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Über Mila Roth
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Mila Roth
… dein Freund und Mörder
Fall 7 für Markus Neumann und Janna Berg
Allen Serienjunkies gewidmet
Impressum
… dein Freund und Mörder ‒ Fall 7 für Markus Neumann und Janna Berg
eBook Edition, 5. Auflage, August 2022
Copyright © 2014 by Mila Roth (Pseudonym)
Herausgeberin: Petra Schier, Lerchenweg 6, 53506 Heckenbach
www.mila-roth.de
Cover-Design unter Verwendung von Adobe Stock
© illustrart / © paunovic /© adidesigner23 / © Yantra / © fad82
Lektorat: Barbara Lauer
ISBN 978-3-96711-030-2
Alle Rechte vorbehalten.
Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin möglich.
Die Personen und Handlungen im vorliegenden Werk sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Erwähnungen von historischen bzw. realen Ereignissen, realen Personen oder Orten sind rein fiktional.
Personenverzeichnis
Hauptpersonen
Janna Berg: Pflegemutter von neunjährigen Zwillingen, betreibt selbstständig einen kleinen Schreib- und Büroservice
Markus Neumann: Agent
Geheimdienst (alphabetisch)
Walter Bernstein: Leiter der Abteilung für nationale und internationale Feldeinsätze für die Bereiche Terrorabwehr und organisiertes Verbrechen (Abteilung 7)
Tommy Wörner: Agent
Sonstige Personen (alphabetisch)
Bernhard Berg: Jannas Vater
Linda Berg: Jannas Mutter
Susanna Berg: Jannas Pflegetochter, Zwillingsschwester von Till
Till Berg: Jannas Pflegesohn, Zwillingsbruder von Susanna
Dr. Sander Lambrecht: Zahnarzt mit Praxis in Rheinbach, Jannas Exfreund
Dr. Arne Hussel: Anwalt aus Bielefeld
1
Außenbezirk von Rheinbach
Gut Tomberg
Freitag, 16. Dezember, 13:45 Uhr
»Meine Güte, ist das ein ungemütliches Wetter!« Linda Berg schüttelte sich, als sie die große Wohnküche im Gesindehaus betrat. Sie streifte sich die Kapuze ihrer Regenjacke vom Kopf und drehte sich dabei zu den neunjährigen Zwillingen Susanna und Till um, die hinter ihr hereingekommen waren. »Kinder, zieht die nassen Jacken aus. Wo habt ihr denn eure Stiefel gelassen?«
»Na, im Flur«, antwortete Susanna grinsend. »Janna hat gesagt, sie zieht uns die Ohren lang, wenn wir mit Matschstiefeln durchs Haus laufen.
»Recht hat sie.« Linda nickte zustimmend. »Dann zieht aber schnell eure Hausschuhe an, bevor ihr nach oben geht. Ich will nicht, dass ihr auf den Treppenstufen ausrutscht, wenn ihr nur auf Socken unterwegs seid.«
»Ja, Tante Linda«, kam es diesmal im Chor. Die Zwillinge kicherten und drängten bereits wieder zur Tür hinaus.
»Halt, stopp, ihr zwei!« Janna kam aus dem Wohnzimmer herüber, im Arm einen Wäschekorb mit zusammengelegten Socken und Handtüchern. »Nehmt den hier mit. Und drüben auf dem Couchtisch steht noch ein weiterer Korb mit euren Pullis und Hosen.«
Ein einstimmiges Stöhnen war die Antwort. Lustlos kehrten die Zwillinge um; Susanna nahm Janna den Korb ab, während Till maulend ins Wohnzimmer schlurfte, um den zweiten Wäschebehälter zu holen.
»Stellt euch nicht so an«, schalt Janna milde. »Ihr müsst die Sachen schließlich nur rauftragen. Ich durfte sie waschen, trocknen und falten.«
»Sollen wir die Klamotten denn auch in den Schrank legen?«, wollte Susanna wissen.
»Selbstverständlich, weshalb denn nicht?«
»Na, weil wir doch gerade alle anderen Sachen in Kartons und Kisten packen.«
Janna lachte. »Eure Kleider bitte nicht. Damit warten wir bis ganz zum Schluss, sonst sieht es oben bald aus wie bei den Hottentotten.« Sie wandte sich Linda zu. »Mama, braucht ihr noch Umzugskartons? Ich habe heute Morgen welche vom Handelshof mitgebracht. Sie waren im Sonderangebot.«
»Das war eine gute Idee. Tatsächlich brauchen wir wohl doch mehr Kisten als gedacht.« Nun lachte auch Linda. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass wir so viel Krimskrams angehäuft haben. Von vielem werden wir uns wohl trennen, weil es schon seit Jahren unberührt in den Schränken ruht. Und hier werden wir ja beileibe nicht mehr so viel Platz haben.« Neugierig blickte sie sich um. »Wo hast du denn die vollen Kartons von gestern hingestellt?«
Mit einer vagen Handbewegung wies Janna hinter sich. »Ins Wohnzimmer. Ich wollte wenigstens einen Raum im Haus haben, in dem es nicht nach Umzugschaos aussieht. Hier in der Küche halten wir uns ja doch die meiste Zeit auf. Zum Glück tauschen wir nur die Häuser. Wenn ich mir vorstelle, die ganzen Sachen müssten auch noch weiß Gott wohin transportiert werden …«
»Ich weiß, was du meinst.« Linda tätschelte ihren Arm. »Aber bald ist es ja geschafft. Wenn alles klappt, wie es soll, feiert ihr Weihnachten bereits drüben im großen Gutshaus.«
»Mit euch zusammen«, fügte Janna hinzu. »Diese Tradition bleibt bestehen, ganz gleich, ob wir zwischen Kisten und Kartons feiern müssen oder nicht. Feli und Frank habe ich schon eingeladen.«
»Mach dir doch nicht so viel Arbeit, Schatz«, wandte Linda ein.
»Tue ich gar nicht. Feli wird sich um den Nachtisch kümmern und Frank um die Beilagen. Für mich bleibt also nur der Braten, das sollte ich auch im größten Chaos schaffen.«
»Dein Bruder will kochen?« Skeptisch zog Linda die Augenbrauen hoch.
»Warten wir’s ab. Es ist ja nicht so, dass er es nicht kann.« Janna schob die Ärmel ihres hellgrauen Pullovers hoch. »Ich werde jetzt mal auf den Dachboden steigen und schauen, was mich dort an Gerümpel erwartet. Bisher habe ich mich erfolgreich darum herumgedrückt.«
»Aber du brauchst doch nicht extra den Dachboden aufzuräumen. Das hat Zeit. Bei uns stehen schließlich auch noch jede Menge Sachen herum. Ich weiß gar nicht, wann wir die hier herüberbringen sollen.«
»Doch, doch, ich will das unbedingt machen, Mama. Wenn wir schon umziehen, dann auch richtig. Außerdem habe ich ein besseres Gefühl, wenn ich euch einen ordentlichen Dachboden hinterlasse.«
»Na gut, wie du meinst. Aber notwendig ist es wirklich nicht, Janna.«
»Meiner Meinung nach schon. Wer weiß, was ich da oben alles finden werde. Ich habe mir die Sachen schon seit Jahren nicht mehr genau angesehen. Immer bloß neuen Krempel dazugestellt. Übrigens danke, dass du die Kinder für ein Weilchen beschäftigt hast.«
»Aber immer doch, Janna.« Linda lächelte ihr liebevoll zu. »Der Spaziergang hat uns allen gutgetan. Dein Vater hat Bella allerdings erst mal in Quarantäne geschickt, weil sie aussah wie ein Schlammspringer. Dieser Hund lässt einfach keine Pfütze aus. Soll ich Papa gleich mal rüberschicken? Auf dem Speicher stehen, wenn mich nicht alles täuscht, noch ein paar Sachen von ihm. Außerdem sind die Möbel, die wir da oben gelagert haben, ziemlich schwer. Wenn du die bewegen willst, brauchst du Hilfe.«
»Ach nein, warte noch damit. Ich melde mich bei Papa, falls ich ihn brauche. Vielleicht können ein paar Sachen ja einfach dort bleiben, wo sie stehen. Ich will erst mal nur nachsehen, was sich in den ganzen Truhen und Schränken befindet. Vieles kann bestimmt ausgemistet werden.«
»Ja, wahrscheinlich. Die Sachen sammeln sich an, ohne dass man es richtig bemerkt.« Als aus dem oberen Stockwerk Geschrei und Gepolter laut wurde, sah Linda kurz in Richtung Treppe. »Und schon ist es aus mit dem Frieden im Haus. Soll ich die beiden lieber mit rüber nehmen?«
Janna schüttelte den Kopf. »Damit sie euch auf die Nerven gehen? Nein, ich finde schon eine Beschäftigung für die zwei. Möglichst in separaten Zimmern. Sie zanken in letzter Zeit fast ständig.«
»Das ist so eine Phase, die kommt immer mal wieder vor. Frank und du, ihr wart auch nicht anders.« Mit einem Augenzwinkern zog Linda die Kapuze wieder über den Kopf und verließ das Haus.
Janna stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf. Im Türrahmen zum Zimmer der Zwillinge blieb sie stehen. »Was geht hier vor?« Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie die umgekippten Wäschekörbe und die auf dem Boden verstreut liegenden Socken, Pullis, Hosen und Handtücher. »Glaubt ihr eigentlich, ich mache mir die ganze Arbeit mit der Wäsche, weil ich nichts Besseres zu tun habe?«
Till und Susanna, die gerade eben noch heftig im Clinch gelegen hatten, ließen voneinander ab. »Er hat angefangen.« – »Sie hat angefangen.« Beide Kinder hatten gleichzeitig gesprochen und funkelten einander nun böse an.
»Schön, ihr habt also beide angefangen.« Janna verschränkte die Arme vor der Brust. »Till, du faltest die Sachen alle wieder ordentlich zusammen und legst sie in die Schränke.«
»Ätsch!«, rief Susanna, fing sich aber prompt einen strafenden Blick von Janna ein. »Du, junge Dame, wirst nach unten gehen und die Bücher aus den Regalen im Wohnzimmer in die Kartons packen, die ich dort bereitgestellt habe. Denk daran, dass du die Kartons immer nur zu zwei Dritteln vollmachst, sonst kann sie hinterher niemand mehr tragen. Danach gehst du rüber zu Tante Linda und fragst, ob du ihr beim Packen helfen kannst.«
»Oookay, schon gut.«
»Und ich?«, wollte Till wissen. »Ich wollte mit Onkel Bernhard …«
»Was du wolltest, interessiert mich gerade überhaupt nicht«, unterbrach Janna ihn. »Ich habe eine halbe Stunde eure Klamotten gefaltet, und jetzt sehen sie aus wie Kraut und Rüben. Wenn du hier fertig bist, sagst du mir Bescheid. Ich finde schon eine Beschäftigung für dich.« Ohne die Kinder eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte sie sich um, ging zu dem schmalen Dielenschrank und holte die Stange mit dem Haken daraus hervor, mit der sie die Klappe zum Dachboden öffnen konnte. Dabei ignorierte sie geflissentlich das wütende Gezischel der Zwillinge, als diese sich trennten, um ihre jeweiligen Aufgaben zu erledigen. So lieb sie die beiden auch hatte – sie wollte sie manchmal am liebsten mit den Köpfen zusammenstoßen.
Auf dem Speicher erwartete sie jede Menge Staub und der typische Geruch von alten Möbeln und dem Holz der Dachbalken. Seufzend blickte sie sich um. Hier oben würde sie wohl oder übel noch ausgiebig putzen müssen, bevor ihre Eltern ins Gesindehaus einzogen. So unordentlich wollte sie den Speicher auf gar keinen Fall übergeben.
Durch eines der Giebelfensterchen drang nur das diffuse Licht des verregneten Nachmittags herein, deshalb schaltete sie die Deckenbeleuchtung ein. Im Schein der beiden Neonröhren inspizierte sie bei einem ersten Rundgang die vorhandenen Kisten, Truhen, alten Koffer und den urigen Bauernschrank mit dem defekten Schloss. Damit die Türen nicht aufsprangen, hatte irgendwer, vermutlich ihr Vater, die Türgriffe mit einem Gummiband zusammengebunden. Neben dem Schrank stand ein altes Dreirad, an dem das Skateboard ihres Bruders lehnte. Eine Rolle fehlte daran, die ordentlich in einen Gefrierbeutel verpackt danebenlag. Schmunzelnd tippte Janna das Tütchen mit der Fußspitze an, dann versuchte sie sich zu entscheiden, wo sie anfangen sollte.
Sie ging zu einer hölzernen Truhe und klappte den Deckel hoch. »Ach du liebe Zeit!«, stöhnte sie, als sie stapelweise uralte Pferde-, Mädchen- und Comiczeitschriften entdeckte. Die hatte sie als Kind gesammelt und sogar nach Jahrgängen geordnet. Die neueste Ausgabe, die sie entdecken konnte, stammte aus dem Jahr 1995. Die konnten auf jeden Fall weg. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen, als ihr einfiel, wem sie die Arbeit des Hinunterschleppens aufbrummen konnte.
Entschlossen wandte sie sich der nächsten Kiste zu, in der zuoberst ein Bündel alter Gardinen lag, darunter befanden sich die Karnevalskostüme der Zwillinge aus den vergangenen Jahren, teilweise von Linda genäht. Inmitten der bunten Stoffmassen verbarg sich eine rechteckige Pappschachtel, die Janna dort erst vor wenigen Wochen deponiert hatte. Sie knabberte an der Unterlippe, als sie den Deckel der Schachtel hob und auf die Kopien der Einsatzberichte blickte, die sie im Laufe des vergangenen halben Jahres für das Institut für Europäische Meinungsforschung verfasst hatte. Eigentlich war es von Seiten des Geheimdienstes nicht erlaubt, Durchschläge solcher Berichte zu besitzen. Sie hatte sie dennoch hier aufgehoben. Niemand wusste davon, und so sollte es auch bleiben.
Seit ihrem letzten gemeinsamen Einsatz mit Markus Neumann im November, bei dem sie beinahe durch eine Bombe getötet worden wäre, hatte sie keinen Kontakt mehr zum Institut aufgenommen. Bei Walter Bernstein, dem Abteilungsleiter, hatte sie sich Bedenkzeit erbeten, denn die Ereignisse bei jenem letzten Abenteuer hatten sie nicht nur körperlich an ihre Grenzen gebracht, sondern ihr auch ‒ mehr als je zuvor ‒ vor Augen geführt, in welch bedrohlicher Welt sie sich bewegte, wenn sie sich mit Geheimagenten abgab. Im Grunde genommen war es schon im Hinblick auf die Zwillinge und ihre Familie absolut verantwortungslos, diese heimliche Nebentätigkeit weiterzuführen. Der Einsatz im November war nicht der erste gewesen, bei dem sie in Lebensgefahr geraten war. Solche Risiken durfte sie zukünftig nicht mehr eingehen.
Anfangs war sie von ihren Aufträgen nicht begeistert gewesen. Nur zögernd hatte sie überhaupt ihre Zustimmung gegeben, in die Liste ziviler Hilfskräfte aufgenommen zu werden. Mit der Zeit hatte sie dann doch einen gewissen Reiz an den Einsätzen verspürt, gepaart mit einem Nervenkitzel, den sie zuvor nicht gekannt hatte. Und möglicherweise war auch Markus Neumann, der Agent, durch den sie überhaupt erst mit dem Institut in Berührung gekommen war, nicht ganz unschuldig an dem Interesse, das in ihr entfacht worden war. Zwar war er der verschlossenste und schwierigste Mann, dem sie je begegnet war, und nicht selten hätte sie ihn für seine Überheblichkeit oder seine abweisende Art am liebsten durchschütteln wollen. Dennoch fühlte sie sich ihm in gewisser Weise zugetan. Oder von ihm angezogen. So erging es vermutlich allen Frauen, die sich noch nicht jenseits von Gut und Böse befanden. Er konnte unglaublich charmant sein, wenn er wollte, und sein Lächeln, kombiniert mit seinem überdurchschnittlich guten Aussehen, tat ein Übriges. Dummerweise war er sich seiner Ausstrahlung nur allzu bewusst, und auf solche Männer hatte sie bisher immer ausgezeichnet verzichten können. Er spielte einfach nicht in ihrer Liga – und umgekehrt. Ganz abgesehen davon, dass er vom ersten Moment ihrer Bekanntschaft an deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, keinerlei persönlichen Kontakt zu wünschen. In seinem Beruf war das wohl auch sinnvoll, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Wenn sie auch argwöhnte, dass die Mauer, die er um sich herum errichtet hatte, um persönliche Bindungen zu vermeiden, ihm mehr schadete als nützte. Kein Mensch konnte sein Leben lang allein und nur auf sich gestellt bestehen.
Leicht genervt verdrehte Janna die Augen. Wieder einmal grübelte sie viel zu lange und intensiv über Markus nach. Das war weder hilfreich noch gesund, schalt sie sich. Was brachte es schon, über jemanden nachzudenken, sein Verhalten zu analysieren, der darauf überhaupt keinen Wert legte und den sie vielleicht nie wiedersehen würde.
Sinnierend blätterte sie durch den kleinen Stapel Berichte und verschloss die Schachtel dann wieder. Sie hatte sie hier heraufgebracht, weil sie fürchtete, dass jemand sie sonst zufällig in ihrem Büro finden könnte. Nun würde sie sich wohl ein neues Versteck überlegen müssen. Oder sie verbrannte die Kopien einfach. Sie würde das vergangene halbe Jahr am besten als kuriose Episode in ihrem Leben abhaken.
Sorgsam legte sie die Schachtel auf den Schrank und klappte die Kiste mit den Kostümen wieder zu. Sie konnte hierbleiben. Niemandem war damit gedient, sie umständlich hinüber ins Gutshaus zu tragen und dann dort auf dem Dachboden zu verstauen. Andere Dinge würde sie aber vielleicht häufiger benutzen und doch lieber hinübertragen.
»Janna, ich bin mit der Wäsche fertig.« Tills Stimme riss sie aus ihren Grübeleien. »Kann ich nicht doch rüber zu Onkel Bernhard gehen und …«
»Nein, mein Freund, für dich habe ich eine andere Aufgabe.« Janna deutete auf die Truhe mit den alten Magazinen. »Diese Kiste kannst du leermachen. Trag die Zeitschriftenbündel raus in den Schuppen und stapele sie beim Altpapier.«
»O Mann!«
»Bitte!« Sie fixierte den Jungen, der daraufhin schmollend zu der Truhe ging und eines der Bündel heraushob. »Die sind aber schwer!«
»Du wirst es schon überleben, Till.«
Grummelnd machte der Junge sich auf den Weg nach unten, während Janna sich einem blauen Kunststoffkasten zuwandte, in dem sie alte Videos, Hörspiel- und Musikkassetten sowie CD-ROMs mit Sicherheitskopien ihrer elektronischen Steuerdaten, ihrer Buchhaltung und der Kundendaten ihres Büroservices aufbewahrte. Diese Sachen nahm sie besser mit nach drüben. Ohne sich näher mit dem Inhalt zu befassen, hob sie die Kiste an den seitlichen Griffen an. Sie war nicht sehr schwer, aber unhandlich, und offensichtlich war einer der Griffe kaputt. Kaum hatte Janna zwei Schritte vorwärts gemacht, als ihr die rechte Seite des Kastens entglitt. Sie versuchte noch, den Plastikbehälter abzufangen, doch er knallte gegen ihr Knie und ging dann polternd zu Boden. Der Inhalt verteilte sich auf den Holzdielen.
»Au! Verdammt.« Den abgebrochenen Griff noch in der Hand, rieb sich Janna mit den Fingerknöcheln über die schmerzende Stelle an ihrem Bein. Dann blickte sie erbost auf das Chaos zu ihren Füßen. »So ein Mist.« Seufzend stellte sie den Kasten wieder auf, zog sich einen alten Fußhocker ihres Großvaters heran und setzte sich darauf, um die Videos, Kassetten und CDs wieder einzusammeln.
Bald schon stellte sie fest, dass sie etliche der Videokassetten entsorgen konnte, weil sie die Filme darauf längst auf DVD besaß. Also sortierte sie den Inhalt der Kiste noch einmal neu. Auch mit den alten Hörspielen beschäftigte sie sich länger als geplant. Es handelte sich teils um Kassetten aus ihrer Kindheit und teils um Märchenkassetten von Susanna und Till, für die beide sich inzwischen zu alt fanden. Auch einen kompletten Satz Fünf Freunde- und TKKG-Hörspiele besaß sie. Die stammten noch von Feli und ihr selbst. Vielleicht sollte sie die den Zwillingen für deren Sammlung stiften.
»Was machst du denn da, Janna?« Unbemerkt war Till wieder zurückgekehrt und beäugte neugierig den Inhalt des Kastens. »Cool, da sind ja Kassetten von den Drei Fragezeichen. Dürfen wir die haben?«
»Nichts da, das sind noch ganz alte Kassetten.« Janna schüttelte den Kopf. »Siehst du das hier?« Sie deutete auf die Schrauben in den gelben Kassetten. »Die sind noch geschraubt. Das sind Sammlerstücke. Außerdem hast du die Folgen doch schon fast alle.«
»Nee, die hier nicht.« Till deutete auf eine der Hüllen. »Und die da auch nicht.«
»Schon gut, dann weißt du ja, was du dir zu Weihnachten wünschen kannst.«
»Ich hab meinen Wunschzettel doch schon längst geschrieben. Du hast gesagt, er darf auf keinen Fall mehr länger werden.«
Belustigt blickte Janna in das grinsende Jungengesicht. »Die Kassetten hier bekommst du jedenfalls nicht. Guck, diese hier ist sogar schon mal neu aufgespult worden. Anscheinend hatte ich damit mal Bandsalat.«
»Menno.«
»Hast du nicht noch etwas zu tun? Die Kiste mit den Zeitschriften ist noch immer ziemlich voll.«
»Schon gut.« Achselzuckend wandte sich Till ab.
»Halt!« Janna hielt ihn gerade noch zurück, bevor er auf die Plastikhülle einer CD-ROM treten konnte. »Pass bitte auf, wo du hintrittst.« Obwohl die Hülle gar nicht beschädigt worden war, klappte Janna sie auf und warf einen Blick auf das Innere. Dabei rutschte ihr der säuberlich beschriftete Datenträger beinahe heraus. Es handelte sich um die Sicherheitskopie ihrer Steuererklärung von vor drei Jahren. Als sie sie wieder in die Halterung klipsen wollte, stellte sie fest, dass sich dort bereits eine andere DVD befand. Deshalb hatte die zweite wohl auch nur lose in der Hülle gelegen.
Leicht irritiert betrachtete Janna die unbeschriftete DVD, nahm sie aus der Hülle und sah sich die Unterseite an. Es schienen Daten darauf zu sein, aber warum hatte sie sie nicht beschriftet? Normalerweise tat sie das ganz gewissenhaft. Überhaupt sah diese DVD ganz anders aus als die, die sie normalerweise im Hunderterpack im Discounter kaufte. Die Oberseite besaß nicht einmal den Aufdruck einer Produktionsfirma, sondern lediglich eine silbrige Beschichtung. Neugierig geworden, erhob sie sich und wandte sich in Richtung der Bodenklappe.
»Lässt du die Sachen jetzt einfach so da liegen?«, fragte Till, der zwei weitere Bündel Magazine im Arm hielt und ebenfalls hinabsteigen wollte. Janna ließ ihm den Vortritt. »Nur einen Augenblick«, antwortete sie. »Ich will bloß schnell nachsehen, was auf dieser DVD ist. Sie ist gar nicht beschriftet, weißt du.«
»Darf ich mitgucken?«