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Der beste Friedhofsspruch. Alltagsfallen. Berufsängste. Straßenkinder-Probleme. Vaterversagen. Kulturverteidiger. Kunstfeinde. Schnorrer. Verzweifelte. Sozial Untergepflügte. Körperverschlinger. Dichter. Überladener Sex. Beschränkte Mittel. Schockierende Ansichten. Brauchbare Ratschläge. Glaubhafte Lügen... Lebens- und Gedankensplitter, die bis ins Knochenmark fahren und dort für immer bleiben.
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Seitenzahl: 177
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Ein unfreiwillig großes Poem
Europa von Flut zu Flut
Alltagsfallen
Die Fußnägel des Kanzlers erheben sich
Die Geldsacker
Krisensitzung in Karlsruhe
Entdeckung des Tages
Albert muss weg
Ausfallstraße
Wein dich woanders aus
Barbarille
Unterwegs aufgeschnappt
Trucker fahren nicht zur See
Doppelleben
Glottermurx
Im Kuhfladenland
Vigos Alb
Was alles so im Umlauf ist
Die ErwaXXenenfalle
Metapher Mörderin im Kreuzverhör
Frage an den Vexillologen
Du hast die Wahl
Deppel Hansi goes Hollywood
Auch das muss gesagt sein dürfen
Ein Krankenverhör bei Demenzverdacht
Wendehälse
Tödlich verschätzt
Für alle Schuhträger
Olaf greift durch
Schlag Mitternacht
Anziehungskräfte
Dok Malibu
Orlacs Hände
Unsane
Virenkunde
Uli hat’s nur gut gemeint
Auf gut Deutsch
Umgangsformen im freien Fall
Schluppen
Brand
Bodo
Traumlese
Frauen riechen anders
Damit du Bescheid weißt
Stadtindianer und ihre Knotengeschichten
Geschüttelt, nicht gerührt
Noch einer, der sich verrechnet hat
Aha
Lasst uns doch endlich in Ruhe die Schmerzen des Daseins genießen
Im Auftrag eines Kunden veröffentlicht ein Beerdigungsunternehmen folgende Anzeige:
Ruhe sanft
auf beiden Seiten,
wenn noch Platz:
Auf Wiedersehen
Das Ganze war ein Irrtum. Der Kunde hatte einen Notizzettel mit Vorschlägen für die Gestaltung einer Kranzschleife abgegeben, das Unternehmen hatte die Stichworte als Text für die Anzeige missverstanden.
Als das Eis zurücktrat, blickte zuerst ein Forellenauge. Es wurde vom Eisvogel aufgepickt. Das Auge fiel aus dem Schnabel des plötzlich grundlos aufschreienden Vogels zu Boden, daraus spross Edelweiß. Der Nachtfalter brach aus seiner Verpuppung. Er schwankte unschlüssig. Der erstbeste Windstoß trieb den Falter ins Maul eines Rehs. Im Schatten der Berge hockte ein zähes Geschlecht, lugte über die Klüfte, warf sich auf die wieder fruchtbaren Strände.
Männer versuchten mit nackten Zähnen Goldfäden aus dem Granit zu beißen... Die beste Schwimmerin des Klans warf sich in die Fluten mit dem von ihren Leuten begrüßten Vorsatz, Babyhaie zu schlachten. Das Meer umarmte sie und gab ihr einen Zungenkuss, an dem sie erstickte…
Jahre später liegen zwei Herren in ihren gemieteten Strandkörben und gähnen sich wohlwollend an. Der eine spielt mit den Fingerspitzen auf den heranschäumenden Wellen Luft-Klavier.
Tipp-tipp-tappe-di-tipp machen seine Finger.
Und wirklich, tipp-tipp-tappe-di-tipp hüpfen die Wellen im Takt. Beide lächeln. Auf der von winzigen Lichtplätzchen übersäten Wasserfläche schippert ein Knirps in einem Ballonreifen, sein Ausdruck dösig, wahrscheinlich schon eingeschlafen. Im Nabelloch seines Bäuchleins steht ein kleiner Schweißteich.
So treibt er vor den beiden Männern her, auf und nieder, behütet von den tupfenden Fingern, die über die Wellensäume springen.
„Ist das nicht dein allerliebstes Söhnchen?“
„So ist's. Und könnt nicht anders sein!“
„Lässt Großes hoffen.“
„Oh ja.“
„Unschuld, Friede, Urvertrauen stehen ihm, erlaub mir das geflügelte Wort, ins Gesicht geschrieben.“
„Daran erkenn ich ihn immer wieder.“
„Ach, seine Wangen so gesund und rosig. Zum Reinbeißen. Das reine Vergnügen, wie er so dahinschippert. Ballonreifengetragener Däumling. Sieh doch, er segelt dahin auf dem schwappenden Wasser wie die Möwen auf den heranrollenden Wellen, wenn sie mal keine Lust haben zu fliegen.“
„Die reine Labung für meine alten Augen.“
„Der kleine pendelnde Punkt...“
„Ja?“
„Der kleine pendelnde Punkt, den wir deinen Sohn im Ballonreifen nennen müssen…“
„Was ist mit dem?“
„Scheint er nicht zu verschwinden?“
„Scheint er?“
„Richtig betrachtet ist er schon gar nicht mehr zu sehn!“
„Das sieht ihm ähnlich!“
„Er ist weg!“
„Der soll mir unter die Augen kommen!“
Die beiden Männer prosten sich mit ihren Cocktails zu, trinken zügig und lassen es Abend werden.
Probleme, sobald du dich auf den Alltag einlässt: Unter dem Toaster, der seinen Geist aufgibt, entdeckst du die Warnung, Wenn Sie dieses Gerät öffnen, erlischt die Garantie. Wenn du dieses Gerät nicht öffnest, erlischt deine Hoffnung auf Toast zum Frühstück. Also Finger weg und wieder ein Stück weiter in die Verzweiflung rein?
Das Weltgeschehen gibt keine Ruhe. Damals, 2002, ein Jahr von vorne wie von hinten, titelte BILD Die Fußnägel des Kanzlers erheben sich!
FAZ lieferte Hintergründe:
Wie immer hat sich der Kanzler nach einem erholsamen Bad von einigen zu langen Fußnagelstücken getrennt. Mit der Nagelschere hat sich der notorisch auf Selbstoptimierung bedachte Kanzler die noch weichen Hornteile weggeschnippelt und an den Ecken sauber nachgefeilt. Diesmal jedoch entging dem Kanzler, dass sich unter den Abfallopfern ein aufgeklärter Geist befand! Besagter aufgeklärter Geist wiegelt die mit ihm Gefallenen auf, darunter auch einige Fingernagelreste vom Vortag, als der Kanzler Maniküre betrieb. Das Unfassbare geschieht, die verstoßenen Nagelzellen rotten sich zusammen und empören sich mit den geflügelten Worten:
„So geht das nicht! Wir, die wir deinen Leib an seinen empfindlichen Stellen, den Lauf- und Greiforganen, beschützten, wir, die wir beim Treten die Hufe, beim Tanzen die Schutzkappen, beim Kopfjucken die Kratzbürste sein durften, wir, die wir beim Apfelsinenschälen das Messer, bei den Pommes im Pappbecher die Gabel, beim Nasepopeln den Löffel ersetzten, wir, die wir deinen schwammigen Zehen und laffen Fleischgriffeln erst Halt und Gestalt gaben, werden plötzlich klanglos abserviert? Das muss ein Irrtum sein! Oder schlimmer – Mord!“
„Keineswegs“, beruhigt sie der Kanzler, „ihr habt euch um meinen Leib verdient gemacht, dafür hat ja jeder von euch auch die goldene Ehrenabschiedsfeile bekommen, oder nicht? Und gut is‘.“
„Schieb dir die Feile sonstwohin, wir weigern uns, so schändlich ausgemustert zu werden“, fauchen die aufgestachelten Hornzellen, „so einfach abgeknipst und fortgemüllt ist mit uns nicht mehr zu machen!“
„Noch mal zum Mitschreiben“, verkündet der Kanzler, „der Leib sagt Dank, aber der Leib muss weiterleiben, und deshalb müsst ihr weg.“
„Wir waren doch gut“, jaulen die Hornzellen auf, „wir kannten keinen Schlaf, haben nie gemeutert, haben gerackert und uns für alles hingehalten, während andere Organe, wir wollen keine Namen nennen, bis auf wenige Momente eine ruhige Kugel schoben. Wieso sollen ausgerechnet wir plötzlich nicht mehr taugen?“
„Seht mal“, erläutert der Kanzler, „ein Leib kann nur bleiben, der er ist, wenn er sich ständig erneuert. Kapiert? Wir wollen euch nicht zu nah treten, aber am Ende seid ihr für den Leib zur Gefahr geworden, als ihr euch von schützenden Nägeln zur nutzlosen Krallen ausgewuchert habt! Krallen, die überall nur noch hängenbleiben und stören.“
„Aber doch nur, weil uns die nachwachsenden Zellen weitergeschubst haben!“ protestieren die Hornveteranen.
„Gott sei’s gepfiffen“, kontert der Kanzler, „guckt euch doch an, grau, hart, brüchig… Wehe, wenn da nix Flexibleres nachkäme!“
„Wir machen hier jetzt die Revolution“, beharren die Ausgestoßenen, „der Leib, für den wir gesorgt haben, muss uns bei sich behalten, egal, wie er das bisher handhabte, weil das die einzig hornwürdige Moral ist. Wir erklären uns für einen horngeschichtlichen Quantensprung! Wir kippen dich kopfunter und lehren dich, mit den Füßen zu denken!“
„Ihr veranstaltet hier gar nichts“, entscheidet der Kanzler, „schon gar keine Quantensprünge. Seht lieber zu, dass ihr uns nicht noch wütend macht. Trennung tut immer weh – nur, Freunde, behaltet das Ganze im Auge! Den ganzen wundervollen Kanzlerkörper, der euch nährte und wachsen ließ und jetzt entlassen muss. Das gilt für alle Zellen. Grob gesagt ist der Leib in sieben Jahren runderneuert, versteht ihr?“
„Genau!“ schreien die Hornzellen auf, „wir, die Summe aller Zellen, sind der Leib, und außer uns hat der Leib keinen Leib und keinen Sinn und gleich gar kein Eigen-Leben, das sich gegen uns kehren darf. Zellen aller Glieder, vereinigt euch!“
„Hornviecher!“ poltert der Kanzler, nun doch angefressen, „müssen wir es drastischer sagen? Einst habt ihr diesen Leib nach außen geschützt wie die Nahrung den Leib innen stärkt. Dafür zum wiederholten Male Dank! Aber dürft ihr wie die Nahrung in diesem Leib verbleiben? Nennt es Schicksal, nennt es Gottes Plan, die Antwort ist: Nein! Jetzt seid ihr, um im Bild zu bleiben, aussortierte Nahrung, Scheiße. Auf eure eigene Art, aber Scheiße nichtsdestoweniger. Ist das klar? Welche kindische Form der Dankbarkeit erwartet ihr noch? Soll die Scheiße bleiben, bis der Leib platzt? Ging‘s euch dann besser? Als tote Scheißpartikel in einem toten Oberscheißkanzlerleib?“
„Wenn das das Fazit ist, woll‘n wir nicht länger leben“, rufen die verprellten Hornzellen.
„Unsere Rede“, sagt der Kanzler.
„Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ skandieren die Hornzellen und schlagen los. Ihr Slogan Wir sind der Leib! begeistert auch sämtliche noch im Kanzler verbliebenen Bruder- und Schwesterzellen. Sie beginnen sich zu verbarrikadieren, um ein dauerhaftes Bleiberecht zu erstreiten.
Folglich schwillt der Kanzler an.
Schwillt --- schwillt --- schwillt---
Platzt.
Die Zellen fahren jauchzend auseinander.
Der SPIEGEL zieht seinen Kanzler-Nachruf aus der Schublade, wo Millionen Nachrufe auf ihre Chance warten, veröffentlicht zu werden.
Das Leben macht arm, und Armut beißt. Beißt ins Fleisch, bricht Stolz, versenkt Selbstwertgefühle. Die magnetischen Fingerspitzen der freien Marktwirtschaft greifen mit Knisterhänden in die Taschen der schon genug Gebeutelten, fingern ihnen den letzten Strom ab…
Das Kontrastprogramm sind die heimischen Geldsacker!
Die heimischen Geldsacker haben sich zu einer eigenen Kaste entwickelt. Sie sitzen nackt in Frankfurts Innenstadtbars, trinken hellgrün schillernde Cocktails durch transparente Plastikhalme und sumpfen sich geheimnisvoll an, indem sie ihre Schildpatthaut unter den Achseln reiben. Die dabei entstehenden Töne sind nur in ihrem aussagelosen Teil vom menschlichen Ohr als dünnes Knirschen erfassbar. Aus den Geschlechtsteilen der Geldsacker quellen unwiderstehliche Lockstoffe. Es handelt sich um sofort süchtig machende Substanzen, betörend, scheußlich riechend, klebrig, unwiderstehlich… Die bis zur Selbstverleugnung Angefixten, den heimischen Geldsackern Ausgelieferten betteln auf Knien, den Saft von den Geschlechtsteilen der Geldsacker absaugen zu dürfen, Geschlechtsteile, die sie nicht als Geschlechtsteile erkennen, außer dass sie zwischen den insektendünnen Geldsackerbeinen stecken, ansonsten nur Ausstülpungen, Tentakel, Zangen- und Fleischtaschen sind. Die Geldsacker tun unendlich gelangweilt, quetschen die Köpfe der Bettler zwischen ihren Schenkeln fest, zu weit vom geldsackerischen Nektar entfernt, um ihn tatsächlich zu kosten, nah genug, um von ihm benebelt zu bleiben. Während also die Köpfe der Zungenwedler zwischen ihren Schenkeln wie in einem Schraubstock enger und enger eingepresst werden, pfeifen die Geldsacker ihre heimischen Geldsackerweisen und prosten sich mit nur ihnen zum Zuprosten gestatteten, hellgrün schillernden Geldsacker-Cocktails in nur ihnen gestatteten Geldsacker-Gläsern geldsackerisch zu.
Die VKK (Vernichtung Kultureller Krätze), eine Sondereinheit des Innenministeriums, hält eine Krisensitzung im abgeschirmten Konferenzraum des Karlsruher Renaissance Hotels ab.
Der Staat wankt.
Schupo Wenzel: „Was wir hier erleben, hier in den letzten Jahren mitansehen mussten, übertrifft in seiner Sprengkraft die Brandbomben, mit denen die Anarchos zu Zeiten Adenauers auf sich aufmerksam machten.“
Knallrat Hassimblech: „Was steht denn ernsthaft an?“
Schupo Wenzel: „Die systemunterwühlende Bewegung hat sich in drei Angriffskolonnen geteilt. Vorneweg die sogenannten Breakdancer, also wörtlich – und genau so gemeint! – die Knochenbrechertänzer, auch B-Boys genannt. Für alle in U-Bahn-Schächten. Parks und Fußgängerzonen zu besichtigen. Weibliche Kampfgefährten nennen sich Flygirls, Fliegermädel, muss ich noch mehr sagen? Sie erkennen sie schon von weitem, links Hunde, rechts Gettoblaster bei Fuß.“
Knurratorin Niemweg: „Sind das nicht die in den Tütenhosen? Die in den, verzeihen Sie, Arschamknieho-sen? Ein Hosenbein wadenfrei aufgewickelt? Schleppenlange T-Shirts? Füße in schnürsenkellosen Turnschuhn?“
Schupo Wenzel: „Sneakers, Frau Niemweg, Sneakers!“
Knurratorin Niemweg: „Die mit den Wollmützen wie Eierwärmer auf dem Kopf, wahlweise Anglerhütchen?“
Schupo Wenzel: „Genau, in etwa, aber nur, was die Grundausstattung angeht. Ansonsten sind den Gliederverrenkern in Sachen Geschmacksverirrung keine Grenzen gesetzt.“
Knallrat Hassimblech: „Die habe ich auch schon gesehen! Das sind doch eher lustige und außerdem kostenlose Ballettdarbietungen, ich bitte Sie. Wir haben die Düsseldorfer Radschläger seinerzeit ja auch nicht verfolgen müssen.“
Schupo Wenzel: „Obacht! Wir reden von der gymnastischen Vorhut! Die Kampftanzfraktion ist nicht von der zweiten subversiven Kolonne zu trennen! Die machen's Maul auf. Und was da rauskommt, ist unzitierbar!“
Knurratorin Niemweg: „Sie meinen zensurbedürftig?“
Schupo Wenzel: „Ich meine unzitierbar! Nicht die Kraftausdrücke der Paketzusteller im Hagelschauer, nein, richtig kriminelle Attacken aus der Unterhose, aber so verworfen, dass ich es selbst in diesem an böse Shitstorms gewöhnten Kreis nicht wage, Proben des Unrats loszulassen.“
Knallrat Hassimblech: „Kenne ich! Kollege Schimmelpfennig nannte sie sehr treffend die Fraktion vom Laberfach. Die quasseln irgendwie endlos vor sich hin und gestikulieren dabei in der Taubstummensprache.“
Knurratorin Niemweg: „Warum denn das?“
Knallrat Hassimblech: „Na, Frau Niemweg, bei dem Bassgewumme, das deren Gebrabbel begleitet, zu schweigen von der verknödelten Aussprache, die sie sich extra antrainieren, bleiben denen doch nur die Taubstummenzeichen zur Verständigung.“
Schupo Wenzel: „Ich bitte Sie, wir sind gerade dabei, ihren Gossen-Jargon zu entschlüsseln. Eine Aufgabe, die ohne Überläufer aus der Szene kaum zu lösen wäre. Ist ja alles extra dunkel und verdreht, damit der Feind – das sind wir! – nichts mitbekommt. Vorab nur so viel: Was wir bisher dekodiert haben, ließe Ihnen das Blut in den Adern frieren!“
Knurratorin Niemweg: „Wirres Stammeln? Dazu die passenden Körperwinke aus dem Untergrund? Da will doch wer Hilfe! Da schreit doch wer de profundis...“
Schupo Wenzel: „Entschuldigen Sie, die Schandmäuler betreten nicht die Arena, um bei uns aufgenommen zu werden – die erheben ihre Stimme, um uns zu vernichten. Gesellschaft? Voll in die Futt! In ihrem Vokabular. Ich wage deren Wortschatz in diesem Kreis nicht weiter auszubreiten, nur, glauben Sie mir, da stopft sich selbst Satan Mohrrüben in die Ohren, wenn die losrappen. Gangsterverherrlichung, Kriegsparolen, Aufforderung zu Gewalt, Vergewaltigung, Raub, Brandstiftung, Staatsstreich, Totschlag... was Sie wollen. Sie dürfen den Typen nicht auf den Leim gehen. Die schwafeln gern vom guten Flow, in Wahrheit ist damit das Wegspülen unserer Bürger in den Abort der Geschichte gemeint.“
Knurratorin Niemweg: „Haben wir nicht ein Gesetz gegen öffentliche Verbreitung von Gewaltaufrufen?“
Schupo Wenzel: „Up your ass! Um im Sprachschatz zu bleiben. Die haben ihre eigenen Kanäle. Die Hardcore-Truppe beschränkt sich auf die Straße, kommt live, rottet sich schnell zusammen und zerstreut sich ebenso rasch. Ergebnisse solcher Treffen werden allenfalls auf Kassetten weitergereicht, streng für die Gemeinde. Das lässt sich nicht einverleiben, wegsortieren, kontrollieren, steuern. Das ist soziale Antimaterie. Für diese Leute ist ein Hit kein Durchbruch in die oberen Chartpositionen, sondern – ich hoffe, Sie sitzen gut – ein gelungener Mord. Im übrigen genießt erst der Rapper Respekt, der nicht nur vom Hit redet... Ohne Aufenthalte im Knast wird kein Homie ernst genommen.“
Knallrat Hassimblech: „Ach, alle auch noch vom anderen Ufer, das wusste ich gar nicht.“
Schupo Wenzel: „Homies, nicht Homos, verehrter Herr Knallrat, das sind Freunde aus dem gleichen Viertel, beziehungsweise mit der gleichen Gesinnung, die es darauf anlegt, Sie in Stücke zu reißen.“
Knurratorin Niemweg: „Äh, Sie sprachen von drei Kolonnen, lieber Herr Wenzel.“
Schupo Wenzel: „Ja, kommen wir zu der in meinen Augen hartgesottensten Fraktion der Staatszertrümmer-Bewegung, die sich selber die Bomber nennen. Angebombt werden Regionalzüge, Ubahnzüge, Ubahnstationen, Autobahnbrücken, öffentlich-rechtliche Mauern, angebombt mit graffitischen Krebsgeschwüren, für deren Beseitigung den Gemeinden die letzten Cents aus dem Säckel gezogen werden. Am Ende ist keine nur irgendwie besprühbare Fläche mehr vor dem Schmierbefall sicher.“
Knallrat Hassimblech: „Solche Sprühwerke habe ich sogar schon an Garagentoren, was soll ich sagen, an unschuldigen Villen gesehen! Verwerflich, kein Zweifel, aber staatsgefährdend? Ich meine, so mancher Betonpfeiler hat durch gelungene Graffiti direkt gewonnen, mal so gesehen, oder? Treibt die Leute doch von den Wohnstraßen zu den Bauzäunen, und der ganze Spuk endet bei bunten Bilderserien für die wachsende Zahl der Analphabeten, wie wir das aus dem Urchristentum kennen.“
Knurratorin Niemweg: „Wenn Sie nur Ihre christsoziale Einbettung finden, Hassimblech! Ich konzentriere mich aufs sozialdemokratische Hier und Jetzt. Millionenschäden, behaupten Sie, lieber Herr Wenzel? Liegen Statistiken vor?“
Schupo Wenzel: „Und ob! Abermillionen Euro Schäden jährlich! Nun könnte man nochmal gesondert über die Ohnmacht der Überwachungsorgane staunen. Die Sprüher hinterlassen nämlich ihre Visitenkarte – die leugnen ihre Urheberschaft nicht, die prahlen damit! Man müsste nur ihre erfundenen Namenskürzel knacken und die Personen dahinter dingfest machen. Ist das etwa Zauberwerk? Überfordert das einen Staat, der gleichzeitig in der Lage ist abzugreifen, was im Pentagon top secret verhandelt wird? Daran allein – dass die szenenbekannten Sprüher nicht auffliegen – können Sie deren Überlegenheit ahnen. Eine Macht, die uns bald aushebelt, wenn wir untätig bleiben. Deshalb möchte ich ein allerletztes Mal vor jeder Verharmlosung warnen.“
Knallrat Hassimblech: „Und ich vor jeder Panikmache. Wir reden hier über eine von mehr als hundert Jugendbewegungen, die eine Modewelle lostreten, um von der nächsten Modewelle überrollt zu werden. Hier gilt es wachsam sein und doch gelassen bleiben.“
Schupo Wenzel: „Oh ja, das läuft unter der flockigen Dachbezeichnung HipHop, wie Holterdipolter, da möchte ein Herr Hassimblech gleich ein Heißa! dranhängen. Das ist eine der Fallen, die sie uns stellen. Selbst szenenbewanderte Beobachter fragen sich verunsichert: Was kann es nur sein? Eine fremde Invasion? Ein außer Kontrolle geratenes Experiment des amerikanischen Geheimdienstes? Eine nie dagewesene---“
Knurratorin Niemweg: „Oder doch nur, wie Herr Hassimblech meint, ein weiteres flüchtiges Gekräusel im ewig bewegten Meer der Jugendmoden? Ach lieber Wenzel, wie schwer es uns auch fallen mag, der Knallrat wird wohl recht behalten.“
Schupo Wenzel: „Also wieder keine einschneidenden Maßnahmen?“
Knallrat Hassimblech: „Einschneidend sowieso auf keinen Fall.“
Schupo Wenzel zieht seine Dienstwaffe und rappt mit Schaum vorm Mund:
„Wer nicht hört
nur faselt und stört
der spreche seine letzten Gebete
die Flossen hoch die Gassen frei
hier kommt meine
43er Geburtstagsrede.“
Schupo Wenzel ballert die Kommissionsmitglieder der Sondereinheit VKK wie Kirmespuppen ab.
i rest
you move
we’ll meet
Endlich ‘ne gelungene Grabinschrift.
Sigurd drückt dich auf eine der Rundbänke in der Fußgängerzone und beginnt seine Lektion: „Einstein mag ‘ne riesen Hirnsocke gewesen sein, für den Rest der Lebenden war er ein luftabschnürender Lederstrumpf! Was hat Albert zur Pop-Ikone gemacht? Die Verabschiedung von Mutter Erde! Die Verabschiedung von biologischer Zeit und anfassbarem Raum. Ich kann den Physik-Hokuspokus nicht mehr hörn. Und nicht nur den. Das geht tiefer. Albert schreibt im Mai 1901 an Mileva Marie, seine Studentenflamme, die er 1903 heiratet: Im Eindruck dieses schönen Stücks bin ich von solchem Glück erfüllt und solcher Lust, dass du auch unbedingt etwas davon haben musst… Was beglückt Albert? Der Anblick seines Morgenständers? Eine aufgegangene Kaktusblüte auf seinem Balkon? Ein neuer Anzug, der ihn zum schärfsten Jungen in Zürich macht? Irgendein sinnliches Geheimnis, das er mit Mileva teilen möchte? Die Bemerkung vor dem Lustgeständnis gibt Auskunft: Eben las ich eine wunderschöne Abhandlung von Lenard über die Erzeugung von Kathodenstrahlen durch ultraviolettes Licht... Wer jetzt nicht begreift, was mir Angst macht, hat den Namen Mensch nicht verdient! Wir verlieren den Boden unter den Füßen, Albert sei’s gepfiffen. Wir entleiben uns. Kathodenstrahlen gegen Leben! Raumkrümmung und Zeitdehnung statt Bodenhaftung und Sonnenstand. Ich verzichte! Und ihr verzichtet besser mit oder werdet Ausschuss. Ich weiß, wovon ich rede. Ich hab mich Jahrzehnte vom Virtuellen aufsaugen lassen. Acht Stunden am Laptop, fünf Stunden am Smartphone, daneben mit Amazons Alexa im Dauer-Dialog. Ich hab als süchtiger Nerd die Nachfolger der Gestapo- und Stasi-Überwacher nicht nur ins Haus gelassen, ich hab für die Datenabsaugmaschinen auch noch bezahlt. Virtuelle Kontakte, virtueller Sex, virtuelle Reisen durch virtuelle Welten – da sind deine Depression vorprogrammiert. Was hat das mit Albert zu tun? Ich sag’s euch: Albert ist der wissenschaftlich unterfütterte Neumystiker, dem nach all den Religionsstiftern einmal mehr die Einstellung zum Dasein Richtung Körperleugnung gelang. Kathodenstrahlen ins Herz stechen! Ich verzichte! Cyborg frisst Fleisch. Bleibt Zero Körper. Atmende Nullen. Schon die Kopernikanische Wende war Humbug. Die Erde bleibt ‘ne Scheibe für uns, die wir am Boden kleben, und die Himmelskörper kreisen nach wie vor um diese Scheibe, haftkörperlich betrachtet. Dass die Sonne bei Capri im Meer versinkt ist keine optische Täuschung, sondern Fakt. Nur, erzähl du heut deinem Nachbarn, der mit der Hand am Joystick durch Robocounty fidelt und für den 3. Mai 2084 bei Elon Musks Space X sein Golfturnier auf der Venus gebucht hat, er könne von diesen galaktischen Ausflügen nur deshalb träumen, weil die Schwerkraft ihn am Boden seines Zimmers hält – im nächsten Moment bist du in der Klapse. So wahnsinnig sind wir schon.“
Parfümerien
Ärztehäuser
Apotheken
Sonnenstudios
Drogerien
Tabakzeitungsläden
Straßenstrich
Straßenstrich
Tenniscenter
Spielotheken
Sportstudios
Bowlingcenter
Mediamärkte
Baumärkte
Autosalons
Möbelhäuser
Stehkneipen
Tankstellen
Wohnsilos
Möbeldiscounter
Industriegürtel
Werkhallen
Schlote
Bürotürme
Buschgürtel
Sportanlagen
Bolzplätze
Rasengürtel
Schrebergärten
Schrotthalden
Waldgürtel
Forstwege
Baggerseen
Kuhweiden
… das unverampelte Land …
Wenn das nicht Arno B. Harpunkel ist, der ihren Weg kreuzt, sich vor ihnen aufbaut und versucht, sie als Klagemauer zu nutzen, indem er ihnen ins Gesicht brüllt: „Fünf Kinder großgezogen! Vierzig Jahre Akten gewälzt! Dreißig Jahre nur auf Balkonien Urlaub gemacht, damit die Plagen studieren konnten. Frau darüber zur Nöhltüte geworden. Heut die Bagage in alle Winde verstreut, Australien, Kanada, Barbados, du nennst es, sie sind dort, was weiß ich. Haben alle eigene Familien am Hals, reicht nicht mal mehr zum Telefonkontakt. Da sitz ich nun mit meiner Fotosammlung, meinem Riesling und meiner Arthritis. Das kann doch nicht alles gewesen sein!!!“
In solchen Momenten heißt es höllisch wach bleiben, auf die Fersen federn und geschmeidig kontern: „Doch!“
Edelpuffbesitzer Gery, wendiger Geschäftsmann, der er ist, sucht die nächste Marktnische, um Kunden noch enger ans Haus zu binden. Leder, Schlammkämpfe, Themenzimmer... alles durch. Gery grübelt. Die Leute wollen grenzenlosen und doch ansteckungsfreien Sex? Wer garantiert das? Puppen. Wie aber steht’s mit der Gefühlsechtheit solcher Puppen, und seien sie noch so kunstvoll gefertigt? Schlecht.