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Ein Buch, das den Leser zu den schönsten Kletterrouten der Welt, über ihre extremen Linien oder auf hohe Gipfel führt und gleichzeitig durch die Faszination der Gesteine in die Tiefe der Erdgeschichte eintauchen lässt. Eine Ode an den Stein. Stein, der den Kletternden Halt ermöglicht, Abenteuer
kreiert und als vertikales Spielfeld Greifen und Begreifen lehrt. Eine Ode an die Freundschaft, an bedingungsloses
Vertrauen, das das Unmögliche erst ermöglicht.
In den Geschichten der Autorin geht es dabei nicht um
Heldentum, sondern vielmehr um Reflexion der unterschiedlichsten philosophischen und psychologischen Aspekte und
geschichtlichen Hintergründe.
Ein Spiel zwischen Hart und Zart. Ein Buch, das nicht nur
Bergsportler zum Nachdenken einlädt, sondern auch Interessierten Mut zum Ausprobieren machen möchte und nach
Antworten auf die zentralen Fragen des Lebens sucht.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Stein Zeit Ewigkeit
Klettern in den schönsten Wänden der Welt
von Iris Häusel
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Ode an den Stein S.7
Aber klettern werde ich nie …S.9
„Dorthin – will ich; und ich traue Mir und fortan meinem Griff […]“ S.12
Die Eidechse im Kopf … S.14
Inhalt
Im Granit S. 23
Steinalt S.25
Yosemite 2007 S.26
Das Zauberwort „Trad“ S.27
Stately Pleasure Dome S.31
Cookie Cliff S.33
Royal Arches S.35
Shultz‘s Ridge: „Moratorium“ S.38
„King of the Generator“ S.40
The Half Dome S.41
„Hast du eine Regentanz veranstaltet heute Nacht“ S.43
Middle Cathedral Rock S.45
Arch Rock S.46
Die „Tempi Moderni“ des Kletterns
Valle dell‘Orco S.49
„Itaca nel Sole“ und „Tempi Moderni“ S.49
Val di Mello – der Garten Eden aus Stein S.51
„Risveglio di Kundalini“– Ort der Götter S.52
Luna Nascente – Die Geburt des Mondes S.54
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„Badile Cassin“
Durch die Nordwand des Piz Badile (3305 m) S.56
Overkill am Grimselpass
„Motörhead“ am Eldorado DomS.60
Über der Eisnase des Piz Scerscen
Eine Hochtour im Bernina-Gebiet S.62
Ein Spaziergang nach Afrika
Das Matterhorn über den Leonegrat S.64
Das Matterhorn als Felsgestalt S.65
Das Matterhorn als Projektionsfläche
menschlicher Abenteuerlust S.67
Cervinia S.68
La Corda della Sveglia S.70
Roadtrip durch die USA - Teil 1. S.74
Braindance in „No Country for Old Man“ S.75
„Auf ein Neues am Portal Buttress“ S.76
„The Line“ am Lover‘s Leap S.79
Strawinsky und „The Rite of Spring“ S.81
„The Rite of Spring“ S.83
Im Kalk S. 87
Watzmann Ostwand S.88
Verdon 2009
„Ein bisschen Englisch, ein bisschen Französisch, ein bisschen Fantasie“ S.92
„Ticket Danger“ S.93
„Von ganzem Herzen“ S.93
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Canada 2017
„Erst wenn der letzte Baum gerodet […]“
im Land der Cree-Indianer S.96
„Raptor“ am East End of Rundle S.97
„Bourgeau Slab“ S.99
Die Dolomiten
In Stein gebremste Faltung S.100
„Die gelbe Kante“ an der kleinen Zinne S.101
Gefangen im Enrosadira S.104
Mission Etienne S.104
„Non c´è due senza te“ S.107
„Bist du glücklich? Deklarier dich, aber hopp!“ S.109
„Hab ich eine Überraschung für dir heute!“ S.110
Gestern „Eisenstecken“, heute „Dibona“ an der Tofana di Rozes S.112
With a little help from my friends … S.115
Im Sandstein S.123
Zeit und Ewigkeit S.123
Roadtrip durch die USA - Teil 2
Zion – die Turmburg als Wohnsitz Gottes S.124
„Iron Messiah“ am Spearhead S.125
„Spartacus“ im Eldorado Canyon
„Yellow Spur“ – West Face of Redgarden Wall S.131
Philosophentürme und andere
Castleton Tower S.134
Lighthouse Tower S.136
Fisher Towers S.138
An den Ätna S.143
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„Es ist Zeit, daß der Stein
sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.
Es ist Zeit“
(Paul Celan)
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Zeit, sich der Materie zu widmen, die uns die Möglichkeit einer Fortbe-wegung in der Vertikalen verschafft. Eine Komposition vielgestaltiger Formen und Farben, in der kein einziger Stein, kein einziger Fels, weder Berg noch Gebirge dem anderen gleicht. Betrachtend offenbart sich das Gestein in Maß und Zahl, empfindend jedoch verbergen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft darin.
Als Zeugnis längst vergangener Welten ermöglichen uns Fels und Stein Einblick tief hinein in unsere Erde. Mitten hinein in das Herz dieser lebendigen, organischen Erde. Geprägt durch die in der Glut des Urknalls gebildeten Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde (Mi-neralien), liefern uns die Texturen der Gesteine darüber Auskunft. Vergangenes, das sich im Gegenwärtigen äußert, und Gegenwärtiges, das Vergangenes verändert.
Ein ewiger Kreislauf aus Werden, Verwandeln und Wieder-Werden. Ein Kreislauf, der in tiefen Schichten des Erdmantels oder der Erd-kruste flüssig als Schmelze beginnt. Flüssiges, das durch immensen Druck emporgehoben wird, erkaltet und sich zu Stein verfestigt. Stein, der – den Launen der Natur ausgeliefert – verwittert, zersplittert und, durch Wasser und Wind fortgetragen, als Geröll oder Sand mit pflanzlichen und tierischen Rückständen neue Verbindungen eingeht; sich chemisch verwandelt, um sich erneut als Spielball der Tektonik abzusenken oder emporzuheben.
Durch das Zusammenstoßen oder Zerreißen ständig gleitender Litho-sphärenplatten über dem glühenden Erdmantel wird neues Land kreiert, wandern, verschmelzen und zerreißen Kontinente, vertrocknen oder fluten Meere, türmen sich Gebirge auf, erzittern Landschaften oder brechen Vulkane aus. Ein übereinandergeschichtetes zeitliches Durcheinander, ein Spiel von Ineinander und Nebeneinander über Äonen, das stets neue Formen und Farben hervorbringt. Alles dreht, verkehrt und verwandelt sich, schreitet vor und zurück, als ein ewiges Vorübergehen. Ein Spiel, dessen Ball wir sind, indem wir hineinge-worfen wurden in diese unsere lebendige Erde.
Ode an den Stein
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Aber klettern werde ich nie …
Hommage an eine Freundschaft
„Komm mit uns zum Klettern“, hast du mir damals, in den 1970er-Jahren, zugerufen und ich antwortete prompt: „Nein, danke, ich will doch nicht so zerschunden und ramponiert aussehen wie du.“
Nach jedem Wochenende kamst du total übermüdet, mit knallroter Nase, wunder Lippe und übersät mit blauen Flecken aus den Wänden der Dolomiten zurück. Allein schon die Strapazen der Reise für ein nur kurzes Wochenende im klapprigen VW Käfer bis Italien und zurück, mit unbequemen Übernachtungen in Heuschobern – eine für mich damals undenkbare Tortour. Manchmal zeigtest du mir dann belustigt deine von Flohbissen hervorgerufenen juckenden Hautpünkt-chen, die ihr euch nächtens wieder eingefangen habt. Dein Strahlen während der Erzählungen eurer Abenteuer beim Erklimmen der einen oder anderen Route war für mich jedoch eindrucksvoll und prägend.
Die Jahre vergingen und auch ich fand immer mehr Gefallen an der Bergsteigerei. Unter den fürsorglichen Fittichen meiner mütterlichen Freundin Helene Hackl – das dumpfe Du war uns zu jeder Zeit suspekt – wagte ich mich auf immer höhere Berge. Als „Wermut-Schwestern“ genossen wir allwöchentlich den „g‘schenkten Dag“ auf irgendeinem bayerischen Gipfel und tranken benannten bitteren Tee. Nach zwei zehrenden Geburten und den nacht-und kraftraubenden Anfangs-jahren mit meinen beiden wundervoll aktiven Töchtern sowie neben Beruf und Hausbau fühlte ich meine Kräfte langsam zurückkehren. Natürlich würde ich nie klettern, das wusste ich genau. Zu dem einen oder anderen Klettersteig jedoch konntest du mich, Johanna-Ober-pfalz-Urgestein-Freundin, dann doch motivieren.
Und so sind wir jahrelang zusammen losgezogen auf Klettersteigen durch die Brenta, die Civetta, die Pala, die Sella, die Tofana. Wilde Bergweiber waren wir; laut, krachert und bayerisch – nein, nicht bayerisch, sondern oberpfälzisch!
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Du sangst in den höchsten Tönen mit deinem Blechkannen-Sopran derbes, altertümliches Liedgut und hast so manchen Hüttenwirt in den Wahnsinn getrieben. Selbst in den engen Lagerbetten waren wir nicht zu bremsen – einigen Mitschläfern zur Belustigung, anderen zum Ärgernis. Wenn ich, ob des einen oder anderen Überhangs im Klettersteig ängstlich jammerte, bekam ich ein strenges „Siehr und soder niad“, was übersetzt heißt: „Schau hin und schimpfe nicht“, von hinten zugeraunt. Meist nur ungenügend ausgerüstet, mussten wir uns einmal sogar mit unseren Unterhosen auf dem Kopf vor Sonne und Steinschlag schützen. Du kanntest jedes „Bleaml“, ob atypisch bastardiert oder reinrassig. Dazu rezitierten wir Gedichte von Rilke und Trakl. Unsere Ziele wurden immer anspruchsvoller: vom Sentiero Roma über den Pößnecker-Klettersteig zum Jubiläumsgrat, der – stets ausgesetzt – von der Zugspitze zur Alpspitze führt, bis hin zu den ersten richtigen Klettertouren!
Mit Paul Nigg, der Bergführer-Legende aus Pontresina, saßen wir zu-oberst rittlings auf La Fiamma, einer Flamme aus Granit, über dem Albigna-Stausee.
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„Dorthin – will ich; und ich traue Mir und fortan meinem Griff […]“
(Nietzsche)
Nein – dorthin wollte ich eigentlich nie, aber …
Juli 1996 – Sonnenwende
Eigentlich wussten wir, Johanna und ich, damals nichts von einer La Fiamma, dieser markanten Felsflamme, die neben dem Dente, einem steilen, buckligen Felszahn, hoch über dem Spazzacaldeira-Felsriegel im Bergell aufragt. Unser Plan war es, mit dem Bergführer Paul Nigg den Piz Bernina über den Biancograt zu besteigen.
Also kratzten wir unser Geld für zwei Bergführer-Tage zusammen und zogen, nach dem Hüttenaufstieg am Tag zuvor, um vier morgens von der Tschiervahütte aus über Blockgelände und einen spaltenrei-chen Gletscher los. Unterhalb der Prievelousscharte wurden wir, noch in der Morgendämmerung, von einem starken Gewitter überrollt. Wie die Hasen hockten wir mit den Steigeisen an den Füßen und den Pickeln, die wie Blitzableiter aus den Rucksäcken ragten, breitbeinig und ungeschützt auf dem Gletscher. „Frühe Bettlmanda ziagn wei-da“, so Johannas Kommentar und auch Paul Niggs „kleiner Finger“ deutete eine Wetterbesserung an, während der Regen auf uns nieder-prasselte und die Blitze, gefolgt von mächtigen Donnerschlägen, durch die Nebelschwaden zuckten. Ich fand weder Johannas Bettlerweisheit noch Paul Niggs „kleinen Finger“ besonders beruhigend und wünsch-te mich nur in die sichere Hütte zurück. Vollkommen durchnässt und bereits im Abstieg, entschied Pauls „kleiner Finger“ – das Wetter bes-serte sich tatsächlich –, wenigstens schnell (!) auf den Piz Morteratsch (3751 m) zu klettern, um anschließend nach Pontresina abzusteigen und am nächsten Tag vom Tal aus eine kleine Überraschungstour mit
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uns zu unternehmen. Wenn wir denn noch die Kraft dazu hätten!
Die aber hatten wir, und Paul war nicht wenig verwundert, als wir „Maidli“, wie er uns immer nannte, ihn nach einer Nacht in meinem Campingbus putzmunter um sieben Uhr früh zu Hause abholten.
Von Pontresina sausten wir über den Malojapass hinunter Richtung Chiavenna bis Pranzaira zur EWZ-Albigna-Seilbahn. Damals waren das noch unkomfortable Minikabinen für die Arbeiter des Elektrizi-tätswerkes. Oben auf 2162 Metern am Stausee angekommen, quer-ten wir zunächst auf grasigen Hängen unter der Felswand weit nach rechts zum Einstieg in den Nord-Ost-Grat der Spazzacaldeira-Wand. Noch waren Trittspuren vorhanden und wir krabbelten hinter Paul in der Falllinie hoch, bis wir zu einem Kamin gelangten. Hier begann, gut gesichert durch Paul, die Kletterei – und ich kann mich nicht er-innern, dass es mir, einer damals vollkommen unerfahrenen Kletterin, Schwierigkeiten bereitet hätte. Nach einer kurzen Abseilstelle, an der uns Paul fünf bis sechs Meter abließ, um den Felszapf des Dente zu umgehen, gelangten wir auf Wegspuren durch Granitblöcke hoch an den Fuß dieser zu Stein erstarrten Flamme. Da wurde es mir aber dann doch ein wenig mulmig. Johanna sicherte Paul, der sich behän-de die 22 Meter bis zur Spitze an dem rauen, aber griffarmen Granit über die 5c-Variante hocharbeitete. Für Johanna war dieser luftig aus-gesetzte Nachstieg eine Freude, ich weiß bis heute nicht, wie ich es damals geschafft habe, vor allem oben das rechte Bein um die Kante des frei aufliegenden Endquaders zu schwingen, um rittlings auf der Nadelspitze zum Sitzen zu kommen!
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Die Eidechse kann es und der Käfer,
die Schnecke, der Gecko, die Spinne,
auch die Schlange.
Nur der Mensch?
Wie kann er es können,
ohne die Oberflächenbeschichtung des Geckofußes samt seiner Kontaktelektrizität,
ohne den viskoelastischen Käfertrick,
ohne Schneck‘s Zweikomponentenkleber aus Schleim und Gel,
ohne dem Kräftespiel zwischen Atomen und Molekülen in den Hafthärchen an Spinnenfüßen und Eidechsenkrallen.
Nur die Schlange muss sich plagen, indem sie sich menschengleich mit reiner Muskelkraft an steilen Wänden anklammert und sich durch ein Spiel von Zusammenzug und Lösung ihrer Bauchschilder daran fortbewegt.
Die Eidechse im Kopf …
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DOCH NUN VORHANG AUF
Für den Menschen.
Für den kletternden Menschen.
Collage von Iris Häusel 2021
DAS BÜHNENBILD:
Der Venusberg: Berg der Begierde.
Filigran Skulpturales, massiv Wuchtiges,
steil Aufragendes, ineinander Verschobenes
vor rollendem Mond: Luna Nascente