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Ein ganzer Planet, bevölkert von Meistern der dunklen Seite der Macht
Die Verwandlung von Jacen Solo in den Sith-Lord Darth Caedus hat die Galaktische Allianz schwer erschüttert. Und als zwei weitere Jedi-Ritter allem Anschein nach vom Wahnsinn gepackt werden, droht Chaos auszubrechen. Weit entfernt vom Zentrum des Geschehens versucht Luke Skywalker mittlerweile herauszufinden, wie und warum Jacen auf so schreckliche Weise der dunklen Seite der Macht verfallen konnte …
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Seitenzahl: 428
Christie Golden
OMEN
Das Verhängnis der Jedi-Ritter 2
Aus dem Englischen
von Andreas Kasprzak
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Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Star Wars™ Fate of the Jedi 02. Omen« bei Del Rey/The Ballantine Publishing Group, Inc., New York.
Deutsche Erstveröffentlichung Oktober 2010 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München.
Copyright © 2009 by Lucasfilm Ltd. & ® or ™ where indicated.
All rights reserved. Used under authorization.
Translation Copyright © 2010 by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München
Umschlaggestaltung: HildenDesign, München
Cover Art Copyright © 2009 by Lucasfilm Ltd.
Cover illustration by Ian Keltie
Redaktion: Marc Winter
HK · Herstellung: sam
Satz: omnisatz GmbH, Berlin
ISBN 978-3-641-07756-3V002
www.blanvalet.de
Dieses Buch ist meinen Eltern gewidmet,
James R. Golden und Elizabeth C. Golden.
All jene Nachmittage, an denen ihr mich beim Kino abgesetzt habt,
als Star Wars lief, haben sich jetzt ausgezahlt.
Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis …
Dramatis Personae
ALLANA SOLO; junges Mädchen (Mensch)
BAZEL »BARV« WARV;(Ramoaner)
BEN SKYWALKER; Jedi-Ritter (Mensch)
CILGHAL; Jedi-Meisterin und Heilerin (Mon Calamari)
HAN SOLO; Captain des Millennium Falken (Mensch)
JAGGED FEL; Staatschef des Galaktischen Imperiums (Mensch)
JAINA SOLO; Jedi-Ritterin (Mensch)
JAVIS TYRR; Reporter (Mensch)
KENTH HAMNER; amtierender Großmeister des Jedi-Ordens (Mensch)
LEIA ORGANA SOLO; Jedi-Ritterin (Mensch)
LUKE SKYWALKER; Jedi-Meister (Mensch)
NATASI DAALA; Staatschefin der Galaktischen Allianz (Mensch)
NATUA WAN; Jedi-Ritterin (Falleen)
TADOR’RO; Aing-Tii-Kontaktmann (Aing-Tii)
VESTARA KHAI; Sith-Neuling und -Schülerin (Mensch)
WYNN DORVAN; Assistent von Admiralin Daala (Mensch)
Prolog
IM ORBIT ÜBER ZIOST – ZWEI STANDARDJAHRE ZUVOR
Dician fühlte den Planeten bereits, noch bevor er überhaupt auf dem Hauptbrückenmonitor der Giftmond erschien. Sie spürte, dass er sie so gesehen hatte, wie sie ihn jetzt sah, diese scheinbar harmlose Welt aus Blau, Weiß und Grün, und sie lächelte sanft. Die blassen, abstrakten Tätowierungen auf ihrem Gesicht, die einen deutlichen Kontrast zu ihren dunklen Hauttönen bildeten, verzogen sich bei ihrem Lächeln. Dies hier war das Ziel, das sie vor Kurzem vor ihrem geistigen Auge erblickt hatte, die unausgesprochene Antwort auf die Frage, was sie hier zu finden hoffte. Sie hatte der Besatzung dieser Fregatte befohlen, auf maximale Geschwindigkeit zu gehen, und hoffte bloß, dass sie rechtzeitig da war.
Wo willst du hin, Anmutige?
Für ungeöffnete Augen und tote Sinne mochte dieser Planet wie so viele andere wirken: eine Welt mit Ozeanen und Landmassen, praktisch komplett von Wäldern bedeckt, mit zwei weißen, eisbedeckten Polen an beiden Enden. Weiße Wolken trieben träge darüber hinweg.
Doch dieser Planet war nicht wie irgendein anderer.
Das hier war Ziost. Die Heimatwelt der Sith.
Das, was vom Orden der Sith noch übrig war, verbarg sich jetzt im Stillen auf Korriban. Sie würde in Kürze dorthin zurückkehren, jedoch nicht ohne die Belohnung, die zu erlangen sie hergekommen war.
Dician wurde bewusst, dass sie sich vor Erwartung leicht vorbeugte, und lehnte sich in ihrem Kommandosessel zurück. Sie verdrängte ihre Aufregung, damit sie sie nicht bei ihrer Mission beeinträchtigte.
»Wayniss, bringen Sie uns in die Umlaufbahn!« In ihrer Rolle als Informationssammlerin verleitete der leichte, melodische Tonfall ihrer Stimme andere häufig dazu, sie für viel, viel ungefährlicher zu halten, als sie tatsächlich war. Ihre Mannschaft wusste es besser.
»Ja, Captain«, entgegnete der Chefpilot der Giftmond. Wayniss war ein lakonischer Mann, nicht im Mindesten machtsensitiv, vollkommen zufrieden damit, für die großzügige Bezahlung, die er erhielt, das zu tun, was man ihm auftrug. Auf seine eigene Art war der ergrauende ehemalige Pirat genauso fair, ehrbar und hart arbeitend, wie viele sogenannte aufrechte Bürger. Was Dician betraf, so hatte er sich auf dieser Mission bereits bewährt.
»Irgendwelche Spuren von der Meditationssphäre?«, fragte sie Ithila, ihre Sensoroffizierin. Ithila beugte sich vor. Ihr Gesicht, das auf klassische hapanische Weise schön gewesen wäre – wäre da nicht die entsetzliche Brandnarbe gewesen, die die rechte Seite entstellte –, zeigte ein konzentriertes Stirnrunzeln.
»Negativ«, erwiderte Ithila, als Ziost in den vorderen Sichtfenstern auftauchte und die Giftmond in den Orbit rings herum sank. »Keine Hinweise der Sphäre auf der Planetenoberfläche.« Sie wandte sich um und sah den Captain an. »Scheint, als wären wir zuerst hier.«
Dician lächelte wieder. Keine Fehler. Alles, was jetzt noch zu tun war, war, das kleine Gefährt selbst einzufangen.
Dician machte es sich bequem, um zu warten, ihre dunklen Augen auf den sich langsam drehenden Planeten vor sich gerichtet. Ziost hielt ihrem Blick stand, und sie spürte ein Ziehen in ihrem Herzen. Sie wollte mit der Giftmond landen, um Ziosts Wälder zu durchwandern, so, wie andere Sith es in vergangenen Zeitaltern getan hatten. Aber deshalb waren sie nicht hier. Sie musste das Wohl der Einen, des gesamten Ordens, über ihr eigenes Verlangen stellen. Vielleicht würde sie eines Tages auf dem Boden dieser Welt stehen. Heute jedoch war nicht dieser Tag.
Sie brauchten nicht lange zu warten. Nur wenige Sekunden später sagte Ithila: »Orte die Sphäre mit den Langstreckensensoren, Captain.«
Dician setzte sich in ihrem Sessel aufrechter hin. »Ihr habt alle gute und brillante Arbeit geleistet. Jetzt ist es an der Zeit, dieses Geschäft zum Abschluss zu bringen, wie unser Schmugglerpilot vielleicht sagen würde.«
Die Zeit war gekommen, dass sie, Dician, mit Perfektion handelte. Sie konnte sich jetzt keinen Fehler erlauben.
Sie spürte sie bereits, als Ithila das Bild auf ihren persönlichen Sichtschirm übermittelte. Da war sie, die Sith-Meditationssphäre. Sie betrachtete sie einen Moment lang, nahm den Anblick in sich auf – die orange-gelb-rote Außenhülle, die von Zwillingspaaren fledermausartiger Schwingen flankierte, kugelrunde Form. Das Schiff erinnerte an ein riesiges Auge.
»Hallo, Anmutige«, sagte sie mit ihrer angenehmsten Stimme.
Schweigen von der Sphäre.
»Wie du siehst, haben wir deine Ankunft erwartet. Warum bist du nach Ziost gekommen?«
Zuhause.
Die Stimme ertönte in ihrem Kopf, maskulin und äußerst konzentriert. Ein kleiner Schauder des Hochgefühls durchfuhr Dician. Das hier war kein Haustier, dem man schmeichelte, sondern ein Reittier, das man brechen musste. Die Sphäre respektierte Stärke und Willen.
Von beidem besaß Dician eine Menge.
Es gibt einen besseren Ort für dich als eine verlassene Welt. Dician sprach die Worte nicht laut aus. Ihre melodische Stimme war bei dieser Verhandlung kein Aktivposten, die Konzentration und Kraft ihrer Gedanken hingegen schon.
Das Schiff setzte seinen Anflug auf Ziost fort, ohne im Mindesten vom Kurs abzukommen, doch Dician spürte, dass sie seine Aufmerksamkeit hatte. Die Sphäre würde ihr zuhören.
Du bist eine Sith-Meditationssphäre. Komm mit mir dorthin, wo die Sith jetzt sind. Diene uns, wie es dein natürlicher Zweck ist. Sie stellte sich Korriban vor: nicht bloß mit zwei Sith, sondern mit vielen, die eins waren, mit Schülern, die in den Wegen der Dunklen Seite ausgebildet und trainiert werden mussten, wenn sie den Ruhm und die Macht erlangen wollten, der ihnen rechtmäßig zustand.
»Die Sphäre verlangsamt ihren Anflug«, berichtete Ithila. »Jetzt ist sie vollends zum Stillstand gekommen.«
Dician machte sich nicht die Mühe, der Hapanerin zu sagen, dass sie das bereits wusste; dass sie unverzüglich eine Verbindung zu dieser Meditationssphäre hergestellt hatte, zu diesem … Schiff.
Die Sphäre schien besonders an den Jüngsten interessiert zu sein, und sie begriff, dass das der Schwerpunkt bei ihrer Entwicklung gewesen war. Um Schüler zu beschützen und auszubilden. Um sie auf ihr Schicksal vorzubereiten.
Du wirst mit nach Korriban kommen. Du wirst mir, Dician, dienen, und du wirst die Jünglinge unterweisen. Du wirst den Zweck erfüllen, zu dem du geschaffen wurdest.
Dies war der Moment, von dem alles abhing. Sie spürte den prüfenden Blick des Gefährts. Dician schämte sich ihrer Kräfte nicht und zeigte sie der Sphäre freigiebig. Das Schiff fühlte ihren Willen, ihre Entschlossenheit, ihre Leidenschaft, ihr Verlangen nach Vollkommenheit.
Vollkommenheit. Schiff sann über das Wort nach.
Die Dunkle Seite verdient nichts Geringeres. Dician war voller Überzeugungskraft. Du wirst mir dabei helfen, für die Sith Vollkommenheit zu erlangen!
Vollkommenheit erlangt man nicht, indem man sich versteckt.
Dician blinzelte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Das ist weise. So bleiben wir für uns, abgeschieden, werden stark und beanspruchen dann, was uns gehört.
Schiff dachte darüber nach. Zweifel nagten wie ein Gizka an Dicians Verstand. Sie zerschmetterte sie zur Gänze, schonungslos, und legte ihren ganzen Willen in ihre Forderung.
Die Jedi sind stark und zahlreich geworden. Dies ist nicht die Zeit, sich zu verstecken. Ich werde nicht dienen. Ich werde einen besseren Zweck finden.
In ihrem Bewusstsein spürte sie, wie sich die Sphäre abschottete, wie sie sich in etwas von ihr isolierte, das einer Zurückweisung gleichkam. Dician fühlte, wie ihre Wangen heiß wurden. Was fiel der Sphäre ein, sich ihr zu widersetzen?
»Captain«, sagte Ithila, »das Schiff nimmt wieder Kurs auf Ziost.«
»Das sehe ich selbst«, schnappte Dician, und Ithila starrte sie unverwandt an. Schiff zeichnete sich als rasch kleiner werdende Kugel auf ihrem Bildschirm ab, und während sie hinschaute, verschwand es außer Sicht.
Dician wandte die Aufmerksamkeit wieder ihrer Mannschaft zu, die sie, wie sie jetzt erkannte, mit verwirrten Mienen ansah. Sie nahm einen tiefen, beruhigenden Atemzug.
»Dieses Schiff hätte unseren Anforderungen nicht genügt«, behauptete sie, und ihre angenehme Stimme forderte jeden heraus, ihr zu widersprechen. »Seine Programmierung ist antiquiert und veraltet. Unsere ursprüngliche Nachricht hingegen war erfolgreich. Es ist an der Zeit, die Shuttle-Besatzungen wieder an Bord zu nehmen und nach Hause zurückzukehren. Setzen Sie einen Hyperraumkurs auf Omega Drei Sieben Neun«, instruierte sie Wayniss. Der drehte sich um, und seine Finger flogen flink über die Konsole.
Die grundsätzliche Mission der Giftmond hatte nicht darin bestanden, Schiff zu bergen; zumindest bedachte Dician die Sphäre nun mit diesem Terminus. Ursprünglich war Dician losgeschickt worden, um eine Twi’lek namens Alema Rar und ihre Operationsbasis aufzuspüren. Rar hatte sich irgendwie eine vergessene Macht-Technik angeeignet, die sie dazu befähigte, Phantome quer durch die Galaxis zu projizieren. Dician war angewiesen worden, sowohl die Frau als auch die Quelle dunkler Machtenergie zu zerstören, damit keins von beidem in Jedi-Hände fiel. Und dann war sie gezwungen gewesen, zwischen zwei unerwarteten Schätzen zu wählen.
Als die Giftmond getarnt bei Alema Rars Stützpunkt eintraf, hatte Dician entdeckt, dass sie nicht allein waren. Eins der beiden Schiffe, die sich bereits bei dem Asteroiden aufhielten, war kein anderes als der Millennium Falke gewesen. Die nachfolgende Überwachung des Falken hatte gezeigt, dass der Raumfrachter aller Wahrscheinlichkeit nach von seinem berüchtigten Besitzer Han Solo persönlich geflogen wurde – und vermutlich war seine Ehefrau, Leia Organa, Verräterin des noblen Namens Skywalker, bei ihm. Ihre Mannschaften hatten Bomben auf dem Asteroiden platziert, der Alema als Basis gedient hatte, ehe Dician, die nicht vorhatte, sich einen solchen Triumph entgehen zu lassen, ihre Aufmerksamkeit auf die Zerstörung des corellianischen Raumfrachters konzentrierte.
Gleichwohl, bevor Dician den Befehl geben konnte, die Bomben zur Explosion zu bringen und den Falken zu attackieren, war Schiff aus dem Stützpunkt aufgetaucht – ohne Alema Rar an Bord.
Dician hatte die Entscheidung getroffen, Schiff zu folgen und den Versuch zu unternehmen, es zu bergen, und dementsprechend auf einen Angriff auf den Falken verzichtet. Sie hatte den Befehl zum Zünden der Bomben erteilt und die Teams, die sie platziert hatten, angewiesen, auf dem größten Asteroiden des Systems mit der Kennung Omega 379 auf ihre Rückkehr zu warten. Ohne Zweifel rechneten sie damit, dass sie rasch wiederkam.
Dician presste ihre vollen Lippen zusammen. Sie hatte es vorgezogen, Schiff zu verfolgen, anstatt den Millennium Falken vom Firmament zu pusten. Sie hatte genau das getan, wovor sie ihre Mannschaft so eindringlich gewarnt hatte – sie hatte einen Fehler gemacht. Und jetzt konnte sie gar keinen Erfolg für sich beanspruchen.
Sollte Schiff ruhig isoliert auf Ziost zurückbleiben. Es würde keine Möglichkeit finden, zu dienen, niemanden, der ihm erlauben würde, das zu tun, wofür es geschaffen worden war.
In ihrer Verärgerung ließ sich Dician von diesem Gedanken trösten.
1. Kapitel
JEDI-TEMPEL, CORUSCANT
Jysella Horn hatte das Gefühl, als wäre ein Teil von ihr genauso in Karbonit eingeschlossen wie ihr Bruder. Eingefroren, isoliert und außerstande, sich zu rühren. Dennoch gelang es ihr irgendwie, ihre Beine dazu zu zwingen, sie vorwärtszutragen, auf den Jedi-Tempel zu, wo heute, wie sie hoffte, einige Antworten auf sie warten würden.
Von dem unerklärbaren, entsetzlichen Moment an, als sich ihr älterer Bruder Valin mit wildem Blick, gefletschten Zähnen und Unsinn brabbelnd auf ihre Eltern gestürzt hatte, hatte ein Teil der jüngsten Horn ihn in das kalte Gefängnis begleitet, in das er jetzt eingesperrt war.
Sie war stets das Küken der Familie gewesen, das Nesthäkchen, die kleine »Ich auch!«-Schwester. Drei Standardjahre trennten die Horn-Geschwister altersmäßig, und erst seit Kurzem betrachteten sie sich beide als Freunde, nicht bloß als Bruder und Schwester. Jysella hatte ihren unbekümmerten, ausgeglichenen Bruder stets vergöttert. Das Leben ihrer ausgesprochen berühmten Familie wurde praktisch seit dem Tag ihrer Geburt von Gefahren bestimmt. Oft waren sie und Valin für lange Zeitspannen von ihren Eltern und sogar voneinander getrennt gewesen. Drei Jedi in einer Familie sorgten dafür, dass nicht sonderlich viel Zeit für traditionelle Familienaktivitäten blieb. Allerdings hatten die Herausforderungen und das Getrenntsein sie einander immer näher gebracht, anstatt einen Keil zwischen sie zu treiben.
Der Anblick ihres Bruders, der kalt durch bloß einseitig durchsichtige Transparistahlfenster starrte, und das Wissen, dass er ihre Eltern angegriffen und behauptet hatte, seine geliebte Schwester, sein Vater und seine Mutter seien irgendwie entführt und durch Doppelgänger ersetzt worden …
Jysella erschauderte. Kalt, ihr war kalt. Er war kalt und in Karbonit eingefroren, ihr höflicher, grinsender Bruder, der Sanfte und Beliebte, von dem sie nun sagten, er sei geisteskrank.
Bazel Warv legte eine schwere, jadegrüne Hand auf ihre schmale Schulter, als sie die lange Zeremonientreppe des Prozessionswegs zum Jedi-Tempel hinaufstiegen. Eine Abfolge von Grunzern und Quietschlauten drang zwischen seinen Fangzähnen hervor, als er ihr beruhigend zuredete.
»Ich weiß, ich weiß«, beteuerte Jysella mit einem Seufzen gegenüber dem Ramoaner. Seine kleinen Schweinsäuglein waren voller Mitgefühl. »Alle geben ihr Bestes. Das macht es bloß nicht leichter.«
Bazel – »Barv«, wie sein kleiner Kreis enger Freunde ihn nannte – dachte darüber nach und nickte zustimmend. Er drückte ihre Schulter, legte all seine Anteilnahme in die Geste, und Jysella zwang sich, nicht zusammenzuzucken. In Gegenwart anderer Jedi neigte Bazel dazu zu vergessen, wie stark er war. Mit der kleinen Amelia allerdings, der jungen Kriegswaise, die Han und Leia Solo adoptiert hatten, ging der Ramoaner übertrieben sanft um. Amelia ließ sich häufig lachend und kichernd auf Barvs breiten Schultern herumtragen. Das kleine Mädchen war versessen auf alle, die zur »Einheit« gehörten, wie Barv, Yaqeel Saav’etu, Valin und Jysella sich selbst nannten.
»Der große Kerl hat recht«, kommentierte Yaqeel, die auf Jysellas anderer Seite ging. »Unterschätze nicht, wozu eine Gruppe erfahrener Jedi imstande ist, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen.«
Wieder musste Jysella sich zwingen, nicht zusammenzuzucken, diesmal aufgrund der Kälte, die in den Worten der Bothanerin lag. Sie kannte sowohl Barv als auch Yaqeel schon seit langer Zeit. Zuerst waren sie Valins Freunde gewesen, doch sie nahmen auch Jysella mit Freuden in ihren Kreis auf, als sie älter wurde.
Yaqeel benutzte Worte auf dieselbe kontrollierte, tödliche Weise wie ihr Lichtschwert. Normalerweise machten ihre bitteren, zynischen Kommentare, an die sie gewöhnt war, Jysella nicht das Geringste aus. Jetzt jedoch fühlte sie sich … wund. Als wäre ihr die emotionale Haut abgezogen worden, sodass ihr nun selbst die leichteste Brise Qualen bereitete.
Barv grunzte gereizt, und Yaqeels Ohr zuckte unmerklich. Barv war davon überzeugt, dass die Jedi angestrengt daran arbeiteten, ein Heilmittel für Valins Zustand zu finden – nicht, um ihren eigenen Hals aus der Schlinge zu ziehen, sondern weil es richtig war, es zu tun. Weil es das war, was Jedi eben taten.
Tränen der Dankbarkeit stachen in Jysellas Augen, als sie ihren Freund anlächelte. Yaqeels Ohren sackten leicht nach unten, ein Anzeichen dafür, dass Barvs schlichtes Vertrauen seine Wirkung auch bei ihr nicht verfehlte. Das war nicht ungewöhnlich. Jeder – nun, jeder abgesehen vom liebenswerten, etwas begriffsstutzigen Barv selbst – wusste, dass Yaqeel eine Schwäche für den »großen Kerl« besaß, und das konnte ihr niemand verübeln. Barv war unkompliziert und aufrichtig, mit einem Herzen so groß wie die Galaxis und einem unerschütterlichen Sinn für Recht und Unrecht.
Jysella wollte ihm in dieser Sache verzweifelt glauben, doch die Furcht, die ihr einem Lebewesen gleich hinten am Gaumen flatterte, verhinderte das.
»Wie auch immer, Liebes, wir wissen, dass deinem Bruder der Kopf am rechten Platz sitzt«, sagte Yaqeel in sanfterem Tonfall. »Was auch immer mit ihm passiert, ich bin davon überzeugt, dass es bloß vorübergehend ist. Du musst einfach damit aufhören, dir all diese Nachrichtenvids anzusehen. Die berichten alle bloß über das, was sich am spektakulärsten anhört. Und das ist für gewöhnlich nicht die Wahrheit.«
Sie hatten den Tempeleingang erreicht. Einstmals war der Jedi-Tempel durch seine fünf Türme ins Auge gefallen, ein einzigartiges Merkmal der Skyline von Coruscant. Allerdings war während des Yuuzhan-Vong-Krieges vieles davon zerstört worden. Ein großer Teil des Tempelinneren war restauriert worden, um das alte Aussehen wiederherzustellen – in einigen Fällen bis hin zu den Marmormustern der Fußböden –, doch das Äußere, eine Ansammlung von Stein- und Transparistahlpyramiden verschiedener Größe, war ausfallend modern. Jysella stellte fest, dass sie die vertrauten Statuen von vier vormaligen Meistern vermisste, die früher am Haupteingang Wache gestanden hatten.
Sie seufzte. Gerade, als sie sich umdrehte, um mit ihren Freunden zu sprechen, fand sie sich in einer fast erdrückenden Umarmung wieder. Trotz allem breitete sich ein Grinsen über ihre Lippen aus, und sie erwiderte Barvs Geste.
»Danke, Barv«, hauchte sie mit dem letzten bisschen Luft, das noch in ihrer Brust zurückgeblieben war.
Er ließ sie los, und sie rang nach Sauerstoff, während sie zu ihm emporlächelte. Dann umarmte Yaqeel sie, voller Zuneigung, mit leicht würzig duftendem Fell und von einem Mitgefühl zeugend, das die meisten Leute von Vertretern dieser Spezies niemals wirklich erfuhren. »Wenn du irgendwas tust, wirst du dich besser fühlen«, meinte Yaqeel.
Barv fühlte sich stets besser, wenn er etwas tat. Normalerweise beinhaltete das, irgendwelche Bösewichter in die Mangel zu nehmen. Yaqeel tätschelte Jysellas Wange. »Sicher, dass wir nicht mit dir reingehen sollen?«
»Nein, ist schon in Ordnung. Ihr beide habt genug für mich getan. Ich … ich weiß ehrlich nicht, was ich ohne euch getan hätte«, sagte Jysella – die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. »Mom und Dad waren so auf Valin fokussiert – und, ich meine, natürlich sollten sie sich vornehmlich um ihn kümmern. Das tue ich auch. Es ist bloß …«
»Das zu sagen ist nicht nötig«, unterbrach Yaqeel sie sanft; offenbar spürte sie – genau wie Jysella es in diesem Augenblick tat –, dass das Menschenmädchen den noch verbliebenen, dürftigen Rest Selbstbeherrschung verlieren würde, wenn sie noch weitersprach. »Wir sind die Einheit. Und in der Einheit können wir uns alle jederzeit aufeinander verlassen. Du hättest dasselbe für uns getan.«
Barv nickte bekräftigend. Und das war die Wahrheit. Jysella und Valin hätten dasselbe für jeden ihrer beiden Freunde und Jedi-Ritter-Gefährten getan. Sie hätten sogar noch viel mehr getan, genauso, wie sie wusste, dass die anderen mehr tun würden, wenn es erforderlich wäre.
»Nun«, sagte sie und versuchte dabei, ein tapferes Gesicht aufzusetzen. »Mit eurer Hilfe und der des ganzen Jedi-Ordens bin ich mir sicher, dass wir Valin im Handumdrehen aus diesem Karbonitblock rausgeholt haben werden. Auch wenn ich zugeben muss, dass es, als ich noch ein Kind war, jede Menge Augenblicke gab, in denen ich hellauf begeistert gewesen wäre, wenn er ein Kaftisch gewesen wäre, der keine Widerworte gibt.«
Das war ein schwacher Versuch, witzig zu sein, doch sie sprangen alle darauf an und lachten. Ich muss lachen, weil ich sonst weinen werde, dachte Jysella. Und Valin würde nicht wollen, dass sie weinte. Das hatte sie in den vergangenen Tagen schon viel zu viel getan.
Grinsend hakte Yaqeel sich bei Barv unter. »Komm mit! Ich spendiere dir einen Kaf. Sind wir immer noch zum Mittagessen verabredet, ’Sella?«
Mittagessen. Das hatte sie vollkommen vergessen. Sie schien heutzutage eine Menge zu vergessen, abgesehen von dem überwältigenden Verlangen, dass alles wieder in Ordnung kam.
»Oh, richtig. Ja, kommt in ein paar Stunden wieder her. Ich bin sicher, bis dahin habe ich Cilghal hinreichend verärgert.« Sie lachte; diesmal war es ein aufrichtiges Lachen.
Das war ein guter Schlussakkord, und die drei Verbliebenen der Einheit winkten einander zu. Jysella sah zu, wie Barv und Yaqeel davongingen, dann seufzte sie, wandte sich um und betrat den Tempel. Sie lächelte den fünf Schülern, die dort als Wachen postiert waren, höflich zu.
Wie viele Male war sie schon hier gewesen? Sie hatte längst den Überblick darüber verloren. Der Tempel war schon immer ein besonderer Ort für sie, so, wie für jeden anderen Jedi auch. Für lange Zeitspannen war er ihr Zuhause gewesen, wenn sie sich nicht auf einer Mission befunden hatte. Jetzt allerdings wirkte der Tempel sogar noch mehr wie ein Bollwerk der Hoffnung. Irgendwo in diesem weitläufigen Quell des Wissens mussten Informationen zu finden sein, die ihrem Bruder helfen konnten. Irgendein Hinweis darauf, was ihm zugestoßen war und wie sich das wieder beheben ließ.
Barv war davon überzeugt. Und Jysella klammerte sich ebenfalls an diese Hoffnung.
Im gewaltigen, offenen Raum der Eingangshalle des Tempels hallten die Schritte ihrer Stiefel wider, als sie auf den Turbolift zuging, der sie zum Ersten Flügel des Archivs bringen sollte. Sie verschränkte die Arme und zappelte etwas herum, während der Turbolift sie leise summend in die oberste Etage hinauftrug.
Sie fand Cilghal in einem kleinen Alkoven in den Untiefen der Regalreihen, wo sie an einem der Tische saß, umgeben von hohen Stapeln glühender blauer Datenbänder und -karten. Ihr glatter brauner Schädel war über einen antiken Text gebeugt, und ihre flossenartigen Hände waren in Handschuhe gehüllt, um das empfindliche alte Blatt Flimsi zu schützen. Als Jysella näher kam, schaute sie auf.
»Jysella. Gerade rechtzeitig!«, rief sie. Ihre raue Stimme klang warm.
Jysella schenkte ihr als Reaktion darauf ein schwaches Lächeln und rutschte auf den Stuhl ihr gegenüber. Obwohl dies die verabredete Zeit war, zu der sie sich treffen wollten, war offensichtlich, dass sich Cilghal bereits seit einer ganzen Weile hier aufhielt.
»Ich …« Jysella seufzte und streckte die Hand nach einem Datapad aus, um es in ihren kraftlosen Fingern zu halten. »Verzeiht mir, Meisterin Cilghal. Ich weiß nicht einmal, wo ich damit anfangen soll, Euch zu helfen.«
Cilghal musterte sie mitfühlend und drehte den Kopf ein wenig zur Seite, um Jysella mit einem einzelnen großen, kugelrunden Auge anzusehen. »Du weißt, dass jeder tut, was in seiner Macht steht. Für uns alle ist es wichtig, dass dein Bruder wieder gänzlich gesund wird – und dass wir verstehen, was mit ihm geschieht. Wir hoffen sehr, dass mit diesem Verstehen ein Heilmittel einhergeht und damit die Möglichkeit, über seine Freilassung aus dem Gewahrsam der Galaktischen Allianz zu verhandeln.«
Jysella zuckte zusammen und strich sich eine Locke rötlich braunen Haars aus der Stirn, die dem improvisierten Haarknoten entfleucht war, den sie sich heute Morgen gesteckt hatte.
»Ich weiß. Es … Es ist ärgerlich, dass das alles in den Augen der Öffentlichkeit bloß dazu dient, den Jedi zu schaden. Valin … Das hätte er niemals gewollt!«
»Natürlich nicht«, beruhigte Cilghal sie. »Diese Angelegenheit fällt in keiner Weise auf deine Familie zurück, Jysella. Das Ganze ist lediglich ein tragischer und, wie ich hoffe, vorübergehender unerklärlicher Vorfall.«
Cilghal klang absolut aufrichtig, und Jysella glaubte, dass die Mon-Calamari-Heilerin jedes Wort davon ernst meinte. Sie wusste, dass Cilghal bis zu einem gewissen Grad gegen die Vorstellung war, dass Jedi familiäre Bindungen besaßen. Und dennoch war sie Jysella gegenüber so freundlich und hilfsbereit. Das bedeutete ihr eine Menge.
Trotzdem … Sie wünschte, Meister Skywalker wäre hier. Obwohl Luke alles getan hatte, was in seinen Möglichkeiten lag, um sicherzustellen, dass der Führungswechsel reibungslos verlief, hatte seine Abreise den Jedi-Orden in Aufruhr versetzt. Sie wusste, dass Meister Hamner sein Bestes tat, um in seiner undankbaren Rolle alles möglichst diskret zu handhaben, doch sie wusste auch, dass ihm damit kein Erfolg beschieden war. Das Letzte, was der Orden jetzt brauchte, war ein verrückter Jedi-Ritter, der herumlief und behauptete, dass die Leute nicht die waren, für die sie sich ausgaben.
Jysella schloss einen Moment lang die Augen. Wieder verspürte sie den krank machenden Kummer, der sie überwältigt hatte, als ihr bewunderter großer Bruder sie angestarrt hatte und mit kalter Stimme wissen wollte: »Wo ist meine Schwester? Wo ist sie? Was hast du mit ihr gemacht?«
Und jetzt war er in einem GA-Gefängnis in Karbonit eingefroren, außerstande, bei denen zu sein, die ihn liebten, ohne auch nur zu begreifen, dass jene, die ihn liebten, ihm zu helfen versuchten. Jysella, die die Kälte, die Valin umhüllte, mitfühlte, schlang die Arme um ihren eigenen Körper und zitterte leicht.
Oh, Valin. Wenn du uns doch bloß sagen könntest, was passiert ist … Warum du Mom und Dad und auch mich angesehen und geglaubt hast, wir wären nicht wir selbst. Warum hast du uns nicht erkannt? Warum hast du mich nicht erkannt?
Tränen sickerten unter ihren geschlossenen Lidern hervor, und sie strich sie wütend fort. Hör auf damit, ’Sella, ermahnte sie sich streng. Kummer und Sorge würden jetzt weder Valin noch dem Orden zugutekommen, sondern allein Besonnenheit und Wissen. Sie öffnete die Augen und griff nach dem Datapad, das sie eben beiseitegelegt hatte.
»Das sieht nach einer sehr alten Aufzeichnung aus«, merkte sie an und hob den Blick, um Cilghal anzuschauen. »Habt Ihr irgendwelche Theorien, was …«
Jysella spürte, wie alles Blut aus ihrem Gesicht entwich.
Die Mon Cal war offenkundig mit dem alten Flimsi fertig und studierte jetzt aufmerksam die Informationen auf einem Datapad. Ihre großen Augen waren fest darauf gerichtet. Sie war so konzentriert, dass sie nicht einmal blinzelte. In dem Alkoven war es still, abgesehen von leisen Stimmen, die sich miteinander unterhielten, und dem Geräusch von Schritten in einiger Entfernung. Alles war so, wie es noch einen Moment zuvor gewesen war.
Abgesehen davon, dass mit einem Mal alles – alles – verkehrt war.
Valin hatte recht gehabt. Das erkannte sie jetzt …
Jysella atmete rasch ein. Ihr Gegenüber sah aus wie Cilghal. Wer auch immer hierfür verantwortlich war, hatte kein Detail übersehen. Die Frau bewegte sich sogar wie die Mon-Calamari-Heilerin. Und sie hatte sich mit Sicherheit genauso verhalten und so geklungen wie sie. Doch schlagartig und voller Ekel begriff Jysella genau, was ihr Bruder gemeint hatte.
Die Nicht-Cilghal wandte den Kopf, um Jysella zu mustern, und legte ihn leicht schief. »Jysella? Was ist los?«
»N-nichts. Ich … Wisst Ihr was?« Sie stieß ein zittriges Lachen aus. »Ich glaube, ich bin vermutlich zu durcheinander, um Euch eine große Hilfe zu sein«, brachte sie hervor. Sie erhob sich. Sie musste verschwinden, und zwar schnell, bevor dieser Doppelgängerin klar wurde, dass ihre Tarnung aufgeflogen war. Aber wo sollte sie hin? Wem konnte sie es sagen? Wenn Valin tatsächlich recht hatte, dann waren abgesehen von ihr alle anderen entführt und durch Doubles ersetzt worden. Warum war ihr das nicht schon vorher aufgefallen? Oh, Valin, es tut mir leid, dass ich dir nicht geglaubt habe …
Die falsche Cilghal wandte den Blick vollends von dem Datapad ab, das sie studiert hatte, und musterte Jysella mit einem großen, runden Auge.
»Du hast dich während dieser ganzen Angelegenheit sehr gut gehalten, Jysella«, beteuerte die Doppelgängerin sanft. »Es ist nicht überraschend, dass du jetzt womöglich feststellst, dass dir das alles zu viel wird. Möchtest du gern darüber reden? Über seine Sorgen und Ängste zu sprechen kann in gewisser Weise ebenso heilend sein wie ein Aufenthalt im Bacta-Tank.«
Die raue Stimme war warm und teilnahmslos; das brachte Jysella bloß noch mehr aus der Fassung. Stang! Wer auch immer sie war, sie war gut. Sie beherrschte Cilghals Stimme, ihre Flexionen, ihre Bewegungen meisterhaft. Kein Wunder, dass es ihr so erfolgreich gelang, alle anderen zum Narren zu halten.
Valin jedoch hatte sich nicht täuschen lassen, auch wenn er seine Schwester und seine Eltern in seiner Verwirrung fälschlicherweise ebenso für Doppelgänger gehalten hatte wie die, die sie jetzt vor sich hatte.
Oh, nein … Was, wenn er recht gehabt hatte in Bezug auf Mom und …
»Ich denke, ich sollte jetzt besser gehen.« Eine Hand sank beiläufig zur Hüfte und kam auf dem Griff des Lichtschwerts zu liegen, das dort hing. Als vollwertige Jedi-Ritterin war es ihr erlaubt, die Waffe – abgesehen von sehr wenigen Bereichen mit beschränktem Zutritt – im gesamten Tempel zu tragen. In ihrem Stress wegen Valin hatte sie es heute Morgen beinahe vergessen. Jetzt war sie ungeheuer froh, dass sie zurückgegangen war, um es zu holen.
Cilghals Augen folgten ihrer Bewegung, und sie stand auf. Natürlich besaß sie ihre eigene Waffe, doch sie machte keine Anstalten, sie zu ziehen. »Jysella, warum kommst du nicht mit mir und …«
Entsetzen durchfuhr Jysella, und ihr entfuhr ein Schluchzen. Sie trat zurück – ihre Hand umschloss das Heft des Lichtschwerts so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden.
»Bleib weg von mir!«, schrie sie mit zitternder Stimme.
»Jysella …« Das Ding – oder was immer es war – streckte inständig die Hand nach ihr aus.
»Ich sagte, bleib weg!«
Jysella zog ihr Lichtwert mit einer Hand und stieß die andere in Richtung der falschen Cilghal. Die Männer in ihrer Familie waren außerstande, Telekinese einzusetzen. Jysella hingegen besaß dieses Handicap nicht und benutzte diese Gabe jetzt. Sie legte all ihre Angst, all ihre Konzentration in die Geste, und Jysellas Machtstoß traf Nicht-Cilghal unvorbereitet und schleuderte sie nach hinten in einen Stapel Datapads.
Sie verharrte nicht, um zu sehen, wie Cilghal in den Haufen krachte. In diesem Moment lief Jysella Horn, aller Wahrscheinlichkeit nach die einzig wahre Person, die abgesehen von ihrem Bruder noch auf dem Planeten weilte – womöglich in der gesamten Galaxis –, bereits so schnell, wie sie konnte, den Gang hinunter in Richtung Turbolift.
Cilghal erholte sich rasch von dem Angriff und nutzte die Macht, um den Stapel wieder zu stabilisieren und zu verhindern, dass er vollends umkippte. Einige Datapads fielen klappernd zu Boden, als sie sich erhob und mit einer Hand nach ihrem Komlink und mit der anderen nach dem Lichtschwert griff. Sie war von der Attacke vollkommen überrascht worden und tadelte sich dafür im Stillen.
»Tempel-Sicherheitsdienst, hier ist Meisterin Cilghal«, sagte sie, als sie bereits die Verfolgung der fliehenden Menschenfrau aufnahm. »Jedi Jysella Horn muss gefasst und in Gewahrsam genommen werden. Ihr darf kein Leid zugefügt werden, wenn das irgend möglich ist. Sie ist nicht bei Sinnen. Meister Hamner ist unverzüglich zu informieren. Er muss … Er muss erfahren, dass es einen weiteren Fall gibt.«
»Bestätigt«, kam eine forsche, kühle Stimme. Cilghal schaltete das Komlink mit einem Klicken aus. Wenn Jysella sicher verwahrt war, blieb noch genug Zeit, um näher ins Detail zu gehen.
Was passiert war, war offensichtlich. Genau wie ihr Bruder, hatte Jysella Horn den Verstand verloren. Doch im Gegensatz zu Valin, der irrational aggressiv gewesen war, hatte Jysella totale, elende Furcht in die Macht abgestrahlt. Was auch immer ihr Geist ihr sagte, es ängstigte sie über alle Maßen, mehr, als Cilghal es je bei einem Menschen erlebt hatte.
Mitgefühl, kombiniert mit der grimmigen Entschlossenheit, das verängstigte Mädchen daran zu hindern, irgendjemandem Schaden zuzufügen, beschleunigte die Schritte der Mon Calamari. Sie würden sie aufhalten – so oder so. Immerhin war dies der Jedi-Tempel, und Jysella, wenn auch eine überaus fähige Jedi-Ritterin, war schwerlich unaufhaltsam, selbst wenn sie von wahnwitziger Furcht angetrieben wurde.
Wohin konnte sie jetzt gehen?
2. Kapitel
JEDI-TEMPEL, CORUSCANT
Wo sollte sie hingehen?
Jysella saß in der Falle, gefangen wie ein Tier, und sie musste hier raus, das musste sie einfach. Oh, Valin, Valin, es tut mir so leid, dass ich dir nicht geglaubt habe, es tut mir so leid, dass ich …
Den Turbolift konnte sie nicht nehmen. Der war zu langsam, und abgesehen davon würden sie – die Doppelgänger – den Strom abschalten und sie so dort drinnen einsperren. Sie musste auf einem anderen Weg runter ins Erdgeschoss gelangen, und sie wusste auch schon genau wie.
Der Turboliftschacht befand sich im zentralen Bereich, wo die Gänge des Archivs zusammenliefen. Von den Korridoren aus führten vier Laufstege durch freien Raum zum Turbolift hinüber. Die Stege waren in Hüfthöhe mit geschwungenen Steingeländern versehen, die allerdings mehr der Dekoration dienten, als wirklich etwas zu nützen. Jeder Jedi, der über diese Rampen ging, konnte einen Blick nach unten werfen und die entsprechenden Gänge im Stockwerk weiter unten sehen.
Jysella zögerte keinen Augenblick. Während sie mit einer Hand ihr aktiviertes Lichtschwert umklammerte, streckte sie die andere Hand aus, legte sie auf den kühlen Marmor des Geländers und katapultierte sich diagonal zum Laufsteg in der unteren Etage hinunter. Sie setzte die Macht ein, um den Sprung zu kontrollieren, und landete leichtfüßig. Sie hatte gerade ihren Kopf gedreht und war drauf und dran, ins nächsttiefere Stockwerk runterzuspringen, als sie die Stimme von Nicht-Cilghal vernahm.
»Jysella, warte! Was du glaubst, ist nicht wahr! Niemand hat uns entführt. Wir …«
Entsetzen durchflutete Jysella, sodass ihre schweißnasse Hand beinahe ihren Halt verlor. Sie sprang in die untere Etage, aufs Geratewohl und ungenau, und donnerte mit dem Knie hart gegen das Marmorgeländer, als sie sich seitlich daran festklammerte.
Sie fühlte die Präsenz der Jedi, die auf sie zueilte, und ihr Kopf ruckte nach oben. Sie kannte diese Jedi – oder vielmehr diejenige, für die sie sich ausgab. Die Doppelgängerin sah genauso aus wie die Falleen Natua Wan, bis hin zu den blauen Perlen, die Natua mit Vorliebe in ihr langes, schwarzes Haar flocht. Ihr Lichtschwert war eingeschaltet, und sie rief Jysella etwas zu. Irgendwelchen Unsinn darüber, dass sie ihr nicht wehtun wolle, dass irgendetwas mit Jysellas Geist nicht in Ordnung sei, dass sie ihr aber helfen wollten. Und die Haut dieser Doppelgängerin wechselte die Farbe, genauso, wie es die einer echten Falleen tun würde, wenn sie in dem Versuch Pheromone abgab, Jysella in die Falle zu locken …
»Sicher«, murmelte sie. Jysella konnte weder das Geländer noch ihr Lichtschwert loslassen, aber sie musste Nicht-Natua aufhalten, bevor die Pheromone Wirkung zeigen konnten. Ihre Augen glitten zu einer Büste hinüber, die am Ende dieses Gangs auf einem kleinen Tisch stand. Mit einer raschen, ruckartigen Kopfbewegung schleuderte Jysella die gemeißelte Steinbüste eines lange toten Jedi auf das Wesen, das sich für ein anderes ausgab. Die Büste krachte hart gegen Natuas Doppelgängerin und schickte sie zu Boden.
Jysella wollte nicht sehen, ob die falsche Falleen wieder auf die Beine kam. Grimmig ließ sie sich nach unten fallen und landete mühelos auf ihren Fußballen.
Jysella befand sich jetzt im Erdgeschoss. Flucht und Sicherheit – so flüchtig sie auch sein mochte – waren bloß noch ein paar Sekunden entfernt. Sie drehte sich um und sah den Ausgang aus diesem Flügel, der in den großen Hauptgang hinausführte. Dahinter lagen die Promenade und die Freiheit. Jysella schluckte schwer und fing an zu laufen.
Sie fluchte leise, als ein anderer Jedi aus einem der Seitenmagazine auftauchte. Der hier sah wie ein Brubb aus, doch sie erkannte ihn nicht. Sie waren überall, diese Falschen. Ihr Verlangen, hier rauszukommen, war so übermächtig, dass sie nicht einmal langsamer wurde. Mit einem Fauchen vollführte sie eine Geste, als würde sie mit ihren Fingern waagerecht über eins der Regale streichen. Hunderte von Datenbändern sprangen nach vorn, als würden sie von da, wo sie einen Herzschlag zuvor noch sicher verwahrt gewesen waren, fortgeschleudert werden. Sie regneten auf den Jedi-Ritter hernieder und lenkten ihn vorübergehend ab, während er ihnen auszuweichen versuchte. Brubb waren im Allgemeinen stark, und sie hatte keinen Zweifel daran, dass es sich mit diesem Doppelgänger ebenso verhielt. Nur wenig von dem, was Jysella auf ihn hätte werfen können, würde ihm etwas ausmachen, doch alles, was sie tun musste, war, sich ein paar weitere Sekunden zu erkaufen …
Jysella rannte in vollem Lauf geradewegs auf den Brubb zu und warf ihr Lichtschwert nach ihm. Sie sah, wie sich die geschlitzten Augen in seinem narbigen, gelbhäutigen Antlitz weiteten, als die glühende Waffe sich überschlagend auf ihn zuflog. Er brachte sein eigenes Lichtschwert gerade rechtzeitig in die Höhe, um die Klinge beiseitezuschlagen. Da war Jysella bereits in der Luft, katapultierte sich in hohem Bogen über ihn hinweg und streckte ihre Hand aus, um ihre Waffe wieder zu sich zurückschnellen zu lassen.
Sie landete leichtfüßig, spurtete durch den Durchgang, wirbelte herum und berührte den Knopf, der dafür sorgte, dass die Tür zu diesem Gebäudeflügel zuglitt.
Sie wusste, dass er die Tür von der anderen Seite aus öffnen konnte. Um das zu verhindern, stieß sie ihr Lichtschwert bis zum Heft in die Steuertafel. Es knisterte und zischte, und sie rümpfte angesichts des ätzenden Brandgeruchs die Nase.
Das würde sie nicht lange aufhalten, doch sie hatte sich einen kostbaren Augenblick verschafft, um nachzudenken, verflucht noch mal; um ihren Kopf freizubekommen und nachzudenken. Sie war Beute, gefangen in der Höhle des Rancors, und sie musste hier raus …
Sie nahm einen langsamen, beruhigenden Atemzug, und mit der Beherrschung der Jedi-Ritterin, die sie war, besänftigte sie ihre rasenden, entsetzten Gedanken. Jysella schloss einen Moment lang die Augen, um durch die Nase ein- und durch den Mund auszuatmen, die Lider dann allmählich wieder zu öffnen …
… und etwas ausgesprochen Sonderbares zu erblicken.
Cilghal erreichte Radd Minker, als der Brubb gerade sein Lichtschwert einsetzte, um ein Loch in die Tür zu schneiden. Sie konzentrierte sich auf die Macht, um Jysella wahrnehmen zu können, und war überrascht festzustellen, dass sich die junge Frau nach wie vor auf der anderen Seite der Tür aufhielt.
»Cilghal an Sicherheitsdienst«, sagte sie in ihr Komlink. »Jysella Horn befindet sich unmittelbar außerhalb des Archivs, auf der Südseite. Sie hat die Tür geschlossen und die Kontrolleinheit zerstört. Jedi Minker ist gegenwärtig dabei, die Tür mit seinem Lichtschwert zu durchschneiden. Ich vermute, dass sie sich geradewegs auf zum Promenadenausgang machen wird, sobald sie wieder zu Atem gekommen ist. Sie ist verängstigt, und ich rechne damit, dass sie die direkteste Route einschlagen wird. Wir können davon ausgehen, dass sie versuchen wird, so rasch wie möglich aus dem Gebäude zu entkommen.«
»Bestätigt. Sie wird nicht an uns vorbeikommen.«
Cilghal klemmte das Komlink an den Gürtel zurück, entsandte ihre Gedanken in die Macht und versuchte von Neuem, ob sie zu Jysella durchdringen und die panische Menschenfrau beruhigen konnte.
Sie wappnete sich gegen die zu erwartende, fast animalische Furcht, die sie das erste Mal getroffen hatte, als sie sich mental nach Jysella ausgestreckt hatte. Stattdessen stieß sie auf etwas vollkommen anderes. Die Angst war immer noch da, ja, aber darum herum befand sich etwas, das Cilghal bloß vage vertraut war, sodass die Mon-Cal-Heilerin nicht recht wusste, worum es sich dabei handelte. Sie runzelte die Stirn und ließ sich tiefer hineinfallen.
Jysella sah sich selbst, wie sie den Gang in Richtung Freiheit entlangeilte. Der Korridor wurde zu beiden Seiten von großen Säulen gesäumt, die das wunderschön gemeißelte Dach trugen. Vor ihren verwunderten Blicken taten sich in zwei der Säulen bis jetzt verborgene Türen auf, aus denen zwei Sicherheitsdroiden auftauchten.
Die Droiden griffen sie sofort an. Jysella beobachtete alles und versuchte zu begreifen, was sie hier vor sich sah, während ihr anderes Selbst Lasersalven so schnell zurückschmetterte, dass ihr Lichtschwert nicht mehr als ein blauer, verschwommener Schemen war. War das tatsächlich sie oder bloß ihre Einbildung? Was ging hier vor? Vom Eingang eilten die fünf Schüler herein, die sie eine halbe Stunde zuvor gesehen hatte – denen sie zum Gruß zugenickt hatte. Einer von ihnen rief etwas in ein Komlink.
Die andere Jysella sprang mit einem Satz vor und ließ ihr Lichtschwert auf einen der Sicherheitsdroiden hinabsausen. Die Klinge schnitt sauber durch das Metall und die Verkabelung. Just, als der andere Droide feuerte, sprang sie beiseite, schlug einhändig ein Rad und hieb mit ihrem Lichtschwert zu.
Auch dieser Droide war außer Gefecht und kam ruckend zum Stehen, schwarzer Rauch stieg von ihm auf. Da war die andere Jysella längst wieder auf den Beinen, und die Schüler boten ihr die Stirn.
Verblüfft verfolgte sie ihren eigenen Mut und ihre Entschlossenheit, als sie wild kämpfte. Sie kam nicht ungeschoren davon. Ein Hieb grub sich in ihre Wange, sengte eine schwarze Wunde ins Fleisch. Ein anderer Schlag trennte ihr beinahe den linken Arm ab.
Dennoch focht die andere Jysella weiter. So erschlug sie einen nach dem anderen und brachte die falschen Schüler zu Fall, bis keiner mehr übrig war. Sie trauerte ihnen nicht nach. Das waren keine richtigen Schüler, bloß weitere Schwindler. Von heftigen Schmerzen geplagt trat sie rasch über die Leichen hinweg und machte sich auf den Weg zur Tür.
Jysella schrie auf, als sie beobachtete, was als Nächstes geschah.
So dicht dran – sie war so dicht dran, es zu schaffen. Doch selbst, als die andere Jysella bereits im von draußen hereinfallenden Sonnenlicht badete, wurde der Schutzschild am Eingang des Tempels aktiviert. Jysella stieß ein Schluchzen aus, als sie verfolgte, wie sie sich wand, zu entkommen versuchte, so unzweifelhaft in der Falle wie ein im Netz einer Spinne gefangenes Insekt.
»Nein!«, schrie Jysella lauthals. Sie war wie gebannt gewesen, während sie zusah, wie sich diese sonderbare Szene abspielte, und mit einem Mal kam ihr eine Erkenntnis. Und es gab für sie nur einen Weg zu beweisen, dass diese Einsicht zutraf.
So wie alle anderen Jedi wusste sie, dass es im Tempel vor allen möglichen Sicherheitsvorkehrungen nur so wimmelte. Die Vergangenheit hatte schonungslos gezeigt, dass selbst ein Tempel voller Jedi nicht unantastbar war. Wie sämtliche Jedi-Ritter und vermutlich die meisten Meister war Jysella nicht darin eingeweiht, wie viele dieser Sicherheitsmaßnahmen es genau gab. Und zugegebenermaßen hatte sie sich darüber bis jetzt auch keine Gedanken gemacht, doch falls ihre Vermutung richtig war …
Sie lief zu den Säulen. Wenn ihr tatsächlich irgendwie ein flüchtiger Blick in die Zukunft gewährt worden war, dann verbarg sich darin ein Droide. Mit einem Schnauben stieß sie ihr Lichtschwert in exakt der Stelle hinein, von der sie annahm, dass sich dort die Körpermitte des Droiden befand. Das Lichtschwert schnitt durch die Marmorsäule – und in das Metall und die Verkabelung eines Sicherheitsdroiden. Mit einem hohen Zischen und einem Knistern wurde der Droide außer Gefecht gesetzt, bevor er auch bloß die Anweisung erhielt, sie zu attackieren. Ermutigt sprang Jysella mit einem Satz quer durch den Hauptgang zu der anderen Säule und wiederholte das Manöver.
Sie drehte den Kopf zum Ausgang. Sie sah die Schüler noch nicht auf sich zukommen – was bedeutete, dass sie eine Chance hatte. Rasch wandte sie sich wieder in die Richtung, aus der sie kam, und sah die verräterischen Umrisse der Tür zu einem Wartungsgang, die sie öffnete und sich hineinduckte. Sie schloss die Tür hinter sich, dann verschwand sie hinter der wuchtigen Silhouette eines der größeren, eher für den Industriedienst gedachten Reinigungsdroiden. Sie rollte sich zitternd zusammen, zog ihre Knie an die Brust, wie sie es getan hatte, als sie ein kleines Mädchen gewesen war, und konzentrierte sich darauf, ihre Präsenz in der Macht zu verschleiern.
Jysella war verschwunden, und Cilghal vermochte nicht zu sagen, wohin. Sie wusste bloß, dass die Präsenz auf der anderen Seite der Tür, so vollkommen verängstigt und dennoch von einer seltsamen Da-nicht-dort-Aura umgeben, fort war.
Sie schaltete rasch ihr Komlink ein. »Jysella ist auf der Flucht«, sagte sie. »Wir brauchen unverzüglich Leute am Haupteingang. Ich glaube, sie wird versuchen, auf diesem Wege zu entkommen.«
Es folgten einige Sekunden Stille, bloß unterbrochen vom protestierenden Geräusch der Tür, als das Lichtschwert langsam einen Kreis hineinschnitt. Die Türen waren dazu gedacht, aktiviert zu werden, für den Fall, dass jemand Unbefugtes in den Tempel eindrang, um das Archiv zu schützen – oder im Falle irgendwelcher anderen Katastrophen, wie beispielsweise Feuer. Dementsprechend war es kein Kinderspiel, diese Türen zu überwinden, nicht einmal für ein Lichtschwert, und Radd Minkers Klinge zog sich schleppend dahin, wie ein Stock, den man durch frisch gegossenen und fest werdenden Permabeton zieht, während er entschlossen weitermachte. Es würde noch einige kostbare Sekunden dauern, bevor sie durch waren, und Cilghal glaubte nicht, dass Jysella Horn noch einige weitere Sekunden blieben. Sie war schrecklich besorgt, dass die verwirrte junge Frau getötet werden würde.
»Das ist unmöglich«, drang ein jäher Aufschrei aus dem Komlink. Cilghal, die genug gesehen hatte, um zu wissen, dass man das Wort unmöglich nicht leichtfertig benutzte, kommentierte den Ausruf nicht. Stattdessen fragte sie: »Was ist passiert?«
»Die … Die Standorte der Sicherheitsdroiden sind streng geheim und niemandem bekannt, der sie nicht unbedingt zu wissen braucht.« Das stimmte – selbst Cilghal wusste nicht, wo sich die Droiden befanden. »Lediglich eine Handvoll aus meinem Team verfügen über diese Information. Und dennoch hat Jysella die beiden, die wir gerade aktivieren wollten, ins Visier genommen und zerstört. Sie hätte überhaupt nicht dazu imstande sein dürfen, ihre Positionen zu lokalisieren, ganz zu schweigen davon, in so kurzer Zeit!«
Cilghal dachte an die sonderbaren Resonanzen, die sie einige Sekunden zuvor von Jysella wahrgenommen hatte, und Unbehagen regte sich in ihr, als ein Verdacht Gestalt annahm.
»Und weiter?«, fragte Cilghal, ihre gewaltigen Augen auf die sich langsam bewegende Klinge gerichtet.
»Und sie ist nicht auf dem Weg zum Haupteingang. Wir wissen nicht, wohin sie will.«
»Sie will hier raus, dessen bin ich mir sicher«, entgegnete Cilghal. »Ich würde die Sicherheitsteams zu jedem anderen Ausgang schicken.«
»Ja, Meisterin Cilghal.«
Cilghal seufzte. Radd warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. »Verzeiht mir, dass das so lange dauert, Meisterin!«
»Vielleicht kann ich dir zur Hand gehen«, meinte Cilghal. Ihr Lichtschwert erwachte mit einem Zzssssch zum Leben. Sie trat vor und rammte die Klinge in die Tür, spürte den Widerstand und zog sie langsam durch das Material, um Radds Schnitt entgegenzuarbeiten. Es war knifflig, das im Gespann zu machen. Es bestand das Risiko, dass sie plötzlich merkten, wie das Metall nachgab, sodass beide Lichtschwerter miteinander kollidierten, während sie von weißglühendem Metall umgeben waren – was auch der Grund dafür war, warum Cilghal sich nicht schon früher beteiligt hatte. Doch aller Wahrscheinlichkeit nach hing Jysellas Leben an einem seidenen Faden.
Cilghal würde sich ganz darauf konzentrieren müssen.
Jysella spürte, wie sie an ihr vorbeieilten, fühlte ihr Bestreben danach, die Ausgänge zu erreichen. Ihre Konzentration darauf war so groß, dass sie es versäumten, den unmittelbaren Bereich in der Macht abzusuchen. Das war der Grund dafür, warum sie nach wie vor bloß Schüler waren.
Nein, dachte sie. Das waren sie nicht. Das waren Blender. Deshalb hatten sie sie nicht wahrgenommen. Ein Schauder durchfuhr sie, und einen Moment lang war sie so verängstigt, dass sie sich nicht rühren konnte. Dann zwang sie ihre Beine durch schiere Willenskraft dazu, ihr zu gehorchen, und stand auf.
Sie drückte mit einer Hand gegen die Tür, und sie glitt auf. Zwischen ihr und dem Ausgang befand sich nichts und niemand. Die Wächter-Schüler waren anderswohin verschwunden. Was war mit dem Schutzschild, das ihr zukünftiges Selbst zum Untergang verdammt hatte?
Moment mal – einer der Schüler hatte in sein Komlink gesprochen, als sie auf ihn zulief. War der Schild in diesem Augenblick aktiviert worden, als sie wussten, dass sie unterwegs dahin war? Hatte er da bereits Kontakt zum Sicherheitsdienst aufgenommen?
Ihr blieb keine Zeit, sich auf den Weg zu einem anderen Ausgang zu machen, keine Zeit, sich hinzusetzen und sich darauf zu konzentrieren, ob sie ihr zukünftiges Selbst ausfindig machen konnte, um herauszufinden, was passiert war. Jysella nahm einen tiefen Atemzug, umklammerte ihr Lichtschwert mit festem Griff und lief den leeren Gang hinunter.
Ihre Anspannung wuchs, als sie sich dem Ausgang näherte, dem Tageslicht, das dadurch hereinfiel und sich auf dem mit Teppich ausgelegten Boden sammelte. Jeden Augenblick rechnete sie damit, das Energienetz zu spüren, das über sie fiel.
Nichts geschah.
Jysella verkniff sich ein Seufzen erleichterter Freude und eilte in die Freiheit hinaus.
3. Kapitel
TEMPEL-DISTRIKT, CORUSCANT
Yaqeel nippte an dem heißen, dunklen Gebräu und warf einen Blick auf den Neuankömmling im Tapcafé. Er war ein Mensch, schlank, aber nicht dünn. Er hatte einen Kopf voller Haar, lohfarben und makellos frisiert, und seine Kleidung war zwar modisch, aber geschmackvoll dezent. Nach menschlichen Maßstäben war sein Gesicht überaus attraktiv, doch ihr schien, als wären seine vollen Lippen zu einem Dauergrinsen verzogen. Yaqeels empfindliche Nase fing eine Art moschusartigen Duft auf, der ihn umwehte. Sie hatte gelernt, dass Menschen sich gern mit »Parfüm« oder »Rasierwasser« schön machten, wie sie das nannten, offensichtlich, weil sie nicht darauf vertrauten, dass ihre eigenen natürlichen Gerüche das andere Geschlecht anzogen. Bothanern waren solche Sorgen fremd. Sie besaßen alle einen einzigartigen Geruch, und nahezu alle rochen ansprechend. Zumindest für andere Bothaner. Sie warf einen flüchtigen Blick auf Barv und fragte sich, was er wohl von ihrem Duft hielt.
Barv genoss schweigend seinen Kaf. Seine übergroßen Hände hielten einen dementsprechend übergroßen Becher. Sein jadegrünes Antlitz mit der dicken, kastenförmigen Schnauze und dem markanten Kinn, das ihn auf andere häufig so finster und einschüchternd wirken ließ, war in angenehmer, guter Laune entspannt, wie Yaqeel erkannte.
Yaqeel wandte ihre Augen wieder dem Fremden zu und bemerkte die wohl manikürten Hände, die einen Becher für unterwegs entgegennahmen. Jetzt, wo sie von Neuem hinschaute, kam er ihr irgendwie bekannt vor. Nicht der Geruch, daran hätte sie sich erinnert, aber sein Aussehen. War er ein Holovid-Star? Hin und wieder schaute sie sich welche an, die Valin und Jysella ihr empfohlen hatten, und fand sie einigermaßen unterhaltsam, doch sie konnte ihn nicht identifizieren. Der Fremde bezahlte und ging hinaus. Er marschierte schnellen Schrittes davon, und ein Droide, der geduldig draußen gewartet hatte, schoss unversehens in die Höhe und schwebte ihm nach.
Ein Hologleit-J57-Kameradroide.
Und mit einem Mal wurde Yaqeel klar, woher sie den Fremden kannte. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, und sie knurrte leise, ihr Fell sträubte sich vor Verdruss.
»Ein Journalist!«, spie sie und legte so viel Abneigung und Hass in dieses einzelne Wort, wie sie es auch getan hätte, wenn sie »Ein Sith!« gesagt hätte.
Barv grunzte, doch im Gegensatz zu Yaqeels persönlicher Meinung war er bereit anzuerkennen, dass auch Journalisten Lebewesen waren und dass es ihnen erlaubt sein sollte, sich einen Becher Kaf zu kaufen, wenn ihnen der Sinn danach stand.
Just in diesem Moment krachte ein Fußgänger durch das Schaufenster des Tapcafés. Der Transparistahl faltete sich um ihn herum, als er auf einen Tisch krachte, und alle Unterhaltungen erstarben.
Beide Jedi-Ritter sprangen mit einem Satz auf, die Waffen in den Händen, ohne sie jedoch einzuschalten, und eilten nach draußen, während die Kunden drinnen schrien und in Deckung gingen. Ein schwabbeliger, pummeliger Ortolaner segelte schreiend und mit seinen blauen Armen und Beinen um sich schlagend auf Barv zu, seine Ohren flatterten wild. Ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, hob Barv eine massige Hand und fing den Ortolaner mit der Macht auf, um ihn sanft auf den Boden zu senken. Yaqeels Lichtschwert erwachte zischend zum Leben, und sie streckte ihre Machtsinne aus, um sie über das Durcheinander und die Furcht hinaus auszudehnen und die Ursache des Tumults auszumachen.
Das dauerte weniger als eine Sekunde, und ihr Blick fiel im selben Moment auf die Übeltäterin, als die Macht Yaqeels Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Ihr katzenhafter Kiefer sackte für eine kostbare Sekunde nach unten.
»Jysella?«
Da war sie, gleich außerhalb des Jedi-Tempels, und hielt ihr aktiviertes Lichtschwert mit einer Hand umklammert, während sie die andere ausgestreckt hatte, um sich einen Pfad durch die Menge zu bahnen und alle Möchtegern-Angreifer fortzustoßen. Jysellas Augen waren riesig, und selbst auf diese Entfernung konnten ihre Freunde die Mischung aus Entsetzen und Entschlossenheit erkennen, die darin lag.
»Stang!