Sternengefängnis Orn - Conrad Shepherd - E-Book

Sternengefängnis Orn E-Book

Conrad Shepherd

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Beschreibung

Wer oder was ist verantwortlich dafür, dass aus den einst so gütigen und weisen Worgun brutale Schlächter wurden? Ren Dhark steht vor der vielleicht schwierigsten Frage seines Lebens, und er muss sie beantworten, um entkommen zu können aus dem Sternengefängnis Orn...

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Ren Dhark

Weg ins Weltall

 

Band 32

Sternengefängnis Orn

 

von

 

Conrad Shepherd

(Kapitel 1 bis 4)

 

Uwe Helmut Grave

(Kapitel 5 bis 9)

 

Ben B. Black

(Kapitel 10 bis 15)

 

Jan Gardemann

(Kapitel 16 bis 18)

 

und

 

Hajo F. Breuer

(Exposé)

Inhalt

Titelseite

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

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Impressum

Prolog

Ende des Jahres 2065 steht die Menschheit am Scheideweg: Obwohl die Erde wieder auftaut, wurden 36 Milliarden Menschen nach Babylon umgesiedelt und richten sich dort unter der Regierung Henner Trawisheims neu ein. Doch der entwickelt sich in eine Richtung, die gerade den Gutwilligen überhaupt nicht paßt…

Auf der nur noch von ein paar Millionen Menschen bewohnten Erde hat der Wächter Simon drei Personen für das neue Wächterprogramm rekrutiert: Svante Steinsvig, Arlo Guthrie und – Doris Doorn! Die INSTANZ von ARKAN-12 schickt sie nach erfolgter Umwandlung in die Milchstraße. Ihre Aufgabe: Reparatur der defekten Station ERRON-2 und Überwindung der Schranke um Orn, die Heimatgalaxis der Mysterious oder Worgun…

Genau in dieser Sterneninsel machen der ehemalige Rebell Gisol und seine Kampfgefährtin Juanita auf Epoy, dem Ursprungsplaneten der Worgun, eine erschreckende Entdeckung: Eine geheimnisvolle Macht jagt alle Mutanten und versucht, das Volk der Hohen zu einer Gemeinschaft der Dummen hinabzuzüchten. Ihr Bericht bewegt Margun und Sola dazu, einen Notruf abzustrahlen…

Zur gleichen Zeit muß Ren Dhark erkennen, daß sich vieles verändert hat in seiner Heimat: Terence Wallis macht ihm und wenigen Auserwählten das Angebot der relativen Unsterblichkeit! Und auf Babylon hat Henner Trawisheim eine Diktatur errichtet. Er läßt Ren Dhark und seine Getreuen verhaften. Als ihnen die Flucht zurück in die POINT OF gelingt, bleibt auch Dan Riker und seiner gesamten Flotte nur noch die Desertion. Von Trawisheim zu Vogelfreien erklärt, will sich das kleine Rebellenhäufchen auf Echri Ezbals neuer Forschungswelt Wischnu treffen. Doch als er den Notruf von Orn erhält, ist Ren Dhark nicht mehr zu bremsen…

Mit Hilfe des geheimnisvollen goldenen Planeten überwindet er die Schranke um Orn – und erfährt vom vergeblichen Versuch der großen Worgun Margun und Sola, den Frieden in der Galaxis mit Hilfe eines gigantischen Parakraftverstärkers wiederherzustellen. Als man das Gerät ans Laufen bringt, kommt es zu einem unvorhersehbaren Rückkopplungseffekt. Es explodiert – und mit ihm die Gigantstation ARKAN-54.

Es gelingt, den Ausgangspunkt der Rückkopplung zu orten. Er liegt auf dem Freihandelsplaneten Newing im Tekmar-System. POINT OF und EPOY II landen auf dem Raumhafen der größten Stadt Diteren. Sie machen Bekanntschaft mit dem unheimlichen Baldurenkult – und kommen einem heimtückischen Plan der Worgun auf die Schliche, mit dem sie zwei Milliarden wehrlose Zyzzkt ermorden wollen…

In der Milchstraße ersinnt Henner Trawisheim einen perfiden Plan, um seine Umfragewerte zu verbessern: Er reaktiviert das Flottenschulschiff ANZIO und schickt es mit einem Fernsehteam an Bord auf eine Ausbildungsreise. Doch die Kandidaten wurden nicht nach Eignung, sondern nach Schönheit ausgesucht. Alles andere als schön sind hingegen die drei Politischen Offiziere, die neu an Bord sind und dafür sorgen sollen, daß niemand gegen die Interessen der Regierung verstößt. Einer von ihnen aber verfolgt ganz eigene Ziele – und als man nach ihm sucht, findet man in seiner Kabine nur einen unförmigen Fleischklumpen.…

1.

Jeremiah Ashton fühlte, wie Kälte die Haut seines Rückens körnte. Noch immer starrte er ungläubig auf die Szene, die sich seinen Blicken bot. Anstelle des erwarteten Politoffiziers Zondek hatte er nur einen kontur- und formlosen Fleischberg auf dem Boden der Kabine des Majors vorgefunden, als er nach dem Notruf mit der gebotenen Schnelligkeit in dessen Raum geeilt war.

Er brachte seinen Atem unter Kontrolle und stellte den Notfallkoffer ab; so wie es aussah, konnte er mit der darin vorhandenen Ausstattung sowieso nichts für das »Ding« tun. Die amorphe Masse, die den Alpträumen eines kruden Geistes entsprungen zu sein schien, versuchte unter krampfartigen Zuckungen so etwas wie Gestalt anzunehmen. Ein innerer Zwang veranlaßte sie, Pseudoglieder auszubilden. Parodien von Armen und Beinen wuchsen aus dem Gewebeklumpen und wurden wieder von ihm verschlungen.

Das Ding schien unter unvorstellbaren Schmerzen zu leiden. Monströse Münder öffneten sich, aus denen das Ungetüm vor Agonie stöhnte, bevor sie wieder in dem Haufen aus mißgestalteten Wucherungen untertauchten.

In der Kabine breitete sich ein penetrant süßlicher Geruch aus, gegen den die Klimaanlage machtlos schien.

Ashton rümpfte die Nase, als seine olfaktorischen Zellen vom Verwesungsgeruch vergewaltigt wurden.

»Verdammt!« knurrte er und schüttelte sich unwillkürlich. »Was geht hier vor? Woher kommt dieses Ding? Und wo«, setzte er sein Selbstgespräch fort, während er sich in der Kabine umsah, »ist überhaupt der Bewohner dieses Etablissements?«

Hinter sich hörte er ein Geräusch. Auf dem Absatz herumfahrend – aufgrund der vorgefundenen Situation konnte ihm eine gewisse schreckhafte Nervosität nicht abgesprochen werden –, sah er sich Linda Malmquist gegenüber.

Hinter der aus Schweden stammenden jungen Frau schoben sich weitere Wachen in die Kabine, erfahren wirkende Männer mit harten Gesichtern, die zur Stammbesatzung des Flottenschulschiffes zählten und einen starken Kontrast zu der eher zierlich und intellektuell wirkenden Rekrutin bildeten. Allen war anzusehen, daß ihnen der Gestank nicht behagte. Durch das offene Schott konnte Ashton zusätzliche Roboter erkennen, die die Gruppe vervollständigten beziehungsweise verstärkten – für den Fall der Fälle!

»Sie haben Alarm gegeben?« fragte Linda Malmquist inquisitorisch.

»Das habe ich«, erwiderte Ashton und nickte überflüssigerweise.

»Was liegt an?« begehrte die Rekrutin zu wissen. »Ist etwas mit Zondek geschehen?«

Ashton verkniff sich eine dumme Bemerkung über ihr übertrieben energisches Auftreten; offenbar hatte man sie zur Gruppenleiterin für das Team der Wachen bestimmt, was möglicherweise ihr forsches Verhalten erklärte.

»Ich denke nicht«, antwortete er nach kurzem Zögern.

»Sie denken. Aha. Hm.« Ihre Miene verriet nicht, was sie dachte. »Was ist dann hier passiert?«

Der Sanitäter schürzte die Lippen, dann zuckte er mit den Schultern, trat zur Seite und gab der Rekrutin den Blick auf das monströse Wesen frei, über das er sich selbst noch keinen Reim hatte machen können. »Bitte«, sagte er einladend. »Sehen Sie selbst.«

Während die Männer relativ unbeteiligt blickten, als sie den zuckenden Fleischberg zu Gesicht bekamen, konnte Linda Malmquist nicht verhehlen, daß ihr der Anblick doch mehr zu schaffen machte, als sie es sich eingestehen wollte. Sie atmete scharf ein, ihre Lider flatterten, und die sowieso schon helle Haut, die rothaarigen Schwedinnen zu eigen war, wurde um ein Deutliches blasser.

Sie kämpfte damit, nicht allzu offensichtlich die Fassung vor den Männern zu verlieren. Beherrscht erkundigte sie sich: »Und wo ist jetzt der PO?«

Sie trat an Jeremiah Ashton vorbei und näherte sich dem monströsen Gebilde.

»Keine Ahnung«, versicherte der Sanitäter wahrheitsgemäß. »Hier ist er jedenfalls nicht.«

Sie sondierte schweigend die Lage. Plötzlich schien sie in dem protoplasmatischen Haufen etwas entdeckt zu haben.

»Was haben wir denn da?« Trotz erkennbaren Widerwillens bückte sie sich und deutete mit spitzem Finger auf etwas Rotes, das aus dem Fleischberg ragte und sich regelrecht obszön bewegte.

Sie streckte die Hand danach aus, um das Objekt aus der zuckenden Masse herauszuziehen.

Sie mußte Kraft aufwenden, hatte einen unerwarteten Widerstand zu überwinden, so als hielt jemand am anderen Ende fest.

»Mist«, murmelte sie.

Ohne eine Miene zu verziehen, erkundigte sich Jeremiah Ashton: »Brauchen Sie Hilfe?«

»Bestimmt nicht.« Sie warf ihm einen finsteren Blick zu und verdoppelte ihre Anstrengung. Schließlich hatte ihr Bemühen Erfolg. Ein schmatzendes, richtiggehend ordinäres Geräusch wurde vernehmbar, als sie das Objekt ihrer Begierde völlig aus der Biomasse herauszog.

Nicht nur Ashton stieß einen überraschten Laut aus, auch die anderen zeigten sich mehr oder weniger perplex, als sich das rote Etwas als Teil einer Uniform entpuppte, die an Bord der ANZIO nur von den Politoffizieren getragen wurden.

»Hat das Ding etwa Zondek verschluckt?« ließ sich Korporal Flaherty hören.

Sein Nebenmann meinte nur lakonisch: »Hoffentlich hat es sich nicht den Magen verdorben…«

»Igittigitt!« Pikiert, mit einem Laut des Abscheus ließ Linda Malmquist den Ärmel von Zondeks Uniformjacke zurückfallen, aus dem vorher noch etwas gerutscht war, was selbst die Soldaten schlucken ließ. Ihr Gesicht hatte sich grünlich verfärbt.

Ihre Kiefermuskeln verkrampften.

Zum Teufel, dachte Ashton in einem Anflug von Schrecken, sie wird doch nicht…

Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht, als sie ein Geräusch von sich gab, das er nur zu gut kannte.

Er blickte sie an. »He, he«, sagte er warnend, »kotzen Sie mir ja nicht hier drin. Mir reicht schon der Gestank dieses Haufens hier…«

Verdammt. Es war zu spät. Er hatte noch nicht ausgeredet, als Linda Malmquist auch schon die Hände vor den Mund schlug und würgend loslief, auf die Hygienezelle von Major Zondeks Kabine zu.

»Bei den eitrigen Mandeln von Korporal Haines«, sagte Ashton mit Nachdruck, »ich habe die Kleine gewarnt.«

Während sich die Rekrutin nebenan die Seele aus dem Leib reiherte, rang sich der Flaherty ein mattes Grinsen ab und erkundigte sich pragmatisch: »Was machen wir damit?« Er deutete auf den Fleischberg. »Ich jedenfalls fasse dieses… dieses Ding auf keinen Fall an…«

»Das müssen Sie auch nicht, sowenig wie ich oder einer der anderen«, unterbrach ihn Ashton und überlegte rasch, »die Roboter werden es in die Quarantäneabteilung der Medostation schaffen. Sollen sich die Wissenschaftler den Kopf zerbrechen worum es sich handelt, meine Gehaltsstufe ist dafür zu niedrig.«

*

Hauptmann Konietzki nahm den A-Gravlift zur Zentrale und nutzte das kurzzeitige Alleinsein, um in Gedanken den Wortlaut der Meldung durchzugehen, die er Roy Vegas zu erstatten hatte.

Vor Minuten erst war er mit seinem Flashgeschwader vom Planeten Mediter zur ANZIO zurückgekehrt, unter absoluter Funkstille, aber mit dramatischen Neuigkeiten im Gepäck. Die Piloten waren von ihm verdonnert worden, in Alarmbereitschaft zu bleiben; sie würden erst dann daraus entlassen werden, wenn er den Einsatz als für beendet erklärte.

Doch bis dahin konnte noch Zeit vergehen.

Von wegen unbewohnte Welt!

Ralph Konietzki war Pragmatiker, und von unbewiesenen Prognosen und durch nichts begründete Vorhersagen hielt er nicht viel. Und ob eine Welt bewohnt beziehungsweise nicht bewohnt war, ließ sich nur durch ausgedehnte Ortung und besser noch durch Augenschein feststellen. Da konnten Babylon und sein verlängerter Arm an Bord des Flottenschulschiffes, die Politischen Offiziere, noch so überzeugend daherreden.

Sein Bericht über das, was sie auf der als Zielscheibe eines von Babylon angeordneten Wuchtkanonenbeschusses auserkorenen Welt vorgefunden hatten, würde einschlagen wie die sprichwörtliche Bombe. Obwohl die Lage alles andere als erfreulich war, lächelte Konietzki leicht über die Ambiguität dieses Gedankens. Diese Gemütsregung nahm die junge Offiziersanwärterin, die ihm im Ringkorridor begegnete, als Kompliment für sich in Anspruch und lächelte strahlend zurück. Ralph »Ralle« Konietzki spitzte die Lippen und nickte leicht.

Der Nachhall dieser Begegnung war noch auf seinem markanten Gesicht vorhanden, als sich einen Augenblick später das Hauptschott öffnete und er über Deck Vier die Hauptzentrale betrat, verlor sich dann aber rasch.

Für ein Ringschiff dieser Größe war in der Zentrale der ANZIO erstaunlich viel Platz, was daher rührte, daß sich das Steuerzentrum des Ovoid-Ringraumers der Rom-Klasse über zwei Decks erstreckte. Der kreisrunde Raum mit seiner domähnlichen Optik zeigte das gewohnte Erscheinungsbild.

Jede Oberfläche der Konsolen und Pulte war von Monitoren und Instrumentenanzeigen bedeckt.

Routiniert ließ Konietzki den Blick durch die Zentrale schweifen.

Die Bildschirme zeigten Ausschnitte der Schiffssektionen, während in der Bildkugel die Sterne des Alls zu sehen waren. Die Sonne des Zielsystems war unter all den Sternen nichts als ein weiterer Lichtpunkt unter den Milliarden anderer.

Konietzki nahm Haltung vor Oberst Roy Vegas an und salutierte vorschriftsmäßig. »Sir, melde mich vom Einsatz zurück.«

Vegas nickte. »Rühren, Hauptmann. Stehen Sie bequem.«

»Danke, Sir.« Der Kommandant des Flashgeschwaders stellte die Füße leicht auseinander.

Seiner Miene war nicht zu entnehmen, was er über die beiden Kameramänner des Teams von Carla Sesti dachte, die seinen Auftritt festhielten.

Als sein Blick allerdings auf die beiden PO Todd und West fiel, verfinsterte sich sein Gesicht.

Roy Vegas, der ihn beobachtete, wußte, was in dem Hauptmann vorging, daß ihm ganz gewaltig etwas gegen den Strich ging. Er mußte keine hellseherischen Fähigkeiten besitzen, um zu erkennen, daß die Flash Konietzkis auf dem namenlosen Planeten eines anonymen Systems etwas anderes entdeckt hatten als erwartet beziehungsweise von Babylon vorhergesagt. Was genau, wußte nicht einmal er. Konietzki hatte seinen Piloten aufgetragen, absolute Funkstille zu halten. Damit war er einem Befehl nachgekommen, den Vegas selbst gegeben hatte.

Vegas sagte: »Berichten Sie, Hauptmann. Was haben Sie über den Planeten herausgefunden? Ist er für ein Manöver mit den Wuchtkanonen geeignet?«

Konietzkis Gesicht verhärtete sich. »Nur wenn Sie den Tod von mehreren Millionen menschlicher Individuen in Kauf nehmen, Sir.«

Für einen Augenblick schien die Situation in der Zentrale wie eingefroren.

Vegas setzte sich bolzengerade auf. Sein Blick traf sich mit dem Konietzkis. Dann begriff er – und nickte. Er machte den Eindruck, als hätte er nichts anderes erwartet. Er sah hinüber zu den beiden Politoffizieren, von denen zu seiner Nummer Eins, schließlich wandte er seinen Blick wieder Konietzki zu. »Klären Sie uns auf, Hauptmann«, forderte er, während er sich im stillen darüber wunderte, wo Zondek blieb.

»Auf Mediter«, begann Konietzki, wurde aber durch eine Handbewegung des Kapitäns unterbrochen.

»Mediter?« Vegas’ Brauen hoben sich fragend.

»So nannten die Bewohner ihre Welt«, informierte ihn der Hauptmann und setzte seinen Rapport fort.

Knapp, schnörkellos, ohne überflüssiges Beiwerk berichtete er, wie sie in einer Wüstenregion eine riesige Stadt entdeckt hatten, die in ihrer architektonischen Gesamtheit überraschend dem altbabylonischen Baustil entsprach, wie die Biospürer Millionen von Echos aufgezeigt hatten, die sich in und um diese Megalopole gruppierten, wie sie damit begonnen hatten, auf allen Frequenzen eine Grußbotschaft zu senden, ohne jedoch zunächst einen Erfolg zu erzielen, wie schließlich der erste Kontakt zustandegekommen war, nachdem sie ihre Bemühungen auf den Bereich der niedrigen Radiowellen ausgedehnt hatten, mit denen die Planetenbewohner sogar Bildinformationen zu übertragen wußten.

Er kennzeichnete kurz die Lage, die sich ihnen dargeboten hatte, und endete dann: »Wer beschreibt unsere Überraschung, als wir Menschen fanden…«

»Sie meinen wohl Humanoide«, sagte Carla Sesti.

»Dann würde ich es so formuliert haben«, beschied ihr Konietzki mit einem halben Lächeln.

»Also wirklich Menschen? Menschen wie wir?« insistierte die Starreporterin von Terra-Press überrascht.

»Richtig. Menschen wie wir – bis auf den Unterschied, daß ihre Pupillen nicht rund wie die unseren sind, sondern waagerecht geschlitzt.«

»Verständigungsprobleme?«

»Nein«, beschied ihr Konietzki und lächelte etwas stärker. »Die Verkehrssprache auf Mediter scheint Angloter zu sein. Allerdings sprechen sie es mit leichtem Akzent.«

»Was können Sie uns über ihre Technologie verraten?« mischte sich überraschend Frank West ein.

Konietzki runzelte die Stirn. »Nichts.«

»Nichts?« echote der Politische Offizier verwundert und suchte den Blick seines Kompagnons.

Mark Todd kam ihm zur Hilfe. Vegas’ Autorität übergehend, baute er sich mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor dem Piloten auf.

»Heraus mit der Sprache«, blaffte er. »Sagen Sie schon, was Sie uns vorenthalten. Warum haben Sie eigentlich Funkstille angeordnet? Wollten Sie etwas verheimlichen?«

Da er mehr als einen halben Kopf kleiner als Konietzki war, befand er sich nicht auf Augenhöhe mit ihm, sondern mußte zu ihm aufschauen, was ihn insgeheim mächtig fuchste.

»Warum sollte ich Ihnen etwas verheimlichen wollen?« antwortete Konietzki in einem Tonfall, der knapp an einer Körperverletzung vorbeischrammte. »Und was die Funkstille betrifft: Sie sind erstens nicht mein Vorgesetzter, und zweitens war strikte Funkstille bereits von Babylon angeordnet – schon vergessen? Im übrigen nehme ich nur Befehle von meinem Vorgesetzten an. Meinen Sie, Sie kriegen das endlich gebacken, daß an Bord dieses Schiffes nicht Protegés von Staatssekretär Nigel Laytons Gnaden das Sagen haben, sondern ausschließlich der Kapitän?«

In der Zentrale wurde es plötzlich still. Offenbar wollte niemand die verbale Auseinandersetzung zwischen den beiden Hauptleuten verpassen.

Mark Todd lief erst rot an, dann wurde er bleich. Er setzte zweimal zum Sprechen an. Schließlich zischte er: »Ihrem Dossier nach sollen Sie ein cleverer, intelligenter Mann sein. Das sehe ich nicht so, überhaupt nicht, Herr Hauptmann, denn gerade haben Sie dafür gesorgt, daß Sie auf Babylon vor ein Kriegsgericht gestellt werden, sobald die ANZIO dort ankommt.«

Die Augen der beiden Männer bohrten sich ineinander; alle anderen in der Zentrale spielten in diesem Moment nur noch Statistenrollen.

Gefährlich ruhig bemerkte »Ralle« Konietzki: »Das dürfte Ihnen schwerfallen, selbst wenn Sie Günstlinge von wem auch immer sein mögen.«

Zwei Sekunden lang flackerte ein unbekanntes Leuchten in den Augen des Politoffiziers, als er versuchte, dem Blick des Mannes vor ihm standzuhalten, dessen ganze Körperhaltung seine omnipräsente Überlegenheit verriet. Dann erlosch das Leuchten wieder; Todds Blick irrte ab und suchte Hilfe bei seinem Kollegen Frank West. Der blickte finster, verschlagen und schien keineswegs erpicht darauf zu sein, West zur Hilfe zu eilen.

Etwas weiter hinten raunte Carla Sesti ihrem Hauptkameramann zu: »Hast du auch alles im Kasten, Bursche?«

»Aber ja, Mädchen«, gab John Varda leichthin zurück; er wußte sich durchaus der Nadelstiche seiner Chefin zu erwehren.

Mädchen.

Carla stieß ein Zischen aus, das an eine angreifende Viper gemahnte.

Irgendwann, dachte sie, würde sie dieses Riesenbaby von Kameramann für das penetrante »Mädchen« in eine Luftschleuse stoßen, den Weg zurück verriegeln und das Außenschott öffnen. Bei den Gedanken an diesen Vorgang beruhigte sie sich wieder und fokussierte ihre Aufmerksamkeit erneut auf die beiden Kontrahenten.

Es war der Kapitän, der das verbale und geistige Duell zwischen Konietzki und dem Politoffizier beendete. Seine Stimme übertönte mühelos die Arbeitsgeräusche in der Zentrale. »Schluß, meine Herren. Heben Sie sich Ihre Differenzen für die Freizeit auf. Wir haben genügend Trainingsräume zum Abkühlen heißer Köpfe an Bord.«

Todd schnaubte durch die Nase wie ein Roß, dem man sein Bündel Heu weggenommen hatte. Dann machte er auf dem Fuße kehrt und ging hinüber zu Frank West.

Vegas wandte sich an seinen Pilotenausbilder. »Fahren Sie fort mit Ihrem Bericht, Hauptmann Konietzki. Die Frage war die nach einer Technologie, ob vorhanden oder nicht.«

Konietzki drückte seinen Rücken durch. »Aye, Sir. Fakt ist, es gibt so gut wie keine Energieerzeugung nach unserem Verständnis. Die Taster stellten lediglich fest, daß auf den Planeten Unmengen von fossilen Ressourcen verbrannt werden. Der enorm hohe Ausstoß an CO2-Emissionen – vermutlich aus großen Fabrikationsanlagen – läßt Rückschlüsse darauf zu, daß es sich um eine präatomare Zivilisation handeln könnte.«

Roy Vegas stimmte nach kurzem Überlegen zu, und seine Nummer Eins, Olin Monro, ließ verlauten: »Vermutlich dürften sie noch nicht über das Dampfmaschinenzeitalter hinausgekommen sein. Wenn es hochkommt, befinden sie sich gerade an der Schwelle zur ersten industriellen Revolution.«

»Wie paßt dann ihre interplanetarische Kommunikation ins Bild?« gab Kerim Bekian zu bedenken, der breitschultrige Funk- und Ortungsspezialist der ANZIO zeigte wie üblich seine pessimistische Miene, »obwohl diese nur durch primitive Radiowellen vonstatten geht, mittels der sie – welch ein Wunder! – sogar eine visuelle Verbindung herzustellen in der Lage sind, ungeachtet der Tatsache, daß ihre Zivilisation an und für sich zu keiner drahtlosen Nachrichtenverbreitung fähig sein dürfte.«

»Ein Widerspruch an sich«, stimmte ihm Jay Godel zu, Vegas’ Zweiter Offizier.

Konietzki meldete sich erneut zu Wort. »In der Tat sind die Mediter per se ein äußerst widersprüchliches Volk.«

»Ich höre?« Vegas blinzelte überrascht.

Konietzki antwortete: »Als uns endlich der Kontakt zu den Meditern gelang, reagierte mein Gegenüber auf dem Monitor verärgert und geradezu wütend bei meinem Anblick. Er unterstellte mir, daß mich Trainor geschickt hätte, um erneut ihn und sein Volk zu verhöhnen. Höchst verwirrend, nicht wahr?«

Vegas legte die Stirn in Falten. »Irren Sie sich auch nicht, was den Hinweis auf die Trainors betrifft?«

Es wäre kein Irrtum möglich, versicherte der Hauptmann. Er fuhr fort: »Erst nachdem ich ihn mit einiger Überredungskunst davon überzeugt hatte, auf keinen Fall von Steven Trainor geschickt worden zu sein und auch nicht von dessen Vater Charles Norris, wurde er umgänglicher und bat mich schließlich quasi händeringend darum, sein Volk aus dieser Hölle Mediter zu erlösen, die zu verlassen es aus eigener Kraft nicht in der Lage wäre… können Sie sich einen Reim darauf machen, Kapitän?«

Vegas verneinte. »Höllisch verwirrend, das ganze«, gestand er und runzelte die Stirn.

»Darf ich einen Vorschlag machen, Sir?«

»Bitte.« Vegas nickte.

»Funken wir Bel Air an und versuchen herauszufinden, welche Verbindung es zwischen den Meditern und den Trainors gibt.«

»Das lassen Sie gefälligst bleiben!« hallte Todds Stimme durch die Zentrale.

Vegas sagte: »Wer oder was sollte uns davon abhalten, Hauptmann?«

West straffte seinen ohnehin schon angespannten Körper noch mehr.

Seine Stimme sollte sicherlich befehlend klingen, aber vor Eifer überspannte er den Bogen etwas zu sehr und konnte nicht verhindern, daß sie leicht keifend tönte. »Der Befehl des Flottenhauptquartiers bezüglich einer strikten Funkstille hat nach wie vor Bestand. Und wir sind hier, um die Einhaltung dieser Anordnung zu gewährleisten, Vegas.«

Der Kapitän blickte grimmig. Zorn wallte in ihm auf. Er knurrte: »Das heißt noch immer ›Sir‹ oder ›Oberst Vegas‹ für Sie, West.«

Mit einem »Papperlapapp!« und der entsprechenden Handbewegung wischte der Rotuniformierte die Rüge des Kommandanten beiseite und begab sich damit in unmittelbare Gefahr.

Ron Nozomi, der den beiden »Aufpassern« am nächsten stand, machte einen Schritt auf Frank West zu. Schweiß glänzte plötzlich auf der Stirn des Politoffiziers.

»Was erlauben Sie sich, Sie roter Hanswurst!« grollte der athletische Astrogator grimmig.

Die Situation schien einer Eskalation zuzustreben, aber ein scharfes »Mister Nozomi!« des Kapitäns entschärfte den sich abzeichnenden Konflikt.

West atmete insgeheim auf und zeigte bereits wieder seine impertinente Miene.

Carla Sesti, deren Team alles das aufzeichnete, sah sich aufgrund der unvergleichlichen Dramaturgie dieser Situation schon auf dem Olymp ihrer journalistischen Arbeit angekommen. Am liebsten hätte sie sich die Hände gerieben.

Vegas überlegte für Sekunden, dann betätigte er einen Kontakt auf seiner Konsole.

Auf den beiden Arbeitsbildschirmen der Feuerleitzentralen zeigten sich die Konterfeis der Oberleutnants Maynard Dawson, Chef der Waffensteuerung West, und Lee Denschikoff, seines Zeichens Chef der Waffensteuerung Ost.

»Gentlemen«, sagte Vegas mit ruhiger Stimme.

»Sir?« klang es unisono aus dem Bordsprech.

»Brechen Sie unverzüglich die Vorbereitungen für den Beschuß des Planeten Mediter ab.«

*

Von einer Sekunde zur anderen begann die Situation sich erneut zu verschärfen.

»Haben Sie Ihren Verstand verloren?« platzte es aus Frank West heraus.

»Das glaube ich nicht«, sagte Oberst Vegas lakonisch. »Ich war mir noch nie über etwas so klar wie gerade jetzt.«

Sich nur mühsam beherrschend fauchte West: »Ich erteile Ihnen den strikten Befehl, mit den Vorbereitungen des Beschusses von Mediter fortzufahren.«

»Werden Sie nicht albern«, antwortete Roy Vegas herablassend. »Sie erteilen hier gar nichts.«

Aus den Augenwinkeln sah er, wie Sestis Team sich fast überschlug, um auch ja nichts zu verpassen.

»Befolgen Sie unseren Befehl. Auf der Stelle!« schrie jetzt West mit hochrotem Kopf.

»Wiederholen Sie ihn«, verlangte Vegas und gab seiner Nummer Zwei ein unmerkliches Zeichen, das den beiden PO in ihrer Unbeherrschtheit entging. Außerdem entging ihnen, daß Jay Godel auf Vegas’ Wink die Bordsprechanlage aktivierte, so daß im ganzen Schiff jeder mithören konnte, was in der Zentrale gesprochen wurde.

»Wie…? Was?« Mark Todd musterte den Kapitän aus schmalen Augen.

Vegas’ Stimme wurde laut, als er erwiderte: »Ist das so schwer zu verstehen? Ich möchte nur, daß Sie Ihren Befehl wiederholen, damit es keinesfalls zu einem Mißverständnis kommt, mehr nicht.«

»Verdammt«, schnappte West wütend, »Sie sind ein selten sturer Hund. Aber bitte…«

Ohne Rücksicht auf die laufenden Kameras von Carla Sestis Team wiederholte er laut und deutlich den Angriffsbefehl auf Mediter. Und jeder im Schiff wurde Zeuge, wie Mark Todd eiskalt die Ermordung von Millionen Intelligenzen anordnete und Roy Vegas mit dem Kriegsgericht drohte, falls er diesem Befehl nicht nachkommen würde.

Für einen langen Augenblick wurde es still in der Zentrale und im Schiff, als jedem die Konsequenz deutlich wurde.

Dann sagte Vegas mit brutaler Offenheit: »Sie sind verrückt. Eindeutig. Sie haben das letzte Quentchen Verstand, das ihnen Mutter Natur aus unerfindlichen Gründen zur Verfügung gestellt hat, gerade eben verbrannt.«

»Sie… Sie jämmerlicher Raumfahrer«, ergriff Todd Partei für seinen Kameraden. »Wagen Sie es nicht, uns als unzurechnungsfähig hinzustellen.«

»Potz Blitz!« polterte Vegas mit einem gefährlichen Glitzern in den Augen, deren Blau sich nahezu in Schwarz verwandelt hatte. »Ich vergaß, Sie gehören ja auch dazu. Nun, ich erkläre Sie hiermit in aller Öffentlichkeit ebenfalls für geistig verwirrt und betrachte Sie und Ihre Brüder im Geiste als Gefahr für die allgemeine Sicherheit an Bord meines Schiffes.«

Vegas war bereit – und willens –, jeden Widerstand seitens der beiden Männer zu brechen, und er konnte, wenn es darauf ankam, buchstäblich schonungslos vorgehen. Jetzt, so dachte er, war das Maß voll. Oder, um ein altes Sprichwort anzuwenden, das er noch aus den Tagen seiner Kindheit kannte: Der Krug ging bekanntlich immer nur so lange zum Brunnen, bis er zerbrach.

Er hob den Kopf und sprach scheinbar ins Leere: »Chester!«

»Ich habe alles gehört, Skipper«, kam Major McGraves’ körperlose Stimme über Bordsprech.

»Kommen Sie in die Zentrale und bringen Sie ein paar kräftige Rekruten mit, ich habe…« Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden.

Das Hauptschott zischte auf. An der Spitze einer Gruppe Rekruten stürmte Major McGraves in die Zentrale.

»Ich war gerade dabei, Ihnen aus eigenem Antrieb zur Hilfe zu kommen, Skipper«, sagte er mit einem ganz und gar unüblichen Grinsen auf seinem ansonsten meist bekümmert blickenden Gesicht, als er Vegas’ Blick auffing. »Was soll mit den beiden Heinis geschehen?« erkundigte er sich mit lässiger Stimme.

»Arretieren«, ordnete der Oberst an und lächelte anerkennend.

»Männer… und Mädels!« ließ sich der Major der Rauminfanterie vernehmen und winkte die jungen Rekruten nach vorn. »Ihr wißt, was zu tun ist.«

West und Todd sahen sich ex abrupto von den Rekruten umstellt.

Todd klappte den Verschluß seiner Waffentasche auf – und hielt inne, als der junge Rauminfanterist, der ihn im Auge hatte, mit einem »Ts ts« den Kopf wiegte und den Lauf des Multikarabiners etwas anhob, so daß Todd genau in die Mündung sah. »Wagen Sie es nicht, Hauptmann«, sagte der junge Infanterist lässig und schob seinen Kaugummi in die andere Backe. »Ich sähe mich sonst gezwungen, Ihnen weh zu tun. Und das wollen Sie doch nicht, oder?«

Es war purer Wildwest, den Filmabenden in der Messe der ANZIO geschuldet, aber es wirkte.

Mark Todd ließ mit giftiger Miene die Hand sinken. Sich von einem Rekruten derart herablassend behandeln zu sehen, war mehr als deprimierend und offenbar eine vollkommen neue Erfahrung für den Politoffizier.

Frank West erging es nicht besser.

Und vermutlich hätten die Rekruten nicht einmal vor Major Adam Zondek zurückgeschreckt, wäre dieser anwesend gewesen.

»Entwaffnen, die beiden!« befahl Major McGraves mit markiger Stimme – und leichte Verwirrung zeigte sich auf seinem Gesicht, als er sich vom zweiten Kameramann aus Carlas Team, Rob Mahon, in den Fokus genommen sah. Er hatte sich noch immer nicht ganz mit dem Hype abgefunden, den Carla Sesti einmal um die Reise der ANZIO, zum anderen um den Skipper sowie um seine eigene Person veranstaltete.

Widerstrebend händigten Todd und West ihre Waffen aus.

»Sie haben den Verstand verloren, Oberst«, wandte sich Todd an den Kapitän. »Uns so zu behandeln. Ich warne Sie, Sie werden es bereuen.«

»Wir werden sehen«, erwiderte Vegas, »wer was bereut. Vorläufig haben Sie die schlechteren Karten.«

»Nicht mehr lange, Oberst«, versprach Todd, der fast außer sich war ob der Erniedrigung, die er hier vor den Augen und Ohren fast der gesamten Schiffsbesatzung hinnehmen mußte. Und er wiederholte: »Nicht mehr lange.«

Niemand in der Zentrale bemerkte den Unterton seiner Worte. Alle hörten plötzlich nur seine übermäßig laute Stimme, mit der er über Bordsprech den Kampfrobotern im Schiff den Befehl gab, alle Besatzungsmitglieder, die keine roten Uniformen trugen, zu verhaften und im Lagerraum 3 festzusetzen.

»Verdammt«, sagte Kerim Bekian mit Inbrunst, »ist der Kerl vollends durchgedreht?«

»Er spinnt tatsächlich«, brachte es Ron Nozomi auf den Punkt. »Ich fürchte, die letzten dreißig Minuten waren einfach zuviel für sein schlichtes Gemüt. Zum Glück hustet ihm unser Supergehirn etwas. Todds Stimmenmuster ist nicht in seiner Befehlsstruktur integriert. Und den Rechner über die Gedankensteuerung manipulieren zu wollen, kann er gleich ganz vergessen.«

Die Bordgehirne der S-Kreuzer und der Ovoid-Ringraumer der neuen Generation konnten alle per Tastaturbefehle, über eine akustische Ansprache oder mittels Gedankensteuerung angesprochen werden. Aber nur von den Führungsoffizieren. Wobei die letzte Möglichkeit wiederum nur Kapitän und Stellvertreter offen stand.

Vegas hob die Stimme. »Befehl widerrufen!« gab er dem Hyperkalkulator zu verstehen. »Sofort!«

Es erfolgte keine Reaktion.

Vegas registrierte die ratlosen Blicke der Zentralebesatzung. Er versuchte es wieder. Der Hyperkalkulator reagierte auf keine seiner Anordnungen. Die Befehle, die er über die Gedankensteuerung gab, griffen ebenfalls nicht, sosehr er sich auch bemühte.

Sein Blick flog hinüber zu Kerim Bekian. Der überprüfte einige Anzeigen auf seiner Konsole. Dann schüttelte auch er den Kopf.

Vegas preßte die Kiefer aufeinander, bis sich die Muskeln wie Stränge auf seinen Wangen abzeichneten.

»Was geht hier vor?« knurrte er grimmig. Er musterte Mark Todd aus verengten Augen. Etwas störte ihn an der Situation. Nur was? Und dann fiel es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen. Er wandte sich an McGraves, der unmittelbar neben ihm stand. »Er spinnt nicht«, sagte er mit leichtem Erschrecken. »Dafür ist er sich seiner Sache zu sicher, Chester. Sehen Sie nicht seine siegessichere Miene? Er hat etwas in der Hand, wovon wir nichts wissen. Nur, was ist es?«

Die Antwort lieferte eine halbe Sekunde später Olin Monro, sein Erster Offizier.

»Skipper!« rief er mit alarmierter Stimme.

»Was gibt es, Nummer Eins?«

»Der Hyperkalkulator negiert alle Eingaben über die Konsole. Ich kann das Schiff nicht mehr steuern.«

Vegas fuhr herum und nahm Mark Todd ins Visier.

Der PO grinste in herausfordernder Weise überheblich.

»Sagte ich nicht, Sie würden es bereuen, Oberst?«

Vegas beherrschte sich nur mühsam, er stemmte die Hände in die Seiten und erwiderte, scheinbar mit unnatürlicher Ruhe: »Hier ist etwas im Gange, das ich nicht kenne. Irgendwie ist es Ihnen gelungen, den Hyperkalkulator zu sabotieren. Das werde ich nicht zulassen. Hören Sie gut zu, alle beide, denn ich pflege nur einmal zu warnen. Wenn Sie nicht augenblicklich Ihre Manipulationen zurücknehmen, lasse ich Sie auf der Stelle erschießen.«

Todd lachte, laut und scheppernd. »Besser, Sie bescheiden sich, Kapitän. Wir haben das Schiff in der Hand. Und was Ihre Warnung angeht – ich habe auch eine für Sie.«

Mit einem irren Glitzern in den Augen und ungeachtet der Tatsache, daß Carla Sestis Kameras mitliefen, wandte er sich über Bordsprech an die Kampfroboter. »Code Alpha. Code Alpha. Wer sich der Festnahme widersetzt, wird auf der Stelle erschossen.«

Danach widmete er sich erneut dem Kapitän. »Selbst wenn Sie uns erschießen, werden die Roboter die Befehle ausführen. Wäre ich Schachspieler, würde ich sagen, daß Sie zugunfähig sind. Stimmen Sie mir zu?«

»Sie sind von allen guten Geistern verlassen«, erwiderte Vegas. »Wozu das alles? Was bezwecken Sie mit Ihrem Tun?«

»Können Sie sich das nicht denken?«

»Denken kann ich mir vieles«, versetzte der Kapitän und lächelte kurz; es war kein freundliches Lächeln, ganz und gar nicht. Er sah Todd scharf an: »Aber ich bin mir sicher, daß es etwas mit Mediter zu tun hat… und mit meiner Weigerung, den Planeten aus dem All zu fegen.«

Ins Schwarze getroffen, dachte er, als er das Zucken um Todds Mundwinkel bemerkte. Es schien tatsächlich ein Patt zu sein. Ein Patt bedeutete aber noch keine Niederlage, und er wußte auch schon, wie sein nächster Zug aussehen würde.

Jay Godel lieferte die Information, daß sich die Zugänge zur Zentrale nicht mehr schließen ließen.

Und Olin Monro schlug seinem Skipper vor, Alarmstufe Rot auszurufen.

»Tun Sie es, Nummer Eins«, stimmte Vegas zu.

Der Alarm heulte durch sämtliche Decks des Ovoid-Ringraumers und scheuchte auch noch die letzten Schlafmützen der Freiwache aus ihren Dunstkuhlen.

»Das bringt Ihnen außer Kopfschmerzen vom Lärm nichts«, höhnte Frank West.

Chester McGraves sah Vegas von der Seite an. »Wir sollten sie in die Zellen bringen. Ich kann ihre Gesichter nicht mehr sehen.«

»Ergeht mir genauso. Aber ziehen wir ihnen erst die roten Uniformen aus. Ohne diese befinden sie sich nämlich in derselben Gefahr wie wir anderen auch.«

»Prächtige Idee«, gab McGraves zu verstehen.

Die beiden Politoffiziere waren schnell bis auf die Unterwäsche ausgezogen – das Team von Sesti nahm genüßlich jede Einzelheit auf – und wirkten plötzlich weit weniger bedeutend oder einschüchternd. Wieder einmal bewahrheitete sich der uralte Spruch, daß Kleider Leute machten – vor allem, wenn es sich um Uniformen handelte.

»Das bringt Ihnen überhaupt nichts«, höhnte West, aber seine Stimme hatte einen unsicheren Beiklang.

»O doch, es bringt uns zumindest einiges an Genugtuung«, verriet ihm Olin Monro grinsend und stellte sich mit in die Seiten gestemmten Fäusten vor den beiden auf. Kopfschüttelnd sagte er: »Ihr seht ja so beschissen aus.« Dann richtete er das Wort an McGraves’ Rekruten. »Irgend etwas fehlt mir noch. Ach ja, jetzt weiß ich es. Wir sollten verhindern, daß sie aus ihrer Zelle heraus nicht noch mehr unsinnige Befehle geben können. Stopft ihnen Knebel in den Mund! Am besten ein paar alte Putzlappen aus Chief Gjelstads Maschinenraum…«

2.

Der Oberst empfing die beiden Männer in seinem neben der Zentrale gelegen Arbeitsraum, der vorwiegend für Gespräche unter vier Augen mit den Führungsoffizieren und als Rückzugsgebiet für ihn diente, falls es galt, ein Problem ungestört zu überdenken. Hierhin hatte er sich für ein paar Momente zurückgezogen, um seine nächsten Schritte zu überlegen.

Als sie hereinkamen, lehnte sich Vegas zurück und blickte ihnen mit unbewegter Miene entgegen. Man sah dem grauhaarigen Kommandanten des Flottenschulschiffes nicht an, daß er bereits sein 8l. Wiegenfest hinter sich hatte. Eine permanente Körperertüchtigung und der stets wache Blick der dunkelblauen Augen ließen ihn um einiges jünger erscheinen.

Ron Nozomi grüßte und trat dann einen Schritt zur Seite.

Der Kadett an seiner Seite blieb vor dem Kommandanten stehen und salutierte zackig.

»Fähnrich David Rayne zu Ihren Diensten, Sir«, sagte er und erstarrte in Habachtstellung.

Roy Vegas musterte ihn schweigend. Der Eifer des jungen Mannes erinnerte ihn an seine eigene, lange zurückliegende Kadettenzeit.

Mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln sagte er: »Rühren, Fähnrich.«

Rayne nahm eine entspanntere Haltung ein.

»Ihr Ausbilder«, Vegas deutete mit einer Kopfbewegung in Nozomis Richtung, »hat mich wissen lassen, daß Sie etwas gesehen haben, das möglicherweise für unsere augenblickliche Situation verantwortlich sein könnte?«

Der Fähnrich nickte mehrmals.

Vegas hob die Brauen. »Ich höre!«

»Jawohl, Sir«, beeilte sich der junge Mann mit der Antwort. »Ich habe von meinem Platz aus gesehen, wie der PO Todd einen Kontakt auf seinem Armbandvipho betätigte, unmittelbar bevor er den Robotern befahl, alle nicht rotuniformierten Personen gefangen zu nehmen. Mir schien es, als hätte er die Sicherheitsroutinen des Hyperkalkulators außer Kraft gesetzt, oder zumindest umgeleitet.

»Das wäre eine Erklärung für die an sich unerklärlichen Vorgänge.« Vegas runzelte die Brauen, dann blickte er auf Nozomi. »Wurde dieser Vorgang noch von anderen Besatzungsmitgliedern beobachtet?«

Nozomi verneinte. »Ich habe zumindest keine Kenntnis darüber, Kapitän«, gestand er. »Ich könnte mir aber vorstellen, daß die Kommunikatoren der Politoffiziere mehr als nur Viphos sind.«

»Haben Sie das entsprechende Gerät überprüft, um dahinterzukommen?«

»Noch nicht«, gestand der Astrogator. »Ich kann zwar ein Vipho zerlegen – und auch zusammenbauen, ohne daß ich am Ende ein Teil übrig habe, aber wenn es das ist, was wir vermuten, dürfte es schwierig werden, ohne das entsprechende Wissen über die komplizierte Materie der Hyperkalkulatortechnik…«

»Es dürfte eine Nanozugriffseinheit zum Uploaden eines Virusprogrammes auf die virtuelle Befehlsmatrix eines Hyperkalkulators – genauer unseres Hyperkalkulators – sein«, setzte Fähnrich David Rayne seinen Ausbildungsoffizier und den Kapitän gleichermaßen in Erstaunen.

»Teufel auch!« Ron Nozomi zeigte ein schwaches Grinsen. »Sehen Sie jetzt, Sir, was ich meine?«

»Ich verstehe, was Sie meinen, Ron«, antwortete Vegas und nickte mehrmals. »Leider haben wir nun mal weder Kybernetiker noch W-Mathematiker oder Hyperfeldexperten an Bord.«

»Das braucht es auch nicht unbedingt zum Verständnis eines Hyperkalkulators«, ließ sich erneut Rayne vernehmen. Seine Miene bat um Verzeihung dafür, daß er sich schon wieder ungefragt eingeklinkt hatte.

Vegas sah ihn mit gefurchter Stirn an. »Wenn ich Ihren Einwand richtig interpretiere, hätten Sie dieses Verständnis, wie Sie sich ausdrückten, Fähnrich?«

Rayne, der in seinem Team nur »Bell« genannt wurde, nickte, diesmal ohne einen Kommentar abzugeben.

Für manche mochte Raynes’ Auftreten überheblich vorkommen, zu sehr auf sich und sein Können fixiert, was ihn möglicherweise dazu verführte, sich in den Vordergrund zu spielen und nur seine Sichtweise gelten zu lassen. Aber Vegas wußte aus der Personalakte des Fähnrichs, daß dieser mehr als begabt war beim Umgang mit Rechnern aller Art. Wenn er eine Beurteilung abgeben müßte, käme er nicht umhin zu gestehen, daß Rayne wohl einer dieser phantastischen Hacker war, die allenthalben die Großrechner von noch größeren Unternehmen ausspähten – oder gegen unbefugtes Eindringen sicher machten.

»Sie könnten uns also möglicherweise von dem Virus befreien, das uns die Kontrolle über unseren Hyperkalkulator genommen hat, junger Mann?« fragte Vegas und war sich bezüglich der Antwort so gut wie sicher.

»Das könnte ich«, bestätigte David »Bell« Raynes in aller Bescheidenheit. »Auf der Akademie habe ich nebenher meinen Master in Hyperkalkulatortechnik gemacht«, gestand er. »Ich könnte über die Schnittstelle der Zugriffseinheit in der Funk-Z Zugang zum Rechner gewinnen. Allerdings müßte ich eine 1A-Zugangsberechtigung erhalten, ansonsten bräuchte ich Tage, um allein den ersten Abwehrschirm zu überwinden, von den Schwierigkeiten im Innern gar nicht zu reden. Und Zeit ist etwas, das wir nicht haben, vermute ich einmal.«

»Sie vermuten richtig, junger Mann«, knurrte Roy Vegas und sah bereits Licht am Ende des Tunnels. »Es eilt wirklich.« Er schwieg einen Moment. Dann: »Ron! Sie machen sich mit Fähnrich Rayne unverzüglich ans Werk, damit wir unser Schiff zurückbekommen.«

»Ob ich Kadett Raynes wirklich eine Hilfe bin?« zweifelte der Astrogator.

»Sie vermutlich weniger«, gestand Vegas mit einem sarkastischen Lächeln. »Ihre Zugangsberechtigung schon. Sie verstehen?«

»Aye, Sir! Voll und ganz.«

»Dann sind wir uns einig. Wegtreten, meine Herren.«

Nachdem die beiden den Raum verlassen hatten, schöpfte Vegas zum erstenmal wieder Hoffnung, daß sich das Blatt in einer absehbaren Zeitspanne zum Guten wenden würde. Dennoch konnte er sich nicht entspannen, fühlte sich nach wie vor ruhelos, getrieben von etwas, das er nicht in Worte fassen konnte.

Zu allem Überfluß kamen über Bordsprech die ersten Meldungen, die von Kampfhandlungen mit den Robotern berichteten…

Das Vipho unterbrach seine düsteren Gedanken.

Wie erwachend strich sich Vegas durch das kurze Haar.

»Ja?« Seine Stimme aktivierte den Sichtmodus.

Doktor Meichles Gesicht blickte ihn vom Schirm an. Der fünfundfünzigjährige Chefarzt und Biochemiker im Range eines Majors hatte eine Miene aufgesetzt, die keine angenehmen Nachrichten verhieß.

»Ich komme vermutlich ungelegen«, sagte er halblaut in seiner abgehackten Sprechweise mit der merkwürdigen Betonung der letzten Silben.

»Das ist, gelinde gesagt, eine starke Untertreibung«, erwiderte Vegas eingedenk dessen, was inzwischen alles passiert war. »Was haben Sie? Hoffentlich eine gute Nachricht.«

Der Chefmediziner der ANZIO lachte humorlos. Er strich sich seine braune, widerspenstige Haartolle aus der Stirn, die ihm ein überraschend jugendliches Aussehen verlieh. »Kommt auf den Standpunkt an«, sagte er, »von dem aus man die Dinge betrachtet. Suchen Sie noch immer nach Major Zondek, Kapitän?«

»Ja«, bestätigte Vegas, »bislang allerdings ohne Erfolg. Er scheint wie vom Erdboden verschluckt, auch wenn dieser Vergleich in einem Raumschiff, das sich mitten im All befindet, nicht nur auf einem Bein hinkt. Haben Sie etwa Neuigkeiten?«

»Sie können die Suche einstellen lassen«, antwortete Meichle lapidar.

»Wie… haben Sie ihn etwa?«

Das hagere, schmale und kantige Gesicht des Mediziners und Wissenschaftlers verzog sich zu etwas, was man als Bestätigung interpretieren konnte. »Kann man so sagen – er liegt hier auf meinem Tisch.«

Meichle zog die Bilderfassung etwas auf, so daß erkennbar war, daß er hinter seinem Seziertisch stand. Auf der Edelmetallplatte im Bildvordergrund lag ein zuckender Klumpen Etwas, dessen Volumen in etwa dem eines Menschen nahekam.

»Sie sind sicher, daß es sich dabei um Adam Zondek handelt?« fragte Vegas etwas unsicher.

»So gut wie«, antwortete der Chefarzt bedächtig. »Bestimmte Merkmale sprechen dafür. Aber vor einer genauen Autopsie läßt es sich nicht mit hundertprozentiger Gewißheit sagen. Ich informiere Sie, wenn ich soweit bin, Kapitän.«

*

»He«, Sarge«, sagte Millie Grier.

Haines wandte den Kopf, sah die Soldatin an. »Was gibt es, Frischling?«

»Werden wir das überleben?«

»Kennst du den Wahlspruch der Rauminfanteristen, Millie?« fragte er nach einem Moment des Schweigens. Er nannte sie beim Vornamen. Aus gutem Grund. Das schuf Vertrauen, nahm auch den anderen Frischlingen die Angst vor einer Situation, die sie so noch niemals erlebt hatten. Im Gegensatz zu den zwei weiblichen und den beiden männlichen Rekruten war Haines kein Auszubildender, sondern Ausbilder der Rauminfanterie und letztendlich für ihr Überleben verantwortlich.

Viele Zivilisten auf Babylon und den anderen Welten, auf denen sich die Menschheit inzwischen niedergelassen hatte, glaubten, daß die Rauminfanteristen der Babylon Flotte durchtrainiert, zäh, eisern und durch nichts zu besiegen seien. Supersoldaten eben. So zumindest stellten es die Bild- und Tonmedien der Unterhaltungsindustrie dar, nicht zuletzt die Informationskrake Terra-Press Babylon, die ihr riesiges Spinnennetz über alle menschlichen Kolonien ausgebreitet hatte. In Wahrheit aber war der Rauminfanterist zu Beginn seiner Laufbahn manchmal nicht einmal ein durchschnittlicher Soldat, sondern vergleichbar mit einem Jugendlichen, gerade alt genug, um Aufnahme in den Infanterieschulen oder den militärischen Akademien zu finden. Intelligent ja, das war Voraussetzung, aber deswegen war er nicht automatisch ein Mitglied der Elitekampftruppe. Das wurde er erst, wenn er während seiner Einsätze lange genug am Leben blieb, und das wiederum hing vor allem davon ab, wie gut die Ausbildung bei der Truppe war. Insbesondere aber von Männern wie ihm und seinen Kollegen – den »Schleifern«.

Jetzt sagte Millie Grier, die aus gutem Hause stammte und deren Familie noch heute nicht verstand, weshalb sie partout zur Rauminfanterie gewollt hatte: »Lebe schnell und stirb jung. Richtig, Sarge?«

Haines verzog das Gesicht. Sarge. Wenn er das schon hörte. Er seufzte unhörbar. Leider hatte er es in der Kürze der Zeit noch nicht geschafft, der ehemaligen Miß Babylon 2066 beizubringen, daß er Stabsfeldwebel war und entweder mit eben diesem Rang oder mit »Sir« angeredet werden sollte. Aber noch war ja nicht aller Tage Abend. Vielleicht lernte sie es ja doch noch. Brummig antwortete er: »Kaum an Bord, kann man dir auch schon nichts Neues mehr beibringen.« Er starrte über die Zieleinrichtung seines Karabiners. Im Blickfeld hatte er ein Stück des westlichen Ringkorridors auf Deck Zwei der ANZIO. Noch hatte sich kein Roboter in dieser Ecke des Schiffes sehen lassen. Aber sie kamen, das wußte er mit unumstößlicher Gewißheit. Über Bordsprech waren die kargen Informationen der anderen Gruppen zu hören, die bereits in Gefechte mit den Robotern verwickelt waren.

Das Krachen von Maschinenwaffen hallte aus der Ferne. Detonationen, seltsam gedämpft, drangen aus der oberen Region des Ringschiffes über A-Gravschächte und Notzugänge herunter zu dem kleinen Team auf Deck Zwei, das Stabsfeldwebel Paul Haines hoffte vor Schaden bewahren zu können. Überall im Schiff schienen jetzt die Kämpfe Roboter gegen Besatzung ausgebrochen zu sein. Haines vermied es wohlweislich, eine Prognose über deren Ausgang zu äußern. Er hegte nicht grundlos die Befürchtung, daß diese Auseinandersetzung zwischen Maschinen und Menschen zu Ungunsten letzterer ausgehen könnte, falls es nicht gelang, die Manipulationen der beiden Scheißkerle von POs rückgängig zu machen.

»Ob es schon Tote gibt?« Die Stimme der Rekrutin Brit Thorn klang unsicher; Haines konnte eine Spur Angst heraushören. Furcht, von der er hoffte, sie würde die junge Rekrutin nicht überwältigen und zu unüberlegten Reaktionen verleiten, sie nicht in Schreie oder Weinkrämpfe ausbrechen lassen – was ihn vor ein Problem gestellt hätte.

Männern konnte er, wenn es hart auf hart kam, mit einer kräftigen Ohrfeige oder einem Stiefeltritt wieder zurück in die Normalität helfen. In zweiundneunzig Prozent aller Fälle zumindest.

Bei einem weiblichen Wesen ging das nicht; er würde es niemals über sich bringen, eine Frau zu schlagen.

»Wohl kaum«, beschwichtigte er daher die junge Rekrutin.

»Wohl kaum, wohl kaum«, äffte ihn Alex Jarvis nach, und seine Stimme klang aggressiv, trug aber dennoch einen Unterton der Unsicherheit. »Haben wir denn eine Garantie auf unsere Unversehrtheit?«

»Das nicht«, antwortete der Ausbilder grob. »Aber wir werden alles in unserer Macht stehende tun, damit wir heil aus diesem Schlamassel herauskommen. Und ich erwarte von jedem einzelnen von euch, daß er sein Bestes gibt. Verstanden?«

»Aye, Sarge«, sprach Millie Grier für die anderen drei mit, was Haines mit einem erneuten Zucken der Mundwinkel quittierte.

Die kleine Gruppe mit ihm, Millie Grier, Brit Thorn sowie Alex Jarvis und Len Haris, befand sich an einem Knotenpunkt des Ringkorridors von Deck Zwei und wirkte, bis auf Paul Haines, ziemlich nervös und verunsichert.

Millie Grier blickte den Ringkorridor erst hinauf und dann in die andere Richtung hinunter; von Robotern war nichts zu sehen, obwohl man hören konnte, daß sich der Kampflärm mehr und mehr ihrer Position näherte. Millie sah von ihrer Kameradin Brit über Alex hin zu Paul Haines und Len Haris.

»Ich wollte«, sagte sie mit nachdenklicher Miene und furchte die Stirn, »Asimovs Robotergesetze hätten tatsächlich die Gültigkeit, die man ihnen einmal angedichtet hatte.«

»Pff!« machte Alex Jarvis und zurrte seine Kampfweste etwas fester. »Du sagst es. Ist nichts als Schriftstellergelaber. Dem Gehirn eines Mannes entsprungen, der zwar Wissenschaftler war…«

»Biochemiker«, warf Brit ein, die selbst einen akademischen Grad auf diesem Gebiet anstrebte.

»… der aber kaum etwas von Robotik verstand«, fuhr Jarvis fort. »Konkrete Schritte für die tatsächliche Programmierung von Industrie- und Arbeitsroboter konnten daraus niemals im Sinne der asimovschen Gesetze abgeleitet werden.«

»Roboter im militärischen Bereich, in Sonderheit alle automatischen Waffensysteme, darunter auch die Kampfroboter, folgen diesen Gesetzen, so es denn je wirklich welche gewesen wären, ohnehin nicht«, beendete Ausbilder Stabsfeldwebel Haines die Diskussion.

Die Gruppe lauschte mit angespannten Sinnen, jeden Augenblick damit rechnend, daß etwas Unvorhersehbares geschehen würde.

Doch nichts rührte sich.

Noch nicht.

Die nervliche Anspannung wurde schier unerträglich.

Bis sie sich abrupt entlud, als Brit Thorn plötzlich halblaut rief: »Hört ihr, was ich höre?«

Und Len Haris machte nur: »O-oh… da kommt was auf uns zu!«

*

Offiziersanwärter David »Bell« Rayne arbeitete in der Funk-Z seit knapp sechzig Minuten mit wachsendem Erfolg daran, dem Geheimnis von Todds Vipho auf die Spur zu kommen. Daß ihm dabei sein Ausbilder, Hauptmann Ron Nozomi, über die Schulter blickte, focht ihn nicht im mindesten an.

Keine Minute nach dem Gespräch mit dem Oberst waren Hauptmann Nozomi und er in der Funkzentrale eingetroffen, in der sich die Hauptzugriffseinheit des Bordrechners abgeschottet innerhalb einer transparenten Panzerglaskabine von der übrigen Einrichtung der Funk-Z befand. Der Hauptkern des Hyperkalkulators selbst versteckte sich an anderer Stelle in einem Hochsicherheitsraum mit eigener Energieversorgung.

In der Zentrale war es ruhig; im Schiff selbst weniger. Die offene Bordsprech-Phase übertrug von den einzelnen Schauplätzen die Geräusche der Auseinandersetzungen zwischen menschlicher Besatzung und Robotern, die von beiden Seiten verbissen geführt wurden…

Der Kadett überbrückte gerade eine Schaltung auf dem nur münzgroßen Modul, das durch eine Nabelschnur aus haarfeinen Nano-Lichtleitungen mit dem Eingangsprozessor verbandelt war.

Ron Nozomi beobachtete sein Tun.

»Verraten Sie mir eines, Kadett Rayne«, meinte er plötzlich wie nebenbei. »Weshalb nennen Ihre Kameraden Sie eigentlich ›Bell‹?«

David Raynes runzelte flüchtig die Stirn. Überlegte. Erwog Ausflüchte. Doch dann entschloß er sich, dem athletischen Offizier mit der kammsparenden Igelfrisur reinen Wein einzuschenken.

»Ich hatte im Alter von acht Jahren auf meinem billigen Heimcomputer – den ich allerdings mit einem turbogeilen Innenleben aufgemotzt habe – ein Virus kreiert, das an einem einzigen Tag sämtliche Telefonsysteme meiner Heimatstadt lahmlegte. Man kam mir auf die Schliche, ich blieb jedoch straffrei, weil ich noch nicht strafmündig war. Zeitungen und Fernsehen hatten vier Tage lang ihre Sensation. Danach ging man zur Tagesordnung über. Aber seit diesem Zeitpunkt hatte ich in der Hackerszene meinen Namen weg.«

»Lassen Sie mich raten: Bell?«

»Sie sagen es, Sir«, nickte der Kadett und ein flüchtiges Grinsen huschte über sein Gesicht. »Bell klebt mir seitdem wie ein Bonbon an der Backe. Mein Szenename hat es geschafft, mich durch Schule, Universität und Akademie bis hierher zu begleiten. Das ist die ganze Geschichte.«

»Interessante Geschichte«, nickte Nozomi und sein offenes Gesicht zeigte ein unerwartetes Lachen. »So verlief in etwa auch meine Hackerkarriere. Nur bin ich niemals erwischt worden, worauf ich mir immer noch etwas einbilde.«

»Gut für Sie, Sir«, antwortete David mechanisch und empfand plötzlich ein bohrendes Verlangen nach heißem Kaffee. Außerdem meldete sich sein Magen; er hatte lange nichts mehr zu sich genommen. Egal. Er mußte diese niederen Bedürfnisse unterdrücken, solange er über dieser Arbeit saß; er war sich sicher, daß Kommandant Vegas kein Verständnis aufbrächte, wenn er sich jetzt plötzlich in die Messe verdrückte, nur um seinen Hunger zu stillen…

Verstärkt widmete er sich seiner Tätigkeit, herauszufinden, was die beiden Politoffiziere in die Lage versetzt hatte, die Schutzfunktionen des Hyperkalkulators zu manipulieren und die Roboter dazu zu bringen, sich gegen die menschliche Besatzung zu stellen. Zwar hatte er rasch das Schadprogramm entdeckt, mit dem einer der drei – vermutlich Todd, er hatte das Vipho – den Virus im Hauptrechner der ANZIO aktiviert hatte. Das Programm selbst war nichts als der übliche, leicht durchschaubare Regierungsmist ohne Esprit oder Kreativität. Eigentlich wäre die Deaktivierung nur ein Klacks, wie er sich Nozomi gegenüber äußerte, der sich nach dem Fortschritt der Arbeit erkundigte, würde nicht etwas Ungewöhnliches die Eliminierung verhindern. Und darin liege die eigentliche Krux.

»Vielleicht verhindert eine fremdartige Architektur von Sicherheitssystemen Ihre Bemühungen«, sagte Nozomi, der die Eleganz bewunderte, mit der Rayne an das Thema heranging.

»Ein interessanter Gedanke, das mit der Fremdartigkeit«, antwortete Rayne, ohne in seiner Tätigkeit innezuhalten. »Aber die Firewalls sind den Namen nicht wert. Nein. Es ist etwas anderes. Etwas, das ich nur schwer zu fassen bekomme. Ich… ah! Jetzt hab ich’s!« rief er plötzlich triumphierend, und die Finger seiner linken Hand spielten einen Trommelwirbel auf der Konsole neben der Sensorfläche.

Nozomi glaubte, den Siegesmarsch aus Aida herauszuhören, war aber nicht sicher. In E-Musik war er kaum bewandert.

Er beugte sich elektrisiert vor. »Was ist es, Kadett?«

»Sekunde, Sir. Hm. Ja. Genau. Wie ich’s erwartet habe.« Er blicke Nozomi von der Seite an, triumphierend, mit einem fast manischen Feuer in den Augen. »Jemand hat für das Virusprogramm einen zusätzlichen Fluchtalgorithmus eingeschleust, der dem Schadprogramm ein Überleben garantiert, indem er ein virtuelles Netzwerk auf Zufallsbasis kreiert. Jedesmal, wenn ich dem Programm nahe komme und es einzukreisen versuche, bringt es sich in Sicherheit, indem es willkürlich an einen anderen Netzknoten springt – und das Spiel beginnt von Neuem.«

»Die Ärsche?« So nannte man die Politischen Offiziere oder POs auch sehr gern.

»Bell« schüttelte mit einem geringschätzigen »Pah!« den Kopf. »Die sind zu dumm dafür.« Er hielt einen Moment inne, dann meinte er: »Ich wette, wenn ich die Herstellungssignatur dekodiere, dann führt sie mich zu einem Regierungslabor auf Babylon.«

»Raffiniert, dieses Fluchtnetz«, gestand Nozomi nicht ohne Bewunderung.

»Nicht raffiniert genug für mich«, behauptete der junge Offiziersanwärter und nickte ein paar Mal nachdrücklich. Um dann zu wiederholen: »Nicht raffiniert genug für David ›Bell‹ Rayne, den größten Hacker dies- und jenseits des Arcturus!«

»Wer ist nicht raffiniert genug für Sie, Kadett?« Roy Vegas hatte es wieder mal nicht ausgehalten und war gekommen, um sich nach den Fortschritten zu erkundigen. Er strich sich mit der Linken durch das eisgraue Haar und fixierte den Kadetten mit einem inquisitorischen Blick.

»Der, der diesen Fluchtalgorithmus kreiert hat, Sir.«

»Flucht was…?« Vegas’ Brauen hoben sich und er sah Ron Nozomi an. »Haben Sie das verstanden?«

»Nur zum Teil, Sir«, gestand der Astrogator.

»Hm. Sie haben jedenfalls Fortschritte gemacht?« wandte sich Vegas an den Kadetten.

»Fortschritte, Sir? Darüber bin ich schon hinweg, Sir. Ich warte nur noch darauf, bis mein eigenes Wächterprogramm vollständig geladen ist…«

Die Zugriffseinheit des Hyperkalkulators gab eine Reihe von kurzen Töne von sich.

Kadett Raynes räumte seinen Platz, stand auf und machte eine einladende Handbewegung. »Geschafft, Sir! Der Hyperkalkulator erwartet Ihre Eingaben – in welcher Form auch immer. Übrigens hat er auch noch eine Selbstdiagnose durchgeführt und sich eigenständig auf den Zustand zurückgesetzt, wie er vor dem Einsatz des Virus aussah.«

»Ausgezeichnete Arbeit, Fähnrich«, sagte Vegas und atmete tief durch. Seiner Miene war zu entnehmen, daß ihm eine große Last von der Seele genommen worden war. »Ausgezeichnete Arbeit«, wiederholte der Kapitän noch einmal und setzte sich Richtung seiner Konsole in Bewegung. Nach zwei Schritten hielt er an, drehte sich um und fixierte eindringlich den Fähnrich. »Junger Mann«, sagte er, »sollten Sie nach Ihrer Ausbildung den Dienst in der Flotte ins Auge fassen, würde ich mich freuen, Sie als Wissenschaftsoffizier an Bord der ANZIO begrüßen zu dürfen.«

»Sir. Danke, Sir!«

*

Kurz zuvor

 

Stabsfeldwebel Haines warf einen Blick den Korridor hinauf, der auf beiden Seiten eine Reihe von Nischen aufwies. Sie boten Zugang zu Ausrüstungsmagazinen und Lagerräumen. Sie hatten die Korridorkreuzung verlassen und waren zu den nächstgelegenen Nischen vorgerückt, in denen sie Deckung genommen hatten. Keine Sekunde zu spät; eben kamen die ersten Roboter um die Krümmung. Bedingt durch die Bauform der ANZIO gab es keine geraden Linien auf den Ringkorridoren. Je nach Standpunkt des Betrachters krümmten sie sich alle in einiger Entfernung entweder nach links oder rechts.

Haines’ Standpunkt war der exponierteste und den Angriffen der Roboter in erhöhtem Maß ausgesetzt.

Irgendwo arbeiteten mit leisem Summen Aggregate; der Ausbilder hörte es nur am Rande seiner Wahrnehmung. Alle seine Sinne waren auf das bevorstehende Zusammentreffen mit den Maschinen konzentriert.

Außer ihrer Stammbesatzung von 50 Mann verfügte die ANZIO zusätzlich noch über 200 Roboter vom humanoiden Typ, die für eine Vielzahl von Aufgaben eingesetzt und entsprechend programmiert werden konnten. Weiter hatte sie noch 50 Kegelroboter an Bord, extrem gefährliche Maschinen von hoher Feuerkraft, gegen die nur schwere Waffen eingesetzt werden konnten – was sich innerhalb der ANZIO von selbst verbot. Deshalb galt die Anordnung, nur Blasterfeuer einzusetzen und nach Möglichkeit keine Explosivgeschosse zu verwenden, um so die Schäden im Schiff so gering wie möglich zu halten. Natürlich konnte keine Karabinerkugel die Unitallhülle der Ovoid- und aller anderen Ringraumer durchschlagen und so zu einer verheerenden Dekompression führen. Aber aufgrund der speziellen Metallurgie von Unitall gab es vermehrt Querschläger, und was so eine Salve oder Garbe innerhalb eines Korridors oder Decks anzurichten vermochte, konnte sich jeder ausgebildete Soldat oder Offizier vorstellen.

Also: Blasterfeuer!

Die vollautomatische, elektronisch gesteuerte GEH&K Modell 08/56 mit ihrer Laserzieleinrichtung war eine Allzweckwaffe für die mobile Rauminfanterie. Man konnte mit ihr Lähmstrahlen, Bleiprojektile, Explosivgeschosse, Kleinstraketen oder Blasterstrahlen verschießen. Sie war an die Kampfhelmanzeige anschließbar und mit einer Vorschlagsfunktion für die zu verwendende Munitionsart versehen. Voll ausgerüstet kam sie auf ein Gewicht von vier Kilo. Die ideale Braut des tapferen Rauminfanteristen, wie Stabsfeldwebel Haines nicht müde wurde, seinen Rekruten bei der Ausbildung einzubleuen. Noch idealer wäre zwar das neuere Modell 10/62 gewesen, das unter anderem über Nadelstrahl statt Blaster verfügte – aber für diese entsprechend teurere Waffe fehlte der Flottenführung das Geld.

Zum Glück waren es Roboter des humanoiden Typs, die auf sie zukamen. Allzweckmaschinen, die sowohl für normale Arbeiten als auch für Kampfeinsätze gegen minder schwer gerüstete Gegner eingesetzt werden konnten. Allerdings – Haines biß sich auf die Unterlippe –, die Tatsache, daß es sich um keine Kegelroboter handelte, machte sie nicht minder gefährlich. Es würde sicher schwer werden, sich gegen sie zu behaupten. Die Ausbildung der Rekruten war erst am Anfang – aber es war machbar.

»Sollen wir schießen, Sir?« kam Brits Stimme von hinten.

Sie und Len Haris suchten Deckung in den Nischen hinter der des Stabsfeldwebels. Auf der gegenüberliegenden Seite wollten Millie Grier und Alex Jarvis die Roboter unter Feuer nehmen.

»Noch nicht«, kam die Antwort des Stabsfeldwebels. »Und vergeßt nicht: Blasterfeuer. Verstanden?«

»Verstanden«, kam die vierstimmige Antwort.

Sie hoben die Waffen und starrten ohne zu blinzeln durch die Zieleinrichtung auf den Gegner, der näher und näher kam.

»Verdammt!« murmelte Alex Jarvis. »Die Blechheinis haben Biospürer dabei. Sie wissen, wo wir sind.

»Also keine Chance sich zu verstecken und abzuwarten, bis alles vorüber ist«, ätzte Brit Thorn, die noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen hatte, weil er sie bei der Weihnachtsfeier wegen einer anderen kaum beachtet hatte. Sie hätte damit leben können, wenn es sich nicht um ihre Zimmergenossin gehandelt hätte. Und deren schadenfrohe Miene für die Dauer der Ausbildung zu ertragen, war ihr unerträglich.

Alex verkniff sich ein »Zicke« und ließ statt dessen nur ein Knurren hören. Außerdem war keine Zeit mehr für eine zwischenmenschliche Auseinandersetzung.

»Jetzt!« brüllte der Stabsfeldwebel. Er verließ seine Deckung. Die Waffe wie auf dem Schießstand im Anschlag zielte und feuerte er auf den Roboter, der sich etwas vor den anderen befand. Der Strahl aus seinem Blaster schnitt den Blechmann diagonal in zwei Teile, die zu Boden krachten. Die helle Hydraulikflüssigkeit, mit der seine Servos liefen, sammelte sich als schillernde Lache auf dem Korridorboden. Zwei nachfolgende Roboter erkannten die Gefahr zu spät – und schlitterten wild um sich schlagend ineinander.

Das Feuer aus den Blastern von Haines und Grier sowie die aggressive Schmierflüssigkeit gingen eine unheilige Verbindung ein. Das Öl entzündete sich explosionsartig und legte beide Maschinenwesen lahm.

Dann ging das Gefecht in seine heiße Phase.

Schuß auf Schuß gaben die Rekruten und ihr Ausbilder auf die heranrückenden Maschinen ab, die ihrerseits zurückfeuerten.

Es wurde heiß.

Ätzender Qualm und beißender Rauch waberte durch den Korridor.

Winselnd liefen Exhaustoren an.

Neben Jarvis fuhr eine Energieladung in die Wand. Funken sprühten. Die aufgedampfte feuerfeste Schutzlackierung begann zu qualmen. Der Rekrut zuckte zurück in den Schutz der Nische. Gleich darauf schob er sich geduckt wieder nach vorne, hob den Lauf seines Blasters.

Drei sauber plazierte Energiebahnen ließen drei Roboter verschmoren.

Brit nickte widerwillig anerkennend auf ihrer Seite. »Saubere Sache, Cowboy«, übertönte ihre Stimme den Lärm.

»Danke«, knurrte er zurück. »Du mich auch.«

»Los! Kreuzfeuer!« befahl Haines lautstark.

Millie und Alex schossen, was das Zeug hielt. Die Blasterschüsse zuckten wie Blitze durch den Korridor auf ihre Ziele zu. Im Gegenzug fuhren die gegnerischen Strahlen sengend und brennend durch den Korridor und schlugen knisternd und funkensprühend in die Wände.

»Wo kommen die denn alle her?« wunderte sich die ehemalige Schönheitskönigin. »Sie werden einfach nicht weniger!«

»Murphys Gesetz«, versetzte der junge Rekrut mit dem Aussehen des letztjährigen Mister Babylon.

Len Haris trennte einem Roboter die unteren Extremitäten ab. Im vollen Lauf brach der Roboter zusammen, vollführte mit schlagenden Armen einen Salto und fiel beim Aufschlag zu einem Haufen Einzelteile auseinander.

Das nahm Millie Grier offenbar zum Anlaß, es ihm gleichtun zu wollen, ihn vielleicht zu übertreffen.

»Ich komme rüber zu euch!« rief sie. Stabsfeldwebel Haines sah zu spät, welch schrecklichen Fehler sie im Begriff war zu begehen.