Star Trek - Deep Space Nine: Kraft und Bewegung - Jeffrey Lang - E-Book

Star Trek - Deep Space Nine: Kraft und Bewegung E-Book

Jeffrey Lang

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Beschreibung

2367 hat Captain Benjamin Maxwell von der Phoenix die Zerstörung eines cardassianischen Kriegsschiffs und eines Versorgungsschiffs befohlen und dabei über sechshundert Cardassianer getötet. Maxwell war davon überzeugt, dass sich die Cardassianer für eine neue Offensive gegen die Föderation bewaffnen, und obwohl er höchstwahrscheinlich recht hatte, blieb der Föderation keine andere Wahl, als ihn vor ein Militärgericht zu stellen und zu inhaftieren. Seitdem sind fast zwanzig Jahre vergangen und Maxwell ist wieder ein freier Mann, der als Wartungsingenieur auf der privaten Wissenschaftsstation Robert Hooke arbeitet, einem Schmelztiegel für Verrückte, unkonventionelle Forscher und möglicherweise etwas weitaus Dunklerem und Tödlicherem. Maxwells früherer Schiffskamerad, Chief Miles O'Brien und sein Kollege, Lieutenant Commander Nog, sind zu Besuch gekommen. Leider scheint es ein ungeschriebenes Gesetz zu sein: Sobald O'Brien und Nog Deep Space 9 zusammen verlassen, setzen sich unvorhersehbare Ereignisse in Bewegung …

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STAR TREK

DEEP SPACE NINE™

KRAFT UNDBEWEGUNG

JEFFREY LANG

Based onStar Trek and Star Trek: The Next Generationcreated by Gene RoddenberryandStar Trek: Deep Space Ninecreated by Rick Berman & Michael Piller

Ins Deutsche übertragen vonRené Ulmer

Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – DEEP SPACE NINE: KRAFT UND BEWEGUNG wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: René Ulmer; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Andrea Bottlinger; Korrektorat: André Piotrowski; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: Martin Frei; Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – DEEP SPACE NINE: FORCE AND MOTION

German translation copyright © 2018 by Amigo Grafik GbR.

Original English language edition copyright © 2016 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

™ & © 2018 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All rights reserved.

This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

Print ISBN 978-3-95981-666-3 (Juni 2018) · E-Book ISBN 978-3-95981-667-0 (Juni 2018)

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Für Tristan.

Danke für die gemeinsamen Spaziergänge und Gespräche.

Inhalt

Historische Anmerkung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Danksagungen

Historische Anmerkung

Der Hauptteil dieser Geschichte ereignet sich Anfang Januar 2386, kurz nach der Entdeckung des Gerüsts auf dem bajoranischen Mond Endalla (STAR TREK – DEEP SPACE NINE»Vorherrschaft«).

Prolog

10. Februar 2381Strafkolonie der Sternenflotte, Waiheke IslandNeuseeland, Erde

Ben Maxwell saß auf der niedrigen Steinmauer, die die Grenze des Geländes markierte. Er blickte nach Westen, hinaus zur Halfmoon Bay, sah der Sonne zu, wie sie im Meer versank und dabei das Wasser und den Himmel in Töne von Rot und Gold färbte. Er war zu weit oben auf dem Hügel, um das Branden der Wellen zu hören, aber von dort aus wirkte die Bucht so glatt wie das Eis einer Eislaufbahn. Maxwell stellte sich vor, wie es wohl wäre, vom Sand auf die Oberfläche des Ozeans zu treten, sich mit dem linken Fuß abzustoßen und in Richtung Westen bis nach Auckland zu gleiten. Er wusste, in seinen besten Jahren hätte er die fünfundzwanzig bis dreißig Kilometer in ein paar Stunden gemeistert. Wenn ich müde werde, dachte er, halte ich auf Motutapu Island an, um etwas durchzuschnaufen. Und trinke ein Bier.

Maxwell lehnte sich ein wenig zurück, sah zum dunkler werdenden Himmel hinauf. Er rieb sich das Kinn, spürte die Stoppeln des Tages. Die Nacht war wolkenlos, wie meistens während der aufgewühlten Spätsommertage. Nun, dachte Maxwell. Ich würde sagen, das hat was Gutes für sich: Bei einem solchen Himmel sehen wir sie schon lange, bevor sie hier sind. Er zögerte, vertiefte die Überlegungen: Haben Borg-Kuben Positionslichter? Sieht man sie schon aus der Ferne? Er hatte damals die Berichte über die Borg gelesen – jeder gute Schiffscaptain hätte das getan –, hatte aber nie die Gelegenheit bekommen, einen Kubus aus der Nähe zu sehen, da er 2367 die Auseinandersetzung bei Wolf 359 verpasst hatte. An jenem düsteren Tag hatte sich die Phoenix auf der anderen Seite des Quadranten auf Patrouille befunden und irgendein Sternenflottenanalyst hatte beschlossen, dass sein Schiff zu weit entfernt war, um eingreifen zu können.

Wahrscheinlich verdanke ich diesem Analysten mein Leben, mutmaßte Maxwell. Ich sollte ihn ausfindig machen und mit seinem Abakus verprügeln. Er kicherte, da er wusste, er sollte diese Vorstellung in der morgigen Therapiesitzung erwähnen – die Kugeln eines Abakus, die in alle Richtungen davonflogen, während der Holzrahmen gegen die Schläfe von jemandem geschlagen wurde –, vorausgesetzt, es gab ein Morgen. Doktor Beeman würde garantiert fragen: »Warum ein Abakus?«

»Wow«, murmelte Maxwell, »sieht so aus, als würde die Therapie allmählich Wirkung zeigen.« Er hörte etwas davonhuschen. Seine Worte hatten wohl ein kleines Tier aufgeschreckt, das bis eben die Wärme des aufgeheizten Felsens genossen hatte. Er stand auf, wischte sich die Handflächen an den Hosenbeinen ab, um kleine Objekte abzustreifen, ohne tatsächlich mit ihnen in Kontakt zu kommen. Maxwell war schon lange genug in Neuseeland, um zu wissen, dass bei den kleinen, krabbelnden Einheimischen Vorsicht geboten war.

Am Horizont tauchte ein Lichtfleck auf, bewegte sich schnell von Süden nach Norden und verschwand wieder in einer plötzlichen Blauverschiebung. Interessant, dachte Maxwell. Sah so aus, als wäre jemand viel zu dicht an der Atmosphäre auf Impulsgeschwindigkeit gegangen. Wie kann so was überhaupt passieren? Für gewöhnlich wurde der Luftraum um die Erde so streng überwacht, dass niemand überhaupt auf die Idee kam, so etwas zu versuchen. Wer auch immer an den Kontrollen dieses Schiffs saß, besaß wohl wenig gesunden Menschenverstand und zeigte eine bedauerliche Ignoranz in Sachen Vorschriften. »Oder er ist einfach nur sehr, sehr verzweifelt«, sagte er zu sich selbst.

»Wer?«

Maxwell sah über die Schulter zurück und war überrascht, als er nur wenige Meter entfernt, am Rand des Kieswegs, der vom Hauptverwaltungsgebäude zum Strand führte, eine Gestalt entdeckte. Doktor Clark, einer der jüngeren Ärzte. Wie die meisten Therapeuten pflegte Clark einen schlichten Kleidungsgeschmack, sogar zweckdienlich. Wahrscheinlich, weil irgendeine der Verordnungen der Kolonie sagte, dass die Mitarbeiter nicht zu sehr auffallen sollten, um die Häftlinge nicht zu beunruhigen. Gelegentlich war Maxwell aufgefallen, dass Clark große, handgefertigte Gürtelschnallen mit eigentümlichen Logos oder Symbolen darauf trug, die ohne Zweifel für ihn und eine Unter-Untergruppe von Reisenden eine Bedeutung hatten, für alle anderen aber nichts weiter als ein Mysterium darstellten. Das mochte Maxwell an ihm.

Soll ich ehrlich antworten oder mir etwas aus den Fingern saugen? Wahrscheinlich war es unwichtig, darum entschied er sich für die Wahrheit. »Jemand hat etwas getan, was man nicht tun sollte. Er ist auf Impulsgeschwindigkeit gegangen.« Er deutete in Richtung des mittlerweile dunklen Horizonts. »Der Lichtstreifen. Sofern die bei der Erd-Verkehrskontrolle nicht schon vor Verzweiflung die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, was ich durchaus für möglich halte.« Er konnte nicht beurteilen, ob Clark wusste, wovon er sprach, darum ergänzte er: »Wegen der Borg?«

Clark zuckte plötzlich einen Schritt zurück. Er schaltete seine Taschenlampe ein und leuchtete in den Himmel. »Sind sie hier?«

Maxwell war verwirrt. Er beäugte Clark misstrauisch. »Das sollten Sie eigentlich besser wissen als ich. Ich bin nur ein Häftling.« Im Licht der Lampe konnte Maxwell die Verzweiflung erkennen, die tiefe Furchen in Clarks Gesicht grub. Er war nicht begriffsstutzig, einfach nur erschöpft. Und wahrscheinlich hatte er Angst. Immerhin befanden sie sich auf einem Planeten, der ein Ziel der Borg-Armada darstellte. Wahrscheinlich würde keiner von ihnen den nächsten Tag erleben.

Die therapeutische Ausbildung des Arztes übernahm. Er schlug einen sanften, mitfühlenden Ton an. »Sie sind ein Patient, Ben, kein Häftling.«

Da Clark noch neu und ein durch und durch anständiger Kerl war, wusste Maxwell, er sollte sich auf keine schwierige rhetorische Diskussion mit ihm einlassen. Aber dann erkannte er die Wahrheit: Ach, was zur Hölle! Die Welt steht am Abgrund. Was habe ich schon zu verlieren? »Oh, Klasse! Dann möchte ich gerne entlassen werden. Ich bin geheilt.«

»Sie wissen, das geht nicht«, widersprach Clark kopfschüttelnd.

»Weil?«

Der Arzt zögerte und Maxwell nahm an, dass der Therapeut dieselben Überlegungen anstellte, die er eben noch selbst durchgegangen war, und zur selben Schlussfolgerung kam. »Weil Sie kein Patient sind, sondern ein Häftling.«

Mit ausgebreiteten Armen fragte Maxwell: »War das jetzt so schwer?«

»Nein, Ben«, gestand Clark lächelnd. »War es nicht. Danke, dass Sie so nachsichtig mit mir sind.«

»Aber ich befürchte, für mehr haben wir heute keine Zeit …«

Clark winkte bei dem Sarkasmus ab. »Bitte, keine Ausflüchte mehr. Doktor Gunther hat mich geschickt, um nach Ihnen zu suchen.«

Maxwell drückte den Rücken durch. Eben noch hatte er mit den Händen auf den Knien, bequem unter dem Zug der Schwerkraft in sich zusammengesunken dagesessen. Und plötzlich nahm er Haltung an, drückte die Fußballen gegen den Boden, grub die Zehen hinein. Die Schultern zurückgezogen, die Knie durchgedrückt. Nach einem hörbaren Schlucken fragte er durch zusammengebissene Zähne: »Was hat er gesagt?«

Clark trat überrascht einen halben Schritt zurück. »Was ich gerade gesagt habe.« Er versuchte, nicht beunruhigt zu klingen. »Er hat mich darum gebeten, Sie zu finden. Wissen Sie, Ben, eigentlich sollen Sie Ihren Kommunikator jederzeit bei sich tragen.«

Aber Maxwell hörte nicht mehr zu. Er rannte. Die dünnen Schlappen boten keinerlei Halt und durch die Sohlen spürte er schmerzhaft jeden Kieselstein auf dem Weg, aber das bremste ihn nicht. Während er rannte, deutete er auf das Verwaltungsgebäude. Über die Schulter schrie er zurück: »Dort? In seinem Büro?«

»Ja«, rief Clark. »Aber rennen Sie nicht! Die Wachen werden noch glauben, dass Sie versuchen zu flüchten!«

Maxwell rannte nur noch schneller. Wie lange war es her, dass er so gerannt war – kein Trab, sondern ein Sprint? Er konnte sich nicht erinnern. Er dachte an seine Zeit als Kadett zurück, wie er damals gerannt war, aber dann zuckten Bilder von Schlachten durch seinen Verstand. Damals bin ich gerannt, dachte er. Es war Hals über Kopf, nichts wie weg. Ich bin um mein Leben gerannt. Der Säulenvorbau des Hauptverwaltungsgebäudes kam in Sicht, durch die Tränen in seinen Augen war er nichts als ein verschwommener Schemen. Ich versuche nicht zu flüchten. Tue ich nicht. Die Wachen können den Unterschied sehen. Er atmete heftig keuchend. Sie werden wissen, dass ich nicht flüchte. Sie werden wissen, dass ich nach Hause gehe.

Abram Gunthers Büro lag im ersten Stock des Hauptverwaltungsgebäudes, das man über zwei breite, geschwungene Marmortreppen erreichte, die den Eingangsbereich des Gebäudes einrahmten. Für gewöhnlich war der Eingangsbereich sehr belebt, ein natürlicher Treffpunkt für Counselor und Häftlinge, um sich zu unterhalten. Aber es war spät am Abend und die letzten Therapiesitzungen waren schon lange vorbei. Und Maxwell ermahnte sich, dass da ja noch die ganze »Die Borg kommen, um uns und unsere Lebensweise auszulöschen«-Angelegenheit in der Luft hing. Das gehörte zu den Dingen, die selbst den aufopferungsvollsten Arzt dazu brachten, darüber nachzudenken, nach Hause zu gehen, um etwas Zeit mit der Familie zu verbringen, oder in die nächstbeste Kneipe einzufallen. Je nachdem, was einem lieber war. Die Häftlinge, die nicht einfach verschwinden konnten, verkrochen sich in Gruppen aus zwei und drei Personen in ihren Quartieren, unterhielten sich leise oder versuchten, Verbindung zu ihren Familien und Freunden aufzunehmen, wenn sie denn noch welche hatten.

Man musste Gunther zugutehalten, dass er noch immer in seinem Büro war, obwohl seine Familie – ein Ehemann und zwei Kinder – in Auckland lebten. Ein Teil Maxwells fühlte sich schlecht, dass der Leiter der Kolonie so spät noch in seinem Büro war, aber nicht so sehr, dass er sich wünschte, Gunther wäre gegangen.

Das ist es, dachte Maxwell, während er schlitternd vor dem beeindruckenden Schreibtisch des Direktors zum Stehen kam. Wie immer stellte der Schreibtisch ein Musterbeispiel geordneter Organisation dar: Ein paar Padds lagen nebeneinander, daneben waren fein säuberlich isolineare Chips gestapelt. An den den Besuchersesseln zugewandten Ecken schwebte jeweils ein geschmackvolles Hologramm in der Luft. Das eine zeigte einen altertümlichen Musiker, den Maxwell als einen Victrola identifizierte, das andere war ein Porträt des Arztes mit seiner Familie. Auf dem Bild sahen die Kinder aus, als wären sie acht und zehn Jahre alt, allerdings wusste Maxwell, dass sie viel älter waren.

Er setzte an, etwas zu sagen, musste sich jedoch auf dem Schreibtisch abstützen, um wieder zu Atem zu kommen. Gunther stand auf, bedeutete Maxwell, sich in einen der Sessel zu setzen. »Lassen Sie sich einen Moment Zeit, Ben. Oder zwei. Sie werden es brauchen.«

Anders als die anderen Ärzte und Counselor, die mit den Häftlingen der Kolonie arbeiteten, hatte Abram Gunther zwanzig Jahre lang in der Sternenflotte gedient. Auch wenn er nie das Kommando über ein eigenes Schiff gehabt hatte, wusste er, was es bedeutete zu dienen. Er hatte nie Maxwells früheren Rang erwähnt – dergleichen galt als Tabu –, aber Gunther behandelte den in Ungnade gefallenen Captain stets mit dem Respekt, dem man einem anderen Offizier entgegenbrachte. Ein Teil dieses Respekts zeigte sich darin, dass Gunther nie etwas beschönigte oder die Wahrheit verdrehte. Er hatte schlechte Nachrichten für Maxwell.

Wie erbeten setzte er sich, lehnte sich jedoch nach vorne. Sein ganzes Gewicht lag auf seinen Fußballen, während Maxwell sich an die Armlehnen klammerte. Er schaffte zu fragen: »Was hat man gesagt?«

»Was glauben Sie, Ben?« Gunther setzte sich in seinen Sessel, ließ sich gegen die gepolsterte Lehne sinken. Seufzend rieb er sich über die Stoppeln in seinem Gesicht. »Die Antwort lautet ›Nein‹.«

»Verdammt!«, ächzte Maxwell. »Ich könnte helfen!«

»Natürlich könnten Sie das«, stimmte Gunther zu, war aber freundlich genug, nicht mehr dazu zu sagen. Stattdessen beugte er sich über den Schreibtisch und gab Maxwell ein Padd.

Lieber Abe,

ich habe nicht viel Zeit, auf deine Anfrage bezüglich Benjamin Maxwell zu antworten. Ich kann mir nur ausmalen, wie wichtig dir diese Angelegenheit in Anbetracht der anderen Herausforderungen ist, denen du dich gegenübersiehst.

Obwohl ich weiß, dass er die letzten Jahre in deiner Einrichtung ein mustergültiger Häftling war und sich seit seinem Militärgerichtsverfahren rehabilitiert hat, können wir seiner Anfrage, in den aktiven Dienst zurückkehren zu dürfen, nicht entsprechen, nicht einmal angesichts der aktuellen Krise. Bitte richte Mister Maxwell meinen Dank aus und sage ihm, dass diese Entscheidung nicht bei mir lag. Ich versuche nicht, Entschuldigungen zu finden, sondern versuche nur, die Angelegenheit im Lichte unserer gemeinsamen Vergangenheit so deutlich wie möglich zu erklären. Sage ihm, dass ich mich gerne an unsere gemeinsame Zeit zurückerinnere. Ungeachtet dessen, was er vielleicht getan hat, war er einer der besten Offiziere, die ich jemals kennenlernen durfte.

Unglücklicherweise ist Vergebung schwer zu erlangen. In unserer derzeitigen Situation kann es durchaus sein, dass Ben Maxwell nie Vergebung erfahren wird, zumindest nicht in diesem Leben.Meine herzlichsten Grüße an dich und deine Familie, Abe. Soweit ich weiß, ist Mark Teil der Vorhut an Bord der Constitution. Er wird dich ohne Zweifel stolz machen.

In aller Eile,Jason Mark Stratham, Admiralhöchstmögliche Priorität via Subraumkanal

Maxwells Finger wurden taub und er ließ das Padd fast auf den Boden fallen. Dann erinnerte er sich daran, dass die Nachricht nicht an ihn adressiert war, sondern an Gunther. Und das Padd fallen zu lassen, wäre höchst respektlos. Er gab es an den Direktor zurück.

»Es tut mir aufrichtig leid, Ben. Ich hätte gedacht, aufgrund der aktuellen Ereignisse würde man Ihrem Gesuch stattgeben.«

»Ich möchte nur dienen«, bekräftigte Maxwell. »Warum lässt man mich nicht?«

»Ich weiß nicht«, gestand Gunther. »Aber ich kann raten.« Aus einer Schublade holte er eine kleine Fernbedienung und richtete sie auf die Wand rechts von ihm. Paneele glitten zur Seite und legten einen großen Bildschirm frei. Darauf huschten Bilder vorbei, während Gunther auf der Fernbedienung herumdrückte. Bei einem körnigen Bild hielt er schließlich an: mehrere helle Kleckse vor einem dunklen Hintergrund. In der rechten unteren Ecke des Bildschirms befand sich eine sanft geschwungene Masse, die Maxwell sofort als Planet erkannte. Er betrachtete eine Aufnahme, die man offensichtlich mit Langstreckensensoren gemacht hatte.

Gunther stand müde auf, näherte sich dem Bildschirm. »Es bringt ein paar Vorteile mit sich, wenn man Freunde hat, die noch dienen. Ich habe ein paar Codes. Ich habe herausgefunden, wo sich die Flotte versammelt hat. Wahrscheinlich reicht Ihnen dieses verschwommene Bild, um den Planeten zu erkennen, oder?«

»Ja«, bestätigte Maxwell. »Natürlich erkenne ich ihn.«

»Und Sie sehen den weißen Klecks in der linken Ecke oben?«

»Ja, Deneva.«

»Und das«, sagte Gunther, während er mit einem roten Licht einen Kreis um einen anderen Klecks zog. »Das ist die Constitution. Mein Sohn Mark ist auf ihr stationiert. Lieutenant Junior Grade. Sein erster Posten auf einem Raumschiff. Waffenoffizier. Seinen Briefen entnehme ich, dass es nicht unbedingt seine Traumaufgabe ist.«

»Ich bin überzeugt, er wird sich wacker schlagen.«

Gunther deutete auf die Kleckse in der Nähe des unteren Rands des Bildschirms. »Und Sie sehen diesen, diesen, diesen … nun, die meisten davon?«

»Ja.«

»Können Sie sich vorstellen, was sie sind?«

»Cardassianer. Galor-Klasse? Werden die noch benutzt?«

Gunther sah das Bild mit ungläubig zusammengekniffenen Augen an. »Sie benutzen alles. Alles, was Cardassia den Borg entgegenwerfen kann. Und wissen Sie, warum?«

»Nein«, gestand Maxwell. »Weiß ich nicht. Warum?«

»Weil wir sie darum gebeten haben. Trotz allem, trotz des Dominion-Krieges, trotz der Katastrophen, die über sie hereingebrochen sind, kommen uns die Cardassianer zu Hilfe. Natürlich wissen sie, dass sich die Borg auch gegen sie richten würden, wenn auch wahrscheinlich nicht gleich. Mit diesen Schiffen, sogar denen der Galor-Klasse, könnten sie ihr Volk wegbringen, irgendwohin. Das tun sie aber nicht. Sie helfen uns.«

Maxwell atmete tief ein, seufzte schwer. »Da fragt man sich doch, warum.«

»Warum was?«

»Warum ich sie so sehr gehasst habe.«

Gunther lächelte, lachte fast. »Ben, ich denke, wir beide wissen, dass Sie einen guten Grund gehabt haben, sie zu hassen. Im Übrigen hassen die Cardassianer Sie auch. Sie haben Ihren Namen nicht vergessen. Und ich vermute, dass man Ihr Angebot aus diesem Grund abgelehnt hat. Wenn die Cardassianer jemals erfahren würden, dass Sie auf einem Raumschiff sind …« Er zuckte mit den Schultern, legte einen Schalter um und der Bildschirm wurde dunkel.

»Also«, sagte Maxwell, während er sich allmählich sammelte, »sieht so aus, als bliebe mir nichts anderes übrig, als hierzubleiben und abzuwarten, wie es weitergeht.«

»Genau wie wir anderen.«

Maxwell stand auf, war noch immer etwas wackelig auf den Beinen. Seine Fingerspitzen berührten die Oberfläche von Gunthers makellosem Schreibtisch. Er sah das Familienfoto an. »Welcher davon ist Mark?«

»Der Ältere.« Gunther lächelte. »Sein Bruder Arin interessiert sich nicht für die Sternenflotte. Er studiert an der Universität von Sydney. Er kommt heute Abend nach Hause. Um ehrlich zu sein, muss ich ihn nachher an der Station abholen.«

»Natürlich. Ich möchte Ihnen für Ihre Hilfe und Ihre Rücksichtnahme danken, Doktor Gunther. Wahrscheinlich habe ich gewusst, dass es nichts bringen würde.«

»Ich habe gedacht, man würde Ihnen stattgeben, Ben. ›Wenn der Sturm losbricht, braucht man jede verfügbare Hand.‹«

»Ist das aus einem Gedicht?«

»Nein, mein Vater hat das immer gesagt.«

Maxwell lächelte, aber nur eine Sekunde lang. Seine Müdigkeit spülte das Lächeln weg. Er wandte sich vom Schreibtisch ab, schlurfte durch die Tür, die Treppe runter und verließ das Gebäude.

Hinter ihm gingen die Lichter im Verwaltungsgebäude aus.

Über ihm zogen sich die Wolken zusammen, verbargen die Sterne.

Maxwell schlief wie ein Stein und wachte am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang auf und erkannte, dass die Erde wie durch ein Wunder überlebt hatte und sich noch einen Tag länger weiterdrehen würde.

Die Borg zerstörten die Flotte, die man zu Denevas Verteidigung entsandt hatte, darunter auch die Constitution und ihre cardassianischen Verbündeten.

Es gab keine Überlebenden.

Kapitel 1

9. Januar 2386Runabout Amazon

»Und dann habe ich draußen in der Scheune ein paar Lederriemen gefunden – ich glaube, es waren Zügel für ein Wagengespann, die mein Vater für eine seiner geschichtlichen Aufführungen hergestellt hat – und habe sie durch die Ringbolzen gezogen, die ich in den Türsturz geschraubt habe …«

Lieutenant Commander Nog verdrehte schwer seufzend die Augen. »Warten Sie, Chief – stopp! Bitte. Sie wissen, wie das für mich klingt, oder? ›Ich ging zur bla, bla und habe ein paar bla gefunden und sie an die bla im bla gebunden.‹«

»Was meinen Sie?« Miles O’Brien schlug ein Bein über das andere, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich tiefer in den Kopilotensessel. »Welchen Teil haben Sie nicht verstanden?«

»Fangen wir mit Zügel an.«

»Zügel – Lederriemen. Lange Lederriemen, mit denen man das Pferd oder den Ochsen lenkt oder wovon der Wagen auch immer gezogen wird.« Er hielt die Hände auf Brusthöhe vor sich und hielt etwas Imaginäres fest, von dem Nog annahm, er sollte es sich vorstellen können. O’Brien bewegte lächelnd die Hände vor und zurück, als würde das alles verständlicher machen.

»Ochsen?«

»Ein großes Säugetier von der Erde«, erklärte O’Brien automatisch, wobei sein Lächeln nachließ. »Domestiziert. Früher hat man sie auf Bauernhöfen zur Arbeit und zum Transport eingesetzt.«

»Sie haben Tiere für sich arbeiten lassen? Ist das nicht Missbrauch?«

»Nein. Und ich habe nicht gesagt, wir hätten Ochsen eingesetzt. Aber die Zügel waren in der Scheune.«

»Ein Lagerhaus, das auf Bauernhöfen benutzt wird.«

»Genau.«

»In Ordnung. Und ich weiß, was ein Ringbolzen ist.«

»Gut, sonst müsste ich Sie von der Station werfen lassen.«

»Und was ein Türsturz ist, habe ich aus dem Zusammenhang geschlossen, aber das Wort habe ich noch nie gehört. Es klingt wie …« Der Ferengi dachte einen Moment darüber nach, während er ihren Kurs überprüfte. »Es klingt wie etwas, was einem auf den Kopf fallen kann. Und danach muss man sich mit etwas einreiben oder man lässt sich einreiben.«

O’Brien zuckte zusammen. »Ich will nichts über Ihr Privatleben wissen, Nog.«

»Medizinisch.«

»Klar«, stimmte der Chief ausdruckslos zu. Nog wollte noch »Das fasziniert mich« sagen, aber O’Brien würde es als Lüge erkennen.

Sein Ingenieurkollege setzte seine Geschichte über einen Jugendstreich fort. Nog hörte nicht ganz so aufmerksam zu, überprüfte noch einmal den Kurs. Die Amazon war nicht das erste Runabout der Yellowstone-Klasse, das er flog, und er kannte das heikle Navigationssystem. Wie einer seiner Kollegen an Bord der Challenger mal gesagt hatte: »Osten ist Osten und Westen ist Westen – es sei denn, man ist mit einer Yellowstone unterwegs.«

»Also habe ich den Kragbalken vorbereitet, damit, wenn Cully – mein älterer Bruder, merken Sie sich das – die Tür zum Treppenhaus aufriss, wie er es immer tat, was das ganze Haus zum Beben brachte, die Audioaufnahme startet und die Puppe, der wir Omas schmuddeliges altes Kleid angezogen haben, die gespannten Leinen hinuntergleitet.« Die Erinnerung ließ O’Brien schallend lachen. Nog verstand, dass er mitlachen sollte, war sich aber nicht ganz sicher, also hielt er sich zurück. Es half auch nicht, dass er nicht begriff, was daran lustig sein sollte.

»Und was ist dann passiert?«

»Nun, dann«, fuhr O’Brien fort, »nachdem er fertig damit war, wie wild um sich zu schlagen und sich zu befreien, schrie Cully wie eine leibhaftige Banshee, was völlig verständlich war, nachdem ihm Bill die ganze Woche Geschichten darüber erzählt hatte …«

Nog wusste, das O’Brien langsam zum Schluss der Geschichte kam. Der Chief neigte dazu, etwas atemlos zu werden, wenn er aufgeregt war. »Bill ist Ihr älterer Bruder …«, mutmaßte er.

O’Briens Lachen ebbte ab. »Nun, ja. Klar. Normalerweise hat er mich gequält, aber er hatte die Schnauze voll von Cully …« Sein Gesicht wurde ausdruckslos und er ließ die Hände sinken. »Haben Sie mir überhaupt zugehört?«

»Natürlich«, versicherte ihm Nog, während er äußerst professionell die Sensoranzeige betrachtete. »Das ist die Geschichte darüber, wie Sie sich mit einem Ihrer Brüder verbündet haben, um den anderen zu bestrafen, weil Sie beide das Gefühl hatten, er hätte Ressourcen unangemessen monopolisiert.«

»Er hat sich im Bad zu viel Zeit gelassen, ja.«

»Exakt. Ressourcen monopolisiert.«

»Cully war vierzehn. Wir waren zehn und elf und wussten nicht …« O’Brien seufzte resigniert. »Auch egal. Vergessen Sie es. Tut mir leid, dass ich damit angefangen habe.«

»Das muss Ihnen nicht leidtun, Chief. Ich mag es, Kindheitsgeschichten anderer Leute zu hören.«

»Anderer Leute Kindheitsgeschichten?«, wiederholte O’Brien. »Das klingt verdächtig. Als hätten Sie keine Kindheit gehabt. Ich glaube mich zu erinnern, dass Sie und Jake früher wie zwei losgelassene Welpen durch die Station gerannt sind.«

»Ich war schon sechzehn, als Jake auf die Station gekommen ist«, erklärte Nog. »Das kann man kaum als Welpen bezeichnen.«

Der Chief sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Vermutlich stimmt das. Es ist nur so, Sie waren … Sie wissen schon.« Er hob die flache Hand parallel zum Deck, bewegte sie auf und ab.

»Klein?«

»Nun, ja. Besonders im Vergleich zu Jake.«

»Für einen Ferengi liege ich über dem Durchschnitt.«

O’Brien schien sich eine Messlatte vorzustellen – wahrscheinlich mit jedem Ferengi davor, dem er jemals begegnet war – und dann nickte er zustimmend. »Ich vermute, Sie haben recht.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«

»Haben Sie auch nicht.«

»Keine Brüder?«

»Keine, von denen ich wüsste.« Nog versuchte fröhlich zu klingen. »Nur meine Schwester.«

»Wie alt ist Bena?«

»Fünf. Oder, warten Sie … sechs vielleicht?« Er fand es bedenklich, dass er sich nicht daran erinnern konnte. Nog war seit jeher stolz auf sein Erinnerungsvermögen, aber allmählich fing er an, kleine Details wie Namen und Daten zu vergessen. Er war noch nicht so alt.

»Die Zeit verfliegt«, kommentierte O’Brien abwesend, während er die Arme vor der Brust verschränkte, in seinem Sessel runterrutschte und den Kopf zurücklegte. »Molly ist achtzehn. Achtzehn! Bald geht sie auf die Universität.«

»Nicht auf die Akademie?«

»Nein, es sei denn, auf Raumschiffen herrscht zurzeit ein Bedarf an Malern, von dem ich nichts mitbekommen habe.« In O’Briens Tonfall schwang eine Spur Verdruss mit.

»Maler? Sie meinen, wie an Wände? Wir haben Bots, die das …«

»Nein, nicht Wände. Leinwände. Um genau zu sein, sehr große Leinwände. Sehr, sehr große Leinwände. Molly hat beschlossen, sie will Künstlerin werden. Diese Woche.«

»Ähm …« Nog suchte nach den richtigen Worten. »In Ordnung.« Oder eher nicht …?

»Ich weiß nicht. Schon möglich. Ich habe mich, was das angeht, noch nicht festgelegt. Sie auch nicht. Darum geht es ja: Das ist etwas Neues, diese Sache mit den großen Leinwänden, und sie ist erst diesen Monat darauf gekommen. Und jetzt ist es das Wichtigste in ihrem Leben.« Er schüttelte den Kopf herablassend. »Und ich verstehe nicht einmal, was sie da malt. Es ist alles so …«

»Abstrakt?« Nog wusste genug über menschliche Kunst, um zu verstehen, dass sie viele verschiedene Stile umfasste, manche darstellerisch und manche eben nicht.

O’Brien zuckte zusammen, schüttelte den Kopf. »Nein, abstrakt wäre völlig in Ordnung. Sogar klasse. Wenn überhaupt, ist es für meinen Geschmack zu anschaulich. Viele Blumen.« Er schnaubte. »Blühende Blumen.«

Nog entschied, dass er genug gehört hatte. »Was sagt Keiko dazu?«

O’Brien sah ihn aus dem Augenwinkel an. »Sie und Rom kommen gut miteinander aus.« Auch wenn es nicht so klang, war deutlich, dass es eigentlich eine Frage war.

»Ich würde sagen ja. Klar. Wir mussten uns verstehen. Es stand immer wir beide gegen Onkel Quark.«

»Also haben Sie keine Ahnung, wie jugendliche Mädchen mit ihren Müttern auskommen?«

»Nein«, gestand Nog, wobei er sich ein wenig dumm vorkam. Er dachte an die Moogie seines Vaters, Ishka, und was sie tun würde. »Sie bilden Allianzen?«

O’Brien schnaubte verächtlich. »Nein. Oder, warten Sie … ja, vorübergehend. Für gewöhnlich nach etwas Rumgeheule. Und dann zerbricht diese Allianz und dann geht das Herumwerfen zerbrechlicher Gegenstände wieder los.«

»Das klingt nicht nach etwas, was Keiko tun würde.«

»Bis sie eine jugendliche Tochter hatte.«

»Sie sollten eine Allianz mit Yoshi eingehen.«

O’Brien verdrehte die Augen. »Unwahrscheinlich. Yoshi ist zurzeit nicht die Art von Junge, der Allianzen eingeht. Weder gegen noch mit seinem Vater. Er ist sich noch nicht sicher, ob er mir verzeihen soll, dass wir wieder auf die Station gezogen sind. Oder wie er es ausdrücken würde: ›Sein Leben ist entwurzelt und er ist dazu gezwungen, in einer Aluminiumbüchse am Rande einer verlassenen Leere zu leben.‹«

Nog dachte über die Aussage nach und fragte dann: »Verlassen kann ich verstehen, aber wie kann eine Leere einen Rand haben?«

»Das habe ich ihn auch gefragt. Bislang hat sich mein Sohn nicht zu einer Erklärung herabgelassen.« Er sah zu den vorbeirasenden Sternen hinaus. »Kinder!«

Nog bewegte den Kopf auf eine Weise, die offenließ, ob er der Aussage des Chiefs zustimmte oder nicht. Er lebte lange genug mit Menschen zusammen, um ein allgemeines Verständnis für die Grenzen ihrer familiären Beziehungen zu entwickeln, aber es mangelte ihm an Details. Er wusste, die Umstände, unter denen Jake Sisko – sein bester Freund – gelebt hatte, waren kaum typisch gewesen (nicht einmal für ein Sternenflottenkind), aber auch nicht so viel anders als seine eigenen. Knapp ausgedrückt, es fehlte Nog an Bezugspunkten. Ein Umstand, der ähnliche (wenn auch unangenehme) Empfindungen weckte.

»Mir fehlt Julian«, murmelte O’Brien.

Der Übergang zu dem neuen Thema war abrupt, aber Nog bemühte sich, den Anschluss nicht zu verlieren. »Haben Sie in letzter Zeit mit Doktor Bashir gesprochen?«

»Nein, nicht direkt. Er muss ziemlich beschäftigt sein, mit der ganzen Ehrerbietung und der Schmeichelei.« O’Brien grinste, aber nur schwach. »Bestimmt hasst er es.«

»Hassen?«, fragte Nog. »Ich hätte vermutet, Doktor Bashir genießt die Bewunderung. Verzeihen Sie mir, aber mein Eindruck des Doktors ist …«

»Oh, wahrscheinlich hat es ihm eine Weile gefallen. Verstehen Sie mich nicht falsch, Julians Ego ist so groß wie … nun …« Der Chief hob einen Arm, fuchtelte vor der Hauptsichtluke herum. »… die verlassene Leere.« Er knirschte mit den Zähnen.

Gesicht verziehen? Schmerzvolle Freude? Irgendwas dazwischen? Nog war sich nicht sicher.

»Aber nach zwei Tagen geht es ihm sicher schon auf die Nerven. Irgendein tiefes, nagendes Gefühl. Er würde sich fragen: ›Verdiene ich das wirklich?‹«

»Tut er das denn nicht?«

»Natürlich verdient er es«, verteidigte O’Brien seinen Freund. »Tief im Inneren glaubt er nur selbst nicht daran.«

»Warum nicht?« Die Steuerkonsole signalisierte, dass sie bald an ihrem Ziel ankommen würden. Der Autopilot der Amazon reduzierte auf einfache Warpgeschwindigkeit.

O’Brien zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Vielleicht glaubt er, dass alles zu einfach ist und er es deswegen nicht verdient.«

Nog dachte an die mittlerweile wohlbekannten Verbesserungen des Arztes. Wenn ich genetisch modifiziert werden könnte, was würde ich wollen? Mehr Intelligenz? Größere Ohrläppchen? Schärfere Zähne? Er verwarf die Ideen als belanglos und unnötig. Nog war mit seinen körperlichen und geistigen Attributen voll und ganz zufrieden. Also, was wollte er wirklich? Der Gedanke kam ungewollt und viel zu schnell. Mich nicht so einsam fühlen. Das überraschte ihn. Das war dumm, oder etwa nicht? Nog wusste, er war nicht alleine. Er hatte seine Kollegen. Er hatte seine Arbeit …

»Wie dem auch sei«, fuhr O’Brien fort, »wenn Julian hier wäre, wäre das die Zeit, zu der wir uns auf etwas Freizeit in der Holosuite verabreden würden.«

»Alamo?«

»Nein, die Belagerung von Bastogne, würde ich sagen.«

»Ich glaube, die kenne ich nicht«, gab Nog zu. Er wusste vom Alamo, aber auch nur, weil er das Programm in der Bar seines Onkels auf der alten Station selbst installiert hatte.

»Oh, es ist glorreich.« O’Brien setzte sich aufrechter hin. »›Nuts!‹«

»Was?«

»Ich habe ›Nuts!‹ gesagt. Das ist ein berühmtes Zitat von der Belagerung. Das haben die Amerikaner damals den Deutschen übermittelt und die haben es als ›Fahrt zur Hölle!‹ interpretiert.«

Nog sah O’Brien schief an, war sich nicht sicher, ob sich der ältere Ingenieur nicht über ihn lustig machte. »Wenn Sie das sagen.«

O’Brien rutschte wieder tiefer in seinen Sessel. »Julian würde es verstehen.«

»Nähern uns den Zielkoordinaten«, verkündete der Computer. »Scanne. Keine Anomalien entdeckt. Gehe unter Warp-geschwindigkeit.«

Nog übernahm die Steuerkontrolle, deaktivierte mit gewohnter Leichtigkeit den Warpantrieb und wechselte auf den Impulsantrieb. Die Sterne schrumpften von lang gezogenen Lichtstreifen zu hellen Stecknadelköpfen. Er warf einen Blick auf die Sensorauswertung. »Nichts. Abgesehen von dem, was Sie gesagt haben, was wir sehen würden.«

O’Brien stand auf, beugte sich vor, um einen genaueren Blick auf das einzige nennenswerte Objekt in diesem Teil des Weltraums zu werfen, das sich langsam unter dem Bug des Runabout drehte. »Macht nicht besonders viel her, finden Sie nicht?«

Nog hatte nichts sagen wollen, insbesondere da es nicht seine Idee gewesen war herzukommen. »Aber hier wollten Sie doch hin, oder etwa nicht?«

Der Chief nickte.

»Warum?« Der Ferengi versuchte das Wort so betont wie möglich auszusprechen, ohne dass es beleidigend klang.

»Wir mussten mal raus.«

»Wir mussten?«

»Nun, ich zumindest. Und Captain Ro war der Meinung, Ihnen könnte das auch nicht schaden, also hat sie mich gebeten, Sie mitzunehmen.«

»Captain Ro war der Ansicht, ich muss mal raus?« Gegen Ende des Satzes hatte Nogs Stimme eine Oktave an Höhe gewonnen.

»Sie hat gesagt, Sie hätten ein paar harte Wochen hinter sich«, erklärte O’Brien. »Ich musste zugeben, dass da was dran ist, also …« Er hob die Hand und winkte in die ungefähre Richtung ihres Ziels. »… Tapetenwechsel. Wenn auch nur geringfügig.«

Die Station – Helios-Klasse – wurde sichtbar. Im Vergleich zum erhabenen Anblick von Deep Space Nine, oder um ehrlich zu sein, sogar im Vergleich zur alten Terok Nor, sah dieser Außenposten im Weltraum wie etwas aus, was ein desinteressierter Ingenieurstudent in seinem ersten Jahr am Morgen des Abgabetermins kurz entwerfen würde.

»Sieht wie ein Pilz aus«, sagte O’Brien und brachte damit Nogs Gedanken auf den Punkt.

»Ich wusste nicht, dass die Sternenflotte sie überhaupt noch benutzt«, gab Nog zu.

Vor siebzig oder achtzig Jahren, zu Beginn ihres zweiten großen Zeitalters der Forschung, hatte die Föderation sehr viele Helios-Stationen gebaut und sie als Haltepunkte platziert, an denen die neu zusammengestellte Flotte ihre Vorräte aufstocken konnte. Die oberen Decks, oder bildlich der Pilzhut, beherbergten die Brücke und die Offiziersquartiere, während im dicken Stiel aus vier bis zehn Decks Quartiere, Labore, Arbeitsbereiche und Lagerräume untergebracht waren. Im knollenförmigen unteren Ende der Station befanden sich der Reaktor und direkt darunter das Hangardeck. Wie mal eine von Nogs Professorinnen an der Akademie gesagt hatte: »So kostengünstig wie nur möglich.« Und dann hatte sie noch mysteriös hinzugefügt: »Wie Dosenfleisch.« Nog hatte diesen Kommentar nie vergessen.

»Tut sie auch nicht«, erklärte O’Brien. »Die hier ist in Privatbesitz.«

»Und wer betreibt sie?«

Das Kommunikationssystem der Amazon zirpte. Die Station rief sie. »Hier ist das Föderations-Runabout Amazon. Ich bin Lieutenant Commander Nog. Bitte identifizieren Sie sich.«

»Nein«, antwortete eine männliche Stimme. »Oder, Moment, ja. Hier ist die Robert Hooke. Wer sind Sie noch mal? Nein, warten Sie. Sagen Sie nichts. Ist uns egal. Verschwinden Sie einfach. Wir sind beschäftigt. Wir wollen nichts. Mehr müssen Sie nicht wissen. Gehen Sie.«

Nog schaltete die Übertragung stumm. »Freundlich. Wollen Sie antworten? Oder drehen wir einfach um und fliegen wieder nach Hause?«

O’Brien verzog das Gesicht. »Nicht unbedingt das, was ich erwartet habe.« Er berührte die Kommunikationskonsole. »Hier Chief Miles O’Brien von Deep Space Nine. Ich habe meine Ankunft bei diesen Koordinaten im Laufe des Tages angekündigt. Gibt es ein Problem?«

Wer auch immer am anderen Seite die Kommunikation übernahm, wusste entweder nichts von der Möglichkeit, die Übertragung stumm zu schalten, oder interessierte sich nicht dafür. »Die sagen, sie kommen von Deep Space Nine. Was soll ich sagen?«

Eine andere, tiefere und gedämpfte Stimme antwortete: »Fragen Sie sie, warum sie hier sind. Aber höflich.«

»Na schön«, seufzte der Mann, fluchte dann, als er möglicherweise bemerkte, dass man die Unterhaltung mitgehört hatte. »Nein, kein Problem, Amazon. Wir sind es nur nicht gewohnt, Besuch zu bekommen. Tut mir leid, aber ich weiß nichts über Ihre Ankunft. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein? Sie wissen, das hier ist eine private Station, oder?«

»Das weiß ich«, bestätigte O’Brien. »Es handelt sich nicht um eine Angelegenheit der Sternenflotte. Ich, das soll heißen wir, wollen nur einen Freund besuchen.«

»Wollen wir?«, fragte Nog leise.

»Wollen wir«, bekräftigte O’Brien.

»Einen Freund?«, fragte der Mann von der Station. »Wen?«

»Ja«, fragte Nog flüsternd. »Wen?«

»Benjamin Maxwell. Ich glaube, er arbeitet hier.«

»Benjamin Maxwell?« Offensichtlich war es ihm mittlerweile egal, ob das Runabout mithörte oder nicht. »Wer ist das?«

Die zweite, tiefer Stimme sagte: »Ben. Er meint Ben.«

Es dauerte etwas, bis der Groschen fiel. »Den Hausmeister? Ben, den Hausmeister?«

»Ja«, erwiderte die zweite Stimme schleppend. »Ben, den Hausmeister.«

Kapitel 2

Vor drei JahrenStrafkolonie der Sternenflotte

Der Riese wandelte über die Insel. Bei jedem seiner Schritte schob er die Wipfel der Olivenbäume vor sich her, die hinter ihm wieder zurückschnellten.

Doktor Clark schirmte die Augen vor der hellen Morgensonne ab und lachte anerkennend, während sich das Monstrum den Küstenstreifen entlangbewegte. Oberhalb der Hüfte war der Riese nicht mehr als ein blankes Gerüst, eine grobe Andeutung eines Torsos – gerade genug, um darin die Sensoren und die winzigen Antigravtriebwerke unterzubringen. Die wahre Magie waren die Beine, jedes über vierzig Meter hoch, und obwohl sie massiv aussahen, bestanden sie aus superleichten Materialien, die keine hundert Kilo wogen.

In letzter Minute, kurz bevor er ihn auf den Weg geschickt hatte, war Maxwell die Idee gekommen, seine Schöpfung mit einer schlaksigen Hose zu versehen, die nun in der feuchten Brise flatterte. Das nächste Mal, dachte er, benutze ich gefärbten Stoff. Etwas richtig Grelles. Regenbogenfarben. Aber für den ersten Testlauf der Maschine schien weißer Stoff angemessen.

Clark fragte: »Wie verhindern Sie, dass er alles zermalmt?«

Maxwell zuckte zusammen, war sich nicht sicher, ob der Arzt bedauerlich ignorant gegenüber den Prinzipien moderner Ingenieurskunst war oder ob er einfach nur ein guter Therapeut war, der seinem Patienten viel Spielraum für Antworten ließ. Er entschied, dass seine Antwort in beiden Fällen dieselbe wäre. »Eigentlich ganz einfach. Mikrosensoren sind mit den Antigraveinheiten verbunden und der Hauptprozessor stellt sicher, dass die Struktur genug Auftrieb hat, um nicht zu schwer aufzutreten.«

»Die Füße berühren also wirklich den Boden?«

»Ja«, bestätigte Maxwell. »Die Wipfel biegen sich etwas. Im Sand sind Fußspuren. Ansonsten würde es seltsam aussehen. Vielleicht könnten Sie nicht genau sagen, warum, aber Ihr Verstand würde Ihnen hartnäckig einflüstern, dass es nur ein Trick ist. Auf die Art …«

»Sieht es wie ein Paar riesige Beine aus, das über die Insel marschiert.«

»Sie spazieren über die Insel. Ich habe mir viel Mühe gegeben, damit der Gang richtig aussieht.« Nun schirmte er auch die Augen mit der Hand ab. Dumm, dass er seine Sonnenbrille vergessen hatte. »Er nimmt sich Zeit. Ganz ohne Eile. Er … genießt es einfach.«

»Und ist das nicht etwas, was wir alle beherzigen sollten?«

Maxwell sah, wie auf dem unter ihm liegenden Strandweg Fußgänger und Radfahrer anhielten, sobald sie die Beine sahen. Dass die Landschaft bis zum verwaschenen Strand so hügelig war, sorgte dafür, dass man die riesigen Beine erst sah, wenn man nur noch ein paar Hundert Meter entfernt war. Er konnte keine Gesichter erkennen (vielleicht hätte er Drohnen losschicken sollen), aber ihre Körperhaltung machte ihre Reaktion deutlich: Staunen, Verwirrung, Verwunderung, Amüsement. Niemand schien sich zu fürchten, was gut war. Das bedeutete, Maxwell hatte den zeitlichen Ablauf der riesigen Schritte gut getroffen. Niemand machte sich Sorgen, denn was war daran besorgniserregend, wenn ein Mann spazieren ging?

Mitarbeiter der Kolonie und Häftlinge (Nein, korrigierte er sich, nicht Häftlinge, Patienten) kamen aus den Verwaltungsgebäuden und den Schlafsälen. Maxwell hatte das Ereignis zeitlich gut geplant: kurz nach dem Frühstück, aber noch vor Beginn der ersten Therapiesitzungen. Leute fragten: »Was ist das?« Und: »Was hat das zu bedeuten?« Niemand klang beunruhigt; die meisten waren begeistert oder schlimmstenfalls verwirrt. Er ließ den Blick zu Doktor Clark schweifen, der ihn, so gut er das bei der blendenden Morgensonne konnte, betrachtete.

»Nun, Ben«, fragte Clark lauernd lächelnd, »was hat es zu bedeuten?«

»Es bedeutet, dass ich einen Abschluss in Maschinenbau habe mit Schwerpunkt auf Repulsorfeld-Dynamik.« Während er das sagte, sah er, wie die Beine kurz zögerten, um einem unvorsichtigen Fußgänger auszuweichen, der ihnen zu nahe kam.

»Sonst nichts?«, fragte Clark, während er über den Rasen näher kam. »Wirklich nicht? Keine andere Botschaft?« Der ausladende Rasen vor ihnen folgte dem sanften Hügelverlauf hinab. Neben Maxwell zirpte und tickte eine kleine, silbernschwarze Box im Takt der Schritte des Riesen.

»Ich verstehe nicht, was Sie zu sagen versuchen, Doc«, antwortete Maxwell mit all der Aufrichtigkeit, die er aufbringen konnte. In den Monaten, seit Gunther die Kolonie verlassen hatte und Clark Maxwells Hauptcounselor und (musste er zugeben) Vertrauter geworden war, hatten sie eine freundliche, wenn auch zänkische Beziehung von Geben und Nehmen aufgebaut. Maxwell tat so, als würde er die therapeutischen Erwiderungen des Arztes nicht bemerken, und Clark tat so, als würde ihn das nicht stören.

»Ich glaube, Sie versuchen uns etwas mitzuteilen«, erklärte Clark. »Oder vielleicht auch sich selbst.« Maxwell schwieg. Clark seufzte. »Normalerweise sind Sie nicht so schwer von Begriff, Ben.«

»Normalerweise lasse ich auch keine riesigen Beine durch die Gegend laufen. Kann sein, dass ich abgelenkt bin.«

»Und es könnte sein, dass Sie bereit sind, uns zu verlassen, Ben.« Clark legte ihm eine Hand auf die Schulter. Einen Moment lang packte er fester zu. »Könnte sein, dass wir ein paar Schritte gehen sollten.«

»Spazieren gehen«, korrigierte ihn Maxwell. »Ich sage Ihnen immer wieder: spazieren gehen.«

»Dann eben spazieren gehen. Ich denke, es ist Zeit.«

Maxwell richtete sich etwas auf, verschränkte die Arme vor der Brust und sah nach links, betrachtete seine Schöpfung. Die riesigen Beine verharrten kurz am Übergang zum Strand. Die Haltung wirkte nachdenklich und ruhig. Die weiße Hose flatterte wie eine Fahne im Wind. Eine Seeschwalbe kam um das linke Bein herum, legte sich in die Kurve, zog hoch und ließ sich auf der Hüftkonstruktion nieder. Sie schien mit ihrem neuen Aussichtsplatz zufrieden zu sein, von wo aus sie das Wasser nach ihrem Mittagessen absuchen konnte. Maxwell sagte: »Vielleicht haben Sie recht. Es gibt hier nicht mehr viel zu tun, oder?«

»Das habe ich Ihnen gesagt.«

»Aber das ist eine Strafkolonie. Könnte sein, dass ich noch etwas Strafe brauche.«

»Es ist ein Therapiezentrum«, widersprach Clark. »Und wir haben den Punkt überschritten, an dem wir noch eine Therapie anbieten können.« Er lachte. »Verdammt, die meisten anderen Patienten halten Sie für einen Mitarbeiter!«

»Ich habe was Gebieterisches an mir«, räumte Maxwell ein. »Ich versuche das abzulegen, aber irgendwie gelingt es mir nicht.«

»Geben Sie es auf«, riet Clark. »Das ist Ihnen angeboren.«

Die riesigen Beine marschierten nach Süden und Westen, die Küste entlang, und verschwanden hinter einem niedrigen, mit Weintrauben bewachsenen Hügel. »Also ist es Zeit zu gehen?«, fragte Maxwell, während sich die Zuschauer am Fuß des Hügels wieder an ihre Arbeiten und zu erledigenden Besorgungen machten.

»Ja«, bestätigte sein Therapeut. »Zeit zu gehen.«

»Ich habe nur eine Frage.«

»Nur eine?«

»Nur eine wichtige: Wohin?«

9. Januar 2386OperationszentraleRobert Hooke

Finch beugte sich vor, beugte sich kurz über Sabih und berührte einen Schalter auf der Kommunikationskonsole. In Finchs Nähe zu sein, bedeutete immer, dass man in die komplexe Atmosphäre aus Gerüchen eintrat, die den Mann umgab: Sandelholz, grüner Tee und etwas Metallisches. Es war angenehm, wenn auch unerwartet.

»Das ist der Schalter, mit dem man die Übertragung stumm schaltet«, rumpelte Finch. »Bitte gewöhnen Sie sich an, ihn zu benutzen.« Schnaufend ließ er sich wieder in seinen gepolsterten Sessel sinken. »Was wollen Sie unseren Sternenflottenfreunden sagen?« Anatoly Finch war ein großer Mann. Nur wenige Möbel wurden seinem massiven Körperbau gerecht. Besonders dann, wenn sie so alt wie die auf der Hooke waren. »Kommen Sie schon in die Puschen, Junge!«, drängte er. »So langsam werden die misstrauisch.«

»Verschwindet?«, schlug Sabih vor, wobei er am Reißverschluss seiner Jacke herumfummelte. Er arbeitete erst seit ein paar Monaten für Finch und verstand nicht immer, was sein Arbeitgeber von ihm erwartete, wenn er ihm diese Art von Frage stellte. Das Leben wäre so viel einfacher, wenn Finch ihm einfach sagen würde, was er wollte.

Finch schüttelte den Kopf, rieb mit dem Daumen über seinen sauber gestutzten Kinnbart. »Auch wenn sie hier über keinerlei rechtliche Handhabe verfügen, werden unsere Sternenflottenfreunde garantiert irgendeinen Vorwand finden, um an Bord zu kommen. Versuchen Sie es noch mal.«

»Ich sage ihnen, Ben ist nicht hier?« Sabih wünschte sich, es wäre sonst noch jemand – egal wer – in der Operationszentrale, der Vorschläge einbringen könnte. Aber nach Stationszeit war es bereits später Abend und für gewöhnlich war das Kommunikationszentrum in den »Abendstunden« nicht besetzt.

»Unrealistisch«, seufzte Finch. »Besonders da sie direkt mit ihm Verbindung aufnehmen könnten. Ich vermute, das werden sie gleich tun. Dass sie den Umweg über uns gehen, könnte reine Höflichkeit sein.«

Sabihs Gedanken rasten. Seine Hände waren ganz feucht. Die Flottenheinis abzuwimmeln, schien keine Option darzustellen, also war die einzige logische Option … »Ich bitte sie an Bord?«

Lächelnd hob Finch die Hand zu einem spöttischen Salut. »Sehr gut, Junge.«

»Und hoffe, sie sehen nichts, was sie nicht sehen sollen?«

Finchs breites Grinsen, bei dem sogar seine Backenzähne zu sehen waren, erschreckte Sabih. Er verengte die Augen bösartig. »Oh, nein.« Seine tiefe Baritonstimme hallte von den schäbigen Wänden der Operationszentrale wider. »Zeigen Sie ihnen alles und fragen Sie sie, was sie davon halten. Aber bevor wir das tun, sollten wir etwas mehr über Lieutenant Commander Nog und Chief Miles O’Brien herausfinden.«

Runabout Amazon

»Was ist das für ein Ort?«, fragte Nog, obwohl er den Computer bereits mit einer Suchanfrage beauftragt hatte. »Und wer ist Robert Hooke?«

»Sie haben noch nie von Robert Hooke gehört?«

»Nein. Sollte ich?«

»Haben Sie schon von Isaac Newton gehört?«

»Natürlich. Er war Physiker.« Nogs Verstand raste. Oder Bäcker?

»Nun, ohne Robert Hooke hätten Sie nie von Isaac Newton gehört«, erklärte O’Brien. »Hooke hat den Großteil der Regeln der Planetenbewegung entdeckt, die Newton später vollendet hat.«

»Den Großteil der Regeln? Warum nicht alle? Das scheint doch etwas zu sein, was man nicht nur anfängt, sondern auch zu Ende bringt.«

O’Brien zuckte mit den Schultern, als würde er für einen Freund nach Entschuldigungen suchen. »Hooke ließ sich leicht ablenken. Er hat sich für vieles interessiert. Mikroskopie, experimentelle Physik, Beobachtungen. Sie kennen solche Leute.«

»Kenne ich«, bestätigte Nog. »Also hat er seinen Freund Newton gebeten, den Rest zu übernehmen?«

»Sie konnten sich nicht ausstehen. Meiner Meinung nach war Hooke alles andere als begeistert, dass Newton seine Arbeit beendet hat. Er hat es einfach gemacht. So war Newton nun mal.«

»Woher wissen Sie das alles?«, fragte Nog trotz allem beeindruckt.

»Ach … das ist nichts Besonderes. Ich habe es nachgeschlagen, als mir Captain Maxwell gesagt hat, er sei hier stationiert … na ja, dass er hier arbeitet.«

»Captain Maxwell?«

»Ich sollte vorsichtiger sein«, räumte O’Brien ein. »Er hasst es, wenn ich ihn so bezeichne.«

Captain Benjamin Maxwell. Der Name kam Nog bekannt vor. Und nicht gerade im Zusammenhang mit guten Dingen.

»Schlagen Sie ihn nach, Nog. Das geht schneller, als wenn ich es Ihnen erkläre.«

Der Computer hatte seine Suche nach der Robert Hooke bereits beendet, aber Nog legte die Ergebnisse in den Hintergrund und öffnete eine neue Suchanfrage. Als Erstes fand er offizielle Sternenflottenberichte, darunter auch ein Bild von Benjamin Maxwell, einem Menschen mittleren Alters, schlank, graue Haare, mit freundlichen Gesichtszügen und dazu passenden blauen Augen. Auf dem Bild lächelte er leicht – ungewöhnlich, für offizielle Sternenflottenporträts – und die Falten um seine Augen weckten in Nog das Bedürfnis, ebenfalls zu lächeln.

»Das ist ein altes Bild«, erklärte O’Brien. »Fast zwanzig Jahre alt.«

»Captain der Phoenix«, sagte Nog, nachdem er den Text kurz überflogen hatte.

»Und davor hatte er das Kommando über die Rutledge«, ergänzte der Chief. »Damals war er mein befehlshabender Offizier.«

Nog ging die Hauptpunkte durch. Der Großteil war sehr beeindruckend. Ganz im Gegensatz zum letzten. Er musste die Details nicht lesen; er erinnerte sich daran, die Geschichte auf der Akademie gehört zu haben. Der Captain war zu einem abschreckenden Beispiel geworden, als er vom rechten Weg abgekommen und der Meinung gewesen war, Situationen besser als die Admirals und Analysten beurteilen zu können. »Sie waren damals auf der Enterprise.«

»Nur ein paar Jahre, bevor ich auf die Station gekommen bin«, bestätigte O’Brien.

Nog überflog noch mehr Text und las erst das Protokoll der Militärgerichtsverhandlung wieder aufmerksamer. »Maxwell hat behauptet, die Cardassianer würden für einen erneuten Angriff auf die Föderation aufrüsten. Die Wissenschaftsstation war ein Versorgungsstützpunkt?«

»Wahrscheinlich«, räumte O’Brien ein. »Es wurde nie eindeutig bewiesen, aber Captain Picard hat gesagt, dass die Beweise sehr dafürsprechen, dass Captain Maxwell … dass Mister Maxwell … vermutlich recht hatte.«

»Captain Picard hat sogar angeboten, vor dem Militärgericht zu seinen Gunsten auszusagen.«

»Ich hätte auch ausgesagt«, beteuerte O’Brien. »Aber man hat mich nie einberufen. Wahrscheinlich hatte er bereits alles gestanden. Es wäre unnötig gewesen, aber ich hätte es getan. Er hatte niemanden mehr.«

Vor achtunddreißig JahrenPuerto Vallarta, Mexiko, Erde

Es war nicht viel übrig gewesen, was man hätte begraben können. Nicht, dass Maria Wert darauf gelegt hatte, auf Setlik III beerdigt zu werden. »Das ist nicht mein Zuhause«, hatte sie mehr als einmal klargestellt, aber nie, wenn die Kinder in der Nähe waren. Sie hatten erst seit zwei Jahren in der Kolonie gelebt, aber das war länger, als Carlo und Sofia je dieselbe Luft geatmet hatten – das Vagabundenleben von Sternenflottenkindern –, also betrachteten sie es im Gegensatz zu Maria als ihr Zuhause. Ihr Zuhause war auf der Erde, in Mexiko, um genau zu sein, und seine Frau hatte sich fest vorgenommen, sich dort irgendwann niederzulassen. Das wichtige Wort dabei war irgendwann, da sie mit jeder sich bietenden Gelegenheit zufrieden gewesen wäre.

Maxwell betrachtete den winzigen Behälter, in dem sich die Überreste seiner Frau befanden: größtenteils nur Asche und ein paar Knochenfragmente. Cardassianische Torpedos waren berüchtigt für ihre Sprengkraft, dazu entwickelt, größtmöglichen Schrecken und Schaden zu verbreiten. »Falls es Ihnen hilft«, hatte der Bergungsspezialist Maxwell gesagt, »falls es Ihnen Frieden gibt, sie haben nie gespürt, was sie getroffen hat. Diese Dinger brennen so heiß …«

Er wusste, dass der Spezialist gelogen hatte. Sie waren dafür ausgebildet zu lügen, den Hinterbliebenen Details zu verheimlichen, um ihnen Trost zu spenden und dabei zu helfen, zumindest ansatzweise so etwas wie Frieden zu finden. Maxwell wusste das, weil man als Captain diese Dinge einfach wusste. Man musste sie wissen, um vorbereitet zu sein, um seine Besatzung und die Personen, die sich auf einen verließen, vorbereiten zu können.

»Danke«, hatte er gesagt. »Das … hilft.« Dann sagte er noch: »Zumindest waren sie am Ende alle zusammen.«

Er sah zu den anderen beiden winzigen, auf Hochglanz polierten Behältern. Selbst im schwachen Licht der kleinen, behelfsmäßigen Kapelle des Schiffs funkelten sie. Alle drei Behälter würden hier bleiben, bis die Rutledge