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Nichts ändert sich, bis du dich selbst änderst, und dann ändert sich alles …
Viele Menschen wollen raus aus dem Hamsterrad, in dem sie sich tagtäglich bewegen, und wünschen sich, dass Arbeit erfüllend und sinnvoll ist.
Der Unternehmer Bodo Janssen und der Benediktinermönch Anselm Grün durchleuchten die deutsche Unternehmenskultur und zeigen Wege aus der Krise auf. Sie stellen dar, wie wichtig Verbundenheit, Offenheit und gemeinsame Ziele für ein gelingendes Miteinander sind und wie sich das realisieren lässt. Zentral dabei ist die Selbsterkenntnis – sie ist das grundlegende Handwerkszeug, um sich selbst und andere zu führen und in Zukunft eine wertvolle Wirtschaft zu gestalten.
„Unternehmen sind Entwicklungsstätten“, so Janssen und Grün, die sich in diesem Buch zu einem erkenntnisreichen und praxisorientierten Meinungsaustausch treffen, der zu einem tiefgreifenden Wandel anregt.
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Seitenzahl: 341
Nichts ändert sich, bis du dich selbst änderst, und dann ändert sich alles
Auf den ersten Blick sind sie ein ungewöhnliches Autoren-Duo: Der eine ist Pater, der andere Unternehmer. Unter normalen Umständen haben beide nicht viel miteinander zu tun, doch es gibt Ausnahmen. Dann, wenn ein Unternehmer in Zeiten der Krise nach Lösungen sucht, die nicht dem üblichen Muster folgen.
Eine große Mehrheit glaubt, dass die Wirtschaft einen Neuanfang braucht. Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass die einstigen Regeln und Definitionen von Arbeit und Unternehmensführung in absehbarer Zeit nicht mehr gelten. Führung ist eine anspruchsvolle Dienstleistung, weil es Führungskräfte mit Menschen zu tun haben, die nicht nur sehr unterschiedlich sind, sondern diese Einzigartigkeit auch in ihre Arbeit einfließen lassen wollen. Auch aus diesem Grund wird es für Führungskräfte immer schwieriger, diese Individuen mit von außen auferlegten Normen zu steuern.
Um eine Lösung dafür zu finden, ist es wichtig, zunächst einen Zugang zu sich selbst zu finden, der es einem wiederum ermöglicht, aus der Norm auszubrechen und eine Brücke in den Unternehmensalltag zu bauen – genau dafür steht dieses Buch.
„Es geht um ein gelingendes Miteinander und nicht um ein Gegeneinander“, so die Autoren. „Es geht um Sinnorientierung beim Einzelnen und innerhalb einer Gemeinschaft, um mehr Freude und Freiheit bei der Arbeit, aber auch darum, andere führen zu können, damit sie ihre Persönlichkeit in die Organisation einbringen können. Denn ohne Führung gibt es keine gelingende Gemeinschaft.“
Bodo Janssen
Anselm Grün
Stark in stürmischen Zeiten
Die Kunst, sich selbst und andere zu führen
Unter Mitarbeit von Regina Carstensen
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
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© 2017 Ariston Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten
Beratung: Stefan Linde
Redaktion: Evelyn Boos-Körner
Zeichnungen: Barbara Schneider
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie, Zürich unter Verwendung eines Fotos von Gele Schwab
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN: 978-3-641-21839-3V002
Willst du deinen Ruf mehren,
so mehre den Ruf anderer,
willst du deine Verdienste vergrößern,
so vergrößere die der anderen,
willst du Vorteile haben,
so vergrößere die der anderen,
auf diese Weise wird das Mitgefühl kultiviert.
Zhang Sanfeng
Inhalt
Der Wandel geht weiter
Führen kann man nur, wenn man der eigenen Seele begegnet
Was gibt mir Sicherheit?
Sich selbst führen, um andere führen zu können
Suchen, um dem Geheimnis des Unternehmens auf die Spur zu kommen
Das Kloster als Unternehmen
Ohne Vision geht nichts – wenn es eine gute Vision ist
Erfolg ist, wenn eine Gemeinschaft lebendig bleibt
Ohne Führung gibt es keinen Zusammenhalt
Ohne Investition läuft jede Inspiration ins Leere
Handwerkszeug – Führen nicht ohne Rituale
Es ist so, wie es ist
Wer bist du?
Die Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand
Freiheit der Entscheidung, Freiheit zur Innovation
Neue Wege – Anleitung zum Führen
Führung ist eine Dienstleistung
Was bedeutet Erfolg?
Menschen mit sich und mit anderen verbinden
Wer nicht handelt, der wird gehandelt
Raus aus dem Käfig
Abenteuer: Herausforderung statt Bedrohung?
Durch Fragen vom Sollen zum Wollen
Ich weiß, dass ich nichts weiß
Harmonie bis zum Erbrechen?
Wieso bin ich, wie ich bin?
Sinnvolle Fragen und der Weg nach Delphi
Vom Ego und dem rechten Maß
Zusammenarbeit und gelingende Beziehungen
Kultur-Werkstatt
Ohne Moos nichts los – die Sache mit dem Gehalt
Am Fluss meditieren – oder wenn die Gedanken Urlaub haben
Im Spannungsfeld zwischen Reflexion und Aktion
Kleine Schritte, große Freude – große Schritte, kleine Freude
Das ganz persönliche Leitbild
Lieber tot als Sklave – Friesische Freiheit hat jeder verdient
Die Botschaft des Finken
Literarische Begleiter
Der Wandel geht weiter
Auf den ersten Blick sind wir ein ungewöhnliches Autoren-Duo: Der eine ist Pater, der andere Unternehmer. Unter normalen Umständen haben beide nicht viel miteinander zu tun, doch es gibt Ausnahmen. Dann, wenn ein Unternehmer in Zeiten der Krise nach Lösungen sucht, die nicht dem üblichen Muster folgen, schon gar nicht den typischen Ratschlägen und Konzepten, die Manager in einem der unzähligen Führungsseminare vermittelt bekommen.
Im Jahr 2010 war es der Unternehmer von uns beiden, der auf der Suche nach Wegen aus seiner Krise in ein Kloster ging. Er hatte nach dem frühen Tod seines Vaters das Familienunternehmen Upstalsboom in zweiter Generation übernommen. Bei dem Versuch, es aus einer wirtschaftlichen Krise zu führen, wandte er die neuesten Erkenntnisse, Strategien, Methoden und Instrumente im Business-Bereich an – und landete damit auf dem Bauch. Den Mitarbeitern war das zu technisch, zu wenig menschlich. Er musste menschlicher werden, auch sich selbst gegenüber. Das war die eindeutige Direktive, die eine Mitarbeiterbefragung im Jahr 2010 ergab, bei der die Mitarbeiter offen wissen ließen, dass sie sich einen anderen Chef wünschten. Es galt also, eine schwierige Situation zu bewältigen, die unter anderem durch das Ego des Unternehmers entstanden war. Daher ging der Unternehmer ins Kloster, ins Stadtkloster der Benediktiner in Würzburg, und begegnete dort einem Pater. Einem Pater, von dem er zuvor schon viel gelesen und gehört hatte; einem Pater, der als Cellerar, als wirtschaftlicher Leiter des Klosters, nicht nur für die Gemeinschaft in seinem Kloster da war, sondern für viele Menschen, die auf der Suche nach Lösungen und Antworten für ein gelingendes Leben oder Wegen aus der Krise waren. Und so wurde Pater Anselm Grün auch für mich, Bodo Janssen, im Rahmen seiner Seminare zu einem wichtigen Inspirator. Mit seiner so leicht verständlichen und vor allem zeitgemäßen Übersetzung biblischer Geschichten, Bilder und Gleichnisse, seinen Fragen und Übungen hielt er mir einen Schlüssel hin, den ich nur zu nehmen brauchte. Einen Schlüssel für eine Tür, die mich auf einen Weg führte, auf einen Weg zu meinem Selbst. Dieser Weg, der sich mir damals erschloss, ist heute, sieben Jahre später, als Upstalsboom-Weg in Wirtschaft und Wissenschaft bekannt.
Ich schrieb über diese Krise ein Buch, Die stille Revolution, und die Rückmeldungen über meinen Weg und der damit einhergehenden Entwicklung des Unternehmens Upstalsboom, das in der Hotellerie und der Vermietung von Ferienwohnungen tätig ist, zeigten uns, dass offensichtlich in vielen Menschen eine große Sehnsucht besteht, die Freiheit zu haben, das zu leben, was ihnen als Mensch wirklich wichtig ist, dass sie aber auch mit ihren Gedanken in den Verwicklungen ihres Lebens, ihrer Arbeit oder Führung gefangen waren. Immer wieder hörte ich: »Ist das, was Sie geschafft haben, überall umsetzbar? Ich möchte das nämlich auch versuchen. Aber wie gehe ich vor, wenn alle um mich herum – und ganz besonders mein Chef – das nicht verstehen und mich daran hindern?«
Emotionalität und Ermutigung durch den von Upstalsboom beschrittenen Weg waren und sind offensichtlich vorhanden. Doch ihnen fehlt die Klarheit, wie sie dieser Sehnsucht erfolgreich begegnen können. Das, was sie wollen, ist also vielen klar, unklar ist, wie sie das erreichen.
Die Sache mit dem Wie ist tatsächlich nicht so ganz einfach, wie die Upstalsboomer selbst erfahren durften. Immer mehr Mitarbeiter folgten mir ins Kloster und auf dem hier eingeschlagenen Weg. Hier erhielten sie wertvolle Hinweise, die sie innerhalb der Gemeinschaft »Hotel« praktisch anwenden konnten. Zusammen führten wir uns vor Augen, dass das, was wir im Kloster gehört und dann in gemeinsam entworfenen Curricula vertieft und aufgenommen haben, ganz gut zum Unternehmen und den sich darin bewegenden Menschen passen könnte.
Und es passte. Nach und nach wurden bei Upstalsboom die Auswirkungen spürbar. Die Mitarbeiter wurden seltener krank und waren auch nicht mehr so schnell geneigt, sich wieder einen anderen Arbeitgeber zu suchen. Die Anzahl der Bewerbungen stieg in früher unvorstellbare Dimensionen, zudem entwickelte sich die Mitarbeiterzufriedenheit rasant nach oben. Die offensichtlich bessere Stimmung steckte dann die Gäste an, denn deren Zufriedenheit wuchs ebenfalls. Zu guter Letzt blieben davon die wirtschaftlichen Faktoren nicht unberührt. Die Umsätze verdoppelten sich innerhalb von nur drei Jahren, und auch die Bekanntheit vervielfachte sich innerhalb kurzer Zeit.
In Anbetracht unserer Vorgehensweise ernteten wir des Öfteren ungläubiges Staunen, weil die Entwicklung jenseits bekannter Wirtschaftstheorien und betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse erfolgte. Der beschrittene Pfad ist vielmehr ein durchaus spiritueller und vor allem auf den Erfolg des Menschen ausgerichteter Weg. Götz Werner, Gründer der dm-Drogeriekette, sagte einmal: »Kümmere dich um die Menschen, dann kümmern sich die Ergebnisse um sich selbst.« Und mit diesem Satz beschreibt er, wohl aus eigener Erfahrung, was auch wir immer häufiger erleben durften.
Spiritualität hat für mich in Bezug auf den Menschen zwei konkrete Bedeutungen. Erstens bedeutet Spiritualität für mich die Art und Weise, wie ich das, was mir als Mensch wirklich wichtig ist, im Alltag leben kann. Zweitens bedeutet Spiritualität für mich auch, den menschlichen Geist wieder mehr wertzuschätzen und ihn dadurch in Bewegung zu bringen.
Durch die Wertschätzung des Geistes entsteht Begeisterung und letztlich Beteiligung. Das, was wir allerdings in vielen Unternehmen erleben, ist genau das Gegenteil. Denn dort existieren häufig Formen der Entgeisterung und Betroffenheit. Aus diesem Grund bedarf es unserer Wahrnehmung nach eines grundlegenden Umdenkens bei Unternehmern, Shareholdern, Vorständen und Führungskräften, aber auch Mitarbeitern.
Eine große Mehrheit von Arbeitenden glaubt, dass die Wirtschaft einen Neuanfang braucht, was die Aufmerksamkeit für Menschen und Ziele angeht, das betrifft aber auch die Produkte sowie die Gewinne. Manche Firmen haben ihren Erfolg ganz sicher auf den grundlegenden Einstellungen eines ehrbaren Kaufmanns und auf starken Visionen aufgebaut, aber viele vor allem auch auf Kosten anderer, insbesondere anderer Menschen und der Umwelt. Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass die einstigen Regeln und Definitionen von Arbeit, Zielsetzungen und Unternehmensführung in absehbarer Zeit nicht mehr gelten. Auf einmal scheinen sie in einer immer weiter steigenden Anzahl von Betrieben außer Kraft gesetzt zu sein. Führungskräfte sind ratlos. Sie verstehen oftmals nicht, welche Wünsche, Bedürfnisse und Ansprüche plötzlich auftauchen und wie sie mit ihnen umgehen sollen.
Führung ist eine sehr anspruchsvolle Dienstleistung, eben weil Führungskräfte es mit Menschen zu tun haben, die nicht nur sehr unterschiedlich sind, sondern diese Einzigartigkeit auch in ihre Arbeit einfließen lassen wollen. Auch aus diesem Grund wird es für Führungskräfte immer schwieriger, diese Individuen mit von außen auferlegten Normen zu steuern. Viele Menschen wollen einfach nicht mehr genormt und damit normal sein. Sie wollen ein bisschen mehr von dem einbringen, was ihnen bislang verwehrt war: ihre Persönlichkeit! Und das empfinden viele Führungskräfte als verrückt – eben von der Norm ver-rückt. Die Frage, die sich ihnen daraus stellt, ist: Wie führe ich »ver-rückte«, eigentlich natürliche Menschen?
Um eine Antwort auf diese vielleicht ungewöhnlich erscheinende Frage zu finden, ist es wichtig, zunächst einen Zugang zu sich selbst zu finden. Über den Weg zu sich selbst ist es möglich, aus der Norm auszubrechen und einen Transfer in das operative Geschehen eines Unternehmens zu leisten. Und genau das soll dieses Buch ermöglichen: Ausgehend von einem spirituellen Ansatz, ergänzt mit in unserer Unternehmenspraxis umgesetzten Erkenntnissen aus der Philosophie, Psychologie und Neurobiologie, macht es bereits erfolgreich umgesetzte Angebote für die Praxis.
Aus diesem Grund führte ich mit Peter Anselm Gespräche und bat ihn seine Gedanken dazu aufzuschreiben, immer im Hinblick darauf, wie man es schaffen kann, stark in – besonders für Menschen und Unternehmen – stürmischen Zeiten zu sein. Wir erleben täglich, dass alles um uns herum unberechenbarer wird. Begriffe wie Tradition, Kontinuität oder Nachhaltigkeit gelangen in der täglichen Unruhe häufig außer Reichweite. Kein Mensch und keine Firma sind vor einem plötzlich auftretenden Sturm gefeit. Die Sicherheit, Stärke, aber vor allem auch Ruhe und Kraft, die wir uns wünschen, werden wir weder in der Zukunft noch in der ständig komplexer und verrückter werdenden Welt finden, sondern in uns!
In unserem Buch zeigen wir, dass es auch für Unternehmen und den Menschen in diesen Unternehmen möglich ist, die über eintausendfünfhundert Jahre alte Regel des heiligen Benedikt und die daraus über Jahrhunderte in der klösterlichen Gemeinschaft gemachten Erfahrungen wirksam zu verbinden und umzusetzen. Unsere Leser erfahren, wie die Upstalsboomer die klösterlichen Erfahrungen, die Gedanken von Pater Anselm aufgenommen und auf ihr Unternehmen übertragen haben. Es geht darum, im Unternehmen Selbstbewusstsein entstehen zu lassen, Haltung zu entwickeln, Verbundenheit zu stärken und Verantwortung zu übernehmen, um bei der Arbeit mehr Freude und Freiheit zu erfahren. Es geht um ein gelingendes Miteinander, also um gelingende Beziehungen, und nicht um ein Gegeneinander. Es geht um Sinnorientierung beim Einzelnen und innerhalb einer Gemeinschaft, aber auch darum, andere führen zu können, damit sie ihre Persönlichkeit in die Organisation einbringen können. Denn ohne Führung gibt es keine gelingende Gemeinschaft.
Führen kann man nur, wenn man der eigenen Seele begegnet
von Pater Anselm Grün
Es freut mich, dass Bodo Janssen durch die Kurse in unserem Haus Benedikt in Würzburg und dann auch später in der Abtei Münsterschwarzach eine innere Wandlung erfahren hat. Ich habe bei meinen Kursen nicht den Anspruch, den Teilnehmern eine völlig neue Sicht zu vermitteln. Ich möchte sie einfach in die Weisheit einführen, die ich in der Regel des heiligen Benedikt entdeckt habe. Und ich verstehe meine Aufgabe darin, die Menschen in Berührung zu bringen mit der Weisheit ihrer eigenen Seele. Denn tief in der eigenen Seele weiß jeder Mensch, was eigentlich gut ist für ihn. Und in der Tiefe der Seele weiß er auch, wie Führung eigentlich geht und was notwendig ist, um andere führen zu können.
So möchte ich einige Gedanken aus der Regel Benedikts darlegen, die mir im Dialog mit den Teilnehmern der Seminare wichtig geworden sind. Dabei haben mir die Teilnehmer oft die Augen geöffnet, um den alten Text der Regel mit neuen Augen zu lesen und zu verstehen. Ich fühle mich nicht als spirituelle Kompetenz. Ich bin wie alle Führungskräfte auf dem Weg. Und auf diesem Weg zu einer menschlichen Führung möchte ich nicht belehren, sondern meine Erfahrung austauschen mit denen, die wie ich auf dem Weg sind.
In meinen Seminaren erlebe ich immer wieder, dass viele Führungskräfte sich selbst nicht gut kennen. Sie haben nur Instrumente des Führens kennengelernt. Aber sich selbst und ihrer eigenen Seele sind sie kaum begegnet. Doch es ist ein Grundgesetz des menschlichen Lebens: Was ich bei mir selbst nicht wahrnehme oder kenne, das projiziere ich auf andere. All das, was mir in meiner Seele unbekannt ist, verdunkelt meinen Blick auf die anderen. Ich ärgere mich über den, der nur um seine eigenen Bedürfnisse kreist. Doch wenn ich in mich hineinschaue, werde ich erkennen, dass der andere mich an meine eigene Wahrheit erinnert. In mir ist die gleiche Tendenz, meine Bedürfnisse durchzusetzen.
Für Benedikt ist es wichtig, dass wir uns selbst ehrlich kennenlernen. Dann können wir auch klarer die Mitarbeiter wahrnehmen und sehen. Viele meinen, sie seien ganz nüchtern und würden die anderen Mitarbeiter und die Probleme der Firma ganz sachlich sehen. Doch in Wirklichkeit mischen sie ihre eigenen verdrängten Leidenschaften und Bedürfnisse in ihre Sichtweise. Sie meinen zum Beispiel, dass sie nach außen hin ganz ruhig und ausgeglichen wirken. Sie merken gar nicht, wie sie die anderen durch eine ganz bestimmte Brille sehen. Es ist die Brille, die ihr eigenes Handeln bestimmt, die Brille all der in sich selbst verinnerlichten Vorurteile, letztlich ist es die Brille der eigenen Lebensgeschichte. Sie spielt eine enorme Rolle bei dem, was wir tun oder nicht tun. Und weil das so ist, ist das auch der Grund, warum es so wichtig ist, sich selbst kennenzulernen. Nur dann gelange ich zu einer wirklichen Ruhe, und was Führungskräfte betrifft und für sie von enormer Bedeutung ist, ein Ruhigsein inmitten von stürmischen Wellen.
Nur aus der Ruhe heraus ist es möglich zu führen. Wer hektisch ist, der kann nicht führen, der ist dazu nicht in der Lage. Wir haben in unserer deutschen Sprache das Wort »hetzen«, es stammt von dem Alt- und Mittelhochdeutschen ab und bedeutet eigentlich hassen, auch jemanden dazu veranlassen, dass er gehasst, dass er verfolgt wird; mithin feindselige Stimmungen und Emotionen gegen jemanden oder etwas zu erzeugen. Und wer sich selbst hasst oder gar Handlungen gehässiger und verunglimpfender Art ausübt, der kann andere nicht führen, der kann in anderen nichts erwecken, was dazu beiträgt, den Sturm zu umschiffen oder in den Wellen den Kopf oben zu halten.
Die große Frage ist natürlich, wie ich diese Ruhe finde. Meine Antwort darauf: Die Ruhe finde ich nur, wenn ich die ganze eigene Wahrheit zulasse. Jesus sagt: »Die Wahrheit wird euch frei machen.« Ich kenne viele Menschen, die möchten zwar Ruhe haben, wünschen sich anscheinend nichts sehnlicher, aber sobald nichts los ist, geraten sie in Panik. Angst steigt in ihnen hoch, verdrängte Gefühle kommen ans Tageslicht, womöglich auch die Erkenntnis, dass irgendetwas im eigenen Leben ganz und gar nicht stimmt. Es ist die Ahnung, das Wissen, »ich lebe an mir vorbei«.
Doch wenn wir das Gefühl nicht hochkommen lassen, dass wir vielleicht an uns vorbeileben, dann wird auch unser Führen an den Menschen vorbeigehen. Ich kann nur zur Ruhe kommen, wenn ich mir erlaube, dass alles in mir hochkommen kann und dass ich das, was in mir auftaucht, nicht bewerte. Es darf sein. Aber nur, wenn ich meine eigene Wahrheit nicht bewerte, kann ich innerlich ruhig werden. Für mich ist der Glaube an Gott, der mich bedingungslos annimmt, eine Hilfe, zur Ruhe zu kommen. Denn ich weiß: Ganz gleich, was da in mir an Schutt hochkommt, ich bin ganz und gar angenommen.
Um zu dieser Ruhe zu gelangen, mache ich Folgendes: Ich setze mich ruhig hin und beobachte, welche Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse in mir hochkommen. Ich schaue diese Gefühle an, ohne sie zu bewerten. Und ich sage mir vor: »Das alles bin ich.« Aber dann halte ich alles, was in mir hochkommt, Gott hin. Ich stelle mir vor, dass Gottes Liebe in diese Gedanken und Emotionen einströmt und sie verwandelt. Dann verliert sich alle Panik. Ich habe keine Angst mehr vor irgendetwas, was in mir auftauchen könnte. Ich weiß, dass Gottes Licht alles Dunkle und Chaotische in mir durchdringen und verwandeln kann.
Eine andere Aufgabe hat die Ruhe. Sie reinigt all das Trübe, das in uns ist: unsere Vorurteile, die unser Denken trüben, unseren Ärger, unseren Neid, unsere Eifersucht, die uns die anderen Menschen nicht klar sehen lassen. Die Ruhe hat die Fähigkeit, das Trübe in uns zu reinigen. Der Wein muss ja auch stehen, bevor man ihn trinken kann. Und die Führungskraft braucht ein Stück Ruhe, Stille, um zu sich selbst zu finden.
Als Mitglied einer klösterlichen Gemeinschaft ist es natürlich einfacher, Ruhe zu finden, als für eine Führungskraft, allein schon durch die regelmäßigen Gebete. Eine Führungskraft, die ständig im Flieger sitzt und verschiedene Kontinente und Länder bereist, hat es da wesentlich schwerer. Aber auch nur bedingt. Ich kann mich entscheiden. Ich kann mich zum Beispiel dafür entscheiden, ob ich mich dem Bordprogramm überlasse und die gezeigten Filme anschaue, oder ob ich bei mir bin. Mit anderen Worten: Ich kann auch mitten im Alltag immer wieder Stille finden. Oder ich nehme mir bewusst Zeit, eine Auszeit, in der ich nichts tue. Im Kloster haben wir dafür den Begriff der Wüstentage, sie beinhalten eine Zeit, in der ich mich besinnen und wieder zu mir selbst kommen kann. In der Wüste, so die Bibel, sind Gottesbegegnungen möglich geworden, Propheten haben sich in der Wüste auf ihre Aufgaben vorbereitet, nicht anders hat es Jesus praktiziert. Manchmal reicht dafür ein einziger Wüstentag.
Doch auch im Alltag kann man sich wie im Kloster bestimmte kleine Rituale schaffen. Rituale ermöglichen mir eine heilige Zeit. Heilig ist das, was der Welt entzogen ist, worüber die Welt keine Macht hat. Eine heilige Zeit ist die, die mir gehört. Die Griechen haben dazu gesagt: »Das Heilige vermag zu heilen.« Eine heilige Zeit ist somit auch eine heilsame Zeit. Und wenn ich jeden Morgen ein paar Minuten für diese heilige Zeit erübrige, fängt das Heilen an. Ich könnte dabei eine Gebärde machen, ein Gebet sprechen. Ich könnte auch einfach nur bei mir sein und in mich hinein spüren und mich zum Beispiel fragen, mit welchen Gefühlen ich jetzt gleich in die Arbeit gehe. Oder: Mit welchem Ziel gehe ich in die Arbeit? Was möchte ich bewegen? Dazu reicht es, einfach kurz innezuhalten, nicht sofort wie ein Motor anzuspringen. Es geht nicht darum, sich zu fragen: Was soll ich tun? Sondern: Was kann ich tun? Diese kleinen Rituale dauern vielleicht drei, vier Minuten, die kann sich jeder einrichten. Das ist keine Frage von Zeit, sondern eine des Wollens.
Wie entsteht aber wiederum dieses Wollen? Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie aus dem Hamsterrad, in dem sie sich befinden und gefangen fühlen, raus wollen, sie wollen aus dem System, in dem sie sich befinden, ausbrechen. Sie wissen, dass das, was sie tun, für sie und auch zum Teil für andere nicht mehr in Ordnung ist. Doch wie kann ich Menschen dafür gewinnen, wie kann ich sie ermutigen, in dieses Wollen zu kommen? Dieses Sich-Zeit-nehmen-Wollen? Und es dann tatsächlich auch zu tun? Was kann ihnen vor Augen geführt werden, dass sie sich selbst bewegen? Natürlich kann ich immer nur Wegbereiter oder Wegbegleiter sein, den Weg muss jeder selbst gehen. Das ist im Kloster nicht anders als etwa in einer Therapie. Also: Wie können Menschen sich in Bewegung versetzen, um etwa mit diesen kleinen Ritualen zu beginnen? Das eine ist ja das Wissen, und das andere ist das Tun. Wir wissen so viel, wir wissen unglaublich viel, aber wir tun doch im Verhältnis zu dem, was wir wissen, sehr wenig. Wie lernen wir es, etwas zu tun?
Bewegen kann ich in meiner Eigenschaft als Pater oder als Seminarleiter nicht, indem ich Druck ausübe, nicht, indem ich sage: »Du sollst, du musst …« Im Grunde kann ich nur dafür werben: »Tut es dir eigentlich gut, so wie du morgens den Tag beginnst und dich in die Arbeit stürzt? Bist du damit zufrieden? Was könnte dir helfen?« Viele haben durch diese Fragen durchaus Wege für sich selbst gefunden und Rituale entwickelt, die sie von Mal zu Mal bewusster ausüben. Es sind Rituale, die es ermöglichen, den Tag so zu beginnen, dass ich mit einem guten Gefühl in meine Arbeit gehe. Als Führungskraft muss ich mich ja innerlich immer wieder auf die Mitarbeiter einstellen. Im Umgang mit ihnen wachsen ja auch Ressentiments, und wenn ich die nicht beachte, dann sammelt sich da etwas an, das an Bitterkeit grenzen kann. Ist das passiert, reizen mich die Mitarbeiter und nerven mich. Also muss ich mich auch immer wieder innerlich reinigen, sodass ich mit einem guten Gefühl den Mitarbeitern gegenübertrete und mich mit ihnen auseinandersetze. Und das tut mir auch selbst gut. Keinem tut es gut, gereizt in die Firma zu gehen.
Wir leben ja das, was wir erlebt haben. Wir alle werden als Subjekte geboren, und nicht wenige von uns werden dann durch die Vorstellungen anderer Menschen nahezu zu Objekten. Was nichts anderes besagt, als dass wir uns immer mehr von uns selbst entfernen. Jeder unterliegt dieser operativen Schwerkraft des Alltags, denn es ist normal geworden, der Norm zu entsprechen. Rituale sind eine Möglichkeit, jemandem einen Impuls zu geben, dass er innehält und anfängt zu reflektieren, in dieses Wollen zu kommen. Eine solche Reflexion, die auch das Ruhig-Werden begünstigt, kann sehr produktiv sein.
Wie gesagt, ich habe in meinen Kursen so viele Manager gesehen, die durchs Leben hetzen. Viele sind durch ihre Hetze in eine Krise geraten. Das hat sie dann ermutigt, innezuhalten, haltzumachen und im eigenen Innern nachzusehen, was da eigentlich los ist. Dann entsteht die Einsicht, dass etwas getan werden muss. So geht es nicht weiter. Schön wäre es natürlich, wenn diese Einsicht ohne vorangegangene Krise erfolgt. Das erfordert, ja, das braucht sicher ein Stück Begleitung. Oder man steigt aus. Doch mache ich einen entsprechenden Kurs mit, entsteht das Gefühl, dass man mit seinem Problem nicht allein dasteht, dass auch andere auf dem Weg sind, weil sie dieselbe Einsicht gewonnen haben.
Vielen, denen ich rate, jeden Tag ein Ritual zu machen, schauen mich anfangs an, als wäre ich so ein sonderbares Exemplar, das hier in der klösterlichen Landschaft herumläuft. Wenn die Personen aber merken, dass andere meinen Rat nicht für merkwürdig halten, kann das eine Hilfe sein. Es kann dann einfacher sein, mit diesen Menschen folgende Fragen zu besprechen: »Wie läuft dein Tag ab? Wie zufrieden bist du? Was für Vorstellungen hast du von dir selbst?« Nie dränge ich einem Kursteilnehmer etwas auf. Aber ich fordere ihn auf, selbst etwas zu suchen, was ihm guttut. Und dann fordere ich ihn auf, dass er es einfach mal probieren sollte. Ich sage: »Das ist ein Übungsweg, den muss man gehen. Da kann man nicht Zuschauer bleiben.«
Die Verhaltenspsychologie hat herausgefunden: Ob ich einen Vorsatz ausführe oder nicht, ist nicht eine Sache der Willensstärke, sondern eine Sache der Klugheit. Also: Wie möchte ich klug meinen Tag beginnen, damit ich das Gefühl habe, dass er mir guttun wird? Und guttun bedeutet hier, dass dieser Tag auch mein Tag wird. Rituale geben dem Menschen nämlich das Gefühl, selbst zu leben, anstatt gelebt zu werden. Letzteres wäre fatal. Viele Führungskräfte haben aber die Empfindung, sie werden gelebt, sie werden bestimmt von den Erwartungen, sie beugen sich dem an sie herangetragenen Druck. Niemand kann das auf Dauer unter Guttun verbuchen, im Gegenteil. Wenn man diese bitteren Erfahrungen verdrängt, suchen sie sich irgendwie einen anderen Weg.
Ein Beispiel: Ein Mitarbeiter von Daimler, der den innerbetrieblichen Fuhrpark betreute, meinte einmal zu mir: »Daimler baut ja ganz gute Autos, aber diese innerbetrieblichen Wagen, die für die Manager gedacht sind, die werden in kurzer Zeit völlig zuschanden gefahren, die Reifen, die Kupplung, die Bremsen, alles ist dann hin.« Ich wollte wissen, warum das so ist. Der Mann erklärte: »Die ganzen Aggressionen, die sich in ihnen aufstauen, weil diese Manager so unter Druck stehen, weil sie so viel tun müssen und sonst keinen Raum haben, um wieder zu sich zu kommen, die werden dann am Auto ausgelassen.«
Das, was nicht angeschaut wird, sucht sich ein Ventil. Und deswegen kann niemand ruhig sein, wenn ich selbst nicht weiß, wer ich bin und warum ich in dieser oder jene Weise handele. Wenn ich nicht weiß, wer ich bin, wenn ich nicht Objekt bin, sondern ich selbst. Und angesichts dieser Tatsache braucht es das Innehalten und natürlich eine Begleitung, dass das Selbst keine Angst bekommt, wenn es als Selbst angeschaut wird. Manche bekommen dann nämlich Angst. Manager sind gewohnt, etwas zu tun, denken vielleicht auch darüber nach, dass das, was sie in Gang gesetzt haben, ganz wunderbar wird. Aber ungeschützt sich still zu verhalten, einfach nur zu sein und das hochkommen zu lassen, was hochkommt, das kann unheimlich sein. Wobei das die grundlegende Bedingung ist, dass ich Ruhe finde und dann sage: »Wer bin ich eigentlich? Spiele ich überhaupt eine Rolle in dem, was ich gerade Leben nenne?« Die Frage »Wer bin ich?« kann oft nicht beantwortet werden. Die meisten haben eher eine vage Ahnung davon. Da heißt es dann: »Ich möchte authentisch sein. Ich möchte ich selbst sein. Ich möchte, dass es stimmig ist für mich.« Diese Formulierungen höre ich sehr häufig.
An diesem Punkt ist Demut gefordert. Denn Demut ist der Mut, in die Tiefen seiner selbst hinabzusteigen und seinem Schatten ins Gesicht zu sehen. Seinem Schatten ins Gesicht zu sehen, das ist das eine, das andere ist dann, ihn anzunehmen und darüber hinaus sogar über ihn zu sprechen. Und nicht nur im Privaten, sondern auch in der Firma, in dem Unternehmen, der Organisation, in der ich arbeite. Es ist erforderlich, dass ich mich öffne. Denn nur dann kann ich ich selbst sein.
Um sich selbst zu erkennen und das, was erkannt wird, auch wirklich anzunehmen, ist es notwendig, den Schatten zu erklären. Die meisten wollen ihn aber unter Verschluss halten, weil sie der Meinung sind, dass es dann unangenehm werden könnte. Unangenehm wird es, so halte ich dagegen, wenn der Schatten verdrängt wird. Man kann ihn nicht unter Verschluss halten, er wird sich immer in den eigenen Handlungen auswirken. C. G. Jung, der Schweizer Psychiater, sagte dazu, dass jeder Mensch immer beide Pole hat, Verstand und Gefühl, Liebe und Aggression, Glaube und Unglaube. Wenn wir einen Pol verdrängen und uns beispielsweise nur freundlich und liebevoll darstellen, nur so sein wollen, merken wir gar nicht, wie dennoch die Aggression in uns da ist – unbewusst.
Gerade bei Führungskräften findet sich eine sogenannte passive Aggression. Diese Menschen sind nach außen hin ganz freundlich, aber wenn man länger mit ihnen spricht, wird man selbst ganz aggressiv. Die eigene Reaktion deckt im Gesprächspartner seine verdrängte passive Aggression auf. Mit dieser passiven Aggression verdunkeln sie die Atmosphäre um sich herum. Sie bemühen sich, freundlich zu sein, aber ihre Wirkung nach außen ist gerade das Gegenteil. Die anderen Menschen verschließen sich ihnen gegenüber, weil sie diese passive Aggression wahrnehmen.
Nach der Klärung, dass ich den Schatten in mir nicht verdrängen kann, geht es in einem zweiten Schritt ums »Erlauben«. Der Schatten ist nichts Schlimmes, sage ich dann, er ist auch eine Chance. Es geht darum, den Schatten nicht zu bewerten. Er ist einfach da. Und wenn er angeschaut und angenommen wird, dann kann von ihm eine positive Energie ausgehen, dann bereichert er mein Denken und Handeln.
Das zu wissen ist sehr wichtig, denn viele haben Furcht davor, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Das ist verständlich, denn die Wahrheit ist gerade am Anfang nicht besonders angenehm. Sie stellt mein Selbstbild infrage. Aber dann, wenn ich es mir selbst erkläre, spüre ich, wie befreiend es ist, wenn ich vor nichts mehr davonlaufen muss. Eine Frau, eine Managerin, sagte mir einmal: »Ich kann nicht in die Stille gehen, da geht ein Vulkan in mir hoch. Da bin ich ja ständig in der Angst vor dem Vulkan. Da ist es dann doch besser, vor mir selbst davonzulaufen.« Meine Antwort: »Ja, vielleicht geht ein Vulkan hoch, aber der darf hochgehen, darunter ist trotzdem ein Raum der Stille. Halten Sie den Vulkan also nicht unter Verschluss. Das wird Ihnen sowieso nie gelingen. Gehen Sie durch den Vulkan in den inneren Raum der Stille. Dort, unterhalb des Vulkans, finden Sie in sich einen Raum, in dem all das Chaos in Ihnen keinen Zutritt hat. Da ist alles klar und rein und still. Da sind Sie ganz im Einklang mit sich selbst.«
Wenn mich meine Schattenseiten beunruhigen, ist es gut, sich einen Begleiter zu suchen. Doch viele Führungskräfte tun sich schwer, sich begleiten zu lassen. Viele stehen unter einem äußeren, einem objektiven Druck. Sie denken, sie würden ihre Probleme alleine bewältigen. Ihr Stolz hält sie davon ab, einem anderen zu erzählen, mit welchen Gedanken und Emotionen sie sich herumschlagen.
Ein Hindernis, innerlich zur Ruhe zu kommen, ist die ständige Erreichbarkeit. Gerade bei globalisierten Firmen ist das sehr ausgeprägt. Einen meiner Kurse nannte ich »Auf der Suche nach dem inneren Gold«. In ihm empfahl ich als Ritual das Türschließen. Ich sagte: »Rituale schließen die Türen und öffnen die Türen, ich muss die Tür der Arbeit schließen, damit die Tür der Familie aufgeht. Die Familie erkennt sofort, ob ich die Tür der Arbeit geschlossen habe oder nicht. Wenn die Tür nicht geschlossen ist, dann werden die Kinder unruhig. Sie spüren, dass ich nicht präsent bin, sondern noch in meiner Arbeit.«
Mehrere Teilnehmer meinten: »Wie soll das gehen? Ich kann meine Tür nicht schließen, ich muss ständig erreichbar sein. Rund um die Uhr muss ich E-Mails beantworten, gerade wenn ich ein Projekt in Asien oder Amerika habe.« Andere Teilnehmer hielten dagegen. Einer erzählte, ab 20:30 Uhr wäre er elektronisch nicht mehr zu kontaktieren, sämtliche Handys und Computer würde er zum Aufladen in die Küche verbannen. Ein anderer, ein Zahnarzt aus Hannover mit fünfzig Angestellten, sagte, er hätte auch klare Regeln aufgestellt. Bei fünfzig Angestellten wolle immer jemand etwas von ihm, aber ab 20:00 Uhr sei Schluss. Der Schutz der eigenen Privatsphäre ist immens wichtig. Das sollte jeder bedenken, der behauptet, er muss erreichbar sein, der sagt, »es geht nicht anders, sonst werde ich nicht fertig« oder »sonst verliere ich meinen Job«.
Das Problem der ständigen Erreichbarkeit ist sicherlich vorhanden. Aber man soll sich dem nicht einfach überlassen. Es ist wichtig, Wege zu finden, die Tür der Arbeit zu schließen. Bei manchen spüre ich, dass der Verweis auf die ständige Erreichbarkeit eine Ausrede ist, um sich nicht mit der Wahrheit auseinanderzusetzen.
Was gibt mir Sicherheit?
Bei uns im Kloster gibt es Kurse, in denen die Teilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt werden. Die einen agieren als Führende, die anderen als Geführte. Sie arbeiten miteinander und präsentieren dann, welche Ergebnisse sie erzielten und welche Gefühle sie im Umgang miteinander hatten. Von einer Führungsperson hörte ich einmal, wie sie sagte, dass die Geführten ihr ein Gefühl von Sicherheit gegeben haben. Das fand ich spannend. Ich fragte nach: »Durch welches Verhalten haben die Geführten Ihnen das Gefühl gegeben, dass Sie sich sicher fühlen?« Die Antwort: »Sie haben das gemacht, was ich gesagt habe.«
Das Gefühl von Sicherheit ist ein Grundbedürfnis des Menschen, vielleicht ist es auch dafür zuständig, dass es uns davon abhält, Dinge zu verändern. Wenn Menschen das machen, was ich sage – klar, das kann mir nur ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Das bedeutet ja, dass es so läuft, wie ich es haben will. Würde ich jetzt behaupten, wer fragt, der führt, dann würde das zu Unsicherheit führen. Allerdings führt die größer werdende Komplexität in unserer Gesellschaft dazu, dass man nicht alles wissen kann. Wie soll man damit umgehen? Vor diesem Hintergrund kann man doch den Mitarbeitern nicht nur sagen, was sie zu machen haben!
Gut, das Bedürfnis nach Sicherheit ist nicht von der Hand zu weisen, und es ist ein großes Bedürfnis. Aber wenn ich auf die Selbsterkenntnis zurückkomme, auf ein Sich-selbst-Erkennen, auf die eigene Haltung, wenn ich mir also meiner selbst bewusst bin und mir meine innere Haltung Halt gibt, dann suche ich meinen Halt nicht mehr im Außen. Das, was mich hält, was mir Sicherheit gibt, liegt nicht mehr so sehr im Außen.
Im Zusammenhang mit einer »inneren Haltung« ist mit Sicherheit auch das deutsche Wort »innehalten« interessant, das ich schon mehrfach benutzt habe. Es heißt ja »innehalten«, um im Inneren Halt zu finden. Ich mache halt, damit ich im Inneren Halt finde, damit ich mich bei mir selbst aufhalten kann. Und wenn ich mich in mir selbst aufhalte, vermag ich all die bedrängenden Einflüsse von außen abzuhalten. Und ich vermag, mich selbst auszuhalten, bei mir selbst zu bleiben. Wenn ich anhalte, werde ich in mir Haltungen entdecken, die mir Halt geben. Und ich werde in mir Haltungen finden, die mir auch Kraft geben, etwas zu gestalten.
Um zu verstehen, wie ich daran gehindert werde, anzuhalten, muss ich eine entsprechende Erfahrung machen, eine Erfahrung vom Innehalten. Deswegen gibt es unsere Klosterkurse, um bei gemeinsamer Stille zu merken, dass es guttut innezuhalten. Da geht kein Chaos hoch, oder wenn doch etwas hochkommt, dann darf das auch sein. Es ist die Erfahrung, dass die Gedanken, die in einem hochsteigen, kein schlechtes Gewissen bereiten dürfen. Es darf alles sein. Aber mitten in den inneren Turbulenzen gibt es in mir einen Halt, an dem ich mich festhalten kann. Dieser Halt gibt mir innere Sicherheit.
Die Frage aber ist: Wo finde ich diese innere Sicherheit? Worum geht es bei der Suche nach mir selbst? Was gibt mir diese Sicherheit? Geht es darum, selbst handeln zu können? Oder habe ich Angst davor, etwas zu verlieren, von dem ich glaube, dass es mich glücklich macht?
Um innere Sicherheit zu gewinnen, ist die Baumübung hilfreich. Ich stelle mich aufrecht hin, stelle mir vor, dass durch meine Füße, die auf der Erde stehen, Wurzeln in die Erde wachsen, die mich festhalten. Dann spüre ich meinen Stamm, der mir Halt gibt. Und ich spüre meine Krone. Wir sprechen ja von Baumkrone. Ich stehe da wie ein Baum. Der kann sich im Wind wiegen. Er ist kein starrer Betonpfeiler. In dieser Haltung des Baumes kann ich mir vorsagen: »Ich stehe zu mir. Ich stehe für mich ein. Ich habe Stehvermögen. Ich habe einen Standpunkt.« Dann kann ich meine Fußstellung ändern. Ich stelle mich ganz eng hin. Wenn ich mir dann vorsage: »Ich stehe zu mir«, merke ich, dass es nicht stimmt. Und wenn ich mir sage: »Ich habe einen Standpunkt«, ist es ein enger Standpunkt, den ich krampfhaft verteidigen muss.
Und ich kann das Gegenteil ausprobieren: Ich stelle mich ganz breitbeinig hin, so wie wir es aus Cowboy-Filmen kennen. Dann werde ich spüren, dass ich leicht nach vorne kippen kann. Und mein Standpunkt ist dann so verwaschen, dass ich ihn gar nicht mehr beschreiben kann. Wie ein Baum zu stehen, tief verwurzelt in der Erde, offen für den Himmel, das erzeugt ein inneres Gefühl von Sicherheit. Wenn ich in dieser Haltung einen Vortrag halte, brauche ich nicht von einem Bein auf das andere zu hüpfen. Dadurch würde ich den anderen nur meine Unsicherheit offenbaren. Schon allein die äußere Haltung gibt mir Sicherheit.
Alle Veränderungen erzeugen erst einmal Angst. Angst ist etwas, das aufsteigt, wenn ich mich unsicher fühle. Ich kenne mich nicht mehr so aus, und deswegen steigt Furcht in mir auf. Aus diesem Grund spreche ich nicht von Veränderung, sondern immer von Verwandlung. In der heutigen Zeit ist es ja modern, eine Firma ständig umzustrukturieren und sie zu verändern. Doch im Verändern liegt etwas Aggressives: Alles muss ganz anders werden. Wenn ich als Führungskraft sage, wir müssen in der Firma alles komplett anders machen, klingt das wie eine Aggression – und wird auch so aufgefasst. Es hört sich danach an, als hätte man den Mitarbeitern gesagt: »Ihr seid nicht gut, das, was ihr bisher gemacht habt, ist nicht in Ordnung gewesen. Wir müssen anders werden, die Firma muss eine andere werden.«
Die christliche Antwort auf die Sucht nach Veränderung ist Verwandlung. Verwandlung heißt: Ich würdige mich selbst und die Firma so, wie sie geworden ist. Aber zugleich spüre ich: Ich bin noch nicht der oder die, die ich von meinem Wesen her sein könnte. Auf die Firma bezogen heißt es: Wir sind noch nicht die, die wir von unserem Wesen her sein könnten. Aber ich würdige erst einmal alles, was die Firma und ihre Mitarbeiter bisher getan haben. Ich entwerte es nicht. Und ich frage nach der eigentlichen Identität: Was hat unsere Firma bisher ausgemacht? Was war unsere Idee? Und wie können wir diese Idee heute unter anderen Umständen so leben, dass wir unserer Identität, unserem Wesen und unseren Möglichkeiten treu bleiben?
Verwandlung erzeugt Lust in den Mitarbeitern, immer mehr in die Gestalt hineinzuwachsen, die in uns angelegt ist, die wir aber oft durch die Fixierung auf äußere Fakten wie Kennziffern vernachlässigt haben. Eine solche Sichtweise macht auch keine Angst. Gemeinsam mag man dann überlegen, wie wir uns entwickeln möchten, wie wir das Bild, das wir eigentlich in uns tragen, realisieren können.
Alle Mitarbeiter haben eine Mission, eine Idee davon, was ein Hotel, was ein Autokonzern, was eine Baufirma ist. Es wäre für eine Führungsperson wichtig, die Kräfte der Leute selbst zu wecken und ihnen nicht das Konzept, das man selbst in sich trägt, überzustülpen, ohne sie in die Entwicklung des Konzepts einzubinden. Man kann also nicht nur einfach behaupten, Veränderungen seien notwendig. Das erzeugt, wie gesagt, Angst. Und eigentlich erzeugt es auch Ablehnung. Bedeutet es doch: »Ich werde nicht wertgeschätzt, ich habe so viel gearbeitet, und jetzt kommt dieser Typ auf einmal mit ganz anderen Ideen.« »Ist das denn alles verkehrt gewesen, was wir bislang gemacht haben?« Solche Reaktionen kommen unweigerlich. Deshalb muss ich als Führungskraft immer erst das, was war, würdigen, damit jemand Lust hat, weiterzuwachsen. Dann ist auch die Angst vor dem Neuen nicht so groß.
Dieses Würdigen – das ist ein ganz wichtiger Punkt. Da ist zum einen das zu würdigen, was die Mitarbeiter leisten. Aber auch das, was die Führungskraft selbst getan hat. Selbst wenn sie vieles hektisch entschieden hat, hat sie sich ebenso wie die Mitarbeiter bemüht, hat sich angestrengt und vielleicht sogar viel bewegt. Selbst wenn nicht immer alles zum Besten verlaufen ist, ist das nicht zu verurteilen, nicht zu verdammen als etwas, das verkehrt gewesen ist. Auch das ist zu würdigen. Nur was ich würdige, kann ich verwandeln. Was ich entwerte, das bleibt an mir hängen.
Aber das ist noch nicht alles: Würdigen beinhaltet auch, sich seiner Würde bewusst zu werden, die sich auf das eigene innere Potenzial bezieht. Wir brauchen für unsere Arbeit innere Bilder. Denn von den Bildern hängt ab, wie wir die Arbeit erleben. Es ist gut, wenn wir gemeinsame Bilder für unsere Firma entwickeln. Aber jeder braucht auch persönliche Bilder, um das, was er tut, auf seine ganz individuelle Weise zu tun. Wenn jemand mit seinem inneren Bild in Berührung ist, wird er das, was er tut, gern tun. Und es wird ihn nicht ermüden. Die Ermüdung – Burn-out – ist oft ein Zeichen, dass jemand gegen seine inneren Bilder lebt.
Die Frage ist, wie wir mit unseren eigenen inneren Bildern in Berührung kommen. Hier ist wiederum die Kindheit entscheidend: Was sind die Erfahrungen, die man als Kind gemacht hat? Was wollte ich immer gern spielen, wie sah das Spielen aus, bei dem ich nicht müde wurde, bei dem ich ganz im Spielen aufging?