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Kurz nach der epischen Schlacht des Raumschiffs Enterprise gegen Shinzon nahmen viele langjährige Besatzungsmitglieder von Captain Jean-Luc Picard neue Posten und neue Herausforderungen an. Unter den vielen Veränderungen war auch William Rikers Beförderung zum Captain und sein neues Kommando, Rikers Hochzeit mit Counselor Deanna Troi und Dr. Beverly Crushers neue Karriere beim Medizinischen Korps der Sternenflotte. Doch die Geschichte, wie es dazu kam, wurde nie erzählt … BIS JETZT. Ein katastrophaler Krieg zwischen der Föderation und dem Klingonischen Reich wurde wie durch ein Wunder abgewendet. Doch tödliche Geheimnisse bedrohen noch immer das zerbrechliche Friedensabkommen. Rebellen, die dem Tezwa-Regime treu sind, haben Commander Riker gefangen genommen und sind bereit zu töten, um ihre Ziele zu erreichen … Auch das Orion-Syndikat scheint sich in der unruhigen Region einzumischen – und ist möglicherweise in noch viel größere Vorgänge verwickelt. Doch dann wird ein Skandal enthüllt, der so verheerend ist, dass er die Grundfesten der Föderation erschüttert.
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Seitenzahl: 423
Wir würden uns oft unserer edelsten Handlungen schämen,wenn die Welt deren Motive kennte.
– FRANÇOIS DE LA ROCHEFOUCAULD,REFLEXIONEN ODER MORALISCHE SENTENZEN UND MAXIMEN
01 TEZWA
02 DENEVA
ZWÖLF TAGE SPÄTER
03 U.S.S. ENTERPRISE-E
04 ERDE
05 TEZWA
06 U.S.S. ENTERPRISE-E
07 HANDELSSCHIFF CAEDERA
08 TEZWA
09 AN EINEM GEHEIMEN ORT
10 U.S.S. ENTERPRISE-E
11 HANDELSSCHIFF CAEDERA
12 TEZWA
13 ERDE UND MOND
14 U.S.S. ENTERPRISE-E
15 TEZWA
16 AN EINEM GEHEIMEN ORT
17 U.S.S. ENTERPRISE-E
18 FRACHTER VENEZIA
19 TEZWA
20 U.S.S. ENTERPRISE-E
21 ERDE
22 HANDELSSCHIFF CAEDERA
23 TEZWA
24 U.S.S. ENTERPRISE-E
25 TEZWA
26 U.S.S. ENTERPRISE-E
27 TEZWA
28 U.S.S. ENTERPRISE-E
29 TEZWA
30 ERDE
31 U.S.S. ENTERPRISE-E
DANKSAGUNG
Die Dämmerung senkte sich über die Stadt Alkam-Zar. Tiefrote Sonnenstrahlen brachen über den Horizont und überzogen die düsteren stahlgrauen Wolken mit ihrem feurigen Schein. Wie Klagerufe anmutende Windböen strichen zwischen den leeren Hüllen der alten wie modernen Gebäude hindurch – alle Opfer des Verfalls und der Zeit.
Sternenflottenensign Fiona McEwan stand am Rand eines von Trümmern übersäten Platzes nahe dem Zentrum der zerstörten Metropole. Wie in vielen anderen Städten auf Tezwa schwelten in Alkam-Zar auch mehr als zwei Wochen nach dem Einschlag eines klingonischen Torpedos noch immer Brände. Der Treffer hatte einen militärischen Raumhafen mehrere Dutzend Kilometer vom Stadtzentrum entfernt zerstört.
Die Leute haben vermutlich geglaubt, durch die Nähe zur Basis sicherer zu sein, dachte McEwan. Aber es hat sie nur zur Zielscheibe gemacht.
Hinter der zierlichen, rothaarigen jungen Offizierin koordinierte ein Team von Flüchtlingshelfern der Föderation die Verteilung von Lebensmitteln, sauberem Wasser und Medikamenten an die Tezwa, die durch den klingonischen Beschuss ihre Lebensgrundlage verloren hatten. Der Hilfstrupp bestand aus Zivilisten und Ärzten. McEwan gehörte dem sechsköpfigen Team an, das für ihren Schutz sorgen sollte. In ähnlich zerstörten Stadtgebieten auf dem ganzen Planeten waren andere Hilfsgruppen von tezwanischen Flüchtlingen nahezu überrannt worden, da ihre Not und Verzweiflung zu Kämpfen um Nahrungsmittel geführt hatten. Andere waren in Hinterhalte des Militärs geraten, das dem abgesetzten Premierminister Kinchawn weiterhin treu ergeben schien.
Heute jedoch blieb es in Alkam-Zar ruhig. Die meisten Einwohner standen noch unter Schock. Erwachsene und Kinder irrten wie ausgezehrte, bedrohliche Phantome durch die Straßen. Ihre Federkleider waren blass vor Staub und verfilzt durch Vernachlässigung, ihre Armfedern versengt, zerfetzt und blutverschmiert. Die schlurfenden Schritte auf dem zerbrochenen Glas und dem pulverisierten Gestein hallten von den Gebäuden wider. Geborstene Metallträger, an denen noch uralter Stein haftete, hatten den Boden aufgerissen und säumten die Haupt- und Seitenstraßen wie Monumente stiller Verzweiflung.
Bisher waren die Bemühungen der Föderation darauf konzentriert gewesen, den Überlebenden das Notwendigste zur Verfügung zu stellen – Nahrung, Wasser, Schutz und medizinische Grundversorgung. Vor zwei Tagen war dann das Ingenieurkorps eingetroffen, um sich der gewaltigen Aufgabe anzunehmen, den Wiederaufbau der zerstörten Städte zu koordinieren.
McEwan dagegen hatte es nicht eilig, die Straßen geräumt zu sehen. Sollten Kinchawns Getreue einen Angriff auf ihre Einheit wagen, wäre sie für jede Deckung dankbar.
Nur noch dreizehn Tage, ermutigte sie sich selbst. Dann darf ich wieder zurück aufs Schiff. Ihr zweiwöchiger Einsatz auf der Oberfläche des Planeten hatte gerade erst begonnen und schon sehnte sie sich zurück auf die Enterprise. Da sie an der Mission zur Neutralisierung von Tezwas bodengestützter Artillerie beteiligt gewesen war, hatte man es ihr glücklicherweise erspart, Teil der ersten, zermürbenden zweiwöchigen Rotation zu sein. Danilov hatte ihr erzählt, wie ihm der Gestank, die vielen Insekten und das Massensterben in den Großstädten Albträume beschert hatten. Seo hatte in einer gequälten Tonlosigkeit und ekelerregenden Details beunruhigend realistisch beschrieben, wie bei einem Guerillahinterhalt in Anara-Zel vier Sicherheitsoffiziere von der Republic getötet worden waren. Sowohl Danilov als auch Seo waren Veteranen, die an vorderster Front im Dominion-Krieg gekämpft hatten. Daher nahm McEwan ihre Warnungen sehr ernst.
Ein klagender Laut, gequält und doch wunderschön, durchbrach die drückende Stille. McEwan wandte sich seinem Ursprung zu und sah nach oben zum Dach eines zwanzigstöckigen Gebäudes, das wie ein ausgeweidetes Skelett über ihr aufragte. Ein einsamer tezwanischer Sänger stand wie ein Herrscher ganz oben auf dem Gebäude und breitete seine Arme aus, als wollte er den Himmel umarmen. Seine nasale und durchdringende Stimme hallte von den zertrümmerten, hohlen Bauwerken wider, die ins schwindende Licht des Tages gehüllt waren. Sein Kummer rührte McEwans Herz, das unter der schrecklichen Leere seiner opernhaften Klagelieder schmerzte.
Ohne ihren Blick von dem Sänger abzuwenden, griff sie nach dem Ärmel eines tezwanischen Jungen, der an ihr vorbeiging. Mit einer Hand hielt sie ihn fest, mit der anderen zeigte sie nach oben auf den Sänger. »Was singt er da?«
Der Junge folgte ihrer Geste mit benommenem, entrücktem Blick. Vollkommen ungerührt von dem Sänger antwortete er: »Es ist ein Trauerlied. Wir singen für die Toten.«
McEwan stand da und konnte ihren Blick nicht von dem Sänger abwenden. Seine Stimme klang majestätisch wie das Heulen eines Wolfes unter der schattenhaften grauen Wolkenkuppel und legte sich wie ein Bann der Trauer über sie. Der Junge versuchte, sich aus ihrem Griff zu winden, und sie ließ ihn gehen. »Für wen singt er das?«
Erneut sah der Junge hinauf. Dann wandte er sich von ihr ab und erwiderte erschreckend emotionslos: »Für die Welt.«
Sie blickte dem Jungen nach, der mit seinem Anteil an den täglichen Notfallrationen der Föderation unter dem Arm davonstapfte. Erneut ertönte die Stimme des Sängers und ließ McEwans Blick nach oben schweifen. Kurz erfüllte seine Melodie jede Ecke von Alkam-Zar. Dann versiegte sie wie ein Todeshauch. Ein schwacher, tragischer Ton erhob sich und entschwand in den Himmel. Es klang, als würde seine Seele entfliehen. Er lehnte sich nach vorn und stürzte kopfüber vom Gebäude.
McEwan blieb der Schrei im Hals stecken, als sie den Sturz des Sängers verfolgte. Weder schlug er um sich noch schrie er. Er fiel, als wäre es sein Schicksal. Mitfühlende Angst stieg in ihr auf, als der Körper des Sängers immer schneller wurde.
Dann schlug er mit einem dumpfen, lauten Schmatzen auf dem Boden auf.
McEwans entsetztes Keuchen ging in ein ersticktes Schluchzen über. Tränen liefen ihr übers Gesicht.
Um Fassung ringend drehte sie sich langsam in Richtung des großen Platzes. Hinter ihr standen andere Sternenflottenoffiziere, die die Szene ebenso schockiert verfolgt hatten. Eine Zivilistin aus dem Hilfstrupp schlug sich die Hand vor den Mund und begann zu weinen. Viele andere Flüchtlingshelfer wandten sich ab. Ein junger Arzt eilte mit einem chirurgischen Notfallset quer über den Platz. Dass seine Bemühungen vergebens sein würden, schien ihn nicht abzuhalten. Direkt hinter ihm folgte ein FNN-Reporter.
Allerdings hatte McEwan nur Augen für die Tezwa. Sie warteten auf ihre Nahrungspakete und Wasserrationen und schienen vom grausamen Ende des Sängers keine Notiz zu nehmen. Vielleicht war es ihnen auch egal. Mehr noch als sein Selbstmord ängstigte sie ihre gefühlskalte Gleichgültigkeit.
Sie wischte sich die Tränen von der Wange und zählte erneut die Tage, bis sie diese Welt verlassen dürfte und sie nie wieder sehen müsste.
Geordi La Forge zog sich die Kapuze seines Parkas tiefer ins Gesicht. Mit hochgezogenen Schultern versuchte er, sich vor dem kalten, sauren Regen zu schützen, der sich grau und kühl in dem fast kreisrunden Krater sammelte. Er lag wie ein dunkler Schlund vor ihm. Bis vor Kurzem hatte an dieser Stelle noch eins der gewaltigen Artilleriegeschütze der Tezwa gestanden. Die Pfütze aus rötlichem Schlamm am Boden der Grube wurde mit jeder Minute tiefer.
Die einst üppigen Hügel ringsum bestanden nur noch aus skelettierten Bäumen und verdorrten Pflanzen. Der Geruch der verrottenden Vegetation erfüllte die kalte, nach Ozon riechende Morgenluft. Für diese katastrophalen Umweltschäden war jedoch nicht die Implosion der Nadion-Impulskanone verantwortlich. Vielmehr waren sie das Ergebnis der gewaltigen Mengen Asche, Staub und anderer Gifte durch den klingonischen Vergeltungsangriff, der das Militär Tezwas und die wichtigsten Einrichtungen auf der Planetenoberfläche zerstört hatte.
Ein forensisches Ingenieursteam der Sternenflotte arbeitete geschäftig am Rand des Katers. Die Mitglieder scannten und untersuchten die Umgebung mit ihren Trikordern und einer Vielzahl anderer spezieller Gerätschaften. Ensign Emily Spitale und Lieutenant Mitchell Obrecht gehörten zu La Forges Stab auf der Enterprise. Die anderen neun Ingenieure stammten von den Raumschiffen Republic, Armagosa und Musashi. Ihre langen Gesichter und die verzweifelten Seufzer ließen La Forge zu dem Schluss kommen, dass ihre Suche ebenso erfolglos verlief wie die neunundzwanzig anderen in der vergangenen Woche.
Er teilte ihre Frustration. Vorläufige Erkenntnisse hatten darauf hingedeutet, dass die schlagkräftigen Waffen der Tezwa auf Sternenflottentechnologie basieren könnten. Unglücklicherweise hatte jedoch fast nichts den überstürzt durchgeführten Angriff der Sternenflottentrupps überstanden. Die sechs Abschussbasen und ihre Antimateriereaktoren sowie alle sechsunddreißig Waffen waren implodiert. Die zerstörten Einrichtungen hatten kaum mehr als glühende Krater hinterlassen, deren Umgebungstemperatur erst nach einer Woche so weit gesunken war, dass man sie untersuchen konnte.
Wie die Überreste der Artilleriesysteme selbst waren somit auch alle Beweise, auf die man während der Missionen gestoßen war, verloren oder unerreichbar.
Sicherheitschefin Christine Vale war im Rahmen ihrer Mission zur Unterwasserabschussbasis im Nokalana-Meer auf eine getarnte Blende aus Chimerium gestoßen. Dabei handelte es sich um ein seltenes Material, zu dem nur die Föderation Zugang hatte. Als die Unterwasserbasis jedoch implodiert und in der Kruste des Planeten versunken war, hatte sie die Chimerium-Blende mit sich gerissen, wodurch keine weitere Analyse möglich war.
Der stellvertretende Chefingenieur Taurik hatte enorme Weitsicht bewiesen, als er in der Abschussbasis im Wald von Linoka große Mengen verschlüsselter Daten aus dem militärischen Archiv der Einrichtung kopiert hatte. Gleich nachdem Captain Picard die Sicherstellung dieser Beweise gemeldet hatte, waren die Kopien der Daten von der Sternenflottensicherheit konfisziert worden, um eigene geheime Untersuchungen daran durchzuführen. Doch auch nach zwei Wochen gab es keine Rückmeldung, ob man etwas entdeckt hatte.
Der beste Beweis dafür, dass das Artilleriesystem seinen Ursprung in der Föderation hatte, stammte aus Datas positronischem Gedächtnis. Der amtierende Erste Offizier der Enterprise hatte sich direkt mit dem Computersystem der Abschussbasis von Solasook verbunden. Nach seinem als »labil« bezeichneten Verhalten während des Rashanar-Zwischenfalls hatte das Sternenflottenkommando jedoch große Bedenken geäußert, die Wahrnehmungen des Androiden als unumstößlichen Beweis zu akzeptieren.
Und so kniete La Forge nun also im Schlamm, in einer Hand einen Trikorder, in der anderen nicht den geringsten Beweis für irgendetwas.
Spitale deaktivierte ihren Trikorder und drehte sich zu ihrem Vorgesetzten um. Sie ließ die Schultern hängen und blickte geschlagen drein. »Hier ist nichts, Sir«, sagte die athletische Blondine.
»Vielleicht nicht an der Oberfläche«, antwortete La Forge und begutachtete die Szenerie mit seinen kybernetischen Augen. »Benutzen Sie ein intensives …«
»Ikospektrogramm und ein Dekyon-Resonanzmuster«, fiel sie ihm ins Wort und wiederholte damit seine Befehle, die er in der vergangenen Woche in Endlosschleife wiederholt hatte. »Verstanden, Sir.« Sie schaltete ihren Trikorder wieder ein, wandte sich von ihm ab und richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf den schlammigen Krater.
Diese Suche, die sie in eine Sackgasse nach der anderen führte, frustrierte La Forge ebenso wie seinen gesamten Stab. Wir haben alle unsere Pflicht zu erfüllen, ermahnte er sich selbst. Seine bestand darin, nach Beweisen dafür zu suchen, wie die Tezwa ihre Waffen hatten entwickeln können. Data ersetzte in der Zwischenzeit den abwesenden Will Riker und fungierte auf der Enterprise als Erster Offizier. Vale suchte Riker – und sollte ihn möglichst in einem Stück nach Hause bringen.
La Forge konnte sich nicht im Entferntesten vorstellen, was Riker durchmachte – oder vielleicht wollte er es auch gar nicht. Der Erste Offizier wurde nun bereits seit siebzehn Tagen vermisst. Wenn Kinchawn und seine Verbündeten ihn gefangen hielten, gab es bisher zumindest keine Lösegeldforderung oder auch nur eine Bestätigung, dass sie ihn überhaupt in ihrer Gewalt hatten. Viel schlimmer, als sich auszumalen, was sie Riker antun könnten, war allerdings, gar nichts zu wissen.
Es lag in seiner Natur als Ingenieur, dass La Forge sich stets auf unumstößliche Fakten stützte, auf Problemlösungen und Gewissheiten. In diesem Fall gab es keine. Da die Enterprise mittlerweile repariert und wieder voll einsatzfähig war, hatte er sich freiwillig gemeldet, das forensische Team auf Tezwa anzuführen, um seinen Geist zu beschäftigen und die Ängste zu verdrängen.
Erneut überprüfte er eine Reihe von Trikorderscans und wiederholte innerlich sein ermutigendes Mantra: Vale wird ihn finden. Es geht ihm gut. Sie findet ihn und bringt ihn nach Hause.
Er war nicht sicher, ob er das wirklich glaubte. Allerdings war ihm auch bewusst, dass er es nicht ertragen konnte, es nicht zu tun. Er bewegte sich vorsichtig durch den rutschigen Krater und hielt seinen Trikorder dabei auf Armeslänge vor sich, um weitere Scans laufen zu lassen. »Immer weitersuchen, Leute«, sagte er. »Immer weitersuchen und nicht aufgeben.«
»Flüchtlingshilfeeinheit 4-16 Bravo an jedes Sternenflottenschiff in Reichweite! Mayday, wir müssen sofort evakuiert werden!«
Die Stimme der Frau quäkte aus dem Cockpitlautsprecher. Im hinteren Bereich des überfüllten, aber immer noch antiseptisch riechenden Runabouts klang sie tonlos und weit entfernt. Tenila saß gedrängt zwischen vier anderen kürzlich angeworbenen tezwanischen Friedensoffizierrekruten und vier Sternenflottensicherheitsleuten. Sie umklammerte ihr Phasergewehr und reagierte angespannt, als ihr Teamleiter, der vorne neben dem Piloten saß, den Notruf beantwortete.
»Flüchtlingshilfeeinheit 4-16 Bravo, hier spricht das Runabout Cumberland«, meldete sich der selbstbewusst klingende junge Offizier. Er hieß Peart. »Wir sind auf dem Weg, treffen in etwa fünfundvierzig Sekunden ein. Halten Sie durch.«
Das lange, grobschlächtige Schiff neigte sich nach Steuerbord und beschleunigte. Peart stand von seinem Sitz auf und ging in den hinteren Bereich. »Überprüfen Sie Ihre Waffen«, sagte er. »Stellen Sie sicher, dass alle auf minimale Betäubung eingestellt sind. Sobald wir landen, warten Sie auf meine Befehle, bevor Sie irgendwas unternehmen.« Tenila und die anderen Tezwa nickten und überprüften dann ihre Waffen. Die vier Sternenflottenmitglieder schienen absolut überzeugt von der korrekten Einstellung ihrer Ausrüstung zu sein, da niemand von ihnen sich die Mühe machte, sie zu prüfen.
Die Aussicht, den Schutz des Runabouts zu verlassen, erfüllte Tenila mit grimmiger Belustigung, wenn sie daran dachte, wie sehr sich ihre Wahrnehmung des Gefährts gewandelt hatte. Zum ersten Mal war ihr ein solches Schiff vor gerade einmal zwei Wochen begegnet. Sie war in ihre Heimat Savola-Cov, eine der großen Städte der Trinae, gereist. Sie wollte dort ihren Ehemann Sangano beerdigen und ihren Sohn Neeraj vorerst in die Obhut ihrer Eltern übergeben. Während sie dort in der Asche rund um den großen, zerbrochenen Gedenkstein der Tava ihrer Ahnen gekniet und mit einem Plasmaschneider Sanganos Namen in den Stein graviert hatte, war ein leises Kreischen vom dunklen Himmel zu hören gewesen. Mit Tränen in den Augen hatte sie von ihrer ehrwürdigen Aufgabe aufgeblickt und war zu dem Schluss gekommen, dass dieses Sternenflottenschiff wie ein düsterer Vogel aussah, der sein neues Territorium inspizierte.
In den folgenden Tagen hatte sie jedoch vom Fanatismus der vorherigen Regierung von Tezwa erfahren – und wie kurz sie alle dadurch vor der Vernichtung durch das Klingonische Reich gestanden hatten. Sie erkannte, dass die Föderation sich zugunsten ihrer Leute eingemischt hatte, und meldete sich daraufhin für eine Ausbildung als Ordnungshüterin und Verteidigerin ihrer Leute.
Nun fragte sie sich, ob nicht jemand zurückbleiben und das Schiff bewachen sollte. Doch Peart machte diesen Gedanken mit einem knappen Befehl zunichte: »Alle auf Transportpositionen.«
Das Außenteam, wie Tenila es zu nennen gelernt hatte, begab sich in den hinteren Teil des Runabouts. Alle verteilten sich unter dem kürzlich installierten Zehn-Personen-Transporter. Obwohl sie im Rahmen ihrer Ausbildung bereits einige Male den »Beamvorgang« überlebt hatte, behagte ihr die Vorstellung, auf atomarer Ebene auseinandergenommen, als Energie übertragen und wieder zusammengefügt zu werden, immer noch nicht besonders. Mit einem tiefen Atemzug verdrängte sie den Gedanken.
Ein Blick aus dem Heckfenster an Steuerbord zeigte die rauchenden Ruinen von Kuruk-Tau, die sich wie ein geschwärztes Lächeln mit abgebrochenen Zähnen aus der Flussebene erhoben. Architektur aus zwölf Epochen der Geschichte von Tezwa lag in Trümmern. Einst waren es gigantische Denkmäler einer der größten Städte ihrer Welt gewesen. Mehr noch: Dies war einst das Zentrum des Handels und der Kunst gewesen. Nun spie der Ort wie ein Vulkan schwarzen Rauch aus, der das Tageslicht verschluckte. Jahrhunderte der Geschichte hatten sich in feine Asche verwandelt, die sich nun wie ein Schatten über das Land legte.
Die Cumberland brach durch eine düstere Aschewolke, die sich wie eine Wand vor dem Schiff auftürmte, und schwenkte in einem rasanten Sinkflug auf eine Gruppe von Flüchtlingen zu. An diesem Punkt, nicht weit außerhalb der Stadt, hatten sich mehrere Ströme von Überlebenden zu einer Gruppe von mindestens hunderttausend zusammengeschlossen. Aus dieser Höhe ähnelte der wimmelnde Pulk einer Armee von Insekten, die sich um einen winzigen Happen scharte. Ich bin hierfür nicht bereit, musste sich Tenila eingestehen.
»Sehen Sie sich das an«, sagte ein kahlköpfiger, blauhäutiger Mann von der Sternenflotte zu seinem dunkelhaarigen, spitzohrigen Kameraden. Mit dem Daumen deutete er aus dem Fenster und ergänzte: »Die Klingonen haben sich wirklich selbst übertroffen.«
»Der Schaden ist beträchtlich«, gab das Spitzohr zurück. Tenila erinnerte sich, dass er ein Vulkanier war. »Man wird die Stadt vermutlich nicht retten können.«
Tenila wusste nicht, was sie ärgerlicher fand – den schnoddrigen Sarkasmus des Blauen oder die nüchterne Einschätzung des Vulkaniers. Immerhin ging es hier um eine Tragödie bisher ungekannten Ausmaßes.
Der Co-Pilot musste nun deutlich lauter sprechen, um das ohrenbetäubende Röhren der Triebwerke der Cumberland zu übertönen, als er dem Außenteam zurief: »Wir haben die Koordinaten!«
Peart reckte seinen Daumen nach oben und sagte: »Energie!«
Wenn Tenila das Gefühl eines molekularen Transports hätte beschreiben sollen, wäre ihr am ehesten das Wort Lähmung in den Sinn gekommen. Am Anfang und Ende des Vorgangs hielt eine Art Strahl das Objekt bewegungsunfähig fest. Für sie fühlte sich das nach einer aufgezwungenen Umarmung an, die sie gefangen hielt. Dann spürte sie so etwas wie eine Lücke in ihrem Bewusstsein. Die Sternenflottenleute sagten ihr jedoch, das sei rein psychosomatisch – »eine physikalische Unmöglichkeit«, hatte ihr einer sogar erklärt –, dennoch fühlte es sich ganz genau so an. Es war wie ein kurzer Blackout. Dann fügte sich alles in einem Kribbeln aus Adrenalin wieder zusammen. Die Welt um sie herum kehrte zurück und schälte sich aus einem Wirrwarr aus Licht und einem sanften, hochfrequenten Surren heraus.
Als ihre Stiefel den staubigen Boden berührten, war sie erleichtert, wieder auf ihrer Heimatwelt zu sein. Nach zwei Wochen des Trainings auf dem Föderationsschiff Enterprisehatte sie sich fast schon an die höhere Standardschwerkraft gewöhnt.
Ihr Gefühl der Erleichterung verschwand jedoch umgehend, als sie die sechs verwundeten Helfer der Föderation sah, die unbeholfen vor einer Wand aus hungrigen, mitgenommenen tezwanischen Flüchtlingen flohen.
Pearts Stimme schnitt durch das wütende Geschrei der Leute. »Außenteam! Schützenlinie bilden!« Sein Trupp schob sich voran und formte einen Halbkreis um die verletzten Hilfskräfte. Peart hob sein Gewehr, stützte es gegen seine Schulter und schritt auf die sich schnell nähernde Menge zu. Zögernd presste auch Tenila den Kolben ihrer Waffe gegen ihre linke Schulter und hielt mit dem Rest ihrer Kollegen die Stellung. Sie fand Pearts Vorgehensweise unter den Umständen irrational kühn. Er zielte mit seiner Mündung über die Menge hinweg und gab einen Warnschuss ab, der den Ansturm verlangsamte. Andere Sternenflottenoffiziere taten es ihm gleich.
Der blaue Sternenflottenmann griff nach einer der Flüchtlingshelferinnen, einem jungen Menschen. Blutspritzer bedeckten ihr Gesicht. Mit scharfer Stimme sagte er: »Sind all Ihre Leute hier?«
»Ja«, antwortete die Frau. Sie war verängstigt und von Panik erfüllt.
Je näher die Flüchtlinge kamen, desto enger zog sich die Verteidigungslinie des Außenteams um die Hilfskräfte zusammen. Ihr Vormarsch war nun zwar langsamer und vorsichtiger als zuvor, aber nicht weniger unerbittlich.
Der blaue Mann trieb die sechs Flüchtlingshelfer dicht zusammen und bedeutete vier Tezwa des Außenteams, sich ihnen anzuschließen. Die Cumberland röhrte über ihnen, hielt ihre Position und drehte sich der heranströmenden Menge zu, die sofort zurückwich.
Dann tippte der blaue Offizier auf seinen Kommunikator und brüllte über die Triebwerksgeräusche hinweg: »Leet an Cumberland! Erfassen Sie Khotas Signal – zehn zum Hochbeamen.« Er trat einen Schritt zurück, hob seine Waffe und schloss sich wieder den Kollegen an, während die vier Tezwa gemeinsam mit den Flüchtlingshelfern verschwanden.
Nun standen Tenila und fünf Sicherheitsoffiziere einer riesigen Schar hungriger Elininae gegenüber, die sie einkesselten. Die meisten von ihnen bewaffneten sich gerade mit großen Steinen.
Peart starrte verärgert auf die Wand aus wütenden Gesichtern und warnte sie mit angespannter Stimme: »Halt oder wir eröffnen das Feuer.«
Die tezwanischen Flüchtlinge schoben sich weiter wie eine Welle, die drohend näher kam. Wütende Rufe überlagerten sich in verschiedenen Sprachen des Planeten. Der kleine Trupp wich langsam zurück und stand schließlich Schulter an Schulter in einem engen Halbkreis. Alle hatten ihre Waffen im Anschlag. Getrieben von einem bedrohlich tief heulenden Sommerwind, wirbelten sandfarbene Staubschwaden um die herannahende Horde.
Ein Transportzyklus dauert fünf Sekunden, rief sich Tenila ins Gedächtnis.
Sechzig Sekunden, um das System zurückzusetzen. Sie wusste nicht, wie viele Sekunden vergangen waren, seit die Flüchtlingshelfer hinaufgebeamt worden waren. Allerdings war sie definitiv nicht die Einzige, die es langsam mit der Angst zu tun bekam. Neben ihr murmelte der blaue Mann zu sich selbst: »Was dauert da bloß so lange?«
Von irgendwo aus dem grimmigen Mob schoss ein einzelner Stein in ihre Richtung und traf Pearts linke Schulter. Wie bei einem Dammbruch war der Himmel kurz darauf von Steinen erfüllt. Tenila nahm an, dass sie vor Angst erstarrte – bis alles um sie herum weiß wurde und sie nach Abschluss des Transportzyklus wieder richtig zu sich kam. Sie sank auf die Knie und spürte die höhere künstliche Schwerkraft des Runabouts. Das kleine Gefährt jagte bereits davon.
Peart tätschelte ihr die Schulter. »Gute Arbeit, aber ich glaube nicht, dass es schon für einen Ritterschlag reicht.«
Manchmal ergab das, was er sagte, einfach keinen Sinn. »Ich verstehe nicht«, erwiderte sie.
»Entschuldigung, das ist so ein kulturelles Ding. Ritterschlag … Niederknien.« Er sah frustriert aus. »Vergessen Sie’s.« Er wandte sich den Flüchtlingshelfern zu. Die Frau mit der blutigen Stirn wurde gerade von Khota verarztet. Die junge Tezwa hatte sich im Erste-Hilfe-Kurs der Sternenflotte mit ihrer schnellen Auffassungsgabe hervorgetan. »Geht es Ihren Leuten gut?«, erkundigte sich Peart.
»Ich denke schon«, antwortete die Frau. »Wir haben versucht, alles in geordnete Bahnen zu lenken. Aber dann hat eine Gruppe unseren tragbaren Replikator verlangt. Ich habe ihnen gesagt, dass wir …« Sie unterbrach sich und schüttelte den Kopf. »Man konnte nicht mit ihnen reden.«
»Ich verstehe das einfach nicht«, mischte sich ein anderer Flüchtlingshelfer ein. Tiefe Schrammen zogen sich über das Gesicht des jungen Mannes. Ein Büschel seiner hellen Haare war ausgerissen worden und seine Nase schien gebrochen zu sein. »Wir versuchen doch, diesen Leuten zu helfen. Was stimmt mit denen nicht? Sind die verrückt oder so was?«
»Vielleicht sind sie das«, erwiderte Tenila wütend. Ihre Nackenfedern stellten sich auf. »Sie haben ihr Zuhause verloren, ihre Familien wurden getötet und sie sterben vor Hunger. Würden Sie da nicht auch verrückt werden?« Sie war erstaunt, dass sie das Verhalten der Elininae verteidigte. Natürlich war ihr bewusst, dass die ethnischen Unterschiede auf Tezwa für Außenstehende kleinlich wirken mussten. Doch für sie als Trinae war es eine ziemlich surreale Erfahrung, für die erbitterten Gegner ihres Stammes zu sprechen.
Der schlimm zugerichtete junge Mann senkte verlegen den Kopf. Niemand sprach mehr. Sie überlegte, ob sie vielleicht zu hart gewesen war. Immerhin war er gerade in einen gewalttätigen Angriff geraten und nur knapp mit dem Leben davongekommen. Die Föderationsmitglieder, denen sie bisher begegnet war, hatten alle nichts als gute Absichten – sie glaubten an ihre Mission und an Recht und Ordnung. Sie halfen anderen einzig und allein, weil es das Richtige war. Deshalb war sie das Risiko eingegangen, an sie zu glauben.
Die implodierte Regierung ihrer eigenen Welt hatte sie jedoch gelehrt, dass es einen Unterschied gab zwischen den Individuen einer Gesellschaft und der Macht, der sie dienten. So sehr sie auch daran glaubte, dass die Sternenflottenpräsenz auf Tezwa rechtmäßig, friedlich gesinnt und gütig war, konnte ein Teil von ihr nicht vergessen, dass die Föderation und ihre wundersame Technologie als Eroberer auf ihre Welt gekommen waren.
Nelino Quafina bemühte sich um Freundlichkeit, während er versuchte, sich trotz der ablenkenden Pistole an seinem Hinterkopf auf das Gespräch zu konzentrieren. »Wenn ich eine kurze Zwischenfrage stellen dürfte«, begann er. »Ist das wirklich notwendig?«
»Es verschafft mir das Gefühl von Sicherheit«, antwortete Ihazs. Sein sanfter Tonfall konnte nicht über die spürbare Gefahr hinwegtäuschen, die von dem Takaraner, der der oberste Boss des Orion-Syndikats auf Deneva war, ausging.
Nachdem er Quafina drei Tage auf das Treffen hatte warten lassen, waren Ihazs und sein Gefolge schließlich an der Tür zum Hotelzimmer des Antedeaners aufgetaucht. Nur Sekunden später hatten die baldukanischen Zwillinge, Ihazs’ Vollstrecker, Quafina mit dem Gesicht nach unten auf den Boden befördert.
Einer der Baldukaner kniete auf dem Rücken des schlaksigen Würdenträgers, während der andere den Lauf seiner Waffe gegen Quafinas Schädel presste, gleich unterhalb seiner hinteren Schädelflosse.
Ihazs räkelte sich bequem auf dem Plüschsofa des Wohnbereichs, faltete die Hände vor seinem durchtrainierten Bauch und sagte: »Also … wo waren wir stehen geblieben?«
»Ich hatte Sie um eine inoffizielle Lieferung gebeten.«
»Nah dran. Noch ein Versuch.«
Angesichts des lauten Atmens der Baldukaner war Quafina nicht sicher, ob er das Geräusch richtig deutete, aber für ihn klang das Schnauben, als könnten sie nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken.
Er konnte nur versuchen, aus dem Kontext seiner misslichen Lage Schlüsse darüber zu ziehen, was man von ihm erwartete. Daher versuchte er es erneut: »Ich habe gefragt, ob ich Sie vielleicht mit absurd viel Geld dazu bringen könnte, einen inoffiziellen Lieferauftrag anzunehmen.«
»Schon besser«, antwortete Ihazs. »Nein.«
Das war nicht die Antwort, die Quafina erwartet hatte.
»Warum nicht?«
»Oh, die Liste meiner Gründe ist lang«, sagte Ihazs. »Wollen Sie alle hören?«
»Könnten Sie sie vielleicht zusammenfassen? Ich habe nur wenig Zeit.«
Zunächst bestand Ihazs’ Reaktion nur aus verärgertem Schweigen, dann dehnte er die Arme hinter dem Kopf und schlug die Beine übereinander. »Na gut. Dann die Kurzversion. Wir haben uns sehr bemüht, Ihnen einen Gefallen zu tun. Und wir glauben nicht, dass Sie sich in angemessener Weise revanchiert haben.«
»Das ist sieben Jahre her«, protestierte Quafina. Seine Worte klangen abgehackt, weil er mit dem Gesicht in den Teppich gedrückt wurde. »Vor fünf Jahren hat das Syndikat Agenten des Dominion dabei geholfen, einen Anschlag auf den klingonischen Botschafter auf Farius Prime zu verüben. Meiner Meinung nach sind wir quitt.«
Ihazs rollte mit den Augen. »Sie sollten so etwas nicht so persönlich nehmen. Das war rein geschäftlich. Und außerdem hat er es ja überlebt.«
»Ich verstehe. Ich werfe Ihnen vor, ein doppeltes Spiel zu spielen, und Sie verteidigen sich mit Inkompetenz. Wie einfallsreich.«
Ihazs setzte sich aufrecht hin und sein Tonfall wurde schärfer. »Lassen Sie es mich ganz deutlich machen, Minister. Wir wollen, dass unsere Schiffe in den Kernsektoren nicht mehr belästigt werden.«
»Das lässt sich einrichten«, antwortete der Antedeaner, dem jetzt erst auffiel, dass der Teppich des Hotelzimmers nach Reinigungsmittel roch.
»Teilen Sie der Handelskommission mit, dass sie aufhören soll, die Regierung der Ferengi zu bedrängen, unsere Bankunterlagen herauszugeben.«
»Selbstverständlich«, entgegnete Quafina. »Ich bin mir sicher, dass die Föderationscharta Ihnen das Recht zur Geldwäsche einräumt.«
»Und wir wollen etwas mehr Spielraum auf Bajor.«
»Das ist nur fair«, sagte Quafina mit einer Spur Sarkasmus. »Wir haben Bajor bei seinem Beitritt immerhin einen erheblichen Anstieg der Kriminalitätsrate versprochen.«
Quafina wusste, dass er eine Menge Gefallen einfordern musste, um Ihazs’ Bedingungen zu erfüllen, ohne eine große politische Kontroverse auszulösen. Allerdings stand eine Menge auf dem Spiel. Er war sicher, dass Präsident Zife und sein Stabschef Koll Azernal jede Vereinbarung, die er eingehen musste, um die Sache zu erledigen, unterstützen würden.
»In Ordnung«, entschied Ihazs. Er sah zu den kräftigen Baldukanern. »Gol, Tuung.« Das Knie, das die ganze Zeit gegen Quafinas Wirbelsäule gedrückt hatte, hob sich und er spürte, dass die Pistole keinen Druck mehr auf seine silbergrauen Schuppen ausübte. Dann hörte er, wie die Waffe zurück in den Waffengurt seines Peinigers glitt.
Langsam rappelte sich Quafina auf. Zunächst kniete er sich hin, dann stand er auf – sichtlich bemüht, den Anschein zu erwecken, sich zumindest einen Funken Würde bewahrt zu haben.
»Reden wir über Zahlen«, sagte Ihazs und gestikulierte wild mit seinen Händen. Quafina wusste schon seit er den Mann das erste Mal getroffen hatte, dass er einer von denen war, die immer Angst hatten, dass ihre Worte nicht bei ihren Zuhörern ankamen, wenn sie sie nicht mit entsprechenden Gesten untermauerten.
»Die Hälfte im Voraus, die andere Hälfte nach sicherer Lieferung der Ware.«
Ihazs fegte Quafinas Worte beiseite. »Die Hälfte von wie viel?«
»Zehntausend Blocks goldgepresstes Latinum sofort. Weitere zehntausend, nachdem ich sichergestellt habe, dass meine Ware vollständig geliefert wurde.«
Die dümmlich aufgerissenen Augen des Takaraners waren Quafinas Belohnung dafür, dass er in den letzten fünf Minuten den Fußboden geküsst hatte. Nach einigen Sekunden wurde er jedoch ungeduldig, da Ihazs immer noch nicht antwortete. »Soll ich Ihr fassungsloses Schweigen als Zeichen interpretieren, dass Sie mit meinen Bedingungen einverstanden sind?«
Ihazs nickte. »Auf jeden Fall.«
»Gut. Dann sorgen Sie bitte dafür, dass ein Schiff samt Besatzung innerhalb der nächsten Stunde startklar ist. Meine Fracht steht bereit.«
Sobald der Antedeaner Captain Trenigar fragte, ob die Caedera schnell genug sei, um Tezel-Oroko in zwölf Tagen zu erreichen, wusste Erovan M’Rill, dass ihm ein Donnerwetter bevorstand.
Trenigar packte den etwas unbeholfen wirkenden Fischmann an den Falten seines blau schimmernden Gewands und rief: »Willst du sagen, dass mein Schiff langsam ist?« Die voluminöse Stimme des Nausikaaners hallte im leeren Laderaum der Caedera wider. »Das ist das schnellste Schiff im Sektor! Ich sollte dir die Augen rausreißen und sie dir in den Hals stopfen!«
M’Rill wusste, dass der Captain die Wahrheit sagte. Die Caedera war mehr als schnell genug, um die neunundvierzig Lichtjahre von Deneva bis zur klingonischen Grenze in deutlich weniger Tagen zurückzulegen. Allerdings gab es bestimmt einige militärische Schiffe, die noch schneller wären. Anders als der aufgeblasene Fischmann war der junge Caitianer aber clever genug, seinem Captain so etwas nicht auf den Kopf zuzusagen. Das Temperament seines Kommandanten war sogar für einen Nausikaaner bemerkenswert hitzig.
Neben dem Antedeaner stand Ihazs, der Boss des Orion-Syndikats. Mit übertriebener Höflichkeit sprach er den Captain an: »Es gehört sich nicht, den Kunden zu töten, Trenigar.«
»Hat er schon bezahlt?«, knurrte dieser Ihazs an.
»Eine Anzahlung, ja«, gab Ihazs zurück.
»Was kümmert es dich dann?«
»Ich ziehe meine Frage voller Demut zurück«, sagte der Antedeaner, der immer noch schlaff im festen Griff des Captains hing. Der riesige Nausikaaner ließ von ihm ab. Sein Kunde sammelte sich einen Moment und griff dann unter sein Gewand.
Ternigar zog seine Waffe jedoch schneller und richtete sie auf den Kopf des Fischmanns. M’Rill sprang nach vorn und drückte dem Antedeaner nur einen Sekundenbruchteil später sein Sägezahnmesser an die Kehle. Hinter dem Fischmann richteten der weibliche Erste Offizier Olaz R’Lash und Chefingenieur Nolram ihre Disruptorgewehre auf ihn.
Ihazs hob die Hände. »Halt! Waffen runter!«
Niemand bewegte sich. M’Rills buschiger grauer Schwanz zuckte nervös hin und her. Sein Messer ritzte die Nackenschuppen des Antedeaners. Blut sickerte hervor.
»Wenn er stirbt«, verkündete Ihazs, »sterbt ihr alle mit ihm.«
Aus Trenigars Kehle war ein tiefes Grollen zu hören. Langsam zog M’Rill seine Klinge zurück und verstaute die Waffe wieder in ihrer Scheide. Auch die anderen Besatzungsmitglieder der Caedera senkten ihre Gewehre.
Mit übertriebener Vorsicht zog der schlaksige Fischmann die Hand aus seinem Gewand hervor. Darin lag ein kleines Padd. Er übergab es dem Captain und sagte: »Dies sind die Schiffe, die von mir den Auftrag erhalten haben, sich mit Ihnen zu treffen. Darauf finden Sie auch die Koordinaten der Treffpunkte.« Während der Kunde weitersprach, begutachtete Trenigar die Informationen auf dem kleinen Bildschirm. »Sobald Ladung und Bezahlung übergeben wurden, übermitteln Sie den Frachterbesatzungen die Koordinaten für das Herunterbeamen der Lieferungen.«
»Wann bekommen wir die Ware?«
»Sobald Sie sie hochbeamen können«, sagte Ihazs.
Der Antedeaner deutete auf das Anzeigegerät in Trenigars Hand. »Die Freigabeberechtigung ist ebenfalls da drauf.«
»Gut«, antwortete der Captain. Er drehte sich um und reichte das Padd an R’Lash weiter. »Dann beamt alles hoch und lasst uns aufbrechen.« Mit einem Blick auf Ihazs und den Kunden ergänzte er: »Eine Freude, mit euch Geschäfte zu machen … wie immer. Aber jetzt runter von meinem Schiff. Es gibt eine Menge zu tun.«
»Es ist vollkommen normal, dass Sie sich Sorgen machen«, sagte Counselor Marlyn Del Cid. »Das heißt nicht, dass Sie die Hoffnung aufgegeben haben.«
»Ich weiß«, entgegnete Deanna Troi leise.
Sich als Patientin einer Therapiesitzung zu unterziehen war in der Psychiatrie gängige Praxis und Troi wusste, dass es weder gesund noch produktiv gewesen wäre, in dieser Situation die Hilfe einer Kollegin abzulehnen. Außerdem wusste sie es aufrichtig zu schätzen, dass Del Cid zu ihr auf die Enterprise gekommen war, statt um einen Besuch in ihrem Büro auf der Armagosa zu bitten. Doch trotz alledem war ihr nicht nach Reden zumute.
»Erzählen Sie mir von gestern«, bat Del Cid. Sie lehnte sich erwartungsvoll in dem großen Sessel vor. Ihre Beine waren übereinandergeschlagen.
»Eigentlich war alles normal«, erwiderte Troi mit einem lässigen Schulterzucken. »Ein paar der üblichen Termine. Einige Traumafälle.«
»Sie haben unser Treffen abgesagt.«
Troi lächelte entwaffnend. »Ich habe es nur verschoben.«
»Auf mein Drängen hin, ja.« Del Cid sah sich im Quartier von Troi und Riker um, als würde sie nach etwas suchen. »Sie haben einige von Williams Sachen weggeräumt«, bemerkte sie.
»Ich habe aufgeräumt«, entgegnete Troi. Da sie den nächsten Satz von Del Cid vorhersehen konnte, ergänzte sie: »Ich verstecke nichts, was Erinnerungen auslösen würde.«
Del Cid nickte bedächtig. »Wo haben Sie seine Posaune hingestellt?«
»In den Koffer.«
»Und wo ist der Koffer?«
Troi seufzte. »Unter dem Bett.«
»Ich verstehe.« Obwohl Del Cid nicht über Trois halbbetazoide Empathie verfügte, besaß sie doch ein feines Gespür dafür, wenn ihre Patienten die Wahrheit verschleiern wollten. »Was genau hatte es denn mit der Absage – Verzeihung, der Verschiebung – des Termins auf sich?«
Troi erhob sich vom Sofa und ging zum Replikator. »Ich mache mir eine heiße Schokolade. Möchten Sie auch etwas?«
»Ein paar klare Antworten wären schön.«
»Es war einfach ein langer Tag«, erklärte Troi und blieb vor dem Replikator stehen. »Computer, heißen Kakao.« Als ihr Getränk summend materialisierte, warf sie Del Cid einen fragenden Blick zu. Die langhaarige Brünette bedeutete ihr mit einer Geste, dass sie nichts wollte.
Mit ihrem Getränk nahm Troi wieder auf dem Sofa Platz. Del Cid studierte jede ihrer Bewegungen sowie ihre Haltung und Gestik aus dunklen, vielsagenden Augen. Offenbar verfügte der Counselor der Armagosa über ein hohes Maß an Geduld. Troi nippte an ihrem Kakao, doch der vertraute, samtige Genuss spendete ihr keinen Trost.
»Kurz vor unserem gestrigen Termin«, begann Troi, »habe ich mich erkundigt, ob es irgendetwas Neues bei der Suche gibt … ob Data vielleicht irgendeine neue Spur hat. In diesem Moment kam der tägliche Sicherheitsbericht von Lieutenant Peart herein.« Obwohl sie spürte, wie ihr die Fassung entglitt, fuhr sie fort: »Der Bericht enthielt eine Liste der Opfer. Ich habe sie mir angesehen.« Sie stellte ihren Becher ab und schwieg einige Sekunden. Dann wischte sie sich eine Träne von der Wange und sagte: »Einen Moment lang dachte ich, ich hätte Wills Namen darauf gesehen.«
»War es so?«
»Nein«, antwortete sie und schniefte laut durch ihre verstopfte Nase. »Der Name war ähnlich. ›Riken, W.‹«
»Winona«, sagte Del Cid. »Sie war Ärztin auf der Armagosa.«
»Ich weiß«, erwiderte Troi. »Als ich die Datei aufrief, habe ich meinen Irrtum bemerkt.« Tränen stiegen ihr in die Augen. »Aber ich musste mir eingestehen, dass ich ganz kurz wirklich geglaubt hatte, ihn verloren zu haben. Es fühlte sich real an. Und dann sah ich den Namen und habe mich gefragt … was wünsche ich mir? Will ich vielleicht nur eine Antwort?«
»Das glaube ich nicht.« Del Cid klang aufrichtig. »Aber wenn wir uns das Schlimmste so lange vorstellen und uns darauf vorbereiten, erwarten wir es fast und erkennen das Offensichtliche nicht.«
Troi schwieg und ließ diese weisen Worte sacken. Vielleicht hatte sie ja Wills Sachen weggeräumt, um nicht ständig an ihn erinnert zu werden. Aber das war auf diesem Schiff, inmitten ihrer Kollegen und Freunde, überhaupt nicht möglich. Es wäre auch sonst nirgendwo möglich.
»Am schlimmsten ist«, sagte Troi dann, »dass ich in dem Moment, als ich seinen Namen sah … zum ersten Mal die Möglichkeit akzeptieren konnte, dass er vielleicht nicht mehr zurückkommt. Es fühlte sich an, als hätte ich die Hoffnung verloren, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick – mir ist aber bewusst, wäre die Situation andersherum, würde er mich niemals aufgeben.« Scham stieg in ihrer Kehle auf und drehte ihr den Magen um. »Marilyn, es fühlt sich an, als hätte ich ihn im Stich gelassen.«
Del Cid stand auf und setzte sich neben ihre Kollegin. »Sie haben nicht aufgegeben, Deanna.« Dann nahm sie Trois Hände und fuhr fort: »Sie müssen weiter daran glauben, dass er zurückkommt, bis man Ihnen unwiderlegbare Beweise vorlegt, dass es nicht so ist.« Mit einem traurigen Lächeln ergänzte sie dann noch: »Anweisung Ihres Counselors.«
Christine Vale hatte schon einigen frisch beförderten Ersten Offizieren dabei zugesehen, wie sie in ihre neue Rolle hineinwuchsen. Es war für eine neue Nummer Eins nicht ungewöhnlich, der Aufgabe nicht gleich gewachsen zu sein. Das galt auf einem großen Schiff wie der Enterprise natürlich umso mehr. Nun musste sie jedoch zugeben, dass es bei Lieutenant Commander Data andersherum war: Der Job war ihm nicht gewachsen.
Einfach ausgedrückt: Der Android war eine geschmeidig laufende Maschine. Anders als viele nichtsynthetische Lebensformen konnte er auf Schlaf verzichten, ohne dadurch gesundheitliche Nachteile befürchten zu müssen. Soweit sie wusste, war Data in den letzten vier Wochen jede Minute im Dienst gewesen. Es gab Berichte von den taktischen Offizieren der zweiten und dritten Schicht, die von Datas stetigem Bitten nach Neuigkeiten bezüglich der Suche nach Commander Riker erzählten. Insbesondere Wriede war zudem Datas unangekündigte Gefechtsübungen leid.
Vale hatte dem Androiden gegenüber angedeutet, dass die häufigen Übungen nur zusätzlich zum ohnehin schon hohen Stresspegel und der sinkenden Moral der Besatzung der Enterprise beitrugen. Natürlich hatte er ihr den anmaßenden Rat nicht übel genommen und seine Entscheidung stattdessen mit der »realistischen wachsenden Bedrohung durch einen asymmetrischen Angriff der Guerillakämpfer der Tezwa« begründet. Daher gingen seine Kampfübungen unverändert weiter, durchschnittlich zwei pro Tag.
Die Alpha-Schicht hatte gerade begonnen. Vale besetzte den zentralen Platz, während Data sich unter vier Augen mit dem Captain beriet. Vom Kommandosessel aus überprüfte sie die Berichte von Tezwa. Die Teams zur Nahrungsmittelversorgung benötigten viermal so viele tragbare Replikatoren, wie verfügbar waren, die umherreisenden medizinischen Einheiten verbrauchten Medizin und Vorräte ebenso schnell, wie die vier Raumschiffe im Orbit sie replizieren konnten, und die Ingenieure machten weiterhin nur geringe Fortschritte bei der Wiederherstellung der zerstörten öffentlichen Versorgungseinrichtungen und des Energienetzes des Planeten.
Da man Captain Picard und somit auch der Enterprise das Kommando über das gesamte Sternenflottenpersonal im Tezel-Oroko-System übertragen hatte, leitete La Forge das technische Programm und Dr. Crusher war für die medizinische Initiative zuständig. Vale hatte die Verantwortung für die Verteidigung und die Strafverfolgung des Planeten. Die Menge an Informationen, die sie Tag für Tag zu verarbeiten hatte, war schwindelerregend. Auf Tezwa befanden sich aktuell fast zehntausend Sternenflottenangehörige, darunter sogar ein Regiment aus Spezialkräften. Bei mehr als der Hälfte davon handelte es sich um bewaffnete Sicherheitsoffiziere. Ihre Hauptaufgabe war es, die anderen Sternenflottenmitarbeiter sowie etwa achttausend zivile Flüchtlingshelfer der Föderation zu beschützen. Außerdem bildeten sie Tausende neu rekrutierte zivile Friedensoffiziere der Tezwa aus. Offiziell war das gesamte Sternenflottenpersonal einzig und allein als Ratgeber und Friedensstifter vor Ort. Inoffiziell jedoch bildete es die vorderste Verteidigungslinie zwischen den Tezwa und dem absoluten Chaos.
Und natürlich wurden sie für ihre Mühen regelmäßig mit Hinterhalten der sogenannten loyalen Guerillas entlohnt, die dem abgesetzten Premierminister Kinchawn folgten. Diese Guerillakämpfer interessierte nicht besonders, ob sie Sternenflottensicherheitsleute, unbewaffnete Ärzte, Ingenieure der Flotte oder uniformierte Sicherheitskräfte der Tezwa töteten. Zudem schreckten die Loyalisten auch vor Opfern unter ihrer eigenen Zivilbevölkerung nicht zurück.
In den vergangenen vier Wochen waren die Spaltungen in der Gesellschaft der Tezwa für Vale offensichtlich geworden. Sie waren ethnisch und politisch in zwei Lager geteilt: die Elininae, deren politische Hauptgruppierung als die Lacaam-Koalition bekannt war, und die Trinae, die in ihrer Mehrheit von der Gatni-Partei vertreten wurden. Der ehemalige Anführer Kinchawn gehörte den Elininae an. Sein Nachfolger, Premierminister Bilok, war ein in die Jahre gekommener Staatsmann der Trinae. Folglich gab es in den von den Elininae dominierten Gebieten häufiger Übergriffe auf Sternenflottenpersonal und Polizeikräfte der Tezwa. Gleichzeitig waren die Angriffe in Städten, in denen es eine Mehrheit der Trinae gab, deutlich heftiger und forderten mit höherer Wahrscheinlichkeit große Opferzahlen.
Die Berichte über die Vorgänge der letzten Nacht ließen Vale den Kopf schütteln: In Odina-Keh waren zwei Sicherheitsleute und ein Sanitäter getötet worden. In Arbosa-Lo starben elf Zivilisten der Tezwa, neun zivile Flüchtlingshelfer der Föderationstruppen und zwei Sternenflotteningenieure. Aus Savola-Cov meldete man sechs verletzte Sicherheitsoffiziere der Sternenflotte. Zudem waren drei Friedensoffiziere der Tezwa gestorben. Und in Anara-Zel hatte es vier Sternenflotteningenieure und zwei Sanitäter erwischt. Dazu waren neunzehn Flüchtlingshelfer verletzt worden. Vor nicht einmal einer Stunde hatte man das Runabout Samara außerhalb von Alkam-Zar mit einem Plasmageschoss vom Himmel geholt. Zwölf Mannschaftsmitglieder der Musashi waren dabei ums Leben gekommen. Es waren die blutigsten vierundzwanzig Stunden der Sternenflotte auf Tezwa – bis jetzt.
Erschwerend kam hinzu, dass für das Personal der Sternenflotte die Anweisung galt, ausschließlich nicht tödliche Gewalt anzuwenden, selbst wenn es von Guerillas angegriffen wurde, die die Absicht hatten, sie zu töten. Die Einsatzregeln für Friedenstruppen waren innerhalb des Föderationsrechts äußerst streng und Captain Picard bestand darauf, dass sie buchstabengetreu eingehalten wurden. »Wir sind hier, um diese Leute zu beschützen«, hatte er Vale gerade erst vergangene Woche erinnert, als der Frust sie kurz übermannt hatte. »Uns stehen nicht tödliche Mittel zur Verfügung und es ist unsere Verantwortung, mit gutem Beispiel voranzugehen. Wir können nicht gleichzeitig Henker und Heiler sein.«
Als sie sich gerade den letzten Bericht von Chiavelli, dem Sicherheitschef der Musashi, ansehen wollte, kam Data aus dem Bereitschaftsraum des Captains und betrat die Brücke. Er hielt direkt auf sie zu. Vale erstarrte angesichts der Art, wie er auf sie zukam, und bereitete sich auf das Unvermeidliche vor, während sie sich aus dem Kommandosessel erhob.
»Guten Morgen, Lieutenant«, sagte der Androide.
Während sie zu ihrer Station ging, antwortete sie: »Guten Morgen, Sir.«
»Hat Ihre Suche nach Commander Riker irgendwelche Fortschritte erzielt?« Da ist sie ja. Die gefürchtete Frage, dachte Vale.
»Noch nicht. Ich bin noch mit den Berichten der letzten Nacht beschäftigt.«
»In Ordnung«, erwiderte er mit einem knappen Nicken. »Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
»Verstanden, Sir.« Es machte sie wahnsinnig, wie höflich und ruhig Data stets blieb, wenn sie ihm wieder und wieder berichtete, dass sie immer noch keine Ahnung hatte, wo ihr Erster Offizier abgeblieben war. Dann ermahnte sie sich selbst, dass sie wirklich alles getan hatte und auch weiterhin alles Menschenmögliche tun würde. Zusätzlich zu der von ihr angeordneten Sensorüberwachung der Planetenoberfläche waren alle neuen Friedensoffiziere der Tezwa genau unterrichtet, wie Riker aussah, wo er sich zuletzt befunden hatte und was zu tun war, wenn sie ihn sahen. Sie hatte Hunderte, nein, Tausende Flüchtlinge befragen lassen, ob sie ihn gesehen hatten, während man ihnen Nahrung und Wasser ausgeteilt hatte. Sein Gesicht war dadurch vermutlich zu einem der bekanntesten auf dem gesamten Planeten geworden.
Sie gab Befehle in ihre Konsole ein und lauschte, wie Data mit Zen-artiger Ruhe und perfekter Höflichkeit die wichtigsten Brückenstationen abklapperte. Während sie ihm zuhörte, konnte sie sich nicht mehr erinnern, warum sie ihn jemals als ungeeignet für die Position des Ersten Offiziers gehalten hatte. Es schien ihm so leichtzufallen. Es wäre schön, wenn er die Anerkennung bekäme, die er verdient, überlegte Vale. Doch dann dachte sie an Riker und korrigierte sich. Aber nicht auf diese Art.
Während er mit Admiral Janeway über Subraumkommunikation sprach, kam Captain Jean-Luc Picard zu der Erkenntnis, dass schlechte Nachrichten zunehmend schlimmer klangen, je weiter die Entfernung war, über die sie übermittelt wurden.
»Uns läuft die Zeit weg, Jean-Luc«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wie lange wir warten können.«
Zu den Dingen, die er an ihr schätzte, gehörte, dass sie kein Blatt vor den Mund nahm. Allerdings machte es diese Eigenschaft auch schwierig, sie umzustimmen, nachdem sie ihre Meinung bereits so deutlich geäußert hatte. Dennoch bewahrte er einen möglichst ruhigen Tonfall und eine neutrale Miene.
»Ich bitte nur um ein paar zusätzliche Tage, Admiral.«
»Ich bewundere Ihre Loyalität ihm gegenüber«, entgegnete sie, während sie ihn von dem kleinen Bildschirm auf seinem Schreibtisch genau im Auge behielt. »Aber ehrlich gesagt habe ich seine Antwort bereits vor Wochen erwartet. Ich kann nicht wegen eines Mannes den gesamten Prozess zum Erliegen bringen.«
»Wenn Sie wollen, können Sie.« Ihm war bewusst, dass er sich damit gefährlich nah am Ungehorsam bewegte, aber er konnte nicht einfach tatenlos zusehen, wie die Admiralität Will Riker seine vielleicht letzte Chance auf ein Kommando entriss. Protokolle und Richtlinien erforderten, dass Janeway ihren Kollegen Picard über das Angebot an Riker, die nagelneue U.S.S. Titan zu kommandieren, informierte. Obwohl Riker während seiner frühen Jahre auf der Enterprise mehrere Angebote einer Beförderung ausgeschlagen hatte, bestand nach der langen Zeit durchaus die Chance, dass seine Antwort diesmal anders ausfallen würde. Picard wollte sicherstellen, dass Riker die Gelegenheit erhielt, zu seinen eigenen Bedingungen darauf zu reagieren.
»Jean-Luc … ich möchte nicht gefühllos klingen, aber es besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass Commander Riker tot ist.«
»Ich bin anderer Meinung. Die Beweise, die meine Offiziere gefunden haben, deuten auf eine Entführung hin. Ich vermute, es waren die Loyalisten.«
»Und doch gibt es keine Forderungen nach Lösegeld oder etwas anderem …«
»Ich denke, dass man ihn als Rückversicherung festhält. Als Druckmittel, für den Fall, dass wir irgendetwas finden – oder irgendjemanden gefangen nehmen –, das ihnen so viel wert ist, dass sie verhandeln wollen.«
Janeway dachte einen Moment darüber nach. Mit einem Nicken erwiderte sie: »Vielleicht. Aber das sind eine Menge Vermutungen – dass sie ihn haben, dass man sie dazu bewegen könnte, einem Handel zuzustimmen …« Sie verzog das Gesicht. »Und dass ich die Entscheidung weiter hinauszögern kann.«
»Bei allem gebührenden Respekt, Admiral. Die Titan wird das Raumdock so schnell nicht verlassen. Ich weiß, dass Will Ihre erste Wahl als Captain ist. Bitte … geben Sie ihm noch ein paar Tage Zeit.«
Widersprüchliche Gefühle spiegelten sich auf Janeways Gesicht. Man konnte sie wahrlich nicht gerade als buchstabentreue Bürokratin bezeichnen. Auch das mochte Picard an ihr. Daher vertraute er ihr, dass sie auch den menschlichen Aspekt bei ihrer Entscheidung miteinbeziehen würde. Sie rang sichtlich mit sich, ehe sie zu einem Ergebnis gelangt war. »Zweiundsiebzig Stunden, Jean-Luc. Danach werde ich einen anderen zum Captain der Titan ernennen.«
»Ich verstehe, Admiral. Und ich danke Ihnen.«
»Janeway Ende.« Ihr Bild verschwand und wurde vom blau-weißen Emblem der Vereinigten Föderation der Planeten ersetzt.
Seufzend stand Picard auf und ging zum Replikator. Er bestellte seine übliche Tasse heißen Earl Grey, nahm einen bitteren Schluck und kehrte dann zu seinem Schreibtisch zurück.
Ihm blieben drei Tage, um Will Riker zu finden. So willkürlich und kurz dieser dritte Aufschub, den Janeway ihm in ebenso vielen Wochen gewährt hatte, auch war, so großzügig war die Geste. Jeder andere Admiral hätte den Kommandosessel der Titan längst mit einem anderen Offizier besetzt. Leider machte die Geste seine Aufgabe, Riker zu finden, nicht weniger entmutigend. Auch nach einem Monat der Suche hatten sich keine Hinweise auf seinen Verbleib ergeben. Vermutlich hielt man ihn an einem geschützten Ort gefangen, der wirksam vor den Sensoren ihres Schiffs abgeschirmt war. Passivscans und Geduld reichten einfach nicht mehr aus.
»Picard an Lieutenant Vale.«
»Vale hier.«
»Kommen Sie bitte mal kurz in meinen Raum.«
»Verstanden, Sir. Schon unterwegs.«
Nur Sekunden später glitt die Tür auf und ließ das sanfte Summen und das leise Zirpen der Brückenstationen herein. Vale kam schnurstracks zu Picards Schreibtisch. »Nehmen Sie Platz, Lieutenant.«
Sie setzte sich und faltete die Hände im Schoss. Ihre schlanke, jugendliche Gestalt mit den ausgeprägten Wangenknochen und den stechenden Augen erinnerte Picard ein wenig an Tasha Yar, seine erste Sicherheitschefin auf der Enterprise-D.
Nicht dass sie wie Yar ausgesehen hätte. Im Gegenteil könnte niemand die beiden Frauen miteinander verwechseln. Tasha war groß gewesen und hatte ihr blondes Haar kurz getragen. Vale war kleiner und trug ihr kastanienbraunes Haar in einem Pixie Cut. Was sie jedoch mit Tasha verband, war, dass beide alles andere als imposant wirkten. Diese Eigenschaft verleitete ihre Gegner regelmäßig dazu, sie zu unterschätzen.
Picard kam gleich zur Sache: »Wir brauchen eine aggressivere Strategie, um Commander Riker zu finden.«
»Sehe ich auch so. Leider sind unsere Möglichkeiten auf dem Planeten … ziemlich beschränkt.«
Er nickte. Es war nicht das erste Mal, dass Vale ihren Frust über die Einschränkungen für ihre Sicherheitskräfte ansprach. Botschafterin Lagan war daran gelegen, die Wogen zwischen der Föderation und dem neuen Premierminister der Tezwa zu glätten. Daher hatte sie die Befugnisse der Sternenflotte insofern eingeschränkt, dass sie nur sich selbst und die Flüchtlingshelfer verteidigen durften. Die Aufgabe, die loyalistischen Guerillas aufzuspüren, überließ man hingegen den neu gebildeten Polizeitruppen der Tezwa.
»In der Tat«, sagte Picard. »Daher denke ich, dass wir den Polizeitruppen der Tezwa eine zusätzliche Ausbildung zukommen lassen sollten.«
»Ausbildung, Sir?«, hakte sie zweifelnd nach.
»Taktiken für kleine Einheiten. Techniken zur Bekämpfung von Aufständen.«
Langsam verstand Vale und nickte. »Sie wollen ihnen beibringen, proaktiv vorzugehen, statt nur zu reagieren.«
»Ganz genau.« Er nippte an seinem Earl Grey.
»Und wie bringen wir ihnen diese neuen Taktiken am besten bei?«
»Am lebenden Objekt«, begann Picard. »Wir werden ihnen einiges davon im Einsatz zeigen. Sie sollen unsere Leute als Beobachter begleiten.«
Vale zog skeptisch die Augenbrauen hoch. »Und wer würde die hochrangigen Ziele in Gewahrsam nehmen?«
»Wir natürlich, um den Tezwa angemessene Verhörmethoden beizubringen.«
Vale schmunzelte und sagte: »Botschafterin Lagan wird das nicht gefallen.«
»Ich kümmere mich um die Botschafterin«, versicherte Picard. »Stellen Sie Ihre Leute zusammen und fangen Sie an.«
»Verstanden, Sir.« Sie erhob sich und ging zur Tür.
»Lieutenant«, rief er ihr nach. Vale hielt inne und drehte sich um. »Es ist wichtig, dass wir uns beeilen. Allerdings dürfen wir den Tezwa auch keinen Grund liefern, unseren Handlungsspielraum einzuschränken. Ergreifen Sie die Initiative, aber lassen Sie nicht zu, dass das Gesetz zum Opfer unserer Bemühungen wird.«
»In Ordnung, Sir.«
»Dann los.«
Sie drehte auf dem Absatz um und verließ zügig den Bereitschaftsraum. Auf der Brücke kehrte sie zu ihrem Posten zurück. Picard nahm einen weiteren Schluck seines Earl Grey, während er darüber nachdachte, wie er Botschafterin Lagan am diplomatischsten vor vollendete Tatsachen stellen konnte. Sie würde sicher argumentieren, dass Picard sich in interne politische Angelegenheiten einmischte, wenn er der Regierung half, Kinchawn ins Visier zu nehmen. Der Captain ließ sich eine Liste aller fast sechshundert Verluste der vergangenen achtundzwanzig Tage anzeigen. Dazu gehörten Zivilisten der Föderation und Sternenflottenpersonal. Alle waren von Kinchawns ehemaligen militärischen Komplizen getötet worden. Das war die einzige Rechtfertigung, die er für sein neues »Trainingsprogramm« brauchte. Er stellte seinen Tee ab, richtete sich auf und setzte eine grimmig entschlossene Miene auf. »Picard an Brücke. Verbinden Sie mich über einen sicheren Kanal mit Botschafterin Lagan auf Tezwa.«
»Anhalten«, befahl Vale. Die holografische Simulation stoppte und verwandelte die simulierte mit Trümmern übersäte Straße auf Tezwa in ein Stillleben aus Menschen und Ereignissen, erstarrt mitten in der Bewegung. Ihre Gruppe aus acht Rekruten des Planeten stand mittendrin. Nun wandten sich alle Vale zu. »Welche Möglichkeiten haben Sie hier?«