9,99 €
STAR GATE – das Original: Die 8. Kompilation
Wilfried A. Hary (Hrsg.): „Die Bände 71 bis 80 der laufenden Serie STAR GATE – das Original – zusammengefasst!“
Die Serie STAR GATE – das Original existiert nun schon seit 1986(!). Einige Autoren sind daran beteiligt. Viele Leser schätzten das frühere Heftformat und genießen das Taschenbuchformat, in dem die Serie inzwischen erscheint, aber es gibt nicht wenige Leser, die immer wieder auch nach einem umfangreichen Buchformat verlangen, vergleichbar etwa mit den Silberbänden der Perry-Rhodan-Serie.
Für diese haben wir nun nach den ersten sieben die achte Kompilation geschaffen, basierend auf den Bänden 71 bis 80 der laufenden Serie!
Die Kompilation beinhaltet die Romane:
71 »Der Letzte der Canorer« Tom Cohel (GB)
72 »Sturm auf Xarith« W. Kimball Kinnison (KF)
73 »Das Heiligtum der Dhuuls« Wilfried Hary (GB)
74 »Nergaards Fluch« W. A. Travers (AS)
75 »For-Pers Traum« W. Kimball Kinnison (KF)
76 »Wiege der Erkenntnis« Wilfried Hary (MM)
77 »Genesis« Wilfried Hary (KF)
78 »Die vergessenen Götter« W. A. Travers (MM)
79 »Entführt« Frederick S. List (KF)
80 »Krieg am Ebrox« W. A. Travers (KF)
(In Klammern: Abkürzung des jeweiligen Coverkünstlers des Originals!)
Viel Freude beim Lesen dieser immerhin wieder ganze 10(!) Bände umfassenden Kompilation!
Euer Wilfried A. Hary (Hrsg.)
Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie
STAR GATE - das Original:
Uwe Anton, Werner K. Giesa, Wilfried A. Hary,
Frank Rehfeld
Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch)
by hary-production.de
Achtung: „STAR GATE - das Original“ ist eine eigenständige Serie, die nachweislich Jahre vor Serien ähnlichen Namens begann, wie sie im Fernsehen laufen oder liefen oder im Kino zu sehen sind oder waren! Daher der Zusatz „das Original“!
ISSN 1860-1855
© neu 2018 by HARY-PRODUCTION
Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken * Telefon: 06332-481150 * HaryPro.de * eMail: [email protected]
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.
Coverhintergrund: Anistasius, Titelbild: Michael Mittelbach
Nähere Angaben zum Herausgeber und Hauptautor siehe hier: de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2018
Die 8.
Kompilation
Wilfried A. Hary (Hrsg.)
Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie STAR GATE - das Original: Uwe Anton, Werner K. Giesa, Wilfried A. Hary, Frank Rehfeld.
Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de.
ISSN 1860-1855
Diese Fassung basiert auf den Romanen 71 bis 80
der laufenden Serie!
© 2018 by HARY-PRODUCTION
Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken
Telefon: 06332-481150
www.HaryPro.de
eMail: [email protected]
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und
Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.
Lektorat: Werner Schubert
Titelbild: Michael Mittelbach
Coverhintergrund: Anistasius
Achtung: „STAR GATE - das Original“ ist eine eigenständige Serie, die nachweislich Jahre vor Serien ähnlichen Namens begann, wie sie im Fernsehen laufen oder liefen oder im Kino zu sehen sind oder waren! Daher der Zusatz „das Original“!
Die Serie STAR GATE – das Original existiert nun schon seit 1986(!). Einige Autoren sind daran beteiligt. Viele Leser schätzten das frühere Heftformat und genießen das Taschenbuchformat, in dem die Serie inzwischen erscheint, aber es gibt nicht wenige Leser, die immer wieder auch nach einem umfangreichen Buchformat verlangen, vergleichbar etwa mit den Silberbänden der Perry-Rhodan-Serie.
Für diese haben wir nun nach den ersten sieben die achte Kompilation geschaffen, basierend auf den Bänden 71 bis 80 der laufenden Serie!
Die Kompilation beinhaltet die Romane:
71 »Der Letzte der Canorer« Tom Cohel (GB)
72 »Sturm auf Xarith« W. Kimball Kinnison (KF)
73 »Das Heiligtum der Dhuuls« Wilfried Hary (GB)
74 »Nergaards Fluch« W. A. Travers (AS)
75 »For-Pers Traum« W. Kimball Kinnison (KF)
76 »Wiege der Erkenntnis« Wilfried Hary (MM)
77 »Genesis« Wilfried Hary (KF)
78 »Die vergessenen Götter« W. A. Travers (MM)
79 »Entführt« Frederick S. List (KF)
80 »Krieg am Ebrox« W. A. Travers (KF)
(In Klammern: Abkürzung des jeweiligen Coverkünstlers des Originals!)
Viel Freude beim Lesen dieser immerhin wieder ganze 10(!) Bände umfassenden Kompilation!
Euer Wilfried A. Hary (Hrsg.)
„Das Mysterium von Canos: Chance oder tödliche Gefahr?“
Band 31 der laufenden Serie (Titel: »Das Erbe der Canorer« von Hermann Schladt): Am 17. September 2063, um 10:22 Uhr, will ein Team von sechs Wissenschaftlern mittels Star Gate von Phönix nach Shan springen, um den von Ken Randall versprochenen Kontakt zu den Shanern aufzunehmen. Das Star Gate von Shan wird angewählt und meldet auch die Empfangsbereitschaft zurück. Doch unmittelbar be-vor die Wissenschaftler auf Phönix entmaterialisiert werden, wird auf Shan Alarm gegeben. Offensichtlich sind die Kyphorer durch ihre Überwachungsprogramme von den Veränderungen auf Shan unterrichtet worden und haben ihre Raumschiffe zu diesem Planeten gesandt. Den Shanern bleibt nur, blitzschnell ihr Star Gate zu blockieren, um die Ankunft der Menschen zu verhindern. Denn dieser Kontakt muss vor den Kyphorern unbedingt geheim gehalten werden. Das bedeutet aber auch, dass die terranischen Wissenschaftler nicht auf Shan materialisieren können. Nach den Gesetzen des Äthermorph kommen sie im nächstgelegenen SG der gleichen Norm heraus: Auf dem Planeten der Canorer!
Und seitdem sitzen sie hier fest und müssen das Beste aus ihrer Situation machen auf dieser ihnen fremden Welt...
DIE HAUPTPERSONEN:
Allison Winter, Robert Boyd, Armand Frederic, Sir Archibald Hen-ton, Alonso Gonzales (Spitzname »Speedy«), Karl Imanuel Speerber-gen – sie müssen nach wie vor in einer Situation überleben, auf die sie niemand vorbereitet hat.
»Es war ein Fehler ... Es war ein Fehler...«
Obwohl Sir Archibald Hentons Mantras an jedermanns Nerven fraßen, brauchte Allison nur den Dschungelmoloch vor dem Cockpitfenster zu betrachten, um dem englischen Adelsmann und Geologen zähneknirschend recht zu geben.
»Halt die Klappe, Archi!«
Allison schwenkte ihren Blick herum und konnte Robert Boyd beobachten, wie er dem doppelt so alten Earl of Wilksworth mit einer Faust drohte. Der junge Linguist hielt das unförmige Steuerrad des canorischen Gleiters einhändig. Zwar hatten sie allesamt geübt, mit dem erdähnlichen Schweber zu fahren, doch hatte sich Robert als wahres Naturtalent erwiesen. Allison blieb es ein Rätsel, wie er einen Weg durch dieses Labyrinth finden konnte. Archibald – oder Archi – musterte den Australier scharf. Als er jedoch Allisons Blick auffing, senkte er den Kopf.
Sei froh, dass Robert nicht sein Samuraischwert griffbereit hat. Unwillkürlich musste Allison auflachen. Was geschieht mit uns? Archibald gehen die Nörgeleien aus und Robert flucht am laufenden Meter.
Egal, wie hoffnungslos ihr die Irrfahrt erschienen war, jede Weiterentwicklung ihrer Teammitglieder konnte Allison nur recht sein.
»Allison, ma chérie?«
Armand Frederic schaute sie besorgt an. Es fiel Allison immer noch schwer, sich den Franzosen als ernst zu nehmenden Biologen vorzustellen. Zu dem Schnauzbart und der spitzen Nase fehlten nur noch eine Baskenmütze sowie ein Baguette unter dem Arm, und das Bild wäre perfekt. Obendrein war Armand ein exzellenter Koch – daran gemessen, was Canos an Fressalien hergab. Aber auch ein Armand würde in dieser unwegsamen Gegend nichts Essbares finden können.
Es sei denn, er macht erneut einen Selbstversuch und beißt in irgendwas hinein, dachte Allison erheitert.
»Wie geht es dir?« Armand starrte sie noch immer an.
Das Gleiche taten nun Robert und Archibald; die beiden Streithähne hatten wieder voneinander abgelassen.
»Ich musste an einen Witz denken«, wehrte Allison ab und rieb sich über die Nasenwurzel. Armands suchende Augen waren ihr unerträglich. Allison wandte sich ab und lugte durch das Bullauge in die fremde Welt, in die es sie und die anderen Wissenschaftler verschlagen hatte. Die Kronen der Mammut-Bäume bildeten ein zusammenhängendes Dach, aus welchem es nur hin und wieder ein Lichtstrahl hindurchschaffte.
Sie schalt sich selbst. Gerade sie musste dem Team ein Vorbild sein! Zwar besaß sie nur eine abgebrochene Ausbildung zur Survival-Spezialistin bei Mechanics; in zwei Jahren hatte sie jedoch genügend gelernt, um zu wissen, dass man niemals Anzeichen von Schwäche zeigen durfte. Die Wissenschaftler hatten ihr, dem jüngsten und einzig weiblichen Part, ohne Absprache die Führungsrolle ihrer sechs Mann starken Gruppe übertragen. Selbst Archibald hatte inzwischen davon abgelassen, auf sein abstruses Adelsrecht zu pochen und ihr diese Position streitig machen zu wollen. Nicht nur Allison war bekannt, dass der sogenannte Adel auf der Erde seit geraumer Zeit zu einer Farce verkommen war. Aristokratie existierte lediglich in den Köpfen weniger Zurückgebliebener, die nicht begriffen hatten, dass längst die Konzerne über die Erde herrschten. Sir Archibald Henton war ein besonders hartnäckiges Exemplar jener Gattung.
Die Erde...
Allison erschienen die Erinnerungen an ihren Heimatplaneten fern wie ein verblasster Traum. Und das, obwohl sie erst knapp zwei Wochen auf Canos gestrandet waren. Sie musste an ihren Vater denken. Wie er sie vor sechs Jahren vor dem Taxi verabschiedet hatte, als sie ihr Ziel in die Tat umsetzte und endgültig nach Detroit zog, um ihr Studium als Xenobiologin bei Mechanics Inc. zu beginnen.
»Vergiss uns nicht, Alli.«
Allison Winter versuchte es. Erinnerungen würden das Einzige sein, was ihr blieb, wenn sie für immer auf diesem Planeten gestrandet sein sollten. Inzwischen irrten sie seit Stunden durch einen Dschungel, dessen Dichte gar dem Regenwald Konkurrenz machen konnte. Dort gab es aber wenigstens Regen.
»Wir müssen Wasser sparen, Alonso. Lass gut sein.«
»Oh nein, compadre, trink!«
Dem Befehl wurde mit Schluckgeräuschen Folge geleistet. Allison drehte sich nach der Liege im Heck des Gleiters um. Auf dem großen Gestell saßen die beiden letzten Mitglieder ihres Teams auf ihren Schlafmatten. Die beiden Männer wirkten wie Kinder, die auf dem Bett ihrer Eltern spielten. Kein Wunder, war diese Schlafstätte doch an canorische Verhältnisse angepasst.
Karl-Imanuel Speerbergen seufzte auf, nachdem Alonso Gonzales ihm die Wasserflasche vom Mund abgesetzt hatte. Allison gönnte es dem Informatiker vom Herzen. Mit fünfundfünfzig war »KI«, wie Speerbergen wegen seines Faibles für Künstliche Intelligenz auch genannt wurde, der Älteste in der Gruppe. Die subtropische Hitze machte ihnen allen zu schaffen, doch am meisten litt der Deutsche darunter.
»Besser?« Speedy strich KI sanft über die Schulter, dabei war der Mexikaner mehr als zehn Jahre jünger als sein Freund.
Alfonso »Speedy« Gonzales verdankte seinen Spitznamen nicht nur seinem Nachnamen, sondern ebenso seiner Fähigkeit, mathematische Probleme blitzschnell lösen zu können.
Dabei ist das Mathe-As alles andere als schnell, dachte Allison schmunzelnd bei der Erinnerung an Alfonsos tollpatschige, langsame Art.
»Ja«, erwiderte KI kurz angebunden, gab dem Mexikaner jedoch ein trauriges Lächeln. »Wenn wir aber nicht haushalten mit dem Wasser, haben wir bald ein Problem.«
Speedy schwieg. Er schraubte den Verschluss der leeren Flasche zu und legte sie zu den restlichen. Anschließend bettete er KI behutsam auf seine Schlafmatte. Der Informatiker ließ es bereitwillig geschehen.
Allison fixierte ihren Wasservorrat im hinteren Teil des Gleiters. Ein einziger Kanister war ihnen verblieben. Um ihre Nahrungsvorräte stand es nicht besser. Die letzten Dschungelfrüchte hatten sie diesen Morgen verdrückt. Seitdem herrschte eine angespannte Atmosphäre in dem Gleiter, da jeder von ihnen wusste, worauf das Ganze hinauslief, keiner jedoch den Mut besaß, es auszusprechen.
Allison beschloss zu handeln. Als Anführerin wider Willen musste sie in den sauren Apfel beißen – was sie in diesem Augenblick mit Freuden tat.
»Wenn wir nicht bald etwas finden, müssen wir umkehren. Mit 5zweiundfünfzig Prozent hat unser Gleiter nur noch so viel Energiekapazitäten, dass es für einen Rückflug zu unserem Ausgangspunkt am Star Gate reicht. Unsere Prognosen waren falsch. Die Temperatur ist auf über dreißig Grad gestiegen, kaum dass wir den Nordpol verlassen haben! – Verdammt, Leute, schaut mich nicht so an. Es ist heiß, und es wird schlimmer, je weiter wir uns nach Süden bewegen.«
Die Mechanics-Wissenschaftler nahmen Allisons Worte schweigend zur Kenntnis und richteten ihre Aufmerksamkeit wieder zum Cockpitfenster, in der Hoffnung, dass die Canos-Stadt Igana nicht nur ein Wunschtraum bliebe.
Urplötzlich gingen Allison die Ereignisse durch den Kopf, die sie zu diesem Punkt geführt hatten: Es begann mit einem Star Gate...
Ihr stand noch leibhaftig vor Augen, wie rasch damals alles in der Phönix-Station gegangen war. Von dort aus wurde sie mit fünf Wissenschaftlern ausgewählt, um nach Shan zu reisen und so den von Ken Randall versprochenen Kontakt mit dem dortigen Volk aufzunehmen. Alles verlief nach Plan, und das Empfangskomitee von Shan meldete seine Bereitschaft zurück. Mit Ehrfurcht und Neugier waren sie in den Gitterkäfig gestiegen. Doch ebenso guten Gewissens, denn ein jeder von ihnen hatte sich ausführlich mit der SG-Technik vertraut gemacht. Im Nachhinein kam es Allison wie ein schlechter Witz vor; ein noch schlechterer Witz als der damalige Sprung von Randalls Team nach Phönix.
Sie waren auf Canos materialisiert, einem kleinen, schnell rotierenden Planeten, der enormen klimatischen Schwankungen unterworfen war. Die mickrige Sonne schien ihrer Größe zu spotten: Das gleißende Licht verwandelte Canos in einen Backofen. Ein globaler Atomschlag hatte Canos aus seiner Umlaufbahn gerissen und den Planeten somit näher an die Sonne herangerückt. Sie war viel kleiner als die Erdensonne, nichtsdestotrotz hielt Speedy an seinen Temperaturtheorien fest. Der Mexikaner war nicht nur Mathe-As, sondern Astrophysiker. Dank ihm hatten sie vieles über Canos herausfinden können. Darunter auch, dass sie bereits hätten tot sein können, wenn sich ihr Star Gate nicht am Nordpol befunden hätte. Während das Leben in den Dschungelgebieten in Polnähe erträglich war, wurde es in der Nähe der Äquatorialebene beinahe unmöglich.
Bei ihrer Landung auf Canos hatte sich die Aufregung der Wissenschaftler in Grenzen gehalten. Schließlich konnte man ein »Falsches Abbiegen« jederzeit rückgängig machen, indem man umkehrte.
Doch sie wurden eines Besseren belehrt. Obwohl ihr Informatikgenie Speerbergen die Codes für Shan und Phönix kannte und am besten mit der Technik umzugehen wusste, kam er nicht gegen die Sturheit des Stationscomputers an, der ihnen aus Sicherheitsgründen schlicht den Zugang verweigerte. KI nahm an, dass das System mit den Star-Gate-Normen überfordert war. Sie waren von Phönix gekommen, dessen Norm Xybrass wegen der Kyphorer manipuliert hatte, und auf den Weg nach Shan, das von den Kyphorern vor langer Zeit gesperrt worden war, weil es eine der sogenannten »Verbotenen Welten« war.
Inzwischen hatte Karl-Imanuel Speerbergen auch eine schlüssige Theorie entwickelt, warum sie überhaupt »falsch abgebogen« waren.
»Es muss einen Zwischenfall gegeben haben, auf den die Shaner noch vor unserer Entmaterialisierung reagiert haben. Irgendetwas hat sie bewogen, ihr Gate zu blockieren. Nach den Gesetzen der Star Gates sind wir demnach nicht auf Shan, sondern in einem anderen Tor mit der gleichen Norm herausgekommen. Genau wie beim ersten Sprung von der Erde zum Mond.«
Die Frage blieb offen, was wirklich geschehen war und sie nach Canos gebracht hatte. Allison war das Ganze nicht geheuer. Sie vermutete eine böse Macht hinter alldem.
Nachdem sie auf Canos gelandet waren, hatten sie sofort mit der Erkundung der Dschungelwelt um die Star-Gate-Pyramide herum begonnen.
Allison seufzte innerlich auf. Da war der Dschungel geradezu paradiesisch gewesen im Vergleich zu hier!
Sir Archibald hatte sich zu aller Überraschung während ihrer Erforschung auch als nützlich erwiesen. Auf seinem Trip hatte der hochnäsige Geologe eine ungewöhnlich starke radioaktive Strahlung im Süden festgestellt, die ihnen zwar nicht gefährlich werden konnte, sie aber dennoch vor ein Rätsel stellte. Und eben dieses hatte sie dazu bewogen, mit dem gefundenen Gleiter in jene Richtung aufzubrechen.
»Es war ein Fehler...«
»Fang nicht schon wieder an«, brummte Robert Boyd, als Sir Archibald Henton erneut mit seiner Litanei startete.
»Ich habe den alljährlichen Ball des House of Lords verpasst!«, jammerte Archibald, ohne auf Robert zu achten. »Oh weh, mein Vater würde sich im Grabe umdrehen! Alles war ein Fehler...«
»Ruhe jetzt!«, knurrte Robert. »Du warst es doch, der die Strahlungsquelle geortet hat. Wo ist denn nun diese Canorer-Stadt, hm? Wenn es einen Fehler gibt, dann hast du ihn gemacht!«
Das ließ der Adelige nicht auf sich sitzen. »Das Aufzeichnungsband war der Fehler!« Archibald sprang von seinem Sitz und schnappte sich das quadratische Tonbandgerät aus Allisons Tasche, ehe sie reagieren konnte. »Wer sagt uns, dass dieser Algor nicht gelogen hat? Eine große Stadt namens Igana im Süden? Vielleicht ist da auch einfach ... nichts! Vielleicht war sein ganzer Bericht nur ein verdammtes Gutenacht-Märchen der Canorer. Und wir sind darauf reingefallen!«
Fast noch mehr als seine Worte beeindruckte Allison, dass Sir Archibald entgangen war, dass er »bürgerlich« sprach. Anscheinend konnte er auch anders als nur hochnäsig daherreden.
»Nein, das wäre ein zu großer Zufall«, meinte Allison kühl.
Sie war nach vorn zu Robert getreten und deutete auf einen blauen Fleck auf dem ovalen Schirm des Steuerpults, der sehr an ein Radar erinnerte und wahrscheinlich auch eines war. Der rote Punkt knapp darunter stellte ihren Gleiter dar.
»Dieses Navigationssystem zeigt, dass sich vor uns etwas befindet«, sagte Allison. »Das kann nur Igana sein.«
»Wo denn, my dear?«, rief Archibald aus und klopfte mit seiner Hand an das Bullauge neben ihm. »Nichts als Dschungel1 Wenn es hier eine Stadt gibt, Verehrteste, dann müssten wir ihre Vorzeichen bereits sehen, nicht wahr?«
Allison verbiss sich eine Erwiderung. Ihre Freude war zu voreilig gewesen. Archibald war wieder in seine Adelsmarotte verfallen.
»Vielleicht sind wir schon dran vorbei und wissen es nicht?«, ließ sich Speerbergen vernehmen. Speedy war sofort bei ihm, um den munter wirkenden Informatiker von seiner Schlafmatte aufzustützen. »Immerhin haben wir schon ein paar Ruinen im umliegenden Dschungel gesehen.«
»Die Steine waren so zugewachsen, dass sie kaum vom Dschungel zu unterscheiden waren«, erwiderte der Mexikaner leise. »Wenn, dann waren das ehemalige Häuser, vielleicht Bauernhöfe oder kleine Dörfer – aber keine Stadt.«
»Wir kehren um, sobald die Energie-Anzeige auf fünfzig Prozent gesunken ist«, beendete Allison die Diskussion und tippte auf die 51 unter dem Navigationsschirm. »Womöglich finden wir an der Star-Gate-Pyramide weitere Energieladungen, dann können wir einen erneuten Versuch starten.«
Die Stille lag wie ein schweres Gewicht auf allen Gemütern. Allison setzte sich neben Robert in den zweiten Cockpitsitz. Hinterrücks vernahm sie, wie ein bestimmter Jemand über »Bürgerliche« schimpfte. Widerstrebend schaute sie über ihre Schulter. Archibald presste das uralte Tonbandgerät der Canorer mit seinen Fingern, als wollte er seine Wut an ihm auslassen.
War es Fluch oder Segen gewesen, als sie das kleine Ding gefunden hatten, welches ihnen nicht nur das Ende der Canorer, sondern auch das Ende einer schmerzlichen Liebe offenbart hatte? Sie hatten es in dem Schweber gefunden, in dem sie gerade unterwegs waren, zusammen mit den Skeletten von Algor Z28 und seiner Geliebten Emeela A224, den beiden Canorern, die trotz ihres Fluchtversuchs den Tod gefunden hatten.
Mit Hilfe der Translatoren war es den Wissenschaftlern gelungen, einer unglaublichen Geschichte zu lauschen, die von der systematischen Selbstzerstörung eines Volkes erzählte. Der Hass unterschiedlicher Fraktionen, deren Merkmale Farben wie Rot oder Schwarz waren, hatte zu einer totalen Vernichtung durch Atom- und Neutronenbomben geführt. Die Nuklearangriffe hatten den Planeten bis zum heutigen Tag geprägt, und eine biologische Waffe hatte schlussendlich zur Ausradierung des canorischen Volkes geführt. Der Virus sollte gezielt eine bestimmte Fraktion auslöschen, hatte aber er aus unklaren Gründen weder vor Rot, Blau, Schwarz oder sonst einer Farbe Halt gemacht. Algor und Emeela hatten diesem Schicksal ebenso wenig entkommen können.
Doch ihr Ende hatte den Anfang der Reise für Allison und ihrem Team bedeutet. Durch das Tonbandgerät hatten sie von Canos und dessen Geschichte erfahren – und auf diese Weise hatte es sie zu ihrem jetzigen Ziel geführt: der Canos-Stadt Igana. Sie hatten Algors Gleiter wieder flugfähig gemacht und waren nach einigen Übungsflugstunden bereit gewesen, nach Süden aufzubrechen.
»Ich verstehe das nicht«, sagte Robert betroffen. »Wenn ich dieses Navi-System richtig deute, müssten wir das Ziel erreicht haben. Seht ihr etwas? Irgendetwas außer Dschungel? Diese verdammten Computer! Ob irdisch oder canorisch, überall der gleiche Müll.«
Allison musste sich ein Lachen verkneifen. Ihr kam in den Sinn, wie sehr der Australier mit Computern auf dem Kriegsfuß stand. Schließlich waren es die Translatoren, die den Linguisten quasi arbeitslos gemacht hatten.
Sie musterte Roberts Profil und kam nicht umhin, ihn für seinen Ehrgeiz zu bewundern. Während die meisten ihres Teams sich bereits mit ihrem Schicksal abgefunden hatten, gab Robert nicht auf. Auf Phönix hatte sie den Sprachwissenschaftler für einen misslaunigen Eigenbrötler gehalten. Inzwischen hatte sie beschlossen, ihre Meinung noch einmal zu überdenken.
»Rien.« Armand stand hinter Allison und Robert und spähte durch das Cockpitfenster. »Absolut gestorbene Hosen. Richtig?«
Der Franzose gab Allison ein spöttisches Lächeln. Er sprach akzentfreies Englisch, doch probierte er sich gerne an Wortspielen und Wendungen, die nicht immer fruchteten. Allison nickte dem Biologen wohlwollend zu. Mit Armand hatte sie sich auf Anhieb verstanden. Seine unbeschwerte Art war geradezu notwendig, um in ihrer bisweilen zu ernsthaften Gruppe einen Ausgleich zu schaffen.
Während sie, Robert und Armand beieinander standen, wurde sich Allison erneut peinlich bewusst, dass sie mit beiden Männern intim gewesen war – und das zum gleichen Zeitpunkt. Die Erinnerung war mit einem Nebel überzogen; verzerrte Bilder wie Mosaiksteine aus einem unbekannten Kunstwerk.
Sie waren gerade dabei gewesen, ihr Lager nahe dem Star Gate abzubauen, um sich für die Reise vorzubereiten, als ein Vogel erschienen war. Ein Vogel in den Farben des Regenbogens. Allein seine Schönheit betörte die Wissenschaftler, doch als er seinen Schnabel zu einem Gesang öffnete, war es um ihre Fassung geschehen – und das im wörtlichen Sinne. Allison erinnerte sich nur noch an einen wilden Drang, eine Besessenheit nach Liebe, ein Gefühl von Zerrissenheit, wenn sie dem Trieb nicht nachkommen würde. Als Allison aus der Schwärze erwacht war, lag sie eng umschlungen mit Robert und Armand da, und ein jeder von ihnen wusste, was geschehen war. Auch die anderen erwachten aus ihrem traumartigen Zustand, als der bunte Vogel mit seinem Gesang aufhörte. Aber es blieb ihnen keine Zeit, darauf zu reagieren. Ein Schwarm grauschwarzer Vogelweibchen umringte den bunten Sänger und wollte sich bereit machen, sich an den Wissenschaftlern und ebenso dazu gekommenen Tieren gütlich zu tun. Die Gruppe hatte sich gerade noch in die Pyramide retten können; den hypnotisierten Tieren war weniger Glück beschieden gewesen: Die Gruppe hatte sie später bis auf die Knochen abgenagt vorgefunden. Da waren die Vögel bereits verschwunden gewesen.
Allison und die anderen hatten über das Geschehene verschiedene Theorien aufgestellt. Am Ende kamen sie zu dem Ergebnis, dass der Todesvogel, wie sie den Sänger inzwischen nannten, seine Weibchen durch den Balzgesang gefügig machte und ihnen nach der »Hochzeit« einen Hochzeitsschmaus in Form von gebannten Tieren zur Verfügung stellte. So war bereits für den kommenden Nachwuchs gesorgt.
Über die Ereignisse während der Hypnose war zwischen den Wissenschaftlern kein Wort gefallen. Allison wollte dies auch keinesfalls ändern.
»Es steht bei fünfzig Prozent«, sagte Robert und brachte Allison damit ins Jetzt zurück.
Sie schaute unnötigerweise auf das Display für die Energieanzeige, aber die zweistellige Zahl schien sie zu verspotten. Sie besiegelte das Scheitern ihrer Mission und ebenso Allisons Qualitäten als Anführerin.
»Gut«, presste sie hervor. »Wir drehen...«
»Was ist das?«, unterbrach sie Armand und brachte sie dazu, seinem Fingerzeig aus dem Cockpitfenster zu folgen. »Es ist zu dunkel für einen Schatten, oder?«
Allison glaubte nicht an einen Hoffnungsschimmer am Horizont, vor allem, wenn er schwarz war, aber sie sollte ihre Einstellung diesbezüglich ändern.
»Es zieht sich durch den ganzen Dschungel. Seht!«, rief Armand aus.
Ihre Energieknappheit ignorierend gab Robert mehr Schub und schlängelte sich um einige gewundene Baumstämme. Inzwischen waren Archibald und Speedy samt KI zu ihnen nach vorn gekommen. Gemeinsam erlebten sie, wie ein länglicher Bogen vor ihnen an Form gewann und sich vom lichter werdenden Dschungel abzeichnete. Ein allgemeines »Oh!« ging durch den Gleiter, als sie einige Baumreihen weiter endlich erfassten, worum es sich bei ihrer Entdeckung handelte: Eine Mauer! Und sowohl unter irdischen als auch canorischen Verhältnissen zog man solch einen Schutzwall nur um ganz bestimmte Orte.
»Igana!«, jubelte Speedy und umarmte in seinen Überschwang Speerbergen, der nicht minder begeistert reagierte.
Robert entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. Er strich beinahe liebevoll über das Steuerrad. Allison legte ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter. Der Australier quittierte die Geste mit einem Lächeln; eine Seltenheit bei ihm. Auch Armand lachte fröhlich – auf seine kokette Weise. Einzig Sir Archibald schien das Gesamtbild trüben zu wollen – wie immer. Seine Reaktion war höchstens als »weniger schlecht gelaunt« zu bezeichnen.
Aber Allison ließ sich diesen Moment nicht vermiesen. Sie verfolgte die aschfarbene Wand vor ihnen. Robert lenkte den canorischen Schweber geschickt durch verzweigte Baumgruppen, bis sie sich endlich vor der Mauer befanden.
»Irgendwo muss es einen Eingang geben«, bemerkte Sir Archibald unnötigerweise.
Die anderen ignorierten ihn geflissentlich und betrachteten den steinernen Wall von rund zwanzig Metern Höhe. Sein fugenloser, wuchtiger Bau bezeugte seine Undurchdringlichkeit.
»Wofür brauchten sie einen solchen Schutz?«, fragte Alonso »Speedy« Gonzales und legte den Kopf in den Nacken.
»Erinnert euch an Algors Bericht«, sagte Speerbergen. »Die Fraktionen standen im Krieg miteinander. Laut Algor war Igana eine Stadt der Schwarzen. Und jene standen im Konflikt mit den Roten.«
»Das sieht mir aber nicht sehr fortschrittlich aus«, sagte Robert Boyd. »Eher wie eine Burgmauer im Mittelalter.«
»Canorische Sitten«, meinte Allison.
»Seht euch nur dieses Mineral an!« Plötzlich drückte sich Archibald an den anderen vorbei, ohne ihren Protest zu beachten. »Diese Beschaffenheit!«
Er klebte nahezu an der Cockpitscheibe, in die Betrachtung der Mauer versunken. Allison fiel ein, dass er Geologe war.
»Es ist glatt und fugenlos. Kein Vulkangestein«, sprach Archibald wie zu sich selbst. »Niemals könnte das solch einem Druck standhalten. Seit der Katastrophe der Canorer müssen über hundert Jahre vergangen sein, doch seht: Die Mauer hält stand wie am ersten Tag! Davon muss ich eine Probe nehmen!«
»Keine Zeit«, erwiderte Robert nüchtern. Allison entging nicht, wie sich der Australier an Archibalds Gesichtsausdruck ergötzte.
»Er hat recht, Sir Henton«, sprang Allison ein, ehe es zu Schlimmerem kommen konnte. »Unsere Energie beträgt bereits achtundvierzig Prozent. Wir müssen Nachschub finden und dürfen keine Zeit verlieren.«
Ihr Versuch schlug fehl. Sir Archibalds Wutausbruch hielt minutenlang an; selbst die Tropenhitze konnte seinen Wortschwall nicht beenden, während sie an der Mauer entlangfuhren. Erst eine Veränderung der Mauerstruktur brachte den Engländer zum Schweigen. Es war inzwischen lichter geworden. Sonnenstrahlen fanden vermehrt einen Weg zu ihnen hindurch, und der Baumbestand nahm immer mehr ab.
»Dort, ein Loch in der Mauer!«, sagte Speedy unnötigerweise.
»Ein Tor, mein Lieber«, belehrte Archibald. »Diese Mauer ist unzerstörbar und...«
»Archi, halt die Klappe!«
Roberts unfeine Unterbrechung überraschte selbst Allison. Sir Archibald verschränkte die Arme vor die Brust und verzog schmollend den Mund.
Sie fuhren schweigend auf die Öffnung in dem Wall zu, dessen Inneres von einem hellen Leuchten erfüllt war. Das Licht der immer weniger verdunkelten Sonne brannte in ihren Augen, dennoch hielten sie weiterhin auf ihr Ziel zu.
Von einem Moment auf den nächsten schlüpften sie aus dem Dickicht des Dschungels in das ungehinderte Licht, nur, um schlagartig von Blindheit regelrecht erschlagen zu werden.
Robert reagierte jedoch, als ob er bereits sein ganzes Leben canorische Gleiter geflogen hätte. Mittels eines Schalters ließ sich eine getönte Blende über die Cockpitscheibe fahren, die das Sonnenlicht sofort abminderte. Allison blinzelte die weißen Flecken vor ihren Augen weg und betrachtete ihre neue Umgebung: Igana, Dschungelstadt der Canorer.
Keiner sprach ein Wort. Selbst Archibald schaffte es, seine Bemerkungen für sich zu behalten.
Sie waren fassungslos.
Von ihrer erhöhten Position am Mauertor aus hatten sie einen umfassenden Blick auf einen Talkessel, der sich in ewiger Ferne zu verlieren schien. Igana entfachte in Allison ein Gefühl wie in einer Achterbahn. Ein ständiges Hoch und Tief. Die Größe und Menge unzähliger, wenngleich ehemaliger Bauwerke in den ursprünglich offenbar unvorstellbarsten Formen ließ sie ehrfürchtig den Kopf schütteln. Einen Augenblick später jedoch wurde ihre Freude von der harten Realität der Erkenntnis verdrängt: Igana war zerstört. Als hätte eine gottgleiche Hand sich bemüht, alles mit einem Schlag wegzuwischen.
Allisons Blick heftete sich an einzelne Gebäude, Straßennetze und Hochhäuser, die seit ihrer Beschädigung eher Mahnmälern glichen. Bilder von irdischen Erdbeben gingen ihr durch den Kopf. Bilder beinahe vollkommener Zerstörung. Ihr Eindruck vom einstigen Igana wurde zusätzlich vom Dschungel erschwert, der im Lauf der Jahre einen Großteil der Stadt zurückerobert hatte. Wie ein grüner Teppich zog er sich über Schuttlandschaften und Straßen, als ob er die Hinterlassenschaften der Canorer auffressen wollte. Im Zentrum der Canorerstadt hatte er gar eine weite Fläche vollends vereinnahmt. Allison glaubte, in diesem Bereich inmitten der Stadt etwas Rotes aufblitzen zu sehen. Als ob sich dort ein bronzener Berg befinden würde.
»Es war ein Fehler.«
Die gejammerten Worte holten alle wieder in die Enge ihres Gleiters zurück. Allison war davon überzeugt, dass sich in diesem Augenblick jeder auf Archibald stürzen wollte. Doch die Verzweiflung lähmte sie gleich einer Krankheit. Als Krönung blinkte die Energie-Anzeige gelb auf, um ihnen mitzuteilen, dass nur noch vierzig Prozent Energie vorhanden war. Nun würde es nicht mehr für eine Rückkehr reichen.
Allison brauchte nur in den Mienen ihrer Teammitglieder zu lesen, um zu wissen, wie diese sich fühlten – genauso nämlich wie sie selbst.
Sie wollte aufschreien, Canos und Mechanics verfluchen. In ihrer Wut stellte sie sich sogar vor, den mageren Rest ihres Trinkkanisters vor den Augen aller mit einem Zug zu leeren, wofür sie sich im Nachhinein regelrecht schämte.
»So ein Bockmist!« Robert schlug auf die Steuerkonsole und ließ seinen Emotionen freien Lauf. »Das ist eine Ruine und keine Stadt!«
Speedy weinte hemmungslos, und KI konnte sich nicht vom Anblick Iganas losreißen, als ob er immer noch auf die Pointe eines Witzes wartete. Armand hatte stattdessen sein Gesicht in beide Hände vergraben. Sir Archibald schoss wieder einmal den Vogel ab, indem er ausführlich darüber lamentierte, dass keiner auf ihn gehört hatte.
»Gut, gut.« Allison sammelte sich und wandte sich ihrer Gruppe zu. Als Anführerin musste sie die Situation unter Kontrolle bekommen, bevor sie endgültig eskalierte. Wenn bereits in ihrem Kopf ein Tohuwabohu herrschte, was ging dann in den anderen vor? Sie war Wissenschaftlerin mit Leib und Seele, aber in jenem Augenblick war sie heilfroh darum, einige Jahre bei den Survival-Spezialisten verbracht zu haben. Eine deren Grundregeln lautete: Stets einen kühlen Kopf bewahren.
»Alle mal zuhören. Wir werden jetzt unsere Fahrt fortsetzen. Genau dort, Robert, da scheint eine schutt- und dschungelfreie Straße zu sein. Unser primäres Ziel: Wasser und Nahrung finden. Sekundäres Ziel: Energietank auffüllen. Haben das alle verstanden?«
»Großartig.« Robert klatschte in die Hände. »Und in wie vielen Jahren gedenkst du, etwas in diesen Millionen Tonnen von Schrott zu finden? Zehn? Zwanzig?«
»Ich kann nichts dafür«, verteidigte Allison sich unsicher. Roberts harscher Ausbruch ging ihr näher, als sie zugeben wollte.
»Du bist doch die Anführerin hier!«, fuhr sie der Australier an.
»Ich habe nie darum gebeten!«, zischte Allison.
Ein aristokratisches Räuspern und dann die Worte: »Wenn ich in Erinnerung rufen dürfte, meine Wenigkeit wäre immer noch bereit, die Führerrolle...«
»Klappe, Archi!«, riefen Allison und Robert beinahe gleichzeitig aus, so dass Archibald seine weiteren Worte verschluckte.
»Es ist wie der Nagel im Strohberg«, prophezeite Armand.
Einen Moment starrten alle den Franzosen an. Schließlich fiel das erlösende Gelächter über den Gleiter herein. Allison rieb sich die Augen und schaute in die soeben noch verzweifelten Gesichter, die sich jetzt gegenseitig anlächelten. Sie glaubte nicht, dass Kyphorer in solch einer Situation lachen würden – wenn sie denn überhaupt lachten...
»Allisons Plan klingt gut. Ich denke, wir werden so vorgehen«, sagte Speerbergen, der als Erster wieder zur Ernsthaftigkeit überging. Als Ältester hatte er eine Art Mentorfunktion übernommen, wofür ihm Allison sehr dankbar war. »Sehen wir es realistisch: Wir müssen es versuchen. Ohne Wasser und Nahrung stehen wir bei diesen Temperaturen keinen Tag länger durch. Da ist der Gleiter zweitrangig. Igana wird sicherlich einen – wenn nicht mehrere – Flüsse haben. Also, Herr Boyd, geben Sie Stoff!«
Keiner widersprach. Robert kam der Aufforderung nach und schaltete die Energiezufuhr hoch, so dass der Gleiter wieder Fahrt aufnahm. Sie ließen die dunkle Mauer hinter sich und schwebten über dem Schuttweg ins Tal von Igana hinab. Alsbald waren sie von all den Zeugnissen der Zerstörung umschlossen.
Robert Boyd war nicht nur ein Fahrtalent, obendrein besaß er einen außergewöhnlichen Orientierungssinn. Dies stellte Allison fest, als sie erneut eine Kreuzung passierten, die für sie genauso aussah wie mindestens ein Dutzend davor, für Robert jedoch einen neuen Pfad im Schrottdschungel von Igana bedeutete.
»Du musst dir einfach besondere Stellen merken«, erklärte er. »Siehst du diesen braunen Bogen, der aussieht wie eine Laterne? Der ist an der oberen Hälfte abgebrochen.«
Allison nickte ihm wortlos zu. Bei all den rostigen Metallkonstruktionen, den von Dschungelpflanzen umwucherten Gebäuderuinen und Straßen sowie den brachliegenden Gleiterwracks, denen sie begegneten, wollte sie sich nicht einmal vorstellen, wie viele Details Robert sich bereits gemerkt hatte. Überhaupt erinnerte sie der Anblick an ein Szenario irgendeines Computerspiels, das in einer apokalyptischen Welt, etwa nach einem fiktiven Atomkrieg, angesiedelt war.
So vergingen viele Stunden. Insekten von der Größe von Golfbällen lieferten den Wissenschaftlern ein wahres Konzert an Summgeräuschen, während ein schwül-heißer Tag auf Canos allmählich zur Nacht überging. Selbst in der Dämmerung leuchtete die kleine Canos-Sonne, wie es ihre Erdenschwester zur Nachmittagsstunde tun würde. Es erschien ihnen allen nicht so, als ob die Temperatur merklich absinken würde; genauso verhielt es sich mit ihrem Durst.
*
Algors Gleiter besaß zwar Scheinwerfer, doch hatten sich Allison und die fünf Männer gegen ihren Einsatz entschieden. Die Energie war zu kostbar, um sie für Licht zu verschwenden. Dank der strahlenden Sonne wurde es auf Canos ohnehin nicht wirklich dunkel. In der Nacht herrschte über dem Planeten zumindest noch ein rostroter Schimmer, wie die Glut eines Feuers. Da sie die Tiefen des Dschungels hinter sich hatten, konnte Allison dieses Phänomen nun noch eingehender bewundern.
»Es tut mir leid.«
Die Worte ließen Allison aufhorchen. Sie saß immer noch im Sitz neben Robert, während die anderen sich hinten aufhielten.
»Ich meine wegen vorhin, Allison«, fügte Robert hinzu.
»Schon gut«, sagte sie und erntete dafür wieder eines der seltenen Robert-Boyd-Lächeln.
An einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, hätte Allison dem Australier vielleicht die kalte Schulter gezeigt und ihn einige Tage warten lassen, aber für solche Spielereien war jetzt und hier der denkbar ungünstigste Zeitpunkt. Die Energieanzeige zeigte zehn Prozent an. Auch nach Stunden der Reise in die Eingeweide von Igana und schätzungsweise zwanzig Stopps mit Durchsuchungen von ehemaligen Lagerhallen waren sie erfolglos geblieben, was Energie betraf. KI hatte darauf hingewiesen, dass es eine Art von »Energie-Tankstellen« geben müsse, gleich den Tankstellen auf der Erde. Doch sie fanden nichts Vergleichbares.
Mit dem Wasser hatte Speerbergen jedoch recht behalten: Inmitten der Ruinenlandschaft hatten sie vor einer Stunde einen Wasserlauf entdeckt, der sich einen Weg durch das Geröll gebahnt hatte. Mit Euphorie hatten die Wissenschaftler ihren Durst gelöscht und ihre Flaschen und Kanister aufgefüllt. Nie hätte Allison gedacht, dass Wasser für sie einmal einen solch hohen Stellenwert einnehmen könnte. Damit war ihr vordringlichstes Problem beseitigt. Mit knurrenden, aber mit Wasser gefüllten Mägen waren sie wieder aufgebrochen.
Unerwartet brachte Robert den Gleiter zum Stillstand, so dass alle aufsahen. Allison wagte einen müden Blick nach draußen, obwohl sie bereits ahnte, worum es sich handeln musste: Knapp vor ihrer Position führte ein weiterer Krater in die Tiefe. Die Detonationsspuren der Bomben, die hier einst gefallen waren, waren noch aus großer Entfernung deutlich auszumachen.
»Schon wieder ein Einschlagkrater«, stöhnte Armand vom Heck des Gleiters, während Robert wendete und zurück zur Kreuzung mit der abgebrochenen Laterne fahren wollte.
»Hier ist viel runtergekommen«, murmelte Robert. »Die rote Fraktion hat sich sehr an Igana ausgetobt.«
»Wie die Stadt wohl einmal ausgesehen hat?«, meinte Speedy, der neben KI saß und ihm zuschaute, wie er zum hundertsten Mal seine Ausrüstung durchging.
»Die Strahlungsquelle auf dem Navigationssystem hat uns hierher geführt«, sagte Speerbergen, ohne den Mexikaner neben sich zu beachten. »Es ist zu viel Zeit vergangen, als dass diese uns noch gefährlich werden könnte. Igana hat unter den Atombomben gelitten, doch starben alle Canorer, die diese überlebt haben, an den Folgen des biologischen Angriffs. Rote, Schwarze, einfach alle.«
»Diese Stadt ... etwas stimmt mit ihr nicht«, wechselte Robert unvermittelt das Thema.
»Ja, sie ist zerstört«, maulte Archibald. »Und bald sind wir auch nur Skelette, wie die Canorer, die hier verendet sind. Welch armseliges Schicksal für den Earl of Wilksworth. Unterzugehen auf einem fremden Planeten ... umgeben von Bürgerlichen.«
»Seht ihr den Kontrast in der Architektur?« Robert verfolgte eine neue Strategie in Bezug auf Sir Henton: ignorieren. »Ihr müsst euch den Verfall wegdenken und vorstellen, wie es einst ausgesehen haben muss. Die Häuser bestehen aus rohen Steinquadern, werden aber von Metallstreben gestützt. Findet ihr nicht auch, dass die Bauweise sehr archaisch, aber zugleich modern wirkt? Auf den ersten Blick hat das Ganze etwas vom Mittelalter. Die schwarze Mauer zum Beispiel. Aber zugleich finden wir Gleiter, größere Transporter, Stromleitungen und andere Dinge, die nicht in die Zeit passen.«
»Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«, fragte Speerbergen unvermittelt.
»Ich weiß es nicht«, gab Robert zu. »Aber für ein Volk mit dem Wissen um Atomenergie und biologische Waffen gibt es einem zu denken, wenn sie in altertümlichen Steinhäusern wohnen.«
»Die Canorer waren keine Menschen«, meinte Allison. »Wir sehen nur ihre Hinterlassenschaften und können lediglich erahnen, wie ihre Kultur einst gewesen sein mag.«
Robert zuckte mit den Schultern und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Steuern des Gleiters.
Wieder an der Kreuzung angelangt, entschieden sie sich für den einzigen Weg, den sie noch nicht erkundet hatten. Inzwischen war die Sonne schon seit Stunden untergegangen. Nach dem von Armand erstellten Trinkplan nahmen die Wissenschaftler ihre Rationen ein, jeder einen halben Becher aus einer Flasche. Allison genoss ihr Wasser, während sie beinahe nur am Rande wahrnahm, wie ihre Umgebung sich veränderte: Die eingefallenen Gebäude blieben zurück und die Straße verwandelte sich in das, was man auf der Erde einen Trampelpfad genannt hätte. Beängstigend schnell nahm das Grün des Dschungels zu.
Allison erinnerte sich an den zugewachsenen Bereich im Zentrum von Iganas Innenstadt. Sie mussten diesen Ort erreicht haben.
Alsbald wiesen nur noch Steinsäulen am Wegesrand auf die canorische Zivilisation hin. Verblüfft stellte Allison fest, dass es Statuen waren. Vom Zahn der Zeit geschunden und beinahe unkenntlich geworden, konnte Allison dennoch die Konturen der stierähnlichen Canorer erkennen.
»Dieser Ort ist sacré«, sagte Armand Frederic mit gedämpfter Stimme.
Allison wollte ihm zustimmen, doch ihr blieben die Worte im Halse stecken. Ruckartig war Robert stehen geblieben, nachdem er die Kurve genommen hatte, so dass sie fast mit dem Kopf auf dem Steuerpult aufgekommen wäre. Hinter einem Dickicht aus Bäumen zeichnete sich ein Platz ab, in dessen Mitte sich ein kolossales Etwas befand.
Robert mochte von der canorischen Bauweise behaupten, was er wollte, Allison konnte in jenem Moment nur ehrfürchtig den Kopf senken vor der Erhabenheit eines Wunders. Ihr erster Eindruck war der eines in Bronze gegossenen Schlosses. Die drei spitz zulaufenden Kuppeln ließen die Wissenschaftlerin an die kambodschanischen Tempelanlagen von Angkor Wat denken. Und wie diese schien auch der Tempel der Canorer jeder Zeit zu trotzen. Es war eine Ironie, dass dieses Bauwerk unbeschadet wirkte, während der Rest von Igana ein Trümmerhaufen war.
Der Dschungel umringte den Tempel wie eine grüne Wand. Es erschien geradezu unheimlich, dass die Schlingpflanzen seine Fassaden in all der Zeit nicht angegriffen hatten.
»Noch fünf Prozent.«
So unpassend Roberts Worte und das warnende Piepsen im Angesicht dieser großartigen Baukunst waren, machten sie den Wissenschaftlern den Ernst ihrer Lage doch wieder bewusst.
»Wir müssen uns entscheiden.« Allison übernahm abermals die Rolle der Anführerin. »Mit fünf Prozent Energie reicht es gerade noch, um zurück ins urbane Igana zu gelangen. Oder wir fliegen über diesen Platz und schauen uns ... das da an.« Sie wies auf das kupferfarbene »Angkor Wat«, das von dem rötlichen, weil indirekten Sonnenlicht wie ein Bronzeschild aus Troja funkelte.
Nach zwei nagenden Minuten war es Archibald, der das Schweigen beendete: »Lassen Sie mich die Dinge abwägen: Wir haben die Wahl zwischen weiteren Fahrten durch Verwüstung und Zerstörung oder diesem faszinierenden Kunstwerk. Bei allem nötigen Respekt: Was gibt es da noch zu bedenken? Mr. Boyd, fliegen Sie hin!«
»In Stadtnähe sind unsere Chancen größer, zu Fuß eine Energiestation zu finden«, meinte KI. »Hier sind wir verloren und abgeschnitten.«
»Wir können auch per pedes zurücklaufen!«, entgegnete Archibald barsch.
»Werter Kollege.« Es war selten der Fall, aber wenn Karl-Imanuel Speerbergen die Stimme erhob, bekam sogar Allison eine Gänsehaut. »Es mag an der Dehydration liegen, dass Ihnen unsere Fahrtgeschwindigkeit entgangen ist. Zu Fuß würden wir einen halben Tag brauchen, nein, einen vollen Tag, wenn man die Witterungsverhältnisse dazurechnet. Nicht zu vergessen die Gefahren des Verlaufens oder wilder Tiere.«
Allison musste an die Todesvögel denken. Sogleich schüttelte sie den Gedanken wieder ab.
»Ich muss Ihnen zudem wohl nicht verdeutlichen, dass unsere Wasservorräte zur Neige gehen und es mit leerem Magen an Wahnsinn grenzt, eine solche Wanderschaft zu machen.«
»Gut, demnach ist Sir Archibald für den Tempel und Herr Speerbergen für die Rückkehr. Andere Meinungen?« Allison gefiel es nicht, die anderen vor die Wahl stellen zu müssen, aber ihr blieb nichts anderes übrig.
»Ich schließe mich KI an«, sagte Speedy. »Das Risiko ist zu groß.«
»Robert?« Allison wandte sich zu dem Australier um.
Dieser spielte mit dem Griff seines Samuraischwerts und starrte, ohne die Miene zu verziehen, auf das faszinierende Bauwerk vor ihnen.
»Wir sollten es wagen. Ich denke, wir werden dort Energie finden. Schließlich mussten die Canorer damals auch den Rückweg zur Stadt bedacht haben. Vielleicht finden wir dort auch noch etwas anderes? Wer weiß?«
Allison musterte Robert. Der Australier hatte manchmal eine prophetische Ader, die ihr überhaupt nicht behagte. Jetzt blieben lediglich sie selbst und Armand übrig.
»Kehren wir um«, meinte der Franzose. Allison entging jedoch nicht, wie er den Tempel bei seinen Worten sehnsüchtig betrachtete.
Nun stand es 3:2. Allison wog die Chancen ab. Rational gedacht, hätten sie wirklich zurückfliegen sollen. Aber waren die Aussichten in der Ruinenstadt Igana tatsächlich um so vieles besser als hier?
Am Ende war es, wie so oft in Allisons Leben, eine reine Gefühlsentscheidung:
»Wir fliegen zum Tempel.«
In den Mienen der Gegner ihrer Entscheidung sah Allison den Unwillen, den ihre Worte ausgelöst hatten. Doch würden KI, Speedy und Armand ihre Entscheidung nicht in Frage stellen.
Schließlich bin ich die Anführerin, dachte Allison sarkastisch.
Schon setzte Robert den Antrieb in Gang, und sie rauschten mit dem Gleiter in das weitläufige Areal aus meterhohen Pflanzen hinein.
»Verdammt! Das wird wohl eine Untergrundfahrt.« Robert Boyds Worte gingen unter im Knacken unzähliger Halme, die wie Fächer auf die Scheibe ihres Gleiters schlugen.
Sogleich war ihr Fahrzeug von dem Schilfgewächs umschlossen. Was von außen wie ein grüner Teppich gewirkt hatte, entpuppte sich nun als eine vom überhohen Gras bedeckte Mulde.
Allison schauderte. Mit einem Schlag war es für sie finstere Nacht geworden.
»Keine Bange, ich habe den Tempel rechtzeitig in unseren Navi-Computer gespeichert«, versicherte Robert. »Wir können ihn nicht verfehlen.«
Es war gut gemeint, trotzdem schaffte der Australier es nicht, Allison zu beruhigen. In ihr reifte die Überzeugung, dass ihre Entscheidung sie alle ins Unglück gestürzt hatte.
*
Während der weiteren Fahrt durch das Grasfeld musste Allison an ihren Großvater denken, der ihr bei jedem ihrer Besuche als Erstes befohlen hatte, den Rasen zu mähen. Solche Abschweifungen in die Vergangenheit konnten bei Missionen, in denen jede Sekunde zählte, verheerende Konsequenzen nach sich ziehen. Selbst als eher laienhafte Survival-Spezialistin hätte Allison es besser wissen sollen...
Beinahe eine Stunde pflügten sie inzwischen durch das dichte Grün, ohne auch nur den Ansatz des Tempels ausmachen zu können. Sie glaubte fast, dass sie alle einer optischen Täuschung erlegen seien, ähnlich wie der Blick auf einen vermeintlich nahen Berg, der sich auf dem Hinweg als in einer Entfernung von einem Tagesmarsch befindlich offenbarte.
Robert Boyd beharrte weiterhin darauf, dass der gelbe Punkt auf dem Navi-Bildschirm sich beständig näherte. Zwei Prozent Energie waren ihnen verblieben, und Allison ging bereits die Schritte durch, wie nach Ausfall des Gleiters zu handeln war. Als Survival-Spezialistin wurde man zweifellos für ein Verhalten in derartigen Situationen geschult. Das musste aber geschehen sein, nachdem Allison ihre Ausbildung bereits abgebrochen hatte.
Armand befand sich hinter ihr und seufzte. KI und Speedy debattierten über mathematische Problemfälle, was für die beiden Genies die beste Ablenkung war. Sir Archibald beachtete niemanden und schrieb in sein Notizbuch.
Der plötzliche Alarm der Steuerkonsole kündigte wie in allen schlechten Filmen auch nichts Gutes an. Allison fuhr herum und suchte zusammen mit Robert nach der Ursache für das monotone Geräusch. Die Energieanzeige war es nicht, deren Piepsen hatte es nach der Fünf-Prozent-Marke irgendwann aufgegeben, sich bemerkbar zu machen.
Beider Blick ging zum Navigationsbildschirm. Neben dem gelben Punkt für den Tempel und dem roten für ihren Gleiter waren zusätzlich drei violette Abbildungen erschienen.
»Scheiße«, entfuhr es Allison. »Was ist das?«
»Was schaust du mich an?« Robert fasste anscheinend Allisons verbale Entgleisung als persönlichen Angriff auf. »Habe ich canorische Gleitertechnik studiert, oder was?«
»Vielleicht ist es kaputt?«, meinte Armand und wies auf die Anzeige. »Oui, Energie steht auf ein Prozent!«
»Scheint mir ein Ortungssystem für fremde Wärmequellen zu sein.« Speerbergen war hinter ihnen erschienen. »Dort draußen muss sich etwas befinden, das Wärme abstrahlt.«
»Leben?« Speedy war nun ebenfalls hinzugetreten.
»Diese Hypnose-Vögel!«, stieß Archibald hervor, der sich als Letzter zu ihnen gesellte.
»Ruhe.« Allison erstickte den Keim der Aufregung, bevor er ausbrechen konnte. »Wir werden diese Punkte zunächst umfliegen und unser Ziel erreichen. Da, seht!«
Sie folgten Allisons Finger zu den umherpeitschenden Grashalmen auf ihrer Frontscheibe. Nachdem an diesem Tag so gut wie alles schiefgegangen war, erschien die Silhouette des Tempelbaus wie eine Erlösung. Selbst im roten Nachtlicht von Canos schimmerte die Oberfläche wie ein Rubin.
»Wir schaffen es, bevor die Energie zu Ende ist.« Robert umfasste das Steuerrad und lenkte zielsicher um einen der violetten Punkte herum.
Sie umfuhren ihn. Es geschah nichts. Ein allgemeines Seufzen machte dabei die Runde. Allison wollte es den anderen gleichtun, stattdessen spürte sie einen heftigen Schlag gegen ihren Kopf. Als ob sie jemand in einer Tonne einen Abhang hinuntergestoßen hätte, fühlte sie ihren Körper daraufhin an etlichen Stellen aufschlagen und mit den anderen kollidieren. Die Wissenschaftler schrien wild durcheinander. Der Gleiter schien plötzlich eine Rassel geworden zu sein, deren Füllung sie selbst waren.
Von einem Moment auf den nächsten kehrte Stille ein. Es dauerte eine geraume Zeit, bis Allison sich selbst fand und aus dem Körperknoten befreite, den ihr Team mit ihr gebildet hatte. Immer noch geschockt setzten sich die lädierten Wissenschaftler auf, nur, um dem nächsten Schrecken ins Antlitz zu sehen.
»Was haben Sie getan?«, jaulte Archibald auf. Seine Stimme ähnelte der eines Kindes, dem man sein Eis weggenommen hatte.
Allison hielt es wie Robert und nahm den Geologen nicht zur Kenntnis. Stattdessen versuchte sie, sich an ihre veränderte Situation zu gewöhnen. Sie alle standen auf dem Cockpitfenster des Gleiters. Und unter ihnen war der Boden – in zwanzig Meter Entfernung! Das Gras, durch das sie gerade noch hindurchgeglitten waren, streckte sich unter ihnen wie ein grünes Meer in die Ferne.
Wie, zum Teufel, sind wir hier heraufgekommen? Allison stützte sich vorsichtig gegen die Scheibe unter ihr, als ob sie trotz des Glases jeden Moment hinunterfallen könnte.
Am Rande der Scheibe war gerade noch der Ansatz des bronzenen Canorer-Tempels zu sehen. Doch nicht nur das: Archibald schrie erneut wie ein Kind auf. Währenddessen schob sich ... das Ding weiter das Cockpitfenster empor. Allison war geneigt, an eine grüne Flosse mit Saugnäpfen zu denken. Eher vielleicht eine Art Tentakel? Eine gelbe Schmiere löste sich von den Saugnäpfen und verunreinigte damit das Glas. Es fraß sich regelrecht hinein.
»Das ist Säure«, stellte Armand Frederic nüchtern fest.
Sie schaute ihn unverwandt an. Fast wäre ihr es lieber gewesen, der Franzose wäre wirklich Koch und nicht Biologe geworden.
»Es ... es geht durch«, säuselte Alonso Gonzales fast ohne Stimme.
Um den Bereich der Saugnäpfe mutierte das rauchende Glas von Gelb mehr und mehr zu einem Orange. Während Allison noch dem Zerstörungsprozess folgte, schien ihr Gleiter erneut ein Eigenleben zu bekommen. Sie schafften es irgendwie, sich auf den Beinen zu halten, während der Gleiter sich bewegte. Unter ihnen offenbarte sich ihnen ein neuer Anblick, der ihnen allzu vertraut erschien.
»Eine ... Blume?«
So spöttisch Roberts Bemerkung auch war, so grausam war die Wirklichkeit. Allison versuchte, ihr Wissen in Bezug auf Botanik neu zu ordnen. Es gab keinen Zweifel: Es war eine ... Sonnenblume – in monströser Version!
Mitten im Grasmeer rauschte eine Blüte wie ein Teller mit segelgroßen Blütenblättern umher. Das Schwanken des Gleiters kam nicht von ungefähr; es war die Blume selbst, welche die Bewegungen verursachte. Der Stängel, der aus dem Blütenkopf hervorwuchs, hatte sich wie eine Schlange um ihr Gefährt gewunden, während die Blume unter ihnen sie wie ein Raubtier verfolgte.
»Bei meinen Ahnen!« Sir Archibald war der Ohnmacht nahe. »Es hat ein Maul.«
Wo sich bei der irdischen Sonnenblume die Mittelscheibe befand, waren bei der Riesenblume zwei Klappen geöffnet, deren Inneres sich gleich einem Malstrom in die Tiefe verlor. Zahnartige Spitzen umrandeten die Öffnung und komplettierten das Maul, wie Archibald es richtig erkannt hatte.
»Eine Karnivore!« Obwohl der Moment mehr als unpassend erschien, sprühte Armand Frederics Stimme vor Begeisterung. Auf den fragenden Blick der Umstehenden hin fügte er hinzu: »Eine fleischfressende Pflanze. Ähnlich der Klappfalle einer Venusfliegenfalle. Wir...«
Seine weiteren Worte gingen unter in einem erneuten Durchrütteln des Gleiters. Der tentakelartige Stängel hielt den Gleiter fest umschlossen, der sich nun direkt über dem Blütenkopf und dem Maul befand.
»So viel zu violetten Punkten.« Robert Boyd kletterte mühselig in den Cockpitsitz zurück, was auch bei der verminderten Schwerkraft auf Canos kein leichtes Unterfangen war.
»Die Wärmequellen können doch nicht von Pflanzen stammen?«, rief Speedy mit schriller Stimme.
»Ist das da eine Pflanze, die Sie in einem Blumenladen finden würden, Herr Gonzales?«, meinte Robert Boyd kalt.
»Es scheint eine Verbindung mit organischen Lebensformen eingegangen zu sein«, dachte Armand laut.
»Könnten wir später fachsimpeln?«, wandte Robert ein, der es geschafft hatte, sich im Sitz festzuschnallen. »Geht mal beiseite.«
Die Wissenschaftler kamen seiner Forderung nach, so gut wie möglich aus dem Sichtbereich der Cockpitscheibe zu rutschen. Allison hatte sich inzwischen zum Sitz neben Robert hochgezogen. Der Australier wirkte gefasst. Sie musste daran denken, wie er sie damals im Dschungel mit dem Samuraischwert vor der Bestie gerettet hatte.
Es steckt mehr in ihm, als man auf den ersten Blick vermutet.
»Was hast du vor?« Allison hatte ihre Hand auf den Schocker an ihrem Gürtel gelegt. Das metallene Objekt fühlte sich kalt an.
»Haltet euch fest«, sagte Robert und umfasste das Steuerrad mit beiden Händen.
Das Glas der Scheibe war inzwischen von der Säure schwarz geworden. Gleich würde es bersten. Das Maul füllte nun beinahe vollends ihr Cockpitfenster aus. Von den abstehenden Fangzähnen im trichterartigen Schlund spritzte gelbe Substanz auf.
»Volle Kraft!«
Mit einem Kampfschrei drückte Robert Boyd den Schalthebel bis zum Anschlag und zog den Gleiter zurück. Ein Großteil des verbliebenen einen Prozents Energie entlud sich mit einem voluminösen Schlag, der sogar bis zur Frontscheibe sichtbar war. Mit einem Ruck sprangen sie ab; die Tentakelzunge rutschte mit ekligem Quietschen von der Scheibe weg und gab ihr Gefährt frei.
Es gab einen Moment der Schwebe, dann folgte der freie Fall.
Ihre Schreie verbanden sich zu einem Crescendo, während ihr Gleiter dem grünen Boden entgegenraste. Allisons Magen schien sich einen Weg nach oben bahnen zu wollen, bis sie endlich aufschlugen.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit seit ihrem Aufprall vergangen war, doch war Allison klar, dass es eben diesen nicht gegeben haben konnte. Zumindest nicht wie erwartet: Das Gras hatte sie gleich einem Netz aufgefangen und ihr Leben gerettet.
Das rötliche Licht erhellte den Innenraum des Gleiters und zeigte der Xenobiologin erschöpfte Männer. Ein rascher Rundumblick machte sie glauben, dass keiner zu Schaden gekommen war. Um dennoch mögliche Verletzungen mussten sie sich später kümmern. Die Gefahr war noch nicht gebannt.
»Robert!«
Allison berührte seine Schulter, doch der Linguist gab lediglich ein Wimmern von sich.
Sie unterdrückte einen Fluch, als sie die Platzwunde an seiner Stirn sah.
Allison bemerkte einen Schatten über sich. Als hätte sie sich diesen Augenblick ausgesucht, klatschte die Tentakelzunge eklig auf die Scheibe. Ihre Saugnäpfe spritzten vor Gier – oder Wut. Sofort begannen sie, sich an dem Glas festzusaugen.
Allison handelte instinktiv. Es lag an ihr. Rasch hatte sie Robert vom Gurt gelöst und stieß den Australier unsanft zu Boden. Im Fahrersitz schaltete sie den regelrecht abgewürgten Antrieb wieder ein und packte fest das Steuerrad. Die Energieanzeige zeigte jetzt nur noch 0,3 Prozent an.
Ein kleiner Schubser, der uns noch bleibt, mehr nicht, dachte Allison bitter.
Der Knall war ohrenbetäubend. Ihm folgte splitternder Regen. Die Xenobiologin schaffte es, ihr Gesicht abzuschirmen, ehe die Glasnadeln auf sie niedergingen. Sie ignorierte die Geräusche der Saugnäpfe, die das Cockpitglas weiter nach außen bogen. Es war von einem Spinnennetz aus Rissen durchzogen, aber noch nicht ganz durchgebrochen.
»Du Unkraut!«
Allison gab Schub nach vorn. Der grüne Arm des Pflanzenungeheuers löste sich schlagartig und blieb hinter ihr zurück. Der Gleiter fegte durch das Grasland, als hätte es nie einen Zwischenfall mit einer größenwahnsinnigen Sonnenblume gegeben.
Robert Boyd zog sich auf den Nebensitz zu ihr hoch und betastete seine blutverschmierte Stirn.
»Gibt eine tolle Kriegsnarbe«, scherzte Allison mit einem Seitenblick auf den Australier. »Ist aber fraglich, ob du mit dem ›Kampf gegen die Blume‹ angeben kannst.«
Robert gönnte ihr einen Blick, als hätte sie den Verstand verloren. Vielleicht war es auch so? Allison Winter fühlte sich jedenfalls unglaublich gut.
Nach und nach kam auch in die anderen Männer das Leben zurück. Eine zweckmäßige Untersuchung zeigte als Ergebnis Schürfwunden, blaue Flecke und Kopfschmerzen. Ansonsten waren sie unverletzt geblieben.
»So etwas gehört nicht zu meinem Aufgabengebiet!«, polterte Sir Archibald Henton mit zitternden Händen. »Diese Lügner von Mechanics! Sobald wir die Erde erreichen, werde ich sie auf seelische Grausamkeit verklagen.«
Er wollte erst richtig in Fahrt kommen, doch der plötzliche Stoß, der unerwartet ihren Gleiter traf, schleuderte sie alle nach vorn, gegen die bereits angeschlagene Frontscheibe. Wie durch ein Wunder knirschte sie nur, behielt aber immer noch ihre eingedrückte Form bei. Canorische Qualität.
Erneut richteten sich die angeschlagenen Wissenschaftler auf, um herauszufinden, welche neuerliche Katastrophe nun bevorstand.
Das Hindernis, gegen das ihr Gleiter gefahren war, blieb jedoch überraschend unspektakulär: Eine übergroße Stufe aus Stein. Vor ihnen ging ein breiter Treppengang steil in die Höhe und endete an einem bronzenen Giganten. Canos’ Angkor Wat thronte wie ein Mahnmal, dem weder Zeit, Krieg oder ein Dschungel etwas anhaben konnte.
Sie hatten den Tempel erreicht und die Talmulde des Grasfeldes hinter sich gelassen.
»Null«, sagte Robert.
Allison löste sich von dem Anblick und versuchte zu ergründen, warum der Australier lächelte. Sie suchte nach der Energieanzeige auf dem Pult und sah sie nicht, da es keine Energie mehr gab. Ihr Gleiter hatte endgültig den Geist aufgegeben. Allison schaute auf. Nun gab es lediglich noch einen einzigen Weg...
»Herrje, das ist ja schlimmer als das Blumenmonster«, stöhnte Alonso Gonzales und fächerte sich demonstrativ Luft zu. »All die Treppen...«
Allison schmunzelte, doch tat ihr Speedy leid. Er war nicht gerade in körperlicher Bestform, aber da musste er nun durch. Wie sie alle.
Es dauerte nicht lange, bis sie alle Blessuren versorgt und ihr Gepäck beisammen hatten. Es war nicht viel von ihrer Ausrüstung übrig geblieben. Der wieder schwindende Wasservorrat ließ sich leicht in den Rucksäcken verstauen.
Robert öffnete schließlich die Schleuse des Gleiters. Sogleich waren sie vom Nachtlicht gänzlich in Rot getaucht. Die Wärme schlug ihnen entgegen wie eine Faust.
Roberts Wink mit der Hand war unmissverständlich:
»Dann mal los«, sagte er und erklomm die erste Stufe.
Nach geraumer Zeit hatte auch Alonso »Speedy« Gonzales eingesehen, dass es schlauer war, die Puste nicht sinnlos für Gejammer zu vergeuden und lieber für die Bewältigung der Stufen zu gebrauchen. Sie hatten bereits über zwei Drittel des Aufstiegs hinter sich gebracht. Anfangs hatten sie sich noch nach weiteren Sonnenblumen-Karnivoren umgesehen, doch inzwischen waren sie vollends mit dem Erklimmen der Treppe beschäftigt. Nichtsdestotrotz blieb Allison im Gedächtnis, dass das Navi-System ihres Gleiters drei violette Punkte angezeigt hatte. Und diese waren sicherlich nicht verschwunden.
»Sie lauern ihren Feinden im Dickicht des Grases auf und reagieren auf Bewegungen, die das Gras überträgt«, hatte Armand Frederic ihnen weitläufig erklärt. Der Biologe schien gefesselt von den Pflanzenwesen. »Es ist wie bei der Spinne und ihrem Netz. Die Blume reagiert in ähnlicher Weise, wenn Beute auf ihr Territorium trifft. Und nein, Sir Archibald, ich wiederhole es erneut: Diese Pflanzen sind nicht aufgrund einer Mutation entstanden. Canos’ atomare Strahlung ist zu gering, sonst würde sie ja auch für uns schädlich sein. Diese Riesenblumen sind natürliche Lebewesen von Canos. Die Canorer mussten sie damals von ihren Städten ferngehalten haben, womöglich auf chemische Weise. Aber nun, nach deren Vernichtung, steht den Blumen nichts mehr im Wege, um sich frei auszubreiten. Wer weiß, wie viele Jahre sie gebraucht haben, um so groß zu werden.«
Trotz der Zermürbung, die Hunderte von Stufen bereitet hatten, war Allison angetan von der Kulisse, die klarer wurde, je näher sie der Spitze des Tempels kamen. Um die Grasebene, die den Platz des Tempels umschloss, hing der Dschungel wie eine undurchdringliche Decke, die diesen Bereich von der übrigen Ruinenstadt klar abtrennte. Auf der anderen Seite dieses dunkelgrünen Mantels breitete diese sich wie ein grauschwarzer Schemen aus. Die Trümmerstadt Igana erstreckte sich bis zum Ende des Talkessels, der immerhin bis zum Horizont reichte. Allison konnte dort gerade noch die scharfe Linie ausmachen, die sich wie ein Kreis um sie zog: Die schwarze Mauer, welche sie vor Kurzem erst passiert hatten. Es war erstaunlich, dass sie das alles sehen konnte, obwohl es Nacht war.
»Die Canorer opferten ihr Leben für nichts«, sagte Allison zu ihren Teammitgliedern. »Sahen sie denn nicht, was sie taten? Obwohl der Planet durch die Hitzeentwicklung geprägt ist, ist er immer noch ein prachtvoller Ort.«
»Das erinnert mich stark an eine andere Rasse, deren Angehörige auch dazu neigen, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen«, meinte Armand, der neben Allison zum Stehen gekommen war und sich den Schweiß von der Stirn wischte. Er blickte sie unverwandt an. »Was meinst du, werden wir Menschen es irgendwann den Canorern gleichtun?«
»Wenn, dann werden die Konzerne die Büchse der Pandora öffnen«, nahm ihr Robert Boyd die Antwort ab. Der Australier stand ein paar Stufen höher als Armand und sie. Seine Haltung samt dem Samuraischwert an seiner Seite wirkte Respekt einflößend. Der dicke Verband an seiner Stirn minderte diese Wirkung nicht. »Mechanics und Flibo – irgendwann wird es zwischen denen rumsen. Und etwas sagt mir, dass die Star Gates damit zusammenhängen werden.«
»Worte, nichts als Worte«, brummte Sir Archibald, der eben zu ihnen aufgeschlossen hatte. »Was interessiert mich jetzt die Erde; ich hänge hier fest!« Der englische Adelige riss den Wasserkanister von seinen Schultern und schüttelte ihn. »Leer. Wir werden auf diesen vermaledeiten Steinhaufen verdursten!«
»Sie wollten doch hierher«, sagte Karl-Imanuel Speerbergen, der gerade mit dem keuchenden Speedy die letzten Stufen zu ihnen erklomm. »Ich war dagegen.«
Da er darauf nichts erwidern konnte, setzte Archibald seinen Unmut durch einen Wurf frei. Der Wasserkanister segelte weit durch die Luft, ehe er auf die Treppenstufen aufschlug und mit lautem Gepolter den Weg hinab sauste, dem Grasfeld entgegen.
»Sie Idiot, wir brauchen jeden der Behälter!« Allison war mit wenigen Schritten bei Archibald und packte ihn am Revers. Sie drückte den zwei Jahrzehnte älteren Mann auf das Ende der Stufe zu. Das stets griesgrämige Gesicht des Earl of Wilksworth wurde augenblicklich von Angst gezeichnet. Sie sah, wie der verbitterte Mann um seine Fassung rang. Seine spröden Lippen bebten.
»Sie bürgerliche ...«, stieß Archibald hervor.
Allison hätte wissen müssen, dass Sir Archibald Henton nie aufgeben würde.
»Allison!« Wie aus weiter Ferne drang Armands Stimme zu ihr.
Peinlich berührt sah Allison, wie die anderen sie mit großen Augen musterten. Sie hatte die Beherrschung verloren, sie, die Anführerin, die ihnen ein Vorbild sein sollte!
»Hören Sie zu.« Ihre Stimme war kühl und wieder beherrscht, während sie weiter zu Henton sprach. »Wir sitzen hier alle im selben Boot. Reißen Sie sich endlich zusammen und helfen Sie uns. Und stecken Sie sich das ›Bürgerliche‹ sonst wo hin. Alles klar?«
Es erschien Allison wie eine Ewigkeit, bis Archibald auf ihre Worte reagierte. Er nickte und brummte ein »Ja« hervor. Mehr konnte sie von ihm auch nicht erwarten.
Sie ließ Archibald frei. Der wich sofort vor ihr zurück, rückte das Revers seines Schutzanzugs zurecht und tat so, als wäre nichts geschehen.
»Nachdem wir das geklärt haben, lasst uns weitergehen. Ich zergehe hier gleich!« Robert löste die angespannte Situation und setzte den Aufstieg fort. Die anderen folgten ihm. »Seht, die Stufen hören bald auf. Ist das ein Tor?«
Allison sah, was er meinte. Am obersten Ende der Treppen befand sich eine Öffnung ins Innere.
Sie schaute über das Tor hinweg. Die drei Kuppeln auf dem Dach des Tempelhauses erschienen wie Dolchklingen, die sich dem dunkelroten Nachthimmel entgegenstreckten. Das Ganze erschien ihr mehr und mehr unheimlich. Sie unterdrückte ihre aufkeimenden negativen Gefühle und folgte Robert.
»Wenn ich einige Jahre Zeit hätte, könnte ich das schon entziffern«, stellte Robert nicht ohne Stolz fest.
Allison unterdrückte ein Gähnen. Seit rund zwanzig Minuten war der Linguist nun mit der Untersuchung der auf dem runden Bronzetor eingravierten Symbole und Schriftzeichen beschäftigt.
Sie stieß die Luft aus und blickte vom nahen Tor zurück. Das Team hatte ein provisorisches Lager auf den Stufen vor dem Tor errichtet. KI, Speedy und etwas weiter weg Archibald saßen auf ihren Schlafmatten und grübelten vor sich hin. Obwohl die Aussicht über ein romantisch rotes Igana spektakulär war, konnte dies nicht ihre Hoffnungslosigkeit lindern. Schuld daran hatte das Scheibentor, das keinerlei Öffnungsmechanismus aufwies.
Ein Grunzen und Keifen ließ sie allesamt zusammenzucken. Ehe noch der Translator an Allisons Gurt sein Werk verrichten konnte, hatten sie die rüde Sprache als canorisch erkannt.
»Forschungsstation MD11 erfordert Autorisation!«, drang es aus einer nicht sichtbaren Quelle, die irgendwo am Tor zu sein schien.
»Sofort!«, knisterte es wieder aus dem Sprachübertragungsgerät, das die Sprache des Planeten bereits bei Algors Bericht analysiert hatte. Inzwischen hatten sich alle Wissenschaftler dem Tor zugewandt, nicht wissend, was zu tun war.
»V16 überträgt Statusbericht: Neuankömmlinge auf Canos: Sechs. Spezies: unbekannt. Zustand: labil.«
»Es kommt von dort.« Robert deutete nach oben.
Die Gruppe folgte seinem Fingerzeig. Am oberen Rand des Tors war eine Öffnung eingelassen. Daraus surrte ein münzgroßes Objektiv hervor, das an eine Kamera erinnerte.
Das Grunzen erschallte erneut aus der Öffnung. Der Translator übertrug den Zorn lebensnah: »Antwortet gefälligst!«
»Das ist kein Tonband und kein Computer!«, entfuhr es Speerbergen. Seine Augen wurden groß. »Kann es sein? Kann es sein, dass einer von ihnen überlebt hat?«
»Wie ihr wollt. Aktiviere Betäubungs-Gas.«
Ehe einer der Wissenschaftler reagieren konnte, löste sich mit einem Zischen gelbgrüner Rauch aus dem Loch über dem Tor.
Allison fuhr herum, um sich zur Flucht zu wenden, aber es war bereits zu spät. Die Wolke hatte sie sofort verschlungen.
Das beißende Gas drang in ihre Lunge ein. Ihr war, als ob ihr Körper wie mit einem Schalter ausgeknipst würde. Sie sackte haltlos zu Boden.
Zur völligen Bewegungslosigkeit verdammt, sah sie, dass es den anderen nicht besser erging.
Das sichtbare Gas umwölkte Allisons Sichtfeld. Kurz darauf wechselte das Grün vor ihren Augen zu Schwarz über.
Allison kämpfte sich nach und nach aus ihrer Bewusstlosigkeit zurück. Das Erste, was ihr auffiel, nachdem die Erinnerung einsetzte, war, wie gut sie sich fühlte. Der Hunger war gestillt und auch der Durst war verschwunden. Und darüber hinaus fühlte sie sich eben ... quietschfidel. Selbst die Hitze war wie durch Zauberhand verschwunden. Die Temperatur war angenehm, beinahe frühlingsgleich.
Allison dachte an den Morgen nach einem herrlichen, ausgedehnten Wellness–Wochenende: Man fühlte sich einerseits zwar irgendwie ein wenig geschlaucht, aber auch glücklich und gut erholt.
Allison blinzelte mehrere Male, um sich zu vergewissern, dass ihre Umgebung real und kein Resteindruck eines Traumes war. Die Gesichter ihrer Teamkollegen um sie herum spiegelten die gleiche Ungläubigkeit wider, die auch Allison empfand. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie geglaubt, die fünf Wissenschaftler und sie würden gemütlich im Kreis um einen hölzernen Tisch herum frühstücken und sich entspannen – während um sie herum das Paradies selbst blühte!
Sie befanden sich jedoch im Zentrum eines saalgroßen Raumes, der von allen Pflanzen des Universums zugewachsen schien. Allison sah Blumen, Sträucher und Bäume in allen Farben und Formen; erdähnliche und fremdartige, mögliche und unmögliche. Sie entdeckte einen ganzen Aufmarsch von baumelnden Früchten und Gemüsearten, ohne sie klassifizieren zu können.
Eva und fünf Adams, dachte Allison spöttisch in Anbetracht ihrer Lage.
Auch die anderen kämpften darum, eine rationale Erklärung für das farbenfrohe Wunder um sie herum zu finden. Speerbergen und Speedy runzelten beide die Stirn wie bei einer komplizierten Matheaufgabe, Robert schaute sich misstrauisch um und Archibald vergrub sich in sein Notizbuch, als ob dort die Lösung des Rätsels verborgen wäre. Nur Armand wirkte gelassen. Der Franzose hatte sich weit in seinen unförmigen Stuhl zurückgelehnt, und Allison sah in seinem Gesicht das glücklichste Kleiner-Junge-Lächeln.
Allison konnte das sogar nachvollziehen. Für einen Biologen musste diese prachtvolle Natur ein einzigartiger Schatz sein.
Beinahe schon ohne merkliche Überraschung fand Allison die Ausrüstung ihres Teams fein säuberlich auf dem Tisch aufgereiht. Alles war vorhanden, auch Roberts Schwert und ihr Schocker fehlten nicht. Selbst Armands Schweizer Taschenmesser konnte Allison darunter entdecken.
Auf dem Höhepunkt der kuriosen Ereignisse erschien das Wesen selbst, dem sie ohne Zweifel all das hier zu verdanken hatten.
»Ich wusste es«, flüsterte KI selbstzufrieden.
Der Canorer grunzte und schaute sie nacheinander an. Dann sprach er. Der Translator an Allisons Gürtel übersetzte simultan.
»Ich bin Krevix V16«, stellte sich der Bewohner von Canos vor. Dabei legte er stolz eine viergliedrige Hand auf seine Brust. »Ich bin Wissenschaftler von MD11, der Schwarzen Fraktion in der ehemaligen Stadt der Roten: Igana.«