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Eine alte Freundin bittet Geheimagent Markus Neumann um Hilfe: Dr. Valentina Kostova hat einen Quantencode entwickelt, der es ermöglicht, Daten in bisher ungeahnter Geschwindigkeit und Sicherheit zu übertragen. Da dieser Code das Potenzial hat, bestehende Kommunikationsnetzwerke weltweit zu revolutionieren, fürchtet sie, dass er von kriminellen oder terroristischen Vereinigungen geraubt oder sie selbst entführt werden könnte. Das Institut willigt ein, die Wissenschaftlerin sicher in ihre Heimatstadt Sofia zu begleiten und den Code vor feindlichem Zugriff zu sichern. Markus und seine zivile Partnerin Janna Berg gehen als Ehepaar getarnt mit Valentina an Bord eines Donau-Kreuzfahrtschiffs, um unerkannt nach Bulgarien zu reisen. Schon bald muss das ungleiche Agententeam erkennen, dass nicht nur Kriminelle hinter Valentinas Geheimnissen her sind, sondern auch der russische Geheimdienst und anscheinend sogar Spione aus den eigenen Reihen. Aus der Donau-Kreuzfahrt wird ein mörderischer Spießrutenlauf und aus Markus' und Jannas Undercover-Einsatz ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.
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Seitenzahl: 282
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Wer zuletzt tanzt, tanzt am besten
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Mila Roth
Wer zuletzt tanzt, tanzt am besten
Fall 15 für Markus Neumann und Janna Berg
Impressum
eBook Edition, Version 1
Copyright © 2024 by Mila Roth
Herausgeberin: Petra Schier, Lerchenweg 6, 53506 Heckenbach
www.mila-roth.de
Cover-Abbildung unter Verwendung von Adobe Stock:
© illustrart / © paunovic / © adidesigner23 / © Ankana / © ntnt
ISBN 978-3-96711-050-0
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
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Die Personen und Handlungen im vorliegenden Werk sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Erwähnungen von historischen bzw. realen Ereignissen, realen Personen oder Orten sind rein fiktional.
Personenverzeichnis
Hauptpersonen:
Janna Berg: Pflegemutter von neunjährigen Zwillingen, zivile Mitarbeiterin des Instituts
Markus Neumann: Agent
Geheimdienst (Institut):
Gerlinde Bernstein: Walters Ehefrau und Assistentin
Walter Bernstein: Leiter der Abteilung für nationale und internationale Terrorabwehr und organisiertes Verbrechen (Abteilung sieben)
Janu Budai: ungarischer Agent
Adám Farkas: ungarischer Agent
Gabriel Riemann: Analyst, Melanies Partner, genannt »Professor«
Dr. Jochen Schwartz: Leiter der Abteilung für interne Angelegenheiten
Melanie Teubner: Agentin
Bence Török: ungarischer Agent
Sonstige Personen:
Susanna und Till Berg: Jannas neunjährige Pflegekinder, Zwillinge
Felicitas Berg: Jannas jüngere Schwester
Dr. Valentina Kostova: bulgarische Wissenschaftlerin
Enrico Oliveira: Bianca da Solvas Komplize
Ruslan Wassiljew: ehemaliger Agent beim FSB
Sasha: Ruslan Wassiljews Komplizin
Bianca da Solva: portugiesische Waffenhändlerin
Dr. Gerd Sundermann: Tills und Susannas Vater, Professor der Archäologie an der Uni Köln
Annemarie und Egon Sutter: Passagiere auf der MS Amandus
1
Außenbezirk von Rheinbach
Gut Tomberg
Dienstag, 4. September, 14:52 Uhr
»Hab ich alles?«, murmelte Janna vor sich hin, während sie nervös zwischen ihrem Schlafzimmer und dem Bad hin und her eilte. Auf ihrem Bett lag ein geöffneter Reisekoffer, aus dem bereits ein viel zu großer Stapel Kleidungsstücke herausragte. Sie würde noch einmal aussortieren müssen, denn andernfalls würde sie nicht einmal mehr ihren Waschbeutel unterbringen. Gleichzeitig ging sie fieberhaft im Kopf die Liste durch, auf der sie alle Gegenstände verzeichnet hatte, die sie in den nächsten elf Tagen unbedingt oder doch ziemlich wahrscheinlich benötigen würde. Zwischendurch schalt sie sich innerlich immer wieder ein dummes Huhn. Warum war sie eigentlich so aufgeregt? Es war schließlich nicht das erste Mal, dass sie zusammen mit Markus und noch zwei weiteren Agenten des Instituts in einen Einsatz geschickt wurde. Allerdings noch niemals auf einen so langen, das musste sie sich zugestehen.
»Bist du schon aufgeregt?« Ihr fast zehnjähriger Pflegesohn Till war im Türrahmen aufgetaucht und sah neugierig ihren Bemühungen zu, den Koffer zu packen.
»Ein bisschen«, gab sie lächelnd zu und hielt für einen Moment inne. »Immerhin war ich noch nie auf einer Flusskreuzfahrt.«
»Ich auch nicht.« Till grinste. »Machst du ganz viele Fotos für uns und rufst uns jeden Tag an?«
»Selbstverständlich.« Zumindest hoffte sie, dass es erlaubt sein würde, ein paar Fotos zu machen. Immerhin war ihr Einsatz streng geheim, doch es wäre wohl seltsam, wenn sie nicht wenigstens ein paar Bilder an ihre Familie schicken dürfte. »Ob ich es jeden Tag schaffen werde, euch anzurufen, weiß ich noch nicht, aber ich werde es versuchen. Ich weiß noch nicht, wie …« Sie zögerte und suchte nach den passenden Worten. »… wie viel wir mit unseren Umfragen an Bord zu tun haben werden«, vollendete sie den Satz schließlich.
»Ich finde es voll nice, dass du auf die Kreuzfahrt fahren darfst.« Der Junge grinste noch breiter. »Da kannst du dann gucken, ob es auf dem Schiff schön ist, und wenn wir nächstes Jahr unseren Urlaub buchen, können wir so was vielleicht auch mal machen.«
Janna lachte. »Voll nice? Wo hast du das denn her?«
Till zuckte mit den Achseln. »Das sagen die aus den höheren Klassen immer, weil es cooler ist als cool.«
»Nice ist also cooler als cool?« Schmunzelnd schüttelte Janna den Kopf. »Schon interessant, was ihr auf dem Gymnasium alles lernt.«
Till und seine Zwillingsschwester Susanna besuchten seit gerade zwei Wochen das Gymnasium in Rheinbach. Eigentlich war es deshalb ungünstig, dass sie gerade jetzt auf einen längeren Einsatz geschickt wurde, denn immerhin befanden die beiden sich noch in der Findungs- und Eingewöhnungsphase an ihrer neuen Schule. Doch daran ließ sich nun nichts mehr ändern. Walter Bernstein, ihr Vorgesetzter im Institut, hatte den Einsatz höchstpersönlich genehmigt, nachdem offenbar eine alte Bekannte Markus um Hilfe gebeten hatte. Genaueres wusste Janna noch nicht, denn Markus war bis gestern noch auf einem Einsatz in Russland gewesen, für den ihre Sicherheitsfreigabe als Zivilistin nicht ausgereicht hatte. Allerdings hatte sie alle seine eingehenden Anrufe und Informationen bearbeitet und gebündelt an die jeweils zuständigen Abteilungen weitergegeben. Sie hoffte, dass er sie auf dem Flug nach Wien über die Einzelheiten in Kenntnis setzen würde, falls ihm das erlaubt war. Sie wollte gerne mehr über seine Arbeit erfahren, musste sich aber oft mit Nichtigkeiten zufriedengeben, weil das Institut nach dem Need-to-know-Prinzip arbeitete, was bedeutete, dass alle Beteiligten an einem Fall nur gerade so viele Informationen erhielten, wie notwendig waren, damit sie ihre Aufgabe erfüllen konnten.
»Erzählst du mir noch mal, wo ihr überall hinfahrt?«, bat Till, stieß sich vom Türrahmen ab und setzte sich neben den Koffer aufs Bett. Neugierig beäugte er dessen Inhalt. »Willst du das wirklich alles mitnehmen?«
Janna verdrehte seufzend die Augen. »Nein, ich fürchte, ich habe es ein bisschen übertrieben. Ich weiß nur einfach nicht so genau, was man auf so einer Flusskreuzfahrt trägt. Zwar steht auf dem Infoblatt des Veranstalters, dass man nur beim Kapitänsdinner schicke Abendgarderobe tragen muss, aber wenn ich mir die ganzen Fotos auf der Internetseite anschaue, sehe ich dort fast nur Leute in schicken Sachen.«
Hinzu kam, dass Gerlinde Bernstein sie am Vormittag informiert hatte, dass Janna und Markus nicht nur wieder einmal als Ehepaar auftraten, sondern auch an einem Tanzwettbewerb teilnehmen sollten. Als Janna sie gefragt hatte, warum es ausgerechnet ein Tanzwettbewerb hatte sein müssen, hatte Gerlinde ihr mit einem Augenzwinkern erklärt, dass die Alternative ein Schachturnier gewesen wäre – oder eine Seminarreihe zum Thema Kamasutra und tantrische Liebestechniken. Noch jetzt verschluckte Janna sich beinahe bei dem Gedanken, dass diese Kreuzfahrtgesellschaft überhaupt solche Freizeitangebote bereithielt. Dieser Tanzwettbewerb war also die sicherste und am wenigsten verfängliche Tarnung, bedeutete jedoch, dass sie entsprechende Kleidungsstücke mitnehmen musste. Doch wie in aller Welt sollte sie die alle in nur einem Koffer unterbringen? Vielleicht sollte sie doch noch eine zweite Tasche in Erwägung ziehen.
»Ich finde, du siehst in allen Sachen schick aus.« Till spielte am Verschluss des Koffers herum. »Das hat Papa neulich auch gesagt.«
»Hat er das?« Kritisch musterte Janna den Inhalt des Koffers, sortierte ein paar Stücke aus, wandte sich ihrem Kleiderschrank zu und überlegte, welche der darin verbliebenen Kleidungsstücke sie noch mitnehmen sollte.
»Ja.« Es klickte leise, als Till den Verschluss hoch- und runterklappte. »Finde ich aber auch.«
»Danke.« Lächelnd warf Janna ihrem Pflegesohn einen kurzen Blick zu. »Wir fliegen morgen früh nach Wien und gehen dort an Bord«, kam sie auf seine vorige Frage zurück. »Wir übernachten auf dem Schiff und besuchen am nächsten Tag wahrscheinlich noch einmal Wien, dann fahren wir zuerst nach Bratislava, das ist in Slowenien. Anschließend schippern wir durch Ungarn, Kroatien, Serbien und Bulgarien und zuletzt durch Rumänien. Dabei besuchen wir unter anderem Budapest, Vukovar und Belgrad, aber auch noch einige weitere Städte links und rechts der Donau. Am letzten Tag fahren wir von Rousse nach Bukarest und fliegen von dort zurück nach Hause.« Den Abstecher, den sie nach Sofia machen würden, erwähnte sie tunlichst nicht, denn der gehörte strikt der Geheimhaltungsstufe an.
»Nice«, wiederholte Till sichtlich beeindruckt. »Machen wir dann auch mal irgendwann so eine Flusskreuzfahrt?«
»Mal sehen.« Janna hob die Schultern. »Eigentlich bin ich gar keine große Freundin von Kreuzfahrten, ob nun auf Flüssen oder auf dem Meer. Die Belastung für die Umwelt ist ziemlich groß, weißt du?«
Zögernd nickte Till.
Sie trat zu ihm und strich ihm über den blonden Haarschopf. »Teuer ist es auch. Mal sehen, okay? Erst einmal muss ich herausfinden, ob so eine Kreuzfahrt überhaupt Spaß macht.«
»Macht sie bestimmt.«
»Janna!«, schallte aus dem Erdgeschoss Susannas Stimme herauf. »Komm mal! Papa ist da.«
Ehe Janna auch nur reagieren konnte, war Till bereits aufgesprungen und hatte das Schlafzimmer verlassen. Seine Schritte polterten auf der Treppe, und sie hörte, wie er seinen Vater freudig begrüßte.
Dr. Gerd Sundermann war Archäologe und erst seit Kurzem wieder in Deutschland, nachdem er zuvor jahrelang an verschiedenen Ausgrabungen in Indien und Südamerika teilgenommen hatte. Inzwischen hatte er eine Professur an der Uni Köln angenommen, um, wie er erklärt hatte, endlich mehr am Leben seiner Kinder teilhaben zu können. Einerseits freute Janna sich über diese Entscheidung, denn Susanna und Till hatten ihren Vater sehr vermisst, der zwar regelmäßig anrief, Postkarten und zu Weihnachten und Geburtstag Geschenke geschickt, ansonsten aber nie wirklich Verantwortung für die beiden übernommen hatte. Er war mit der Mutter der Zwillinge, Jannas Cousine Daniela, nicht verheiratet gewesen und hatte nach deren tragischem Unfalltod keine Anstalten gemacht, das Sorgerecht für sich zu beanspruchen. Vielmehr war er erleichtert gewesen, dass Janna sich bereiterklärt hatte, die Kinder bei sich aufzunehmen. Er hatte stets von sich selbst gesagt, dass er kein ausgemachter Familienmensch sei, sondern mehr ein Freigeist, der rastlos und neugierig von Ort zu Ort zog. Wie lange sein Vorsatz, sesshaft zu werden, also vorhielt, wagte Janna nicht einzuschätzen.
Sie mochte ihn; er war kein schlechter Mensch und liebte seine Kinder, doch was Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit betraf, stand er nicht unbedingt ganz oben auf der Liste der von ihr bevorzugten Personen, wenn es um das Wohl der Kinder ging. Selbstverständlich würde sie ihm niemals den Kontakt zu den Zwillingen verwehren, im Gegenteil! Sie war froh, dass er sich in letzter Zeit immer wieder mit den beiden getroffen und sie in seine aktuellen Pläne einbezogen hatte. Skeptisch blieb sie dennoch, denn ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass man bei Gerd stets mit allem rechnen musste.
Sie warf erst ihrem Schrank, dann ihrem Koffer noch einmal einen scheelen Blick zu und beschloss, eine kleine Pause vom Packen einzulegen und den Ankömmling ebenfalls zu begrüßen.
***
Bonn, Kaiserstraße
Institut für Europäische Meinungsforschung
Büro von Janna und Markus
Dienstag, 4. September, 16:15 Uhr
»Haben wir wirklich schon wieder die Ehepaar-Karte gezogen?« Ein Gähnen unterdrückend, rieb Markus sich über den Nacken und studierte die Unterlagen, die seine Kollegin Melanie Teubner ihm soeben auf den Schreibtisch gelegt hatte. Er fühlte sich wie gerädert, da er in der Nacht gerade erst aus Russland zurückgekehrt war und seither kaum Schlaf gefunden hatte.
Noch während des Austauschs von russischen Agenten gegen deutsche, bereits dem dritten in diesem Jahr, bei dem er anwesend gewesen war, hatte sich eine alte Bekannte bei ihm gemeldet und ihn dringend um Hilfe gebeten. Da Valentina Kostova eine wertvolle Informantin und Kontaktperson für das Institut war, hatten sowohl sein direkter Vorgesetzter Walter Bernstein als auch der Leiter der Abteilung für interne Angelegenheiten, Dr. Schwartz, der unmittelbaren Kontakt zur obersten Chefetage besaß, dem Hilfegesuch stattgegeben.
Melanie, die ihr langes schwarzes Haar heute lässig hochgesteckt trug und wie immer in einem teuren Designerhosenanzug steckte, setzte sich auf die Kante seines Schreibtischs, erhob sich jedoch gleich wieder, als er ihr einen stirnrunzelnden Blick zuwarf. Grinsend wanderte sie zu Jannas Schreibtisch, der Kopf an Kopf mit dem von Markus stand, und ließ sich auf deren Stuhl nieder. Interessiert ließ sie ihren Blick über die Fotos von Jannas Familie wandern und tippte die rosafarbene Orchidee mit dem Zeigefinger an, die links neben dem Computerbildschirm stand. »Ihr gebt nun einmal das perfekte Ehepaar ab«, frotzelte sie. »Zumindest habt ihr diese Karte, wie du sie nennst, schon mehrmals erfolgreich eingesetzt. Warum also nicht auch jetzt? Oder stört es dich etwa, dass du diesmal ganze acht Nächte mit ihr in einer Kabine verbringen musst? In einem Bett«, betonte sie feixend. »Schnarcht sie etwa?«
»Nein.« Er verdrehte die Augen. »Aber Geschwister oder so etwas hätten es diesmal auch getan, finde ich.«
Melanie prustete. »In welcher seltsamen Welt gehen denn zwei Geschwister miteinander auf Kreuzfahrt? Außer vielleicht, sie sind schon nahe der hundert und beide verwitwet. Ganz abgesehen davon seht ihr euch überhaupt nicht ähnlich. Du bist doch sonst nicht so zimperlich, wenn es darum geht, mit einer netten und hübschen Frau auf Tuchfühlung zu gehen.«
Markus runzelte die Stirn. »Es ist nicht im Mindesten notwendig, mit ihr auf Tuchfühlung zu gehen, um diesen Einsatz erfolgreich hinter uns zu bringen.«
Neugierig neigte Melanie den Kopf leicht zur Seite. »Notwendig vielleicht nicht, aber möglich.«
»Nein«, wiederholte er und bemühte sich, den Ärger, der in ihm aufstieg, nicht allzu deutlich zu zeigen. »Das wäre im höchsten Maße unprofessionell.«
»Wohl wahr«, stimmte Melanie zu. Die Neugier war noch immer nicht aus ihrem Blick gewichen. »Aber durchaus menschlich, würde ich sagen. Wir beide hatten ja schließlich auch mal was am Laufen.«
Markus kniff die Augen zusammen und schnaubte spöttisch. »Wir sind ein paar Mal miteinander ausgegangen, mehr nicht.«
»Für ein bisschen Knutschen im Mondschein hat es aber gereicht«, gab sie zu bedenken.
»Vielleicht solltest du dein Oberstübchen mal ein bisschen ölen«, schlug er missvergnügt vor. »An Mondschein kann ich mich jedenfalls nicht erinnern.«
Grinsend winkte Melanie ab. »Ist ja auch egal. Trotzdem wüsste ich gerne, ob es einen bestimmten Grund gibt, weshalb du so wenig davon begeistert ist, mit Janna als Ehepaar aufzutreten. Wie gesagt, ihr macht das doch ganz gut.« Sie verzog schmerzlich die Lippen. »Ganz sicher tausendmal besser als Gabriel und ich. Eigentlich müsste ich mich bei Walter darüber beschweren, dass er uns ebenfalls diese Tarnung aufgedrückt hat. Wie ich es mit diesem Idioten acht Nächte lang in einer Kabine aushalten soll, ohne ihn zu lynchen, weiß ich wirklich nicht.«
Markus runzelte die Stirn. »Was läuft da eigentlich zwischen euch? Unser Professor mag ja alles Mögliche sein, aber als Idioten würde ich ihn ganz sicher nicht bezeichnen.«
»Nur, weil du ihn nicht so gut kennst wie ich«, knurrte Melanie. Sie schob ihr Kinn ein wenig vor. »Zwischen uns läuft gar nichts. Verstanden?«
»Laut und deutlich.« Nun neigte auch Markus seinen Kopf ein wenig zur Seite. »Ich glaube es dir allerdings nicht. Was immer da zwischen euch beiden abgeht, ich hoffe sehr, dass es unseren Einsatz nicht gefährden wird.«
»Ganz sicher nicht.« Melanie verschränkte die Arme vor der Brust. »Wo nichts ist, besteht auch keinerlei Gefahr. Walter ist nur leider aus unerfindlichen Gründen der Meinung, dass wir ein gutes Team abgeben, und will uns zukünftig häufiger als Partner einsetzen.«
Markus ging nicht weiter darauf ein, sondern blickte wieder auf die Papiere, die er vor sich auf dem Schreibtisch ausgebreitet hatte. Stirnrunzelnd schob er sie hin und her. »Diesmal haben sie es aber sehr genau genommen«, brummelte er. »Diese Heiratsurkunde sieht verdammt echt aus. Wozu brauchen wir die überhaupt? Danach wird doch wohl auf einer Kreuzfahrt niemand fragen.« Er legte das Dokument zur Seite und zog ein weiteres näher heran, auf dem gemeinsame Bankkonten und weitere steuerliche Daten und Angaben vermerkt waren. Er schürzte die Lippen. »Das sieht mir ganz nach dem Paket für langfristige Undercover-Einsätze aus. Wer hat das alles angefertigt?«
Melanie lehnte sich in Jannas Schreibtischstuhl zurück. »Das muss der Neue gewesen sein, Steffen Breuer. Er ist ja wohl frisch aus der Ausbildung und unterstützt nun unsere Abteilung für Szenarien. Soweit ich weiß, ist er ziemlich gut – und gründlich.« Sie grinste. »Vielleicht ein bisschen zu gründlich, wenn er euch gleich das große Paket eingerichtet hat. Uns übrigens auch, muss ich hinzufügen.« Sie wurde wieder ernst. »Ich habe es bei Gerlinde bereits reklamiert, aber sie meinte, es sei zu spät, jetzt noch etwas rückgängig zu machen. Zumindest sind wir mit dem großen Datenpaket auf der absolut sicheren Seite, was mögliche Entdeckung angeht. Da können unsere Gegner sich sogar ins Finanzamt, das Einwohnermeldeamt oder das Standesamt hacken und würden uns nicht enttarnen. Entsprechende Seiten in den sozialen Netzwerken und Suchmaschinen-Treffer bei Google, Bing und Konsorten sind auch bereits in Arbeit.« Das Grinsen kehrte auf ihre Lippen zurück. »Wir müssen nur daran denken, ab und zu ein paar Fotos auf Facebook zu posten, damit die ganze Arbeit nicht für die Katz war.« Sie erhob sich wieder. »Ich mache mich jetzt mal besser auf den Weg nach Hause; ich muss nämlich noch packen.« Auf ihrem Weg zur Tür tätschelte sie kurz seine Schulter. »Ich hoffe, du besitzt ein Paar gute Tanzschuhe.«
»Was? Wieso Tanzschuhe?« Verwundert hob er den Kopf, doch da hatte Melanie das Büro bereits verlassen. »Wieso Tanzschuhe?«, rief er ihr hinterher, doch da keine Antwort kam, richtete er seinen Blick wieder auf den Schreibtisch. Stirnrunzelnd ging er jedes einzelne Papier darauf durch, bis er auf Gerlindes Informationen zu dem Tanzwettbewerb stieß. Zischend stieß er die Luft aus. Das konnte ja heiter werden! An einem Tanzwettbewerb sollten sie gemeinsam teilnehmen? Wer hatte sich das denn bloß ausgedacht? Nicht, dass er nicht gerne das Tanzbein schwang, aber eine Tarnung mitten im Scheinwerferlicht? Und es ging laut Infoblatt nicht nur um Walzer und Foxtrott, sondern auch um heiße lateinamerikanische Tänze. Er wusste, dass Janna hier über Erfahrungen verfügte, weil er bereits in früheren Fällen mit ihr getanzt hatte und weil sie laut ihren Erzählungen und ihrer Akte auch in der Schulzeit mit dem Tanzen in Berührung gekommen war, unter anderem auch als Funkenmariechen. Er selbst hatte diverse Tänze während seiner Einsätze der vergangenen fünfzehn Jahre erlernt. Dennoch war er nicht sicher, ob sie sich mit so etwas einen Gefallen taten.
Es war erst etwas mehr als eine Woche her, dass er zusammen mit Janna ein äußerst gefährliches Abenteuer bestanden hatte; einen Einsatz, bei dem er auf ein siebzehnjähriges Mädchen hatte schießen müssen und ihr das Leben genommen hatte. Gänzlich mit sich im Reinen deswegen war er immer noch nicht, doch wenn Janna nicht gewesen wäre, die ihn noch am Abend jenes Vorfalls aufgesucht und ihm eine Schulter zum Anlehnen geboten hätte, stünde es vermutlich deutlich schlimmer um ihn. Sie hatte sogar darauf bestanden, auf seiner Couch zu übernachten, was ihm, so verrückt es auch klang, den Halt gegeben hatte, den er in diesem Moment gebraucht hatte, um wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu finden.
In den Tagen danach hatten sie kein Wort mehr darüber verloren; es war schlicht nicht notwendig gewesen. Zwischen ihnen war inzwischen eine tiefe Freundschaft entstanden, was ihn nach wie vor erstaunte, weil er stets geglaubt hatte, ohne Bindungen besser dazustehen. Sein Beruf war alles andere als einfach oder sicher, und persönliche Verstrickungen, insbesondere zu einer Kollegin und inzwischen Partnerin, mit der er tagtäglich zusammenarbeitete, konnten gefährlich werden, wenn man sich davon zu sehr ablenken ließ und den Blick für das große Ganze verlor.
Allerdings kam es ihm gar nicht so vor, als ob Jannas Nähe einen negativen Einfluss auf seine Arbeit hätte – im Gegenteil. Fast hatte er den Eindruck, dass seine Sinne in ihrer Gegenwart sogar noch geschärft waren. Möglicherweise lag es daran, dass sie eine Zivilistin war, keine ausgebildete Agentin, und er deshalb die Verantwortung nicht nur für seine eigene, sondern auch für ihre Sicherheit trug.
Das war auch so etwas, was ihn vor einem Jahr noch abgeschreckt hätte: Verantwortung für eine andere Person zu übernehmen, war das Letzte gewesen, was er gewollt hatte. Er war jahrelang als Solo-Agent unterwegs gewesen, doch die Statuten des Instituts besagten, dass so etwas nur auf Zeit möglich war. Grundsätzlich arbeiteten Agentinnen und Agenten paarweise oder in größeren Teams zusammen.
Seine Beförderung zum Leiter der neuen Abteilung sieben A, die sich mit besonders kniffligen, komplizierten oder ungewöhnlichen Fällen im Bereich der Terrorismus-Abwehr und des organisierten Verbrechens befassen sollte, hatte er auch nur deshalb erhalten, weil er sich bereiterklärt hatte, Janna als vollwertige Partnerin zu akzeptieren. Vielmehr hatte er sie sogar selbst für diesen Posten vorgeschlagen, auch wenn sie nicht in allen Bereichen die gleiche Sicherheitsfreigabe hatte wie er selbst und deshalb in manchen Fällen, wie dem Austausch von Agenten in Russland, dem er gerade erst beigewohnt hatte, nicht aktiv beteiligt sein durfte. Sie hatten dennoch ausgezeichnet zusammengearbeitet: er vor Ort und sie hier im Institut.
Als er sie im Juli des vergangenen Jahres durch puren Zufall und aus einer Notlage heraus als Kurier für die Übergabe eines Umschlags mit einer wichtigen DVD rekrutiert hatte, hätte er niemals erwartet, dass sie sich einmal als die beste Freundin entpuppen würde, die er jemals gehabt hatte. Und auch nicht als die fähige Partnerin, die sie mittlerweile unbestritten war. Vieles hatte sich für ihn seitdem verändert; manchmal konnte er mit all den neuen Entwicklungen kaum Schritt halten, die sie in seinem Leben verursacht hatte.
Es war jedoch auch nicht ausgeblieben, dass er einiges über ihr Privatleben in Erfahrung gebracht hatte, das meiste davon hatte sie ihm mit der Zeit selbst anvertraut. Deshalb wusste er, dass es angebracht war, in mancherlei Hinsicht besonders vorsichtig mit Janna umzugehen. Ihre Seele hatte in der Vergangenheit Verletzungen erlitten, die gerade erst dabei waren zu verheilen. Es kam überhaupt nicht infrage, diese alten Wunden absichtlich oder versehentlich wieder aufzureißen, indem er der leider unbestritten vorhandenen Anziehung nachgab, die sich zwischen ihnen immer deutlicher bemerkbar machte.
Janna vertraute ihm, und wenn er es recht einschätzte, war er der erste Mann seit vielen Jahren, sah man vielleicht von ihrem offenbar platonischen Ex-Freund Sander ab, der dies für sich beanspruchen konnte. Auch wenn er leider kein Experte auf dem Gebiet war, war er doch fest entschlossen, sich dieses Vertrauens würdig zu erweisen. Also würde er einen Weg finden, ihre Freundschaft zu bewahren, ohne dabei versehentlich zu große Nähe entstehen zu lassen, die sich, wie er argwöhnte, schnell zu etwas auswachsen könnte, mit dem sie beide nicht zurechtkommen würden.
Melanies Andeutungen in diese Richtung fielen ihm wieder ein, und er grinste amüsiert vor sich hin. Dann griff er nach seinem Handy und wählte Melanies Nummer.
»Ja, Markus?« Sie klang etwas atemlos. Das Klappern ihrer hohen Absätze auf hartem Untergrund war zu vernehmen; offenbar hatte sie es eilig. »Gibt es noch etwas Wichtiges?«
Sein Grinsen verbreiterte sich noch eine Spur. »Seit wann hältst du Janna eigentlich für hübsch und nett?«
»Was?« Es entstand eine langgezogene Stille, dann vernahm er ein für Melanie sehr typisches genervtes Schnauben. Im nächsten Moment hatte sie die Verbindung unterbrochen.
Amüsiert legte Markus sein Smartphone auf dem Schreibtisch ab und begann, die Papiere einzusammeln. Ganz offensichtlich hatte Janna seit ihrem Auftauchen im Institut nicht nur auf ihn eine Wirkung ausgeübt.
2
Wien
Kreuzfahrtschiff MS Amandus
Check-in
Mittwoch, 5. September, 14:36 Uhr
»Was für ein Wetter!« Markus hatte eine leutselige Miene aufgesetzt und Janna einen Arm um die Schultern gelegt, während sie darauf warteten, dass der junge Mann am Check-in-Schalter des Flusskreuzfahrtschiffs MS Amandus alle Papiere überprüfte, die sie ihm vorgelegt hatten. »Es ist noch einmal richtig sommerlich geworden, ist das nicht toll, Schatz?«
»Und wie!« Janna nickte so enthusiastisch, wie sie nur konnte. »Blauer Himmel, Sonnenschein – und es ist noch einmal richtig schön warm geworden. Schau mal!« Sie deutete auf die Fensterfront rechts von ihnen, durch die man den bereits bevölkerten Freizeit- und Spa-Bereich sehen konnte. »Da sind sogar schon Leute im Whirlpool. Die müssen aber früh hier angekommen sein.«
»Gegen eine Runde Planschen im Wasser hätte ich nach dem Flug auch nichts einzuwenden Vielleicht sogar oben auf dem Sonnendeck.« Markus grinste so gekonnt fröhlich und unbeschwert, dass Janna ihm dafür glatt einen Oscar verliehen hätte. »Was meinst du, sollen wir es wagen? Ich reibe dich auch überall mit Sonnenmilch ein.«
Mit einem, wie sie hoffte, ebenfalls fröhlichen Kichern stieß sie ihm den Ellenbogen in die Rippen. »Ich hatte mit so warmem Wetter gar nicht gerechnet und habe deshalb gar keinen Badeanzug eingepackt.«
»Wier könnten schnell einen kaufen.« Er deutete nach links. »Da vorne gibt es eine Boutique, die bestimmt auch sexy Bikinis führt.«
Janna prustete. »Das würde dir wohl gefallen.«
»Und wie!« In seinen Augen glitzerte es schalkhaft, und für einen Moment hatte sie das seltsame Gefühl, Markus würde seine Worte tatsächlich ernst meinen. Das eigentümliche Flattern, das dieser Gedanke in ihrer Magengrube auslöste, versuchte sie zu ignorieren. Stattdessen drohte sie ihm scherzhaft mit dem Zeigefinger. »Du willst uns wohl gleich mal in Verruf bringen, was? Vielleicht sollten wir erst mal unsere Sachen auspacken und uns auf dem Schiff umsehen.«
»Feigling«, raunte er ihr erheitert zu und sagte gleich darauf in normaler Lautstärke: »Na gut, wie du meinst. Der Pool läuft uns ja nicht weg. Bestimmt habe ich dich bis zum Abendessen zu einem Bad überredet.«
Wieder lachte Janna und stieß ihn scherzhaft an. In Wahrheit fühlte sie sich bereits ein wenig erschöpft, weil sie seit mehreren Stunden ohne Unterbrechung ihre Rolle als verliebte Ehefrau spielen musste, die sich wie verrückt auf die bevorstehende Donaukreuzfahrt freute. So viel belanglosen Blödsinn wie während des Flugs von Köln-Bonn nach Wien hatte sie bestimmt noch nie am Stück von sich gegeben. Sie bemühte sich jedoch, zu keinem Zeitpunkt aus der Rolle zu fallen, ebenso wie Markus, der in bewundernswerter Weise seine gute Laune zur Schau stellte. Es war ihm nicht anzumerken, was er wirklich dachte, doch sie kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass auch er vermutlich inzwischen liebend gerne einmal laut geflucht hätte. Undercover-Einsätze waren anstrengend, selbst wenn sie so vergleichsweise einfach daherkamen wie dieser hier.
Irgendwo hinter sich vernahm Janna ein genervtes Zischen und musste sich ein Grinsen verkneifen. Melanie fiel es offenbar noch deutlich schwerer, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Warum Walter Bernstein bei diesem Einsatz ausgerechnet wieder Melanie und Gabriel als Team und Verstärkung mitgeschickt hatte, konnte sie sich nicht erklären. Sobald die beiden auch nur die gleiche Luft atmeten, flogen die Fetzen – zumindest, wenn sie unbeobachtet waren. Nach außen hin gaben auch sie das perfekte Bild eines glücklichen Ehepaars ab. Sie hielten Händchen, hier und da warfen sie sich sogar innige Blicke zu. Hinsichtlich ihrer schauspielerischen Leistung übertrafen sie Markus und Janna damit ganz eindeutig, wenn man bedachte, wie wenig sie sich in Wahrheit leiden zu können schienen.
Janna und Markus hatten zumindest den Vorteil, dass sie wirklich miteinander befreundet waren und sich deshalb nicht ständig irgendwelche unterschwelligen Spannungen zwischen ihnen entluden. Sie hätte zu gerne gewusst, was zwischen Gabriel und Melanie vorgefallen war, dass Melanie ihm am liebsten ständig ins Gesicht springen wollte, doch bislang war es ihr nicht gelungen, aus den beiden auch nur einen Hinweis auf vergangene Ereignisse herauszukitzeln.
Sie war der Ansicht, dass es sinnvoll sein könnte, einmal offen über das zu sprechen, was zwischen den beiden stand. Markus hatte sie jedoch gewarnt, dass jeglicher Versuch, die beiden zu analysieren oder ihnen helfen zu wollen, gefährlich sein könnte, weil vor allem Melanie dazu neigte, giftig zu werden, wenn man sich in ihre privaten Angelegenheiten einmischte.
»Hier, bitte sehr, Frau und Herr Neumann.« Der junge Mann am Check-in-Schalter händigte ihnen ihre Ausweise und sonstigen Papiere wieder aus und reichte Janna zwei elektronische Schlüsselkarten für ihre Kabine. »Ihre Sweet-Holiday-Suite mit Flussblick und Balkon finden Sie auf dem B-Deck.« Er deutete nach links, wo sich Treppen und der Aufzug befanden. »Nehmen Sie einfach den Lift. Ihr Gepäck wurde bereits für Sie in die Kabine gebracht. Wenn Sie etwas benötigen sollten oder Fragen haben, scheuen Sie sich bitte nicht, sich an mich oder an das Bordpersonal zu wenden. Weiteres Informationsmaterial sowie die Menükarte des Zimmerservice und ein ausführliches Programmheft haben wir Ihnen ebenfalls in ihrer Kabine hinterlegt. Ich wünsche Ihnen beiden einen wunderschönen Aufenthalt und eine unvergessliche Reise auf der MS Amandus.«
»Vielen Dank.« Janna nahm die Schlüsselkarten mit einem strahlenden Lächeln entgegen und blickte dann, wie sie hoffte, immer noch überzeugend begeistert zu Markus auf. »Dann lass uns mal unsere Kabine stürmen. Ich bin schon ganz gespannt darauf. Außerdem möchte ich mich gerne umziehen und etwas essen. Ich sterbe vor Hunger!« Sie schielte kurz zu Gabriel und Melanie hinüber, die nicht weit hinter ihnen in der Schlange standen. Ihre letzten Worte waren ein vereinbartes Signal, auf das Melanie auch sofort mit einem fröhlichen Lächeln reagierte.
»Da sagen Sie was. Hunger habe ich auch schon seit Stunden. Ich hoffe, wir sind bald hier fertig, nicht wahr, mein Lieber?« Sie hakte sich bei Gabriel unter und schaffte es sogar, kurz ihren Kopf gegen seine Schulter zu lehnen und dabei absolut echt zu wirken. Dann wandte sie sich wieder an Janna. »Sagen Sie mal, hätten Sie vielleicht Lust, später zusammen etwas zu essen und das Schiff zu erkunden?« Sie machte eine vage ausholende Geste, die die übrigen Gäste einschloss, die in der Schlange standen. »Es sieht ja so aus, als würden wir zu den jüngeren Gästen hier zählen. Vielleicht sollten wir uns ein wenig zusammentun.«
»Warum nicht?«, kam Markus Janna mit einer Antwort zuvor. »Was meinst du, Schatz?« Er warf Janna einen fragenden Blick zu. »Hast du Lust?«
»Klar.« Janna kam sich merkwürdig vor, dieses einstudierte Gespräch zu führen, doch das gehörte nun einmal auch zu ihrer Tarnung. »Was halten Sie davon«, wandte sie sich wieder Melanie zu, »wenn wir uns in einer halben Stunde wieder hier treffen? Dann machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach dem Restaurant.«
Melanie blickte auf ihre silberne Armbanduhr und nickte dann. »Abgemacht.« Sie warf Gabriel einen äußerst glaubhaften liebevollen Blick zu. »Siehst du, habe ich nicht gesagt, dass wir schnell Anschluss finden werden?« Nun lächelte sie Janna zu und senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Ton. »Wissen Sie, mein Mann ist ein bisschen schüchtern.« Ihre Worte veranlassen Gabriel dazu, sich unterdrückt zu räuspern. Sein Blick, der Melanie traf, war alles andere als schüchtern, nett allerdings auch nicht, verflog jedoch so schnell, dass wahrscheinlich niemand sonst ihn bemerkt hatte. Melanie sprach derweil einfach weiter: »Ich habe ihn zu dieser Flusskreuzfahrt überredet, wissen Sie. Eigentlich wollte er lieber in den Bergen wandern, aber ich habe ihm gesagt, dass wir uns hin und wieder auch mal unter Menschen wagen sollten. Finden Sie nicht auch?« Sie streckte Janna die rechte Hand entgegen. »Mein Name ist übrigens Melanie. Und das ist mein Mann Gabriel.«
Janna ergriff die Hand, schüttelte sie kurz und gleich darauf auch die von Gabriel. »Ich heiße Janna und das ist mein Mann Markus.« Die Worte bereiteten ihr ein eigentümliches Unbehagen, obwohl sie den Satz im Kopf bereits unzählige Male geübt hatte. Sie hatte sich zwar schon früher als Markus’ Ehefrau oder Verlobte ausgeben müssen, doch es fühlte sich nach wie vor ungewohnt und auch in bisschen unheimlich an.
»Dann bis gleich, Janna und Markus.« Melanie winkte noch einmal kurz zum Abschied und wandte sich dann dem Check-in-Schalter zu, da sie und Gabriel nun an der Reihe waren.
***
»Das lief doch ganz gut, oder?« Janna betrat vor Markus den Aufzug.
Anstelle einer Antwort hüstelte er nur leise, denn hinter ihm betraten noch zwei weitere Paare die Aufzugkabine. Eines davon war etwa in ihrem Alter, das andere bereits offenbar jenseits der siebzig. Der ältere Herr betätigte den Knopf zum Schließen der Tür und sah dann fragend in die Runde. »Möchten Sie ebenfalls zum B-Deck?«
Als ringsum alle nickten, betätigte er den entsprechenden Schalter.
»Hach, ich hoffe, die Kabinen sind hier nicht so winzig.« Die jüngere Frau gab ein deutlich vernehmbares Seufzen von sich. »Wir konnten gerade noch eine ergattern, weil wir uns erst so spät für diese Kreuzfahrt entschieden haben. Ich hoffe, dass wir nicht die nächsten zehn Tage wie in einer Sardinenbüchse hausen müssen.«
»Ist doch egal«, befand ihr Mann, der beständig mit der linken Hand den Ehering an seinem rechten Ringfinger drehte. »Wir werden doch sowieso die wenigste Zeit in der Kabine verbringen. So eine Flusskreuzfahrt ist schließlich nicht dazu da, dass man sich einigelt.«
»Ja, stimmt schon«, gab seine Frau achselzuckend zu. »Trotzdem mag ich es lieber, wenn ich mich nicht so eingepfercht fühle.«
»Keine Sorge«, warf die ältere Dame ein. »Wir sind jetzt schon zum fünften Mal auf der MS Amandus. Wir lieben Flusskreuzfahrten und machen jedes Jahr eine. Hier auf dem Schiff haben wir schon jede mögliche Kabinenkategorie ausprobiert, bis auf die Flitterwochensuite.« Sie lachte fröhlich. »Ich kann Ihnen versichern, dass alle Kabinen sehr geräumig und gemütlich eingerichtet sind. Und die Aussicht ist wunderschön. Bei den Kabinen unten auf dem D-Deck kann man zwar die Fenster nicht öffnen, weil sie doch sehr dicht über dem Wasser liegen, aber darüber brauchen Sie sich ja auf dem B-Deck keine Gedanken zu machen.«
»Sie waren schon fünfmal auf diesem Schiff?« Die jüngere Frau blickte die ältere erstaunt an. »Wird das nicht irgendwann langweilig?«
»Nein, überhaupt nicht. Wie gesagt, wir lieben diese Flusskreuzfahrten und auch die Städte, die von hier aus angesteuert werden. Jedes Mal entdecken wir etwas Neues …« Der Aufzug war inzwischen an seinem Bestimmungsort angekommen und die beiden Paare verließen ihn, einträchtig in ihr Gespräch vertieft.
Janna und Markus sahen einander erheitert an, dann betraten auch sie den hell erleuchteten Gang, der links und rechts zu den Kabinen führte. Ein Wegweiser gegenüber der Aufzugtür verriet, welche Kabinennummern sich in der jeweiligen Richtung befanden. Einträchtig wandten sie sich nach links und steuerten die Kabine B24 an.
Janna atmete auf, als sich die Kabinentür hinter Markus schloss. Prüfend sah sie sich in der äußerst geräumigen Kabine um, die sich vollmundig Sweet-Holiday-Suite nannte, diesen Namen aber auch wirklich verdiente. Neben einem großzügigen Doppelbett und einer gemütlichen Polstersitzecke gab es verspiegelte Kleiderschränke mit Schiebetüren und einen großen Flachbildfernseher. Auch das Badezimmer war überraschend geräumig und vom Wohnraum durch eine Milchglastür getrennt. Es enthielt eine Dusche, eine Badewanne, ein überdimensionales Waschbecken und hinter einer Abtrennung WC und Bidet.
Markus stieß einen Pfiff aus. »Da hat sich das Institut diesmal nicht lumpen lassen, wie es aussieht. So feudal bin ich auf einem Einsatz noch selten gereist.« Er grinste. »Offenbar hat es Vorteile, eine Partnerin zu haben, mit der man ein Ehepaar mimen kann. Da wird gleich mal die nächsthöhere Spesenstufe veranschlagt.«