Star Trek – Zeit des Wandels 5: Liebe - Robert Greenberger - E-Book

Star Trek – Zeit des Wandels 5: Liebe E-Book

Robert Greenberger

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Beschreibung

Kurz nach der epischen Schlacht des Raumschiffs Enterprise gegen Shinzon nahmen viele langjährige Besatzungsmitglieder von Captain Jean-Luc Picard neue Posten und neue Herausforderungen an. Unter den vielen Veränderungen war auch William Rikers Beförderung zum Captain und sein neues Kommando, Rikers Hochzeit mit Counselor Deanna Troi und Dr. Beverly Crushers neue Karriere beim Medizinischen Korps der Sternenflotte. Doch die Geschichte, wie es dazu kam, wurde nie erzählt … BIS JETZT. Als die Bader und die Dorset vor hundert Jahren den Planeten Delta Sigma IV kolonisierten, endeten auf geheimnisvolle Weise ihre wiederkehrenden Konflikte. Schnell wurden sie zum Paradebeispiel der Föderation für die Kooperation unterschiedlicher Spezies. Doch nun scheint es Ärger im Paradies zu geben. Eine von Kyle Riker, Commander William Rikers Vater, geführte Untersuchung dieser scheinbar so harmonischen Gesellschaft deckt eine schockierende Wahrheit auf: Innerhalb der nächsten paar Generationen wird die Reaktion auf ein lokal vorkommendes Gas für die Auslöschung der Bewohner von Delta Sigma IV sorgen. Captain Picard und seine Mannschaft müssen einer Welt zu Hilfe eilen, die bisher nichts als Frieden kannte, doch nun vor aufkeimender Gewalt und Chaos steht … und Commander Riker muss sich der Tatsache stellen, dass sein eigener Vater für Delta Sigma IVs fast sicheren Untergang verantwortlich sein könnte!

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Ein weiteres Mal meiner Frau Deb gewidmet, die immer die Zeit gefunden hat, mich zu lieben – egal ob ich ihre Liebe oder sie verdient hatte oder nicht.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Über den Autor

»Noch drei?«

William Riker, der Erste Offizier des Raumschiffs Enterprise, sprang mit weit aufgerissenen Augen aus seinem Sessel auf. Ihm gegenüber saß Counselor Deanna Troi. Normalerweise verrieten ihre tiefgründigen braunen Augen ein großes Maß an Empathie für die Probleme anderer. Diesmal jedoch sah sie ihn nur müde an.

Riker rieb sich das Kinn und strich durch den frisch gezüchteten Bart, der bereits für viele Diskussionen zwischen ihnen gesorgt hatte. Wenige Jahre zuvor hatte er ihn abrasiert, als ihre Beziehung neu aufgeflammt war. Nach den Ereignissen der letzten Monate war in ihm jedoch das Gefühl entstanden, dass er etwas ändern musste. Den Bart neu wachsen zu lassen erschien ihm die simpelste Lösung zu sein. Sie neckte ihn seitdem damit, auf Küsse verzichten zu wollen, und hielt bereits erstaunlich lange durch. In diesem Moment war den beiden jedoch nicht nach Necken zumute.

Kopfschüttelnd blickte er auf das vor ihm liegende Padd. Er wusste natürlich bereits, was darauf zu lesen war. Dennoch wurmte es ihn, drei weitere Anfragen für eine Versetzung sehen zu müssen. Crain aus dem Maschinenraum, Nybakken aus der Wissenschaft und Kawasaki aus der Technik waren allesamt gefestigte Offiziere und nicht der Typ, von dem Riker ein Versetzungsgesuch von der Enterprise erwartet hätte.

»Sie wollen einen Posten auf dem besten Schiff der Flotte …«, begann Troi in sanftem, mitfühlendem Ton.

»Und das sind wir«, beharrte Riker nachdrücklich.

»Ja, das sind wir«, gab sie zurück. »Aber unser Ansehen hat auch ein wenig gelitten. Der Ruf der Besatzung ist angeschlagen. Die drei wollen einfach verhindern, dass es ihre Karriere negativ beeinflusst.«

»Kawasaki stand kurz vor einer Beförderung«, sagte Riker ernüchtert. Er war nicht wütend, doch es schmerzte ihn und er ließ zu, dass man ihm das auch anhörte. In Trois Gegenwart konnte er ganz er selbst sein und die professionelle Maske ablegen, die er vor der Mannschaft stets aufrechterhielt.

»Wie viele sind es insgesamt?«

Troi schüttelte traurig den Kopf. »Siebzehn in den letzten drei Monaten.« Die Gesuche hatten direkt nach der Begegnung mit dem Dämonenschiff begonnen.

Natürlich war der gesamten Besatzung bewusst, dass Picard nicht den Befehl zur Zerstörung eines Föderationsschiffs gegeben hatte. Vielmehr war es das Dämonenschiff gewesen, das sich als solches getarnt hatte.

Was Riker am meisten ärgerte, war, dass alles, was Picard für die Sternenflotte geleistet hatte, anscheinend nicht zählte. Das Kommando sah nur die Fehlschläge, ohne sie gegen all die erfolgreichen Missionen der Vergangenheit aufzuwiegen.

Für die Admiralität war er zur Belastung geworden. Er war eine lästige Erinnerung an die Ideale, denen auch sie sich eigentlich verpflichtet hatte. Als die Borg Sektor 001 angegriffen hatten, hatte sie die Enterprise an den Rand der Romulanischen Neutralen Zone geschickt, statt dem Flaggschiff zu erlauben, die Wiege der Föderation zu verteidigen. Riker hatte den Ausdruck auf Picards Gesicht gesehen, als die Meldungen eintrafen, dass ein einzelner Borg-Kubus dabei war, die Flotte zu dezimieren. Die Enterprise war entgegen den Befehlen zum Ort der Schlacht geflogen, hatte das Kommando über die restliche Flotte übernommen und den angreifenden Kubus zerstört.

Picard hatte die Admirals auch danach in Bedrängnis gebracht, weil er sich an die Prinzipien hielt, während einer von ihnen, Admiral Dougherty, sie aus dem Blick verlor und fast die Existenz der Bak’u vernichtet hätte.

Und nun das. Für Picards standhaften Mut und seine Integrität hatte man ihn und sein Schiff aufs Abstellgleis verbannt. Wen wunderte es also, dass die Leute das Schiff verlassen wollten? Natürlich hatte Riker insgeheim gehofft, dass die Mannschaft beisammenbleiben würde, um ihren Vorgesetzten damit zu zeigen, wie falsch deren Verhalten war. Bei Hunderten von Besatzungsmitgliedern war eine solche Einheit aber nahezu unmöglich. Er musste sich damit trösten, dass Picards engste Vertraute nicht von ihrer Loyalität abwichen.

»Wie schnell wollen sie weg? Hat es noch Sinn, mit ihnen zu reden?«, fragte Riker.

»Bei Kawasaki hast du vielleicht eine Chance, wenn es um ihre Möglichkeit für eine Beförderung geht. Du musst sie nur fragen, was ihr wichtiger ist: Will sie auf einem angeschlagenen Schiff vorankommen oder neu anfangen?«

»Wir sind nicht angeschlagen«, sagte er mit aufsteigender Wut.

»Wir mögen das so sehen«, erwiderte sie, »aber das gilt nicht für alle.«

Riker nahm das Padd und fuhr mit dem Daumen über das Metallgehäuse. Er dachte darüber nach, was wohl im Kopf der jungen Frau vor sich ging. Ihm wurde klar, dass er Kawasaki nicht besonders gut kannte. Er wusste nur, dass sie eher zierlich war und ein äußerst einnehmendes Lachen besaß. Natürlich war es nicht möglich, jedes Mannschaftsmitglied gleich gut zu kennen. In diesem Fall fiel es ihm aber besonders schwer, irgendwelche Informationen abzurufen. Er wusste nur, dass sie im Laufe des Jahres befördert werden sollte.

Schnell griff er auf ihre Dienstakte zu. Als er durch ihre Leistungen scrollte, wurde ihm klar, warum sie auf der Beförderungsliste gelandet war. Sie hatte an einer Verbesserung der Langstreckenscanner mitgearbeitet und Ideen für neue Sicherheitssysteme zum Schutz des Kerns im Falle eines Roten Alarms geliefert. Ihre Initiative und weitreichenden Talente waren jedem aufgefallen. Ihre Beurteilung las sich sehr gut, was Riker von allen unter ihm dienenden Offizieren jedoch auch erwartete.

»Bei ihr könnte ich eine Chance haben«, sagte er mehr zu sich.

»Ach ja?« Riker bemerkte sofort den verspielten Unterton in Trois Stimme. Er grinste sie an und strich sich noch einmal demonstrativ durch die Bartstoppeln.

»Na ja, sie ist Single und ziemlich süß«, fuhr er fort und ging damit auf ihr Spielchen ein.

»Und das reicht dir schon?«, fragte Troi kokett. »Ihr Lachen ist ein wenig … laut, oder?«

»Ja, das könnte in beengten Räumen schon ein wenig nerven«, musste Riker zugeben und lehnte sich zu ihr. Sie ließ seine Nähe zu und ihre Berührung gab ihm Kraft.

»Nerven? Es wäre eher ohrenbetäubend«, sagte sie.

»Du könntest mich ihr ja ausspannen«, konterte er und griff nach ihrer Hand. Sie erwiderte die Geste und sie verschränkten die Finger.

»Ich dachte, wir hätten die Anfangsphase hinter uns«, sagte sie plötzlich nüchtern. Ihre Augen strahlten jedoch.

»Oh, das haben wir auch, Imzadi«, gab er sanft zurück. »Die Anfangsphase haben wir hinter uns, seit ich dich das erste Mal auf Betazed getroffen habe.«

»Und wo stehen wir jetzt?«

»Tag zwölf«, sagte er und das Funkeln kehrte in seine Augen zurück. »Ich glaube, du willst mich nur ärgern. Du willst mir was klarmachen.« Er nahm Platz und fuhr fort: »Ich werde mit Kawasaki reden und versuchen, sie zum Bleiben zu bewegen. Aber ich werde es meinen Ohren zuliebe im Zehn Vorne machen.«

Troi drückte zärtlich seine Hand. Riker wandte seine Aufmerksamkeit nun wieder dem Padd zu. Als sein Blick auf die nächsten Namen fiel, runzelte er die Stirn. Er betrachtete sie genau und seine Augen verengten sich.

Troi wartete einen Moment, bevor sie ihn fragte, was los war.

»Sie haben uns neue Besatzungsmitglieder zugeteilt«, sagte er.

»Das machen sie so, wie du sicher weißt«, erinnerte sie ihn.

»Wann musste die Sternenflotte uns jemals Mannschaftsmitglieder zuweisen? All die Jahre haben sich die Leute um einen Posten hier gerissen. Und jetzt bekommen wir die Verstoßenen? Sieh dir mal an, was der Erste Offizier von Nafir über ihn geschrieben hat.«

Er schob ihr das Padd zu und sie fand schnell die Stelle über den Transportertechniker. Nach einigen Zeilen zeichneten sich auf ihrer Stirn ebenso tiefe Falten ab wie auf Rikers. Sie ließ das Padd mit einem lauten Klappern auf den Tisch fallen und sah ihren Partner an. »Zwei disziplinarische Einträge in einem Jahr und alles, was denen dazu einfällt, ist, dass er Probleme hat, sich an die Vorschriften zu halten. Da steckt doch mehr dahinter.«

»Und wir bekommen ihn.«

»Ich würde gern sagen, dass sie ihn zu uns schicken, weil sie wissen, dass wir ihn wieder auf Spur bekommen. Und vor einem Jahr hätte das vielleicht sogar noch gestimmt.«

»Heute allerdings«, fuhr Riker angesäuert fort, »bekommen wir ihn, damit er Captain Chen’farth keine Kopfschmerzen mehr bereitet.«

»Wir können trotzdem daran arbeiten, dass er sich verbessert. Wir können immer noch gute Arbeit leisten«, sagte Troi mitfühlend.

»Natürlich können wir mit ihm arbeiten. Geordi und Chief T’Bonz werden so eine Haltung nicht dulden. Er macht es entweder auf unsere Art oder er wird in Zukunft auf gar keinem Raumschiff mehr dienen. Mir geht es darum, dass wir es uns nicht leisten können, die Deponie der Sternenflotte für alle Querulanten zu werden.«

»Das sind wir auch nicht«, beharrte Troi. »Die meisten werden auch weiterhin auf die Excalibur gehen.« Sie erhob sich, um sich eine neue Tasse Tee aus dem Replikator zu holen. Nach all den Jahren auf der Enterprise hatte sie Gefallen an einigen Geschmacksrichtungen gefunden. »Außerdem ist längst nicht jeder, der zu uns kommt, ein Störenfried. Einige haben auch ernsthafte Probleme. Die Auswirkungen des Dominion-Krieges waren schwerwiegender als zunächst angenommen, Will. Die Leute reißen sich nicht mehr darum, das Unbekannte zu erforschen oder sich an den Grenzen herumzutreiben. Einige Welten sind sogar äußerst fremdenfeindlich geworden.«

»Das passiert, wenn man sich einer bösartigen Armee aus Gestaltwandlern gegenübersieht«, bemerkte Riker. Dieser Gedanke schien ihn zu beunruhigen, aber nicht zu überraschen.

Troi kehrte auf ihren Platz zurück und versuchte, den dampfenden Tee durch Pusten abzukühlen.

»Personal, Ausrüstung … es mangelt einfach an allem.«

»Denkst du an jemand Bestimmtes, der dir Sorgen bereitet?«, fragte er und bemerkte die aufrichtige Neugierde in seiner Stimme.

»Es gibt ein Mitglied in Geordis Team, das einige Probleme zu haben scheint. Ich glaube, du kennst sie noch nicht. Anh Hoang, eine Plasmaspezialistin. Sie ist vor etwa zwei Monaten hierherversetzt worden, kurz bevor wir nach Dokaal aufgebrochen sind. Sie hat ihren Mann und ihre Tochter verloren, als die Breen San Francisco angegriffen haben.«

Er dachte an den Angriff vor etwa vier Jahren zurück und erinnerte sich, wie viele Leben er verändert hatte. Die Erde war schon früher von feindlichen Truppen angegriffen worden, zum ersten Mal durch die Borg im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert. Diesen Versuch hatte die Enterprise jedoch abwehren können. Hoangs Geschichte klang auf tragische Weise wie die Millionen anderer. Dennoch spürte er sofort Mitgefühl für die Frau in sich aufsteigen.

»Was ist denn mit ihr?«, fragte er sanft.

»Wir haben uns nur einmal getroffen«, erwiderte Troi. »Mein Eindruck ist, dass sie diesen Posten angenommen hat, um vor den Erinnerungen zu fliehen. Sie leistet gute Arbeit, zumindest soweit ich das beurteilen kann, knüpft aber offenbar keinerlei Kontakte zur Mannschaft.«

»Und das bereitet dir Sorgen.«

»Ja. Ich habe vor, ein wenig Zeit mit ihr zu verbringen, solange wir nichts anderes zu tun haben.« Sie bedauerte ihre Wortwahl umgehend. Riker konnte es an dem Ausdruck ablesen, der über ihr Gesicht huschte. Er wäre nicht so ein erfolgreicher Kartenspieler, wenn er nicht in der Lage wäre, andere zu lesen. Dennoch zuckte er bei dem Gedanken zusammen, dass er in einem technologischen Wunderwerk unterwegs und doch hauptsächlich damit befasst war, Sternkarten auf den neuesten Stand zu bringen.

»Wir sind morgen hier fertig«, sagte er knapp.

Dann verließ er Trois Büro und beschleunigte seine Schritte, um sich dem regen Treiben des einsetzenden Schichtwechsels anzupassen. Der Erste Offizier war immer wieder beeindruckt davon, wie beschäftigt alle auf der Enterprise waren, selbst wenn sie gar keine bedeutende Mission zu erfüllen hatten. Das Raumschiff wirkte wie eine kleine Stadt voller unterschiedlicher Einwohner. Sie verfolgten ihr eigenes Leben und ihre Karriere, dienten dabei aber immer ihrem Captain. Sie waren stets höchst professionell. Und obwohl alle verärgert über die politischen Spielchen hinter den Kulissen waren, zogen sie auf diesem Schiff an einem Strang.

Zumindest meistens, dachte er, als er sich daran erinnerte, dass er gerade den Abgang von zwei Einwohnern seiner kleinen Stadt genehmigt hatte. Ob es ihm gelingen würde, Nummer drei zum Bleiben zu bewegen, konnte er nicht sagen.

Geordi La Forge hatte gerade die Codes einer Materialanfrage gescannt, warf noch einen Blick auf die Daten und schickte seine Antwort dann ab. Angesichts der Größe des Universums war es beruhigend, dass die Materiallager und Sternenbasen alle auf das gleiche System zurückgriffen, in dem jedes Teil eine zugewiesene Nummer besaß. Im Normalfall konnte man sich darauf verlassen, dass die Teile von einem Runabout während seiner Patrouille geliefert wurden, da diese aktuell nicht anderweitig benötigt wurden. Zumindest noch nicht.

Er sah dabei zu, wie neues Personal eintraf und Aufgaben übertragen wurden. Sein Team funktionierte ebenso reibungslos wie der unter seinen Füßen wummernde Antrieb. La Forge erfüllte das mit Stolz. Als er den Maschinenraum vor über einem Jahrzehnt übernommen hatte, war es ihm ein Anliegen gewesen, dass seine Leute sowohl in einer Krise als auch im Alltag in der Lage waren, gewisse Arbeiten selbstständig zu erledigen. Als Sohn eines Captains lernte man da so einige Tricks. Daher wusste sein Team, wann immer die Enterprise oder ihre Vorgängerin auf Ärger stießen, genau, was zu tun war, und geriet nicht in Panik. Nach dem Absturz der Enterprise-D auf Veridian III war er sogar gebeten worden, an einem Symposium zum Thema Krisenmanagement teilzunehmen. Er hatte erwartet, dort auf viele andere Ingenieure zu treffen, war dann jedoch von den vielen Captains und Ersten Offizieren im Publikum überrascht gewesen.

Die Enterprise-E war mittlerweile schon seit sieben Jahren im Einsatz und hatte währenddessen einige Gefechte bestehen müssen. Es überraschte La Forge daher nicht, dass verschiedene wichtige Systeme vor ihrer Zeit verschlissen waren und früher als erwartet ersetzt werden mussten. Als Flaggschiff der Sternenflotte legte die Enterprise weitere Strecken zurück und musste mehr aushalten als der Durchschnitt. Ihre Missionen waren wichtiger und gefährlicher … zumindest bis vor Kurzem.

Die letzten Monate lasteten schwer auf den erfahrenen Offizieren. Sie waren es gewohnt, von Einsatz zu Einsatz zu eilen und dank Kaffee und Adrenalin durch den Tag zu kommen, anstatt auf ausgewogene Nahrung setzen zu können. Die stupide Routine bedrückte sogar die jüngeren Mannschaftsmitglieder. Sie kamen direkt von der Akademie und kannten die Geschichten über Heldentaten und Abenteuer, kamen auf der Enterprise an und … flogen Patrouille. La Forge reiste schon lange genug durch den Weltraum, um zu verstehen, warum die Situation war, wie sie war. Allerdings konnte niemand von ihm oder anderen erwarten, dass es ihnen gefiel.

»Hier sind die Lagerberichte, die Sie angefordert haben«, hörte er Tauriks Stimme. Der Vulkanier diente bereits seit fast einem Jahrzehnt in der Sternenflotte und hatte es mittlerweile zum Lieutenant gebracht. Er hatte schon früher kurz auf der Enterprise gedient und Geordi begrüßte es sehr, ihn wieder an Bord zu haben. Seine größte Stärke war die Antriebstheorie und er schien immer in der Lage zu sein, weitere Energie von den Impulstriebwerken abzuzweigen.

La Forge griff nach dem Padd und runzelte angesichts der niedrigen Bestände die Stirn. Er hatte bereits befürchtet, dass sich ein Problem anbahnte, und diese Zahlen bestätigten es. Er nickte seinem Stellvertreter zu und kehrte zu seiner Station zurück. Diesmal würde er den Verantwortlichen direkt anrufen, statt weiterhin Anfragen zu verschicken.

Auf der Brücke sah Jean-Luc Picard dem Kommen und Gehen seiner Offiziere zu. Er saß in seinem Kommandosessel und musste sich davon abhalten herumzuzappeln. Üblicherweise bewegte er sich frei auf der Brücke. In letzter Zeit zwang er sich jedoch meist dazu, länger in seinem Sessel zu bleiben, um seiner Mannschaft zu signalisieren, dass er nicht vom Treiben des Sternenflottenkommandos eingeschüchtert war, egal was es mit ihm und seiner Besatzung veranstaltete. Alle, die auf der Brücke etwas zu tun hatten, erblickten ihn sofort und er versuchte, seinen Frust nicht offen zu zeigen.

Er war jedoch frustriert und verabscheute dieses nagende Gefühl. Das Sternenflottenkommando hatte offen zugegeben, dass man die Enterprise nicht auf wichtige Missionen schicken würde, bis die Spannungen in der Föderation abgebaut und die Erinnerung an den Zwischenfall mit den Ontailianern in den Hintergrund gerückt waren. Niemals zuvor in seiner langen Karriere hatte die öffentliche Wahrnehmung seine Arbeit so stark beeinflusst. In der Phase des Wiederaufbaus nach dem Dominion-Krieg achtete das Kommando jedoch darauf, dass die Unterstützung auf einer breiten Basis stand und die Föderation geeint blieb.

Genau diese Unterstützung fehlte dadurch jedoch ihm und der Enterprise. Picard war sich als Geschichtskenner im Klaren darüber, wie schnell aus einer begeisterten Menge ein tobender Mob werden konnte. Doch bevor das geschehen würde, hatte das Sternenflottenkommando die Enterprise auf die Ersatzbank verbannt und ließ sie Aufgaben übernehmen, für die normalerweise kleinere und weniger prestigeträchtige Schiffe zuständig waren. Er fürchtete, dass man sie als Nächstes als Eskorte für ein Schiff des Ingenieurkorps auswählen würde.

Picard umfasste die Armlehnen seines Sessels etwas fester und spielte den Zwischenfall mit dem Dämonenschiff ein weiteres Mal durch. Dabei überdachte er erneut jede seiner Entscheidungen und versuchte, sich vorzustellen, was passiert wäre, wenn er anders gehandelt hätte. Wie jedes Mal waren die Ergebnisse verheerend, sogar noch verheerender als in der Realität. Zumindest hatte er seine Besatzung beschützt und dafür gesorgt, dass kein neuer Krieg ausgebrochen war. Dennoch hatten sie einen Preis gezahlt, der weit über die Schrammen auf Picards Ego hinausging.

Data hatte seinen Emotionschip dem Sternenflottenkommando überlassen müssen.

Nachdem sein Androidenfreund den Chip vor einigen Jahren zum ersten Mal aktiviert hatte, war Picard Zeuge davon geworden, wie er zunächst mit den vielfältigen Emotionen gekämpft hatte, die sein positronisches Gehirn durchfluteten. Schließlich hatte er jedoch gelernt, sie zu beherrschen. Dadurch blieben ihm die engen Beziehungen zwischen den Offizieren des Schiffs nicht länger verschlossen. Er konnte in vollem Umfang die Zuneigung seiner Freunde erwidern, die zu einer Familie geworden waren.

Dann war der Chip entfernt worden und Data musste erneut mit einer Existenz ohne Emotionen klarkommen. Picard fragte sich, wie er mit dieser Anpassung zurechtkam. Er beschloss, den Androiden in den nächsten Tagen auf ein offenes Gespräch in sein Quartier einzuladen. Dadurch würde Data zumindest erkennen, dass sein Captain sich um sein Wohlergehen sorgte und dass er sich auf seine Hilfe verlassen konnte. Denn auch wenn emotionale Unterstützung für Data ihre Bedeutung verloren haben mochte, war es Picard wichtig, sie anzubieten.

Während der wochenlangen Reise zur Kolonie der Dokaalaner hatte er die erste Anpassungsphase Datas an diese Situation verfolgt. Ihnen war es gelungen, Datas Herz zu erreichen. Picard selbst war ebenfalls beeindruckt davon gewesen, wie diese Kolonie zwischen den Asteroiden entstanden war, nachdem ihr Planet zerstört worden war. Was als unwichtiger Auftrag begonnen hatte, war zu einer Gelegenheit geworden, Gutes zu tun, und hatte Picard Hoffnung gemacht, dass ein Erfolg bei der Unterstützung der Dokaalaner das Exil der Enterprise würde beenden können …

Diese Hoffnung war durch die folgenden Missionen zerschmettert worden, die allesamt kurz und wenig erinnerungswürdig verlaufen waren. Seine Logbucheinträge waren knapp und spiegelten seine Stimmung wider. Obwohl er sich auch nicht wünschte, gerufen zu werden, um die Föderation gegen irgendeine galaktische Bedrohung zu verteidigen, wäre es ihm doch lieber, wenn die Herausforderung seinem Schiff und seiner Besatzung angemessen wäre. Den Captain dürstete es danach, zu forschen. Das würde jedoch warten müssen, bis die Flotte wieder aufgebaut war. Ihm wurde zudem bewusst, dass ihm selbst das Gefühl fehlte, etwas zu bewirken. Es war ihm immer wichtig gewesen, dass die Mehrzahl ihrer Aufträge relevant war. Deswegen hatte er auch die Befehle von Admiral Dougherty ignoriert und war in den Briar Patch geflogen, eine Region, in die man Data geschickt hatte und in der er beschädigt worden war. Diese Entscheidung hatte sich als richtig herausgestellt. Immerhin konnten sie damals verhindern, dass die Son’a ihre Heimatwelt aus fehlgeleiteten Rachegelüsten aufgaben.

Diesmal jedoch …

Picards düstere Gedanken wurden von einem Zirpen aus seiner rechten Armlehne vertrieben. Ein blinkendes Licht zeigte eine Nachricht vom Sternenflottenkommando an. Als Christine Vale verkündete, dass eine Nachricht hereinkam, war Picard längst aufgestanden.

Er überquerte die Brücke und ging in seinen Bereitschaftsraum. Mit jedem Schritt lief er etwas schneller.

Als er sich an seinen Schreibtisch gesetzt hatte, drehte er den Monitor und aktivierte ihn. Der blaue Hintergrund mit dem Logo der Vereinigten Föderation der Planeten wurde schnell durch das Gesicht von Admiral Upton ersetzt. Picard konnte sich an den ruppigen, immer kahler werdenden Mann kaum erinnern. Er rief sich die Organisationsstruktur ins Gedächtnis und erinnerte sich, dass Upton mit kulturellen Angelegenheiten befasst war.

»Picard«, sagte Upton statt einer Begrüßung.

»Admiral Upton, schön Sie zu sehen«, entgegnete Picard und ließ ein professionelles Lächeln folgen.

»Kennen Sie Delta Sigma IV?«

»Natürlich, Sir«, gab Picard zurück und ließ sich von den fehlenden Höflichkeiten nicht verunsichern. »Er ist nur wenige Parsec von unserer aktuellen Position entfernt. Wenn ich mich recht erinnere, begehen sie ihre Hundertjahrfeier als erfolgreiche Koloniewelt.« Das war allerdings auch alles, woran er sich erinnerte. Es war in einem Bericht erwähnt worden, den er in der ganzen Freizeit zwischen ihren letzten Missionen gelesen hatte.

»Es hat dort den ersten Mordfall seit einem Jahrzehnt gegeben. Und das ist unsere Schuld«, sagte Upton mit grimmiger Miene. Seine buschigen angegrauten Augenbrauen sahen über seinen blauen Augen wie Wolken in einem Sturm aus.

Picard zog die Stirn kraus, als der Admiral ihre Mission näher erläuterte. Sie war wichtig, aber auch auf persönliche Weise herausfordernd. Das galt zumindest für ein Mitglied seiner Besatzung.

»Ihnen ist bewusst, in was für eine Situation das Commander Riker bringt«, warf Picard ein, als er zwischendurch einmal zu Wort kam.

»Ich mache mir keine Sorgen um Riker. Seine Situation wurde berücksichtigt«, war alles, was Upton dazu sagte.

Picard spürte, dass er auf dieser Angelegenheit nicht weiter herumreiten sollte, und wechselte das Thema. »Das ist auf jeden Fall eine relevantere Mission als die letzten«, bemerkte er. »Heißt das, Sie lassen uns von der kurzen Leine?«

Upton hielt kurz inne, bevor er antwortete. »Genau genommen ist das eine ziemlich lausige Mission. Wir werden dabei schlecht aussehen, egal wie es ausgeht. In Ihrer Hand liegt nur, wie schlecht wir dabei aussehen.«

»Also gut, Admiral«, antwortete Picard so neutral wie möglich. »Wir machen uns sofort auf den Weg.«

»Sternenflotte Ende«, war das Einzige, was er noch hörte, bevor der Bildschirm wieder in den Stand-by-Modus schaltete. Picard lehnte sich zurück und ließ die Worte des Admirals kurz wirken. Dann griff er nach einem Padd, gab ein paar Befehle ein und stand auf.

Auf dem Weg zum Replikator, der ihm eine Tasse Earl Grey zaubern sollte, betätigte er seinen Kommunikator. »Picard an Data.«

Der Androide antwortete umgehend.

»Mr. Data, ich habe Ihnen gerade alles über unsere neue Mission geschickt. Bitte bereiten Sie eine Präsentation für die Führungsoffiziere vor. Wir treffen uns in dreißig Minuten.«

»Verstanden, Sir.«

Danach betätigte der Captain seinen Kommunikator erneut und rief Riker in seinen Bereitschaftsraum. Er freute sich nicht gerade auf diese Unterhaltung, wollte sie aber unter vier Augen führen, bevor die restlichen Offiziere von der Mission erfuhren. Er nahm neben seiner geliebten Shakespeare-Büste Platz, nippte an seinem heißen Tee und versuchte, herauszufinden, wie lange es her war, dass er das letzte Mal eine neue Mission herbeigesehnt hatte. In jedem Fall weniger als dreißig Minuten. Diese neue Wendung der Ereignisse erinnerte ihn daran, dass man immer vorsichtig sein sollte, was man sich wünschte.

Upton verließ sein Büro und fuhr mit dem Turbolift auf das Deck, auf dem sich ein privates Zimmer befand, zu dem nur die Admirals Zugang hatten. Der Raum war mit antiken Möbeln aus der ganzen Welt eingerichtet. Man konnte die Politur des schimmernden Holzes und Messings riechen und der flauschige Teppich, den man sonst nirgendwo im Hauptquartier der Sternenflotte finden konnte, schien die Stimmen der Anwesenden zu dämpfen. Es war ein Zufluchtsort vor den Mitarbeitern, Kadetten und sogar Captains, die sich Lichtjahre entfernt befanden.

Der Raum bot nur etwa zwei Dutzend Personen Platz. Zumeist war aber nur maximal die Hälfte anwesend. Dennoch handelte es sich um eine beliebte Zuflucht. Während der größten Krisen konnten die Admirals hier ihre Gedanken ordnen oder sich kurz ausruhen, wenn es die Zeit erlaubte. Diese Tradition war bereits vor über einhundert Jahren entstanden, als das Gebäude nach dem Angriff einer außerirdischen Sonde, die fast den Planeten zerstört hätte, saniert werden musste.

Er betrat das Refugium und bewegte sich traumwandlerisch an drei Kollegen vorbei, die in einer Art Kreis saßen. Sein Ziel war ein kleines Regal, aus dem er eine Flasche mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit nahm und sich einen großen Schluck in ein Kristallglas einschenkte. Dann schwenkte er es vorsichtig. Wie sein Vater immer gesagt hatte, gab es nichts, was es mit traditionellem Scotch aufnehmen konnte.

Er nahm einen kleinen Schluck, hielt die Flüssigkeit ganze zehn Sekunden in seinem Mund und schluckte sie dann hinunter. Nach der Beendigung dieses Rituals drehte er sich zu den anderen um. Sie sprachen über ein neues Gesetz, das gerade vom Föderationsrat verabschiedet worden war. Upton ließ sich in einen bequemen Ohrensessel sinken und nippte still vor sich hin. Die anderen – die Admirals Janeway, Nechayev und Stek – diskutierten munter weiter. Für Upton hatten sie immerhin genug Aufmerksamkeit für ein kurzes Nicken übrig.

Doch dann richtete Stek, ein erfahrener Vulkanier, der für technologische Entwicklungen verantwortlich war, das Wort an Upton. »Wie wurde die Mission aufgenommen?«

»Picard ist erfahren genug, um sich nicht zu beschweren.«

»Es ist ein wirklich mieser Auftrag. Ich würde ihn nicht wollen«, räumte Janeway ein.

Upton lächelte sie eisig an. »Im Moment verdient er es nicht besser.«

»Wenn er sich nicht beklagt hat, was hat er denn gesagt?«, fragte Nechayev, die zwar die kleinste der vier war, aber vermutlich über die größte Persönlichkeit verfügte.

»Was denken Sie denn? Er hat natürlich von Riker angefangen.«

»Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht folgen«, gestand Janeway, die erst kürzlich befördert worden war, nachdem sie die U.S.S. Voyager nach sieben Jahren im Delta-Quadranten wohlbehalten nach Hause gebracht hatte. Daher war sie auch die mit Abstand jüngste dieser Runde.

»Da Kyle Riker vermisst wird, brauchen wir Antworten. Und Will Riker ist nun mal sein Sohn.«

Janeways überraschter Blick amüsierte den Admiral. Er nahm einen weiteren kleinen Schluck seines Scotchs und genoss dessen Reise bis in seinen Magen.

»Kennen Sie Riker?«

»Ehrlich gesagt, Alynna, hatten wir ein Date während unserer Akademiezeit«, gab Janeway zu und rutschte ein wenig unruhig in ihrem Sessel herum. »Mehr aber auch nicht. Wir sind danach nicht in Kontakt geblieben.«

»Tja«, meldete sich Nechayev zu Wort, »die beiden haben sich auch nicht mehr viel zu sagen. Sie haben in den letzten Jahren kaum miteinander gesprochen, soweit ich weiß.«

»Allerdings hat Will seinem Vater vor einigen Jahren mal geholfen«, ergänzte Janeway. »Damals wurde dieser irgendeines Verbrechens bezichtigt.«

»Diese Zusammenführung war kurz und hatte, wie es scheint, keinerlei positive Auswirkungen auf ihre Beziehung«, stellte der Vulkanier nüchtern fest. »Wenn wir die persönlichen Konflikte jedoch beiseitelassen, hat Riker sich mehr als einmal als fähiger Mann bewiesen. Mir ist nicht ganz klar, warum er nie ein eigenes Kommando angenommen hat.«

»Er fühlte sich nie bereit oder wollte einfach nicht auf das Prestige der Enterprise verzichten«, vermutete Nechayev.

»Und jetzt hält Picard ihn zurück. Vielleicht sollten wir ihn zwingen«, sagte Upton. Er ignorierte Nechayevs Blick und bewunderte stattdessen lieber die Reflexionen auf seinem Kristallglas.

»Wenn Sie so darüber denken, Jack, sollte die Enterprise dann wirklich diese Mission übernehmen?«

»Kathryn, mir ist klar, dass Sie in dieser Sache für Picard eintreten«, entgegnete Upton, »aber vertrauen Sie mir. Jeder Offizier, der wie er durch die Hölle gegangen ist, sollte unter Beobachtung stehen. Ich will dabei nicht vergessen, dass er uns immer wieder bei verschiedenen diplomatischen Katastrophen den Arsch gerettet hat. Trotzdem soll er wissen, dass wir ihn beobachten, damit er sich nicht noch mal in irgendeine Zwickmühle manövriert.«

Upton musste sich angesichts der Blicke seiner Mitstreiter zusammennehmen, nicht die Augen zu verdrehen. War er wirklich der Einzige, der die Wahrheit erkannte?

»Alle Kommandooffiziere werden ständig beurteilt«, sagte Stek. »Wenn jemand nicht die nötige Leistung erbringt, wird er versetzt.«

Et tu, Stek?, dachte Upton verächtlich. »Meine Güte, dieser Mann ist leichtsinnig. Erst hat er die Stargazer verloren und dann die Enterprise abstürzen lassen.«

»Eigentlich«, unterbrach ihn Nechayev, »hat die Föderation für ihn immer oberste Priorität. Es mag ja sein, dass wir nicht immer mit seinem Vorgehen einverstanden sind – ich kann das von mir mit Bestimmtheit sagen –, aber letztlich haben er und seine Mannschaft immer nach unseren gemeinsamen Idealen gehandelt. Und das sogar gewissenhafter als die meisten.«

»So gut Picard in der Vergangenheit auch gewesen sein mag«, grummelte Upton unzufrieden, »müssen wir uns jetzt damit auseinandersetzen, dass er einen Unsicherheitsfaktor darstellt. Mitgliedswelten haben ihre Besorgnis mitgeteilt und das beschneidet unseren Handlungsspielraum. Beim ersten Anzeichen von Ärger müssen wir rigoros handeln. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass Braddock eine Schwadron bereit macht. Man kann ja nie wissen.«

»Kennt er denn alle Fakten?«, hakte Janeway nach.

»Lassen wir die Fakten doch für sich sprechen«, antwortete Upton.

»Dennoch lassen Sie ihn die Enterprise behalten«, sagte Janeway und senkte dabei die Stimme. »Sie haben seine Führungsriege intakt gelassen und geben ihm nun diesen diplomatischen Auftrag. Wenn der Rat so besorgt ist, warum tun Sie das dann? Insbesondere wenn es auch noch um Kyle Riker geht?«

»Haben Sie den alten Riker mal getroffen?«

»Nur kurz, als ich ein Ensign war«, gab sie zurück.

»Stur und dickköpfig«, sagte Upton. »Ein tugendhafter Mann wie Picard sollte in der Lage sein, ihn zu bändigen. Außerdem können wir dann sehen, ob er in den letzten Monaten etwas dazugelernt hat.« Er ignorierte bewusst Janeways Stirnrunzeln.

Picard und Riker betraten den Besprechungsraum direkt neben der Brücke. Alle anderen Führungsoffiziere befanden sich bereits auf ihren Plätzen. Wie üblich saß Troi links vom Captain. Daneben folgte Geordi. Ihm gegenüber saß Sicherheitschefin Christine Vale. Neben ihr hatte sich Dr. Beverly Crusher niedergelassen, die ihre Hände in den großen Taschen ihres blauen Laborkittels vergrub. Data stand am Bildschirm bereit. Picard nickte allen kurz zu und nahm dann seinen angestammten Platz ein.

Data aktivierte umgehend den Sichtschirm, auf dem sofort eine farbenfrohe Sternkarte erschien. Der Sektor, in dem sich der Planet Delta Sigma IV befand, war hervorgehoben. Data zoomte, um den Planeten näher heranzuholen.

»Delta Sigma IV wurde vor etwa einhundertdreißig Jahren von den Bader entdeckt. Sie kennen sich gut mit dem Kolonisieren von Welten aus und übernehmen diese Aufgabe sogar für andere Spezies. Es war daher nicht verwunderlich, dass sie nach den Ergebnissen ihrer ersten Erkundungsmission entschieden, auch diese Welt zu kolonialisieren.

Kurz nach der Ankunft der Bader traf auch eine Forschungsgruppe der Dorset ein. Die Feindseligkeiten zwischen den Bader und den Dorset reichten damals bereits drei Jahrhunderte zurück, nachdem beide die Raumfahrt für sich entdeckt hatten. Sie stritten über Asteroidengürtel, Monde, Planeten und sogar über einen außer Kontrolle geratenen Satelliten, der einmal ihre beiden Sonnensysteme durchflog. Ihre Auseinandersetzungen führten zwar nie zu einem Krieg, die gegenseitige Ablehnung sorgte aber immer wieder für Konflikte zwischen den beiden Welten. Dennoch entschieden sich die Anführer der beiden Kolonialisierungsteams zur Kooperation und bauten die Kolonie gemeinsam auf. Dabei handelte es sich um einen beispiellosen Vorgang, der vielleicht dafür sorgen sollte, die beiden Regierungen zu beeinflussen. Wenn dem so gewesen sein sollte, war es jedoch ein Fehlschlag. Die Feindseligkeiten zwischen den Heimatwelten existieren bis heute.«

»Wenn ich mich recht erinnere«, sagte Crusher, »sind die Bader allerdings jedem gegenüber ziemlich feindselig.«

»Das stimmt, Doktor«, bestätigte Data mit einer ruckartigen Kopfbewegung. »Sie haben sich mehrere Welten der Föderation und sogar souveräne Regierungen zum Feind gemacht.«

»Was ist aus der Zusammenarbeit auf dem Planeten geworden?«, wollte La Forge wissen.

»Die verlief überraschend erfolgreich. Entgegen allen Erwartungen wurde die gemeinsame Kolonie zu einem Erfolg. Zunächst gab es wohl noch Konflikte, diese wichen aber schnell einer gesellschaftlichen und politischen Harmonie. Soziologen bezeichnen es als perfektes Beispiel für eine Kooperation zwischen verschiedenen Spezies.«

»Wie konnten sie das erreichen?«, erkundigte sich Riker.

Troi lächelte wissend. »Moment, darüber habe ich vor einigen Jahren etwas gelesen. Es gibt wohl viele gegensätzliche Theorien unter den Soziologen. Die verbreitetste Hypothese stützt sich auf das vereinende Element einer solchen Kolonialisierung. Die Bewohner von Delta Sigma IV selbst führen ihren Erfolg heute auf die Weisheit ihrer damaligen Anführer zurück. Sie sagen, dass ihre Ältesten eine Gesellschaft erschaffen haben, die auf gegenseitiger Hilfestellung basiert. Eine Welt, die auf Frieden fußt und somit den Gegenentwurf zu ihren Heimatwelten bildet.«

»Das stimmt«, bestätigte Data. Er wartete kurz, ob noch jemand etwas ergänzen wollte, und fuhr dann fort: »Nachdem ihre Kooperation etabliert war, erklärten sie sich für unabhängig von den Heimatwelten der Bader und der Dorset und wurden in die Föderation aufgenommen. Diese Unabhängigkeit sorgte auch dafür, dass sie nicht in die Konflikte ihrer Spezies hineingezogen wurden.«

Picard nickte und bedeutete Data, seinen Platz einzunehmen. »Danke, Mr. Data. Vor einiger Zeit wurde ein Team der Föderation auf den Planeten gebracht, um die Gesellschaft zu studieren. Man wollte wissen, ob es dort etwas zu lernen gab, das man andernorts in der Föderation würde anwenden können. Diese Mission stand unter der Führung von Kyle Riker, den die meisten von Ihnen bereits kennengelernt haben.« Während Picard innehielt, richteten sich alle Augen auf Riker, dessen Blick auf einen Punkt auf dem Bildschirm fixiert zu sein schien.

»Als Repräsentant der Föderation arbeitete er mit Medizinern, Lehrern und anthropologischen Forschungsteams aus der Kolonie zusammen. Dabei stieß er auf etwas Besorgniserregendes.«

»Ihre Lebenserwartung war gesunken«, sagte Crusher und schnippte mit den Fingern. »Ich habe den Bericht gelesen. Die Forscher konnten nur auf die Daten weniger Generationen zurückgreifen. Dabei zeichnete sich allerdings ein stetiger, erkennbarer Trend ab. Ohne externe Hilfe würden die Kolonisten irgendwann nicht einmal mehr die Pubertät erreichen, geschweige denn sich fortpflanzen oder den Planeten verwalten können.«

»Erfreulicherweise konnte die Föderation ihnen helfen«, ergänzte Picard und lächelte Crusher zu. »Kyle Riker hat die medizinische Abteilung der Sternenflotte und die Föderation darüber informiert, dass man ein Gegenmittel entwickeln konnte, das für einige Zeit an fünf Freiwilligen aus der Kolonie getestet wurde. Nachdem alles verheißungsvoll aussah, brachte man die Freiwilligen für eine letzte Quarantäne zurück nach Delta Sigma IV. Riker ist kürzlich auf den Planeten zurückgekehrt, um die Föderation bei der Hundertjahrfeier zu repräsentieren. Im Rahmen dieser Festlichkeiten sollte auch die Quarantäne enden. Dann hat jedoch einer der Freiwilligen einen anderen ermordet und konnte fliehen. Die Überwachungsprotokolle zeigen, dass Riker ihn aus dem Gebäude verfolgt hat. Seitdem wurde er nicht mehr gesehen.«

Jeder im Raum zeigte eine erkennbare Reaktion auf diese Information. Außer Riker, der offenbar durch eine Statue ersetzt worden war.

»Die Dorset haben bei der Föderation Beschwerde eingereicht, weil sie glauben, dass Riker und die Föderation hinter dem Mord stecken. Wir sollen hinfliegen, Riker aufspüren und herausfinden, was dort wirklich vor sich geht.«

»Captain«, sagte Troi leise, als wollte sie besondere Rücksicht auf die Gefühle des Ersten Offiziers nehmen. »Gibt es irgendwelche Indizien dafür, dass die Föderation den Freiwilligen geschadet hat? Vielleicht ohne es zu wissen?«

»Darüber wissen wir nichts. Den anderen drei Testsubjekten geht es den Berichten des Föderationsbotschafters zufolge gut.«

»Hat irgendjemand eine Idee, wo Kyle sich aufhalten könnte?«

»Nein, Counselor«, antwortete Picard. »Man nimmt an, dass er sich noch auf dem Planeten befindet. Das war es jedoch schon.«

»Könnte Riker den Mörder verfolgen?«, fragte Christine Vale. »Hat er die Sache in die Hand genommen, weil die örtlichen Behörden nichts unternommen haben?«

Picard brauchte einen Moment, um über die Frage nachzudenken und sie mit dem abzugleichen, was er über den Mann wusste. »Kyle Riker ist ein brillanter Taktiker und Ratgeber für die Föderation. Aber er ist nicht dafür bekannt, sich in interne Angelegenheiten einzumischen. Stattdessen würde er ihnen wohl eher beratend zur Seite stehen.«

»Dem stimme ich zu«, ergänzte Troi.

»Haben sich die Bader auch beschwert?«, wollte La Forge wissen.

»Bisher nicht. Während wir unterwegs sind, möchte ich, dass Sie, Counselor, sich mit dem Planeten und seinen Einwohnern beschäftigen. Dr. Crusher, Sie kümmern sich bitte um alle medizinischen Informationen. Lieutenant Vale, ich möchte, dass all Ihre Mitarbeiter in den Gesetzen des Planeten unterwiesen werden. Wir werden Ihre Leute brauchen, um den Frieden zu wahren.«

»Nummer Eins, Sie beamen hinunter und beginnen die Suche nach Ihrem Vater. Counselor Troi, bitte begleiten Sie mich zu meinem Treffen mit den Anführern des Planeten. Alles Weitere planen wir, sobald wir vor Ort sind. Mr. Data, Sie übernehmen die Brücke. Setzen Sie den Kurs und bringen Sie uns mit Warp fünf hin.«

Jeder am Tisch bestätigte die Befehle. Danach verließen alle aus Rücksicht auf Riker schweigend den Raum. Die ganze Zeit blieb dieser auf seinem Platz sitzen und wich allen Blicken aus. Picard tat es ihm gleich, bis außer ihnen niemand mehr anwesend war.

»Will, Sie können immer noch bitten, von diesem Auftrag befreit zu werden«, sagte er mitfühlend.

»Nein, Sir«, gab Riker mit tonloser Stimme zurück. Es fiel ihm offensichtlich schwer, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Die Beziehung zwischen ihm und seinem Vater war seit dem Tod seiner Mutter stets kompliziert gewesen. Kyle hatte den jungen Mann allein großziehen müssen. Und auch wenn Riker sich gut entwickelt hatte, war jedem klar, dass das nicht zwingend sein Verdienst war.

»Also schön«, sagte der Captain. »Wir können die Aufgaben immer noch anders verteilen, wenn wir mehr wissen.«

»Ich bin einfach nicht so ein geborener Diplomat wie Sie, Sir.«

»Sie sind besser, als sie glauben, Nummer Eins. Immerhin waren es Ihre diplomatischen Fähigkeiten, die Ihnen das Angebot von der Aries eingebracht haben.«

Picard stand auf und ging zurück auf die Brücke. Sein Erster Offizier blieb allein im Besprechungsraum zurück. Er konnte die zunehmende Geschwindigkeit spüren und wusste, dass sie sich dem gewünschten Warpfaktor näherten. Die Brückenbesatzung verrichtete wie gewohnt ihren Dienst. Allerdings hatte sich der Klang ihrer Stimmen verändert. Es gab auch mehr Kommunikation zwischen den verschiedenen Bereichen des Schiffs. Das passierte jedes Mal, wenn eine neue Mission ihren Anfang nahm, und dieses Mal zauberte es dem Captain ein überfälliges Lächeln ins Gesicht.

Riker schlenderte durch die Korridore und beachtete all die grüßenden Kollegen gar nicht. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich Klatsch und Tratsch auf einem Schiff wie diesem verbreiteten, dürften mittlerweile selbst die niedersten Offiziere mitbekommen haben, dass sie unterwegs waren, um seinen Vater zu jagen. Er für seinen Teil hatte keine gesteigerte Lust, das Thema mit seinen Untergebenen zu erörtern. Mit einer Ausnahme.

Er erreichte die Schiffsbibliothek und spürte Trois Gegenwart schon, noch bevor er sie sah. Obwohl sie keine reine Telepathin war, verlieh ihr ihre halbmenschliche, halbbetazoide Herkunft empathische Fähigkeiten, die sie, neben anderen Qualitäten, zu einem perfekten Counselor machten. Diese führten auch dazu, dass jemand, der ihr so nah wie Riker stand, eine schwache Verbindung zu ihr besaß. Und obwohl sie nicht wie Betazoiden oder Vulkanier miteinander telepathisch kommunizieren konnten, genoss Riker diese Verbindung. Ihm gefiel das Gefühl, nicht allein zu sein.

Troi saß an ihrer bevorzugten Arbeitsstation und beschäftigte sich mit den Berichten über Delta Sigma IV. Riker konnte an ihren Kopfbewegungen ablesen, dass sie trotz all ihrer Konzentration bereits wusste, dass er sich im Raum befand. Dennoch sah sie weiter auf den Bildschirm vor sich.

»Irgendwas Interessantes?«, fragte er mit gesenkter Stimme. Die Bibliothekarin des Schiffs hielt sich an die alte Überzeugung, dass es in Bibliotheken ruhig sein sollte, um die Konzentration der Anwesenden nicht zu stören. Daher sprach Riker lieber so leise wie möglich, um sich nicht einen ihrer bösen Blicke einzuhandeln.

»Ich fange gerade erst an«, gab Troi zu. »Es gibt unzählige Informationen, die ich mir ansehen muss. Es handelt sich um das erste größere Verbrechen seit einem Jahrhundert.« Sie drehte sich in ihrem Sessel zu ihm um und sah ihn direkt an. Er konnte ihre Besorgnis seinetwegen spüren. Ein Teil von ihm wollte die Gefühle, die Kyles Beteiligung an dieser Sache auslösten, zulassen, ein anderer wollte das nicht.

»Ich habe ihn vollkommen aus den Augen verloren«, sagte Riker und setzte sich neben sie. Er ließ das Terminal ausgeschaltet und trommelte mit seinen Fingern auf den Rand des Tischs. »Ich kann mich nicht mal an das letzte Gespräch mit ihm erinnern. Vielleicht war es, nachdem Thomas aufgetaucht war.« Vor einigen Jahren hatte ein verrückter Transporterunfall ein Duplikat von Riker erschaffen. Dieser neue Riker hatte seinen zweiten Vornamen Thomas angenommen, damit man sie besser auseinanderhalten konnte. Er hatte sogar versucht, Troi für sich zu gewinnen, das Schiff dann aber verlassen. Später schloss er sich dem Maquis an und landete in einem cardassianischen Gefängnis. Auch von Thomas hatte Will nichts mehr gehört.

»Ihn schien die Sache mit Thomas zu nerven«, bemerkte sie. Riker erinnerte sich an die Unterhaltung, in der er seinem Vater die Situation mit dem Duplikat erklärt hatte. Statt dieses neue Familienmitglied kennenlernen zu wollen, war Kyle mehr an dem köchelnden Konflikt mit den Cardassianern interessiert gewesen. Riker hatte sich immer gefragt, ob Kyle nach dem Scheitern bei der Erziehung des einen Sohns vielleicht einfach keinen zweiten enttäuschen wollte. Oder vielleicht war es ihm auch einfach nur egal.

»Kommst du mit diesem Auftrag klar?«

»Ich bin dafür genauso gut geeignet wie jeder andere«, entgegnete er.

»Eher besser. Du kennst ihn schließlich von uns allen am besten.«

»Nein, das tue ich nicht«, gab Riker zurück und erschrak über seinen verärgerten Tonfall.

Er schluckte die Gefühle hinunter und zwang sich, wieder leiser zu sprechen. »Ich kannte ihn früher. Jetzt nicht mehr. Erwarte also nicht zu viel von mir. Oder von ihm.«

»Will, willst du das wirklich hier besprechen?«

Mit einem Blick durch die Bibliothek erkannte er, dass sie allein waren. Sie konnten also offen sprechen. Aber wollte er sich wirklich auf eine tiefergehende Unterhaltung einlassen und all die Gefühle der Wut und des Verlassenwerdens erneut durchleben? Vor dreizehn Jahren, als sein Vater die alte Enterprise besucht hatte, war er das letzte Mal mit diesen Gefühlen konfrontiert worden. Ihm war bewusst, dass all das wieder hochkochen würde, sobald sie Kyle fanden. Also konnte es auch noch warten, entschied er.

»Nein, das will ich vermutlich nicht.« Damit ließ er die besorgt dreinblickende Troi in der Bibliothek sitzen.

Data betrat den Maschinenraum und ging schnurstracks zu La Forge, der über das großflächige Schiffsdiagramm gebeugt stand. Der Chefingenieur schien verschiedene Energieknoten zu studieren, daher wartete Data geduldig. Dann nahm La Forge die Gegenwart des Androiden wahr und sah ihn lächelnd an.

»Geordi, hast du einen Moment?«

»Natürlich, Data. Wie kann ich helfen?«