Spiritual Care in der Praxis - Doris Wierzbicki - E-Book

Spiritual Care in der Praxis E-Book

Doris Wierzbicki

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Beschreibung

Neben dem Bedarf an medizinischer Versorgung haben Patientinnen und Patienten auch das Bedürfnis nach spiritueller Fürsorge, weswegen das Krankenhauspersonal sehr häufig mit spirituellen Fragen konfrontiert wird. Da das Personal in diesem Bereich jedoch oftmals nicht geschult ist, führen diese Fragen häufig zu Unsicherheit und Überforderung. Wie aber kann die Implementierung von Spiritual Care in einen effektiven Klinikalltag gelingen? Dieses Buch stellt ein Fortbildungsprogramm vor, welches wissenschaftlich evaluiert und durch die positiven Veränderungen im Haus zum "Ankerprojekt Klinik Diakonissen Linz" für das Diakoniewerk wurde. Die verschiedenen Berufsgruppen lernen dabei Methoden und Wege kennen, mit spirituellen Bedürfnissen umzugehen. Anhand zahlreicher Praxisbeispiele und Erfahrungen zeigt das Werk auf, wie Spiritual Care möglichst einfach und wirksam in der Klinik und in Einrichtungen der Langzeitpflege umgesetzt werden kann.

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Die Autorin

Doris Wierzbicki, Dipl. PAss.in, Dipl. Päd.in MASSc, absolvierte das Seminar für kirchliche Berufe (vier Jahre Diplom), besuchte den Lehrgang für die Lehramtsprüfung und verschiedene Zusatzausbildungen und beendete erfolgreich den Masterstudiengang Spiritual Care an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel. Sie wirkt und wirkte als Pfarrassistentin (Pfarrleitung), Pastoralassistentin, Religionslehrerin, Vortragende in der Krankenpflegeschule, beim Masterlehrgang Spiritual Care in Basel, beim Internationalen Spiessel Symposium Basel, beim Pflegekongress in Wien, bei verschiedenen Berufsgemeinschaften, beim Lehrgang Spiritual Care Competency Wien, bei Schulungen für Mitarbeiter in Kurz- und Langzeitpflege und in einem Kindergarten sowie Altenheimseelsorgerin, Dekanatsassistentin mit leitender Funktion, Referentin in der Erwachsenenbildung, Leitung Seelsorge und Spiritual Care in der Klinik Diakonissen Linz, Mitarbeiterin der Abteilung Diakonische Identitätsentwicklung mit dem Schwerpunkt Spiritual Care im Diakoniewerk und Koordinatorin des »Innovation Center Spiritual Care in Organisations«.

Doris Wierzbicki

Spiritual Care in der Praxis

Wie die Implementierung in den Klinikalltag erfolgreich gelingt

Verlag W. Kohlhammer

 

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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Piktogramme

 

Information

Methodik

Erfahrungen

Rückmeldungen

Internet

 

 

 

1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-039770-5

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-039771-2

epub:     ISBN 978-3-17-039772-9

 

Geleitwort

von Hans-Florian Zeilhofer

 

Zum Thema Spiritual Care finden wir in den vergangenen Jahren im deutschsprachigen Raum eine stetig wachsende Anzahl an Publikationen. Jeder, der in einem Krankenhaus tätig ist und mit Patienten regelmäßigen Kontakt hat, muss unabhängig welcher der vielen verschiedenen Berufsgruppen sie oder er angehört – sei es das Reinigungspersonal, sei es die Pflege oder die Ärzteschaft, sei es die Administration – damit rechnen, dass von Patientenseite die Frage an sie/ihn herangetragen wird: Warum gerade ich? Die gewählte Reihenfolge der genannten Personengruppen ist nicht zufällig, sondern spiegelt den jeweiligen Zeitpunkt wider, in der diese erfahrungsgemäß in direktem Austausch mit Patienten stehen. Auf eine solche Kernfrage nun eine befriedigende Antwort zu finden, erfordert grundsätzlich andere Kompetenzen als eine professionelle Auskunft oder Aufklärung über diagnostische oder therapeutische Details. Voraussetzung für eine authentische Antwort ist die eigene Auseinandersetzung mit den damit untrennbar verbundenen existenziellen Fragen.

Der moderne klinische Alltag ist jedoch geprägt von komplexen prozessualen Abläufen, gepaart mit hohen Anforderungen an die Interprofessionalität innerhalb eng gesteckter ökonomischer und zeitlicher Rahmenbedingungen. Daher stellt sich die Frage: Bleibt da noch Zeit für Spiritual Care?

Umso erstaunlicher ist es, dass sich gerade die Geschäftsleitung einer Klinik – und nicht die Krankenseelsorge oder vereinzelte kompetent zum Thema weitergebildete Medizinalberufe – für eine großflächige Implementierung von Spiritual Care in ihrer Klinik entscheiden.

Das vorliegende Buch versteht sich als ein praktischer Leitfaden für eine erfolgreiche Umsetzung von Spiritual Care in der Praxis, ein Kochbuch mit erprobten Rezepten. Es möchte andere Klinikleitungen ermutigen, dem Vorbild der Klinik Diakonissen Linz nachzueifern. Zufriedene Patientinnen und Patienten und Mitarbeitende bestätigen die Richtigkeit und Wichtigkeit dieses Projekts vollumfänglich, der finanzielle Aufwand ist gut kalkulierbar und gerechtfertigt.

Das Ankerprojekt der Diakonissen Linz mit der Einführung von Spiritual Care ist hoch innovativ und beschreitet mutig einen neuen Weg: der »Spirit« oder die »Kultur« der Trägereinrichtung Diakonie wird neu interpretiert und findet in einem »human centered approach«, der den Patienten als eine somato-psycho-sozio-spirituelle Einheit wahrnimmt, einen adäquaten Ausdruck. Das reicht weit und visionär über die vielerorts üblichen »Leitlinien« im Umgang mit den zu behandelnden Personen oder der Kundschaft und Mitarbeitenden hinaus.

Ein innovatives Pilotprojekt, das im Verlauf der letzten Jahre zum Ankerprojekt wurde – es lässt sich daran ablesen, von welch entscheidender Wichtigkeit dieser neu beschrittene Weg ist. Es wurde eine Wegmarke gesetzt, ein »Anker gelegt«, der ein symbolträchtiges Zeichen ist für die Sicherheit und die Überzeugung, die hinter diesem Paradigmenwechsel in der Patientenwahrnehmung steht, verbunden mit der Hoffnung, dass viele weitere Projekte und Kliniken diesem Beispiel in naher Zukunft folgen werden.

Für den berufsbegleitenden Studiengang »Master of Advanced Science in Spiritual Care« an der Universität Basel ist dieses Projekt eine große Freude und Bestätigung zugleich, dass aus bescheidenen Anfängen, wie klein sie auch sein mögen, in zahlreichen Gesprächen und fruchtbarem interdisziplinären Austausch ein wichtiges, die regionalen Grenzen überschreitendes Projekt entstehen kann.

Ich wünsche dem Buch eine große Verbreitung und viele Nachahmer.

Prof. Dr. med. Dr. dent. Dr. H.c. Hans-Florian Zeilhofer

Chefarzt der Kliniken für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Universitätsspital Basel/CH, Senior Consultant, ehem. Mitglied der Studiengangsleitung »Master of Advanced Science in Spiritual Care«, Spitzenforscher und Start-up-Gründer

 

Geleitwort

von Josef F. Macher

 

In Zeiten hoher Informationsdichte und rasanter Veränderungen bleibt oft wenig Raum, sich selbst und die Beziehung zu seinen Mitmenschen zu reflektieren. In persönlicher Not, wie zum Beispiel einer Erkrankung oder einer anstehenden Operation, verschieben sich die Wertigkeiten. Aus meiner Erfahrung als Anästhesist und Schmerzmediziner gibt es Momente, beispielsweise bei einer Narkose, in denen man als Patient zu 100 % im positivsten Sinne »ausgeliefert« ist und anderen Menschen vertrauen muss. Dies fordert von allen Mitarbeitenden einer Klinik nicht nur Empathie. Es braucht einfach »MEHR«.

In Sinne der diakonischen Weiterentwicklung unserer Klinik haben unsere Seelsorgerin Doris Wierzbicki und ich beschlossen, dass sie den Master-Lehrgang Spiritual Care an der Universität in Basel besuchen sollte. Nach vier Semestern hat die Autorin dieses Buches die Ausbildung mit Bravour absolviert.

Ihre Persönlichkeit und das Wissen aus dem Universitätslehrgang führten zu einem völlig neuen Zugang der diakonischen Organisationsentwicklung in unserer Klinik. Alle Mitarbeitende der Klinik – patientennah und patientenfern – waren und sind eingeladen an Fokus- und Reflexionstagen teilzunehmen, die von beinahe allen Mitarbeitenden sehr gerne angenommen wurden und werden.

Das Meta-Ziel Spiritual Care war und ist: »Wir kümmern uns um unsere Patienten und unsere Kollegen.« Wir wollen eine verstärkte Sensibilisierung ermöglichen, uns untereinander und unsere Patienten, also jeden Einzelnen in seiner Körperlichkeit und insbesondere seiner Seele achtsam wahrnehmen. Dieses gelebte Kümmern wird von unseren Patienten als Geborgenheit empfunden und es wird immer wieder davon spontan berichtet.

Das vorliegende Buch zeigt eindrucksvoll die Sinnhaftigkeit des Einsatzes von Doris Wierzbicki und die Notwendigkeit, das Thema Spiritual Care im medizinischen Alltag zu implementieren.

Es ist mir ein Anliegen, mich an dieser Stelle bei dir, liebe Doris, ganz herzlich zu bedanken.

Ich bin stolz darauf, dass du als Vorreiterin in Österreich dieses wichtige Thema an unserer Klinik initiiert hast!

Für die weitere Verbreitung von »Spiritual Care in der Praxis« wünsche ich dir auch zukünftig so viel Elan und Erfolg.

Prim. Dr. Josef F. Macher

Geschäftsführung Klink Diakonissen Linz

 

Geleitwort

von Rainer Wettreck

 

Wann waren Sie als Mitarbeitende im Sozial- und Gesundheitswesen in letzter Zeit erfüllt, stolz, zutiefst berührt in Ihrer Arbeit – mit dem Gefühl, genau dafür in den Beruf gegangen zu sein? Angesichts von wachsendem Cool Out, Burn Out und Drop-Out in den Gesundheitsberufen hier die gute Nachricht: Doris Wierzbicki vermittelt mit ihrem Praxisbuch fulminante Einblicke in den beispielhaften Aufbruch einer modernen Klinik – in Richtung neuer heilsamer Sozial- und Gesundheitsorganisationen »mit Identität, Sinn und Seele«. (ISCO Manifest www.isco.info)

Unter den Bedingungen heutiger Professionalität, Wirtschaftlichkeitsanforderungen und moderner kultureller und religiöser Vielfalt zeichnet sie einen methodischen Pfad zu einer neuen ganzheitlichen Achtsamkeit für Mitarbeitende und für Klienten und Klientinnen, zur heilsamen kulturellen Selbstentwicklung in der Organisation und zu einer neuen Sinngemeinschaft im Tun – über die gemeinschaftliche Dimension der Spiritualität und gemeinsam vertiefte Grundhaltungen, gespeist aus den Potenzialen diakonischer Identität und Tradition.

International wurden in den vergangenen Jahren vielfältige wichtige Konzeptbeiträge, Praxisimpulse und Projektbeispiele für die Umsetzung von Spiritual Care erarbeitet. Erstmals legt Doris Wierzbicki hier nun – frisch aus dem Entwicklungsprozess in der Klinik Diakonissen Linz und im Diakoniewerk – den Einblick in einen unternehmenskulturellen Praxisweg für eine Gesamtorganisation vor, als wesentlicher Beitrag zur erfolgreichen Organisationsentwicklung einer modernen Klinik

Mit einem leidenschaftlich kulturentwicklerischen und bildungsbezogenen Impuls lädt Doris Wierzbicki dazu ein, von der Ebene der Konzeptdiskussion und der singulären Bildungsangebote aus einzusteigen in den konkreten Entdeckungs- und Entwicklungsmodus im gelebten Unternehmensalltag, »radikal« resonanz- und wirkungsorientiert im Einsetzen, Umsetzen, Zusammensetzen; demütig vor den Äußerungen und Erfahrungen der Menschen selbst; systemisch passend zur strategischen Entwicklung der Gesamtorganisation – im neuen Praxisfeld von »Spiritual Care in Organisations«.

Mit vitaler »best practice« vermittelt sie modellhaft, einladend und ermöglichend Perspektiven synergetischer Kultur- und Kompetenzentwicklung, auf einem erfolgreichen Praxispfad, der Lust macht zur Ergänzung, Fortentwicklung, Übertragung. Entstanden ist ein spannender Reisebericht, und zudem noch ein praktisches Methodenbuch: Es zeigt eine eindrucksvolle, kostbare und inspirierende Auswahl bewährter praktischer Methoden vielfältiger Herkunft in einer Haltung des Entdeckens und probenden Entwickelns im Neuland.

»Zeit für unseren Spirit!« Mit diesem Buch ermöglicht indirekt auch das Diakoniewerk Einblick in seinen internen Prozess der Unternehmenskulturentwicklung. Der einzigartige Schatz unserer Identität wird für die heutige Zeit neu »übersetzt«, entdeckt, freigesetzt und ins Spiel gebracht wird, das besondere Potenzial des »Glaubens unserer Mütter« und der »Berufung« als Diakoniewerk verbindet sich mit einem bewusst einladenden, offenen, ermutigenden Spiritualitätsverständnis »für Alle« und »mit Allen«. Wie in der Klinik Diakonissen Linz geht es auch im Diakoniewerk insgesamt – eingebettet in die Gesamtentwicklung der Organisation – um ein neues Erlebnis von Teilhabe, Identifikation und Sinngemeinschaft in aller Vielfalt und Unterschiedlichkeit – im Zusammenklang von »Identität, Culture & People«, mit einem klaren Fokus auf dem »kulturellen Empowerment« von Teams und Mitarbeitenden, mit einer inspirierenden Verbindung von Mensch und Organisation.

Wir wünschen diesem Buch von Herzen eine große Verbreitung und vielfältige Resonanz in der Umsetzung von Spiritual Care in Organisationen.

Dr. Rainer Wettreck

Diakonisch-Theologischer Vorstand des Diakoniewerks

 

Inhalt

 

 

 

Geleitwort

von Hans-Florian Zeilhofer

Geleitwort

von Josef F. Macher

Geleitwort

von Rainer Wettreck

Vorwort

Dank

Einleitung

1 Wie alles begann …

1.1 Ausgangslage und Hintergründe zur Klinik

1.1.1 Die Klinik Diakonissen Linz

1.1.2 Doch was ist eigentlich Spiritual Care?

1.2 Spiritualität – eine Begriffsklärung

1.2.1 Geschichtlicher Exkurs zum Begriff

1.2.2 Religion und Spiritualität – eine Begriffsdifferenzierung

1.2.3 Spiritualität und Transzendenz

1.2.4 Spiritualität als universales Merkmal des Menschen

1.2.5 Spiritualität und Medizin

1.2.6 Spiritual Care als Begriff

1.3 Ein Blick in die Literatur

1.3.1 Drei Positionen zu Spiritual Care

1.4 Haltungen als Basiskompetenzen

1.4.1 Spirituelle Basiskompetenzen

1.4.2 Spezifische spirituelle Kompetenzen

1.4.3 Zusätzliche spirituelle Kompetenzen

1.4.4 Arbeitskreis Spiritualität – Situation der Teilnehmenden

1.5 Relevante Evaluationsergebnisse als Basis für ein Fortbildungskonzept

1.5.1 Die umfassende Sorge um kranke Menschen, deren Angehörige und deren spirituelle Bedürfnisse

1.5.2 Die Sorge um die eigene Motivation und die eigenen Kraftquellen

1.5.3 Die Sorge um die Organisation Gesundheitswesen, damit sie die umfassende Begleitung um leidende Menschen gewährleistet

1.5.4 Empfehlungen

2 Umsetzungsphase – erste Ergebnisse werden sichtbar

2.1 Fortbildungskonzept – die Implementierung von Spiritual Care

2.2 Ablauf und Inhalt der einzelnen aufeinander aufbauenden Angebote

2.2.1 Fokus Tag

2.2.2 Follow up 1

2.2.3 Follow up 2

2.3 Ablauf und Inhalt von spezifischen Schulungen

2.3.1 Schulung der Reinigungskräfte

2.3.2 Fokus Tag für die Geschäftsführung

2.3.3 Multiplikatoren-Schulung

2.3.4 Einbindung der Fachärzte

2.4 Unverzichtbare Begleitmaßnahmen

2.5 Erfahrungen mit Spiritual Care aus der Praxis

2.6 Reflexionen von außen

2.7 Spiritual Care und Seelsorge-Schulungen mit Krankenhaus- und Altenheimseelsorgern

2.8 Evaluationsergebnisse mit Ausblick

3 Ausblick in die Zukunft

3.1 Wie alles begann

3.2 Spiritual Care in der Langzeitpflege

3.3 Fokus Tag im Haus Elisabeth

3.3.1 Was danach geschah:

3.4 Vertiefungstag

3.5 Erfahrungen aus der Praxis mit Spiritual Care

3.6 Angebote in Spiritual Care für das Diakoniewerk während der Coronakrise

3.7 Reflexionen des diakonisch-theologischen Vorstandes des Diakoniewerkes und Leiter von ISCO (Innovation Center Spiritual Care in Organisations) anlässlich der Gründung von ISCO

Literatur

Internetquellen

Stichwortverzeichnis

 

Vorwort

 

 

 

Stellen Sie sich vor, Sie werden mit der Diagnose Krebs konfrontiert. Was würden Sie sich dann wünschen? Sicherlich einen Arzt, der Sie genau aufklärt. Aber wäre es nicht auch äußerst hilfreich, wenn dieser Arzt nicht fluchtartig das Zimmer verlässt, sobald er seine Mission erfüllt hat, sondern die im Moment hereinbrechende Ohnmacht mitaushält, Dasein, Aushalten – nur so ist es möglich, in Situationen, in denen nichts mehr hält und scheinbar alles zusammenbricht, Patientinnen und Patienten Halt zu geben.

»Herr Doktor, wie geht es eigentlich Ihnen, wenn Sie Patienten solch schlimme Nachrichten überbringen müssen?« Interessanterweise stellte eine 92-jährige Patientin diese Frage ihrem Internisten, der sie kurz davor darüber aufklären musste, dass sie an einem fortschreitenden Pankreaskarzinom leidet. »Nicht gut!« war die Antwort, dem ein Schweigen, ein miteinander Überlegen, ein Aushalten und »ein Ausschauhalten« nach den nächsten Schritten folgten. Nach dem intensiven Gespräch bat der einfühlsame Internist die Pflegefachfrau, sie möge mich verständigen und schrieb in die Kurve »Seelsorge«.

»Wie geht es Ihnen, wenn Sie Patienten solch schlimme Nachrichten überbringen müssen?« Mit dieser Frage trifft die Patientin mitten ins Schwarze. Als Ärztin oder Arzt, als Pflegekraft, Servicemitarbeitende, Reinigungskraft und Seelsorgerin oder Seelsorger ist der Einzelne immer mit seiner Person als Werkzeug gefragt, um auf die spirituellen Bedürfnisse von den zu behandelnden Personen heilsam eingehen zu können. Dies ist Aufgabe eines »Spiritual Care Giver«, der Schulung, Unterstützung, immer wieder Inspiration und ein aufbauendes Bildungskonzept braucht.

Schlimme Diagnosen sind nicht die einzigen Situationen, in denen spirituelle Bedürfnisse entstehen. Es sind Erfahrungen wie die, dass man nicht mehr so wie früher für sich selbst sorgen kann und in die eigene Wohnung zurückkehren kann. Die Gewissheit, dass man liebgewonnene Tätigkeiten nicht mehr ausführen kann. Die Frage, warum gerade mir das eine oder andere widerfährt. Gerade, wenn plötzlich Zeit ist nachzudenken, steigen Fragen aus dem Inneren der Seele hoch und kommen an die Oberfläche.

»Warum müssen meine Lieblingsenkel verstreut auf der ganzen Welt leben?« Das Gespräch mit einer anderen Patientin, das harmlos und oberflächlich begann, mündete in dieser Sinnfrage. Auch wenn sie deren Beweggründe völlig versteht, hätte sie ihre Liebsten so gerne um sich herum, gerade weil es mit ihren eigenen Kindern nicht ganz leicht ist. Am Ende dieses Gesprächs sagte die Patientin zu mir, die Tage zuvor am Knie operiert wurde: »Wissen Sie, das ist schräg, aber jetzt sind meine Schmerzen im Knie leichter.«

»So ein Personal kann man nur jedem Krankenhaus wünschen« (Zitat aus einem Patientenfragebogen). »Bei uns geschieht Heilung anders« (ärztlicher Leiter, Klinik Diakonissen Linz). »Seit der Implementierung von Spiritual Care brauchen wir weniger Supervision, weil die Mitarbeitenden auf sich und einander besser schauen. Wenn ich nach dem Befinden von Patientinnen und Patienten frage, bekomme ich eine viel differenziertere Auskunft« (Pflegedienstleitung, Klinik Diakonissen Linz). »Wir merken, dass die Krankenstände und die Fluktuation im Personalbereich zurückgegangen sind. Wir dürfen uns über Blindbewerbungen freuen. Auch wenn wir uns nicht aus diesen Gründen für die Implementierung von Spiritual Care entschieden haben, freuen wir uns über diese schönen Nebeneffekte« (Bereichsleiter Finanzen, Klinik Diakonissen Linz). »In der Zeit vor 15 Jahren hat der Geist noch Platz gehabt. Dann kam die Professionalisierung, die Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund. Das war nötig – es ist dadurch aber auch viel verloren gegangen, und es ist auch immer etwas kälter geworden. Jetzt mit Spiritual Care findet sich das auf einmal wieder: Ich als Mensch in der Arbeit mit meinen persönlichen Bedürfnissen und Anliegen und auch mit Ritualen, mit Spiritualität« (Regionalleitung Seniorenarbeit und Heimleiter, Haus Elisabeth).

Was bewegt Mitarbeitende der verschiedensten Führungsebenen mit ganz unterschiedlichen und auch unterschiedlich intensiven spirituellen Zugängen zu diesen Aussagen? Sie alle beobachten die positiven Auswirkungen der Einführung von Spiritual Care.

Das Buch möchte einen Weg aufzeigen, wie die Implementierung von Spiritual Care in einer Klinik gelingen und wie man den Versuch der Übertragung auf die Langzeitpflege angehen kann. Von der Recherche bis zur Umsetzung will das Buch vermitteln, wie es möglich ist, dass die Implementierung eines Fortbildungsprogrammes in Spiritual Care die Arbeitsatmosphäre verbessern, zu einer höheren Identifizierung der Mitarbeitenden mit der Institution und zu einem vermehrten Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten führen kann.

Untermauert mit wissenschaftlichen Studien, angereichert mit vielen Praxisbeispielen und Methoden der Umsetzung wird das Buch aufzeigen, wie es dieser Ansatz geschafft hat, zum »Ankerprojet Klinik Diakonissen Linz« für das Diakoniewerk Gallneukirchen (ein Unternehmen mit ca. 3.800 Mitarbeitende) zu werden. Mit »Ankerprojekt« (Benennung vom Diakonisch-theologischen Vorstand des Diakoniewerkes) wird die Klinik Diakonissen bezeichnet, weil hier der Implementierungsprozess am weitesten fortgeschritten ist und durch eine externe Mitarbeiterbefragung, viele Evaluationsergebnisse sowie beobachtbare Veränderungen dieser Fortschritt auch gut belegt ist. Daher greift das Diakoniewerk immer wieder auf diese Erfahrungen zurück. Die guten Ergebnisse aus der Klinik führten zu neuen Versuchen, ein ähnliches Konzept in eine weitere Institution des Diakoniewerkes einzuführen, einem sogenannten Pilotprojekt. Weiters wurde das »Innovation Center Spiritual Care in Organisations« (ISCO) mit Wissenschaftlich-kulturellem Beirat in Netzwerkpartnerschaft mit der Universität Basel und der Klinik Diakonissen Linz gegründet.1

1     Einige Auseinandersetzungen hatten wir hinsichtlich einer geschlechtergerechten Sprache und lernten dadurch einiges über unsere verschiedenen Sprach- und auch Kränkungserfahrungen. Unser Kompromiss: Wir benutzen hauptsächliche geschlechterneutrale Formulierungen und das »generische Maskulinum«, wenn es unumgänglich ist und wir alle Geschlechter meinen, und verwenden in den Beispielen vorwiegend weibliche Formen, um daran zu erinnern, dass sowohl die meisten Mitarbeitenden in Medizin und Kirche als auch Patienten Frauen sind.

 

Dank

 

 

 

»Könnte uns jemand von oben betrachten, er sähe so viele Menschen auf der Welt in ständiger Eile, erhitzt und erschöpft und er sähe ihre verlorenen Seelen, die nicht mehr Schritt halten können mit den Menschen zu denen sie gehören« (Tokarczuk 2017, S. 33).

Die polnische Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk für Literatur 2018 geht in ihrem Buch »Die verlorene Seele« auf sehr einfühlsame Art und Weise auf eine sich zuspitzende Not unserer Zeit ein. Ausgehend von dieser Wahrnehmung, die viele in den verschiedensten Berufssparten teilen, ist es nicht überraschend, dass das Anliegen, sich um seelische Bedürfnisse zu kümmern, steigt. Der Theologe und Pädagoge Anton A. Bucher sagt in seinem Ausblick: »Gerade aber die harten Wissenschaften, speziell Quantenphysik und Neurophysiologie, lieferten bisher noch nie gesehene Einblicke in das Phänomen des Spirituellen, sei es die Verbundenheit von allem auf der subatomaren Ebene, sei es in die Macht des Geistes, die neurologische Strukturen zu transformieren vermag. Zudem begreifen sich mehr und mehr Zeitgenossen als spirituelle Wesen, auch wenn sie nicht mehr kirchlich eingebunden sind, und wünschen als solche ernst genommen zu werden, zumal am Krankenbett oder in der Therapie.« (Bucher 2014, S. 205)

Umso dankbarer bin ich all jenen mutigen Entscheidungsträgern in der Klinik Diakonissen Linz, im Diakoniewerk, im Haus Elisabeth und in anderen Einrichtungen, die sich entschieden haben, Spiritual Care zu implementieren. Einen besonderen Dank möchte ich all meinen Kolleginnen und Kollegen aussprechen, die sich auf die Fortbildungsangebote einließen und sich mit großer Hingabe Patienten, Bewohnern und Klienten zuwenden. Ich kann mich an keinen einzigen Schulungstag erinnern, an dem ich nicht tief berührt von den Wahrnehmungen und persönlichen Zugängen der jeweiligen Teilnehmenden zur Spiritualität heimfuhr.

Zuletzt gilt mein Dank speziell meinem Mann, der mich immer wieder zu diesem Buch ermutigt hat, unseren beiden geduldigen Kindern und meiner weiteren Familie, Freunden und Bekannten, die mich bei diesem Projekt unterstützten.

 

Einleitung

 

 

 

Die Wahrnehmung von spirituellen Bedürfnissen wird in der heutigen Gesellschaft zunehmend wichtiger. Obwohl einerseits ein deutlicher Rückgang von Personen zu verzeichnen ist, die sich traditionellen religiösen Institutionen zugehörig fühlen, gewinnt andererseits das Phänomen individueller Religiosität und Spiritualität an Bedeutung.

Als Seelsorgerin der Klinik-Diakonissen Linz erlebe ich, dass viele Mitarbeitende sich wünschen, Patienten und Patientinnen »Heilsames« zukommen zu lassen. Dies betrifft die Ärzteschaft, Beschäftigte in der Pflege, im Service, sogar in der Verwaltung. Immer mehr schärft sich bei mir das Bewusstsein, dass dies nicht allein auf den medizinischen Bereich reduzierbar ist.

Dabei denke ich nicht an Dienstleistungen, sondern an ein Beziehungsgeschehen, welches über das rein Funktionale, Somatische und Materielle hinausgeht. Das sind Begegnungen, die im Inneren berühren und den Heilungsprozess, wie auch immer dieser aussehen mag, unterstützen. Diese Art von Kontakten ist nicht machbar, weil Spiritualität einen für den Menschen unverfügbaren, transzendentalen und geschenkhaften Aspekt beinhaltet. Allerdings müsste es möglich sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, die solche Begegnungen erleichtern.

Meiner Beobachtung nach fehlt Mitarbeitenden im Umgang mit spirituellen Bedürfnissen oft die nötige Kompetenz. Dies äußert sich dadurch, dass sie einerseits schwierigen spirituellen Fragestellungen ausweichen, oder andererseits so tun, als hätten sie die Anfrage nicht gehört.

Ursachen können dabei eine fehlende Selbstwahrnehmung und eine nicht ausreichende Patientenwahrnehmung sein. Ein weiterer Grund ist die Angst, das Falsche zu sagen. Dahinter kann die Unsicherheit stecken, auf Ohnmachtssituationen zu reagieren. Ein Aspekt ist dabei eventuell die Sorge, sich nicht ausreichend gegen belastende Situationen abgrenzen zu können.

Demzufolge fühlen sich zu behandelnde Personen nicht ernst genommen. So bleiben sie mit ihren Bedürfnissen allein zurück und wertvolle, vielleicht sogar das »Heilwerden« unterstützende Prozesse, werden durch Schlaf- sowie Beruhigungsmittel zugedeckt. Daher beschäftigten mich die Fragen: Welche Fähigkeiten undKompetenzenbrauchen Mitarbeitende,um spirituelleBedürfnisseder Patienten und Patientinnen wahrnehmen und darauf heilsam eingehen zu können? Sind solche Kompetenzen schulbar?

In der Bangkok Charta für Gesundheitsförderung (2005) wird von der WHO ausdrücklich gefordert, neben dem physischen, psychischen und sozialen Wohlbefinden, auch spirituelles Wohlbefinden gleichermaßen als ein fundamentales Grundrecht eines jeden Menschen anzusehen. (World Health Organisation 2005)

Dieses Bewusstsein setzt sich immer mehr im medizinischen Bereich durch. Dennoch ist es für Geschäftsführer einer Klinik – in Zeiten knapper werdender zeitlicher und finanzieller Ressourcen – schwierig, sich auch für das spirituelle Wohlbefinden der Patienten und Patientinnen verantwortlich zu fühlen und sich damit für die Einführung von Spiritual Care zu entscheiden.

Die Frage dabei ist, wie kann man Angebote für Mitarbeitende schaffen, die sowohl deren spirituelle Kompetenz erweitern als auch in einen effektiven Klinikalltag passen.

Mit diesem Buch soll daher vorgestellt werden, welche Kompetenzen Mitarbeitende brauchen, um spirituelle Bedürfnisse der Patienten und Patientinnen wahrnehmen und darauf heilsam eingehen zu können. Darüber hinaus soll veranschaulicht werden, wie sich diese Kompetenzen im Kontext einer Klinik schulen lassen und welche positiven Auswirkungen dadurch entstehen.

Für Spiritual Care gibt es verschiedenste Ausbildungsangebote, nicht nur in den USA, England, den Niederlanden, sondern auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Angebote reichen von einfachen Kursmodulen bis hin zu einer Ausbildung mit Bachelor- oder gar Masterabschluss. Auch sind konkrete Überlegungen dazu in der Fachliteratur zu finden. Hemma Prenner beschäftigt sich z. B. mit der spirituellen Dimension in der Pflegeausbildung (Prenner 2014). Uneinigkeit besteht nach Meinung von der Theologin und Medizinerin Doris Nauer darin, von wem, wie und wo die jeweils als notwendig erachteten Kompetenzen für Spiritual Care erworben werden sollen. Ihrer Meinung nach reicht da die Angebotspalette von Wochenendseminaren und Online-Kursen bis hin zu Zusatzqualifikationskursen und äußerst anspruchsvollen Intensiv-Lehrgängen im Rahmen beruflicher Aus-, Weiter- und Fortbildung (Nauer 2015). Spirituelle Begleitende fühlen sich überfordert, wenn keine kontinuierlichen Weiterbildungsmaßnahmen implementiert werden. Dies konnte von Michael Balbonie und nachfolgend auch von anderen nachgewiesen werden (Balboni et al. 2013).

Jochen Dutzmann verweist in seinem Artikel auf eine Studie von Piret Paal, Traugott Roser und Eckhard Frick, die unter den Mitgliedern der IGGS (Internationale Gesellschaft für Gesundheit und Spiritualität) eine Umfrage zum Thema »Developments in spiritual care education in German – speaking countries« starteten (Paal 2014). Die Autoren der Umfrage unterscheiden in der Lehre von Spiritual Care folgende drei Lehrebenen: »Haltung, Wissen und Fertigkeiten« (Dutzmann 2016, S. 30). An Hand von vier ausgewiesenen Spezialisten und deren einschlägigen Publikationen möchte ich in diesem Buch aufzeigen, welche Kompetenzen in erster Linie dafür notwendig sind, um diesen drei genannten Ebenen gerecht zu werden.

Das darauf basierende Fortbildungsprogramm hat beeindruckende Ergebnisse erzielt, die diesen Ansatz für das Diakoniewerk als Ganzes interessant machen. Unter dem Titel »Leitprozess Spiritual Care« im Weiterbildungsprogramm 2020 der Diakonieakademie ist zu lesen: »Mit dem Linzer Modell unserer Klinik Diakonissen Linz ist für den deutschsprachigen Raum ein innovatives Ankerbeispiel zur Umsetzung von Spiritual Care in Organisationen (SCO) entstanden – vor dem kostbaren Hintergrund unserer Diakonissentradition« (Wettreck 2019, S. 15). Dies trug dazu bei, sich mit dieser Thematik »Spiritual Care als Lernprozess in unserem Kulturprozess« intensiver zu beschäftigen und sich für die Gründung eines Innovationscenters Spiritual Care in Organisationen zu entscheiden. So formulierte der Diakonisch-theologische Vorstand des Diakoniewerkes anlässlich der Einladung zum Innovationsdialog im Zuge der Gründung von ISCO (wissenschaftlicher Beirat und geladene Gäste): »Der Bedarf an Ganzheitlichkeit und Achtsamkeit im Sozial- und Gesundheitswesen, aber auch in der Wirtschaft, steigt. Spiritualität zeigt sich als ein möglicher wichtiger Schlüsselfaktor und missing link für die Sinnsuche, die Selbstsorge und die Beziehungs- und Gemeinschaftsdimension – gerade auch vor dem Hintergrund von erschwerten Bedingungen in Care Berufen. Das Diakoniewerk wagt mit dem Ansatz Spiritual Care in Organisationen (SCO) den spirituellen Schritt in eine neue Zeit – mit dem Schatz seiner Tradition und auf Basis des international als beispielhaft wahrgenommenen Ankerbeispiels Klinik Diakonissen Linz.«

 

1          Wie alles begann …

 

 

 

Abb. 1.1: Außenansicht Klinik Diakonissen Linz

Warum ergriffen Sie einen Beruf im Gesundheits- und Krankenpflegebereich, als Arzt oder Ärztin, im Sozialbereich für Altenarbeit, in der Pflegeassistenz in einem Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung? Vermutlich waren unter den vielen Beweggründen auch Motive wie »um Menschen zu helfen« oder »um die Welt heller zu machen« dabei. Der Pflegealltag sieht aber in der Realität anders aus.

Mich bewegte in den Anfängen meiner Tätigkeit im Krankenhaus das Schicksal einer Führungskraft eines öffentlichen Pflegeheims. Mit unerträglichen Schmerzen und einem völligen Burnout suchte sie Hilfe in unserem Krankenhaus. Nach einigen sehr bewegenden Gesprächen gestand sie mir: »Ich weiß nicht, ob ich in meinem Beruf jemals wieder zurückkehren kann. Ich ertrage es nicht mehr, dass wir den Bewohnern nicht die Pflege angedeihen lassen können, die sie eigentlich brauchen.«

Ich bin davon überzeugt, dass vielen von uns diese Not bewusst ist. Hohe Cold out- und Suizidraten im medizinischen, pflegerischen Bereich – über all diese Phänomene gibt es bereits viele Studien. Eindrücklich beschreibt dies unter anderem Rainer Wettreck im Rahmen der Pflegefallen in seinem Buch »Am Bett ist alles anders« (Wettreck 2020). Dieser fachlich fundierte Hintergrund begründet vermutlich seine Begeisterung für die Umsetzung von Spiritual Care in der Klinik Diakonissen Linz.

Die Implementierung von Spiritual Care kann diesen Entwicklungen in manchem entgegenwirken. Mitarbeitende berichten, dass sie dadurch in einer Weise arbeiten und Erfahrungen machen können, wie sie es am Anfang ihrer Berufswahl erhofft haben. In der Folge lassen sich in der Klinik Diakonissen Linz Veränderungen in Richtung einer höheren Personalbindung beobachten. Darüber hinaus dürfen wir uns immer wieder über Blindbewerbungen freuen.

Die Identifikation und das Mitarbeiterengagement sind gestiegen. Ebenso sind eine höhere Motivation und Leistungsfähigkeit, mehr Flexibilität der Mitarbeitenden wahrnehmbar. Die Offenheit gegenüber Innovationen ist spürbar größer. Auch hat sich einiges im Bereich Resilienz positiv verändert, was an einem wahrnehmbaren Rückgang der Krankenstandzahlen zu bemerken ist. Mehr Vertrauen und eine angstfreiere Dialogkultur sind im Haus vorherrschend. Dieses authentische Zusammenspiel bewirkt eine ebenso steigende Patientenzufriedenheit.

Nach aussagefähigen Forschungsergebnissen sind ca. 30 % des Geschäftserfolgs auf Wirkungen der Unternehmenskultur zurückzuführen (Hauser et al. 2008).

1.1       Ausgangslage und Hintergründe zur Klinik

Betten: 120 (aktuell)

4 OP-Säle

Radiologie

Endoskopie

Augenzentrum

Rund 6.000 zu behandelnden Personen/Jahr

Rund 260 Mitarbeitende

40 Belegärztinnen und -ärzte

Um die Umsetzung von Spiritual Care in der Klinik Diakonissen Linz (Abb. 1.1) besser nachvollziehen zu können, lade ich Sie ein, einem Blick in die jüngere Geschichte zu wagen.

»Denken Sie völlig frei.« Mit dieser Aufforderung beauftragte mich 2014 kurz nach meinem Dienstantritt der ärztliche Geschäftsführer mit der Entwicklung eines Konzeptes, um die Klinik auf eine spirituellere Basis zu stellen. Als katholische Seelsorgerin war mir dies in einem evangelisch geprägten Haus insofern sehr gut möglich, da ich keine »Grauen Eminenzen« in meinem Rücken spürte, die einen unbeeinflussten Blick erschwerten. Im Rückblick war dies ein entscheidender Faktor, der mir neue Wege öffnete.

1.1.1     Die Klinik Diakonissen Linz

1906 wurde das Krankenhaus in Linz als evangelisches Kranken- und Pflegeasyl von den Diakonissen gegründet. Träger der Klinik Diakonissen Linz ist das Evangelische Diakoniewerk Gallneukirchen.2

Die Persönlichkeiten an der Spitze dieser Linzer Privatklinik sorgen mit Weitblick und persönlichem Einsatz für eine erfolgreiche Positionierung und stetige Weiterentwicklung des Hauses. Die Klinik Diakonissen Linz verfügt auch über ein privates Fachärztezentrum »medz«, das in direkter Anbindung zur Klinik steht.

Integriert war lange auch eine Gesundheits- und Krankenpflegeschule, welche einen wesentlichen Beitrag für die optimale Ausbildung des Pflegepersonals leistete. Hier wurden von mir bereits in allen drei Jahrgängen (im Ausmaß von je 16, 14 und 18 Einheiten) Inhalte von Spiritual Care vermittelt.3 Im Moment ist die Schule aufgrund fehlender Fördermittel vonseiten des Landes Oberösterreich (OÖ) ruhend gestellt. 2020 entschied sich die ehemalige Direktorin dieser Ausbildungsstätte ebenfalls den Masterstudiengang Spiritual Care in Basel zu machen.

Laut Klinikleitbild versteht sich das Krankenhaus als führende Expertenklinik im Bereich der Privatmedizin.4 Dieses zeichnet sich auch im Pflegemodell undPflegeleitbild ab. Das Pflegemodell beruht auf den pflegewissenschaftlich anerkannten Theorien von Dorothea Orem (Schwerpunkte Selbstfürsorge, Gesundheitsförderung und ressourcenerhaltende Begleitung), Hilde Peplau (Kommunikation und Interaktion) und Roper-Logan-Tierney (Lebensaktivitäten). Deren Pflegemodell und -leitbild stammen aus dem Jahr 2011.

Es gehört zum Pflegeverständnis des Hauses, individuelle Bedürfnisse der zu behandelnden Personen zu erkennen, zu berücksichtigen und zu akzeptieren. D. h. es gibt für jeden Patienten einen individuellen Pflegeplan, der sich an den Patientenbedürfnissen orientiert mit laufender Evaluierung und Anpassung des formulierten Pflegeziels. Die Pflege erfolgt in Gruppen. Ein bis zwei Pflegepersonen, die sich die einzelnen Pflegeaufgaben selbst aufteilen, sind für eine Gruppe von Patienten zuständig. Sie verstehen sich als Teil eines multiprofessionellen Gesundheitsteams. Die Kategorisierung der Pflegetätigkeiten in Minuten, wie dies in den OÖ Landesspitälern üblich ist, wird in der Linzer Privatklinik seit mehreren Jahren so nicht mehr praktiziert.

Das Klinikleitbildaus dem Jahr 2013 bildet eine wichtige Basis für das Verständnis der konzeptionellen Arbeit im Bereich Spiritual Care. Dieses elf Seiten starke Heft erhält jeder Mitarbeitende. Besonders wichtig sind als Fundament drei Handlungsprinzipien und die daraus resultierenden Leitsätze für Mitarbeitende, Führungskräfte und medizinische Expertenschaft. Das diakonische Leitbild geht auf das bio-psycho-sozio-spirituelle Modell aus der Medizin ein unter Einbeziehung des christlichen Menschenbildes evangelischer Prägung. Von der Diagnose bis zur Behandlung hat der Patient der Klinik Diakonissen nur einen fachärztlichen Ansprechpartner, so beschrieben im Persönlichkeitsprinzip. Unter dem Dual-Service Prinzip versteht man, dass alle Berufsgruppen der Klinik Diakonissen mit den Fachärzten in gegenseitiger Wertschätzung eine »Serviceeinheit« bilden. In den Leitsätzen werden Empathie, Kommunikation in der interprofessionellen Teamarbeit und das wirtschaftliche Handeln betont.

In der Zusammenschau dieser Leitsätze und Handlungsprinzipien wird deutlich, dass die Klinik Diakonissen für die Einführung von Spiritual Care bestens geeignet ist. Kompetenzen wie Empathie, Kommunikation, Dienst, Zusammenarbeit und gegenseitigeWertschätzung werden eindeutig von allen Klinik-Mitarbeitenden eingefordert. Doch die Praxis zeigt, dass Vision und Realität nicht immer ganz beieinanderliegen. Ausdruck fand dies in der Mitarbeiterbefragung 2014. Defizitäre Brennpunkte wurden mitunter im Bereich der Wertschätzung, der Kommunikation, des Vertrauens und der Entlastung festgestellt.

In der Geschäftsleitung entstand, wie einleitend erwähnt, der Wunsch, die Klinik auf eine spirituellere Basis zu stellen. So entwickelte ich auch als Leiterin der damaligen Stabstelle Seelsorge aus dem Klinikleitbild, der Mitarbeiterbefragung und dem ganzheitlichen Körper-Geist-Seele-Modell ein Konzept, das mithilfe eines sogenannten Denkkreises weitergeführt wurde. Ziel dieses Denkkreises und späteren Arbeitskreises Spiritualität war es, den Aufbau eines spirituelleren Fundamentes für die Klinik Diakonissen voranzutreiben. Dennoch war es für die Klinik-Geschäftsleitung trotz Bekenntnis zu einer spirituellen Ausrichtung zunächst nicht einfach, sich auf einen möglichen Implementierungsprozess für Spiritual Care einzulassen. Unsicherheiten bzgl. Inhalte und Finanzierung machten es anfänglich schwierig, die Spitze für diesen Weg zu begeistern. Doch mit schrittweiser Überzeugungsarbeit und einer gewissen grundsätzlichen Offenheit vonseiten der Geschäftsführung gelang es, zunächst einzelne Projekte wie z. B. die Fokus Tage voranzutreiben. Nach den ersten beiden erfolgreichen Fokus Tagen wurde sogar ein dritter für April 2017 fixiert sowie ein Arbeitsschwerpunkt in Spiritual Care für das gesamte Krankenhaus festgelegt.