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1943. Es ist Weihnachten. Schon damals schrieben Kinder Tagebücher, um die unfassbaren Erlebnisse, die in Worten kaum wiederzugeben sind, festzuhalten. Die ältere Schwester von Antonia Katharinas Mutter ist neun Jahre alt, als sie durch ihre kindlichen Augen die Ereignisse einer Nacht beschreibt, die tiefe Eindrücke hinterlassen und niemanden unberührt lassen. Eine wunderbare Erinnerung daran, in was für friedlichen Zeiten wir heute leben dürfen.
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Seitenzahl: 20
Für alle, die Krieg und Gewalt erleben mussten
aus dem Tagebuch der Schwester meiner Mutter
Berlin 1944
Wir wohnten in Berlin Mahlsdorf, als sich im Frühjahr 1943 die Bombenangriffe auf Berlin derart ausweiteten, dass sie schließlich auch die Außenbezirke erreichten. In unserer Nachbarschaft wurde gerade erst mit dem Bau eines großen Luftschutzbunkers begonnen und da bei den Bombardierungen immer mehr Familien um uns herum in ihren Kellern verschüttet wurden, schickte uns unser Vater aufs sichere Land.
Ketzin ist ein kleines, stilles Dorf, malerisch umgeben von Feldern und Wäldern. Hier hatte Vatis Freund, ein Kriegskamerad aus dem 1. Weltkrieg, einen Bauernhof. Dort wurden wir von seiner Familie herzlich empfangen und für einige Monate aufgenommen.
Unsere Mutti und wir zwei Mädchen sollten die Möglichkeit haben, uns von den Schrecken und Aufregungen des Bombenkrieges zu erholen. Ketzin ist nur 150 km von Berlin entfernt und doch spürten wir hier nichts von den täglichen Luftangriffen auf die Städte.
Anfangs misstraute ich der Stille. Ich war wie eine gespannte Feder, jederzeit bereit aufzuspringen um Sicherheit und Deckung zu finden. Es dauerte ein paar Tage, bis ich genug Vertrauen fasste, um unbefangen mit den anderen Kindern auf dem Bauernhof zu spielen. Doch gerade als ich den Krieg vergessen hatte, ging eine Sirene los. Meine Schwester und ich sprangen sofort auf. Unsere Blicke suchten den Himmel ab. Es waren noch keine Bomber zu sehen, also stürzten wir ins Haus, um unsere Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen. Als wir mit Kleidern und Kuscheltieren in Richtung Vorratskeller rannten verstummte die Sirene. Stattdessen hörten wir schallendes Gelächter. Die anderen Kinder lachten uns aus. Als sie uns erzählten, dass die freiwillige Feuerwehr nur ihren monatlichen Probealarm durchgeführt hatte, mussten wir auch lachen.
Der Krieg schien plötzlich nur noch eine Erinnerung an ein längst vergessenes Leben.
Wir lernten wieder, durchzuschlafen und auszuschlafen. Wir lernten mit Tieren umzugehen und halfen auf dem Felde. Ich ging in die kleine Dorfschule und morgens, nach dem Aufstehen, bekamen wir frisch gemolkene, noch warme Milch. So verging ein wunderschöner Sommer und ein friedlicher Herbst. Es war nahezu paradiesisch.
Inzwischen war der Bau des großen Stahlbetonbunkers soweit fortgeschritten, dass wir nach Berlin zurückkehrten und nun während der Fliegeralarme in den Bunker flüchten konnten.