Star Trek – Zeit des Wandels 6: Hass - Robert Greenberger - E-Book
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Star Trek – Zeit des Wandels 6: Hass E-Book

Robert Greenberger

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Beschreibung

Kurz nach der epischen Schlacht des Raumschiffs Enterprise gegen Shinzon nahmen viele langjährige Besatzungsmitglieder von Captain Jean-Luc Picard neue Posten und neue Herausforderungen an. Unter den vielen Veränderungen war auch William Rikers Beförderung zum Captain und sein neues Kommando, Rikers Hochzeit mit Counselor Deanna Troi und Dr. Beverly Crushers neue Karriere beim Medizinischen Korps der Sternenflotte. Doch die Geschichte, wie es dazu kam, wurde nie erzählt … BIS JETZT. Als die Bader und die Dorset vor hundert Jahren den Planeten Delta Sigma IV kolonisierten, endeten auf geheimnisvolle Weise ihre wiederkehrenden Konflikte. Doch was bisher unbekannt war: Der Frieden war eine Reaktion auf ein natürlich vorkommendes Gas … eine Reaktion, die jedoch schließlich den sicheren Tod für die Bewohner des Planeten bedeuten würde. Das erhoffte Heilmittel hat allerdings ein weltweites Blutbad ausgelöst, da lange unterdrückte Aggressionen und Feindseligkeiten urplötzlich gewaltsam freigesetzt wurden. Gefangen in einer Welt, die am Rande der Selbstzerstörung steht, muss Captain Picard irgendwie einen Weg finden, dieses katastrophale Ereignis zu lösen und seine Mannschaft zu retten, auch wenn die Auswirkungen seines Handelns letztlich eine ganze Spezies in den Untergang treiben könnten …

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Seitenzahl: 381

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Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

DANKSAGUNGEN

ÜBER DEN AUTOR

Eine beißende Kälte lag in der Luft. Will Riker mochte es jedoch, zu beobachten, wie sein Atem durch die Stille aufstieg. Er und sein Vater waren schon vor Sonnenaufgang aufgestanden und hatten seitdem mindestens fünf Kilometer zurückgelegt, um an diesen besonderen Ort zu gelangen. Am Abend zuvor hatte Kyle seinem Sohn erklärt, dass sie früh würden aufbrechen müssen, um den Ort auszukundschaften, bevor der Wettbewerb begann. Es wäre dem Fünfzehnjährigen niemals eingefallen, dass Leute um begehrte Plätze konkurrieren könnten. Es ergab allerdings durchaus Sinn.

Sein Vater hatte ihn wachgerüttelt und ihm einen Becher heiße Schokolade in die Hand gedrückt. Die Wärme fühlte sich angenehm zwischen seinen Fingern an. Allerdings konnte er das Getränk nicht lange genießen, da ihr Aufbruch bevorstand. Will war in mehrere Schichten Kleidung geschlüpft, während sein Vater im Haus rumorte, um die restliche Ausrüstung zusammenzusuchen.

Auf ihrer Wanderung sprachen sie kaum. Will war müde und aufgeregt, wusste aber, dass Kyle es vorzog, die Natur um sie herum, wenn möglich, nicht zu stören.

Als sie ihr Ziel erreichten, strahlte Kyle. Er war begeistert, dass sie es vor den anderen Fischern aus der Umgebung geschafft hatten. Es handelte sich um einen kleinen, natürlich entstandenen Halbkreis, der vom Pfad durch einige Bäume abgegrenzt war. Eine Ansammlung kleiner Steine in einer Ecke deutete darauf hin, dass viele Fischer ihr Abendessen an diesem Ort nicht nur gefangen, sondern auch zubereitet hatten. Die Aussicht war in jedem Fall atemberaubend. Und obwohl Will in der natürlichen Schönheit Alaskas aufgewachsen war, war er sichtlich beeindruckt. Er stieß einen leisen Pfiff aus, was ihm ein breites Grinsen seines Vaters einbrachte, das jedoch sofort wieder erstarb. Will stellte schnell Klappstühle auf, baute ihre Ruten zusammen und fand schließlich die Box mit den patentierten Ködern seines Vaters. Kyle kümmerte sich in der Zwischenzeit um ein Lagerfeuer, das sie später sicher brauchen würden. Er bereitete auch einen Behälter für ihren Fang vor und stellte einen Sendeempfänger auf. Will hatte sich an den Anblick dieses Geräts gewöhnt. Immerhin arbeitete sein Vater für die Vereinigte Föderation der Planeten und manchmal kam es vor, dass seine taktischen Fähigkeiten ohne Vorwarnung gebraucht wurden. Allzu oft war Will von der Schule nach Hause zurückgekommen und hatte nur eine Nachricht seines Vaters vorgefunden.

In den letzten Monaten war es verhältnismäßig ruhig gewesen. Daher war Will nun auch so angespannt. Er war überzeugt, dass man seinen Vater jeden Moment kontaktieren würde.

Sie saßen Seite an Seite, warfen ihre Schnüre aus, zogen sie wieder ein und sprachen nicht viel. Als die Sonne über den Horizont lugte, tauchte sie die Oberfläche des Sees in erstaunliche Farbspiele. Als sie vollständig über den Horizont emporgestiegen war, entschied sein Vater, dass es Zeit fürs Frühstück war. Er holte einige eingewickelte Nahrungsriegel, Wasserflaschen und Früchte hervor. Während sie aßen, setzte sich die Stille zwischen ihnen fort. Kyle schien zu genießen, dass die Zeit an diesem Ort wie in Zeitlupe verging. Will wünschte sich, sie würden diese gemeinsamen Augenblicke für eine Unterhaltung nutzen und echte Männergespräche über die vor ihnen liegenden Jahre führen. In der Schule lief es gut und er zog ernsthaft in Betracht, zur Sternenflotte zu gehen. Die Aufträge seines Vaters hatten seine Fantasie beflügelt. Will träumte davon, zu sehen, was hinter den schneebedeckten Gipfeln seiner Heimat lag. Er glaubte, dass seine Noten reichen würden, und wollte die Einschätzung seines Vaters zu hören. Doch jedes Mal, wenn er dieses Thema ansprechen wollte, kam etwas dazwischen. Mittlerweile war er darüber frustriert und auch ein wenig verärgert. Es schien ihm, dass Kyle Riker schlicht nicht besonders interessiert an seiner Zukunft war.

Während er auf seine Schnur starrte, wurde er ungeduldig und begann herumzuzappeln. Wenn er schon den ganzen Tag auf diese Weise verbringen musste, könnte er doch wenigstens ein anständiges Gespräch mit seinem Vater führen. Doch sobald er dazu ansetzte, bedeutete Kyle ihm zu schweigen. Schließlich gab der Teenager auf und warf seine Schnur viel schneller wieder aus als sein Vater. Das brachte ihm jedoch nur einen grimmigen Blick ein.

Als die Sonne sich ihrem Zenit näherte, spürte Will plötzlich ein Ziehen. Es steckte einiges an Kraft dahinter und Will stellte sich vor, dass es ein großer Fisch sein musste, der mindestens fünf Kilo auf die Waage brachte. Er ließ sich nichts anmerken und wollte seinen Vater lieber mit dem ersten Fang des Tages beeindrucken. Langsam holte er den sich wehrenden Fisch ein. Seine Rute bog sich auf beeindruckende Weise. Da bemerkte Kyle, was vor sich ging, und sprach seinem Sohn Mut zu. Immerhin durchbrach er damit die unangenehme Stille, die sich in den vergangenen Stunden zwischen ihnen ausgebreitet hatte.

Seine Schnur, die er zuvor etwa siebenundzwanzig Meter ausgeworfen hatte, war bereits zur Hälfte aufgerollt. Will holte sie nun deutlich langsamer ein. Der Fisch schien den Kampf zu gewinnen. Der Teenager war allerdings nicht bereit, seine Trophäe zu verlieren, stemmte sich dagegen, biss die Zähne zusammen und zog ein wenig an der Schnur, um dem Abendessen zu zeigen, wer hier der Boss war. Die Beute hielt dagegen und war groß und kräftig genug, etwas mehr Abstand zu gewinnen.

An dieser Stelle griff Kyle nach der Angel. Seine riesigen Hände legten sich über Wills. Er riss mehrmals scharf an der Schnur und holte sie dann schnell ein, bevor er erneut zog. Und obwohl Will lautstark protestierte, übernahm er die Kontrolle über die Situation. Die Hände des Jungen blieben gefangen. Endlich schien die Beute aufzugeben und ließ sich die letzten Meter problemlos an Land ziehen.

Nicht schon wieder, dachte Will. Sechs Jahre zuvor hatte sein Vater ihm so etwas schon einmal angetan. Und nun hatte er erneut die Kontrolle über die Situation übernommen. Verdammt noch mal, er war fünfzehn Jahre alt und würde den Fisch einholen oder eben nicht – aber auf jeden Fall ohne Hilfe.

»Eine echte Schönheit, Willy«, sagte Kyle, sobald der Weißlachs aus dem Wasser auftauchte. Sein blau-silbrig schimmernder Körper zuckte, als Will sich bückte, um den Haken aus seinem hervorstehenden Maul zu ziehen. »Der wird ein tolles Abendessen.«

Während er den Haken entfernte, sagte Will kein Wort und warf den Fisch in den Eimer. Der Junge schäumte vor Wut und zeigte es seinem Vater, indem er den restlichen Tag nicht mehr mit ihm sprach. Nicht dass Kyle so etwas aufgefallen wäre. Er nahm Wills Verärgerung schlicht nie wahr. Und wenn er doch einmal etwas bemerkte, reagierte er nicht darauf. Erneut hatte er Will nicht erlaubt, eine Aufgabe allein zu bewältigen. Er übernahm die Führung und ließ den Jungen einfach nicht erwachsen werden.

Will schwor sich, dass er Kyle Riker das letzte Mal gestattet hatte, die Kontrolle über seine Taten zu übernehmen.

Christine Vale fuhr sich mit einer Hand durch ihr dichtes kastanienbraunes Haar und strich es glatt. Nach ihrem letzten Besuch auf dem Planeten hatte sie sich frisch gemacht und eine neue Uniform angezogen. Sie weigerte sich, mit all den Blutspritzern von Aiken erneut hinunterzubeamen. Er war das erste Opfer auf Sigma Delta IV gewesen und Vale wollte sicherstellen, dass er auch das einzige blieb. Allerdings war ihr bewusst, dass das nicht sehr wahrscheinlich war.

Als sie ihr Quartier verließ, weigerte sie sich, sich einzugestehen, wie müde sie eigentlich war. Vorerst würden Adrenalin und Koffein reichen müssen. Man brauchte sie da unten. Natürlich könnte sie auch etwas schlafen und in der Zwischenzeit ihren Stellvertreter, Jim Peart, hinunterschicken. Allerdings war sie nun mal die Sicherheitschefin. Der Captain hatte explizit sie mit der Überwachung des Einsatzes beauftragt. Sie würde ihn nicht enttäuschen. Wenn da unten gelitten wurde, würde sie mitleiden. Und sollte sie ausfallen, würde Peart die Mission sicher gern übernehmen und erfolgreich beenden.

Die Mission. Sie lachte traurig in sich hinein. Vale schickte ihre Sicherheitsmannschaften da hinunter, um die dürftige Anzahl an Friedensoffizieren aufzustocken, die den gesamten Polizei- oder Militärapparat darstellten, den dieser Planet bis vor einer Woche benötigt hatte. Ihre Teams waren abkommandiert worden, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, nachdem die Öffentlichkeit über den ersten Mord seit einem Jahrhundert in Panik geraten war. Ein Tötungsdelikt hatte schnell eine ganze Reihe von Verbrechen nach sich gezogen und zu einer Welle des Wahnsinns geführt, die die gesamte Bevölkerung erfasste. Vales Leuten drohte plötzlich aus allen Richtungen Gefahr und das gefiel ihr gar nicht.

Ihr war es viel lieber, wenn es nachvollziehbare Gründe gab, wenn die Dinge einem bestimmten Muster folgten, das sie erkennen und auf das sie reagieren konnte. Stattdessen verhielten sich die Bewohner von Sigma Delta IV jedoch zunehmend hemmungslos und handelten ohne Sinn oder Verstand. Ihren Leuten gelang es gerade noch, den Status quo aufrechtzuerhalten, mehr nicht. Es gab hier nichts zu gewinnen. Alles, was sie tun konnten, war, die Schäden zu begrenzen.

Christine nahm den Turbolift zum Maschinenraum und lief dem Chefingenieur direkt in die Arme.

»Entschuldigen Sie, Geordi«, sagte sie und trat zur Seite. Beide waren nahezu gleich groß und sie blickte ihm direkt in seine kybernetischen Implantate.

»Kein Problem. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, Sie könnten ein wenig Ruhe gebrauchen«, antwortete La Forge, unbeeindruckt von ihrem durchdringenden Blick.

»Später. Ich muss wieder runter auf die Oberfläche. Die Gewalt eskaliert immer mehr. Ich brauche ein paar Ihrer Leute da unten. Ich mache mir Sorgen um die Infrastruktur. Das Letzte, was wir brauchen, sind noch mehr Probleme, weil die Leute kein frisches Wasser mehr haben.«

La Forge strich sich über seinen Bart und nickte verständnisvoll. Er wandte sich um und führte sie zu einer Arbeitsstation, an der er die aktuellen Dienstpläne aufrief. Namen, die farblich nach verschiedenen Schichten geordnet waren, zogen an ihnen vorbei. »Ich werde die Schadenskontrollteams informieren und mit allem ausstatten, was man für die notwendigsten Reparaturen braucht. Sie stehen bereit. Auf Ihr Wort schicke ich sie sofort runter.«

»Und meine Leute weichen ihnen nicht von der Seite und beschützen sie. Der Befehl des Captains steht allerdings: Sie werden mit Waffen ausgestattet.«

Erneut nickte La Forge. Er war zwar nicht überrascht, aber auch nicht erfreut, dass seine Leute sich dieser Gefahr aussetzen mussten. Seine Gesichtszüge entspannten sich ein wenig und er sagte: »Was mit Aiken passiert ist, tut mir sehr leid. Er war ein toller Junge.«

»Das war er.« Ein Junge, gerade frisch von der Akademie gekommen. All seine Hoffnungen waren einfach ausgelöscht worden. Der Schmerz würde sie noch eine ganze Weile begleiten.

Sie konnte an La Forges Gesichtsausdruck erkennen, dass er verstand, warum sie unbedingt so schnell wie möglich wieder hinunterwollte. Wenn das ein technisches Problem wäre, würde er genauso reagieren.

»Ich denke, wir sollten damit anfangen, Testani wieder Zugang zu frischem Wasser zu verschaffen.«

»Die Stadt, die zuerst gebrannt hat«, sagte er. Obwohl er auf dem Schiff geblieben war, hatte er sich eindeutig auf dem Laufenden gehalten.

»Das stimmt. Das Feuer in der Hauptstadt war kleiner und konnte schneller eingedämmt werden.«

La Forge sah wieder auf den Dienstplan und strich sich über seine Bartstoppeln. »Haben Sie etwas vom Captain gehört?«

»Nicht, seitdem er und Counselor Troi zum Planeten zurückgekehrt sind«, erwiderte Vale. Besorgnis stieg in ihr auf und sie war bereit aufzubrechen. Eine Sache musste sie allerdings vorher noch ansprechen. »Mir ist bewusst, dass Sie an seinem Verhalten arbeiten, aber wenn Nafir irgendeinen Mist baut und mir meine Zeit raubt, verdonnere ich ihn zum Putzen der Waffenkammer.«

La Forge verzog zunächst das Gesicht, dachte dann einen Moment lang nach und antwortete schließlich: »Hören Sie, ich weiß, dass keiner besonders begeistert von ihm ist, aber T’Bonz und ich arbeiten mit ihm. Er hat sich seit seinem Transfer zu uns schon deutlich verbessert. Er wird Sie nicht enttäuschen. Sie haben mein Wort.«

»Gut.« Während sie sich umdrehte, hörte sie, dass La Forge bereits sein Alpha-Team in Alarmbereitschaft versetzte. Unwillkürlich musste Vale über Geordis Haltung grinsen. Er war jemand, der hart arbeitete und mit jedem gut auskam. Als sie vor einigen Jahren aufs Schiff gekommen war, hatte er ihr sofort das Gefühl vermittelt, willkommen zu sein.

Sie verließ das Deck und eilte zum Haupttransporterraum. Sie war bereit, sich wieder ihren Leuten anzuschließen. Auf dem Weg dachte sie darüber nach, wie viele Bereichsleiter des Schiffs in letzter Zeit Probleme mit den vielen Versetzungen hatten. Einst war die Enterprise die erste Wahl aller Kadetten gewesen. Doch angesichts ihres angeschlagenen Rufs hatte das Schiff zuletzt eher weniger dieser Zugänge, dafür aber viel mehr Abgänge verzeichnet. Als Konsequenz kamen Leute an Bord, die man normalerweise nicht auf der Besatzungsliste des Flaggschiffs der Flotte finden würde.

Glücklicherweise waren ihre jüngsten Zugänge jung und formbar. Vale schätzte sich glücklich. Allerdings verfolgte sie auch das begeisterte Lächeln auf Aikens Gesicht, als der Turbolift sein Ziel erreichte. Während sie zielsicher durch den Korridor schritt, versuchte sie, sich auf die vor ihr liegende Aufgabe zu konzentrieren.

Sie griff nach ihrem Phaser, betrat die Plattform und nickte Nafir, dem groß gewachsenen Gallamiten, zu. Als er die Kontrollen betätigte und ihr mit seiner blassen Hand zuwinkte, biss sie sich auf die Zunge. Einen Moment später befand sie sich bereits auf dem Weg zurück auf diese problembelastete Welt.

Man hatte den Rat nach dem Ausbruch des Aufstands vor einigen Stunden in ein angrenzendes Bürogebäude evakuiert. Als Jean-Luc in diesem neuen Zentrum der Macht materialisierte, war er vom Treiben um ihn herum beeindruckt. Vielleicht hatte der unfreiwillige Umzug diese Leute ja endlich aus ihrer Schockstarre befreit. Zunächst hatte der Captain angenommen, ihnen sei alles so sehr über den Kopf gewachsen, dass sie zu keiner Entscheidung mehr fähig wären. Jetzt eilten Sekretäre der Bader und Dorset jedoch zwischen den Räumen hin und her und brachten Kabel und isolineare Chips. Sie versuchten offenbar, die neuen Räumlichkeiten in eine funktionsfähige Kommandozentrale zu verwandeln. Allerdings beunruhigte es den Captain, dass offenbar nur Ratsmitglieder der Dorset anwesend waren.

Er tauschte einen verwirrten Blick mit Deanna Troi aus und trat dann einen Schritt vor, damit man seine Gegenwart bemerkte. El Rodak El war die Erste, die ihn erblickte, und kam lächelnd zu ihm herüber. »Captain, Sie kommen genau im richtigen Moment.«

»Ist das so?«

»Ja.« Eine Pause entstand. Mit einer ausladenden Geste versuchte sie, die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zu ziehen. »Die Bader haben sich entschieden, eine eigene Einrichtung aufzubauen, bis sich alles etwas beruhigt hat.«

Picard war zutiefst besorgt darüber, dass der Rat, dessen Mitglieder er vor dem Ausbruch der Seuche zu beschützen versuchte, sich nun nach Spezies aufteilte. Troi schien es nicht anders zu gehen. Auch sie wirkte besorgt und verwundert.

»Warum sollte das besser sein?«, fragte sie.

»Wir haben zu viel Zeit mit Nickligkeiten verloren«, antwortete Rodak. »Wir glauben, dass wir den Planeten aufteilen und uns auf Hilfsmaßnahmen für unsere jeweiligen Kontinente konzentrieren sollten.«

Auch wenn das, was die Frau sagte, nicht ganz falsch war, stimmte Picard nicht mit ihrer Schlussfolgerung überein. »Das mag für Sie nach einem guten Plan klingen«, sagte er in gemäßigtem Tonfall, »wird aber meiner Ansicht nach langfristig niemandem helfen.«

»Sind nicht auch alle vier Kontinente durchmischt?«, fragte Troi.

»Ja, aber auf jedem überwiegen die Bader oder Dorset, Counselor«, antwortete Rodak. »Wir haben lange darüber gestritten und dann entschieden, nicht länger darüber streiten zu wollen. Genau das haben unsere Vorfahren auch getan.«

»Ja, aber Sie haben aufgehört zu streiten, um eine Welt zu einen. Jetzt haben Sie aufgehört zu streiten und die Welt damit gespalten.« Er spürte, dass er Botschafter Colton Morrow brauchen würde, der sich jedoch noch immer auf der Krankenstation befand, um sich von seinen während des Aufstands erlittenen Verletzungen zu erholen. Wenn der Rat sich schon spaltete, hätte Picard mit ihm wenigstens jemanden in dem anderen Raum, dem er vertrauen konnte.

»Und was haben Sie zustande gebracht, seit dieser erleuchtete Plan in Kraft getreten ist?«

Rodaks Lächeln schwand. »Wir bauen unser Kommunikationsnetzwerk wieder auf, um die Probleme einschätzen und mit den Friedensoffizieren in den betroffenen Bereichen in Kontakt treten zu können.«

Kurz gesagt, befand Picard, hatte sich also gar nichts geändert. Niemand arbeitete mit der notwendigen Eile, während sich die Infektion immer weiter auf dem Planeten ausbreitete. Kurz dachte er darüber nach, die Bader aufzusuchen, nahm aber an, dass sie sich in einer ähnlichen Situation befanden.

Er wollte Troi etwas fragen und drehte sich zu ihr um. Sie stand jedoch in der Nähe der Tür und sprach mit einem Dorset. Die Unterhaltung schien ähnlich unproduktiv wie seine gerade beendete zu verlaufen. Dennoch entschied er, das Gespräch nicht zu unterbrechen. Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Monitor. Jemand hatte ihn gerade aktiviert und stellte ihn nun ein. Zuvor verwaschene Bilder wurden schärfer und schließlich waren die von den Dorset dominierten Kontinente Fith und Tregor zu erkennen. Farbige Lichter tauchten überall auf und Picard begriff, dass jedes für einen belegten Zwischenfall des um sich greifenden Wahnsinns stand.

Es handelte sich aber nicht um Wahnsinn. Es war ihre wahre Natur und sie wussten es bisher nicht einmal. Er hatte gehofft, Crushers Neuigkeiten dem gesamten Rat verkünden zu können, und fürchtete, es nun zweimal tun zu müssen.

Während Picard untätig dabei zusah, wie Troi ihren Zauber wirkte, näherte sich Ensign George Carmona. Picard war äußerst zufrieden mit der Hingabe und Leistung des Mannes während dieser Mission. Vale hat weise gewählt, dachte er bei sich. Das dichte, lockige Haar des Mannes mit dem olivfarbenen Teint war zerzaust, doch das war unter diesen Umständen zu verschmerzen.

»Captain, ich habe versucht, es ihnen auszureden, habe ihnen gesagt, dass das alles nur noch schlimmer macht …«

»Ganz ruhig«, beschwichtigte Picard. »Wovon reden Sie, Ensign?«

»Die Bader haben ihre Basis auf der gegenüberliegenden Seite des Gebäudes eingerichtet. Um dort hinzugelangen, muss man einen ungeschützten Innenhof durchqueren. Wenn die Ratsmitglieder oder ihre Sekretäre von einem Kommandozentrum zum anderen wechseln, werden sie zu einfachen Zielen.«

Picard schüttelte entmutigt den Kopf. Schon seit er vor zwei Tagen das erste Mal heruntergebeamt war, kam es ihm so vor, dass diese Regierung sogar mit einer Essensbestellung überfordert wäre, ganz zu schweigen von allem, was dazu nötig war, um einen Planeten zu führen. Er hatte sich der Hoffnung hingegeben, dass sich die Lage mit dem Wechsel von Chkarad zu Jus Renks Jus als Sprecher verbessern würde. Das war jedoch offensichtlich nicht der Fall. Sie nahmen nicht einmal ihre eigene Sicherheit ernst genug.

»Ich habe Williams am Eingang zu den Bader positioniert. Ich selbst kümmere mich um diese Seite. Um ehrlich zu sein, fürchte ich, mehr kann Lieutenant Vale nicht entbehren. Ich habe jedes Mal Angst, wenn sich eine Tür öffnet.«

»Das ist auch gut so«, sagte Picard. »Aber Sie können dem Rat nicht helfen. Ich muss es wissen – ich versuche das seit Tagen.« Er warf dem abgekämpften Sicherheitsmann ein aufmunterndes Lächeln zu, das diesen aufzuheitern schien. »Wir werden versuchen, Ihnen etwas Unterstützung zu besorgen. Machen Sie solange weiter.«

Carmona nickte. Er entfernte sich und verließ den Raum, vermutlich um seinen Posten auf der anderen Seite der Tür wieder einzunehmen. Picard fühlte sich sicher, da er wusste, dass er dem Mann vertrauen konnte.

Troi beendete ihr Gespräch und näherte sich dem Captain. Sie schien zufrieden mit sich zu sein und erntete dafür einen fragenden Blick von Picard.

»Es gibt ein altes Sprichwort, nach dem es die Buchhalter sind, die eine Regierung führen.«

Picard nickte. »Davon habe ich auch gehört.«

»Nun, hier erleben wir es in der Praxis«, sagte sie und klang dabei eine Spur zu selbstgefällig. »Auch wenn die Ratsmitglieder der Dorset und der Bader es für notwendig halten, sich aufzuspalten, sehen die Sekretäre und Mitarbeiter das ein wenig anders. Sie lassen die Kommunikationskanäle zwischen den beiden Bereichen offen und tauschen Informationen aus. Ich würde sagen, dass sie die Realität dieser Situation besser einschätzen können als die jeweiligen Ratsmitglieder.«

»Das stimmt«, musste Picard zugeben. Er war jedoch nur bedingt von dieser Enthüllung erfreut und beeindruckt.

»Sie teilen zwar die Sorgen ihrer Anführer, betrachten das Ganze aber deutlich fatalistischer. Sie sehen die Schadensberichte und Opferstatistiken. Sir, es ist viel schlimmer, als sie sich eingestehen wollen«, sagte Troi.

»Ich kann da nicht reingehen und ihnen sagen, wie sie die Dinge anpacken sollen. Unsere eigenen Regeln und Einschränkungen halten mich davon ab, mal ganz abgesehen davon, dass wir es hier mit einer souveränen Regierung zu tun haben.«

Der Captain zog sich in eine abgeschiedene Ecke des Raums zurück und kontaktierte die Enterprise. Er wollte sich auf den neuesten Stand bringen lassen, bevor die Probleme hier unten ihn zu sehr vereinnahmten.

»Wie ist Ihr Status, Mr. Data?«

»Wir haben nichts von Commander Riker gehört. Seine Rückmeldung ist längst überfällig.«

»Haben Sie versucht, ihn zu kontaktieren?«

»Ehrlich gesagt können wir ihn nicht einmal orten, Captain.«

»Moment mal, die Sensoren registrieren seinen Kommunikator nicht?«

»Nein, Sir. Er ist verschwunden, genau wie sein Vater.«

»Ich werte das mal als Zeichen dafür, dass er seinen Vater gefunden hat. Sie waren auf dem Weg nach Norden, wenn ich mich richtig entsinne. Bitte versuchen Sie, ihm zu helfen. Gibt es noch etwas zu berichten?«

»Geordi muss den Warpantrieb abschalten, um ein Problem mit dem Plasmainjektor in den Griff zu bekommen. Da wir hier im Orbit vermutlich keinen Warpantrieb brauchen werden, schien es uns ein geeigneter Zeitpunkt zu sein.«

»Das sehe ich auch so. Picard Ende.« Er hoffte nur, dass La Forge in der Lage wäre, die Reparaturen selbst vorzunehmen, ohne die Hilfe der Sternenflotte anfordern zu müssen. Schließlich gab es schon genug, worum er sich kümmern musste.

Für Beverly Crusher fühlte es sich an, als hätte sie endlich wieder eine Aufgabe. In den vergangenen Tagen hatte sie das Delta-Sigma-IV-Dilemma intensiv studiert, um herauszufinden, wie aus einem Heilmittel für einen Gendefekt ein Gift hatte werden können. Endlich war es ihr gelungen, das Rätsel zu lösen, und sie konnte mit der Arbeit an einer potenziellen Lösung beginnen. Ihr Kaffee wurde kalt, während sie ohne Pause im Labor schuftete. Glücklicherweise war die Zahl der Todesopfer gesunken, nachdem ihre Teams auf allen vier Kontinenten Triagestationen eingerichtet hatten. Dr. Tropp war auf dem Planeten für die Überwachung zuständig, während sie sich an Bord um die langfristigen Probleme kümmerte.

Crusher strich eine widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr und ließ eine Analyse der Hirnchemie aller fünf Testobjekte laufen. Fast ein Jahr hatten sie in Quarantäne verbracht und darauf gewartet, ob das von der medizinischen Abteilung der Sternenflotte zur Verfügung gestellte Medikament ihre genetische Kodierung wieder in den Normalzustand versetzen würde. Alles schien bestens zu sein, bis El Bison El, einer der fünf, Unoo von Huni getötet hatte und aus dem Gebäude geflohen war. Nicht nur hatte er damit die Quarantäne verletzt, sondern das Problem auch in die restliche Welt getragen.

Nachdem man das in der Pflanzenwelt natürlich vorkommende Liscom-Gas aus dem Blutkreislauf herausgefiltert hatte, kehrte die Blutchemie in den Normalzustand zurück. Normalzustand bedeutete in diesem Fall jedoch auch, dass die gewalttätigen Tendenzen beider Spezies wieder zum Vorschein traten. Das Liscom-Gas hatte wie eine Art Rauschmittel gewirkt und alle Bewohner eingelullt und es den beiden Spezies somit ermöglicht, harmonisch zu koexistieren und im Gegensatz zu ihren angriffslustigen Heimatwelten eine Mitgliedschaft in der Föderation zu erreichen.

Anstatt das Blut zu untersuchen, konzentrierte sie sich dieses Mal auf die Hirnchemie und versuchte nachzuvollziehen, wie sich das sich ablagernde Gas auf die Persönlichkeit auswirkte. Alles in allem war es eine ebenso faszinierende wie beängstigende Situation und sie wollte die Sache unbedingt genauer unter die Lupe nehmen. Doch wie so oft lief die Zeit gegen sie. Genau genommen war es sogar ebendiese Forschungsarbeit, die in so scharfem Kontrast zu den Notfallbehandlungen der vergangenen Tage stand, die sie ein weiteres Mal über Yerbi Fandaus Angebot nachdenken ließ. Der aktuelle Leiter der medizinischen Abteilung der Sternenflotte hatte ihr vor einigen Monaten mitgeteilt, dass er in den Ruhestand gehen wollte und man sie als seine erste Wahl für seine Nachfolge akzeptiert hatte. Nach allem, was sie in den vergangenen Monaten durchlebt hatte – die plötzliche Rückkehr und den erneuten Aufbruch ihres Sohnes Wesley, den Gesichtsverlust innerhalb der Sternenflotte und das wachsende Gefühl, dass Picard niemals zu einer romantischen Beziehung bereit sein würde –, erschien das Angebot plötzlich äußerst reizvoll. Sie musste eine Entscheidung treffen, ob sie es annehmen oder ablehnen sollte, würde das aber sicher nicht tun, ohne zuvor mit ihrem langjährigen Freund darüber zu sprechen. Allerdings musste davor erst einmal die Krise auf dem Planeten beigelegt werden.

Erneut blickte sie in ihr Mikroskop und beobachtete die Mikroben. Ihre linke Hand übernahm die Feineinstellung der Anzeige, während sie mit einem Finger ein farbkodiertes Feld aktivierte, mit dem man die verschiedenen Elemente der Probe kenntlich machen konnte. Etwas Grünliches, das ihr bisher nicht aufgefallen war, wurde plötzlich hervorgehoben. Mit einem zufriedenen Seufzen richtete sie sich auf und begann, sich Notizen zu machen.

Troi lehnte an einer Wand und beobachtete das chaotische Treiben. Dabei fragte sie sich, ob es noch schlimmer kommen könnte. An Bord der Enterprise kümmerte sie sich in ihrer Funktion als Counselor um diverse Mannschaftsmitglieder, von denen einige mit ambivalenten Gefühlen bezüglich ihrer Loyalität gegenüber dem Captain oder der Enterprise zu kämpfen hatten, oder solche, die sich um ihre Karriere sorgten und sicherere Posten in Erwägung zogen. War es wirklich erst wenige Tage her, seit sie mit Riker die letzten Versetzungsanfragen diskutiert hatte?

Immerhin wollte nicht jeder zwingend weg. Die Ingenieurin Anh Hoang schien nicht gehen zu wollen und war auch längst nicht so besorgt über das politische Brimborium rund um die Besatzung. Sie hatte ganz andere Probleme, um die sich Troi als Counselor kümmern musste. Nach dem Verlust ihres Mannes und Kindes während des Angriffs der Breen auf San Francisco vor einigen Jahren schien sie sich in sich zurückgezogen zu haben. Es war wie eine selbst gewählte, persönliche Stasis. Keine Freunde, keine romantischen Beziehungen, keine Hobbys außerhalb der Arbeitszeiten. Ihr Leben schien nur aus Arbeit und Schlaf zu bestehen. Troi wusste, dass es sich dabei um ein sicheres Rezept für langfristige Probleme handelte. Daher hatte sie vor einigen Tagen begonnen, Gespräche mit ihr zu führen. Troi fragte sich, ob sie Hoang vielleicht als Ausrede benutzte, um sich nicht mit den furchtbaren Problemen auf Delta Sigma IV auseinandersetzen zu müssen.

Sie war die Straßen entlanggelaufen und hatte gespürt, wie der Ärger in den Leuten gewachsen war. Sie konnte spüren, wie verloren und verunsichert sich viele fühlten, während sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit ihren natürlichen Tendenzen konfrontiert wurden. Diese beiden Spezies konnten ihre Probleme nicht ausschließlich auf diplomatischem Weg lösen und auch jegliche Art von Frieden war undenkbar, solange die Leute sich ihren gewalttätigen Impulsen hingaben. Niemand war in der Lage gewesen, den moralischen Kodex oder inneren Kompass zu entwickeln, den empfindungsfähige Wesen benötigten. Nur deswegen war alles so schnell außer Kontrolle geraten.

Ein Sekretär huschte vorbei und drückte ihr verstohlen ein Glas Wasser in die Hand. Seine Körpersprache zeigte deutlich, dass die Präsenz der Föderation vom Rat bestenfalls noch geduldet wurde. Picard war schnell klar geworden, dass es von größter Wichtigkeit war, die Infektion vom Rat fernzuhalten. Bisher gab es keinen Hinweis darauf, dass der Wahnsinn ihn bereits erreicht hatte. Allerdings war durchaus vorstellbar, dass sich jemand während der Flucht aus der Ratskammer infiziert hatte. Aktuell gab es jedoch keine Möglichkeit, danach mit einem Trikorder zu scannen. Das machte die Sache nicht einfacher. Sollten Ratsmitglieder betroffen sein, wäre das das Ende der Regierung.

»Hier spricht Protokolloffizier Seer von Annan.«

Die Stimme drang aus der Richtung des Statusmonitors, den man gerade erst zum Laufen gebracht hatte, zu ihr herüber. Zwei Sekretäre und ein Ratsmitglied traten zum Bildschirm. Die drei sahen überrascht aus. Es war offensichtlich, dass sie die Mission ihres Abgesandten vergessen hatten.

»Hier spricht Ratsmitglied El Rodak El«, setzte die Frau an, wurde aber sofort von einer zweiten Stimme aus einem angrenzenden Raum unterbrochen: »Hier spricht Cholan von Runi.«

Man konnte einen kurzen Moment des Entsetzens auf dem Gesicht von Rodak erkennen. Sie unterdrückte das Gefühl jedoch schnell und erwartete Seers Bericht.

»Wir befinden uns immer noch auf der Insel Eowand. Es gab einen Kampf und wir haben Kyle Riker ausfindig gemacht. Commander Riker ist ihm gefolgt und nun scheinen beide verschwunden zu sein. Die örtlichen Offiziere und ich haben das Gebiet abgesucht, es gibt allerdings keine Spur von den beiden Menschen.«

Das bestätigte Datas früheren Bericht, dass Will sich nicht wie vereinbart gemeldet hatte. Troi runzelte die Stirn, während sie auch auf den Tonfall von Seers Bericht achtete. Er sagte die Wahrheit und das machte ihr Sorge. Ganz offensichtlich hatten Will und er sich angefreundet und waren nur deshalb überhaupt so weit gekommen. Die Besorgnis in seiner Stimme war aufrichtig. In diesem Moment legte sich eine Hand sanft auf ihre Schulter.

»Alles gut, Captain«, sagte sie, noch bevor sie sich umdrehte.

»Counselor, ich wusste schon einige Zeit vor dem Bericht des Protokolloffiziers, dass die Enterprise das Signal von Commander Riker verloren hat. Ich habe das als Indiz dafür interpretiert, dass Kyle Riker gefunden wurde. Daher war ich nicht beunruhigt.«

Seine Stimme klang gefasst und professionell. Die Verwendung der Ränge sollte sie daran erinnern, dass es sich hier um eine laufende Mission handelte. Als sie sich zu ihm umdrehte, glitt seine Hand von ihrer Schulter.

»Ich vertraue Will, Sir«, antwortete sie und benutzte seinen Vornamen, um zu verdeutlichen, dass sie nicht bereit war, diese Sache rein professionell zu betrachten. Es gab zusätzlich eine nicht wegzudiskutierende persönliche Ebene.

»Gut. Ich auch.«

»Ich werde weiterhin die Augen offen halten und dann in die Hauptstadt zurückkehren.«

»Gut, gut«, bellte Cholan aus dem anderen Raum.

Jus Renks Jus, der Sprecher des mittlerweile geteilten Rats, hatte sich zu der kleinen Gruppe gesellt. Sein von Abscheu geprägter Blick sprach Bände für Troi. Irgendjemand, vielleicht sogar der gesamte Rat, war bereits infiziert. Die Regierung am Laufen zu halten würde in den nächsten Stunden noch zu einer ernsthaften Herausforderung werden.

Während Picard weiterhin auf den Statusbildschirm starrte und die eingeblendeten Neuigkeiten verfolgte, trat Troi einen Schritt zurück und trank den letzten Schluck ihres Wassers aus. Dabei konzentrierte sie sich darauf, ihre Verbindung zu Will zu finden. Auch wenn sie nur mit der Hälfte der normalen betazoidischen Fähigkeiten gesegnet war, war ihre Verbindung zu Will doch stark genug, um immer spürbar zu sein. Sie konnte ihn in ihrem Geist fühlen. Schon kurz nach ihrer ersten Begegnung hatte sie dieses Band bemerkt und es hatte sie erschreckt. Außer ihrer Mutter war es davor niemandem gelungen, eine derart große Intimität mit ihr zu erreichen. Seitdem war ihre Verbindung jedoch stets ein Quell des Trosts gewesen. Sie fand das Band auch jetzt ohne große Anstrengung: ein goldener Faden, der zwischen den Schatten in ihrem Geist warm leuchtete. Er war am Leben und das reichte ihr.

Zumindest vorerst.

Kyle Riker stand auf und wischte sich den Schmutz von den Händen. Er bewegte sich nicht mehr mit der gleichen Selbstsicherheit, an die Will sich so gut erinnerte. Im Gegensatz zu Wills Jacke aus elastischem Mikrofasergewebe trug sein Vater einen ausladenden grauen Mantel. Seine Hände waren ungeschützt. Ansonsten wäre er nicht zu den kniffligen Handgriffen in der Lage gewesen, die für den Diebstahl eines Flyers notwendig waren. Sie waren aufgescheuert und gerötet von der Kälte. Er sah fraglos mitgenommen aus, dachte Will, während er ihn ansah, ohne auch nur einmal seinen Phaser zu senken.

»Ich habe gesagt, ich höre«, forderte Will ihn heraus.

Kyle sah mit schmerzverzerrtem Blick zu ihm. Etwas Vergleichbares hatte Will seit dem Tod seiner Mutter Ann, der Frau, die beide Männer so sehr geliebt hatten, nicht mehr in seinem Gesicht gesehen.

»Du kannst den Phaser runternehmen, Junge«, sagte Kyle.

»Im Moment kann ich dir nicht vertrauen.«

»Deinem eigenen Vater?«

»Besonders dem«, gab Will zurück.

Kyle wirkte kurz verletzt, schüttelte das Gefühl aber schnell ab. »Ich dachte, wir hätten diese Mauer schon vor einem Jahrzehnt eingerissen. Ich dachte, das würde alles hinter uns liegen.«

»Das ist das Problem mit Mauern«, sagte sein Sohn. »Man kann sie aufbauen, einreißen und sie dann erneut aufbauen.«

»Geht es darum? Dass ich mich nicht gemeldet habe? Das war noch nie meine Stärke.«

»Nein, hier geht es nur darum, dass du den Schauplatz eines Verbrechens verlassen hast und zum Flüchtigen geworden bist. Du solltest mit mir zurückkommen und die Sache aufklären.«

Kyle gestikulierte mit erhobenen Händen. »Darf ich mir wenigstens Handschuhe anziehen? Die Luft hier ist eisiger als ein romulanisches Lächeln.«

Will gestikulierte mit seinem Phaser. Sein Vater griff tief in seine Manteltaschen, zog schwarze Handschuhe hervor und streifte sie über. Er rieb sich die Hände, um sie dadurch schneller zu erwärmen. Will stand nur da und versuchte, die ganzen widersprüchlichen Gefühle in seinem Kopf und Herzen zu sortieren und trotzdem auf die Mission konzentriert zu bleiben. Während dieser kleinen Familienzusammenführung brach ein Planet um sie herum auseinander. Will musste herausfinden, welche Rolle sein Vater dabei spielte. In all das mischte sich zudem die Sorge, in der Schuldfrage in Sippenhaft genommen zu werden. Das nagte an ihm und machte es noch schwieriger, seine Wut zu kontrollieren.

»Gleich viel besser. Danke, Junge.«

»Halten wir das rein professionell«, sagte Will.

»Du meinst, wie auf der Enterprise? Damals hast du dich hinter ›Höflichkeit‹ versteckt. Ist die Mauer wirklich schon wieder so hoch und dick?«

Will antwortete nicht. Er wartete, was sein Vater noch zu sagen hatte. Er wollte ihn zum Reden bringen. Vale hatte ihm diesen Trick vor einiger Zeit beigebracht. Der frühere Riker hätte sein Gegenüber eingeschüchtert oder bedroht und seine imposante Statur eingesetzt.

Kyle, der in Verhandlungen auch kein Neuling war, versuchte ebenfalls, ihn aus der Reserve zu locken. Beiden war der Zeitdruck wohl bewusst, doch Kyle schien zu glauben, dass sie zuerst ihre persönlichen Konflikte beilegen sollten. Will trat von einem Bein aufs andere. Er spürte, wie die Kälte in seine Stiefel kroch. Er sah auf und stellte fest, dass die Dämmerung einsetzte. Wenn die Sonne unterging, würde es zwischen den geparkten Flyern noch deutlich ungemütlicher werden.

Endlich brach Kyle sein Schweigen. »Können wir das Ganze vielleicht zumindest nach drinnen verlegen?«

Will blieb stehen und griff nach seinem Kommunikator.

Kyle schüttelte mit besorgter Miene den Kopf. »Nein.«

»Auf der Enterprise ist es eine ganze Ecke wärmer als hier unten.«

»Meine Arbeit ist noch nicht beendet. Ich muss mich darum kümmern. Du kannst ein Teil davon sein.«

»Du hast immer noch nicht erklärt, was du hier treibst.«

»Das werde ich, aber lass uns ins Warme gehen.«

»Wie bist du nach Eowand gekommen?«

Kyle sah zu Boden und wirkte dabei wie ein Kind, das man mit der Hand in der Keksdose erwischt hatte. »Ich habe einen Flyer benutzt …«

»Den du gestohlen hast.«

Trotz funkelte ihm aus Kyles Augen entgegen. »Ich wollte mich um eine angemessene Entschädigung kümmern, wenn das hier vorbei ist. Aber ein oder zwei gestohlene Flyer sind nichts gegen das Leid, das diese Leute hier erdulden müssen.« Seine Stimme wirkte nun wieder härter und Will fragte sich, wie gebrochen Kyle war. Ohne Antworten konnte er darüber nur mutmaßen. In diesem Moment sah er Deannas Gesicht vor seinem geistigen Auge und wünschte sich, sie wäre hier. Sie würde wissen, was das Herz seines Vaters bewegte.

»Ist der Flyer hier irgendwo?«

»Ja.«

»Dann sollten wir ihn nehmen, statt deinen Verbrechen ein weiteres hinzuzufügen. Hast du ein bestimmtes Ziel im Sinn?«

Kyle deutete mit seiner linken Hand auf ein mitgenommenes hellblaues, goldverziertes Fluggerät, das im Gegensatz zu den anderen ziemlich abenteuerlich geparkt war.

»Ich wollte eigentlich den Flyer wechseln, um nicht so leicht gefunden zu werden«, erklärte Kyle. Sein kondensierter Atem wirbelte um seinen Kopf. »Das mache ich schon seit Tagen so.«

Will nickte und gesellte sich an die rechte Seite des älteren Mannes. Dabei achtete er darauf, außerhalb seiner Reichweite zu bleiben, und hielt den Phaser von ihm weggerichtet. Ein Verriegelungslicht blinkte zweimal und er hörte ein Klicken. Die Luke war etwas breiter als in Seers Schiff, im Innern sah jedoch alles genauso aus. Er musste zugeben, dass er beeindruckt war, mit welcher Leichtigkeit sein Vater in den Pilotensitz schlüpfte und mit Startvorbereitungen begann. Der Flyer erwachte summend zum Leben, der Antrieb klang ein wenig rauer, dafür aber kraftvoller als der von Seers Schiff. Kyle sah erst Will an und blickte dann auf die Steuerkontrollen. Will nickte zustimmend und Kyles große Hände verschwanden in den beiden Öffnungen, die die Kontrollen beheimateten. Innerhalb weniger Sekunden wurde die Vibration des Antriebs noch heftiger und schließlich hob der Flyer mit einem leichten Zittern ab.

»Ich habe den Flyer schon viermal gewechselt«, erklärte Kyle während des Flugs. »Sie sind so verdammt ähnlich gebaut, dass es kein Problem ist, jedes neue Modell zu beherrschen.« Will antwortete nicht. Er ging davon aus, dass die Wärme seinen Vater ein wenig gesprächiger machen würde.

Nach einem Schwenk nach rechts flogen sie davon und ließen die Stadt Eowand schnell hinter sich. Der Himmel vor ihnen erstrahlte in einem majestätischen Blau. Hinter ihnen lag der goldene Dunst. Einige Minuten flogen sie in absoluter Stille. Der vordere Bereich des Flyers wirkte angesichts der beiden groß gewachsenen Männer beengt. Will achtete jedoch penibel darauf, dass sein rechter Arm, in dessen Hand er den Phaser hielt, ausreichend Bewegungsfreiheit hatte. Auch sorgte er dafür, dass die Waffe sichtbar war. Er wusste, dass es Kyle nicht möglich sein würde, irgendetwas zu unternehmen, solange er seine Hände an den Kontrollen des Schiffs hatte.

»Woher wusstest du, wo du mich finden würdest?«, fragte Kyle schließlich.

»Jemand schien überall auf dem Planeten Situationen zu entschärfen, die niemand sonst hätte bewältigen können. Ich brauchte keinen Computer, um herauszufinden, dass du das sein musst.«

»Warum hier?«

»Ich hatte den Eindruck, dass du Bison nicht länger folgst, sondern dem Pfad der Ausbreitung. Als mir klar wurde, dass er nach Norden führt, kam mir der Gedanke, dass du ein vertrautes Klima aufsuchen würdest.«

Kyle nickte und schien den Ausführungen seines Sohnes zuzustimmen. Dann kniff er seine blauen Augen zusammen und konzentrierte sich auf eine Kurskorrektur, die sie direkt in Richtung des Nordpols des Planeten führen würde. »Ich habe Bison verloren. Ich wette, du auch.«

»Willst du, dass uns das Magnetfeld abschirmt?«

»Es könnte zumindest die Scans stören, damit wir hinfliegen können, wo wir wollen.«

»Ist dieses Schiff denn vor dem Magnetfeld geschützt?«

Will erntete einen vernichtenden Blick seines Vaters und ärgerte sich, so eine naive Frage überhaupt gestellt zu haben. War er erwachsen oder wieder zwölf?

»Wir haben ehrlich gesagt nie nach Bison gesucht. Und du hast mir immer noch nicht verraten, wo wir überhaupt hinwollen.«

»Das nächste große Bevölkerungszentrum befindet sich auf dem Kontinent Osedah. Wir fliegen hin und sehen nach, ob dort alles unter Kontrolle ist. Dann geht es weiter.«

»Was ist dein Ziel? Wofür brauchst du meine Hilfe?«

Kyle korrigierte den Kurs. Seine Arme schlängelten sich vor und zurück, während er in dem beengten Raum zu kämpfen hatte. Will hatte sich schon damit abgefunden, keine Antwort zu erhalten, und spürte erneut die Ungeduld in sich aufsteigen.

»Die Ausbrüche der Gewalt setzen sich in dieser Richtung fort. Bison muss ebenfalls hier sein und sie verbreiten. Er ist mein Ziel.« Kyle atmete tief ein und betrachtete dann seinen Sohn. »Inwieweit bist du darüber im Bilde, was mit diesen Leuten passiert?«

Will verzog das Gesicht und begann dann, den Verlauf ihrer Mission zusammenzufassen. »Die Bader und Dorset haben eine nie zuvor erlebte Stufe der Kooperation erreicht, während sie diese Welt kolonialisierten. Allerdings hat etwas natürlich auf dem Planeten Vorkommendes ihre Chromosomenstruktur verändert und plötzlich starben sie mit jeder neuen Generation früher.«

»So weit, so gut«, sagte Kyle nickend. »Du weißt, dass Koll Azernal mich hierhergeschickt hat, um die Berichte der Wissenschaftler zu studieren?«

»Warum sollte der Stabschef des Präsidenten so etwas tun?«

Kyle wich der Frage aus und fuhr stattdessen fort: »Die Wissenschaftler der Bader und Dorset haben ihre Arbeit unabhängig voneinander erledigt. Der Chefarzt hier hat dabei etwas übersehen, das mir beim Durchsehen der Berichte aufgefallen ist.«

Will dachte darüber nach, wie brillant sein Vater sein musste, bei all den Dingen, die er über die Jahre erreicht hatte. Seine Leistungen konnte man schon fast als legendär bezeichnen. Dennoch sprach er darüber nur selten mit seinem Sohn, auch wenn er fraglos stolz sein durfte. Obwohl er der einzige Überlebende eines Angriffs der Tholianer auf eine Raumstation war, hatte er Will nie von dem Zwischenfall erzählt, von den Monaten in der Reha und der schmerzhaften Physiotherapie ganz zu schweigen. Das alles hatte Will erst ein Jahrzehnt später von Dr. Katherine Pulaski erfahren, die ihn damals betreut hatte. Es überraschte Will also nicht im Geringsten, dass sein Vater derjenige war, der den Ursprung des Problems auf Delta Sigma IV entdeckt hatte.

»Du warst es also, der herausgefunden hat, dass es das Liscom-Gas ist, das die Gene verändert?«

Kyle schüttelte den Kopf und flog das Schiff weiter in den Abendhimmel. Unter ihnen war das Meer mit Schaumkronen gesäumt, was für einen gespenstischen Anblick sorgte.

»Nein, das haben die Leute hier ganz allein herausgefunden. Es geht um die andere Auswirkung.«

Will blinzelte überrascht. »Welche andere Auswirkung?«

Nun sah Kyle ihn verwundert und besorgt an. »Ist Dr. Crusher etwa noch nicht darauf gestoßen?«

»Wenn sie es ist, wurde ich zumindest noch nicht informiert. Ich habe dich immerhin eine ganze Weile kreuz und quer über diesen Planeten gejagt.«

Kyle nickte und fuhr fort: »In Ordnung, also vielleicht weißt nur du es noch nicht. Ich hoffe inständig, dass sie es herausgefunden hat.«

»Um was geht es denn nun?«

»Dein Ton ist vollkommen unangebracht«, sagte Kyle barsch und versuchte offenbar, seine Position als Alphatier wieder zurückzuerlangen. Will biss sich auf die Zunge und wartete ab, um endlich zu erfahren, was mit diesen Leuten geschah.

»Hast du dich nie gefragt, wie zwei so streitsüchtige Spezies das Kriegsbeil begraben konnten, anstatt sich damit gegenseitig die Schädel zu spalten?«

»Ich kenne die Berichte. Beide Seiten haben sich entschieden, Delta Sigma IV als Neustart zu betrachten.«

»Schöne Worte, die allerdings erst Monate nach der Besiedelung gesagt wurden. Sie waren sehr gut darin, sich als erleuchtet darzustellen. Die Föderation hat das nie wirklich hinterfragt.«

»Was hinterfragt?«

»Das Gas hat nicht nur ihre Lebensspanne verkürzt, es hat sie gewissermaßen unter Drogen gesetzt. Ich vermute, dass es ihre Hirnchemie angreift und sie apathisch macht.«

Will war über diese Information verblüfft. Etwas Derartiges wäre ihm im Leben nicht eingefallen. Ein Planet voller Abhängiger, denen plötzlich die Droge fehlte. Schon allein die Entzugserscheinungen mussten schrecklich sein.

»Und das haben sie während der einjährigen Quarantäne nicht festgestellt?«

»Alles, was die Ärzte zu sehen bekamen«, erklärte Kyle, »war, dass diese friedlichen Leute plötzlich weniger gehorsam waren. Aber sie waren nicht aggressiv oder gar gewalttätig.«

»Während das von uns hergestellte Heilmittel in ihrem Körper arbeitete, dauerte es noch eine Weile, bis wir die richtige Dosis bestimmt hatten. Wir behielten das im Auge, aber die Probleme kamen erst auf, als sie wieder zu Hause waren.«

Kyle wirkte nun gar nicht mehr selbstgefällig. Die Erkenntnis dieses Irrtums der Föderation schien ihm unangenehm zu sein.

»Und Bison war der Erste mit starken Entzugserscheinungen?«

»Es scheint so. Ohne das Gas in ihrem Blutkreislauf stellten sich ihre natürlichen Tendenzen wieder ein. Beide Spezies sind gewaltbereit und aggressiv. Mit denen hat man für gewöhnlich keinen Spaß.«

Will zählte eins und eins zusammen und konnte sich ausmalen, wohin das geführt hatte. Er brauchte keine Counselor-Ausbildung, um zu verstehen, was danach passiert war. »Also mussten all diese Erwachsenen plötzlich mit Emotionen klarkommen, die sie vorher nicht kannten.«

»Bison konnte sich nicht kontrollieren und ging auf Unoo los.«

»Er ist aus der Quarantäne ausgebrochen und hat das vermeintliche Heilmittel wie ein Virus verbreitet. Und du bist ihm gefolgt.«

»Von den fünf Testpersonen hat El Bison El als Erster reagiert. Wenn wir ihn finden, kann Dr. Crusher ihn untersuchen und herausfinden, was passiert ist. Ich wette, dass sie das mit den anderen vier auch schon getan hat. Sein Scan könnte ihr helfen. Ich hasse lose Enden.«

Will zuckte bei diesem Satz zusammen. Etwas Vergleichbares hatte er erst vor wenigen Tagen auf dem Schiff zu Deanna gesagt und es gefiel ihm gar nicht, seinem Vater in irgendeiner Form ähnlich zu sein.

»Du hast also das Muster erkannt und daraus abgeleitet, dass es zum Problem werden könnte. Hast du denn nichts gesagt?«

»Natürlich habe ich das«, entgegnete sein Vater knapp. »Ich habe gegenüber der medizinischen Abteilung der Sternenflotte deutlich gesagt, dass ich ein Problem sehe. Die Ärzte und Psychologen waren allerdings anderer Meinung. Also wurde ich überstimmt.«

Kurz verfiel Kyle in Schweigen. Er haderte offenbar mit seiner Niederlage. Wären die Dinge anders gelaufen, hätte man unnötiges Blutvergießen vermeiden können.

Will ließ ihn gewähren, blickte aufs Meer hinaus und erkannte, dass sie sich der Küste von Osedah näherten.

Dann ergriff Kyle wieder das Wort. »Als Präsident Zife zustimmte, die Testpersonen im Rahmen der Hundertjahrfeier wieder in die Gesellschaft einzugliedern, war es ein Leichtes für mich, Teil der Delegation zu werden. Zife gefiel der Gedanke sogar, dass jemand mit etwas mehr Erfahrung als unser kleiner Welpe Morrow vor Ort sein würde.«

Will studierte die verschiedenen Emotionen in den Augen seines Vaters. Sein Kiefer war angespannt, da er sich auf den Flug konzentrierte. Dennoch konnte er auch das Gefühl, versagt zu haben, in seinen blutunterlaufenen Augen erkennen.

»Nachdem Bison Unoo getötet hatte, war ich sicher, dass mein Verdacht richtig war. Ich bin Stratege, ich denke immer vier Züge voraus. Mir war eine Sache klar: Haut er ab, könnten alle infiziert werden. Das musste ich eindämmen und ihn festsetzen.«

»Also bist du blind drauflosgerannt.«

»Ich habe ihn verfolgt. Da hatte er aber schon einige Medienvertreter infiziert. Er ist einfach schneller und jünger als ich. Also ist er mir entkommen.«

Will dachte über all das nach, akzeptierte es als Wahrheit und versuchte vorauszudenken. Wie hielt man Leute davon ab, sich natürlich zu verhalten?

»Ich habe versucht, dem Virus einen Schritt voraus zu sein und Bison auf diese Weise zu fangen. Auf dem Weg habe ich mich dann noch bemüht, dafür zu sorgen, dass nicht alles aus dem Ruder läuft.«

»Du warst also so was wie der Schutzengel des Planeten, ja?« Sogar Will zuckte angesichts der Verbitterung in seiner Stimme zusammen.

»Ich habe auf der Erde versagt, also musste ich es hier beenden«, sagte sein Vater nun mit barscher Stimme. »Das hier ist mein Chaos. Ich