nickte und folgte ihm zurück zur Hintertür. »Wie kommen Sie denn jetzt hier weg?«, wollte sie wissen, als ihr einfiel, dass sein Auto ja noch irgendwo in Rheinbach stehen musste.

»Machen Sie sich darüber keinen Gedanken.« Er winkte ab. »Darum kümmere ich mich schon.«

Janna nickte unschlüssig. »Seien Sie vorsichtig.«

Überrascht hob er den Kopf.

Etwas verlegen senkte Janna den Blick. »Ich meine, wegen dieser Terroristen. Ich hoffe, Sie können sie bald fassen.«

»Das hoffe ich auch«, antwortete er mit einem grimmigen Unterton in der Stimme.

Janna biss sich auf die Unterlippe, als sie den unterdrückten Zorn wahrnahm, der in seinen Worten mitschwang. »War dieser Axel Wolhagen ein Freund von Ihnen?«