Still Dreaming Of You - Jasmine Bell - E-Book

Still Dreaming Of You E-Book

Jasmine Bell

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Beschreibung

Thore liebt die Freiheit, die er sich nach seiner Ausbildung zum Fotografen geschaffen hat. Mit seiner Kamera und dem Wohnmobil reist er um die ganze Welt und ergattert einen spannenden Auftrag nach dem anderen. Dafür hat er vor einigen Jahren das kleine Dorf an der Ostsee mit seiner eingeschworenen Gemeinschaft zurückgelassen. Oder ist er geflüchtet? Als er für die bevorstehende Hochzeit seines besten Freundes nach Hause kommt und seiner Jugendliebe Leonard begegnet, wird ihm schmerzlich vor Augen geführt, dass er eine Sache in seiner Heimat vergessen hat: Sein Herz.

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Playlist

Chicago – Louis Tomlinson

Always You – Louis Tomlinson

All too well (10 Minute Version) (Taylor's Version) (From The Vault) – Taylor Swift

Geiles Leben – Glasperlenspiel

Summertime – Kontra K & Lana Del Rey

TABU. – Yung Yury & Damn Yury

Stockholm Syndrome – One Direction

Die Sonne – Kontra K & Nico Santos

Cruel Summer – Taylor Swift

Satellite – Harry Styles

Inhaltsverzeichnis

Thore

Leo

Thore

Thore

Leo

Thore

Leo

Thore

Leo

Thore

Thore

Leo

Thore

Thore

Thore

Thore

Leo

Thore

Thore

Leo

Leo

Leo

Thore

Thore

Leo

Thore

Thore

Leo

Thore

Leo

Thore

Thore

Leo

Thore

Thore

Thore

Leo

Leo

Thore

Leo

Thore

Leo

Thore

Thore

Epilog: Leo

Thore

Das Morgenrot über der friedlichen Ostsee erfüllt mein Herz mit Wärme, die salzige Meeresbrise weht mir durch die blonden Locken, die ersten Möwen krakeelen durch die Gegend und vereinzelte Spaziergänger flanieren über die Promenade.

Ich liebe mein Leben im Wohnmobil, ständig auf Achse zu sein, ist aufregend und ein einziges Abenteuer, keine Frage. Aber manchmal vermisse ich meine Heimat. Ich lerne viele Leute kennen und mache Bekanntschaften, knüpfe neue Kontakte und schließe oberflächliche Freundschaften über die gesamte Weltkugel hinweg. Doch Menschen, die mich von ganzem Herzen lieben, habe ich nur hier. Meine Familie.

Über achtzehn Stunden habe ich mit Bubble bis hierher gebraucht. Wäre ich nicht die ganze Nacht durchgefahren, wären es vermutlich mehr geworden. Jetzt könnte ich eine gute Mütze Schlaf vertragen. Da ich in meinem Elternhaus allerdings vermutlich mit Trubel und Fragen empfangen werde, gönne ich mir vor meiner Rückkehr den kurzen Moment Ruhe am Strand.

In den vergangenen Jahren habe ich viele Strände gesehen. Zuckerweißen Sand, schwarzen Sand, rosafarbigen Sand. Strände mit Palmen, Kiesstrände, verlassene und überlaufene Sandküsten. Der Ostseestrand in Norddeutschland mit seinen Steinchen, Stöckchen und kaputten Muscheln ist für viele Menschen vielleicht nichts Besonderes, doch für mich ist und bleibt er der schönste Strand von allen.

Seufzend greife ich in den Sand und lasse ihn durch meine Finger rieseln. Nur ein paar Tage, ein Kurztrip, dann breche ich wieder auf und mit etwas Glück bin ich nächste Woche zurück in Barcelona. Aber morgen muss ich Jannes am schönsten Tag seines Lebens zur Seite stehen, so gehört es sich nun mal für einen besten Freund.

Ich erhebe mich aus der Hocke, klopfe erst den Sand von meinen Händen und dann auf Bubbles Motorhaube. »Komm, altes Mädchen, lass uns nach Hause fahren.«

Während ich einsteige und mich anschnalle, angle ich mein Handy vom Beifahrersitz. Eigentlich war mein Besuch erst für morgen angekündigt, doch ich hatte nichts mehr zu tun, weshalb ich schon gestern losgefahren bin. Grinsend öffne ich unseren Familienchat.

Thore: Wer als Letzter im Störtebekerweg ist, räumt den Frühstückstisch ab!!! Ich bringe Brötchen mit.

Merle: Omg, was?! DU BIST SCHON DA??

Thore: Ganz in deiner Nähe, Schwesterherz :)

Mama: Oh, da freuen wir uns aber. Gerrit wollte gerade mit dem Fahrrad los, aber dann soll er mal lieber Kaffee aufsetzen. Bis gleich meine Küken

Thore: Papa soll es aber nicht wagen, sparsam mit dem Kaffeepulver zu sein. Und auch nicht den entkoffeinierten! Bin die ganze Nacht durchgefahren.

Mama: Ich sage es ihm. Hat Henrik die Nachrichten gelesen?

Thore: Nö, der pennt bestimmt noch und hat sein Handy auf lautlos.

Merle: Mehr Zeit für mich, um mich fertigzumachen.

Thore: Als ob du etwas anderes als eine Jogginghose anhaben wirst

Mama: Ich ruf ihn mal auf seinem Festnetztelefon an.

Thore: Mach das. Je nachdem, wie viel beim Bäcker los ist, bin ich in zehn bis fünfzehn Minuten da.

In mich hineinlächelnd werfe ich das Smartphone zurück auf die Beifahrerseite. Festnetztelefon. Mein zwei Jahre jüngerer Bruder wollte eigentlich keinen Anschluss haben, aber ich denke, es ist ganz gut, dass Mama ihn doch dazu überredet hat. Der würde sonst sein ganzes Leben verpennen. Von uns drei Geschwistern ist er definitiv derjenige, der am meisten verpeilt. Wenn jemand zu spät kommt, ist es Henrik. Wenn jemand etwas vergisst, ist es Henrik. Wenn jemand etwas verliert, ist es Henrik. Allerdings hat er sich für seine Ausbildung zum Tischler richtig ins Zeug gelegt und darauf ist er auch mächtig stolz. Und Mama und Papa auch. Sie lieben seine Stücke, ihr Haus und Garten ist voll damit. Besonders Henriks Gesellenstück, der massive Esstisch, ist ein echter Hingucker und zum beliebtesten Treffpunkt unserer Familie geworden. Meistens leider ohne mich.

Ich benötige dann doch etwas länger beim Bäcker. Das liegt allerdings nicht an einer Masse an Menschen, die Schlange stehen, sondern an Susi. Mama arbeitet seit dreißig Jahren in dieser Bäckerei, ihre Kollegin Susi noch länger. Sie kennt mich also schon seit meiner Geburt. Als sie mich eben entdeckt hat, hat sie es sich nicht nehmen lassen, mich fest an ihren weichen Körper zu drücken und in ein Gespräch zu verwickeln. Sogar ein Foto wollte sie mit mir. Habe mich fast wie ein Rockstar gefühlt, der das kleine Dorf Kliersen hinter sich gelassen hat, um international berühmt zu werden und nun seiner Heimat einen Besuch abstattet.

Dreißig Minuten später erreiche ich dann aber endlich das Neubaugebiet, in dem meine Eltern wohnen. Nun ja, so neu ist es eigentlich nicht mehr. Mama und Papa haben in den Neunzigern gebaut, für mich und für so ziemlich alle Einwohner von Kliersen wird der Störtebekerweg aber immer das Neubaugebiet sein.

Merles roter Opel Corsa steht bereits in der Auffahrt, sie war also wirklich schneller als ich. Doch von Henriks Auto oder Fahrrad ist noch nichts zu sehen. War ja klar. Ich parke vor einem Feld, das am Ende der Straße liegt, dort stört mein Wohnmobil niemanden.

Der Grund gehört Jannes und seiner Familie, der Hof liegt auf der anderen Seite des Feldes. Als ich aussteige, halte ich mir die Hand an die Stirn, um die Sonne abzuschirmen und zum Traktor zu schauen, der über den Acker rollt. Ob Jannes drinnen sitzt? Morgen heiratet er zwar, aber er wird bis zur letzten Minute arbeiten. Er liebt die landwirtschaftliche Arbeit einfach und wird irgendwann auch den Hof seiner Eltern gänzlich übernehmen.

Aus der Entfernung sehe ich leider nicht, wer in der Maschine sitzt, weshalb ich mich abwende. Als ich die Hälfte des Weges hinter mir habe, biegt am anderen Ende der Straße Henrik auf seinem Bike um die Ecke.

Oh nein.

Er erkennt mich sofort und tritt schneller in die Pedalen. Lachend sprinte ich los. Die lange Fahrt steckt mir jedoch in den Knochen, sodass ich nicht die beste Leistung von meinen müden Beinen erwarte. Dennoch reicht es. Knapp zwei Sekunden vor Henrik landen meine Füße auf den roten Pflastersteinen. »Ha! Du musst abräumen!«, gröle ich und führe einen kleinen Freudentanz auf.

Henrik scheint das aber völlig egal zu sein. Sein rostiges Fahrrad schlittert über die Einfahrt, bevor er auf mich zustürmt und mir voller Elan in die Arme springt. »Alter«, schnaufe ich, taumle ein paar Schritte zurück, fange uns aber auf und drücke ihn fest an meine Brust.

»Endlich bist du wieder da«, nuschelt er mir an den Hals.

Grinsend streiche ich ihm über den Rücken. Er ist zwar ein erwachsener Mann, wird aber für immer mein kleiner Bruder bleiben. »Ich war doch erst letztens hier.«

»Weihnachten! Das ist Monate her!«

»Thore!« Ich spähe zur Haustür, als Merle meinen Namen ruft. Ich wölbe die Augenbrauen, denn als erstes fallen mir ihre Haare auf. Ihre sonst hellblonden Locken, die wir Geschwister gemeinsam haben, hat sie rot gefärbt. Ginger. Ich war mehr oder weniger darauf vorbereitet, sie hatte es mir geschrieben, nur gesehen habe ich es bisher nicht. »Mein Lieblingsbruder ist wieder da«, freut sie sich und umarmt mich von hinten.

»Hey!«, beschwert sich Henrik und verpasst ihr einen Patscher auf den Kopf.

Merle kichert, als auch unsere Eltern zu uns kommen und sich lächelnd in die gemütliche Gruppenumarmung fügen.

Mein Herz wird ganz warm und meine Augen sogar ein bisschen feucht, als Papa mich ansieht und mir die Wange tätschelt. »Willkommen zu Hause, mein Sohn.«

Leo

»54, 55, 56, 57 … uns fehlen also noch 26 Stück«, erkläre ich nach dem Durchzählen der kleinen Kraftpapiertüten. Es sind die Gastgeschenke von Jannes und Emma, die morgen heiraten. Sie haben sich für Überraschungstütchen entschieden, die mit einem Lavendelzweig und einer kleinen Holzklammer versehen werden. Natürlich habe ich mich von Jannes überreden lassen, beim Einpacken der kleinen Präsente zu helfen. Ich bin schließlich selbst schon verheiratet und weiß, wie viel Arbeit so eine Hochzeit bedeutet, wenn man die Feier nicht gerade klein hält. Und wir leben in einer Gemeinde, in der sich jeder kennt – hier wird keine Hochzeit klein gehalten. Das ganze Dorf feiert Polterabend und Hochzeit.

Jannes lehnt sich auf dem Sofa zurück und startet mit der nächsten Tüte. »Ich habe noch gar nicht realisiert, dass ich ab morgen verheiratet bin.«

»Na ja, du kennst Emma seit der Schulzeit, gefühlt seid ihr doch schon verheiratet. Es wird sich bei euch nichts ändern, außer dass sie deinen Namen tragen wird. Oder hast du etwa Angst?«

Jannes ist siebenundzwanzig und somit ein Jahr jünger als ich, wir haben uns vor über fünfzehn Jahren beim Handball kennengelernt. Schon seit der Jugend spielen wir in einer Mannschaft. Und seitdem wir uns kennen, habe ich noch nie erlebt, dass er vor etwas Angst hatte. Im Gegenteil. Er ist mutig und kühn und erinnert mich immer ein bisschen an Fiete von den allerersten Pfefferkörnern. Der Anführer der ganzen Sippe. Die blonden Haare haben sie ja auch gemeinsam.

»Kein Stück«, erwidert er ohne zu zögern und schüttelt den Kopf. »Wurde die letzten Tage mehrfach gefragt, ob ich Zweifel habe oder woher ich weiß, dass sie die Richtige ist. Warum fragen das die Leute? Emma ist meine Frau, ich liebe sie und denke an keine andere. Wenn man weiß, wer der oder die Richtige fürs Leben ist, dann weiß man es einfach, oder nicht?«

Ich nicke bestätigend. »Auf jeden Fall, ich seh das genauso.«

»Gut«, sagt er und hebt den Kopf. Nachdenklich sieht er mich an, mustert verschiedene Flecken in meinem Gesicht. Als ich fragend eine Augenbraue wölbe, seufzt er. »Du musst mir was versprechen.«

»Ich muss? Oh ha, schieß los.«

»Bring mich morgen bitte nicht um.«

Lachend drücke ich meinen Oberarm gegen seinen. »Ist das ein Scherz? Ich schätze eher, dass du derjenige sein wirst, der mich umbringt.« Ich weiß noch, wie nervös ich vor meiner eigenen Hochzeit war. Da kann einem schon mal der Arsch auf Grundeis gehen. Selbst heute bin ich noch überrascht davon, dass ich keine kalten Füße bekommen habe.

»Warum sollte ich?«

»Junge, du heiratest morgen! Das ist hoffentlich ein einmaliges Lebensereignis! Also bei euch bin ich mir sogar sicher, dass ihr für immer und ewig zusammenbleiben werdet. Wenn jemand füreinander bestimmt ist, dann ihr.«

»Und was ist mit dir und Anastasia?«

Ich öffne den Mund und stutze. Was soll die Frage denn jetzt? Hat er etwa doch Schiss? »Jannes? Alles wird gut werden, okay? Es wird nichts schiefgehen, mach dir keine Sorgen.«

Sekundenlang sieht er mich mit unergründlicher Miene an, dann wendet er sich wieder den Gastgeschenken zu. »Du hast ja recht, wahrscheinlich mach ich mir zu viele Gedanken.«

Ich schnaube belustigt. »Yes. Und jetzt lass uns mal einen Zahn zulegen, damit wir noch vor Mitternacht ins Bett kommen und morgen fit sind.«

Ich hoffe wirklich für Jannes, dass er schlafen kann, ich konnte es damals in der Nacht vor meiner Hochzeit nicht. Zu viele Gedanken flogen durch meinen Kopf. Ängste und Zweifel, Sorgen, Was-wäre-wenn-Fragen. Doch am Ende habe ich es durchgezogen und nun sind Anastasia und ich schon sechs Jahre zusammen, vier davon verheiratet und haben eine kleine Tochter. Marla. Sie ist das größte Glück in meinem Leben. Meine ganz große Liebe. Früher wollte ich nie Kinder haben und nun kann ich mir eine Welt ohne sie gar nicht mehr vorstellen.

»Was ziehst du morgen eigentlich an? Irgendeine verrückte Kreation aus der Kollektion deiner Mutter?«

Jannes hasst die Modeticks meiner Mutter. Ach, Jannes hasst auch meine Mutter. So wie gefühlt jeder hier in der Gemeinde. Das klingt hart, aber ich schätze, das ist die Wahrheit. Mama hat hier einfach niemals hergehört und ich glaube, das ganze Dorf hat aufgeatmet, als mein Vater sich von ihr getrennt hat und sie weggezogen ist. Landwirtschaft und Fashionvictims aus der Stadt sind eben nur äußerst selten kompatibel.

»Ich bitte dich. Wir sind hier in Kliersen, ich will nicht zum Thema Nummer eins im Dorf werden. Außerdem weißt du ganz genau, wie wenig ich Mamas Sachen mag, auch wenn ich für sie arbeite.«

Jannes nickt und befestigt eine Holzklammer ans nächste Geschenk. Im Schneckentempo nähern wir uns unserem Ziel. »Gut, ich hatte schon Angst. Und du kommst auch etwas früher, ja? Wir brauchen beim Vorbereiten echt noch etwas Hilfe.«

»Das habe ich dir schon vor Monaten versprochen und das wird sich in den nächsten zwölf Stunden auch nicht ändern«, versichere ich ihm.

»Hast du alle Zutaten, die du benötigst? Für die Kekse?«

Jannes ist echt schlimmer als jedes Krümelmonster. Für Gebäck jeder Art würde er töten. Deshalb darf morgen bei der Trauung natürlich auch keine Kuchen- und Keksbar fehlen. Die meisten Kalorienbomben bringt Susi vorbei, das Urgestein aus unserer Konditorei im Ort, aber Jannes wünscht sich auch meine Lieblingskekse, von denen ich das Rezept bis heute niemals verraten habe. Ich will es einfach nicht teilen.

»Keine Sorge, ich bringe morgen alles mit und saue dann eure Küche ein.«

Jannes' Familie hat drei Backöfen, so geht das alles viel schneller, als wenn ich mich zu Hause zum Backen hinstellen würde.

Als er noch etwas erwidern will, vibriert sein Handy, das auf dem Wohnzimmertisch liegt. Er greift danach und liest die Nachricht. Grinsend tippt er eine knappe Antwort.

»Emma?«, frage ich.

»Ja, sie wünscht mir eine gute Nacht und freut sich auf morgen.«

Ich lächle. Ja, Jannes und Emma lieben sich einfach abgöttisch. Noch nie habe ich erlebt, dass sie sich mal gestritten haben oder sich mal einer von beiden über den anderen beschwert hat. Ein Herz und eine Seele. Wenn jemand bis ans Lebensende zusammen gehört, dann die beiden.

Thore

Zur Beruhigung meiner angespannten Nerven schiebe ich mir einen Esslöffel mit Nutella in den Mund. Ich fühle mich, als würde ich selbst heiraten. Dabei weiß ich ganz genau, dass es nicht an der Hochzeit liegt, warum ich so nervös bin. Sondern an meinem Exfreund. Leo, mein Exfreund, von dem niemand weiß, dass er mein Exfreund ist außer wir beide selbst.

Früher waren Jannes, Leo und ich beste Freunde. Ein unzertrennliches Trio. Jannes und ich waren zusammen in einer Schulklasse, Leo haben wir beim Handball kennengelernt. Wir waren uns auf Anhieb sympathisch und haben viel zusammen unternommen, doch zwischen Leo und mir entwickelte sich mehr. Heimlich. Ich war unendlich in ihn verknallt, aber er wollte sich nicht outen.

Knapp zwei Jahre habe ich mit ihm mein Leben und Bett geteilt, habe das Versteckspiel durchgezogen und mich zusammengerissen, bis ich einfach nicht mehr konnte.

Ich war schon lange geoutet, aber Leo wollte es auch nach so langer Beziehung nicht. Das hat mich kaputtgemacht. Diese ewigen Lügen und Heimlichtuereien, das hat mich zerfressen. Zu sagen, dass man niemanden kennengelernt hat und auch kein Interesse hat, wenn Oma am Weihnachtstisch nach einem Freund gefragt hat. Das pinke Armband beim Einlass des Clubs zu nehmen, das für Single steht, obwohl mein Freund direkt neben mir steht. Beim Flaschendrehen zusehen zu müssen, wie mein Freund eine andere küsst, ihn am besten noch anfeuern. Diese und viele andere Dinge haben sich zu einem gewaltigen Berg von Kummer entwickelt, dass ich Leo vor die Wahl gestellt habe. Entweder outet er sich oder wir trennen uns.

Vielleicht war es fies von mir, ihm die Pistole auf die Brust zu setzen, ein Outing ist eben nicht ohne, dafür muss man bereit sein und es wollen. Er wollte es nicht, das war und ist ja okay, aber ich musste auch an mich selbst denken und ich war mit der Situation unglücklich.

Leo hat Schluss gemacht. Oder habe ich mit meiner Forderung Schluss gemacht? Fakt ist, dass wir uns getrennt haben und aus den gegenseitigen Verletzungen ein riesiger Streit entstand. Unter vier Augen und in SMS-Verläufen haben wir uns gefetzt, man hätte die Sache auf sich beruhen lassen können, doch irgendwie konnten wir nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander.

Jannes verstand die Welt nicht mehr. Weder Leo noch ich haben ihn je eingeweiht, was der Grund unseres Streits war. Denn auch wenn es mich verletzt hat, dass Leo die Trennung einem Outing vorgezogen hat, würde ich ihm niemals dermaßen in den Rücken fallen und sein Geheimnis verraten.

Das unzertrennliche Dreiergespann war zerrissen und wurde nie wieder repariert.

Nachdem ich meine Ausbildung als Fotograf abgeschlossen hatte, habe ich meine Heimat Kliersen und damit auch Leo endgültig verlassen.

Ich habe mir eine neue Handynummer zugelegt und so gut wie alle Kontakte gecancelt, bis auf die zu meiner Familie und Jannes. Allerdings musste Jannes mir ein Versprechen geben: Leo sollte keineswegs erfahren, dass wir noch Kontakt haben. Das Ganze ist mittlerweile acht Jahre her und wenn sich Jannes an den Schwur gehalten hat, weiß Leo nicht, dass wir uns heute wiedersehen werden.

Eigentlich sollte es mir scheißegal sein. Ich habe ihn auf Instagram all die Jahre verfolgt, Leo ist verheiratet und hat ein Kind. Wir sind älter geworden, wir sind Erwachsene und wir sollten wie gesittete Menschen miteinander kommunizieren können. Trotzdem ist da etwas in mir, was mich ganz wuschig macht.

»Komm runter, Thore. Leo ist nicht der einzige Kerl, mit dem du im Bett warst«, murmle ich mir selbst zu, kremple die Ärmel meines lachsfarbenen Hemdes hoch und betrachte mich im Spiegel. Ich bin nicht unattraktiv und gerade in den südlichen Ländern war ich mit meinen blonden Haaren oft ein interessanter Fang.

Mit einigen Männern hatte ich auch meinen Spaß, doch eine ernste Beziehung, die Potenzial für ein gemeinsames Leben hatte, konnte ich bis heute nicht aufbauen. Meine längste Partnerschaft hielt fünf Monate, dann wurde ich über WhatsApp abserviert, weil er mit meinem Job nicht klarkam. Ich bin nun mal viel unterwegs mit meinem Wohnmobil und werde das auch garantiert für keinen Kerl der Welt ändern.

Ich schüttle meine Arme, als könnte die Nervosität so verschwinden, dann klatsche ich einmal in die Hände. »Auf geht's.«

Ich stopfe mein Smartphone in die Hosentasche, spritze etwas Parfüm auf meinen Hals und mache mich auf den Weg. Das Hochzeitsgeschenk bringen meine Eltern später mit, sie sind mit Jannes' Eltern befreundet und natürlich auch eingeladen.

»Ich hau ab, Mama. Bis später«, rufe ich durch den Flur und ziehe mir die Schuhe an. Zum Glück ist es eine lockere Feier, sodass ich mir nicht extra unbequeme Schuhe kaufen musste. Ob mir die Treter noch passen, die ich zur Konfirmation anhatte? Mama hat die garantiert aufgehoben.

»Okay, schöne Grüße!« Ihre Antwort kommt aus der Küche und ich verdrehe lächelnd die Augen. Sie sieht doch später alle selbst.

Zu Fuß brauche ich knapp zehn Minuten, bis ich am Hof ankomme, auf dem Jannes' Familie lebt. Im Wohnhaus gehört Jannes' Eltern die untere Etage, ihm und Emma die obere. Die Feier findet in einer angrenzenden Scheune statt, die bereits mit Blumen, Tüchern und Girlanden geschmückt ist. Irgendwo läuft Musik, zu sehen ist aber niemand.

Ich straffe die Schultern und laufe um das Gebäude herum. Auf der Rückseite des Hauses steht die Tür des Hauswirtschaftsraumes in der Regel offen, wenn jemand zu Hause ist. So auch heute. Enge Freunde dürfen dann ungefragt das Haus betreten, da gehöre auch ich zu.

»Hallo?«, rufe ich und kündige so meine Anwesenheit an, doch erhalte keine Antwort.

Ich schiebe die Hände in die Hosentaschen und durchquere den Flur. Ich habe nicht sonderlich viel Ahnung von Innenausstattungen, aber ich schätze, dass zuletzt in den Siebzigern oder Achtzigern renoviert wurde. Auf den kleinen braunen Fliesen liegt ein brauner hässlicher Teppich mit wilden Mustern. An den Wänden hängen Geweihe, Jagdauszeichnungen, Medaillen von Reitturnieren und Fotos, auf denen Jannes noch ein Baby ist. Auf einem hat er das ganze Gesicht in einen Kuchen gedrückt. Jap, das ist Jannes. Ohne Kuchen und Süßkram geht bei ihm gar nichts.

Ich wende den Blick vom Foto ab, als ich aus der Küche Geräusche vernehme. Mit drei großen Schritten stehe ich im Türrahmen, um die Person zu begrüßen. Als ich die Silhouette allerdings erkenne, erstarre ich. Aus meinem Mund kommt kein Ton. Stattdessen höre ich plötzlich das Blut in meinen Ohren rauschen.

Leo. Da steht er. Einfach so.

Er hat mir den Rücken zugedreht, doch mein kräftiger Herzschlag täuscht mich ganz sicher nicht. Ich war ja darauf vorbereitet, dass ich ihn heute sehen werde, allerdings dachte ich, das wäre heute Abend. Plötzlich ist der Moment viel früher da. Jetzt.

Was macht er schon hier? Ich verschränke die Arme vor der Brust und lehne mich mit der Schulter gegen den Türrahmen. Ganz langsam und so leise wie möglich stoße ich den angehaltenen Atem aus.

Leos Haare sind länger geworden, sie stecken in einem hohen Knoten. Meine Augen wandern seinen trainierten Körper hinab, der in ein mintfarbenes Hemd und eine hellbeige Chino gehüllt ist.

Früher war er ein süßer Junge. Heute ist er ein attraktiver Mann. Ja, auf Instagram habe ich Fotos von ihm gesehen, doch die Live-Version ist tausendfach besser.

Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Wie er da so in der Küche steht, mit einer Schürze um, während er irgendetwas zubereitet. Viel zu oft habe ich mir damals eine tolle Zukunft mit ihm ausgemalt. Ein gemeinsames Haus, ein gemeinsames Leben. Wäre der Traum Realität geworden, würde ich jetzt zu ihm gehen und ihm einen Kuss auf den Nacken hauchen.

Kaum habe ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, schüttle ich den Kopf. Vor mir steht ein Mann, den ich seit über acht Jahren nicht gesehen habe. Jeder von uns hat sich entwickelt und verändert. Ich bin nicht mehr der Thore von damals und er ist nicht mehr der Leo von damals. Im Prinzip sind wir Fremde. Es wird also Zeit sich vorzustellen.

Ich stoße mich vom Türrahmen ab und betrete die Küche. »Hallo Leo.«

Thore

Mit gerunzelter Stirn und einer Rührschüssel in der Hand dreht Leo sich um. Hat meine Stimme sich verändert? Oder erkennt er sie nicht mehr? Erkennt er mich überhaupt? Ich bin schließlich auch älter geworden.

Sein überraschter Gesichtsausdruck und die aufgerissenen Augen beantworten meine Frage. »Thore«, sagt er und hört auf, den Inhalt der Schüssel umzurühren.

Mein Name aus seinem Mund klingt noch immer wie der Himmel.

»Hallo«, wiederhole ich, als ich meine Hände in die Hosentaschen schiebe. Ich unterbreche den Blickkontakt und scanne die vollgepackte Arbeitsfläche ab. Sind das etwa …?

»Was machst du hier?«, fragt er vollkommen entsetzt.

Mein Blick fliegt zurück zu ihm. Als er eben meinen Namen ausgesprochen hat, klang seine Stimme noch weich, beinahe liebevoll, doch die Frage wirkt deutlich schroffer.

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Das Gleiche könnte ich dich fragen.« Wobei ich mir die Antwort denken kann. Jannes hat gesagt, nur die Trauzeugen kommen früher. Als er mich letztes Jahr gefragt hat, ob ich sein Trauzeuge sein möchte, habe ich natürlich zugestimmt, mich allerdings nicht getraut zu fragen, was mit Leo ist. Die beiden sind immer befreundet geblieben. Eigentlich nur logisch, dass Jannes uns beide zu Trauzeugen gemacht hat. Was ich unterbewusst schon seit Monaten geahnt habe, bestätigt sich mit Leos Anwesenheit nur.

Für ihn ist die Überraschung offensichtlich größer, schließlich geht er davon aus, dass Jannes und ich ebenfalls seit Jahren keinen Kontakt mehr haben.

»Ich habe zuerst gefragt.«

Ich muss schmunzeln. Ist er etwa schon nach zwei Sätzen angefressen? »Komm schon, du kennst die Antwort. Ich bin Trauzeuge.«

Leo schnalzt mit der Zunge und stellt die Schüssel auf die Kücheninsel, die zwischen uns steht. »Als ob. Glaubst du etwa, du kannst hier nach zehn Jahren einfach so aufkreuzen, einen auf Kumpel machen und dich selbst zum Trauzeugen machen?«

»Acht.«

»Was?«

»Ich bin vor acht Jahren weg, nicht vor zehn.«

»Kam mir länger vor. Wie auch immer. Jannes ist mein bester Freund und wenn es noch einen weiteren Trauzeugen geben würde, wüsste ich das wohl. Er hätte mir das gesagt.«

»Tja, offensichtlich nicht«, erwidere ich und ziehe die Schultern hoch. »Jannes und ich sind auch die ganze Zeit befreundet geblieben. Ich habe ihn darum gebeten, dass er dir nicht davon erzählt.«

Leo blinzelt und öffnet den Mund, seine Augen huschen über mein Gesicht, als würden sie eine Lüge suchen. Sie werden keine finden. In seinem Blick liegen Unverständnis und Verwirrung und dann, wenn mich nicht alles täuscht, auch ein Anflug von Panik.

»Er hat recht.« Jannes betritt die Küche und bestätigt meine Worte. Lächelnd drehe ich mich zu ihm, um ihn zu begrüßen, doch sein todernster Blick lässt mich innehalten.

»Ich habe keine Ahnung, was euer Problem miteinander war oder ist und warum ihr es mir nie erzählt habt. Nichtsdestotrotz seid ihr beide nach Emma meine engsten Vertrauten, meine besten Freunde. Ich habe euch bewusst im Unklaren darüber gelassen, dass ich euch beide als meine Trauzeugen haben möchte, damit keiner von euch abspringt. Und ich bitte euch, reißt euch heute verdammt nochmal zusammen, klar? Ab morgen könnt ihr euch meinetwegen für ein weiteres Jahrzehnt ignorieren. Aber auf meiner Hochzeit will ich keinen Streit sehen. Haben wir uns verstanden?!«

Keine Ahnung, was Leo hinter mir macht, aber ich nicke stumm. Niemals würde ich Jannes die Party mit irgendeiner Kindergartenscheiße verhunzen. Und nach dieser kurzen Ansage würde ich mich das erst recht nicht mehr trauen. Er würde mir die Hölle heißmachen.

Sichtlich erleichtert atmet Jannes auf und das gewohnte Grinsen stiehlt sich auf sein Gesicht. »Gut, dann bin ich beruhigt.« Ganz offensichtlich hat auch Leo genickt. »Und jetzt lass dich drücken, Mann!« Er zieht mich in eine brüderliche Umarmung und klopft mir auf den Rücken. »Emma und ich freuen uns, dass du da bist. Wie war deine Anreise aus Barcelona?«

»Emma und er kennen sich auch?!«, fährt Leo dazwischen, doch ein scharfer Seitenblick von Jannes genügt, damit er beschwichtigend die Hände in die Luft hebt.

Ich verkneife mir ein Schmunzeln und räuspere mich. »Ich bin gestern schon angekommen und davor die Nacht durchgefahren. Das ist einfach entspannter, wenn man sich durch keine Staus kämpfen muss.«

»Ja, hab ich mir gedacht. Ich habe drüben schon dein Wohnmobil gesehen, wollte dich aber erst mal schlafen lassen. Dana und Gerrit haben dich sicherlich auch direkt belagert.«

»Jap, du kennst doch Mama und Papa, aber Merle und Henrik waren nicht viel besser.«

»Das kann ich mir vorstellen. Okay, ich würde gerne noch weiter mit dir quatschen, du musst mir noch alles aus Barcelona erzählen, aber die Zeit ist echt knapp. Kannst du Papa gleich in der Scheune helfen? Der baut da eine Bühne für den DJ auf.«

»Klar, mach ich.«

»Perfekt, dann bis später.« Nervös fährt Jannes sich durch sein dunkelblondes Haar und eilt davon. Doch im Türrahmen dreht er sich noch einmal um. »Oh, und probier unbedingt diese affengeilen Nutella-Kekse von Leo. Die sind ein Träumchen! Der Idiot weigert sich aber, sein Rezept rauszugeben, daher ist er auf jeder Feier verpflichtet, sie zu backen.«

So so? Wieder eine Information, die mich dazu zwingt, mir ein Lachen zu verkneifen. Jetzt kriege ich Lust, Leo zu necken. Jannes reckt beide Daumen in die Höhe, bevor er verschwindet.

Einen Moment starre ich noch zum leeren Flur, dann drehe ich mich um und begutachte die ganzen Nutella-Kekse auf den Backblechen. Es ist mein Rezept. Nutella ist meine ganz große Liebe und Leo die einzige Person, der ich damals das Rezept verraten habe. Was soll ich davon halten, dass er es nicht vergessen hat? Dass er es nach all den Jahren backt?

Ich lehne mich vor, stütze mich mit einer Hand auf der Küchentheke ab und schnappe mir einen Keks. Während ich mir den süßen Leckerbissen in den Mund stecke, schaue ich zu Leo.

Er beobachtet mich beim Kauen und erwidert den Blickkontakt. Scheiße, ich habe viel zu lange nicht gebacken, die schmecken fantastisch. Ich schlucke herunter und werfe ihm mein süßestes Lächeln zu. »Affengeil«, hauche ich.

Leos Augenlid zuckt und er sieht mich an, als wäre er sich nicht sicher, ob ich den Keks oder ihn meine. Natürlich den Keks, ich habe lediglich Jannes' Beschreibung wiederholt. Aber Leo ist auch ganz lecker. Ob ich ihm wohl auch noch gefalle?

Er senkt den Blick und die Stimme. »Hast du ... ich meine, weiß er das mit uns?«

Oh. Ich habe nicht damit gerechnet, dass er direkt danach fragt. In meinem ersten Impuls liegt mir ein Konter auf der Zunge, der unsere damalige Beziehung durch den Kakao zieht. Aber ich lasse es aus drei Gründen. Ich wollte keine Kindergartenscheiße, Jannes will keine Kindergartenscheiße und Leo sieht gerade nicht danach aus, als könnte er Kindergartenscheiße vertragen. Stattdessen seufze ich und greife nach einem zweiten Keks. »Nein, weiß er nicht. Ich habe ihm nichts erzählt.«

»Warum nicht?«

»Aus demselben Grund, weshalb Jannes nicht verraten hat, dass ich weiterhin mit ihm befreundet bin, und du niemandem die geheimen Zutaten für diese königlichen Kekse verraten hast. Der Schöpfer dieses Rezeptes muss ein Gott sein.«

Leo schnaubt, doch tatsächlich blitzt auch ein winziges Lächeln in seinem Gesicht auf. Und er widerspricht mir nicht. Seine Augenbrauen sind allerdings weiterhin zusammengezogen. Er hat noch nicht verstanden, was ich meine.

»Loyalität hört niemals auf, Leo. Jedenfalls nicht für Menschen, die eine vernünftige Erziehung genossen haben. Dass keiner von uns dreien gequatscht hat, bedeutet, dass wir uns nach wie vor respektieren, egal was passiert ist. Und das finde ich gut.«

Gott, ich klang selten so erwachsen.

Leo sieht mich eine Weile nachdenklich an. Dann nickt er und fährt sich mit der Hand durchs Gesicht. »Danke. Ich mein, dass du ihm nichts gesagt hast.«

Ich zucke die Schultern. »Schon okay. War für mich selbstverständlich.« Und das meine ich auch so. Ich hätte damals eine Schulter zum Anlehnen gebraucht, jemanden bei dem ich mich ausheulen kann, jemanden dem ich meinen Liebeskummer anvertrauen konnte, stattdessen habe ich Rücksicht auf Leo genommen und alles mit mir selbst ausgemacht. War eine harte Zeit für mich.

Zu Leos Nicken gesellt sich auch ein Lächeln, bei dem ich mir allerdings nicht sicher bin, ob es echt oder falsch ist. Er streckt mir seine Hand entgegen. »Vergessen wir unseren Streit und sind Freunde?«

Freunde? Händeschütteln? Ich bin ihm nicht mal eine Umarmung wert? Zögerlich spähe ich zu seiner Hand. Die Hand, an deren Ringfinger sein goldener Ehering steckt. Gut, vielleicht wäre eine Umarmung doch zu viel, wir sind ja schließlich wie Fremde, oder? Ich atme tief durch und greife nach seiner Hand. Sie ist warm. So unglaublich warm.

»Freunde.«

Leo

Thore ist zurück in Kliersen.

Ausgerechnet auf einer Hochzeit begegne ich dem Menschen wieder, den ich früher selbst gerne mal geheiratet hätte. Träume werden aber nicht immer wahr. Unsere Wege haben sich damals getrennt, Jahre sind vergangen und wir sind andere Beziehungen eingegangen. Vor vier Jahren habe ich Anastasia geheiratet. Sie ist toll, eine Frau zum Pferde stehlen und die wundervollste Mutter, die ich mir für meine Tochter vorstellen kann.

»Hey, alles okay bei dir? Und bei euch?«, fragt Jannes, als ich das Schlafzimmer von ihm und Emma betrete.

Es ist alles vorbereitet. Die Deko sitzt, die Blumen wurden geliefert, die Kekse sind fertig, das Catering hat mit einem Anruf bestätigt, dass alles pünktlich geliefert wird, und die ersten Gäste sind auf dem Weg. Es kann losgehen. Obwohl es im Dorf Tradition ist, haben sich Jannes und Emma gegen eine kirchliche und für eine freie Trauung auf dem Hof entschieden.

Ich vergrabe meine Hände in den Hosentaschen und lehne mich mit dem Rücken gegen die Tür. Jannes bindet sich gerade die Krawatte, jedenfalls versucht er es, und sieht mich über den Spiegel an. Spöttisch ziehe ich eine Augenbraue hoch. »Ich war tatsächlich kurz schockiert, aber werde drüber hinwegkommen. Warum hast du nie was gesagt? Okay, ich weiß, weil er es nicht wollte. Aber wie konnte ich das nicht merken? Habt ihr euch nie gesehen?«

»Doch, wir haben viel telefoniert, Facetime und so. Und im Gegensatz zu dir brauchen Emma und ich nicht immer Urlaub im Hotel, sondern kommen auch mal mit einem Campingplatz klar.«

Ich stocke und meine Augen werden groß. »Gardasee letztes Jahr?«

Jannes nickt. »Mit Thore.«

»Roadtrip durch Skandinavien?«

»Mit Thore.«

»Und die USA-Reise entlang der Ostküste?«

»Okay, die haben Emma und ich alleine gemacht. Und bevor du fragst, in die Flitterwochen kommt er auch nicht mit«, sagt Jannes lachend.

Verstehend nicke ich. »Wow.« Ich kann nicht glauben, dass mein bester Freund wirklich die ganze Zeit mit meinem Exfreund Kontakt hatte, schlimmer noch, dass er ihn ebenfalls als besten Freund sieht. Das muss ich erst einmal verdauen.

Ich verurteile die beiden dafür nicht, schließlich waren sie damals auch schon beste Freunde, es ist nur die Tatsache, dass ich nichts davon wusste. Dass sie es geheim gehalten haben. Ach fuck, ich kann Jannes wirklich nichts vorwerfen, immerhin habe ich meine Beziehung zu Thore damals ebenfalls vor ihm verheimlicht, nur dass die eben mehr als rein freundschaftlich war. Ich kratze mir über den Hals. »Er war gar nicht auf dem Junggesellenabschied oder auf dem Polterabend.«

Jannes wirkt unbeeindruckt und zuckt die Schulter. »Er hat Aufträge, die er einhalten muss, er konnte nicht auf den JGA, den Polterabend und die Hochzeit Rücksicht nehmen. Uns war natürlich am wichtigsten, dass er heute dabei ist.«

»Nachvollziehbar«, murmle ich und verkneife mir ein Lachen, als Jannes ein weiteres Mal den katastrophalen Krawattenknoten löst.

»Kommt ihr denn wenigstens heute miteinander klar? Bitte.«

»Jannes, hör auf dir Sorgen zu machen. Unser Streit ist Schnee von gestern, wir haben uns brav die Hand gegeben, okay? Alles fein«, erwidere ich und drücke mich von der Tür weg, um Jannes zu erlösen. »Gott, das kann ich mir nicht länger ansehen, komm mal her.«

Als hätte Jannes darauf gewartet, lässt er die Arme sacken und dreht sich zu mir. Schmunzelnd greife ich zum zarten Stoff der Krawatte. »Ich bin eben der Bauer und du der Modeprofi«, sagt er.

»Wobei so ein Bauer in Krawatte auf seinem Traktor bestimmt auch ganz sexy sein kann«, sage ich grinsend. »Wir können ja mal Emma fragen.«

»Pff.« Jannes verdreht die Augen. »Aus sowas macht sie sich nichts.«

»Ach, komm. Jeder hat doch mal gerne was fürs Auge. Auch Emma. Und ich wette, du schaust sie auch gerne an, wenn sie sich hübsch gemacht hat.«

»Ich schaue sie immer gerne an, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit.«

»Natürlich, aber manchmal eben noch lieber. Zum Beispiel heute. Wehe, du flennst nicht, wenn du sie im Brautkleid siehst«, warne ich ihn, als der Krawattenknoten sitzt. »So. Fertig.«

Jannes dreht sich, um wieder in den Spiegel blicken zu können. »Danke, Leo.«

Ich zwinkere ihm zu. »Gerne, dafür sind Trauzeugen doch da. Freund und Helfer. Brauchst du sonst noch irgendwas? Kamm? Deo? Schnaps?«

»Hast du die Ringe?«

Ich klopfe auf meine rechte Hosentasche. »Am Mann.«

»Gut«, sagt er und nickt. Nun wirkt er doch etwas nervös, was ich mit einem Grinsen quittiere. Es gibt also doch etwas, was ihn schwach werden lässt. Seine Frau. Ich freue mich unglaublich für die beiden und bete dafür, dass der Abend genau so verläuft, wie sie es sich erträumt haben. »Leo?«

»Mhm?«

Plötzlich wird Jannes' Blick ernster. »Ich lieb dich, Mann. Du weißt jetzt, dass ich Thore nie aus meinem Leben gestrichen habe und du sagst selbst, dass euer Streit Schnee von gestern ist. Erzählst du mir, was damals zwischen euch vorgefallen ist?«

Stumm starre ich ihn an, ein offensichtliches Schlucken verkneife ich mir. Mir ist bewusst, dass Jannes Verständnis für alles und jeden hat, er toleriert jedes Leben, jeden Menschen, Thore ist ebenso sein bester Freund wie ich. Gott, vermutlich wäre er von der Wahrheit nicht mal schockiert. Trotzdem ist mir nicht danach, alte Wunden aufzukratzen.

»Ich weiß es nicht, Jannes. Auf jeden Fall nicht heute. Irgendwann vielleicht.«

Er bohrt nicht weiter nach und nickt sofort. »Ist okay, Mann.« Brüderlich klopft er mir auf die Schulter, bevor er sich sein Jackett schnappt. »Ich hoffe nur, dass es dann nicht zu spät ist«, murmelt er, als er Richtung Schlafzimmertür geht.

Sollte ich das verstehen oder nicht?

»Was meinst du damit?«, rufe ich ihm nach.

Jannes zieht die Schultern hoch. »Das musst du entscheiden. Ich geh jetzt runter, kommst du mit?« Wie kann er so eine Bemerkung von sich geben und sie anschließend einfach abschütteln? Weiß er doch irgendwas? Hat Thore ihm was erzählt? Und wenn ja, was genau? Wofür soll es irgendwann zu spät sein? Jannes Höfer, ey. Er weiß genau, wie er mich neugierig macht.

Ich fahre mir durch die Haare. »Bringen wir dich ins Gefängnis.«

Schmunzelnd zieht er sich das Jackett über, mit dem Fuß hält er mir die Tür auf. »So siehst du die Ehe also.«

Ich boxe ihm gegen den Oberarm. »Wir sprechen uns in ein paar Jahren wieder.«

»Du weißt, dass meine Beziehung schon länger anhält als deine, oder?«

»Kann ja nicht jeder seit Teeniezeiten in die gleiche Person verliebt sein«, erwidere ich leise und schaue durchs Fenster nach draußen. Von hier hat man einen guten Überblick über den gesamten Hof. Vor der geschmückten Scheune sehe ich schon Jannes' Eltern und Großeltern, zwei Freundinnen von Emma, ein paar Nachbarn und befreundete Landwirte. An der Straße parken bereits die nächsten zwei Autos.

Auch Thore sehe ich. Jannes' Tante begrüßt ihn mit der herzlichsten Umarmung, die man geben kann. Alle kennen ihn, alle lieben ihn. So war es schon damals.

Vorhin hätte ich ihn auch gerne umarmt, irgendwas in mir wollte wissen, wie es sich anfühlt, seinen Körper wieder an meinem zu spüren. Gleichzeitig hatte ich aber auch Angst vor dem Gefühl, sodass ich ihm lieber nur die Hand gegeben habe.

Abrupt dreht die kleine Menschentraube um Thore ihren Kopf nach links. Elias. Grinsend breitet er die Arme aus und geht auf Thore zu. Die beiden kennen sich schon seit dem Kindergarten, seine Eltern haben damals in der gleichen Straße wie Thores Familie ein Haus gebaut. Hatten die beiden auch die ganze Zeit Kontakt? Ihre Umarmung ist innig, vertraut und für meinen Geschmack einen Tick zu lange.

Elias ist gutaussehend, mit seiner sportlichen Figur, den pechschwarzen Haaren und den dunkelbraunen Augen ein echter Blickfang. Vermutlich könnte er jeden und jede haben, wenn er wollen würde. Allerdings bevorzugt er die Freiheit als Single.

Thore weicht ein Stück zurück, hat seine Hände aber weiterhin auf Elias' Schultern und strahlt ihn an, während Elias irgendetwas erzählt.

Das Handy in meiner Hosentasche klingelt. Ohne den Blick von der Situation vor mir zu nehmen, ziehe ich es heraus. Den Klingelton hat sowieso nur eine Person. Meine Frau. »Ja?«

»Hey Leo, wie sieht's aus? Wir sind soweit fertig und würden uns gleich auf den Weg machen.« Anastasia ist Emmas Trauzeugin, sie sind bei ihren Eltern und haben sich dort für die Zeremonie vorbereitet.

»Hier ist alles fertig, fehlen nur noch ein paar Gäste. Aber wenn ihr gleich losfahrt, sollte das passen. Ihr braucht ja eh ein bisschen.«

»Perfekt, ich wusste, dass du alles unter Kontrolle hast.«

Natürlich. Wenn ich mich um etwas kümmere, dann richtig.

»So wie du.«

Anastasia lacht leise. »Alles klar, dann bis gleich. Ich hab eben noch kurz mit Mama telefoniert, Marla hat uns schon nach einer Minute abgeschrieben. Wir können heute also sorglos feiern.«

Das war mir klar. Unsere Tochter liebt ihre Oma.

»Sehr schön. Dann bis gleich und fahrt vorsichtig.« Ich beende das Gespräch und schiebe das Handy zurück in meine Hosentasche. Als Thore seinen Blick hebt und genau in meine Richtung schaut, wende ich mich ab.

Mit schiefgelegtem Kopf wartet Jannes auf mich. Ich räuspere mich und deute zur Treppe. »Deine Braut ist unterwegs.«

Thore

Als die Trauung beginnt, bin ich nervös. Zu meiner Schande bin ich mir aber nicht sicher, ob es wirklich an Jannes und Emma liegt, oder an Leo. Wir sitzen direkt nebeneinander, meine Beine sind angespannt. Würde ich sie lockern, würden sich unsere Oberschenkel berühren.

Der Moment, als Emma die Scheune betritt, und alle aufstehen, kommt mir daher nur recht. Sie sieht atemberaubend aus, ein schlichtes weißes Kleid mit Herzausschnitt und Schmetterlingsärmeln, das zarte Band um ihre Taille zeigt ihr tollen Kurven. Ihre dunkelbraunen Haare trägt sie halboffen und gewellt, um den Hals eine filigrane Silberkette. Das schönste Accessoire ist jedoch ihr bezauberndes Lächeln, sie sieht überglücklich aus. Ein kurzer Blick zu Jannes und ich weiß, dass auch er gerade an keinem anderen Ort der Welt lieber wäre als genau hier.

Dann huscht meine Aufmerksamkeit zu Emmas Begleitung, ihrer Trauzeugin. Es ist Anastasia, Leos Ehefrau.

Sie sieht … perfekt aus. Geradezu wie aus einem Modemagazin ausgeschnitten. Lange schwarze Haare wie Pocahontas, strahlende Augen, ein voller Kussmund und eine Traumfigur, die nicht verrät, dass sie vor einem Jahr ein Kind zur Welt gebracht hat. Wow, Leo hat sich eine wahre Schönheitskönigin ausgesucht. Hat diese Frau auch Makel? Vielleicht irgendwelche schwachen Charakterzüge. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob Leo dann mit ihr zusammen wäre. Gott, ich bin neidisch. Sie führt das Leben, das ich mir damals gewünscht habe. Ein Leben mit Leo.

Dennoch freue ich mich natürlich für die beiden, dass sie glücklich sind.

Ich unterdrücke ein Seufzen und warte darauf, dass wir uns wieder hinsetzen können, um die Trauung mit einer sich freuenden Herzhälfte und einer jammernden Herzhälfte zu verfolgen. Aber soweit ich das mitkriege, verläuft alles reibungslos. Niemand stolpert, keiner vergisst seinen Text, Leo hat die Ringe dabei und Emma und Jannes sagen beide ja.

Nach dem formellen Teil des Tages werden etliche Umarmungen und Beglückwünschungen ausgetauscht, ein paar Tränchen weggetupft und Smalltalk geführt.

Ich stehe gemeinsam mit Elias ein wenig abseits und beobachte das Geschehen. Viele bekannte Gesichter strahlen das Brautpaar an. Die wenigen, die ich nicht zuordnen kann, gehören vermutlich zu Emmas Familie. »Wie lange hast du eigentlich vor, hier zu bleiben?«, fragt mich Elias und ich hebe den Blick, um ihn anzusehen.

»Nur ein paar Tage, dann bist du mich wieder los«, sage ich mit einem Zwinkern.

Obwohl ich Elias ewig nicht gesehen habe, ist unser Umgang harmonisch. Aber das habe ich nicht anders erwartet. Elias ist ein ruhiger Typ, er geht Problemen und Stress immer aus dem Weg und umgibt sich am liebsten mit Menschen, die dem Leben gegenüber positiv gestimmt sind. Genau wie ich. Er hasst Intoleranz und kickt alles und jeden aus seiner Welt, die auch nur einen Hauch von toxischem Verhalten an den Tag legen.

»Pff«, erwidert er und verdreht die Augen. »So schlimm find ich dich gar nicht. Ich war damals sogar richtig traurig, weil du Kliersen verlassen hast.«

Grinsend stupse ich mit meiner Schulter gegen seine. »Warst in mich verknallt, hm?« Ich lege mir eine Hand auf die Brust. »Warum bist du mir nur nicht gefolgt?! Das wäre so romantisch gewesen! Wir hätten glücklich werden können!«

Wir wissen beide, dass es nur Spaß ist, aber damals hatte man uns hier und da mal was angedichtet. Das Dorf wusste, dass ich schwul bin und das Dorf wusste, dass Elias bi ist. Für viele war die einzig logische Schlussfolgerung daraus, dass zwischen uns etwas laufen musste. Dumm wie drei Meter Feldweg. Unsere Beziehung war immer und zu jeder Zeit rein platonisch.

Elias fängt an zu lachen. »Na klar. Bild dir das nur ein.«

»Alle hätten gesagt, dass sie es immer wussten.«

»Genau. Alle wären happy, außer uns beiden«, murmelt er und wendet den Blick ab.

»Och, wieso? Wir hätten bestimmt eine lustige Beziehung gehabt.«

»Lustig vielleicht, aber nicht glücklich. Da waren nie Gefühle zwischen uns, ich wollte nie eine Beziehung und du ...« Er schaut zu mir, schüttelt dann aber schmunzelnd den Kopf.

»Und ich was?«, frage ich und hebe eine Augenbraue.

»Nichts.« Elias lacht und geht ein paar Schritte rückwärts, nicht ohne mir den Mittelfinger zu zeigen. »Ich geh mal pissen.«

Ja ja, verzieh dich nur, Spinner. Er hätte sowieso nur wieder darauf rumgehackt, dass ich ja abgehauen bin. Den Spruch muss ich mir jedes Mal anhören, wenn ich hier bin.

Seufzend schiebe ich die Hände in die Hosentaschen, als mir jemand auf die Schulter tippt. »Hey, du bist Thore, richtig?«

Überrascht drehe ich mich um und blicke direkt in das hübsche Gesicht von Anastasia. Aus dieser Entfernung erkenne ich auch ihre Augenfarbe. Dunkelbraun wie Zartbitterschokolade. Ihr Make-up sitzt perfekt. Ob sie das wohl selbst so gut kann? Vielleicht hat sie sich aber auch vorhin mit Emma im Kosmetikstudio ein professionelles Make-up gegönnt. »Äh, hi. Ja, bin ich.«

Sie lächelt und streckt ihre Hand aus, in meine Nase kriecht ein blumiges Parfüm. »Ich bin Anastasia, Emmas Trauzeugin und Leos Ehefrau. Ihr beide kennt euch ja, er hat von dir erzählt.«

Meine Augenbrauen springen nach oben. Er hat von mir erzählt? Ist ja interessant. Leo weiß selbst erst seit wenigen Stunden, dass ich heute hier bin und er hatte bisher nicht wirklich die Gelegenheit, Anastasia davon zu berichten. Es sei denn, er hat ihr geschrieben.

Ich schüttle ihre Hand, die warm und zart ist. »Freut mich. Ich hoffe, ich bin in seiner Erzählung gut weggekommen.«

Anastasias Grinsen wird breiter. »Als ob Leo je schlecht über jemanden reden würde.« Auf den ersten Blick wirkt sie lieb, ehrlich und sympathisch. Andererseits hätte es mich auch verwundert, wenn Emmas beste Freundin eine hysterische Zicke wäre.

Gott, in meiner Vorstellung habe ich sie immer gehasst. Dafür, dass sie Leo jeden Tag in die Augen schauen darf. Dafür, dass sie Leo jeden Tag küssen darf. Dafür, dass sie jeden Tag neben ihm einschlafen und wieder aufwachen darf. Und die ganze Welt darf es wissen.

»Stimmt«, sage ich nur und nicke. Es interessiert mich trotzdem brennend, wie er ihr von mir erzählt hat, welche Worte er dabei gewählt hat und welche Infos er ihr gegeben hat.

»Siehst du. Mir ist übrigens gerade zu Ohren gekommen, dass Emma und Jannes gar keinen Fotografen engagiert haben, sondern dass du dich um die Fotos kümmerst. Stimmt das?«

»Ja, das ist mein Hochzeitsgeschenk an die beiden.«

Anastasia sieht mich erst abschätzend und dann entschuldigend an. »Bitte versteh mich nicht falsch, aber ich wünsche mir für die beiden, dass sie die wundervollsten Bilder bekommen.«

»Dann haben wir ja den gleichen Wunsch.«

»Hast du vor, Fotos mit dem iPhone zu machen? Oder mit einer Kamera? Bitte sag mir, dass du ein bisschen mehr über die Einstellungen weißt, als nur den Auslöser zu betätigen.«

Ich lache auf und reibe mir mit einer Hand über den Nacken. »Ich nehme mal an, Leo hat nicht erzählt, was ich beruflich mache?« Anastasia schüttelt den Kopf, ich wiederum nicke und ziehe die Schulter hoch. »Ich bin ausgebildeter Fotograf und seit Jahren international auf der ganzen Welt tätig. Daher behaupte ich einfach mal, dass mir ein oder zwei Einstellungen bekannt sind. Falls du Referenzen brauchst, frag Google nach meinem Namen, dann landest du auf meiner Homepage«, erkläre ich zwinkernd und halte Ausschau nach meinen Eltern. Sie sind mit dem Auto hergekommen und haben mein Equipment im Kofferraum. Zuerst kreuzt sich mein Blick allerdings mit Leos, der in unsere Richtung starrt und sofort wegschaut, als er meine Aufmerksamkeit bemerkt.

»Oh Gott, sorry! Das wusste ich nicht, mir ging es wirklich nur um Emma und Jannes und dass sie schöne Fotos bekommen.«

Schmunzelnd winke ich ab, als ich Mama entdecke. »Alles gut, ich hätte vermutlich genauso skeptisch nachgefragt. Ich hol mal eben den Autoschlüssel von meinen Eltern, um mein Zeug aus dem Auto zu holen.«

Entgegen meiner Erwartung bleibt Anastasia nicht an Ort und Stelle stehen, sondern folgt mir. »Kann ich dir bei irgendwas helfen?« Schön, jetzt ist sie auch noch hilfsbereit. Aber tatsächlich könnte ich zwei helfende Hände gebrauchen.

»Emma hat sich Bilder hinter der Scheune bei den Strohballen gewünscht. Weißt du, wo ich meine? Zu zweit sollten wir alles tragen können, damit ich nicht zweimal laufen muss. Und wenn du magst, kannst du mir beim Licht helfen, also den Reflektor immer entsprechend positionieren.«

»Wird erledigt, Boss.«

Aus dem Augenwinkel erkenne ich ihre salutierende Geste. Oh Mann. Noch einmal blicke ich zu Leo, und wieder spielt sich die gleiche Szene ab, dass er sofort wegschaut.

Ich räuspere mich und verlangsame meine Schritte, damit Anastasia nicht umknickt, wenn sie mit ihren Pumps über das Gelände hechtet. »Was machst du eigentlich beruflich?«, frage ich sie.

»Momentan bin ich noch in Elternzeit, aber ich bin Design Development Specialist, also so wie Leo in der Modebranche tätig.«

Ich tue mal so, als würde ich das nicht schon wissen. »Arbeitest du auch bei Helena in der Firma?«

»Du kennst Leos Mutter?«

Ich rümpfe die Nase. »Ja.« Ich kenne sie, ich hasse sie.

»Ach, wie witzig. Also ja, ich arbeite auch bei ihr in der Firma. Wir kommen super miteinander aus und gehen auch oft zusammen reiten.«

Aha! Da ist der Makel, den ich gesucht habe. Privat mit Helena abhängen. Der blanke Horror. Ich schüttle mich bei der Vorstellung. »Oh ha.«

Anastasia lacht und boxt sachte gegen meinen Arm. »Du reagierst wie alle. Ich verstehe gar nicht, was ihr alle an ihr so schlimm findet.«

»Sonderlich sympathisch war sie mir nie, ihre abgehobene Schickimicki-Art war mir einfach zuwider. Jeglichen Respekt hat sie allerdings verloren, als sie wollte, dass Leo den Kontakt zu mir abbricht, nachdem sie mitbekommen hat, dass ich schwul bin.«

»Uhh«, ächzt Anastasia und zieht scharf die Luft an. »Nicht dein Ernst?«

»Mein voller Ernst.«

»Tut mir leid.«

Ich zucke die Schultern und bleibe stehen, als wir bei Mama ankommen. »Du kannst nichts dafür, Leo hat sich nicht dran gehalten und sie ist mir egal. Also halb so wild. Mama, kannst du mir bitte den Autoschlüssel geben?«

Leo

»Hallo? Hörst du mir überhaupt zu?« Ertappt blicke ich zurück zu Jannes, der mit seinen Fingern vor meinem Gesicht herumschnippt. Meine Aufmerksamkeit galt zwei anderen Personen.

»Hm?«