Table of Contents
Buchtitel
Impressum
Personenverzeichnis
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Danke
Mila Roth
Inseln weinen nicht
Fall 14 für Markus Neumann und Janna Berg
Impressum
Deutsche Erstausgabe
2. Auflage, August 2022
Copyright © 2021 by Mila Roth
Herausgeberin: Petra Schier, Lerchenweg 6, 53506 Heckenbach
Covergestaltung unter Verwendung von Adobe Stock:
© vector_v / © adidesigner23 / © vectorfusionart
Lektorat: Barbara Lauer
ISBN 978-3-967110-48-7
Alle Rechte vorbehalten.
Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin möglich.
Die Personen und Handlungen im vorliegenden Werk sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Personenverzeichnis
Hauptpersonen:
Janna Berg: Pflegemutter von neunjährigen Zwillingen. Zivile Mitarbeiterin des Instituts
Markus Neumann: Agent
Geheimdienst:
Alexa Baumgartz: Agentin
Walter Bernstein: Leiter der Abteilung für nationale und internationale Terrorabwehr und organisiertes Verbrechen (Abteilung 7)
Silvia Birkner: Empfangsdame im Institut
Murat Coskun: Agent, IT-Spezialist
Melanie Teubner: Agentin
Thommy Wörner: Agent
Sonstige Personen:
Bernhard Berg: Jannas Vater
Linda Berg: Jannas Mutter
Susanna und Till Berg: Jannas neunjährige Pflegekinder, Zwillinge
Steffen Bräunling: Annabelles Freund
Kevin Darhausen: Vorstandsmitglied der FDH
Michelle Darhausen: Kevins Tochter
Annabelle Görgen: Wulfs Nichte
Wulf Görgen: Informant
Rainer Mengst: Mitglied der FDH
Henning Mühlmann: Mitglied der FDH
Lydia Mühlmann: Mitglied der FDH
Klaus Scherhag: Polizeidirektor beim BKA, Markus’ Vater
̒
1
Bonn, Rheinaue
Jupiter-Wasserfall
Donnerstag, 23. August, 11:15 Uhr
»Das war ja eine tolle Idee.« Halb lachend, halb fluchend schüttelte Janna sich und rieb gleich darauf darauf bibbernd ihre Oberarme. »Ich werde mich so was von erkälten!«
»Quatsch, wir haben mindestens vierundzwanzig Grad. War doch erfrischend, die Dusche.« Auch Markus schüttelte sich lachend. »Komm, beeilen wir uns. Die Zielperson ist jetzt eh auf und davon.« Grinsend deutete er in die Richtung des Rheinaue-Parkplatzes. »Sehen wir zu, dass wir ein paar trockene Klamotten finden.«
Janna seufzte und folgte ihm im Laufschritt auf dem von Spaziergängern bevölkerten Weg. Mehrfach ernteten sie verwunderte, amüsierte oder auch befremdete Blicke der Parkbesucher. »Hast du wenigstens ein Handtuch oder so was im Auto?«
Markus warf ihr einen vielsagenden Seitenblick zu. »Sehe ich aus, als würde ich Handtücher mit mir herumkutschieren?«
»Ich dachte, als Agent müsse man allzeit bereit sein.«
»Das verwechselst du mit den Pfadfindern.«
»Vielleicht, weil ich Pfadfinderin bin.« Fröstelnd zupfte Janna an ihrem bunt gemusterten, völlig durchnässten T-Shirt herum. »In meinem Kofferraum liegt immer zumindest eine Decke. Ein Handtuch meist auch, wenn ich mit den Kindern in den Freizeitpark fahre oder wenn wir Bella dabeihaben.«
»Hm, toll, Handtuch mit Hundemief. Das würde mir jetzt noch fehlen.« Mit gespreizten Fingern fuhr Markus sich durch sein kurzes, dunkelbraunes Haar. »Wenigstens wissen wir jetzt, dass Breslau sich mit jemandem aus dem Honorarkonsulat der Republik Togo trifft. Das können wir den Kolleginnen und Kollegen in der Abteilung sieben weitergeben. Sollen die sich dann weiter darum kümmern. Ich hasse solche Aushilfsarbeiten, aber Walter hat ja unbedingt darauf bestanden, dass wir die Observierung übernehmen.«
»Ja, damit ich ein bisschen Praxis bekomme.« Janna schüttelte ihr schulterlanges Haar und entwirrte die kupferroten Locken notdürftig mit den Fingern. »Wenn ich gewusst hätte, dass ich eine Gratisfreiluftdusche dazubekomme, hätte ich eine Regenjacke mitgenommen.«
Sie hatten sich, um während der Observierung eines potenziellen ausländischen Spions rasch außer Sichtweite zu kommen, an die Steinmauer am Jupiter-Wasserfall gedrängt, damit sie vom Weg, der oberhalb vorbeiführte, nicht entdeckt werden konnten. Der Wasserfall war wegen Wartungsarbeiten an der Pumpe abgeschaltet gewesen, doch ausgerechnet in dem Moment, als sie sich aus der Deckung hatten wagen wollen, war das Wasser wieder geflossen.
»Berufsrisiko.« Obwohl auch Markus vor Nässe triefte, nahm er die Sache deutlich gelassener als sie. Er hatte sein Smartphone hervorgeholt und tippte im Laufen eine Kurznachricht. »So, Melanie weiß schon mal Bescheid. Wenn wir Glück haben, können wir uns den Rest des Tages freinehmen. Im Moment ist ja nicht viel los.« Ein Signalton verriet, dass er eine Nachricht erhalten hatte. Als er sie las, runzelte er die Stirn. »Mist. Bürodienst. Walter verlangt noch heute den Observierungsbericht und meine Spesenabrechnung vom letzten Monat.«
Janna ließ von ihren Haaren ab. »Hast du die immer noch nicht fertig?«
»Hey, ich bin viel beschäftigt.«
»Aber nicht in den letzten drei Tagen. Seit der Sache mit dieser nervigen Wissenschaftlerin am vergangenen Wochenende hatten wir doch kaum etwas zu tun.« Mit einer Mischung aus Schauder und Stolz dachte Janna an ihren letzten gemeinsamen Fall zurück, bei dem sie in eine wilde Verfolgungsjagd verwickelt gewesen war. Sie hatte Blut und Wasser geschwitzt, sich aber so gut geschlagen, dass Walter Bernstein, ihr Vorgesetzter, sie ausdrücklich gelobt hatte.
Da für die neue Abteilung sieben A, zu der momentan nur Markus und sie gehörten, noch keine weiteren Aufträge vorlagen, halfen sie ihren Kolleginnen und Kollegen in der Abteilung sieben mit Handreichungen und Aushilfsarbeiten aus – so wie heute Vormittag. Walter Bernstein wollte sichergehen, dass Janna, die erst seit Kurzem fest im Institut angestellt war, ausreichend Training erhielt und Praxiserfahrung sammelte. Deshalb hatten sie in den letzten Tagen mehrmals Observierungsschichten oder Kurierdienste übernommen. Sie fand diese Tätigkeiten noch aufregend, doch Markus langweilte sich wahrscheinlich die meiste Zeit dabei. Er hatte ihr schon mehrmals erklärt, dass Geheimdienstarbeit zum größten Teil aus langwierigen Observierungen und dem schnöden Sammeln von Informationen bestand – meistens vom Schreibtisch aus. Dass sie zusammen in den letzten Monaten häufig in aufregende und manchmal auch extrem gefährliche Abenteuer verwickelt worden waren, war teils Zufall, lag aber auch daran, dass Markus bislang als Soloagent so gut wie immer die besonders schwierigen Fälle übernommen hatte.
»Privat hatte ich einiges um die Ohren.« Sie erreichten den Parkplatz. Markus zog seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche und betätigte die Fernbedienung des dunkelgrauen BMW X3, den er seit Kurzem als Ersatz für seinen geschrotteten Sportwagen fuhr.
»Mit Celine?« Rasch ließ Janna sich auf den Beifahrersitz gleiten, lupfte aber gleich wieder den Po und verzog kläglich die Lippen. »Ich werde Wasserflecken auf deinen Polstern hinterlassen.«
»Solange es bloß Wasser ist. Das trocknet doch wieder.« Markus klemmte sich hinters Steuer und ließ den Motor an. Augenblicke später befanden sie sich bereits auf dem Weg zum Institut. »Wie kommst du auf Celine?«
»Ich dachte, sie ist deine Freundin.« Aufmerksam musterte sie Markus von der Seite. Auch nass sah er wie immer umwerfend aus mit den kantigen Gesichtszügen. Er trug heute einen Zweitagebart, weil er, wie er angedeutet hatte, am Abend zuvor lange ausgegangen war und heute Morgen verschlafen hatte. Sein graues Freizeithemd betonte die breiten Schultern, die schwarzen Jeans seine schmalen Hüften und langen, kräftigen Beine. Sicherheitshalber hielt Janna sich nicht allzu lange mit ihrer Musterung auf, weil sie die Erfahrung gemacht hatte, dass sein Anblick ihrem Hormonhaushalt alles andere als guttat. Das war der einzige Minuspunkt, den sie ihrer neuen Stellung im Geiste gab – mal abgesehen von der Gefahr, in die sie gelegentlich gerieten. Sie bekam die unwillkürlichen Regungen ihres Körpers in seiner Gegenwart nicht ausreichend in den Griff. Dabei waren sie vollkommen überflüssig und irrational. Sie war mit Markus inzwischen sehr gut befreundet – andernfalls hätte sie wohl niemals einer so engen Zusammenarbeit mit ihm zugestimmt –, doch mehr war zwischen ihnen nicht. Er war mitnichten der Typ Mann, der in ihr Leben passte, und umgekehrt war sie noch viel weniger sein Typ.
»Sie ist nicht meine Freundin. Wir sehen uns ab und zu und ... na ja.«
»Ihr schlaft miteinander.«
»Wenn es sich ergibt.« Er zuckte mit den Achseln. Das heitere Grinsen war von seinen Lippen verschwunden. »Ich hatte eine Auseinandersetzung mit meinem Vater.«
»Oh.« Betroffen verzog sie die Lippen. Sie wusste, dass die Beziehung der beiden Männer kompliziert war. »Das tut mir leid. War es wieder wegen der Stelle, die er dir beim BKA geben will?«
Geräuschvoll stieß Markus die Luft aus. »Die ist vom Tisch. Jetzt hat er sich auf alle möglichen Ratschläge verlegt, seit er erfahren hat, dass ich zum Teamleiter befördert wurde. Ich hätte wissen müssen, dass ich mir damit nur Ärger einhandele.«
Irritiert runzelte Janna die Stirn. »Warum denn Ärger? Dein Vater hat doch als Kriminaldirektor jede Menge Erfahrung im Leiten von Abteilungen und Teams. Bestimmt kann er dir wertvolle Tipps geben.«
Der Blick, der sie traf, hätte tödlicher nicht sein können. »Wenn ich jemand wäre, dem wie meinem Vater die Korinthen in Massen aus dem A..., aus dem Hintern fallen, dann vielleicht.«
»Liebe Zeit.« Janna unterdrückte ein Schmunzeln. »Bestimmt meint er es nur gut.«
»Und treibt mich damit in den Wahnsinn.«
Nun musste sie tatsächlich lachen. »Das tun Eltern nun mal. Er hat dich lieb und will, dass du erfolgreich bist.«
Markus hustete und verriss dabei beinahe das Lenkrad. »Mein Vater will die größtmögliche Kontrolle über mich ausüben, so wie immer. Nicht mehr und nicht weniger.«
Janna runzelte die Stirn. »Glaubst du das wirklich?«
»Ich glaube es nicht, ich weiß es. Ich kenne Klaus Scherhag schon ein bisschen länger als du. Seit er mich von meiner Mutter weggeholt hat, versucht er, mir in mein Leben hineinzureden.«
Janna kannte die Geschichte, zumindest teilweise. Klaus Scherhag hatte als junger Mann eine Affäre mit Markus’ Mutter gehabt, jedoch erst viele Jahre später erfahren, dass daraus ein Sohn hervorgegangen war. Iris Neumann war, soweit Janna bislang von Markus erfahren hatte, eine Alkoholikerin und drogen- oder medikamentenabhängig. Sie hatte sich nie viel um Markus gekümmert, sodass er von klein auf überwiegend auf sich gestellt gewesen und mehr oder weniger auf der Straße aufgewachsen war. An seinem dreizehnten Geburtstag hatte sein Vater ihn zu sich genommen – nachdem er Iris Geld für seinen Sohn gezahlt hatte. Janna konnte sich kaum vorstellen, wie das für Markus gewesen sein mochte oder wie sein Leben als Kind ausgesehen hatte. Doch er hatte etwas aus sich gemacht, war ein erfolgreicher Geheimagent geworden – und ein sehr komplizierter Mann. »Warum glaubst du, tut er das? Doch ganz bestimmt, weil er dich gernhat und für seinen Sohn ein besseres Leben will. Soweit ich das beurteilen kann, hat er in der Hinsicht einen guten Job gemacht.«
»Kann sein.« In Markus’ Wange zuckte ein Muskel, was Janna verriet, wie angespannt er war. »Aber ich bin schon eine ganze Weile erwachsen. Allmählich kann er seine Erziehungsmethoden an den Nagel hängen.«
Janna schüttelte leicht den Kopf. »Wenn du selbst Kinder hättest, wüsstest du, dass das einfacher gesagt als getan ist. Ich bin sicher, dass ich Till und Susanna später auch mal mit meinen guten Ratschlägen auf den Senkel gehen werde, wenn sie erwachsen sind. Dabei ist das Alter vollkommen egal. Das ist einfach der Lauf der Dinge und beweist nur, dass zwischen Eltern und Kind im besten Fall eine enge Bindung besteht. Auch zwischen dir und deinem Vater, ob du es nun toll findest oder nicht.«
Markus warf ihr einen finsteren Seitenblick zu. »Bindungen sind generell nicht so mein Ding, wie du weißt. Ich bin lieber auf mich allein gestellt. Weniger Probleme und weniger Verantwortung für beide Seiten.« Er setzte den Blinker und fuhr in die Tiefgarage des Geheimdienstes ein, der sich offiziell als Institut für Europäische Meinungsforschung tarnte.
»Schon klar.« Janna zupfte wieder an ihrem T-Shirt herum. Kalt war ihr zwar nicht mehr, weil das Auto durch die Sonneneinstrahlung auf dem Parkplatz aufgeheizt worden war, doch sie fühlte sich in den nassen Klamotten ausgesprochen unwohl. »So wie bei der Sache mit Celine. Spaß haben ist okay, aber deine Freundin darf sie nicht sein.« Sie merkte, dass ihre Stimme einen spitzen Unterton angenommen hatte, und ärgerte sich. Sie hatte schließlich nicht das Recht, Markus für die Art seiner Beziehungen zu kritisieren. Das war ganz allein seine Sache.
»Vielleicht will sie gar nicht meine Freundin sein.« Nachdem Markus den X3 auf seinem angestammten Parkplatz abgestellt hatte, stieg er eilends aus.
Janna tat es ihm gleich und fuhr prüfend über die Sitzfläche des Beifahrersitzes. Sie war glücklicherweise weniger durchfeuchtet, als sie befürchtet hatte. »Hast du sie denn überhaupt schon mal danach gefragt?«
»Das hat sich bisher noch nicht ergeben.« Zwischen Markus’ Augen hatte sich eine steile Falte gebildet. »Aber sie trifft sich auch noch mit anderen Männern.«
»Was?« Verblüfft hob Janna den Kopf.
Markus trat an den Aufzug, der sich nur mittels Handflächen-Scan bedienen ließ. Als die Türen sich öffneten, warf er Janna einen bezeichnenden Blick zu. »Sie sagt, sie will sich nicht binden. Dazu sei sie noch zu jung.«
»Ach.«
»Und das kommt mir sehr entgegen.«
»Bist du sicher, dass sie das nicht vielleicht nur sagt, damit du nicht gleich die Flucht ergreifst?«
Markus hielt kurz inne, runzelte die Stirn.
Hatte sie einen Nerv getroffen? Sie war sich nicht sicher, weil er darauf nicht weiter einging. Schließlich hüstelte sie. »Hast du auch mehrere Freundinnen – oder Bettbekanntschaften – gleichzeitig?«
»Nein.« Markus betätigte den Fahrstuhlknopf fürs Erdgeschoss; die Türen schlossen sich. »Das ist mir zu stressig. Und es wäre den betreffenden Frauen gegenüber respektlos.«
Überrascht sah Janna ihn an. »Dir gegenüber ist es genauso respektlos, wenn Celine nebenher noch mit anderen Kerlen rummacht. Stört dich das überhaupt nicht?«
»Nein.« Angelegentlich blickte Markus auf die Fahrstuhlanzeige. »Können wir bitte das Thema wechseln?«
»Magst du sie denn kein bisschen?«
Er zog die Stirn in Falten. »Das habe ich nicht gesagt. Wir kommen gut miteinander aus. Haben Spaß. Sie ist witzig und intelligent. Sexy.«
»Nicht mehr?«
Sein gewittriger Blick traf sie. »Was willst du eigentlich von mir hören?«
Geräuschlos öffneten sich die Fahrstuhltüren im Erdgeschoss.
»Ich weiß es nicht.« Janna hob die Schultern und trat vor Markus aus dem Aufzug. »Ich verstehe nur nicht, wie man so leben kann wie du. So ohne echte Gefühle und ohne Bindungen. Das wäre nichts für mich.«
»Hat ja auch niemand verlangt, dass du so leben musst wie ich, oder?« Mit ausholenden Schritten ging er auf den Empfangstresen im Foyer zu, hinter dem heute eine schicke blonde Mittvierzigerin ihren Dienst tat. »Morgen, Sylvia. Alles klar?« Er schenkte der Empfangsdame sein typisches charmantes Lächeln. »Melden uns gehorsamst zurück.« Spielerisch salutierte er. »Ach ja, Krautsuppe ist das heutige Passwort.«
»Guten Morgen, Herr Neumann.« Sylvia Birkner lächelte zwar, hob aber zugleich erschrocken die Augenbrauen. »Lieber Himmel, wie sehen Sie denn aus? Und Frau Berg, Sie ebenfalls? Regnet es etwa?« Sie warf einen Blick durch die zweiflügelige Eingangstür nach draußen.
»Nein.« Janna lächelte ihr ebenfalls zu. »Wir haben eine nicht ganz freiwillige Dusche unter dem Jupiter-Wasserfall in der Rheinaue genommen.«
»Ach herrje, dann ziehen Sie sich mal lieber rasch um. Sie haben doch Kleidung zum Wechseln? Sonst organisiere ich welche für Sie.«
»Nein, schon gut.« Janna winkte ab. »Ich habe oben Sachen im Spind. Du doch auch, oder?« Sie warf Markus einen fragenden Blick zu.
»Alles vorhanden«, bestätigte er.
»Gut.« Die Empfangsdame lächelte entspannt. »Hier, bitte sehr, Ihre Ausweise.« Sie reichte ihnen die Dienstausweise, die sie hier im Haus stets gut sichtbar an der Kleidung befestigen mussten.
»Danke sehr!« Janna schnappte sich ihr Exemplar und eilte zur Treppe. Sie hätte zwar auch den Aufzug nehmen können, doch die Bewegung hielt sie warm. Sie wollte sich auf gar keinen Fall erkälten, denn sie hatte ihren beiden Pflegekindern, den neunjährigen Zwillingen Susanna und Till, versprochen, am Wochenende etwas mit ihnen zu unternehmen.
Markus folgte ihr auf dem Fuße und nur wenig später traten sie, ebenfalls wieder nach einem Handflächen-Scan, durch die schusssichere Glastür, auf der in gut lesbaren Buchstaben stand:
Abt. 7A
Forschung & Entwicklung
Demografie
Nationale und internationale Märkte
Hinter der zweiten Tür auf der linken Seite lag das Büro, dass sie sich teilten. Janna legte eilig Handy und Handtasche auf ihren Schreibtisch. Anschließend ging sie zielstrebig auf die letzte Tür rechts am Ende des Ganges zu, hinter der sich die Waschräume befanden. »Ich will nur noch aus den nassen Sachen raus!« Ohne weiter darauf zu achten, dass Markus ihr immer noch folgte, trat sie in den kleinen Umkleideraum auf der linken Seite, der sich gleich neben der Damendusche befand. Dort hatte sie einen der drei Spinde mit Kleidern zum Wechseln und ein paar persönlichen Toilettenartikeln und anderen Gegenständen gefüllt.
Markus war indes zur Herrenumkleide gegangen und sie hörte, wie er seinen Spind öffnete. »Zerbrich dir nicht meinen Kopf«, rief er zu ihr herüber. »Mir gefällt mein Leben so, wie es ist. Ganz abgesehen davon lebt es sich ohne Bindungen meiner Meinung nach wesentlich unkomplizierter.«
»Kann schon sein.« Janna zog sich das T-Shirt über den Kopf und schälte sich aus den feuchten Jeans. »Aber auf Dauer könnte ich das trotzdem nicht. Der Mensch ist nicht dafür geschaffen, ewig einsam und allein zu sein.«
»Ich bin nicht einsam und allein.«
»Das ist deine Meinung.« Janna stieß eine Mischung aus Seufzen und Lachen aus. »Na klar, du bist wie eine Insel.«
»Eine was?« Markus raschelte mit seinen Klamotten, zog sich also anscheinend auch gerade aus.
»Eine Insel.« Janna tauschte rasch den feuchten BH gegen ein schlichtes weißes und herrlich trockenes Bustier. Auch ihren Slip musste sie wechseln. Der Wasserfall hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. »Du weißt schon, wie in dem Song von Simon & Garfunkel: I am a rock, I am an i-i-is-land«, trällerte sie.
Wieder raschelte es nebenan. »Was ist so schlimm daran?« Markus räusperte sich und sang dann sehr melodisch: And a rock feels no pain, and an island never cries.«
»Haha.« Janna legte ihre nassen Sachen über den Stuhl, der in der Zimmerecke stand, und wandte sich dann wieder dem Spind zu, um sich trockene Jeans und ein passendes Oberteil herauszusuchen. »Zufällig weiß ich aber, dass du nicht aus Stein bist.«
***
»Was du nicht sagst.« Markus schlüpfte rasch in trockene, eng anliegende schwarze Shorts und warf die nasse Unterwäsche zu seinen übrigen Klamotten auf den Boden. Er wusste nicht recht, was er von dieser Unterhaltung halten sollte. Normalerweise sprach er nicht über seine Probleme oder Gefühle – wozu auch? Er hatte von klein auf gelernt, allein mit sich zurechtzukommen. Seit Janna in sein Leben getreten war, hatte sich jedoch so einiges für ihn verändert. Sie war ihm eine gute Freundin geworden, die beste, die er je gehabt hatte. Auch wenn – oder gerade weil – sie ihm mit ihrer eindringlichen Art manchmal gehörig auf den Keks ging. So wie jetzt.
»Mit einem Stein könnte ich niemals befreundet sein.« Sie schwieg einen Moment, als er darauf nicht antwortete. »Wir sind doch befreundet?«
Markus grinste grimmig. »Ich denke schon. Zumindest sind wir es noch. Wenn wir allerdings nicht bald das Thema wechseln, könnte ich es mir noch mal überlegen.« Während er sprach, trat er an die Tür zur Damenumkleide, die einen Spalt offenstand. Da er annahm, dass Janna inzwischen wieder voll bekleidet war, streckte er den Kopf durch den Türspalt. »Ich kann nämlich ganz gut ohne ...« Erschrocken hielt er inne. Janna stand an ihrem Spind, nur mit einem knappen weißen Slip und einem ebenfalls weißen Bustier bekleidet. Doch auch wenn der Anblick ihres schlanken Körpers und ihrer wohlgerundeten Brüste ihn alles andere als kalt ließ, heftete sein entgeisterter Blick sich auf etwas gänzlich anderes. »Um Himmels willen, Janna!«
»Markus!« Bei seinem Anblick ließ Janna erschrocken das Shirt fallen, das sie gerade hatte überziehen wollen. »Was tust du denn hier?«
»Janna, verdammt noch mal, was ist das? Was ist passiert?« Für einen Moment sah er regelrecht rot, denn an Bauch, Rücken und Hüften hatte sie hässliche, dunkellila und grünliche, an den Rändern auch bereits gelblich verblasste Blutergüsse. Mit zwei Schritten war er bei ihr und fasste sie an den Schultern, suchte ihren Blick. »Wer hat das getan?«
»Was denn?« Janna blickte irritiert zu ihm auf, dann an sich hinab. Plötzlich kicherte sie. »Oh. O ja, das.«
»Das ist nicht witzig!« Markus schlug das Herz bis zum Hals hinauf und eine unbändige Wut suchte sich ihren Weg an die Oberfläche. »Wer hat dir das angetan?« Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme schwankte. Vor Zorn. Reinem, rechtschaffenem Zorn!
»Doch, ist es.« Janna kicherte immer noch, wurde aber wieder ernst, als er unwillkürlich seine Finger in ihre Schultern grub. »Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken. Was kommst du aber auch einfach so hier rein?«
»Lenk nicht vom Thema ab!« Aufgebracht musterte er sie, doch der Anblick der Blutergüsse war für ihn kaum auszuhalten. »Wer auch immer das gewesen ist, gehört ganz gewaltig ...«
»Markus!« Janna schüttelte den Kopf. »Bitte beruhige dich. Das sind bloß blaue Flecke vom Hula-Hoop.«
Befremdet hielt er inne. »Vom was?«