Sprache als psychotherapeutische Intervention - Matthieu Villatte - E-Book

Sprache als psychotherapeutische Intervention E-Book

Matthieu Villatte

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Beschreibung

Das vorliegende Werk ist das erste Lehrbuch zur systematischen Nutzung von Sprache in der Psychotherapie. Alle Verfahren und Methoden nutzen Sprache als ihr zentrales Instrument der Veränderung. Das Buch hilft Psychotherapeuten, den Zusammenhang zwischen Sprache und Psychopathologie differenziert zu verstehen. Es beschreibt mit vielen praktischen Beispielen, wie sie Sprache einsetzen können, um psychologische Fertigkeiten wie Perspektivwechsel und Empathie zu unterstützen. Weitere wichtige Themen sind die Rolle von Sprache bei der Förderung von Verhaltensveränderungen, der Entwicklung eines flexiblen Selbstkonzepts und des Erlebens von Sinnhaftigkeit und Motivation.

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Die Autoren

Matthieu Villatte, Ph. D., arbeitet als Wissenschaftler und psychotherapeutischer Trainer am Evidence-Based Practice Institute in Seattle. Er leitete Workshops über die Anwendung der Relational Frame Theory und der Kontextuellen Verhaltenswissenschaft in der psychotherapeutischen Arbeit in den USA, Kanada, Australien, Südamerika und Europa. Er ist außerdem Mitherausgeber des Journal of Contextual Behavioral Science. In seiner gegenwärtigen Arbeit legt Villatte den Fokus darauf, den Bekannheitsgrad von evidenzbasierter Psychotherapie zu erhöhen. Er hat Artikel und Buchbeiträge über die Relational Frame Theory, die Kontextuelle Verhaltenswissenschaft und die erlebnisorientierte kognitive Verhaltenstherapie veröffentlicht.

Jennifer L. Villatte, Ph. D., ist Klinische Psychologin. Sie widmet sich dem Ziel der Herstellung gesundheitlicher Chancengleichheit durch die Anwendung der Kontextuellen Verhaltenswissenschaften. Sie ist Professorin (Assistant Professor) für Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften an der Universität Washington. Hier arbeitet sie eng mit Pionieren in den Bereichen Computertechnik, Human-Centered Design (einer am Menschen orientierten Gestaltung der Technik) und Data Science an der Maximierung der Effektivität und Reichweite von Verhaltensinterventionen zur Verbesserung des Wohlbefindens des Einzelnen und der Gesellschaft.

Steven C. Hayes, Ph. D., ist Inhaber einer Stiftungsprofessur am Department of Psychology an der Universität Reno (Nevada, USA). Er war Präsident zahlreicher wissenschaftlicher und Fachverbände, unter anderem der Association for Behavioral and Cognitive Therapies und der Association for Contextual Behavioral Science. Seine Arbeit wurde unter anderem mit dem Award for Impact of Science on Application der Society for the Advancement of Behavior Analysis und dem Lifetime Achievement Award der Association for Behavioral and Cognitive Therapies ausgezeichnet. Er ist Autor von 41 Büchern und über 575 wissenschaftlichen Fachartikeln. Dr. Hayes widmet sich dem Verstehen von Sprache und Kognition und wendet seine Erkenntnisse im Dienst der Linderung menschlichen Leids und der Verbesserung des Wohls der Menschheit an. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen gehören die Bücher: Acceptance and Commitment Therapy, Second Edition: The Process and Practice of Mindful Change und Mindfulness and Acceptance: Expanding the Cognitive-Behavioral Tradition.

Die Übersetzer

Cornelia Fedder, Diplom-Verwaltungswirtin.

Thorsten Kienast, Prof. Dr. med., MBA, niedergelassener Psychotherapeut und Psychiater, Professor und Privatdozent, Medicalschool Hamburg, Charité Berlin.

Valerija Sipos, Dr. phil., leitende Psychologin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Helios Hanseklinikum Stralsund.

Ulrich Schweiger, Prof. Dr. med., Chefarzt der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie und Psychosomatik und Psychotherapie, Helios Hanseklinikum Stralsund, Professor für Psychiatrie, Universität zu Lübeck.

Matthieu VillatteJennifer L. VillatteSteven C. Hayes

Sprache als psychotherapeutische Intervention

Ein Lehrbuch für die Praxis

Deutsche Übersetzung und Bearbeitung von Cornelia Fedder, Thorsten Kienast, Valerija Sipos und Ulrich Schweiger

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

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Englische Originalausgabe: Mastering the Clinical Conversation. Language as Intervention.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 The Guilford Press, New York and London

Für die deutsche Ausgabe:

1. Auflage 2020

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-033014-6

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-033015-3

epub:     ISBN 978-3-17-033016-0

mobi:     ISBN 978-3-17-033017-7

Vorwort der Übersetzer

 

 

 

Liebe Leserinnen und Leser, vor Ihnen liegt, in deutscher Übersetzung, einer der wichtigsten Texte der gegenwärtigen internationalen Psychotherapieliteratur. Matthieu und Jennifer Villatte und Steven Hayes haben das Wagnis unternommen, erstmals in einem systematischen Lehrbuch zu beschreiben, wie Therapeuten Sprache als Intervention zur Veränderung von Verhalten anwenden können. Sie stützen sich dabei auf die von Hayes mitentwickelte Relational Frame Theory.

Auch erfahrene Therapeutinnen werden in dem Buch eine Fülle von interessanten Anregungen finden oder auch plausible theoretische Erklärungen für Dinge, »die sie schon immer so gemacht haben«. Viele dieser Dinge sind auch gut lehrbar, d. h. werden die Ausbildung junger Psychotherapeutinnen beeinflussen.

Viele Abschnitte des Buches sind leicht zu lesen. Sie knüpfen an allgemeiner psychotherapeutischer Erfahrung an und illustrieren wichtige Sachverhalte mit ausführlichen Beispielen. Manche Abschnitte sind aber auch »harte Kost«. Möglicherweise müssen Sie sie mehrfach lesen, um sie zu verstehen. Lassen Sie sich davon nicht abschrecken! Nehmen Sie das Glossar im Anhang zu Hilfe oder schlagen Sie Begriffe, die Ihnen nicht vertraut sind, bei Wikipedia oder auf der Website der Association for Contextual Behavioral Science nach. Wenn Ihnen gar nicht nach Theorie zumute ist, dann lesen Sie einfach nur die Kapitel 5 bis 8 ( Kap. 5,  Kap. 6,  Kap. 7,  Kap. 8) mit ihren vielfältigen praktischen Beispielen.

Das Buch »Sprache als psychotherapeutische Intervention« wendet sich an alle, die sich für die Fortentwicklung von Psychotherapie interessieren, unabhängig von ihrer Ausbildung in spezifischen Verfahren oder Methoden. Gleichzeitig ist es unvermeidlich, dass in dem Buch die Herkunft der Autoren aus der Acceptance & Commitment Therapy (ACT), einer Methode der Verhaltenstherapie, sichtbar wird. Dies bedingt auch, dass einige aus ACT stammende Termini technici verwendet werden. Nutzen Sie auch hier das Glossar, um sich damit vertraut zu machen.

Ein wichtiges Anliegen war uns, in der Übersetzung eine geschlechtergerechte Sprache zu finden. Wir haben uns hierbei aus Gründen der guten Lesbarkeit für die Methode des Splittings entschieden, das heißt männliche und weibliche Personenbezeichnungen werden in wechselnder Reihenfolge verwendet. Es handelt sich dabei im Regelfall um ein generisches Femininum oder Maskulinum.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Lektüre und praktischen Anwendung des Buches!

Cornelia Fedder

Thorsten Kienast

Valerija Sipos

Ulrich Schweiger

Inhalt

 

 

 

Vorwort der Übersetzer   

1   Die Macht der Sprache   

1.1   Traditionelle Zugänge zur Sprache in der Psychotherapie   

1.2   Kontextuelle Verhaltenswissenschaften und Sprache   

1.3   Sprache ist erlerntes Verhalten   

1.4   Die Evolution der Sprache   

1.5   Sprache ist eine Form des Lernens   

1.6   Wie wird Sprache erlernt?   

1.7   Zusammenfassung des Kapitels   

2   Sprache und Psychopathologie   

2.1   Probleme bei der Flüssigkeit und Flexibilität des Herstellens von Bezugsrahmen   

2.2   Probleme in Zusammenhang mit Erlebnisvermeidung   

2.3   Regelgeleitetes Verhalten und Inflexibilität   

2.4   Schwierigkeiten, die durch Sinnstiftung und Kohärenz entstehen   

2.5   Probleme mit Motivation   

2.6   Sprache – Bedeutung in der Psychotherapie   

2.7   Zusammenfassung des Kapitels   

3   Symbolische Werkzeuge der Veränderung   

3.1   Ein struktureller Rahmen für die Verwendung von Sprache in der Psychotherapie   

3.2   Bezugsrahmen als therapeutische Instrumente   

3.3   Beispiel aus der Praxis   

3.4   Zusammenfassung des Kapitels   

4   Psychologische Diagnostik   

4.1   Schaffung eines erlebnisorientierten Kontextes für die Diagnostik   

4.2   Diagnostik von Kontextsensitivität   

4.3   Diagnostik der Kohärenz   

4.4   Die Anwendung der Relational Frame Theory in spezifischen Modellen der Psychotherapie   

4.5   Beispiel aus der Praxis   

4.6   Zusammenfassung des Kapitels   

5   Aktivierung und Gestaltung von Verhaltensveränderung   

5.1   Sprache nutzen, um Veränderung des Verhaltens zu aktivieren   

5.2   Einsatz von Sprache zur Gestaltung von Verhaltensänderung   

5.3   Beispiel aus der Praxis   

5.4   Zusammenfassung des Kapitels   

6   Das Konstruieren eines flexiblen Selbstkonzeptes   

6.1   Das Selbstkonzept   

6.2   Schwierigkeiten mit Selbstkonzepten   

6.3   Das Selbst aus der Perspektive der Relational Frame Theory   

6.4   Das flexible Selbst   

6.5   Beispiel aus der Praxis   

6.6   Zusammenfassung des Kapitels   

7   Fördern des Erlebens von Sinnhaftigkeit und Motivation   

7.1   Die Sprache von Sinnhaftigkeit und Motivation   

7.2   Sinnhaftigkeit im Leben und Motivation in der Praxis   

7.3   Beispiel aus der Praxis   

7.4   Zusammenfassung des Kapitels   

8   Herstellen und Anwenden erlebnisorientierter Metaphern   

8.1   Metaphern sind Geschichten, die Verhaltensveränderung fördern   

8.2   Auswahl und Konstruktion wirksamer therapeutischer Metaphern   

8.3   Einsatz der Metapher   

8.4   Anwenden verblasster Metaphern   

8.5   Beispiel aus der Praxis   

8.6   Zusammenfassung des Kapitels   

9   Trainieren erlebnisorientierter Fertigkeiten durch formale Übungen   

9.1   Überblick   

9.2   Formale erlebnisorientierte Techniken in der Praxis   

9.3   Beispiel aus der Praxis   

9.4   Zusammenfassung des Kapitels   

10 Förderung der therapeutischen Beziehung

10.1 Anwendung der Relational Frame Theory auf die Therapeutin

10.2 Konstruieren einer flexiblen therapeutischen Beziehung

10.3 Beispiel aus der Praxis

10.4 Zusammenfassung des Kapitels

11 Epilog

12 Leitfaden für das Anwenden der Relational Frame Theory in der Psychotherapie

12.1 Psychologische Diagnostik ( Kap. 4)

12.2 Verhaltensänderungen aktivieren und gestalten ( Kap. 5)

12.3 Aufbau eines flexiblen Selbstkonzeptes ( Kap. 6)

12.4 Fördern des Erlebens von Sinnhaftigkeit und Motivation ( Kap. 7)

Glossar

Literatur

Stichwortverzeichnis

1          Die Macht der Sprache

 

 

 

Jede psychologische Intervention beruht auf dem Einsatz von Sprache. Sogar Techniken, die Stille betonen, die Imagination oder Hypnose nutzen oder mit Übungen eine direkte Verbindung zum Hier und Jetzt herstellen, erreichen ihr Ziel, indem sie sprachliche Mittel einsetzen. Psychotherapeuten nehmen selten direkt auf das Leben ihrer Patienten Einfluss – Veränderungen erzeugen sie vornehmlich durch Gespräche. Erfolgreiche Therapeuten sind durch Begabung oder Übung in der Lage, Sprache als Werkzeug zu nutzen: Sie verfügen über eine präzise Ausdrucksweise und können durch aufmerksames und verständnisvolles Zuhören psychisches Wohlbefinden über einen Dialog herstellen. Sprache ermöglicht den Aufbau einer therapeutischen Beziehung, ermöglicht Einsicht und drückt Empathie aus. Sie vermittelt Konzepte, unterstützt das Erlernen neuer Fertigkeiten und begleitet therapeutische Übungen. Sprache ist nicht nur der Träger der therapeutischen Intervention – sie ist die Intervention.

Sprache ist nicht nur ein unverzichtbares Werkzeug, um positive Veränderungen in der Psychotherapie zu fördern. Sie ist an der Entwicklung und der Aufrechterhaltung der meisten Formen von Psychopathologie beteiligt. Sprache lenkt die menschliche Aufmerksamkeit. Sobald wir unsere Aufmerksamkeit etwas zugewandt haben, beginnen wir zu beschreiben, zu bewerten und zu analysieren. Unsere eigenen Erfahrungen mit Emotionen, Gedanken, Erinnerungen, Lernerfahrungen und körperlichen Empfindungen vermischen sich rasch mit Argumenten und Narrativen, die uns im selben Maße beeinflussen wie die Erfahrungen selbst.

Die Macht der Sprache bei der Transformation menschlicher Erfahrungen zeigt sich in der psychotherapeutischen Praxis. Sprache kann ein harmloses Objekt in eine schreckliche Bedrohung verwandeln; Vorstellung kann nicht mehr von Realität unterschieden werden; die Erinnerung an ein lange zurückliegendes Trauma kann neue Wunden entstehen lassen; die Antizipation eines unwahrscheinlichen Ereignisses kann zu einer Barriere werden, Glück zu empfinden. Die Art und Weise, wie wir über unsere Erfahrungen sprechen, kann uns aus der Welt, in der wir leben, wegführen und uns in einer sich ausbreitenden inneren Welt gefangen halten. Ohne sprachliche Prozesse könnten wir uns nicht über zukünftige Katastrophen sorgen, über vergangene Fehler grübeln oder Wahnideen für richtig halten; wir könnten niemandem Schuld zuweisen, keine perfektionistischen Ansprüche verfolgen oder daran zweifeln, ob unser Leben Sinn oder Ziel hat. Der Sprache fällt anscheinend oft unser Wohlergehen zum Opfer.

Andererseits wäre es ohne Sprache unmöglich, sich Hoffnung zu machen, von einem besseren Leben zu träumen, über Ideale nachzudenken oder sich von Menschen berührt zu fühlen, denen wir noch nie begegnet sind. Psychotherapeuten sind häufig von der Belastbarkeit der menschlichen Seele überrascht, über die Fähigkeit des Menschen zu kooperieren, Kontakt herzustellen und sich um Verständnis zu bemühen. Diese Phänomene lassen sich auf Kernprozesse zurückführen, die der Sprache zugrunde liegen. Mit Hilfe dieser Prozesse erschaffen und hinterfragen Menschen Gesetze, Literatur, Philosophie, Geschichte, Theologie und Kunst. Es ist folgerichtig, dass wir die Fachrichtungen, die sich mit diesen Produkten von Sprache befassen, »Geisteswissenschaften« (Humanities) nennen. Die Produkte der Sprache definieren den Menschen als Spezies.

Die Vorteile von Sprache beschränken sich nicht nur auf Kommunikation und die Fähigkeit zu verstehen; Sprache hat einen starken Einfluss auf viele Formen von Verhalten. Nur Menschen sind in der Lage, schreckliche Ereignisse abzuwenden, indem sie vernünftige Regeln und Ratschläge befolgen. Wir können aus mathematischen Formeln und physikalischen Gesetzen nützliche und schöne Dinge erschaffen, z. B. Raumschiffe und Kathedralen. Wir können Absichten und emotionale Zustände anderer erschließen, daraus vorhersagen, wie sie sich verhalten werden, und unser eigenes Verhalten daran anpassen. Wenn wir uns in die Lage eines anderen versetzen, können wir verhindern, dass ein anderer Mensch schikaniert wird, oder wir können jemandem ein perfektes Geschenk aussuchen.

Wir können vergleichen, analysieren, bewerten und planen. Dadurch können wir Probleme effizienter lösen als andere Spezies. Wir können in harten Zeiten unsere Hoffnung und Motivation bewahren, indem wir uns eine schönere Zukunft vorstellen.

Sprache, so wie wir den Begriff in diesem Buch verwenden, ist der Kern der meisten komplexen menschlichen Fertigkeiten, einschließlich des Denkens, der Vorstellungskraft, des Erinnerns, der Selbsterkenntnis und des Perspektivwechsels. Unsere relativ schwache und wehrlose Spezies war in der Lage, nach nur einigen tausend Jahren der Nutzung dieses machtvollen Instruments eine dominante Rolle auf diesem uralten Planeten einzunehmen. Augenscheinlich handelt es sich um eine Fertigkeit, die gleichermaßen schöpferisch und zerstörerisch sein kann. Dementsprechend ist Sprache seit langer Zeit ein Phänomen, dem im Bereich der Psychologie, aber auch in anderen Bereichen, die sich mit der Verbesserung der menschlichen Existenz befassen, großes Interesse entgegengebracht wird.

1.1       Traditionelle Zugänge zur Sprache in der Psychotherapie

Jedes ausgereifte Psychotherapieverfahren befasst sich mit der Rolle von Sprache, Symbolen und Bedeutung. Die Psychoanalyse ist seit jeher bemüht, Konflikte bei Patienten durch Verständnis der symbolischen oder verdeckten Bedeutung alltäglicher Ereignisse aufzulösen. Dazu werden Techniken wie Traumdeutung und freie Assoziation eingesetzt. Die Humanistische Psychotherapie zielt darauf ab, das menschliche Potential zugänglich zu machen, indem vergleichende und bewertende Sprachprozesse durch bedingungslose Zuwendung und Empathie abgeschwächt werden. Bei der Anwendung der kognitiven Therapie modifizieren Therapeuten dysfunktionale Schemata und belastende Gedanken durch den Sokratischen Dialog und kognitive Umstrukturierung. Ganzheitliche und gegenwartsfokussierte Psychotherapiemethoden wie Gestalt-Therapie und achtsamkeitsbasierte Therapien warnen vor exzessiven verbalen Analysen und betonen die Wichtigkeit von Achtsamkeit und direkten Erfahrungen. Gleichzeitig leiten sie dieses Vorgehen durch sprachliche Techniken an. Von allen gängigen psychotherapeutischen Traditionen zeigte lediglich der Behaviorismus ein nur begrenztes Interesse an Psychotherapie auf der Basis von Sprache und symbolischer Bedeutung. B. F. Skinner stellte die Behauptung auf, dass radikaler Behaviorismus ein Erklärungsrahmen für das Verständnis von Zielen und Absichten sei (1974, p. 61). Seine Analyse von sprachlichem Verhalten führte zu einer begrenzten Auswahl praktischer Anwendungen für Patienten. Es gab viele Zweifel, ob ein wissenschaftlicher Ansatz, der auf empirischen Studien mit Tieren basierte, Einsicht in das komplexeste menschliche Verhalten bieten könne.

Bisher haben die unterschiedlichen Herangehensweisen an die Bedeutung von Sprache und Symbolen dazu geführt, dass die verschiedenen Behandlungstheorien sich eher voneinander entfernt als sich aufeinander zubewegt haben. Keiner dieser Denkansätze hat bisher zu einer allgemein anwendbaren Theorie der Rolle der Sprache in der Psychotherapie geführt. Sie haben sich darauf konzentriert, welche Folgen spezifische symbolische oder kognitive Inhalte auf Patienten haben, stellen aber keine Anleitung dafür dar, Sprache als Wirkstoff in der Psychotherapie einzusetzen. Sprache ist ebenso nützlich und allgegenwärtig wie unsere Atemluft. Wir schenken ihr erst Beachtung, wenn etwas schiefgeht – wenn wir nicht die richtigen Worte finden, die Kommunikation zusammenbricht oder Missverständnisse entstehen. Bisher fehlte es an einer Theorie der Sprache, die aufzeigt, wie wir dieses Werkzeug bewusst innerhalb eines Spektrums von psychotherapeutischen Systemen und Behandlungsmanualen nutzen können. Bisher fehlte es auch an einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive auf Sprache, die Lebendigkeit fördert und schädliche Reaktionen auf psychologischen Schmerz minimiert.

Wir sind auf der Suche nach einem Werkzeugkasten, der gute Dienste bei der Analyse klinischer Probleme liefert und Behandler aus allen psychotherapeutischen Richtungen auf dieser Basis befähigt, sinnvolle Arbeitskonzepte zu entwickeln. Das ist das Anliegen dieses Buches.

1.2       Kontextuelle Verhaltenswissenschaften und Sprache

Das vorliegende Lehrbuch stellt eine Theorie von Sprache vor. Diese beleuchtet die Komplexität menschlichen Verhaltens und bietet pragmatische Werkzeuge, die therapeutische Techniken aller Verfahren unterstützen können. Der Ansatz hat einen überraschenden Ursprung, einen Ableger der Verhaltenspsychologie (Behaviorismus), der als kontextuelleVerhaltenswissenschaft bekannt ist (Contextual Behavioral Science (CBS); Hayes, Barnes-Holmes & Wilson, 2012; Zettle, Hayes, Barnes-Holmes & Biglan, 2016). Die Überraschung besteht darin, dass Behaviorismus der psychologische Ansatz ist, der beinahe an den Klippen von Sprache und Kognition gescheitert wäre. Sprache war das Phänomen, das jenseits der Grenzen behavioralen Denkens lag: Eine speziell dem Menschen vorbehaltene Fähigkeit, die durch einen naturalistischen, ganzheitlichen Zugang zur Psychologie nie erklärt werden könne. Zumindest ging man davon aus.

Contextual Behavioral Science ist kein Behaviorismus der alten Schule. Sie hat kein geringeres Ziel, als menschliches Leid zu lindern und die menschliche Entfaltung voranzutreiben, indem sie grundlegende wissenschaftliche Modelle zum Verständnis komplexen Verhaltens entwickelt und bereitstellt. CBS ist ein System aus philosophischen Thesen, wissenschaftlichen Daten und methodischen Standards, die alle Aspekte von Theorieentwicklung, empirischer Forschung und Umsetzung von Wissen in praktische Anwendung beeinflussen. Der Zugang zu Sprache, den Sie in diesem Buch entdecken werden, kann für Therapeuten nützlich sein. Er kann verfahrensübergreifend angewandt werden, gerade weil er in den kontextuellen Verhaltenswissenschaften verwurzelt ist.

Im Zentrum der Contextual Behavioral Science steht eine ganzheitliche und pragmatische Weltanschauung1 , der funktionale Kontextualismus. Die Basis sind spezifische philosophische Annahmen zum Konzept Wahrheit, die für die Entwicklung, Überprüfung und Bewertung von Theorien und wissenschaftlichen Beweisen eingesetzt werden können. Das Maß, an dem sich Fortschritt festmachen lässt, ist die Wirksamkeit – »Wie gut hilft mir dieser Denkansatz dabei, meine Ziele zu erreichen?« In der kontextuellen Verhaltenswissenschaft steht das Ziel, Leid zu lindern und Wohlbefinden zu fördern, im Zentrum. Wir möchten daher unsere Leserinnen dazu ermutigen, die Konzepte und Techniken, die in diesem Buch vorgestellt werden, über das Kriterium Wirksamkeit des funktionalen Kontextualismus zu prüfen und damit zu experimentieren – »Helfen die Techniken mir dabei, meine Patienten besser zu verstehen?«, »Verbessern sie die therapeutische Beziehung?«, »Machen sie meine Interventionen effektiver?«. Danach können Sie überprüfen, ob es hilfreich für Sie war, Wirksamkeit als Maßstab dafür zu wählen, ob etwas als »gut« oder »wahr« einzuschätzen ist.

Contextual Behavioral Science definiert Verhalten als Aktivität eines gesamten Organismus innerhalb eines bestimmten Kontextes. Dementsprechend ist alles, was ein Mensch tut, ein Verhalten. Das schließt Denken, Erinnern, Aufmerksamkeit, Fühlen und Wahrnehmung mit ein. Viele Leser werden es gewohnt sein, Verhalten von Denken oder Verhalten von Emotion zu unterscheiden und empfinden den hier beschriebenen Gebrauch des Wortes möglicherweise als merkwürdig oder sogar falsch. Der funktionale Kontextualismus verwendet die obige Definition jedoch, weil sie bei der Behandlung von Patienten erlaubt, eine überschaubare Menge von verhaltenswissenschaftlichen Prinzipien bei einer großen Vielfalt von praktisch relevanten Themen anzuwenden. Der Pragmatismus dieses Ansatzes erlaubt dem Therapeuten einen flexiblen Umgang mit der Vielfalt menschlicher Erfahrungen sowie den zahllosen, nicht vergleichbaren Kombinationen, die sich aus den Wechselwirkungen zwischen Patienten, Settings und situationsabhängigen Faktoren ergeben. Gleichzeitig bleibt der Ansatz in der Psychologie als Wissenschaft verankert.

Sie werden vielleicht bemerken, dass diese Definition von Verhalten keine Trennung zwischen der Aktion eines Organismus und dem Kontext, in dem sie auftritt, vornimmt. Grund dafür ist, dass die CBS als Teil einer umfassenden Evolutionswissenschaft Verhalten im Hinblick auf seine Vielfältigkeit und den daraus entstehenden Vorteil wertet, und weiter: CBS verfolgt ein sehr pragmatisches Ziel: dabei ist der einzige Weg festzustellen, ob ein Verhalten effektiv ist, die Überprüfung, wie gut es in einem bestimmten Kontext funktioniert. Mit Kontext ist das Umfeld gemeint, in dem ein Verhalten auftritt. Kontext beschreibt alles, was dieses Verhalten beeinflusst, also wann, wie und warum etwas geschieht. Kontext bezieht sich sowohl auf zeitlich vorangehende wie auch auf gegenwärtige Faktoren, die auf das Verhalten des Organismus Einfluss nehmen. Dazu gehören biologische, gesellschaftliche und kulturelle Variablen, die Entwicklungs- und Lerngeschichte sowie gegenwärtige innere (z. B. kognitive, affektive) und äußere Einflüsse. Verhalten wird also durch vielfältige Faktoren des jeweiligen Kontextes beeinflusst. Es ist daher möglich, dieses Verhalten zu ändern, indem der Einfluss ausgewählter Faktoren geschwächt oder verstärkt wird.

Das Verändern von einzelnen Elementen des therapeutischen Kontextes, einschließlich der Sprache, kann das Erleben der Patientin erheblich verändern. Dies beeinflusst auch Ebenen, die Psychotherapeuten nicht direkt zugänglich sind, wie die physiologische, kognitive, emotionale oder motivationale Ebene. Dies gibt die Macht, Veränderung zu erzeugen, fest in die Hände des Therapeuten und des Patienten. Sie können die Mechanismen der Veränderung in der Therapie identifizieren und gezielt beeinflussen. Dies ermöglicht besonders effiziente Interventionen, die ein breites Spektrum therapeutischer Ziele beeinflussen, indem sie zentrale behaviorale Prozesse und Funktionen ansprechen, anstatt sich auf spezifische Formen von Gedanken, Emotionen oder Verhalten zu beschränken.

Das Buch hat folgende allgemeine Ziele: Therapeuten und ihre Patienten sollen befähigt werden, 1) zu identifizieren, welche kontextuellen Elemente ihr Verhalten beeinflussen und 2) die Kraft der Sprache zu nutzen, um den Kontext so zu verändern, dass er adaptives Verhalten begünstigt. Unser Ansatz basiert auf einer kontextuell-verhaltenswissenschaftlichen Theorie von Sprache und Kognition, der Bezugsrahmentheorie (Relational Frame Theory, RFT; Hayes, Barnes-Holmes & Roche, 2001). RFT gründet sich auf einem dynamischen Forschungsprogramm. In diesem Zusammenhang sind bereits über 150 empirische Publikationen entstanden. Sie betreffen die Bereiche Psychopathologie, Theory of Mind, implizite kognitive Prozesse, Intelligenz, regelgeleitetes Verhalten, Problemlösen, Selbstkonzept und andere für die Behandlung von Patienten wichtige Themen (Dymond & Roche, 2013). Die Grundsätze von RFT werden bereits erfolgreich in folgenden Bereichen angewandt: Förderung von Bildung, Behandlung von entwicklungsbedingten Beeinträchtigungen, Gesundheitsverhalten, Verminderung von Risikoverhalten, Leistungssteigerung, Behandlung von Problemen in intimen Beziehungen, Organisationsmanagement, Förderung von kulturellen und sozialen Transformationsprozessen. Akzeptanz- und Commitment Therapie (ACT; Hayes, Strosahl & Wilson, 1999, 2012) ist die erste Psychotherapie, die sich explizit auf RFT bezieht. ACT ist eine evidenzbasierte Behandlungsmethode für ein breites Spektrum von Gesundheitsproblemen (siehe Liste der evidenzbasierten Programme der American Psychological Association, Division 12 und der U.S. Substance Abuse and Mental Health Services Administration). Das vorliegende Buch ist allerdings kein ACT-Manual. Es soll keinen neuen, besseren Weg beschreiben, ACT anzuwenden. Es behauptet auch nicht, dass Sie ACT erlernen müssen, um RFT bei Ihren Patienten anzuwenden. Es soll weder ACT noch irgendeine andere Behandlungsmethode ersetzen. Es ist die Absicht dieses Buches, Prinzipien zu erkunden und zu erläutern, die für einen gemeinsamen elementaren Mechanismus aller Psychotherapiemethoden gelten – Sprache.

1.3       Sprache ist erlerntes Verhalten

1.3.1     Aufbau von und Reagieren auf symbolische(n) Beziehungen

Der moderne Mensch existiert seit weniger als 200.000 Jahren (McDougall, Brown & Fleagle, 2005). Die meisten psychologischen Prozesse, die Auswirkungen auf uns haben, sind jedoch viel älter. Die Lernprozesse der operanten und klassischen Konditionierung sind vermutlich mehr als 500 Millionen Jahre alt (Ginsberg & Jablonka, 2010); Habituation ist noch älter. Sprache dagegen ist möglicherweise erst vor 100.000 Jahren entstanden (Nichols, 1992). Selbst wenn Sprache – wie einige vorbringen – auf die Zeit zurückgehen sollte, als sich die Hominiden entwicklungsgeschichtlich von den Schimpansen trennten, wäre sie trotz allem eine relativ junge Entwicklung. Fünf Millionen Jahre sind nur ein Augenblick auf dem Zeitstrahl der Evolution.

Irgendwann in den letzten paar hunderttausend Jahren begann der moderne Mensch, symbolische Beziehungen zu konstruieren, die es ihm erlaubten, mental Dinge zusammenzufügen oder sie voneinander zu trennen; Ähnlichkeiten zu erkennen und Unterschiede festzustellen; Analogien herzustellen und Ergebnisse vorauszusagen. Aus bescheidenen Anfängen, die darin bestanden, Dingen Namen zu geben, ist eine Sammlung erstaunlicher und einzigartiger menschlicher Fähigkeiten entstanden – zu analysieren und zu planen, Werte festzulegen und zu vergleichen, sich Szenarien einer Zukunft vorzustellen, die noch niemals erlebt worden sind, sich seiner selbst bewusst zu sein oder sich in die Sichtweise anderer hineinzuversetzen. Diese Verhaltensweisen werden in anderen Konventionen auch symbolisches Verhalten, kognitive Prozesse höherer Ordnungen oder Exekutivfunktionen genannt. Wir nennen sie Sprache.

Im alltäglichen Gebrauch wird der Begriff Sprache üblicherweise für die Fähigkeit zu kommunizieren verwendet. In diesem Buch verwenden wir den Begriff in einem wesentlich umfassenderen Sinn. Wir definieren Sprache zunächst als die erlernte Fähigkeit, Beziehungen zwischen Objekten und Ereignissen aufzubauen und uns in Übereinstimmung mit diesen Beziehungen zu verhalten, die teilweise auf der Grundlage sozial etablierterHinweisreizeentstehen. Der letzte Satz besagt lediglich, dass diese Beziehungen nicht nur auf intrinsischen2 Merkmalen der Dinge beruhen, auf die Bezug genommen wird. Wenn wir Ihnen mitteilen würden: »Das ist Alfred«, lernen Sie, dass diese zwei Dinge (die Person und der Name) dasselbe sind. Dieses Wissen beeinflusst, wie Sie auf beides reagieren. Zum Beispiel würden Sie die Person ansehen, wenn Sie den Namen hören. Dennoch gibt es keinerlei vorgegebene Übereinstimmung zwischen der Person und dem Namen. Die Beziehung ist symbolisch und basiert auf dem kleinen Wort »ist«. Der Hinweisreiz (d. h. ist) gibt nun vor, wie Sie auf die Person und den Namen reagieren sollen. Dieses Vorgehen basiert auf einer sozialen Konvention. Die Bedeutung dieses Hinweisreizes muss erlernt werden und hängt davon ab, wer spricht und wer zuhört. Auf der einen Seite hat das Wort »ist« eine bestimmte Bedeutung für deutschsprachige Personen. Denn Sie würden durch diese sprachliche Auskunft nichts über die Person und den Namen lernen, wenn Sie keine Kenntnisse der deutschen Sprache erworben hätten. Andererseits steckt in dem Wort »ist« nichts Außergewöhnliches. Es wäre Ihnen auch möglich, einen Bezug zwischen dem Namen und der Person herzustellen, wenn wir Ihnen ein vollkommen anderes Set an sozial codierten Hinweisreizen anbieten (»C’est Alfred«) natürlich vorausgesetzt, Sie haben Französisch gelernt. Das meinen wir, wenn wir durch soziale Konventionen definierte Hinweisreize als Symbole bezeichnen und Beziehungen, die auf diesen willkürlich anwendbaren Hinweisreizen beruhen, als symbolischeBeziehungen bezeichnen. Mit diesem Hintergrundwissen können wir unsere Definition vereinfachen: Sprache ist das erlernte Verhalten, das symbolischeBeziehungenaufbaut und auf sie reagiert.

Diese Fähigkeit, symbolische Beziehungen aufzubauen und auf sie zu reagieren, ist etwas Besonderes. Sie nimmt Einfluss darauf, auf welche Weise Menschen ihre Welt erfahren, mit welcher Bedeutung sie Objekte und Ereignisse versehen. Sie besitzt somit eine Wirkung auf menschliches Denken, Fühlen und Handeln. Sprache ist nichts, was wir haben; sie ist eine Fähigkeit, die wir erlernen und auf eine Vielzahl von Situationen anwenden können, die weit über Kommunikation hinausgehen.

Aus der Perspektive der Bezugsrahmentheorie (Relational Frame Theory, RFT) sind für Sprache keine Worte erforderlich; beispielsweise nutzt die Mathematik (eine andere Art von Sprache) Zahlen und Symbole, um Beziehungen darzustellen. Sprachliche Symbole müssen auch weder geschrieben noch ausgesprochen werden. Es können Gesten sein, z. B. wenn wir unseren Daumen heben, um Zustimmung auszudrücken, oder Piktogramme wie das rote Oktagon, das Autofahrern anzeigt, dass sie stoppen müssen. Die Symbole, die eine Sprache ausmachen, ziehen ihre Bedeutung nicht aus sich selbst heraus. Sie erlangen ihre Bedeutung dadurch, dass sie Teil eines Netzwerks von symbolischen Beziehungen sind. Die Zugehörigkeit eines Objektes oder Ereignisses zu einem solchen Netzwerk beeinflusst die psychologischen Reaktionen auf Objekte oder Ereignisse, einschließlich Bewertungen, Präferenzen, Motivationen, Handlungsimpulsen sowie physiologische und emotionale Reaktionen. Therapeuten gehen mit Sprache sehr sorgfältig um, weil symbolische Beziehungen einen tiefgreifenden Einfluss auf letztlich alle klinisch relevanten Verhaltensweisen haben – eine Tatsache, die Sie zum Vorteil Ihrer Patienten nutzen können.

Wissenschaftler diskutieren kontrovers darüber, ob die Fähigkeit symbolische Beziehungen herzustellen ein spezifisches Merkmal des Menschen ist. In jedem Fall ist es eine charakteristische menschliche Eigenschaft. Wissenschaftler gehen davon aus, dass lediglich Menschen in der Lage sind, alle Besonderheiten symbolischer Beziehungen zu nutzen, ohne sich dabei auf intrinsische Eigenschaften eines Objektes zu stützen (z. B. Größe, Form oder Farbe). Wir können einem Objekt Wichtigkeit und Bedeutung zuweisen, die ihm nicht inhärent sind. So können wir beispielsweise sagen: »Christina Aguilera ist eine »größere« Berühmtheit als Meatloaf«. Dabei ist Meatloaf 20 cm größer und 50 kg schwerer als Aguilera. Das verwendete Symbol kann auf einer aktuellen (kulturellen) Modeerscheinung beruhen. Da sich ein Symbol im Laufe der Zeit und abhängig vom sozialen Umfeld verändern kann, muss seine Bedeutung deshalb in dem konkreten Kontext interpretiert werden, in dem es verwendet wird. Auf die Frage, was das Wort »cool« bedeutet, gehen einem möglicherweise unterschiedliche Definitionen durch den Kopf. Wenn man aber sagt »Christina Aguilera ist cooler als Meatloaf«, ist klar, dass nicht ihre Temperatur gemeint ist.

Es gibt auch andere Definitionen von Sprache, die für unterschiedliche Zielsetzungen gelten, wie beispielsweise im Bereich der Linguistik, Philosophie oder Literatur. Es gibt auch technisch präzisere und detailliertere Definitionen aus der Relational Frame Theory (z. B. Hayes et al., 2001; Törneke, 2010). Wir möchten nicht in eine Debatte darüber abschweifen, was die wahre Definition ist, ob Sprache am besten als Verhalten definiert werden sollte oder als kognitive Funktion oder als etwas grundlegend anderes. Unser Vorschlag ist, dass es für Psychotherapeuten besonders nützlich ist, Sprache als erlerntes Verhalten zu betrachten. Unser Ziel ist es, in diesem Buch diese Theorie auf seine praktische Bedeutung herunterzubrechen und allgemeinverständlich zu machen. Lassen Sie uns mit dem Begriff »Bezugsrahmen« oder im englischen »Relational Frame« aus dem Namen Bezugsrahmentheorie (Relational Frame Theory) beginnen.

1.3.2     Herstellung eines Bezugsrahmens

Bezugnahme bedeutet, eine Sache in Beziehung zu einer anderen zu setzen. Das Wort »Mutter« hat ein spezielles Verhältnis zum Wort »Kind« oder wenn wir etwas als »größer« bewerten, nehmen wir Bezug auf etwas, das »weniger groß« ist. Indem wir Objekte und Ereignisse in Beziehung zueinander setzen, lernen wir etwas über sie. Wenn jemand sagt »Michèle ist die Mutter von Matthieu«, dann kann man weitere Informationen ableiten, ohne dass ein weiteres Wort gesprochen werden muss: Matthieu ist das Kind von Michèle, Matthieu und Michèle sind Mitglieder derselben Familie, Michèle ist eine Frau, Matthieu ist jünger als Michèle. Man erhält alle diese Informationen, ohne dass sie einem ausdrücklich mitgeteilt wurden, indem man die enthaltene Information in ein Netzwerk von Bedeutung und Verstehen einbindet. Aus diesem Grund erhöht die Fähigkeit, Objekte und Ereignisse symbolisch in Beziehung zu setzen, die Effizienz des Lernens um ein Vielfaches.

Viele Arten des Lernens stellen im weitesten Sinne Beziehungen her. Symbolische Beziehungen aber weisen einige spezielle Eigenschaften auf, mit der die unglaubliche Kreativität von Sprache erklärt werden kann. Symbolische Beziehungen haben einen enormen Einfluss darauf, wie wir unsere Welt erleben. Rahmung (Herstellung eines Bezugsrahmens, engl. Framing) ist eine Metapher für diesen Prozess.

Stellen Sie sich vor, Sie blicken auf eine Landschaft, in der die Sonne durch die Äste majestätischer Nadelbäume scheint, die einen klaren Bergsee umrahmen. Wenn Sie auf diese Szene durch einen Fensterrahmen schauen, fühlen Sie sich vielleicht dazu angeregt, das, was Sie sehen, aktiv erleben zu wollen. Sie würden sich bereitmachen, eine Wanderung zu unternehmen, Schwimmen zu gehen oder ein Picknick vorzubereiten. Ihre Aufmerksamkeit wird sich auf Einzelheiten der Landschaft richten, die mit diesen Aktivitäten in Zusammenhang stehen, wie die Steigung eines Wanderweges, die Abgeschiedenheit einer zum Schwimmen geeigneten Bucht, oder einen Baumstamm, der sich als perfekter Picknicktisch eignen würde. Wenn die Landschaft nun jedoch in Gold eingefasst ist und in einer Kunstgalerie hängt, reagieren Sie möglicherweise passiver und denken vielleicht über das Bild als Objekt von Schönheit oder Inspiration nach. Sie werden eher dazu neigen, die Komposition des Bildes zu bemerken oder das Farbenspiel zu würdigen. Wäre die Szene durch einen Theatervorhang und eine Bühne begrenzt, würden Sie die Landschaft vielleicht nicht sonderlich beachten, weil Sie sich gedanklich mit der Geschichte befassen, die sich bald vor diesem Hintergrund entfalten wird. Eine Szene. Drei (Bezugs)Rahmen. Eine ganze Vielfalt an Wahrnehmungen und Reaktionen. Die Landschaft hat sich nicht verändert, aber die Auswirkung auf Sie schon.

Ein Beispiel aus dem täglichen Leben hilft dabei zu illustrieren, wie unser Verhalten dadurch beeinflusst wird, dass wir Objekte und Ereignisse konzeptuell entsprechend ihrer Beziehung zu anderen Dingen einfassen. Haben Sie jemals etwas gekauft, mit dem Sie sich nicht ausreichend auskannten? Vielleicht ein Auto, einen Computer oder eine besondere Flasche Wein? Aufgrund der Vielfalt an Auswahl, die moderne Geschäfte heute anbieten, war es möglicherweise schwierig für Sie, sich für ein Produkt zu entscheiden. Möglicherweise haben Sie einen Verkäufer um Rat gebeten, der einige Ihrer Optionen miteinander verglichen hat (z. B. dieser Computer ist billiger als jener, aber er ist langsamer; dieser Wein passt hervorragend zu Fleisch und jener besser zum Dessert). Während der Verkäufer beschrieb, verglich und die Unterschiede unter den Angeboten aufzeigte, errichtete er ein Netzwerk von Beziehungen (chilenische Weine sind billiger als Bordeaux; der Bordeaux, der am linken Ufer der Garonne wächst, ist anspruchsvoller als der vom rechten Ufer; 2009 war ein guter Jahrgang; dieser Wein passt gut zu Fleisch aber nicht zu Fisch). Dieses Geflecht von Beziehungen ähnelt den Bilderrahmen aus dem vorherigen Beispiel: Sie veränderten den Blick, mit dem Sie Ihre Optionen betrachteten. Sie begannen, einige Möglichkeiten auszuschließen und fühlten sich zu anderen eher hingezogen. Vielleicht waren Sie in der Lage, das Produkt selbst auszuprobieren, in einer Probefahrt oder einer Geschmacksprobe, und Sie begannen, neue Beziehungen herzustellen, die in das Geflecht eingebunden wurden. Letztendlich entschieden Sie sich für einen Kauf teilweise aufgrund der Einschätzung, die sich aus dem Beziehungsnetzwerk ergab, und nicht nur auf der Grundlage Ihrer direkten Erfahrung mit einem bestimmten Auto, Computer oder einer Weinsorte. Sprache hat Ihrer Erfahrung mit den Produkten einen konzeptuellen Rahmen gegeben und die Art und Weise beeinflusst, wie Sie sie wahrgenommen und darauf reagiert haben.

Bezugsrahmen (Relational Frames) beeinflussen nicht nur Ihren Verstand, sondern auch Ihre Emotionen und Wünsche. Neuroökonomen am California Institute of Technology (Caltech) erforschten dieses Phänomen, indem sie eine doppelt verblindete Weinprobe in einem funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI)-Scanner durchführten. Probanden testeten fünf Flaschen Cabernet Sauvignon, die sich lediglich durch ihren Verkaufspreis unterschieden, der zwischen $ 5 und $ 90 lag. Die Probanden wussten nicht, dass sie immer denselben Wein probierten, der jeweils mit den Preisen $ 10, $ 45 oder $ 90 ausgezeichnet war. Was haben sie herausgefunden? Die Probanden empfanden größeren Genuss beim Trinken des »teureren« Weins ungeachtet der Tatsache, dass sie dasselbe Produkt tranken. Indem auf die Weine als »anders« und »teurer« Bezug genommen wurde, erhöhte sich sowohl das subjektive Empfinden von Genuss als auch die Gehirnaktivität, die mit Befriedigung assoziiert ist (Plassmann, O’Doherty, Shiv & Rangel, 2007).

Innerhalb der Literatur über Relational Frame Theory gibt es eine Vielfalt an sehr präzisen technischen Bezeichnungen, die sich mit den Besonderheiten dieses Prozesses befassen. Diese Literatur steht dort für weitere Recherchen zur Verfügung. Unsere Absichten hier sind einfacher und pragmatischer. Die zentrale Idee ist erst einmal: Sprache ist ein Prozess, bei dem wir lernen, mit Dingen auf der Grundlage von Symbolen in Beziehung zu treten. Dieser Prozess beeinflusst die Art und Weise unseres Lernens und wie wir unsere Welt erfahren. Wir untersuchen nun zunächst die technischen Einzelheiten ein wenig genauer, indem wir überlegen, warum sich die Fähigkeit, auf der Grundlage von Symbolisierung zu lernen, überhaupt entwickelt hat. Es geht dabei sicherlich nicht nur darum, Autos zu verkaufen oder den Genuss von Wein zu verbessern.

1.4       Die Evolution der Sprache

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie groß das menschliche Gehirn im Verhältnis zum Rest unserer Körper ist? Menschen haben den höchsten Enzephalisationsquotienten (Quotient von Gehirnmasse zur Körpermasse) aller Säugetiere. Ein besonders großes Gehirn ist eine Herausforderung für Wirbeltiere, die lebendigen Nachwuchs gebären. Das Gehirn muss durch den Geburtskanal. Evolutionsprozesse haben eine gute Lösung für dieses Problem entwickelt; Menschen werden mit einem kleinen Gehirn geboren, das durch die gesamte Kindheit und Adoleszenz und sogar bis in das frühe Erwachsenenalter hinein wächst und sich weiterentwickelt. Diese Lösung bietet unserer Spezies einzigartige Vorteile. Das menschliche Gehirn ist exakt auf die Umwelt, in der es funktionieren soll, eingestellt. Das schließt den sozialen und kulturellen Kontext, in dem es sich entwickelt, mit ein. Der Nachteil ist, dass Kinder stark von anderen Menschen abhängig sind. Nur so werden ihre Bedürfnisse erfüllt und sie können überleben. Auch diejenigen, die für sie verantwortlich sind, sind wegen dieser zusätzlichen Bürde verletzlicher. Diese Abhängigkeit erfordert, dass Eltern so um das Wohlergehend der Kinder besorgt sind, dass sie auf all die Geräusche und Gerüche, die mangelndes Wohlbefinden des Säuglings anzeigen, reagieren. Sie reagieren mit dem Bedürfnis, sich dem Kind zu nähern, um es zu versorgen, statt zu fliehen oder es anzugreifen. Eine starke zwischenmenschliche Bindung, die durch kooperationsfördernde Emotionen, gegenseitige Aufmerksamkeit, durch Perspektivwechsel und Empathie getragen wird, erhöht die Überlebenschance sowohl für Kinder und Eltern als auch für die anderen Mitglieder der Gruppe, mit der sie eng in Verbindung stehen. Dieses Niveau zwischenmenschlicher Bindung ist außerordentlich nützlich. Es führt dazu, dass die evolutionäre Selektion eher auf der Ebene der Gruppe stattfindet als auf der Ebene des einzelnen Individuums (Nowak, Tarnita & Wilson, 2010; Wilson & Wilson, 2007). Das Überleben des Menschen hängt von einer Kultur der Kooperation ab und gedeiht in einer Kultur prosozialen Verhaltens. Sprache unterstützt beide Faktoren.

Die Relational Frame Theory ergibt dann vor allem Sinn, wenn man annimmt, dass Sprache und Kognition Formen von Kooperation sind, die zunächst entstanden, um die stark ausgeprägte soziale Natur menschlicher Gruppen zu erweitern und zu nutzen (Hayes & Sandford, 2014). Betrachten wir eine der ersten Gelegenheiten, bei denen wir bei Kindern Sprache beobachten können: das Benennen. Ein kleines Kind lernt, »Apfel« zu sagen, indem ihm ein bestimmter roter, runder Gegenstand gezeigt wird. Dabei wird auf den Gegenstand gezeigt und »Apfel« gesagt. Hierdurch wird eine Beziehung zwischen dem Symbol (»Apfel«) und dem Objekt (Apfel), hergestellt. Beachten Sie, dass diese Beziehungen stets in beide Richtungen funktionieren: Wenn ein Objekt auf eine bestimmte Weise mit einem Symbol in Beziehung steht, dann bedeutet dies auch, dass umgekehrt das Symbol und das Objekt eine bestimmte Beziehung zueinander haben. So können einige funktionale Eigenschaften eines Objektes in einem anderen Objekt erlebt werden, weil sie bidirektional in Beziehung stehen. Sobald das Kind gelernt hat, dass »Apfel« dasselbe bedeutet wie Apfel, wird es unter bestimmten Bedingungen auf das Symbol ähnlich wie auf das Objekt reagieren. Wenn es Äpfel nicht mag, wird es die Nase rümpfen, sobald es »Apfel« hört, auch wenn es den für es unangenehmen Geschmack oder die Frucht selbst nicht erlebt.

Die Bidirektionalität, die symbolischen Beziehungen eigen ist, ist kein Bestandteil allgemeiner Lernprozesse. Bei Pawlow’s Hunden lief der Speichel, sobald sie den Glockenton hörten. Aber sie spitzten nicht die Ohren, wenn ihnen Futter vorgesetzt wurde. Bidirektionalität ist jedoch der Kern der charakteristischsten Form menschlichen Lernens – dem sprachlichen Lernen. Warum haben Menschen begonnen, sich darauf zu verlassen?

Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir soziale, hilfsbereite Primaten sind. Um zu verdeutlichen, wie Symbole Kooperationen verbessern können, stellen Sie sich nun einmal vor, welche Rollen eingenommen werden können. Stellen Sie sich vor, ein Kind sieht, dass jemand einen Apfel hochhält und sagt: »Dies ist ein Apfel« (das ist die Rolle des Sprechers: einen Apfel sehen → sage das Wort »Apfel«). Später kann man das Kind danach fragen, ob Äpfel auf der anderen Seite eines Canyons oder um die Ecke herum zu finden sind (die Rolle des Zuhörers: »Hör zu! Sind dort Äpfel?« → »Suche nach Äpfeln«). Die Beziehung der Benennung »ist« begann wahrscheinlich mit einfachen Objekten und Aktionen, die davon lebten, dass Menschen soziale Wesen sind. Menschen können die Perspektive des Sprechers oder des Hörers einnehmen. Sie lernen die eine Seite der Beziehung und leiten die andere Seite ab. Die Gemeinschaft hatte eine starke Motivation, die Ableitung wechselseitiger Beziehungen zu üben, weil Kooperation zum Erfolg der Gruppe führt. Und sobald Menschen gelernt hatten, dies zu tun, verfügten sie über eine Schablone für andere Arten von symbolischen Beziehungen.

Das Wechseln zwischen der Rolle des Sprechers und des Hörers ist ebenfalls ein Aspekt, warum es nach tausenden von Jahren kultureller Evolution so nützlich ist, mit Hilfe von Symbolen zu kommunizieren. Durch die Anwendung symbolischer Kommunikation können wir das Verhalten anderer Menschen und sogar unser eigenes beeinflussen, einfach indem wir sprechen oder denken. Zu Beginn stand die einfache soziale Interaktion, z. B. ein Kind, das einen Erwachsenen um einen Apfel bat, selbst wenn gerade keiner in Sichtweite war. Die menschliche Kultur hat diese Fähigkeit wiederum zu abstraktem Denken, dem Erzählen von Geschichten, dem Lösen von Problemen und auf all die unzähligen weiteren Fähigkeiten erweitert, die wir täglich beobachten können.

1.5       Sprache ist eine Form des Lernens

Sprache stand den Menschen nicht plötzlich als vollentwickeltes Werkzeug zur Verfügung. Sie entwickelte sich aus Lernprozessen, die mindestens 5000-mal älter sind als Sprache. Sprache stellt aus zwei Gründen einen einzigartigen Lernprozess dar: sie ist der einzige Lernprozess, der selbst erlernt werden muss, und der, sobald man ihn beherrscht, alle anderen Formen des Lernens verändert. Alle Methoden der Psychotherapie fördern bestimmte Arten des Lernens, ob sie nun Einsicht, Erwerb von Fertigkeiten, kognitive Umstrukturierung oder Selbstaktualisierung genannt werden. Im folgenden Abschnitt werfen wir einen kurzen Blick auf die unterschiedlichen Lernprozesse, die die menschliche Psychologie beeinflussen. Der Zugang, den die Relational Frame Theory zu Sprache wählt, ist am besten zu verstehen, wenn er mit diesen anderen Lernprozessen verglichen und die Unterschiede herausgearbeitet werden. Für Therapeuten, die sich detaillierter mit Lernprinzipien befassen wollen, empfehlen wir als gut verständliche und pragmatische Einführung The ABC of Human Behavior (Ramnerö & Törneke, 2008).

1.5.1     Habituation

Eine der einfachsten Arten des Lernens ist die Habituation, was so viel bedeutet wie das Nachlassen von Reaktion auf einen Stimulus (oder einen Hinweisreiz aus der Umwelt). Habituation stellt sich ein, wenn ein Reiz regelmäßig wiederholt wird. Säuglinge erschrecken sich und fangen an zu weinen, wenn sie plötzlichen lauten Geräuschen ausgesetzt werden. Wenn dieselben Geräusche aber anhaltend auftreten, wird die Schreckreaktion abklingen und der Säugling kann möglicherweise trotz des Lärms schlafen. Wenn ein Organismus über ein zentrales Nervensystem verfügt, dann hat dies eine Rolle bei erfolgreicher Habituation (Thompson, 2009). Aber auch einzellige Organismen wie die Amöbe oder das Pantoffeltierchen sowie einzelne Zellen innerhalb von mehrzelligen Organisationen wie die Makrophagen des menschlichen Immunsystems zeigen Habituationsreaktionen (Harris, 1943; Nilsonne, Appelgren, Axelsson, Frederikson & Lekander, 2011). Diese Beobachtung legt nahe, dass Habituation schon so alt ist, wie es Zellen gibt. Sie stellt möglicherweise sogar die erste Form des Lernens dar. Habituation spielt bei einigen für die Behandlung bedeutsamen Phänomenen eine Rolle wie beispielsweise der Arousalreaktion in Gefahrensituationen. Oft werden die Effekte von Expositionstherapie mit Habituation erklärt, doch die tatsächlichen Mechanismen sind wahrscheinlich komplexer, denn Habituation mischt sich ohne weiteres mit anderen, phylogenetisch jüngeren Lernprozessen (Gallagher & Resick, 2012) einschließlich Sprachprozessen (Kirkanski, Liebermann & Craske, 2012).

1.5.2     Respondentes Lernen

Stellen Sie sich vor, ein Mädchen tritt einer Katze auf den Schwanz und die Katze reagiert damit, dass sie das Bein des Mädchens zerkratzt. Nach dieser unglücklichen Erfahrung entwickelt das Mädchen Angst und fängt zu weinen an, wann immer es diese Katze sieht. Dieses Verhalten kann generalisieren, das Mädchen weint dann immer, wenn es irgendeine Katze sieht. Dieses Phänomen nennt sich respondentes Lernen. Menschen lernen dabei, auf ein Element des Kontextes auf der Grundlage der Ähnlichkeit mit anderen Objekten oder Ereignissen, die vergleichbare Reaktionen auslösen, zu reagieren. Das Mädchen sieht nun eine Katze, hat Angst und weint.

Das Kratzen der Katze ist ein Stimulus– ein Element der Umwelt, das die Reaktion des Mädchens auslöst. Die unmittelbare Reaktion des Mädchens auf das Kratzen der Katze benötigt keinen Lernprozess; es bedarf auch keines Lernprozesses, um beim Kratzen der Katze Schmerz zu empfinden oder den Impuls zu haben, das Bein wegzuziehen. Eine solche Reaktion wird manchmal auch reflektorisch oder instinktiv genannt. Dies trifft jedoch nicht auf die Reaktion des Mädchens auf andere Stimuli zu, die zusätzlich vorhanden waren, als es von der Katze gekratzt wurde, wie beispielsweise der Garten, in dem sich der Vorfall ereignete, seine Beschäftigung zu dem Zeitpunkt oder die Größe und die Farbe der Katze. Keiner dieser ebenfalls in diesem Kontext vorhandenen und benannten Faktoren würde eine reflektorische Notfallreaktion hervorrufen. Nachdem jedoch all diese Merkmale Teil des Kontextes waren, in dem das Mädchen gekratzt wurde, ist es möglich, dass jedes einzelne von ihnen zukünftig eine Reaktion wie Angst oder Weinen hervorruft. Dieser Prozess wird respondentes Lernen genannt, auch bekannt als »assoziatives Lernen« oder »klassische Konditionierung«.

Etliche Parameter entscheiden darüber, welche Elemente des Kontextes bei respondentem Lernen zu Auslösern ähnlicher Reaktionen werden. Vor allem neue und besonders hervorstechende Aspekte eines Kontextes sind hierfür prädestiniert. Wenn dem Kind beispielsweise der Garten, in dem es gekratzt wurde, unbekannt war, kann er leichter mit dem schmerzhaften Stimulus verknüpft werden. Das Mädchen wird in Zukunft ängstlicher, wenn es sich dem Garten nähert. Wenn der Garten aber ein Ort ist, den das Mädchen bis dahin oft aufgesucht hatte, ist dieser bereits mit einer Vielzahl an positiven, neutralen oder negativen Erfahrungen verknüpft, die mit dem Kratzer am Bein des Mädchens konkurrieren und sein Verhalten vorbestimmen werden. Es ist dann eher weniger wahrscheinlich, dass der Garten die Funktion eines Stimulus für eine Angstreaktion übernimmt. Die Katze selbst war ein besonders hervorstechendes Merkmal der Umwelt – wahrscheinlich das Merkmal, welches das Kind beim Entstehen des Kratzers am meisten wahrgenommen hat. Daher ist die Katze besonders prädestiniert dafür, künftig ängstliche Reaktionen hervorzurufen.

Bei einer Generalisierung solcher Stimuli neigen kontextuelle Elemente, die Ähnlichkeiten mit der Katze aufweisen (nun geht es also um erlernte bzw. konditionierte Stimuli), ebenfalls dazu, eine ängstliche Reaktion hervorzurufen. Hat die angreifende Katze z. B. langes schwarzes Fell, wird das Kind auf eine Katze mit langem grauem Fell ängstlicher reagieren als auf eine mit kurzem orangenem Fell. Solche Reaktionen schwächen sich jedoch allmählich ab, wenn das Kind nach und nach lernt, zwischen anfangs als sehr ähnlich wahrgenommenen Objekten und Ereignissen zu unterscheiden. So kann es sein, dass es dann z. B. weniger ängstlich auf Katzen mit kurzem Fell reagiert, egal welcher Farbe, und vielleicht gar nicht ängstlich auf Katzen mit jeder anderen Fellfarbe als Schwarz.

Die Parameter des respondenten Lernens haben sich in einigen Fällen durch evolutionäre Prozesse verändert. Zum Beispiel kann das Vermeiden giftiger Nahrungsmittel durch respondentes Lernen sogar dann erlernt werden, wenn Übelkeit erst viele Stunden nach dem Verzehr des verdorbenen Nahrungsmittels auftritt (Bernstein, 2000), obwohl klassische Konditionierung typischerweise am besten funktioniert, wenn die Reaktion unmittelbar auf einen Stimulus erfolgt. Vermutlich geschieht dies, weil die Fähigkeit, giftige Nahrung zu vermeiden, eine große Auswirkung auf die Überlebenstüchtigkeit hat. Respondentes Lernen ist in einigen Fällen leichter als in anderen. So hat die Evolution kontextuelle Faktoren in funktionale Kategorien eingeteilt. Menschen lernen dadurch leichter, Angst vor einem sich wie eine windende Schlange verhaltenden Objekt zu haben als vor einer Steckdose, obwohl in der modernen Welt Steckdosen viel gefährlicher sein können. Auch einfache Lernprozesse wie diese unterliegen Veränderungen, geknüpft an die sich permanent ändernden Kontextbedingungen im Leben der Menschen.

1.5.3     Operantes Lernen

Aber auch weitere Lernprozesse können die Reaktion des Kindes auf das Kratzen der Katze hin beeinflussen. Wenn es z. B. vor der Katze davonläuft, dann verschwindet die Katze aus seinem Blickfeld. Wenn die Katze aus dem unmittelbaren Umfeld verschwindet, ist es nicht mehr möglich, von der Katze gekratzt zu werden. Weglaufen führt also zu einem wichtigen Ergebnis. Vermeidung oder Flucht werden möglicherweise als bevorzugte Reaktion auf den Anblick einer Katze ausgewählt. Ohne es zu planen oder darüber nachzudenken, wendet das Kind die logischste und am meisten angepasste Lernstrategie an, die sich bei allen Spezies von Tieren findet: Lebensbedrohliche Situationen werden vermieden, indem Stimuli, die Gefahren ankündigen, gemieden werden. Dies ist die Grundlage der operanten Konditionierung oder des Lernens durch Konsequenzen.

Jedoch können auch Folgen, die nicht in direkter Beziehung mit der unmittelbaren Gefahr stehen, das Verhalten des Kindes beeinflussen. So sind die Eltern des Kindes möglicherweise bekümmert, wenn sie die Angst und den Schmerz sehen, die es erleidet, und versuchen es zu beruhigen, wenn es Angst vor Katzen hat. Getröstet zu werden ist eine angenehme Konsequenz und führt möglicherweise dazu, dass Angstsymptome durch diese positive soziale Verstärkung häufiger auftreten. Diese Art des Lernens wird operantes Lernen genannt. Dabei wirkt das Verhalten auf die Umwelt ein, um Konsequenzen zu verändern.

Konsequenzen können aber auch die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass ein bestimmtes Verhalten eintritt. Verhalten, dem unangenehme Konsequenzen folgen, wird in seiner Häufigkeit abnehmen. So folgte z. B. auf die Annäherung an die Katze und das versehentliche Treten auf ihren Schwanz eine schmerzhafte Konsequenz. Das Kind wird sich zukünftig eher seltener der Katze nähern.

Manchmal erfolgt eine unvorteilhafte Konsequenz aber auch durch die Wegnahme von etwas Angenehmem Wenn das Mädchen z. B. einen Lolli hatte, den es während der Flucht vor der Katze verloren hat, dann wäre dies ein weiterer Grund dafür, nicht mehr in der Nähe der Katze zu spielen.

Ein ähnlicher Effekt kann eintreten, wenn die Eltern feststellen, dass die Angst des Kindes vor Katzen größer wird, wenn sie das Kind, sobald es klagt, in den Arm nehmen. Möglicherweise entscheiden sie sich dann dafür, es in solchen Situationen nicht mehr zu trösten, um auf diese Weise das Verhalten nicht mehr zu verstärken. Dieses Prinzip heißt Löschung. Es beschreibt, was geschieht, wenn die aufrechterhaltende Konsequenz eines operant erlernten Verhaltens nicht mehr eintritt. Die Häufigkeit des Klagens wird vermutlich zunächst kurzfristig ansteigen (Extinction Burst) und dann, wenn das Halten und Trösten dauerhaft nicht mehr erfolgen, zurückgehen.

Respondentes und operantes Lernen werden gelegentlich auch assoziatives Lernen genannt, wir aber ziehen den Begriff »Kontingenzlernen« vor. Eine Kontingenz ist schlichtweg eine »wenn… dann« Beziehung. Beim respondenten Lernen gibt es eine Stimulus - Stimulus Kontingenz, beim operanten Lernen eine vorangehende Bedingung – Reaktion – Konsequenz Kontingenz. Wenn wir später in diesem Kapitel Sprache als relativ junge Lernform behandeln, wird deutlich, dass das Verwenden des Begriffs »assoziativ« im Hinblick auf operante und klassische Konditionierung eher verwirrend wirkt. Assoziative Modelle der Entstehung von Bedeutung sind so alt wie die Psychologie, haben aber nie besonders gut funktioniert. Relationales Lernen liegt der Ausbildung von Sprache zugrunde. Dieses Lernen mit der oben genannten Art von assoziativem Modell zu verwechseln, würde das Neue an der Relational Frame Theorie und die daraus folgenden Vorteile nur schwer erkennen lassen.

1.5.4     Soziales Lernen

Tiere mit ausgeprägtem Sozialverhalten, und dazu gehört auch der Mensch, weisen eine Vielfalt von Verhaltensweisen auf, die sie vermutlich durch den Kontakt zu anderen Mitgliedern ihrer Gruppe erlernt haben. Einige Verhaltensmuster sind genetisch angelegt, andere aber basieren auf Nachahmung und wieder andere entstehen durch Interaktion und Kontingenzlernen. Beispielsweise müssen Jungvögel vermutlich den Gesang ihrer Gattung hören (möglicherweise noch im Ei), um ihn als ausgewachsene Vögel korrekt wiedergeben zu können. Es wird eine Art Schema angelegt, das die Jungvögel später nutzen können, um zu überprüfen, ob sie das Lied richtig ausführen (Catchpole & Slater, 1995). Kinder verfügen bei ihrer Geburt über ein elementares Nachahmungsverhalten auf Gesten (z. B. das Ausstrecken der Zunge). Komplexere Nachahmungsprozesse beruhen aber auf dem Prozess des Kontingenzlernens (Ray & Heyes, 2011). Trotzdem ist soziales Lernen nicht nur Nachahmung. Wenn z. B. ein junger Schimpanse einen erwachsenen Artgenossen dabei beobachtet, wie er leckere Ameisen aus einem Baumstamm herauszieht, dann kann sich auch das Jungtier auf den Baumstamm zubewegen und nach Versuch und Irrtum herausfinden, wie es an sein Abendessen herankommt. Die soziale Natur des Menschen bietet viele Gelegenheiten für ein Zusammenspiel sozialer und kultureller Prozesse mit anderen Lernprozessen. Durch Sprache wird diese Art von Zusammenspiel zwischen sozialen und Lernprozessen beim Menschen noch wahrscheinlicher.

1.5.5     Relationales Lernen

Die Fähigkeit, Objekte und Ereignisse miteinander in Verbindung zu bringen, wird durch operantes Lernen erworben und durch soziales Lernen erleichtert. Daher ist es nicht überraschend, dass die meisten Tiere sehr schnell in der Lage sind, Dinge und Ereignisse auf der Grundlage ihrer intrinsischen Merkmale in der natürlichen Umgebung miteinander in Verbindung zu bringen, z. B. ihre relative Größe, Farbe oder Geschwindigkeit (siehe Reese, 1968, für eine frühe Zusammenfassung dieser umfangreichen Literatur). Die moderne Evolutionswissenschaft ist sich ziemlich sicher, dass der Mensch spezialisierte Fertigkeiten entwickelt hat, um Ereignisse symbolisch miteinander in Bezug zu setzen. Sie nimmt an, dass die Unterschiede zwischen Mensch und Tier umso größer werden, je komplexer die betroffenen Beziehungen sind (Penn et al., 2008). Evolutionsforscher stimmen darin überein, dass »implizite Systeme von Beziehungen höherer Ordnung« es Menschen möglich machen, »neue Beziehungen innerhalb dieser Bereiche zu erkennen und zu bewerten« (Penn et al., 2008, p. 118).

Die Evolutionswissenschaft hat bisher weder genauer spezifiziert, woher dieses »implizite System von Beziehungen höherer Ordnung« stammt, noch welche Eigenschaften es besitzt und wie diese reguliert werden. Ein solches Verständnis könnte die Grundlage für eine praktische Anwendung in der Therapie sein. Es geht um die Steuerung des symbolischen Lernens und den Einsatz von Sprachprinzipien, um damit die psychologische Funktionsfähigkeit zu fördern. Dies ist es, was die Relational Frame Theory und dieses Buch anbieten wollen. Der folgende Teil dieses Kapitels wird einen Einblick geben, wie symbolisches relationales Verhalten erlernt wird und wie es zu einem eigenständigen Lernprozess aufsteigt.

1.6       Wie wird Sprache erlernt?

In den letzten zwei Jahrzehnten haben Forscher im Bereich der Relational Frame Theory (RFT) über 150 Studien durchgeführt, in denen die Stadien relationalen Lernens bestätigt werden konnten, die der Sprachentwicklung zugrunde liegen. RFT Forschung ist bekanntermaßen schwer verständlich. Das gilt sogar für jene, die sich sehr dafür interessieren und mit den Begrifflichkeiten und der experimentellen Methodik vertraut sind. Fairerweise sei erwähnt, dass das Testen von Hypothesen der RFT häufig herausfordernde und zeitintensive Vorbereitungen erfordert. Um Hypothesen zu testen, müssen individuelle Lernsituationen erzeugt werden, die die Sprachentwicklung innerhalb des natürlichen Umfeldes des Probanden nachahmen. Der Proband darf die Situationen aber niemals zuvor erlebt haben. Diese Herausforderungen führten zur Entwicklung methodologischer Innovationen und neuartiger Forschungsparadigmen. Hierdurch entstanden praktisch anwendbares Wissen und Anwendungsmöglichkeiten, die alle Facetten des menschlichen Verhaltens berühren. Wir beabsichtigen hier nicht, das Thema RFT Forschung zu vertiefen (dazu siehe Dymond, May, Munnelly & Hoon, 2010 und Dymond & Roche, 2013 für aktuelle Reviews). Gleichzeitig zeigt unsere Erfahrung bei der Ausbildung von Therapeuten in RFT, dass es leichter fällt, die Prinzipien der RFT zu verstehen, wenn ein Einblick darin vorhanden ist, wie Forscher in diesem Bereich ihre Experimente durchführen. An dieser Stelle wollen wir Sie warnen: Die nächsten Seiten sind ein wenig speziell. Wir bitten Sie in aller Bescheidenheit darum, durchzuhalten während wir diese RFT Prinzipien vorstellen. Wir versprechen Ihnen, dass Sie bald für Ihre Mühe belohnt werden!

1.6.1     Kontextuelle Hinweisreize definieren Beziehungen

Wie gelingt der Schritt von der direkten Interaktion mit der Welt zum symbolischen Sprechen und Denken? Es beginnt damit zu erlernen, Dinge, die im Lernumfeld vorhanden sind, miteinander auf eine bestimmte Art und auf der Grundlage von Hinweisreizen, zu verknüpfen. Betrachten Sie das folgende Beispiel: Ein Kleinkind spielt ein pädagogisches Spiel, das darin besteht, dreidimensionale Figuren in dementsprechend geformte und farblich markierte Öffnungen zu stecken, die auf einem Brett angeordnet sind. Das Kind sieht sich das Brett an und erkennt Aussparungen in der Form von Dreiecken, Kreisen und Vierecken. Jedes Loch ist blau, rot oder gelb umrandet. Gleichzeitig liegt ein Haufen Plastikelemente in den Formen von Dreiecken, Kreisen und Vierecken und in den Farben Blau, Rot und Gelb vor seinen Füßen auf dem Boden. Durch Versuch und Irrtum lernt das Kind, die richtige Figur in Abhängigkeit von der Beziehung, die sie zu den Löchern hat, auszusuchen. Beispielsweise versucht es zunächst, ein Dreieck in ein rundes Loch zu stecken. Wenn es feststellt, dass die Ecken des Dreiecks verhindern, dass die Figur in das runde Loch passt, nimmt es eine neue Figur in die Hand und findet heraus, dass das runde Element, das keine Ecken hat, perfekt hineinpasst. Es ist begeistert, wenn die Figur im Loch verschwindet, und fährt damit fort, Figuren verschwinden zu lassen, indem es die Form der Elemente und die Aussparungen der Öffnungen passend miteinander verknüpft.

Nun stellen Sie sich vor, dass die Eltern in der Nähe sind, um zu helfen, während das Kind dabei ist zu lernen, die Objekte in die passenden Öffnungen zu platzieren. Wenn das Kind ein rotes Dreieck in das dreieckige Loch steckt, das rot eingefasst ist, rufen die Eltern: »Hurra!«. Wenn es aber stattdessen ein blaues Dreieck dort hineintut, sagen sie: »Nein, das ist nicht das richtige. Guck mal… welches hat die gleiche Farbe?« Weil das Kind noch nicht über Sprachkompetenzen verfügt, versteht es die verbalen3 Hinweisreize nicht, die die Eltern ihm gerade gaben. Möglicherweise nehmen die Eltern die Hand des kleinen Kindes, führen sie zum roten Dreieck und sagen: »Siehst du, das hat die gleiche Farbe,« und loben es, wenn es die Figur in das richtige Loch steckt. In dieser Situation schaffen die Eltern einen sozialen Kontext, der es dem Kind erlaubt, die Bedeutung eines kontextuellen Hinweisreizes zu erlernen, in diesem Fall das Word »gleich«, das die Art der Beziehung beschreibt, die die Farbe der Figur und die Farbe des Loches haben.

Sobald das kleine Kind gelernt hat, dass das Wort »gleich« eine Beziehung der Äquivalenz zwischen zwei Dingen herstellt, können seine Eltern ihm beibringen, andere Objekte und Ereignisse auf dieselbe Weise in Beziehung zu setzen, z. B. dass »Katze« und das in Fell gehüllte Lebewesen zu seinen Füßen das gleiche sind. Viele kontextuelle Hinweise können dieselbe Art von Beziehung herstellen (z. B. »ist«, »wie«, »ähnlich«, »gleich«). Sie müssen diese Beziehung nicht mit Worten ausdrücken. Beispielsweise kann Gleichheit durch die Anwendung von Symbolen wie »=» oder durch Gesten hergestellt werden, wie wenn man mit dem Zeigefinder auf jemanden zeigt, während der Namen laut ausgesprochen wird.

Dieses Beispiel verdeutlicht, wie Sprache sich zunächst auf der Basis von operantem Erlernen von Beziehungen entwickelt, die von Merkmalen des Lernkontextes bestimmt werden. In diesem Fall beruhte die Beziehung auf intrinsischen Merkmalen – der Form und der Farbe der Figuren und der Löcher. Zu erlernen, intrinsische Beziehungen zu entdecken, ist ein Vorläufer des symbolischen Lernens. Es ist nicht in sich selbst symbolisch und es ist auch keine Fähigkeit, über die nur Menschen verfügen. Säuglinge, Fische oder Tauben können mit Leichtigkeit Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Farben und Formen erlernen, aber sie können keine Werte miteinander vergleichen, die sozial festgelegt werden.

1.6.2     Beziehungen können symbolisch sein

Einmal gelernt, können kontextuelle Hinweisreize, mit deren Hilfe Beziehungen spezifiziert werden, auf jedes Objekt oder Ereignis in unserem Umfeld angewandt werden. Für ein kleines Kind, das noch nicht in der Lage ist, symbolische Beziehungen herzustellen, ähnelt ein Wort, das es hört, den Sternen am Nachthimmel – ohne Beziehung zueinander und frei von Bedeutung und Zweck. Sobald es aber lernt, Dinge als gleich oder bei oder heller als zu bewerten, kann es diese fernen Punkte auf unendlich viele Arten in Beziehung zueinander setzen. »Siehst du diese neun Sterne dort? Das ist das Sternbild Löwe, weil es wie ein Löwe aussieht. Das ist das Sternbild deiner Schwester – sie wurde im August geboren, was sie zu einem Löwen im Horoskop macht.« Wenn jemand dem Kind zeigt, wie die Sterne zu Sternbildern verbunden werden können, ergeben Elemente, die einst isoliert voneinander waren, plötzlich einen Sinn. Wenn das Kind die Sterne dann oft genug als Sternbild betrachtet, wird es schwer, sie so zu sehen wie früher; sie sind nicht mehr unzusammenhängend und ohne Bedeutung. Wenn das Kind 15 Jahre später eine Reise macht, die es weit von seiner Familie fortführt, wird es die neun Sterne betrachten und sich seiner Schwester nahe fühlen. Es könnte sogar lernen, Sternbilder bei der astronomischen Navigation zu nutzen, um dadurch zu klären, wo es sich auf diesem Planeten befindet. Dies entspricht dem Einfluss, den Sprachentwicklung auf symbolisches Lernen besitzt.

Die Relational Frame Theory nennt dieses Verhalten symbolisch, weil relationale kontextuelle Hinweisreize beliebig eingesetzt werden können. Sie gründen auf sozialen Konventionen und sind unabhängig von den intrinsischen Eigenschaften der Dinge, die miteinander in Beziehung gesetzt werden. Wir können morgen gemeinsam entscheiden, dass Apfel jetzt das Wort für Banane ist, und Banane das neue Wort für Apfel. Dies ist damit gemeint, wenn wir sagen, dass relationale Hinweisreize soziale Konventionen sind: Wenn wir alle entscheiden würden, die Benennung von Dingen zu verändern, könnten wir das tun. Wir müssen dazu nur die relationalen Hinweisreize spezifizieren. Was zunächst willkürlich erscheint, wird bald als gültig akzeptiert. Genau dies geschieht, wenn wir uns dazu entscheiden, den Namen eines Konzepts zu verändern, weil er nicht länger angemessen erscheint. Zum Beispiel werden die Länder der Dritten Welt nun Entwicklungsländer genannt, weil man das für respektvoller hält. Das kann sich aber auch wieder ändern. Es dauert eine Weile, unsere Gewohnheiten zu verändern, aber eine simple Veränderung einer sozialen Konvention kann zum Auftreten dieser neuen Bezeichnung führen.

Weiterhin hat diese Fertigkeit den folgenden außergewöhnlichen Vorteil: Der Einsatz sprachlicher Symbole ermöglicht es, letztlich alles in die Gegenwart zu bringen. Und zwar auch dann, wenn es physikalisch gar nicht in der menschlichen Umwelt vorhanden ist. Stellen Sie sich vor, dass das Kind mit seinen Spielsachen spielt. Das rote Dreieck ist unter dem Brett versteckt. Wenn die Eltern das Kind fragen: »Wo ist das rote Dreieck?«, dann wird das Kind, das inzwischen ein rudimentäres Sprachverständnis entwickelt hat, und daher versteht, was diese Worte bedeuten, erkennen, dass das rote Dreieck nicht vorhanden ist. Es wird anfangen, das Dreieck an verborgenen Plätzen zu suchen. In den nächsten Kapiteln werden wir sehen, dass dies ein kraftvolles Werkzeug ist, um Elemente aus dem Leben von Patienten in den Behandlungsraum zu bringen. Das Erfassen und Verändern psychologischer Probleme wird möglich, ohne direkt in das natürliche Umfeld des Patienten eingreifen zu müssen.

1.6.3     Es gibt eine Vielzahl symbolischer Beziehungen