... spürbar anders!? - Christoph Weinmann - E-Book

... spürbar anders!? E-Book

Christoph Weinmann

0,0
19,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Jungen sind wild, laut und stark. Aber sind sie das wirklich? Und sind alle Jungen so? Was ist, wenn ein Junge hochsensibel ist und nicht in dieses Klischee passt? Diesem Themenkomplex geht Christoph Weinmann in seinem Buch "… spürbar anders" nach. Damit besetzt er ein Vakuum. Zwar kommt das Thema Hochsensibilität immer mehr auch im Mainstream an. Aber gerade bei Jungen ist das eher ein vernachlässigtes Thema, zumal bei der Erziehung der Fokus bislang ohnehin nicht auf ihnen lag. Dabei wäre es so wichtig, auch über eine neue männliche Identität zu sprechen. Christoph Weinmann tut das, und er weiß als langjähriger Sozialarbeiter u. a. im Jugendbereich, wovon er spricht. Ein wichtiges Buch, das hilft, alle Facetten von Männlichkeit zu verstehen und damit zukunftsweisend ist.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 263

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Impressum 4

Widmung 5

Vorwort 6

Einleitung 11

Teil eins – Das Kind im Manne 15

Kapitel eins – Vom Säugling zum kleinen Jungen 15

Kapitel zwei – Der Junge auf dem Weg zum Mann 21

Kapitel drei – Von „flüchtigen“ Vätern/Männern 27

Kapitel vier – Mama und die Frauen 31

Kapitel fünf – Papa und die Männer 34

Teil zwei – Jungen und das Weibliche 39

Kapitel sechs – Ur-Vertrauen und Ur-Sehnsucht 39

Kapitel sieben – Hänschen klein 45

Kapitel acht – Mutter-Sohn 50

Kapitel neun – Weiblichkeit-Männlichkeit 53

Kapitel zehn – … und die Mädels? 59

Teil drei – Jungen und das Männliche 62

Kapitel elf – Männliche Rollenklischees 62

Kapitel zwölf – Mein Körper als treuer Gefährte? 66

Kapitel dreizehn – „Indianer“-Schmerzen 70

Kapitel vierzehn – … und bist du nicht willig 77

Kapitel fünfzehn – Wenn ich einmal groß bin … 82

Kapitel sechzehn – Männer-Welten 86

Teil vier – Hochsensibilität 92

Kapitel siebzehn – Was ist hochsensibel? 92

Kapitel achtzehn – Geschichte und Forschung 100

Kapitel neunzehn – Grenz-Bereiche 106

Kapitel zwanzig – Hochsensibel … und jetzt? 109

Teil fünf – Potenzial hochsensibler Männlichkeit 114

Kapitel einundzwanzig – Spurenleser mit feinen Antennen 114

Kapitel zweiundzwanzig – Empfindsam-mitfühlend 118

Kapitel dreiundzwanzig – Soziale Experten 121

Kapitel vierundzwanzig – Siebenschläfer 125

Kapitel fünfundzwanzig – Suche nach Sinn 129

Teil sechs – Widersprüche hochsensibler Männlichkeit 131

Kapitel sechsundzwanzig – Unscheinbar und vergessen 131

Kapitel siebenundzwanzig – Dünnhäutig und verletzlich 136

Kapitel achtundzwanzig – Besonders reizbar 140

Kapitel neunundzwanzig – Spürbar anders 151

Kapitel dreißig – Implosives Pulverfass 155

Kapitel einunddreißig – Emotionale Achterbahn 162

Kapitel zweiunddreißig – Lern-Fabrik Schule 165

Kapitel dreiunddreißig – Bin ich okay? 171

Teil sieben – Herkulesaufgabe der Eltern 174

Kapitel vierunddreißig – Mit liebevoller Grundhaltung 174

Kapitel fünfunddreißig – Elterliche Verantwortung 178

Kapitel sechsunddreißig – Team-Mama-Papa 186

Kapitel siebenunddreißig – Kinder brauchen… 192

Kapitel achtunddreißig – Stolze Eltern 198

Teil acht – Visionäre Blüten sensitiver Männlichkeit 205

Kapitel neununddreißig – Befreundet mit sich selbst 205

Kapitel vierzig – Kluges Herz 210

Kapitel einundvierzig – Souveräner Teamplayer 214

Kapitel zweiundvierzig – Stark im Widerspruch 219

Kapitel dreiundvierzig – Versöhnlicher Konfliktlöser 223

Kapitel vierundvierzig – Männlich-vital 234

Nachwort 239

Dank 241

Literaturempfehlungen zum Thema 242

Über den Autor 243

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2023 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99130-170-7

ISBN e-book: 978-3-99130-171-4

Lektorat: Tobias Keil

Umschlagfoto: Susanna Swart-Haink

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Autorenfoto: Marie Weilacher

www.novumverlag.com

Widmung

Ich widme dieses Buch fünf mir wichtigen Männern und zwei außergewöhnlichen Frauen:

Vergangenem:Wehmütig meinem Vater und meinen beiden Großvätern

Gegenwärtigem: In tiefer Dankbarkeit meiner Seelengefährtin TS und CB

Künftigem: Mit väterlichem Stolz JS und BF

Vorwort

Erst nach mehr als sechs Lebens-Jahrzehnten hat sich mir persönlich das Thema Hochsensibilität eröffnet oder hat es mich gefunden? Und zwar unspektakulär durch eine einfühlsam und offen gestellte Frage einer mir schon lange bekannten Vertrauensperson: „Kann es sein, dass Sie hochsensibel sind?“ Zunächst war ich leicht irritiert durch die scheinbar so simple Frage. Doch nach Erkennen der Ernsthaftigkeit, Tiefe der Hintergründe plus anschließender, stundenlanger Internet-Recherche: Völlig perplex und tief getroffen durch die beinah hundertprozentige Bestätigung konnte ich danach für mich antworten: „Ja, ich bin hochsensibel!“

Und erst sehr viel später, nach Lektüre von fast aller Fachpublikationen und Selbst-Beschreibungen hochsensibler Menschen, hat sich langsam, aber sicher auch eine Erleichterung in mir breitgemacht. Dazu kam die befreiende Erkenntnis: Die bislang verborgene, ganz und gar unbewusste Veranlagung bedeutet nicht nur Fluch und Bürde, sondern gleichzeitig auch Segen und „Geschenk“. Nicht von ungefähr kam diese entscheidende Frage, die mir viele Türen geöffnet hat, von einer ausgesprochen empathischen Person: Sie konnte mir nicht nur aufgrund ihrer Menschenkenntnis und Profession diese einfache Frage stellen, sondern weil sie sich auch selbst als hochsensibles Wesen erlebt. Heute kann ich dieser Selbsterkenntnis „Ja, ich bin hochsensibel!“ mit voller Überzeugung den kleinen Zusatz anfügen: „… und das ist auch gut so!“

Seither erscheint mir mit dem „Blick durch die hochsensible Brille“ tatsächlich vieles klarer, logischer und verständlicher. Nicht nur meine eigene Biografie bekam eine neue Bewertung und Belichtung, mit besonderen, anderen Schattierungen. Kurzzeitig verspürte ich den Impuls, das Bedürfnis, meine Geschichte ganz und gar umschreiben zu müssen. Auch mein Blick auf einzelne Menschen, auf die unterschiedlichen, persönlichen oder beruflichen Lebenssituationen, auf mein all-tägliches Tun und sogar mein Blick aufs Große und Ganze veränderten sich damit von Grund auf.

Die näher rückende Beendigung meiner offiziellen Berufstätigkeit und der Eintritt in die Altersrente haben mich dann ermutigt, aktiv zu werden und mich genau diesem Thema intensiver zu widmen. Mit dem Hintergrund meiner vielfältigen beruflichen Erfahrungen im Bereich Kinderschutz gründete ich 2018 Grashalm, meine Praxis für Coaching bei Hochsensibilität. Dies auch mit der Hoffnung verknüpft, das Thema mehr in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen und Erwachsene und Kinder im Umgang mit ihrer ausgeprägten Sensibilität begleiten und unterstützen zu können.

In den persönlichen Gesprächen, den vielen Coaching-Gesprächen und Workshops an Volkshochschulen und Familienbildungsstätten, die ich seither durchgeführt habe, erfahre ich das Thema nochmals in einer großen Vielfalt, ebenso die sehr persönlichen Vor- und Nachteile, die mit der Hochsensibilität verbunden sind. Im direkten Kontakt und Austausch mit hunderten hochsensiblen Frauen und Männern, Müttern und Vätern hochsensibler Kinder und vielen Jugendlichen habe ich erkannt: Das ist genau das Thema, das auf mich gewartet hat.

Die geschilderten Erfahrungen der Frauen, Männer, Jungen und Mädchen lassen mich immer wieder zugleich erstaunt, nachdenklich und inspiriert zurück. Selbst Ältere, während des Krieges geboren, setzen sich offen mit ihrer ganz persönlichen Empfindsamkeit auseinander. So zum Beispiel eine Frau, die ihre zeitlebens auffällige Schreckhaftigkeit bei stark sirenenartigen Tönen mit ihrer persönlichen Geschichte erklärt. Sie hatte als Kind häufig Fliegeralarme miterlebt und möglicherweise haben sich durch ihre Hochsensibilität tatsächlich solche einschneidenden Kriegserfahrungen „traumatischer“ nachhaltig ausgewirkt. Eine andere Frau, weit im Rentenalter, benannte in einer großen Vortragsrunde freimütig und öffentlich: „Hochsensibilität ist für mich heute ein Geschenk!“

Besonders beeindruckt haben mich aber auch immer wieder Eltern, überaus engagierte optimistische, aber auch verzweifelte und überforderte Mütter und Väter, die zum Teil schon lang um die besondere Empfindsamkeit ihrer Kinder wissen. Das sind Eltern, die in ihren eigenen Familien und dann in Kindertageseinrichtungen sowie Schulen sehr häufig auf verblüffende Unkenntnis und mangelndes Verständnis stoßen, womit sie schwer zu kämpfen haben.

Aufgrund all dieser Erfahrungen beschäftigen mich deshalb folgende Fragestellungen, die zu diesem Buch ausschlaggebend waren:

Was sind die spezifischen Potenziale, was die besonderen Herausforderungen hochsensibler Männer und Jungen und deren Eltern?Verschiedene Untersuchungen belegen, dass etwa 15 % der Menschen1 hochsensibel veranlagt sind, unabhängig von Alter, Geschlecht, Ethnie oder Kultur. Frage: Wo sind all die hochsensiblen Männer und Väter?Was braucht es, um all die privaten und professionellen Begleitpersonen hochsensibler Jungen (und Mädchen in der Familie, in der Tagesbetreuung, in der Schule, in der Pädagogik und Medizin) für die kindliche Sensitivität und ihre spezifischen Besonderheiten sensibilisieren zu können?Wie kann das System Schule dem Thema wirklich angemessen und gerecht werden?Und nicht zuletzt: Wo und wie wird der geschlechts-spezifische Diskurs über das Zusammenspiel von Hochsensibilität und Männlichkeit geführt?

Die Motivation, dieses Buch zu schreiben, ist in erster Linie auch eine Herzens-Angelegenheit von mir und offensichtlich auch ein Stück persönlicher Pionier-Arbeit. Wie es mir scheint, ist sowohl in der privaten als auch in der öffentlichen Auseinandersetzung die spezielle Kombination menschliche Sensitivität und männliche Identitätsentwicklung nicht gerade ein besonders beachtetes bzw. viel beschriebenes Phänomen.

Darüber hinaus ist es für mich auch eine Art Versöhnungsarbeit: mit meiner eigenen Geschichte, mit meiner lebenslangen, zuweilen scheinbar vergeblichen, Suche nach dem Bild von Mann, dem ich entsprechen wollte, oder sollte. Meine Suche nach der individuellen Männlichkeit, die meinem Wesen, meinem Naturell am besten entspricht. Gerade beim Auseinanderklaffen zwischen dem Selbstbild als Mann und den Erwartungen von außen, wie Männlichkeit zu sein hat, entsteht dieses ganz persönliche Thema, auf das wir hier immer wieder zurückkommen werden.

Hierbei geht es für mich, vielleicht ja auch meinen Lesern und Leserinnen, immer wieder auch um den Blick zurück, auf den eigenen, leibhaftigen Vater und wiederum auf dessen Vater. Sowie der Blick nach vorne: auf die eigenen Söhne, deren Altersgenossen und dann wiederum deren Söhne und Töchter.

Daraus resultiert dann die nicht zu vernachlässigende große Frage für mich: Was brauchen kleine wie große Jungs – von Müttern und Frauen? Und vor allem an dieser Stelle: Was brauchen Jungen von den Vätern und Männern, damit sie eine ganz natürliche, gesunde und normale Männlichkeit entwickeln können?

Eine Männlichkeit, die sich weder als behindernd noch destruktiv erweist, sondern sich in all ihrer Natürlichkeit, Vitalität und Lebendigkeit zeigt und auswirkt? Eine Männlichkeit, die im wohlmeinenden, liebevollen Dialog mit sich selbst und anderen Männern/Frauen produktive, bereichernde und letztendlich erfüllende Beziehungs-/und Lebenserfahrungen möglich werden lässt?

1 Zitiert nach Elaine N. Aron, Arthur Aron: Sensory-processing sensitivity and its relation to introversion and emotionality. In: Journal of Personality and Social Psychology. Band 73, Nr. 2, 1997, S. 364 und Adrian Ritter: Mit feinem Gespür. In: Schweizerische Ärztezeitung. Band 98, Nr. 5152, 20. Dez. 2017, S. 1750

Einleitung

Zu Beginn begeben wir uns auf die Suche nach dem Kind im Mann, wie es so schön heißt, wenn ein reifer Mann sich kindlich-spielerisch zeigt, sowie nach männlichen Modellen. Dabei werden sowohl vorgeburtliche Aspekte berücksichtigt, die kindliche Sprachentwicklung sowie Themen, die schon für ein Baby männlichen Geschlechts bedeutsam sind. Gleichfalls werden die immense und auch lebenslange Bedeutsamkeit und Prägung mütterlicher wie väterlicher Präsenz, Aufmerksamkeit und Pflege hervorgehoben.

Im Anschluss wird das spezifisch Weibliche und ihre Bedeutung für die Entwicklung zum Mann-Sein erörtert. Dabei geht es nicht nur um die weiblichen Aspekte der eigenen Mutter, sondern auch aller anderen weiblichen Bezugspersonen. Dabei bekommen die Intensität und Qualität der immer einzigartigen Mutter-Sohn-Bindung besondere Aufmerksamkeit. Dies, zumal sie erfahrungsgemäß lebenslang ein wichtiges Thema der Männer bleiben wird, und zwar sowohl im positiven wie negativen Sinne.

Im dritten Teil geht es um die allgemein gültigen Mythen und die starren Rollen- und Leitbilder von Männlichkeit, wie sie sowohl persönlich-privat als auch öffentlich vertreten werden und wirksam sind. Der männliche Körper mit all seinen Facetten weist uns immer wieder darauf hin, was sich gut anfühlt und wo etwas schiefläuft. Besonders auffällig hierbei ist, dass Jungen bei fast allen Kinderkrankheiten deutlich überrepräsentiert sind, was für sich bereits eine eindeutige, klare Sprache spricht. Die Frage, an welchen männlichen Prinzipien und Realitäten sich jeder Junge im Laufe seiner Kindheit und Jugend orientiert und ausrichtet, ist nicht nur Zufall und festgeschrieben, sondern durchaus positiv zu beeinflussen. Es wird schon hier mehr als deutlich, dass die Präsenz väterlicher bzw. männlicher Bezugspersonen für jeden Jungen absolute Grundvoraussetzung dafür ist, für sich ein stabiles und vor allem gesundes männliches Selbstbild entwickeln zu können.

Der nächste Abschnitt behandelt zunächst das Phänomen der Hochsensibilität im Allgemeinen, welche wissenschaftlichen Disziplinen sich damit beschäftigen sowie ihre typischen Merkmale und die sehr spezifischen damit verknüpften Vor- und Nachteile.

Im ersten Hauptteil wird versucht, das gesamte Potenzial sensibler Männlichkeit verschiedener Ebenen aufzufächern. Es werden die unterschiedlichen Stärken und Vorzüge der Hochsensibilität beschrieben, um damit auch die ganze Bandbreite, Faszination und Begeisterung, die in diesen Menschen steckt, besser verstehen zu können. Im Anschluss daran wird mit einer Vielzahl praktischer Beispiele die ganze Palette konkreter Handicaps, Widersprüche und spezieller Schwierigkeiten hochsensibler Jungen und Männer aufgezeigt. Gleichfalls wird erörtert, wie sie damit konstruktiv umgehen und zurechtkommen können.

Anschließend werden die vielfältigen Aufgaben des Mutter- und Vater-Seins erörtert, um vor allem die tatsächliche Herkulesaufgabe aller Eltern anzuerkennen und zu würdigen. Es soll gerade angesichts all der schwierigen Herausforderungen allen Eltern Inspiration, Vertrauen und Geduld vermitteln, sich den vielfältigen Situationen und Verantwortlichkeiten mutig zu stellen. Ausgehend von einer förderlichen liebevollen Grundhaltung werden verschiedene Aspekte der Elternschaft besprochen und wie Mütter und Väter, eben auch als „Eltern-Team“, das Wohlergehen ihrer Kinder zufriedenstellend gestalten und fördern können. Es wird gefragt, was hilft konkret hochsensiblen Kinder und ihren Geschwistern. Nicht zuletzt: Welche praktischen Strategien können Eltern darin unterstützen, um konfliktreiche Situationen und Probleme gut zu meistern. Und um an den großen und kleinen Herausforderungen gemeinsam zu wachsen und gestärkt daraus hervorzugehen.

Im letzten Teil werden konkrete Eigenschaften und Merkmale einer sensibel geprägten Männlichkeit ausgeführt und behandelt. Es wird versucht, ein Mann-Sein zu beschreiben, wie ein gelingendes Leben im eigenen männlichen Jetzt und Hier gestaltet werden kann. Darüber hinaus werden auch konkret praktische Ansätze von „Männer-Bildern“ beschrieben, als realistische Möglichkeiten, die sich alles andere als nur utopisch, idealistisch oder fantastisch anmuten.

Meine „visionären Blüten sensitiver Männlichkeit“ sind der Versuch, Optionen aufzuzeigen, die Hoffnung, Mut und Inspiration erwecken. Selbst wenn sich bestimmte Ideen, Konzepte zunächst noch als fremd, kühn oder traumhaft anhören, ist es doch möglich an ihre künftige Verwirklichung zu glauben und an ihrer Intention und Gestaltungskraft festzuhalten. Konkret greifbare Visionen sind im Persönlichen wie im Gesellschaftlichen absolut wesentlich und essenziell, weil wir unsere wichtigen Lebens-Entscheidungen immer auch – bewusst oder unbewusst – an ihnen ausrichten.

Nicht zuletzt möchte ich aufzeigen und begründen, dass es sich auf jeden Fall lohnt, gerade auch den Abgründen menschlicher und gesellschaftlicher Natur mutig zu begegnen und ihnen eine aktive, lebensbejahende Haltung verbunden mit gesunden Handlungsoptionen entgegenzusetzen.

So verstehe ich meine hier vorgestellte Vision als bescheidenen Beitrag für eine Praxis im privaten Alltag, beim sozialen Miteinander und in einer Welt, die sich freundlicher und friedlicher gestalten lässt.

In der hier vorliegenden Diskussion sind unverkennbar auch sehr persönliche Erlebnisse enthalten. Ebenso sind meine vielfältigen beruflichen Praxis-Erfahrungen im persönlichen Kontakt mit unzähligen Jungen und Mädchen, Kindern und Jugendlichen, Müttern und Vätern, Männern und Frauen eingeflossen. Meine lebenslange, reiche Lektüre an Printmedien, wie Literatur, Belletristik und Fachpublikationen, ist dabei quasi der theoretische Hintergrund meiner Überlegungen und Ausführungen.

Selbstverständlich sind alle konkreten Praxisbeispiele vollkommen authentisch und real. Sie sind ausschließlich direkt mit-/erlebten oder vertrauensvoll geschilderten Situationen entnommen. Die Namen und die Familienkonstellation wurden jedoch jeweils insoweit anonymisiert, dass die Beteiligten ausreichend geschützt sind. Alles sind beispielhafte Situationen, die sich so oder ähnlich täglich wiederfinden.

Teil eins – Das Kind im Manne

Kapitel eins – Vom Säugling zum kleinen Jungen

Das Erste, was die Eltern nach der Geburt bewegt: Junge oder Mädchen? Gesund? Der kleine Unterschied im Geschlecht wird sehr wohl sekundenschnell wahrgenommen und ist ja nicht von ungefähr außerordentlich bedeutsam für die nächsten Jahre, fürs ganze Leben.

Die ersten staunenden Besucherblicke in die Wiege sind oft verbunden mit der entscheidenden Frage: Junge oder Mädchen? Schon zu Beginn werden riesengroße Erwartungen (nicht nur von den Eltern und Großeltern) entweder ganz und gar erfüllt oder zutiefst enttäuscht: „nur“ ein Mädchen/Junge!

In den ersten Wochen und Monaten stehen naturgemäß die körperliche Versorgung und Pflege ganz im Vordergrund. Mit der zunehmenden Sprachentwicklung des Kindes wird die Kommunikation mit den Bezugspersonen jedoch ständig ausgeweitet und auch die individuelle Entwicklung des Kindes mit angeregt und unterstützt.

Der Erwerb der eigenen Sprache und damit der Fähigkeit, sich mitteilen und verständigen zu können, ist eine hochkomplexe Angelegenheit und beginnt schon eine Woche nach der Befruchtung: Zu diesem Zeitpunkt bilden sich erste Ansätze der Ohren. Und bereits nach knapp weiteren fünf Monaten sind die Ohren des Fötus vollständig ausgebildet!

Der Neugeborene ist somit bereits in der Lage, die vielen Personen zu unterscheiden und die Stimme seiner Mutter zu erkennen. Vertraut und erkennbar sind bereits die Muttersprache an sich, die Stimmen der Personen, die während der Schwangerschaft häufig anwesend waren. Ebenso werden die Geschichten, Töne und Melodien, die in der vorgeburtlichen Zeit gehört wurden, als vertraut und damit leichter wahrgenommen.

Die Basis der eigentlichen Sprachentwicklung wird bereits als Neugeborenes gelegt: Mit erstaunten Augen registriert das Baby die Geräusche, Laute und Stimmen in seiner Nähe, besonders wenn sie ihm gelten. Wohlsein oder Unbehagen drückt es meist sehr deutlich aus mit entsprechendem Lachen, Lächeln, Glucksen, Gurgeln oder auch mit Weinen, Quengeln und Schreien. In den ersten beiden Lebensmonaten verfeinern sich das Gehör und die gesamte Hörfähigkeit für verschiedenartige Klänge und Lautstärken. Zwischen dem zweiten und vierten Lebensmonat sind dann immer häufiger Laute, Vokale und Silben als Ausdruck von persönlichem Befinden und Bedürfnis zu hören. Immer öfter werden jetzt spezielle Mimik, Gestik und Gebärden erkannt und vermehrt differenziert.

Vom 5. bis zum 9. Lebensmonat sind erste Wortbildungen, sogenanntes kanonisches Lallen, möglich. Das bedeutet, dass Silben verdoppelt, aneinandergereiht und ausgesprochen werden. Wie z. B. der Klassiker von meinem eigenen Sohn: Sein erstes gesprochenes Wort war „MAPA“, die phänomenale Kombination von Mama und Papa – zur großen gemeinsamen Freude des Jungen und seiner Eltern.

Anfang des zweiten Lebensjahres werden vermehrt situationsbezogene Wörter kreiert, z. B. bezogen auf das tägliche Essen und Trinken. Irgendwann wird dann die 50-Wortmarke erreicht, im dritten Jahr folgen vollständige, zunehmend verständliche, sinnvolle ganze Sätze. Spätestens ab dem Kindergartenalter wird die extern erworbene Sprache immer mehr verinnerlicht und damit auch das besondere Medium des stillen Denkens mit sich selbst. Somit ist auch die Grundlage geschaffen, immer häufiger das wichtigste Hilfsmittel zur Bewältigung bestimmter Situationen nutzen zu können. Die Sprache als Grundvoraussetzung in der Verständigung und Auseinandersetzung mit den Bezugspersonen. Die Muttersprache ist folglich die notwendige Verbindung und Brücke zu anderen Menschen in die Welt schlechthin. Die Sprache ist die Grundbedingung dafür, innere Denk- und Entwicklungsprozesse auszulösen und zu bewältigen, überhaupt einen inneren Dialog führen zu können um letztlich auch um mit anderen Menschen in Kontakt treten sowie in diesen Kontakten zu reifen.

Ob das Neugeborene ein Wunschkind oder vielleicht ein ganz und gar unerwünschtes, ungewolltes Kind ist, wird maßgeblich darüber mitentscheiden, wie sich der neue Erdenbürger hier willkommen fühlt oder eben nicht. Nicht zuletzt ist das biologische Geschlecht mitentscheidend dafür, welche Aufmerksamkeit und Zuwendung das Kind erfährt. Schon die Antwort auf die Frage, welche Farbe sollen der Strampler (blau oder rosa), die Bettwäsche, der Kinderwagen haben, welches Geschenk passt für den Säugling, wird gewollt oder ungewollt nicht zuletzt am Genus festgemacht. Dem Jungen eine Puppe zu schenken, dem Mädchen ein Auto, dürfte eher die absolute Ausnahme sein.

Die Geschlechtererziehung hat naheliegend ihren Ursprung in dem, was uns die Wiege gelegt wurde. Niemand kann sich völlig freimachen von den unzähligen Bildern und Erwartungen, die an ein Baby herangetragen werden, die genetisch entweder ein X- und ein Y-Chromosom (als Junge) oder zwei X-Chromosomen (als Mädchen) in sich tragen. Vermutlich eher sehr selten sehen wir einen Menschen vollkommen geschlechtsneutral und somit aus einer ausschließlich humanen Perspektive.

Und so erfahren wir von der ersten Lebenssekunde unter anderem männlich oder weiblich geprägte, geschlechtsspezifische Zuschreibungen, Einschätzungen mit Äußerungen, Handlungen und Materialien. Ob bewusst oder unbewusst, niemand kann sich davon vollkommen freimachen.

Von einem wertneutralen Standpunkt aus betrachtet, ist diese Tatsache ja noch völlig unproblematisch. Dass aus einem männlichen Baby ein kräftiger Junge und später ein selbstbewusster Mann werden soll, ist ja völlig natürlich und auch selbstverständlich.

Aber was wird, wenn die Tochter „eigentlich“ ein Junge sein sollte und sie sich später zusehends ein maskulines Erscheinungsbild zulegt? Und das vielleicht „nur“, um die verdeckte Enttäuschung des Vaters bzw. der Mutter abzumildern? Und was wird aus dem Sohn, der unter allen Umständen eine Tochter sein sollte? Wird er je zu seiner männlichen Vitalität finden können, ganz unabhängig von seiner natürlichen Physis und den einschränkenden elterlichen Erwartungshaltungen?

Es spielt sicher eine entscheidende Rolle, in welcher Form und von wem allgemeingültige gesellschaftliche Erwartungshaltungen an stereotypen und damit starren Gesetzen geäußert werden. Nehmen wir z. B. den absoluten Klassiker: Männer weinen nicht! Interessant ist zumindest, dass ein ähnlicher Spruch für Mädchen und Frauen nicht existiert.

Diesen bedeutsamen Ausspruch werden in der Regel viele Jungen schon sehr früh, vor allem von Frauen, gehört und internalisiert haben. Allein aufgrund der Tatsache, dass Jungs in den ersten zehn Lebensjahren (in der Familie, Kindertagesbetreuung, und meist auch noch in den ersten vier Grundschuljahren) fast ausschließlich Frauen als Autoritätspersonen um sich haben. Das strikte Tränentabu vermitteln selbstverständlich nicht zuletzt vor allem auch die gleichaltrigen oder älteren Geschlechtsgenossen. Wird es jedoch zusätzlich auch vom eigenen Vater, dem Stief-/Groß-/oder Ersatzvater vermittelt und vorgelebt, zeigt es nochmals eine deutlich stärkere Wirkung.

Ein weiterer Aspekt und Einflussfaktor für die eigene Geschlechtsidentität ist die Position in der Geschwisterreihe bzw. oder ob der Junge als Einzelkind aufwächst. So können wir eher davon ausgehen, dass ein Einzelkind von Mutter und Vater verwöhnt worden ist. Mit jedem weiteren Geschwister hingegen tritt der Junge in Konkurrenz darum, wer mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung der Eltern bekommt. Jeder Bruder oder jede Schwester besetzt einen bestimmten Platz in der Familienhierarchie. Sind schon verschiedene Plätze belegt, muss ich als erstgeborenes, sogenanntes Sandwich-Kind oder als Jüngstes, als Nesthäkchen, meinen ganz persönlichen Platz in der Familie finden.

Dass die Familienkonstellation und die Position in der Rangfolge der Geschwister, in die ich hineingeboren werde, starken Einfluss auf meine gesamte Entwicklung nehmen werden, ist unbestritten. So wird ein Junge mit zwei, drei oder vier älteren Schwestern vermutlich ein anderes Frauen-/Männerbild in sich entwickeln als ein Ältester mit mehreren jüngeren Schwestern.

Vielfältige Untersuchungen bestätigen, dass die Geschwisterkonstellation nicht nur die eigene Persönlichkeit stark beeinflusst, sondern auch die spätere Beziehungsdynamik zwischen erwachsenen Partnern. Wer mit wem eher harmoniert oder eher nicht, hängt unter anderem auch von der Geschwister-Position ab, in der jeder aufgewachsen ist. Ein Elternpaar harmoniert zum Beispiel im Allgemeinen gut, wenn der Vater in seiner Herkunftsfamilie als der Älteste von jüngeren Brüdern aufgewachsen ist, die Mutter hingegen als Jüngste mit älteren Brüdern.2

Zu guter Letzt wird bei der Frage, welches Bild der Junge von sich in den ersten Lebensjahren entwickelt, auch davon abhängen, wer wie und in welchem Ausmaß ihn überwiegend versorgt, pflegt und betreut. Die aktuelle Realität sieht dann doch meist so aus, dass Jungen überwiegend von Frauen betreut und versorgt werden. Väter und Männer zieht es in der Regel nicht in den schweren Job mit den vielfältigen Herausforderungen der täglichen Kinderversorgung.

Seit 2007 haben sich familienpolitisch in Deutschland mit dem BEEG (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) viele alternative Wege eröffnet. Doch die traditionelle, jahrhundertelang praktizierte männlich-weibliche Arbeitsteilung lässt sich nicht so einfach verändern. Entsprechende Statistiken belegen sehr klar, dass nur ein geringer Anteil berufstätiger Väter Erziehungszeit in Anspruch nimmt. Meist werden die ersten beiden Pflichtmonate gewählt statt der möglichen zwölf Monate, um einen eigenen, aktiven Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung im Alltag des Juniors beizusteuern. Männer werden oftmals besser bezahlt, so dass sich einfach die ökonomische Notwendigkeit ergibt, dass er wieder arbeiten geht: „Vom Ideal der elterlichen Gleichberechtigung sind wir weit entfernt!“3

Kapitel zwei – Der Junge auf dem Weg zum Mann

Alle großen Leute sind einmal Kinder gewesen

(aber wenige erinnern sich daran).

Antoine de Saint-Exupéry

Die Gesamtheit der Persönlichkeitsentwicklung wird unter dem Begriff Sozialisation beschrieben. Sie umfasst all die Einflüsse der Genetik, der Erziehung und der persönlichen Umwelt. Sie ist der gesamte Prozess und das Endprodukt einer vielschichtigen und komplexen persönlichen Geschichte einer Reifung, die jedoch nie endgültig abgeschlossen sein wird. Am Lebensanfang des Säuglings steht vor allem das körperliche Erbgut, mit all der genetisch festgelegten Veranlagung und Konstitution. Tagtäglich werden Erfahrungen gemacht, letztendlich mit dem Ziel der natürlichen Eingewöhnung und Internalisierung gültiger sozialer, kultureller Normen und Werte. Nicht zuletzt wird dieser Integrationsprozess sehr stark geprägt durch das biologische Geschlecht, den damit einhergehenden und fest verknüpften Rollenvorgaben.

Der Soziologe Niklas Luhmann hat vor etwa 40 Jahren die grundlegende Theorie von sozialen Systemen4 geprägt, dass die Welt aus sich selbst erschaffenden und selbsterhaltenden sog. autopoietischen Systemen5 besteht. Allein der menschliche Körper bietet hier reichlich Anschauungsmaterial: Organe, Muskeln, Kreislauf sind jeweils ein eigenes, in sich geschlossenes System und bilden im Zusammenwirken das maximal individuelle System Mensch. Somit sind wir beim nächsten für uns relevanten System: der Familie. In den letzten Jahrzehnten hat sich vor allem in Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit und der Familientherapie das sog. systemische Denken etabliert und bewährt. Aufgrund der sehr spezifischen Wirkungslogiken kann somit jede einzigartige Familienkonstellation mithilfe übergeordneter Prinzipien im Dialog mit den Beteiligten verstanden und ggf. auch hilfreich unterstützt werden.

Hier zur Verdeutlichung nur einige Aspekte der – hochkomplexen – Familiendynamik, jeweils mit konkret praktischem Bezug:

Entwicklung von zeitlebens wirksamen Bindungsmuster (sicher, unsicher oder chaotisch).Permanenter Austausch aller Beteiligten (Kommunikation mit und ohne Worte, über Verhalten, von Erwartungen und Bedürfnissen).Unbewusstes Streben aller Beteiligten nach Gleichgewicht von Wohlbefinden und Unwohlsein (Kinder spüren das Unwohlsein der Eltern und versuchen dies auszugleichen).Herausbildung der individuellen Identität als Junge/junger Mann (u. a. mittels des Verhaltens der Eltern, ihrer Interaktionen sowie direkter und indirekter Vermittlung von geschlechtsspezifischen Prämissen durch den Vater und die Mutter).

Man spricht von sehr spezifischer Dynamik zwischen den Familienmitgliedern, in erster Linie von der Eltern-Kind-Beziehung, der sogenannten Triade. Wir alle werden in die Triade Mutter-Vater-Kind hineingeboren. Geschwister, Stief-/Patchwork-Familien, Großeltern kommen ja noch zusätzlich dazu. In diesem absolut einmaligen Dreieck von Mutter-Vater-Kind lernt jedes Kind über all die Jahre die essenziellen Grundmodelle für die Balance von Denken, Sprechen, Handeln und Fühlen. In ihr werden Normen und Werte vorgelebt und vermittelt, die bedeutsam sind für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung. Und nicht zuletzt wird hier auch die Basis der persönlichen geschlechtlichen Identität als Mann oder Frau gelegt. In dieser lebenslang wirksamen Dynamik werden notwendige, aber auch hochambivalente Erfahrungen gemacht wie: Nähe und Distanz, Freiheit und gebunden sein, Loyalität und Treue, Neid und Konkurrenz. Von dysfunktionalen Triaden sprechen wir, wenn Kinder für ihre Eltern übermäßig sorgen müssen, sich zwei gegen den dritten verbinden (als Koalition oder als symbiotisches Muster –, z. B. in einer hochstrittigen Scheidungs-/Trennungssituation), wenn die gesunde Hierarchie der Generationsgrenzen verletzt wird (Vater missbraucht die Tochter/Mutter benutzt Sohn als Beichtvater oder Ersatzpartner). Bedürfnisse und Verantwortlichkeiten der Eltern bedürfen einer klaren Abgrenzung von den kindlichen Bedürfnissen und Verletzlichkeiten. Das Kind verinnerlicht bewusst und unbewusst seine Beziehungserfahrungen zu den beiden Bezugspersonen, aber auch deren Interaktionen und Beziehungsgestaltung. Es merkt, wie oft beide Eltern allein oder gemeinsam präsent sind, wie liebevoll sie miteinander umgehen oder wie häufig sie sich uneins sind?

Gerade die Theorie und Praxis der Familientherapie bestätigen den erheblichen Einfluss gelungener oder misslungener Beziehungserfahrungen in der Herkunftsfamilie. Familie wird hierbei als ein eigenes System, einem Mobile ähnlich, mit hochkomplexen Beziehungsstrukturen verstanden. Zentral hierbei sind gewisse Grundannahmen wie z. B.: individuelles Verhalten oder persönliche Entwicklung ist immer nur prozesshaft zu verstehen; vielfältige Ursachen sind im Hintergrund zusammen wirksam und niemals monokausal erklärbar. Ebenso ist davon auszugehen, dass z. B. krankhafte Entwicklungen (wie Schizophreniesymptomatik) durch paradoxe Kommunikationsmuster in der Familie zu verstehen und zu erklären sind und somit veränderbar werden.

Die von John Bowlby6 begründete Bindungstheorie belegt die systemischen Sicht- und Erklärungsansätze von kindlichem bzw. jugendlichem Erleben und Verhalten. Besonders im Zusammenhang mit den positiven, wie negativen Beziehungserfahrungen in der Ursprungs- und Herkunftsfamilie sind gesunde wie krankhafte Auffälligkeiten in der Persönlichkeitsentwicklung zu sehen. Mit der Differenzierung von sicheren und unsicheren Bindungserfahrungen sowie ambivalent-vermeidenden, chaotischen bzw. destruktiven Bindungsmustern zu den Hauptbezugspersonen werden die elementaren Erfahrungen des Ur-Vertrauens oder Misstrauens in sich und die Welt erklärt und beschrieben.

Im Kleinkindalter kommen dann ab dem ersten/zweiten Lebensjahr, je nach Berufstätigkeit der Eltern, Unterbringungen in der Kindertagesbetreuung in Betracht. Spätestens im dritten und vierten Lebensjahr besuchen dann Kinder in der Regel stundenweise eine Kindertageseinrichtung. Dies bedeutet auch eine Erweiterung der sozialen Bezüge und Erfahrungen, dem Öffentlich-Werden von bis dahin ausschließlich private Lebensverhältnisse. Dem Aspekt der damit verbundenen sozialen Kontrolle als gesamtstaatliche Verantwortung im Bereich Kinderschutz kann jedoch eine Berechtigung nicht abgesprochen werden. Bei möglichen Kindeswohlgefährdungen im familiären Umfeld ist die Erweiterung der sozialen Bezugssysteme somit nicht nur ein mögliches Eingreifen in die Privatsphäre, sondern kann durchaus auch als große Chance zur Initiierung notwendiger Hilfen und unterstützender Maßnahmen für die gesamte Familie gesehen werden.

Die nächste entscheidende Ebene der Sozialisierung, die außerfamiliär wirksam wird, ist der Besuch der Grundschule und später der weiterführenden Schulen, in Deutschland obligatorisch durch die gesetzlich verankerte Schulpflicht. Wie heißt es so vielverheißend: Jetzt beginnt der Ernst des Lebens! Welch prägenden Einfluss diese schier unendlich lange Präsenzzeit im Lebensfeld Schule hat – in der Regel zwischen neun und dreizehn Jahren –, wird im Kapitel 32 eingehender beschrieben. Jungs werden aber nicht erst mit der Einschulung ihre ganz einzigartige Männlichkeit entwickeln und ausformen. Schon sehr viel früher beeinflussen vielfältige Faktoren im Allgemeinen die psychosoziale menschliche Entwicklung und im Besonderen die eigene geschlechtliche Identität.

Im Anschluss daran erfolgt meist die berufliche Orientierung mit einer Berufsausbildung oder einem Studium. Wird dann eher ein männliches Berufsfeld (wie Technik oder Ingenieurwissenschaften) oder ein vermeintlich weibliches Berufsfeld (Pflege, Gesundheit oder Sozialwissenschaften) gewählt? Die Berufsfindung und Planung der eigenen beruflichen Karriere wird für jeden jungen Mann eine zentrale Rolle in seiner Lebensgestaltung spielen. Fragt man kleine und große Jungs ernsthaft: „Was willst du einmal werden?“, hört man in der Regel dann ausgesprochen angesehene, typisch männliche und nicht zuletzt vielversprechend lukrative Berufe: Pilot, Arzt, Rechtsanwalt, Lehrer, Ingenieur oder Handwerker …

Der persönlich erfolgreiche Lebensplan hängt vor allem für Männer direkt und ohne Zweifel mit dem Erreichen der potenziellen und angestrebten Karrierestufen zusammen. Der männliche Selbstwert wird unmittelbar durch den Erfolg bzw. Misserfolg im Beruflichen gespeist und gemessen. Eine weitere, nicht minder wichtige Ebene auf dem Weg zum Mann wird die Gestaltung persönlicher Beziehungen, Kontakte und Freundschaften einnehmen. Folgende Fragestellung sind bewusst oder unbewusst im Hintergrund bedeutsam: Suche ich eine feste Beziehung/Partnerschaft? Werde und möchte ich mich an eine Person wirklich fest binden (ob durch das formelle Eheversprechen oder auch in einer informellen Lebensgemeinschaft)? Beabsichtige und plane ich längerfristig, eine Familie mit Kindern zu gründen? Suche ich mir dann eher eine selbstbewusste Frau, eine herausfordernde, provokante oder eher eine angepasste? Auf dem Weg vom Jungen zum erwachsenen Mann spielen somit vielfältige Einflussfaktoren, Begegnungen und Erfahrungen eine Rolle, ob er sich als Erwachsener wohl und zufrieden fühlt in seinem männlichen Körper. Einige Aspekte sind vollkommen natürlich und vorgegeben, viele jedoch sind durchaus beeinflussbar und keinesfalls alternativlos.

Kapitel drei – Von „flüchtigen“ Vätern/Männern

Etwa zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges spricht die Psychoanalyse erstmals von einer vaterlosen Gesellschaft7. Diese provokant anmutende These kann jedoch nahezu mühelos heute noch übernommen werden.

Die Generation meines Vaters kehrte, wenn überhaupt, aus dem Zweiten Weltkrieg nicht selten mehr oder minder traumatisiert zurück. Deren Väter wiederum (unsere Großväter) waren ja meist, wenn schon keine wirklichen Helden, so doch ebenfalls: Heimkehrer und Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg.

Die literarischen Versuche, dieses Dilemma der unzähligen Kriegs-/Enkelkinder8 zu beschreiben, belegen auf mehr als eindrückliche Weise: Väter waren in den Nachkriegsjahren allenfalls als fleißig schuftende Arbeiter am Wiederaufbau des Landes beteiligt. Aber eben nicht unbedingt bei der Versorgung, Erziehung und Entwicklung ihrer zuweilen gleichfalls traumatisierten Nachkommen. In diesem Zusammenhang werden immer wieder die bedrückende und grenzenlose Sprachlosigkeit, Schweigsamkeit und Unfähigkeit zu trauern9 beschrieben.

Damit sind im Grunde die psychosoziale Basis und die Ausgangslage vieler Menschen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geboren und aufgewachsen sind, grob skizziert. Somit auch die des Autors dieser Zeilen, womit auch schon die Hauptmotivation für dieses Buch beschrieben und öffentlich kundgetan ist.

Dem Phänomen der eigenen Vaterlosigkeit (wenn nicht auch physisch, so jedenfalls auf seelischer und sozial präsenter Ebene) beizukommen, es zu verstehen, ist offensichtlich eines Lebenswerkes würdig. Deshalb war es mir als kleiner Junge immer schon vollkommen bewusst und damit vielleicht sogar zur Lebensaufgabe geworden: Wenn ich jemals Vater werde, dann sollen meine Kinder niemals vaterlos aufwachsen. So ist es dann auch zum Glück tatsächlich gekommen.

Die vergebliche männliche Suche nach dem Vater, den Männern, ist eine sehr schmerzhafte Erfahrung, weil sie doch so aussichts- und erfolglos anmutet. Dieses Buch hier ist zumindest ein Versuch, dieser Aufgabe mittels schriftlicher Aktivität nachzuspüren. Spannend wird es aber geradezu auf der Suche nach meinen Großvätern, die ja ebenso in Kriegswirren verstrickt waren und deshalb ihren Söhnen logischerweise gleichfalls keine präsenten, einfühlsamen Väter sein konnten.