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Impressum
Personenverzeichnis
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Über Mila Roth
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Mila Roth
Sport und Mord gesellt sich gern
Fall 6 für Markus Neumann und Janna Berg
Allen Serienjunkies gewidmet
Impressum
Sport und Mord gesellt sich gern - Fall 6 für Markus Neumann und Janna Berg
eBook Edition, 5. Auflage, August 2022
Copyright © 2014 by Mila Roth
Petra Schier, Lerchenweg 6, 53506 Heckenbach
www.mila-roth.de
Cover-Design unter Verwendung von Adobe Stock:
© illustrart / © paunovic / © adidesigner23 / © fergregory / © metelsky25
Lektorat: Barbara Lauer
ISBN 978-3-96711-029-6
Alle Rechte vorbehalten.
Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin möglich.
Die Personen und Handlungen im vorliegenden Werk sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Erwähnungen von historischen bzw. realen Ereignissen, realen Personen oder Orten sind rein fiktional.
Personenverzeichnis
Hauptpersonen
Janna Berg: Pflegemutter von neunjährigen Zwillingen, betreibt selbstständig einen kleinen Schreib- und Büroservice
Markus Neumann: Agent
Geheimdienst (alphabetisch)
Alexa Baumgartz: Agentin
Gerlinde Bernstein: Chefsekretärin und Ehefrau von Walter Bernstein
Walter Bernstein: Leiter der Abteilung für nationale und internationale Feldeinsätze für die Bereiche Terrorabwehr und organisiertes Verbrechen (Abteilung 7)
Alfred Hasselbaum: Agent
Dirk Kellermann: Agent
Gabriel Riemann: Analyst
Melanie Teubner: Agentin
Thomas Wörner: Agent
Sonstige Personen (alphabetisch)
Alex: Mitglied des Sprengstoffeinsatzkommandos
Brian: Inhaber des Iris Pubs HellHole in Bonn
Felicitas (Feli) Berg: Schwester von Janna Berg
Frank Berg: Bruder von Janna Berg
Susanna Berg: Pflegetochter von Janna Berg, Zwillingsschwester von Till
Till Berg: Pflegesohn von Janna Berg, Zwillingsbruder von Susanna
Lars Brenkow: Inhaber des Intersportzentrums in Bonn
Wulf Görgen: Kredithai, Informant von Markus Neumann
Annette Kipplinger: Geschäftspartnerin von Lars Brenkow
Susanne Krause: Mitarbeiterin im Intersportzentrum
Otto: Oberkellner im Restaurant Brandenberg
Natalie Schäuble: Mitarbeiterin im Intersportzentrum
Harald Schmidtmaier: Leiter des Sprengstoffeinsatzkommandos
Tilo Sommertal: Buchhalter im Intersportzentrum
1
Disneyland Paris
Walt Disney Studios Park Back Lot
Café des Cascadeurs
Sonntag, 13. November, 10:20 Uhr
Der junge, sehr muskulöse Mann betrat zögernd das im amerikanischen Stil der 50er Jahre gestaltete Café, das mit seinen Aluminiumoberflächen und der nostalgischen Einrichtung ganz den urigen Wohnwagen nachempfunden war, in denen einst die Stuntmen Hollywoods ihre Pausen verbrachten. Obwohl das Restaurant erst seit einigen Minuten geöffnet hatte, waren bereits fast alle verfügbaren Tische und die Sitzplätze an der Theke besetzt. Aus der Jukebox ertönte Elvis Presleys Love me tender und mischte sich mit dem lebhaften Stimmengewirr der Gäste.
Unsicher sah sich der junge Sportler um und erblickte schließlich an einem der Tische am Fenster den grauhaarigen Mann, dessen Foto man ihm am Vorabend zugesteckt hatte. Nervös fuhr er sich durch sein kurzes blondes Haar und steuerte auf seine Kontaktperson zu.
Dicht vor dem Tisch blieb er stehen. »Sind Sie Peckert?«
Anstelle einer Antwort machte der Grauhaarige lediglich eine einladende Geste in Richtung der Sitzbank ihm gegenüber. »Ich war so frei, Ihnen eine Cola zu bestellen, Marco«, brach er das Schweigen, nachdem der Jüngere Platz genommen hatte. Seine Stimme klang dunkel und freundlich; seine Erscheinung war die eines selbstsicheren, erfolgreichen Geschäftsmannes.
Marco lächelte und griff nach dem Getränk. »Danke. Eigentlich soll ich so kurz vor dem Wettkampf keine zuckerhaltigen Getränke zu mir nehmen. Irgendwas mit Eiweiß wäre besser. Mein Coach wird mir die Ohren langziehen, aber ...«
»Es ist Cola light.«
»Oh, gut.« Marco trank das Glas in einem Zug bis zur Hälfte leer.
»Haben Sie die Ware?« Peckerts Stimme nahm unvermittelt einen geschäftsmäßigen Ton an; seine Augen musterten Marco scharf.
»Oh, ja klar. Hier.« Von einer neuen Welle der Nervosität erfasst, nestelte der junge Mann einen quadratischen Umschlag aus der Innentasche seiner blauen Cordjacke hervor und legte ihn auf den Tisch.
Peckert griff danach, öffnete den Umschlag, blickte kurz hinein und nickte sichtlich zufrieden. »Gut.«
»Kann ... ich jetzt wieder gehen? Das war doch alles, was ich tun musste, oder?« Um seine Aufregung zu überspielen, hob Marco das Glas erneut an die Lippen und trank auch noch den Rest des Softdrinks aus. Dann beugte er sich ein wenig vor. »Mein Manager hat mir gesagt, dass ich nur den Umschlag übergeben muss und im Gegenzug«, seine Stimme verwandelte sich in ein Raunen, »sorgen Sie dafür, dass meine Blutproben von vor zwei Jahren verschwinden.«
Peckert neigte leicht den Kopf und lächelte begütigend. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ihr kleiner Fehltritt in Sachen Doping wird Ihnen keine Schwierigkeiten mehr bereiten.«
Erleichtert stieß Marco den Atem aus. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er ihn angehalten hatte. »Danke. Vielen Dank. Ich werde auch nie wieder ... Es war ein Einzelfall. Ein Ausrutscher. Ich wollte damals so unbedingt ins Team. Und jetzt habe ich es bis zu den Weltmeisterschaften im Gewichtheben geschafft! Ich kann mich für Olympia qualifizieren. Aber ganz ohne ... na ja, Sie wissen schon. So was mache ich nicht mehr.«
»Das freut mich zu hören.« Peckert schob den Umschlag in eine Innentasche seines anthrazitfarbenen Jacketts und erhob sich. »Entschuldigen Sie mich, ich muss los.«
»Danke für die Cola.«
Peckert hatte sich bereits abgewandt, drehte sich aber noch einmal um. »Keine Ursache.« Mit einem kurzen Nicken in Marcos Richtung begab er sich zur Theke, zahlte und war kurz darauf verschwunden.
Der junge Mann blieb noch einen Moment sitzen und atmete tief durch. Seit er das Café betreten hatte, klopfte sein Herz unnatürlich schnell. Das war die Aufregung. Er hatte nicht gedacht, dass es so einfach sein würde, seine kleine Jugendsünde aus der Welt zu schaffen. Am besten ging er gleich zurück ins Hotel und rief seinen Manager an, um ihm für diese Gelegenheit zu danken. Zwar hatte er keine Ahnung, was genau sich in dem Umschlag befand, doch er argwöhnte, dass es nichts Legales sein konnte. Aber er hatte ja niemandem einen Schaden zugefügt, oder? Und seine Karriere als Gewichtheber war gerettet.
Ein Blick auf seine Armbanduhr sagte ihm, dass es Zeit wurde, sich auf das Treffen mit seinem Coach vorzubereiten. Am Nachmittag fanden die Wettkämpfe seiner Gewichtsklasse statt, und zuvor würde das gesamte Team noch einmal ins Gebet genommen. Doch jetzt war auf jeden Fall noch Zeit für ein kurzes Telefonat.
Entschlossen erhob sich Marco und atmete tief durch. So allmählich könnte sich sein Blutdruck normalisieren, fand er. Schließlich war sein Botengang ja nun erledigt und nichts Schlimmes passiert. Als er das Café verließ, strich angenehm kühle Herbstluft über seine Haut. Erst jetzt bemerkte er, dass ihm heiß war. Er schwitzte richtig, und sein Herzschlag nahm noch an Geschwindigkeit zu. Gierig sog Marco die frische Luft in die Lungen. Seine Kehle schien sich bei jedem Atemzug zu verengen. Irritiert griff er an seinen Hals. Um ihn herum verschwammen die Gesichter der Menschen und die Gebäude zu einem merkwürdigen Kaleidoskop an Formen und Farben. Er taumelte, versuchte jemanden anzusprechen und um Hilfe zu bitten. Einige vorbeiflanierende Parkbesucher wichen ihm aus, starrten ihn neugierig an.
Der entsetzte Schrei einer Frau, als er zusammenbrach, war das Letzte, was er hörte.
2
Bonn, Kaiserstraße
Institut für Europäische Meinungsforschung
Mittwoch, 16. November, 8:15 Uhr
»Marco Wittlach, dreiundzwanzig Jahre alt, Teilnehmer an den Weltmeisterschaften der Gewichtheber in Paris in der Gewichtsklasse über einhundertfünf Kilogramm«, referierte Walter Bernstein und blickte dabei der Reihe nach die acht Agenten und Agentinnen an, die in dem kleinen Konferenzraum um einen rechteckigen weißen Tisch versammelt waren. Dann drückte er auf die Steuertaste einer Fernbedienung. Hinter ihm auf einer Leinwand erschien das Foto des jungen Sportlers. »Er brach am vergangenen Sonntag wenige Stunden vor dem Wettkampf, bei dem es nicht nur um den Weltmeistertitel, sondern auch um die Qualifikation für die Olympischen Spiele ging, mitten im Disneyland Paris tot zusammen.«
»Disneyland?« Markus Neumann schob sich durch die Tür und ließ sich auf einen der freien Stühle gleiten. Auf den finsteren Blick des Abteilungsleiters hin zuckte er die Achseln. »Bin im Verkehr stecken geblieben.«
»Im oder beim?« Diese Spitze kam von Alexa Baumgartz, einer mit üppigen Kurven ausgestatteten Blondine, die ihm schräg gegenübersaß und ihm ein strahlendes Lächeln schenkte, das ihre Worte Lügen zu strafen schien.
Melanie Teubner, die schwarzhaarige Agentin zu ihrer Linken, kicherte.
»Haha.« Der Blick, den Markus auf Alexa abschoss, war alles andere als freundlich.
»Kinder, benehmt euch.« Walter verschränkte die Arme vor seinem kräftigen, leicht gedrungenen Körper und musterte nun auch Alexa und Melanie strafend. Dann kehrte er übergangslos zu seinem Bericht zurück: »Ja, in Disneyland. Denn wie diejenigen von Ihnen, die ab und zu die Tageszeitung lesen oder die Nachrichten in Funk und Fernsehen einschalten, wissen sollten, finden die diesjährigen Weltmeisterschaften im Gewichtheben genau dort statt. Der Tod des genannten Sportlers ereignete sich direkt vor einem der Restaurants, vor dem Café des Cascadeurs, um genau zu sein.«
»Und warum ist das für uns interessant?«, hakte Markus erneut nach und bemühte sich, seine beiden Kolleginnen zu ignorieren. Ihm war heute nicht nach den üblichen Kabbeleien. »Das klingt für mich wie typische Polizeiarbeit. Falls es sich überhaupt um ein Verbrechen handelt. Es könnte ja auch eine natürliche Todesursache vorliegen.«
»Bei der Menge an Vestamigan, die der Junge im Kreislauf hatte, dürfte von natürlich keine Rede sein«, widersprach Walter und griff nach einem Stapel Papiere, der vor ihm auf dem Tisch lag. Obwohl er den Inhalt bereits zu kennen schien, blätterte er ein wenig darin, bevor er weitersprach. »Die Dosis hätte einen Elefanten umhauen können. Laut Gerichtsmedizin wurde ihm das Gift in einem Softdrink verabreicht. Cola light, um genau zu sein.«
»Vestamigan?« Das Lächeln auf Alexas Gesicht schwand. »Das Lieblingsgift der russischen Mafia? Na fein. Was hatte ein kleiner, unbedeutender Gewichtheber mit denen am Hut?«
»So klein und unbedeutend war Marco Wittlach nicht«, widersprach Melanie, vor der ebenfalls ein Hefter mit Schriftstücken lag. Offenbar hatte sie schon erste Recherchen zu dem Fall angestellt. »Er hatte gute Chancen auf eine Medaille und war fest entschlossen, bei den Olympischen Spielen anzutreten. Kürzlich hat ein privater Sportsender eine mehrteilige Homestory über ihn gebracht.
Abgesehen davon ist Vestamigan nicht nur das derzeitige Nummer-eins-Gift der russischen Mafia, sondern auch der italienischen, chinesischen und so weiter. Es wirkt schnell, fast schmerzlos und ist nur nachweisbar, wenn man weiß, wonach man suchen muss.«
»Was uns dazu führt, weshalb man den Fall an uns herangetragen hat«, übernahm nun wieder Walter das Wort. »Europol erhielt einen anonymen Tipp, dass Vestamigan im Spiel sein könnte. Gleichzeitig machte uns einer unserer Analysten darauf aufmerksam, dass in diesem Jahr bereits zwei andere junge Sportler unter ähnlich mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sind. Bei beiden ging man bisher von einer natürlichen Todesursache aus.« Erneut drückte Walter auf die Fernbedienungstaste. Diesmal erschienen zwei Fotos nebeneinander auf der Leinwand. »Thorsten Lindner, fünfundzwanzig, vertrat im Februar ein bekanntes deutsches Fahrradteam auf der Ausstellung Velobike in Kiew. Und Rita Schapplauer, Teilnehmerin des diesjährigen Dancesport-Open-Festivals im Juni in Athen. Laut Augenzeugenberichten zeigten beide kurz vor ihrem Tod die gleichen Symptome wie Wittlach.«
»Das erklärt aber noch immer nicht, was das Institut damit zu tun hat.« Markus widerstand dem Drang, sich die Schläfen zu reiben oder mit den Fingern durch sein kurzes dunkelbraunes Haar zu fahren. Ihm dröhnte der Schädel, nicht nur, aber auch von der ungewohnten Menge irischen Whiskys, die er am Vorabend im HellHole, dem kleinen Irish Pub in der Bonner Innenstadt, zu sich genommen hatte. Weit größeren Anteil an seinem derzeitigen Befinden hatte allerdings die Auseinandersetzung, die dem Besuch im Pub vorangegangen war. Energisch verdrängte er jeglichen Gedanken daran und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt.
»Der Fall wäre wohl den zuständigen Polizeibehörden übertragen worden«, fuhr Walter fort, »wenn nicht besagter Analyst ...«
»Der Professor«, warf Melanie rasch ein.
»Gabriel Riemann«, bestätigte Walter mit einem Nicken, »zufällig auf ein Detail gestoßen wäre, das die Angelegenheit sehr wohl für uns interessant macht. Melanie.« Er gab der Agentin einen auffordernden Wink, woraufhin diese aufstand und die Fernbedienung von ihm entgegennahm.
»Wir wissen alle, dass unser Professor ein Auge für Details hat«, setzte sie an. »Und außerdem ein Gedächtnis wie ein Elefant.« Sie lächelte schmal. »Als eingefleischtem Sportfan fiel ihm ein, dass er irgendwo die Übertragung der jeweiligen Wettkämpfe, an denen die getöteten Sportler hätten teilnehmen sollen, gesehen hatte. Er forderte das Material von den Sendeanstalten an und ging es in den vergangenen beiden Tagen durch. Und tatsächlich gab es da etwas zu finden.« Sie betätigte die Fernbedienung, und das Standbild einer Fernsehaufzeichnung erschien hinter ihr an der Wand. Melanie griff nach einem kleinen Laserpointer auf dem Tisch und richtete ihn auf das Bild. »Was aussieht wie ein stinknormaler Sportlerempfang in einer Hotellobby, erweist sich bei näherem Hinsehen als Überraschungstreffer. Hier.« Der rote Laserpunkt wanderte an den linken Rand des Bildes. »Wie unschwer zu erkennen, ist dies Rita Schapplauer in Gesellschaft eines Mannes, den wir bereits seit Jahren auf unseren Fahndungslisten verzeichnet haben. Reinhard Peckert, seines Zeichens Waffenhändler der übelsten Sorte; kauft und verkauft alles, was sich irgendwie zum Töten von möglichst vielen Menschen eignet. Angefangen bei Maschinengewehren und Panzerfäusten über Flugabwehrraketen bis hin zu Satellitensteuerungen für Nuklearwaffen. Dass er sich so offen auf dieser Veranstaltung zeigt, beweist seine grenzenlose Arroganz den Behörden gegenüber. Bisher konnten wir ihm nichts, aber auch gar nichts, nachweisen.«
»Was hat eine Tanzsportlerin mit Peckert zu schaffen?« Markus Neugier war geweckt. »Oder kann es sein, dass er einfach nur zufällig mit ihr in die Aufzeichnung geraten ist?«
»Kaum«, antwortete Walter. »Die beiden unterhalten sich ganze zwei Minuten lang. Zumindest ist das der Zeitraum, in dem die Kameras sie einfingen. Eine Viertelstunde später war Rita Schapplauer tot.«
»Man kann davon ausgehen, dass Peckert leichten Zugang zu Vestamigan hat«, nahm Melanie den Faden wieder auf. »Wie man auf dem Bild sieht, halten beide Gläser in den Händen. Möglich, dass er ihr das Gift auf diesem Weg verabreicht hat. Beweisen können wir es aber leider nicht.«
»Peckert und Vestamigan?« Alexa schüttelte ihre blonde Mähne. »Wie passt das denn zusammen? Soweit ich weiß, hat er bisher seinem Ruf alle Ehre gemacht und alles, was ihm im Weg war, entweder mit einer AK-47 weggemäht oder mit einer ordentlichen Portion C4 in die Luft gejagt.«
»Wenn wir davon ausgehen, dass Peckert tatsächlich in Verbindung mit diesen Sportlern steht, vielleicht sogar mit ihnen zusammengearbeitet hat, wollte er sie möglicherweise loswerden, deshalb aber nicht gleich ein Blutbad anrichten«, schlug Walter mit sarkastischem Unterton vor. »Ganz zu schweigen davon, dass er vermutlich den Presserummel gescheut hat, den eine Explosion in einem Vergnügungspark oder während eines internationalen Tanzturniers verursacht hätte.«
»Die wichtigere Frage ist doch wohl: Warum sollte Peckert die Sportler überhaupt umbringen?« Markus blieb skeptisch. »Selbst wenn er mit ihnen zusammengearbeitet und sie vielleicht als Mittelsleute oder Kuriere benutzt hat, ist es doch ziemlich riskant, sie allesamt zu vergiften.«
»Es sei denn, er befürchtete, sie könnten ihn verraten.« Walter ließ sich auf der Tischkante nieder und machte eine unbestimmte Geste mit der rechten Hand. »Die Buschtrommeln vermelden, dass er mit dem Diebstahl von Computer-Chips aus einem Regierungslabor im Januar in Verbindung gebracht werden könnte. Anfang Juni wurden dann auf dem Weg nach Brüssel zum NATO-Hauptquartier streng geheime Softwarekomponenten gestohlen. Und vor wenigen Wochen vermeldete das Verteidigungsministerium den Verdacht, dass die Schaltpläne für ein neues, satellitengesteuertes Waffensystem möglicherweise illegal kopiert worden sein könnten. Kombiniert man diese drei Fakten ...«
»... könnte man auf den Gedanken kommen, er oder einer seiner Kunden versucht, entweder das Waffensystem nachzubauen oder mit den Einzelteilen potenziellen Käufern den Mund wässrig zu machen«, schloss Melanie. »Diese Sportler könnten tatsächlich als Kuriere fungiert haben. Ich meine, wer ist unauffälliger als eine Tanzsportlerin, ein Radrennfahrer oder ein Gewichtheber, die wegen irgendwelcher Wettkämpfe quer durch die Weltgeschichte reisen? Vielleicht sind sie dahintergekommen, was Peckert vorhat, oder aus anderen Gründen für ihn zu einem Sicherheitsrisiko geworden.«
»Wir haben bereits Agenten in den jeweiligen Ländern, in denen die drei Sportler ums Leben kamen, auf die Sache angesetzt«, erklärte Walter und erhob sich wieder. »Unsere Aufgabe ist es, alle verfügbaren Informationsquellen anzuzapfen, die uns Material über Peckert und seine möglichen Partner und Mittelsmänner liefern könnten.« Eindringlich musterte er jeden einzelnen Agenten im Raum. »Drehen Sie jeden noch so kleinen Stein um, versuchen Sie, Peckerts Aufenthaltsort ausfindig zu machen und herauszufinden, mit wem er derzeit Geschäfte tätigt. Erste Berichte erwarte ich heute Nachmittag auf meinem Schreibtisch. Alexa, Sie fliegen noch heute nach Paris und schließen sich unseren dortigen Kollegen an. Ich will jede Einzelheit über Marco Wittlachs Aufenthalt dort wissen: wie und wo er untergebracht war, was er gegessen und mit wem er gesprochen hat. Wenn er auch nur irgendwo ein paar Haarschuppen verloren hat, will ich einen Bericht darüber haben. Mit anderen Worten: An die Arbeit!«
»Alles klar, Chef.« Alexa erhob sich und strich ihr hautenges schwarzes Shirt über dem kurzen grauen Rock glatt. »Dann werde ich wohl gleich mal packen. Fliege ich in Begleitung?« Ihr Blick wanderte zu Markus.
Walter schüttelte den Kopf. »Das schaffen Sie schon alleine. Markus, für Sie habe ich einen besonderen Auftrag.«
»Schade. Paris macht zu zweit so viel mehr Spaß.« Mit einem vielsagenden Zwinkern wandte Alexa sich ab und verließ mit schwingenden Hüften den Konferenzraum.
Markus beachtete Alexa nicht weiter. »Worum geht es?«
Walter wartete, bis auch alle übrigen Agenten außer Melanie den Raum verlassen hatten, bevor er antwortete. »Sie kennen vermutlich das Intersportzentrum beim Sportpark Nord?«
»Sicher.« Markus nickte. »Eins der größten Fitnesscenter weit und breit.«
»Es ist mehr als ein Fitnesscenter.« Walter zog eine Broschüre aus einem Stapel Papiere und reichte sie ihm. »Lars Brenkow, der Besitzer, hat zwar klein angefangen, das Zentrum inzwischen jedoch zu einem Mekka für Sportwütige ausgebaut. Selbst international bekannte Sportler trainieren dort. Viele von ihnen haben Werbeverträge mit dem Zentrum und geben dort zum Teil auch Kurse und Workshops.«
»Lassen Sie mich raten – unsere drei Toten gehörten auch dazu.«
»Exakt. Was aber noch wichtiger ist: Ein Angestellter des Zentrums, ein Tilo Sommertal, hat uns um ein geheimes Treffen gebeten, und zwar nur einen Tag, nachdem Wittlachs Tod bekannt wurde. Offenbar hat dieser Sommertal Informationen über seinen Chef, die uns hinsichtlich Peckert weiterhelfen könnten. Er will mit einem Agenten sprechen, wenn wir ihm Zeugenschutz gewähren.«
»Aber das könnte ich doch übernehmen«, rief Melanie. »Ich trainiere selbst im Zentrum und kenne mich dort gut aus. Außerdem habe ich als Mitglied bereits eine Karte erhalten.«
»Genau deshalb möchte ich Sie nicht vor Ort haben«, widersprach Walter. »Wir können nicht wissen, wie sicher diese Informationsquelle ist. Wenn wir Sie dorthin schicken, könnte man Sie später mit dem Institut in Verbindung bringen. Ich möchte diese Aufgabe lieber jemandem übergeben, der dort unbekannt ist. Außerdem brauche ich Sie hier im Institut für die Hintergrundermittlungen, Melanie.«
»Aber ...«
»Markus, Sie trainieren nicht dort, soweit mir bekannt ist.«
»Nein, ich bevorzuge ein kleines Sportstudio in der Nähe meiner Wohnung.«
»Sehr gut. Sie werden sich am Freitagabend als Gast beim Herbstempfang des Intersportzentrums unter die Anwesenden mischen. Die genauen Daten zum Treffen mit Sommertal erhalten Sie am Freitagmittag.«
»Was ist meine Tarnung?«
Walter zuckte leicht die Achseln. »Das Institut für Europäische Meinungsforschung erhält regelmäßig Freikarten zu solchen Anlässen. Ich habe Ihnen eine in die Broschüre gelegt. Gehen Sie aber auf Nummer sicher und benutzen einen Decknamen.«
»Alles klar.«
»Dann an die Arbeit. Bis Samstag will ich auch von Ihnen beiden detaillierte Berichte und erste Ergebnisse vorliegen haben.« Walter nickte den beiden Agenten noch einmal zu und verließ den Konferenzraum.
»Na toll. Du hast natürlich den Joker gezogen.« Melanie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ist ja mal wieder typisch. Ausgerechnet der Herbstempfang! Weißt du, wie viele interessante Leute dort sein werden? Ganz zu schweigen von den knackigen Sportlern!«
»Melanie, verschon mich mit deinem Gemecker. Ich habe mir den Job nicht ausgesucht. Kann ich etwas dafür, dass du im Zentrum bekannt wie ein bunter Hund bist?« Markus hörte selbst, dass sein Ton aggressiver als angebracht war, doch er tat nichts, um die Wirkung abzumildern.
»So bekannt nun auch wieder nicht.« Stirnrunzelnd musterte sie ihn. »Meine Güte, hast du heute eine Laune. Lag Alexa vorhin vielleicht gar nicht so verkehrt mit ihrer Bemerkung? Wenn ich dich so ansehe, scheinst du ganz schön mitgenommen zu sein. Lange Nacht?«
»Zu viel Jameson«, knurrte er.
Überrascht hob sie die Augenbrauen. »Seit wann trinkst du denn das Zeug?«
»Normalerweise gar nicht. Ein guter Wein ist mir lieber. Deshalb hat es mich nach dem fünften Whisky auch komplett umgehauen.«
»Pfff, wozu denn überhaupt diese Sauftour?« Melanie begleitete das Wort, indem sie mit den Fingern imaginäre Anführungszeichen in die Luft zeichnete. »Lohnt sich doch nicht, wenn man sich nicht mal richtig volllaufen lassen kann.«
»Kann es sein, dass dich das nichts angeht?« Genervt schnappte Markus sich die Broschüre und erhob sich von seinem Stuhl.
Melanie zuckte nur die Achseln. »Ach Gottchen, dann eben nicht. Ich würde dir aber raten, dir spätestens bis Freitag eine bessere Stimmung zuzulegen. Mit dem finsteren Blick lassen dich die Türsteher sonst vielleicht gar nicht zum Empfang.«
»Lass das mal meine Sorge sein.«
»Nur zu gerne. Da du so mies drauf bist, kann ich ja direkt froh sein, dass ich dich nicht begleiten muss.«
»Wieso begleiten? Ich soll doch alleine hingehen.«
»Ja, aber die Karten gelten immer für zwei Personen.« Übertrieben kokett klimperte Melanie mit den Wimpern. »Na ja, ich rate dir, wirklich ohne Anhang zu gehen. Mit dem Gesichtsausdruck schlägst du sowieso jede potenzielle Begleiterin in die Flucht.« Sie nahm ihren Stapel Papiere vom Tisch und wandte sich zur Tür. »Man sieht sich.«
Markus atmete hörbar aus und gestattete sich endlich, seine Schläfen zu massieren. Der Tag hatte nicht gerade vielversprechend begonnen, und die Aussicht darauf, einen gefährlichen Waffenhändler jagen zu müssen, verbesserte die Perspektive nur wenig.
Da er nicht ewig im Konferenzraum herumsitzen konnte, nahm er die Broschüre des Sportzentrums an sich und zog die Eintrittskarte für den Empfang hervor. Sie war tatsächlich für zwei Personen ausgestellt. Achselzuckend schob er sie in die Tasche seines dunkelbraunen Jacketts. Er würde sich noch um eine Begleitung kümmern, sobald es ihm etwas besser ging.
3
Außenbezirk von Rheinbach
Gut Tomberg
Freitag, 18. November, 17:50 Uhr
»Till, hol bitte noch rasch zwei Flaschen Apfelsaft aus dem Keller.«
»Warum denn schon wieder ich? Susanna kann genauso gut gehen.« An der Stimme des blonden Neunjährigen war deutlich sein Missfallen über den Auftrag zu erkennen.
»Nein, kann sie nicht.« Janna drehte sich zu ihrem Pflegesohn um und bedachte ihn mit einem schmalen Lächeln. »Sie hat nämlich schon die Paprika und die Möhren für den Rohkostteller klein geschnitten, und jetzt deckt sie auch noch den Tisch. Und du, mein Freund, wirst den Saft heraufholen und danach Frank Bescheid sagen, dass es gleich Abendbrot gibt.«
»Naaa guuut.« Mit übertrieben schleppenden Schritten verließ der Junge die Küche.
Seine Zwillingsschwester Susanna, die gerade dabei war, die Teller auf dem Tisch zu verteilen, kicherte. »Der ist ja nur beleidigt, weil die Mädchenfußballmannschaft gegen die Jungs zwei zu eins gewonnen hat.«
»Kann sein.« Janna lächelte dem Mädchen zu. »Aber zieh ihn nicht damit auf. Du weißt selbst, wie blöd es ist, wenn man wegen so etwas gehänselt wird.«
»Hey, ich bin schließlich nicht in der Mädchenmannschaft. Fußball ist sowieso doof. Janna?«
»Mhm?«
»Kann ich bei den gelben Funken mitmachen?«
Janna, die gerade ein frisches Brot zum Schneiden auf die Brotmaschine gelegt hatte, hielt inne und drehte sich überrascht um. »Du willst Funkenmariechen werden?«
»Ja. Warst du doch auch mal. Ich hab Fotos von dir gesehen. Du warst richtig lange dabei.«
»Stimmt. Ich habe erst mit achtzehn aufgehört, bei den gelben Funken zu tanzen.« Bei der Erinnerung an jene Zeit erschien ein Lächeln auf Jannas Lippen. Sie hatte die Karnevalstanzgruppe in ihrer Jugend heiß geliebt. »Ich dachte, der Ballettunterricht gefällt dir nicht mehr.«