Stolen 3: Verwoben in Vergessen - Emily Bold - E-Book

Stolen 3: Verwoben in Vergessen E-Book

Emily Bold

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Beschreibung

Der finale Band der emotionalen Stolen-Trilogie von Silberschwingen-Autorin Emily Bold. 

Je mehr Abby Woods über die Welt der Schatten, ihr eigenes Erbe und die Kraft der drei Ringe erfährt, umso überzeugter ist sie, dass kein Mensch eine derartige Macht besitzen darf. Weder Bastian, der Teile ihrer Seele gestohlen, noch Tristan, der ihr Herz manipuliert hat. Abby kämpft um Kontrolle über ihre Gefühle und ihr Gewissen, und für die Hoffnung auf eine Zukunft inmitten einer intakten, liebenden Familie. Als Owen, der Hüter des letzten verbliebenen Rings, seine Finger nach ihren Erinnerungen ausstreckt, hat Abby keine Wahl. Sie trifft eine folgenschwere Entscheidung. Den Preis, den sie dafür zahlen muss, ist höher als gedacht. Und nicht nur sie muss ihn bezahlen …

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Das Buch

Eine Liebe, die nicht sein darf.Eine Freundschaft, die so viel mehr sein möchte.Eine Welt, die ins Chaos zu stürzen droht.

»Ich hab Angst«, gestand ich.Tristan zog mich an sich. Er hauchte mir einen Kuss auf den Scheitel. »Du musst niemals Angst haben, solange ich bei dir bin«, versprach er ernst. »Ich bin nicht Bastian, nicht der Ringhüter, aber ich hüte dich, okay? Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert.«Tristan Tremblay war wunderbar. Ich wollte mehr für ihn empfinden, doch ich konnte nicht.

Der finale Band der magischen Fantasy-Liebesgeschichte von der Silberschwingen- und The-Curse-Autorin.

Die Autorin

© Privat

Emily Bold, Jahrgang 1980, schreibt Romane für Jugendliche und Erwachsene. Ob historisch, zeitgenössisch oder fantastisch: In den Büchern der fränkischen Autorin ist Liebe das bestimmende Thema. Nach diversen englischen Übersetzungen sind Emily Bolds Romane mittlerweile auch ins Türkische, Ungarische und Tschechische übersetzt worden, etliche ihrer Bücher gibt es außerdem als Hörbuch. Wenn sie mal nicht am Schreibtisch an neuen Buchideen feilt, reist sie am liebsten mit ihrer Familie in der Welt umher, um neue Sehnsuchtsorte zu entdecken.

Mehr über Emily Bold: www.emilybold.de

Emily Bold auf Twitter: @emily_bold

Emily Bold auf Facebook: www.facebook.com/emilybold

Emily Bold auf Instagram: www.instagram.com/emily.bold/

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH auch!Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autoren und Übersetzern, gestalten sie gemeinsam mit Illustratoren und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

Mehr über unsere Bücher, Autoren und Illustratoren:www.planet-verlag.de

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Viel Spaß beim Lesen!

Prolog

Mein Schmerzensschrei hallte durch die Orangerie und ich bäumte mich gequält auf. Da war sie wieder – diese Hitze. Diese alles verschlingende, tödliche Hitze. Ich riss mich von Rayne los und sank zu Boden. Die Erde zwischen meinen Fingern war feucht und ich grub meine Nägel hinein, als könnte ich so irgendwie Halt finden. Der Geruch von Torf und exotischen Blüten vermischte sich zu einem erdrückenden Duft. Er erinnerte mich an einen Sarg mit Blumen, der in die Erde hinabgelassen wird. Ich wollte das nicht riechen, wollte hier weg – doch ich war wie gelähmt.

Ich kniff die Augen zusammen und fremdartige Bilder prasselten auf mich ein. Immer mehr, wie zähe Tropfen, die meinen Geist fluteten. Und sie hatten eines gemeinsam: Bastian Tremblay. Ich spürte ihn in jeder Faser meines Körpers, als würde er mit mir verschmelzen. Ich sah ihn vor mir, als Kind, mit seinen Eltern, sah ihn mit Tristan, spürte ihre Bruderliebe, spürte jedes winzige Detail seiner Liebe für Skye und seine Angst vor der Pflicht als Ringhüter. Ich spürte seine Macht und seine Kraft, spürte seine Muskeln im Gig über der Themse vor Anspannung zittern und den Schweiß, der ihm den Rücken hinabrann. Ich spürte seine Überraschung, als ich ihm auf Tristans Party in die Arme lief, und war in seinem Herz, als er mir im Riesenrad gegenübersaß. Ich spürte, dass er mich küssen wollte, dass er mir in diesem Moment nahe sein wollte und dann fühlte ich die Enttäuschung, als er mich in Tristans Armen sah. Ich fühlte Schmerz und Eifersucht und dann nur noch eisige Dunkelheit.

Der Duft nach Blüten und Erde wurde wieder stärker, aber ich merkte kaum, wie ich vom Boden hochgerissen wurde. Wie ein Schütteln mich dazu brachte, nach Luft zu schnappen.

»Wach auf!«, drang eine Stimme zu mir und starke Arme umfingen mich. »Du musst atmen.«

Ich versuchte es, vergeblich. Die Bilder, Gefühle und der Schmerz eines anderen Lebens erdrückten mich. Ich konnte diese Fülle an Energie nicht halten. Nicht beherrschen. Nicht kontrollieren.

»Hilf mir«, presste ich heraus, nicht sicher, ob auch nur ein Ton über meine Lippen gekommen war.

»Wie?« Ich hörte Tristans Worte nah an meinem Ohr. Sein Atem strich über meinen Hals, seine Hände hielten mich fest, aber sie zitterten. »Wie, Abby? Sag mir, was du brauchst. Sag, was los ist!«

Sein Herz schlug unter meiner Wange und ich spürte seine Angst. Sie glich der meinen.

»Etwas … passiert«, japste ich und versuchte, die Augen zu öffnen. Das Sonnenlicht, das durch die gläserne Kuppel der Orangerie schien, blendete mich und die Feuchtigkeit ließ die Luft um uns herum wie einen Regenbogen schillern. Das dunkle Grün der tropischen Pflanzen umrahmte das Gesicht über mir. Ich blickte in Tristans leuchtend blaue Iriden, in denen ich mich spiegelte und was ich sah, war ein Wesen aus purem Gold. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass die Tränen, die das goldene Wesen vergoss, heiß über meine eigene Wange liefen. Ungehindert, denn ich war nicht in der Lage, sie zurückzuhalten. Der Schmerz war viel zu groß.

»Bastian, er …« Meine Lippen rissen auf und ich schmeckte Blut.

»Wir finden ihn!«, versicherte Tristan mir, aber das tröstete mich nicht. Ich wusste, wo sein Bruder war. Ich sah ihn deutlich vor mir. Alles in mir war auf ihn ausgerichtet, als wären wir eins. Wir waren eins. Miteinander verschmolzen. Sein Schmerz war meiner.

Und deshalb spürte ich ganz deutlich, dass Bastian Tremblay starb.

Lauf!

Zuvor

Das Licht zuckte im Takt der Musik durch die tremblaysche Villa. Schatten kamen und gingen im schnellen Wechsel der Stroboskope. Partygelächter lag in der Luft, die Stimmung war auf dem Siedepunkt – nur hier in der Küche schien die Zeit stillzustehen.

Der Moment war wie in Bernstein erstarrt und ich fühlte das wilde Rauschen meines von Adrenalin gefluteten Blutes. Ich hatte es geschafft. Der Herzring war nun in meinem Besitz. Meine Gefühle waren jetzt sicher. Oder war das nur ein Trugschluss?

Tristan Tremblays Nähe ließ mich daran zweifeln. Sein Duft hüllte mich ein, so nah stand er bei mir und ich wusste, was jetzt geschehen würde. Trotzdem setzte mein Herzschlag aus, als Tristans Zunge meine Lippen teilte und sein heißer Atem über mein Gesicht strich. Er zog mich in seine Arme und seine Finger fanden einen Weg unter mein Shirt. Seine Berührung war wie ein Erdbeben, das jeden klaren Gedanken zum Einsturz brachte. Ich musste hier weg … doch das verlor an Bedeutung. Zitternd sank ich gegen Tristans Brust, denn meine Knie verwandelten sich in Wackelpudding.

Der Herzring in meiner Hand glühte auf und ich spürte, wie Tristan die Kontrolle über sich verlor, weil ich ihm den Ring genommen hatte. Der Kuss war ein Kontrollverlust. Ein Überkochen der Gefühle – und obwohl ich das wusste, obwohl ich wusste, dass nichts von dem, was hier in der Küche oder in meinem Herzen gerade geschah, wirklich echt war, genoss ich die Zärtlichkeit, die in mir aufwallte. Das wunderbare Gefühl der Nähe, die Vorstellung, geliebt zu werden.

Tristans Zunge schmiegte sich an meine, während seine Hände die Haut an meiner Taille entflammten. Es fiel mir schwer, wütend auf ihn zu sein, während sein Kuss mir den Atem raubte. Dabei war ich wütend. Wütend, weil er mein Herz manipuliert hatte, wütend, weil er meine Gefühle für seinen Bruder ausgelöscht und mir wie ein Dieb etwas gestohlen hatte, das ich nie hatte hergeben wollen.

Doch es war so eine Sache mit einem manipulierten Herz – es schlug auch für Diebe. Besonders, wenn sie so küssen konnten wie Tristan Tremblay.

»Einen Tremblay vergisst man nicht«, hatte er gesagt – und zum Teufel, ich glaubte ihm. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich diesen Kuss je vergessen würde.

Ich musste mich regelrecht zwingen, mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Darauf, warum ich hergekommen war. Wegen des Herzrings. Sein heißes Glühen in meiner Handfläche ermahnte mich zu verschwinden, ehe Tristan mein Verrat auffallen würde.

Widerwillig zog ich meine Hände unter Tristans Shirt hervor, berührte ein letztes Mal die Narbe an seinem Herzen, die zeigte, wie mächtig die Herzweben waren, die er mir genommen hatte. Wie mächtig die Liebe zu seinem Bruder gewesen war, die ich verloren hatte. Ich löste meine Lippen von seinen und sah ihm in die Augen. Strahlendes Blau schlug mir daraus entgegen, während dunkle Weben seine Haut überzogen. Der Kuss hatte offenbar nicht nur mich aus dem Gleichgewicht gebracht. Auch ich spürte diese unnatürliche Macht in meinen Adern. Ich schloss ganz fest die Faust um den Ring und ergab mich der Kraft in mir. Der Dunkelheit, die mir durch das Erbe meiner Familie in die Wiege gelegt worden war. Ich war eine Diebin – weil dies mein Schicksal war. Und mich diesem Schicksal fügend, entwand ich mich aus Tristans Umarmung und steckte den Ring unbemerkt in meine Hosentasche.

Tristan sah mich an. Ein verführerischer Zug lag auf seinen Lippen und ich musste mich zwingen, mich von ihm loszureißen. Erst jetzt registrierte ich aus dem Augenwinkel die dunkle Gestalt, die den Rahmen der Küchentür ausfüllte.

»Bastian«, entfuhr es mir, als sein eiskalter Blick mich traf. Er sagte kein Wort, doch sein Schweigen war lauter als das Schlagen der Glocken vom Big Ben.

Tristan drehte sich halb zu seinem Bruder um. Wie Gegner standen sie sich gegenüber, dann hoben sich Tristans Mundwinkel und er legte demonstrativ seinen Arm um mich. »Was willst du?«, fragte er schroff. »Siehst du nicht, dass wir beschäftigt sind?«

Wo ich bis eben noch das Gefühl gehabt hatte, die Welt würde stillstehen, kam es mir jetzt so vor, als drehte sie sich viel zu schnell. Ich entwand mich Tristan und drängte mich unter dem vorwurfsvollen Blick von Bastian an ihm vorbei durch die Tür. Der Raum war mit einem Mal viel zu klein und ich bekam kaum Luft.

Was hatte ich getan?

Mein Herz brach in tausend Teile, als ich im Vorbeigehen Bastians Finger streifte. Es durchzuckte mich wie ein Blitz und eine Sehnsucht, so heiß wie Lava, verbrannte mein Innerstes.

Ich sah mich um, suchte nach einem Ausweg. Die Gäste standen dicht an dicht. Lachten. Tanzten. Ahnten nicht, dass die Welt, die sie kannten, nur aus Lügen bestand. Panisch strich ich mir die Strähnen aus der Stirn und drängte mich mitten in die schwitzende Menge. Ein Ellbogen wurde mir in die Seite gerammt und ich keuchte. Ich drehte mich um mich selbst, sah mich um. Suchte die Schatten ab. Mein Herz schlug so hart, dass ich Angst hatte, die Villa würde über unseren Köpfen einstürzen und so floh ich ins Freie. Dort schnappte ich nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Mein Sichtfeld verschwamm und ich spürte, wie meine Haut sich veränderte. Gold – da waberte Gold unter meinen Fingerspitzen.

Ich musste hier weg. Sofort. Die Dunkelheit in mir schrie laut auf. Sie schrie nur ein Wort, aber das hämmerte mir wie ein Befehl in den Ohren. »Lauf!«

Ich fühlte mich verloren, als ich aus der Villa rannte und dem geschotterten Weg durch den Park von Darkenhall folgte, bis die Partymusik schließlich hinter mir verklang und die Dunkelheit sich wie eine schützende Decke über mich legte. Ich kauerte mich hinter den Stamm einer Eiche und presste mir die Hand auf mein viel zu schnell schlagendes Herz. Goldene Weben überzogen meine Haut. Mit zitternden Fingern holte ich den Herzring aus meiner Tasche und drehte ihn im Mondlicht.

Ich war eine Diebin – und ich war in meinem Element, denn ich war mit meiner Beute entkommen.

Mein Blick glitt zurück zur Villa der Tremblay-Brüder. Sie würden schon sehr bald merken, was ich getan hatte.

Ich schloss die Finger um den Ring und presste ihn mir fest an die Brust. Sie konnten mir diesen Ring nicht überlassen. Sie würden alles daransetzen, ihn sich zurückzuholen.

Ich wandte mich um und hastete entschlossen zur Mauer, die das Schulgelände umgab. Ächzend zog ich mich daran hoch und schwang mich mit einem Satz auf die andere Seite. Dann rannte ich los. Ich musste hier weg. Weg von all den Schatten. Weg von allem, wonach mein Herz sich sehnte.

Es war nicht lange her, da hatte es für mich nichts Schlimmeres gegeben, als von Bastian am Bahnhof von Wymouth verlassen zu werden.

Jetzt fürchtete ich nur, er würde mich erwischen. Denn dass er mich jagen würde, daran bestand kein Zweifel.

Eine verfluchte Diebin

Es fühlte sich an wie ein Schlag in den Magen. Bastian brauchte einen Moment, um zu begreifen, was er sah. Seinen Bruder, der Abby küsste.

Er hielt sich am Türrahmen fest, um sich selbst daran zu hindern, hinüberzugehen und Tristan von Abby wegzuzerren. Dabei wollte er genau das tun. Er wollte nicht zusehen, wie Tristans Hände unter Abbys Shirt ihre Taille berührten. Er wollte nicht wahrhaben, dass auch sie ihre Hände unter seinem Shirt hatte. Dass der Kuss nicht so aussah, als würde er gegen Abbys Willen stattfinden. Er sah, wie ihre purpurne Herzwebe sich nach Tristan streckte, dabei hatte alles Purpur in ihrem Webengeflecht doch noch vor wenigen Stunden ihm gegolten …

Bastian ballte die Fäuste. Sein Kiefer mahlte, so fest biss er die Zähne zusammen. Er konnte einfach nicht fassen, dass Tristan das wirklich tat. Dass sein eigener Bruder tatsächlich Abbys Gefühle für ihn zerstört hatte und stattdessen zarte Herzweben geweckt hatte, die Tristan selbst galten.

Zum ersten Mal überhaupt verfluchte er die Macht der drei außergewöhnlichen Ringe. Und er verfluchte seinen Bruder, über dessen Schulter ihn Abby in diesem Moment erschrocken ansah.

»Bastian!«, kam ihr sein Name über die Lippen und sie wurde schlagartig leichenblass. Ahnte sie, wie wütend und verletzt er war? Sah sie ihm an, dass er kurz davor stand, seinem eigenen Bruder den Hals umzudrehen? Sah sie, dass sie ihm das Herz brach, indem sie Tristan küsste?

»Ich wollte dich mehr als alles andere, Bastian«, hallten ihm ihre Worte von früher an diesem Abend im Ohr. »Aber ich bin nicht wegen dir zurückgekommen. Ich bin nur wegen Tristan hier.«

»Was willst du?«, riss ihn Tristans Frage aus seiner Starre. »Siehst du nicht, dass wir beschäftigt sind?«

Bastian hörte ihm überhaupt nicht zu. Er sah nur, wie Tristan besitzergreifend seinen Arm um Abby legte, wie sich ihr Webengeflecht veränderte. Die Herzwebe geriet in den Hintergrund und dunkle Seelenweben, angefüllt mit Schuld, schlugen empor. Bereute sie den Kuss? Bereute sie nur, dass er sie dabei erwischt hatte? Oder gab es einen anderen Grund für die Fülle an schwarzen Weben, die in Abbys geplündertem Webengeflecht neu aufloderten?

Sie riss sich von Tristan los, drängte sich an Bastian vorbei und tauchte in der Menge sich im Tanz bewegender Partygäste unter.

»Bist du jetzt zufrieden?«, fuhr Tristan ihn an und griff nach der Weinflasche, die auf der Küchenarbeitsplatte stand. »Ist es dir wirklich lieber, keiner von uns bekommt sie, als dass ich sie bekomme?«, fragte er bissig und nahm einen Schluck direkt aus der Flasche.

Bastian ging auf seinen Bruder zu. Noch immer hatte er die Fäuste geballt und er musste sich zwingen, ihm nicht die Flasche einfach aus den Händen zu schlagen. »Tu nicht so, als hätte sich Abby aus freien Stücken für dich entschieden«, knurrte er. »Du hast ihr Herz manipuliert!«

»Und du ihre Seele!«, verteidigte sich Tristan und packte die Flasche so fest am Hals, dass seine Knöchel weiß hervortraten. »Du bist doch selbst kein Heiliger!«

»Als ich Abbys Seelenweben genommen habe, da hatte ich keine andere Wahl!«, erinnerte Bastian seinen Bruder. »Du hingegen hattest überhaupt nicht das Recht, die Kraft des Herzrings zu nutzen! Du bist kein Ringhüter und hast Skyes Ring ohne Befugnis für deine Zwecke benutzt.« Bastians Faust krachte auf die Arbeitsfläche. »Du hast nicht die Fähigkeiten, diese Mächte zu kontrollieren und hättest Abby beinahe umgebracht!« Er fuhr sich energisch durchs Haar. »Herrgott, Tristan, du hast sie mit in die Schatten gezogen, während du ihre Weben genommen hast!«

Tristan schürzte die Lippen, ohne sich von Bastians geballter Wut beeindrucken zu lassen. »Du bist doch nur wütend, weil dir das Ergebnis nicht schmeckt! Weil du nicht sehen kannst, wie Abby jetzt mich küsst, statt dich!«

»Sie liebt dich nicht wirklich!«, brüllte Bastian.

Tristan wich keinen Millimeter zurück. »Ihr Herz sagt etwas anderes.«

»Weil du es manipuliert hast! Aber Abby ist stärker, als du denkst. Sie wird sich nicht dauerhaft täuschen lassen.«

Tristan nahm noch einen Schluck, ehe er antwortete: »Mädchen mögen mich im Allgemeinen. Warum sollte Abby da eine Ausnahme bilden? Wir sind auf einem guten Weg, wenn ich den Kuss eben bedenke.«

Mit einem wütenden Knurren packte Bastian seinen Bruder am Kragen seines Shirts und stieß ihn hart gegen die Küchenzeile. »Komm ihr noch einmal zu nahe, Tristan, dann …«

»Dann was?« Tristan schlug Bastians Arme beiseite und hob erneut die Flasche an seinen Mund. »Was willst du schon machen? Solange ich den Herzring habe, wirst du mich nicht von Abby fernhalten.«

»Du kannst den Ring nicht behalten!« Bastians Stimme wurde gefährlich dunkel und seine Wut weckte das Wüten in seiner Brust. »Skye braucht ihn zurück, und das weißt du!«

»Skye kann ihn nicht beherrschen, geschweige denn hüten«, gab Tristan noch immer unbeeindruckt zurück.

»Verdammt, Tristan!«, herrschte Bastian seinen Bruder an und stieß ihn in den nächsten Schatten. Das Nichts schloss sich um sie und Kälte schlug über ihnen zusammen. »Das ist kein Spiel!«, hallte es durch die Dunkelheit, ohne dass er die Lippen bewegte. Hier im Nichts bekamen auch Gedanken eine Stimme. »Gib mir den Ring!«

Er riss Tristans Shirt am Kragen auseinander, während er ihn ein Stockwerk über der Küche mit sich aus dem Schatten zerrte.

Tristan holte zum Schlag aus und mit der Wucht des Sprungs aus den Schatten heraus, traf ihn dessen Faust in die Nieren. Keuchend zuckte Bastian zusammen und taumelte zurück. Mit schmerzverzerrtem Gesicht beobachtete er Tristan, der sich das zerrissene Shirt abstreifte und wie ein Boxer die Fäuste ballte, als erwarte er einen weiteren Angriff.

»Du kannst den Herzring nicht behalten«, keuchte Bastian jetzt ruhiger und musterte Tristan streng. »Also, wo hast du ihn?«

Erst jetzt hob sein Bruder die Hand an seine Brust. An seinen Hals. Und sah dann erschrocken an sich hinab.

Bastian erkannte sofort, dass etwas nicht stimmte. »Was ist?«, fragte er und seine Wut war verraucht.

»FUCK!«, rief Tristan und fuhr sich verzweifelt durchs Haar. »Fuck, Fuck, Fuck!« Er streckte die Hand nach dem nächsten Schatten aus und verschwand.

Bastian brauchte einen Moment, bis ihm dämmerte, was seinen Bruder so aus der Fassung gebracht haben musste. Noch ehe die Gänsehaut der bösen Vorahnung seinen Körper überziehen konnte, folgte er Tristan in den Schatten und zurück in die Küche.

»FUCK!«, stieß Tristan erneut hervor und stemmte sich matt mit den Händen auf die Arbeitsplatte. »Ich Idiot!«

Bastians Kiefermuskeln zuckten, als er auf den gebeugten Rücken seines Bruders starrte. »Nicht dein Ernst!«, knurrte er und ging langsam auf ihn zu. »Sag nicht, dass …« Einen Schattensprung später war er bei ihm und riss ihn an der Schulter zu sich herum. Er warf einen Blick auf die nackte Brust seines Bruders und das Wüten in ihm schwoll an. »Wo ist er?«, stieß er hervor, während er sein menschliches Äußeres verlor.

Tristans blonde Haare fielen ihm matt in die Stirn, als er hilflos den Kopf schüttelte. Diesmal war von seiner Selbstsicherheit nichts zu spüren und ihm kam auch kein frecher Spruch über die Lippen.

»Weg«, murmelte er leise. »Er ist weg.«

»Wie kann er weg sein?!«, brüllte Bastian und donnerte die Faust auf die Arbeitsplatte, um seine Wut zu entladen, ehe das Wüten in ihm ihn verletzen konnte.

Er knurrte auf wie ein verwundetes Tier, als die Weben seine Haut zum Reißen brachten. Dann stieß er Tristan grob gegen die Kücheneinrichtung und baute sich drohend vor ihm auf. »Bist du jetzt zufrieden?«, fragte er gefährlich leise, während ihm das Blut den Hals hinablief. »Du bringst mich um – und Skye ebenfalls! Aber vielleicht ist es ja das, was du beabsichtigst. Dann kannst du dir nehmen, was du willst. Und wenn es das Herz eines Mädchens ist, das dich in Wahrheit gar nicht liebt!«

Er wandte sich ab, aber Tristan riss ihn an der Schulter zurück und funkelte ihn wütend an. »Wie ich das sehe, will Abby keinen von uns!«, fauchte er und schlug sich gegen die nackte Brust. »Ihr Herz muss so kalt sein wie ihre Seele, wenn sie so küsst, während sie einen bestiehlt!«

Bastian biss die Zähne zusammen. Er wollte nichts von Abbys Kuss mit Tristan hören, und zugleich empfand er einen winzigen Anflug von Erleichterung, als ihm klar wurde, dass sie ihn vielleicht nicht aus Zuneigung geküsst hatte. Sondern weil sie war, was sie war. Eine verfluchte Diebin!

Hartes Hämmern

Margaret-Maud fühlte sich so lebendig wie lange nicht. Adrenalin rauschte durch ihre Blutbahnen. Sie umklammerte fest das Lenkrad ihres Kleinwagens, während sie, zwischen zwei Lastwagen am Straßenrand parkend, versuchte zu erkennen, wohin der Mann ging, der eben aus dem Taxi vor ihr gestiegen war. Was wollte er hier, am Güterbahnhof? Rostige Lagerhallen und große Flächen mit aufeinandergetürmten Frachtcontainern bildeten eine unheimliche Kulisse. Margaret-Maud war unentschlossen, ob sie ihr Auto einfach hier zwischen den großen Lastwagen und Transportern stehen lassen und dem Mann folgen sollte, oder ob sie die Zeit hätte, einen richtigen Parkplatz zu suchen.

Hinter ihr hupte der Fahrer eines Lieferdienstes, weil sie eine Einfahrt versperrte. Arbeiter mit Helmen und in Warnwesten drehten sich nach ihrem Wagen um und Margaret-Maud duckte sich hastig hinter ihr Lenkrad. Sie wollte keinesfalls auffallen.

Der Lieferwagenfahrer hupte erneut.

»Ja doch!«, ärgerte sie sich und legte den Gang ein, um anzufahren. Kurzerhand lenkte sie den Wagen in eine Ladezufahrt hinter einer gelb verkleideten Halle und ignorierte das Schild mit der Aufschrift »Einfahrt freihalten«. Sie stieg aus, sperrte das Auto ab und hastete hinter dem Mann her, dem sie seit beinahe einer Stunde durch London folgte.

Quietschende Kräne drehten sich über ihrem Kopf. Das leise Surren von Starkstrom drang von den Gleisanlagen zu ihr herüber und elektrisierte die Luft. Als würde ihr das neue Energie geben, eilte sie weiter.

Jack Woods zu folgen, war auf dem unwegsamen Kopfsteinpflaster und in ihren Pumps nicht gerade leicht, aber sie durfte nicht aufgeben. Geduckt schloss sie näher zu Jack auf, als ihr Absatz zwischen zwei Steinen stecken blieb und abbrach. Sie strauchelte, blieb aber auf den Beinen. Frustriert sah sie Jack nach, der noch immer auf eine der Lagerhallen zuging.

Schnell schlüpfte sie aus ihrem Schuh, riss den abgebrochenen Absatz endgültig ab und zog den Pump wieder über. Hinkend eilte sie weiter, doch sie hatte Jack aus den Augen verloren.

Ihr Herz hämmerte wie wild und sie sah sich hektisch um. Wo war er hin? Wo konnte er sein? In der Hoffnung, ihn noch einzuholen, rannte sie, so schnell es ihr lädiertes Schuhwerk zuließ, los, drehte sich dabei immer wieder um, um alle Richtungen zu überblicken.

Dann sah sie ihn. An einen metallenen Bauzaun waren Planen gespannt. Das Gebäude dahinter wurde umgebaut. Paletten mit Baumaterial waren davor aufgestapelt und irgendwo hörte man etwas hämmern. Das Gebäude war riesig und sie konnte sich nicht erklären, was der Schmied dort wollte. Doch sie hatte gesehen, wie er unter der Plane hindurchgeschlüpft war.

Margaret-Maud wich einem Kleintransporter aus und duckte sich hinter eine Lagerhallenecke, um zu sehen, was Jack vorhatte. Würde er wieder herauskommen? Eine ganze Weile wartete sie, doch er war irgendwo in den Tiefen des baufälligen Gebäudes verschwunden. Unruhe überkam sie, als immer mehr Zeit verging, ohne dass Jack zurückkam. Was, wenn es einen zweiten Ausgang gab? Wenn sie ihn jetzt aus den Augen verlieren würde, hätte sie keinen Anhaltspunkt, wo sie weiter nach ihm suchen sollte.

Unschlüssig grub Margaret ihre Finger in die furchtbaren Narben auf ihrem Unterarm. Sie hatte Angst. Angst, wie damals, als die Flammen nach ihr geleckt hatten, als die Hitze sich nach ihr gestreckt hatte.

Erinnerungen brannten qualvoll in ihrer wunden Seele und verursachten ihr Schmerz, der eigentlich längst verblasst gewesen war, den Bastian Tremblay ihr aber in seiner Wut über ihren Verrat zurückgebracht hatte. Doch anders als noch vor wenigen Wochen war der Schmerz jetzt beruhigend. Er zeigte, dass sie noch lebte. Und solange sie lebte, so lange gab es Hoffnung. Nicht nur für sie, sondern auch für ihre Schwester, die in den Flammen weniger Glück gehabt hatte.

Margaret-Maud atmete tief durch und versuchte dabei den beißenden Geruch des brennenden Weihnachtsbaums aus ihren Gedanken zu verdrängen. Das war lange her. Und endlich war die Zeit gekommen, dieses Unrecht ungeschehen zu machen. Doch dafür brauchte sie, was Jack Woods besaß.

In geduckter Haltung huschte sie über den Verladeplatz, quetschte sich zwischen den Bauzäunen hindurch und balancierte über eine Holzdiele, die über einen ausgehobenen Graben für Wasserleitungen gelegt war. Sie zitterte, als sie schließlich die graue, von der Gebäudefront herabhängende Bauplane erreichte. Eine Palette mit darauf aufgetürmten Steinen kam ihr gerade recht, um sich dahinter zu verstecken, während sie den Geräuschen lauschte, die aus dem Inneren des Gebäudes drangen. Ein unerklärliches Hämmern war zu hören. Vielleicht Abrissarbeiten? Margaret spitzte die Ohren. Hörte sie Jack Woods irgendwo sprechen? Nein. Es waren überhaupt keine Stimmen zu hören. Nur dieses merkwürdige laute Klopfen drang an ihr Ohr. Wo war Jack? Und was wollte er hier?

Sie schlich unbemerkt zur Folie, die ihr die Sicht nahm. Legte die Hand daran und lüpfte sie unauffällig. Der Raum dahinter war düster und Wasser tropfte von der Decke. Es war feucht und der Geruch von Rost und Diesel hing in der Luft. Eine provisorische Tür aus Holzlatten versperrte den Eingang, war aber nur angelehnt. Margaret lugte hindurch. Der Gang dahinter war leer. Noch mehr dieser Türen, die sie irgendwie an Gartenhütten erinnerten, führten in die im Umbau begriffene Lagerhalle. Sie hatte keine Ahnung, wo sie mit ihrer Suche beginnen sollte. Doch die Angst, entdeckt zu werden, war so groß, dass sie nicht wagte, weiterhin am Eingang zu verharren. Also ging sie weiter. Sie öffnete die erste Tür einen Spaltbreit und schob sich hindurch. Im Inneren roch es stärker nach Diesel und das eigentümliche Klopfen hallte ihr nun lauter entgegen. Auf Zehenspitzen schlich Margaret-Maud weiter. Sie atmete nur flach und verdrängte den Gedanken daran, was geschehen würde, wenn man sie hier erwischte.

Die Gänge waren nur spärlich beleuchtet und zwischen den hohen Regalreihen hatte sie Angst, etwas zu übersehen. Doch hier stehen zu bleiben, war keine Option. Umzukehren ebenfalls nicht, denn in diesem Moment ging hinter ihr die Tür auf und Arbeiter kamen herein. Schnell huschte Margaret-Maud in die Dunkelheit vor sich und hielt den Atem an. Panisch grub sie ihre Fingernägel in ihren vernarbten Unterarm und betete darum, nicht gesehen zu werden. Sie spähte über ihre Schulter. Der Kerl an der Tür bog in einen anderen Gang ab, was Margaret-Maud die Möglichkeit gab, schnell um die nächste Ecke zu flitzen. Dort kauerte sie sich hinter einen Stapel Metallboxen und atmete zitternd aus. Ihr klopfte das Herz bis zum Hals und sie musste sich zwingen, ruhig zu bleiben, obwohl ihr von Minute zu Minute klarer wurde, wie verrückt das war, was sie hier tat.

Sie würde Jack Woods vermutlich niemals finden. Und wenn, dann würde man sie höchstwahrscheinlich entdecken. Was dann? In ihren Pumps würde man sie kaum für eine Arbeiterin halten. Und was genau glaubte sie herauszufinden?

Margaret-Maud ließ den Kopf für einen Moment erschöpft gegen den Kistenstapel sinken. Es war ein Fehler gewesen, Jack folgen zu wollen. Das war ihr inzwischen klar. Sie hätte lieber bei Konstantin im Krankenhaus vorbeischauen sollen, anstatt hier herumzuschleichen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?

Sie wollte umkehren, wagte es aber wegen der Bauarbeiter am Eingang nicht, also zwang sie sich weiterzugehen. Mit kleinen Schritten schob sie sich vorwärts. Das Klopfen wurde lauter und hallte wie Donnergrollen durch ihren Körper. Beinahe meinte sie, das baufällige Gebäude würde unter den Schlägen beben.

Sie erreichte eine weitere Tür, die ebenfalls offen stand. Dahinter schien die Quelle des Hämmerns zu liegen. Margaret-Maud drängte sich noch dichter an die Wand, zwischen weitere Alukisten. Dann spähte sie durch die Tür.

Vielleicht war es doch kein Fehler gewesen, herzukommen, dachte sie, als sie sah, was die Ursache für das harte Hämmern war.

Eddy Sparkle und der Kater

Ich wusste nicht, wohin. Mit dem Herzring in der Hand erschien mir jeder Ort wie eine Falle. Jeder Schatten machte mir Angst und ich sah dunkle Geister, in jeder Ecke. Mir rann der Schweiß den Rücken hinab und ich hatte Seitenstechen, so schnell war ich gerannt. Jetzt presste ich mir die Hand aufs Zwerchfell und atmete tief durch. Meine Kehle brannte. Mein Mund war wie ausgetrocknet. Jedes Auto, das an mir vorbeikam, ließ mich zusammenzucken, jedes Geräusch jagte mir einen Schauer über den Rücken und ich wünschte mir nur, die Nacht würde enden und die aufgehende Sonne nur einige der Nachtschatten vertreiben, die ihre dunkle Kälte nach mir ausstreckten.

Ich hatte vorgehabt, nach Hause zu gehen, in mein Elternhaus in Northfleet, denn dort hatte ich meinen Vater zuletzt gesehen. Er hatte mir nicht gesagt, wo wir uns wieder treffen würden. Er hatte sich nicht verabschiedet, als er gegangen war. Hatte nur mein Spitzmesser mitgenommen – und den Seelenring.

Ich löste meine Hand vom Zwerchfell, strich mir die aubergine gefärbten Haare aus der Stirn und verlangsamte meine Schritte. Kurz blieb ich stehen und sah mich nach allen Richtungen um. Da war nichts, was mir Angst machen musste, und doch konnte ich das beklemmende Gefühl, verfolgt zu werden, nicht abschütteln. Ich musste den Herzring irgendwo sicher verstecken, ehe Bastian mich finden würde. Ich musste ihn aber auch vor meinem Vater verstecken, denn auch wenn alles, was er mir gesagt hatte, logisch klang … irgendwas ließ mich zögern. Und wenn ich ihm die Macht des Herzrings übergeben würde, musste ich absolut sicher sein, damit keinen Fehler zu begehen. Bastians Leben hing davon ab.

Ich lauschte einen Moment in die Dunkelheit, ehe ich über eine halbhohe Gartenmauer stieg und mich zwischen zwei Rhododendren hindurchschlug. Das kleine Häuschen lag tagsüber im Schatten einer alten Eiche, jetzt in der Dunkelheit wirkte es noch mal finsterer. Dabei war mir das kleine Reihenhaus immer warm und sicher erschienen. Ich sah nach oben zu den Fenstern im ersten Stock, als etwas mein Bein streifte.

»Gott!«, stieß ich hervor und schrak zurück. Der Rhododendron riss an meinen Haaren und ich schlug mir die Hand auf den Mund, um nicht zu schreien. Gelbe Augen blinzelten mir entgegen und ein träges »Miau« hieß mich willkommen. »Verdammt, Kater!«, murrte ich zitternd und ging in die Hocke, um über das dunkle Fell zu streichen. »Hast du mich erschreckt!«

Mit gehobenem Schwanz strich mir der Kater um die Beine und drückte sich so fest an mich, dass ich beinahe nach hinten in die Büsche gekippt wäre. Sein Schnurren kam mir in der Stille so laut vor wie der Motor eines Rasenmähers. »Ist ja gut«, flüsterte ich und kraulte ihn unterm Kinn. »Ist ja gut.« Ob meine Worte nur ihm oder auch mir selbst galten, wusste ich nicht so genau, denn das freudige Willkommen des Katers trieb mir die Tränen in die Augen. Mir war nicht klar gewesen, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Wie sehr ich vermisst hatte, mit ihm auf dem Sofa zu sitzen, während Florence über ihre neueste Hutkreation sprach. Wie sehr ich das Gefühl vermisst hatte, ein richtiges Zuhause zu haben. Ich versuchte vergeblich, den Kloß hinunterzuschlucken, der mir plötzlich in der Kehle brannte. Der Kater hüpfte auf meine Oberschenkel und ich ging mit dem Knie ins Gras. »Hör schon auf«, lachte ich leise, als er sich regelrecht an mein Gesicht schmiegte. »Dafür ist jetzt keine Zeit.« Ich schob ihn sanft von mir und stand auf. Doch seinem sehnsüchtigen Blick konnte ich nicht standhalten und so hob ich ihn hoch und schlich mit ihm auf dem Arm weiter bis zur Hintertür. Ich streckte mich, um den Türrahmen erreichen zu können, wo wie immer ein Hausschlüssel versteckt war.

»Wir müssen echt ganz leise sein«, beschwor ich den Kater und steckte den Schlüssel ins Schloss. Als ich die Tür öffnete, war es, als würde mich das Haus umarmen. Ich trat ein und fühlte mich sofort zu Hause.

Ich setzte den Kater ab, der mir direkt wieder protestierend um die Beine schlich. Dann schloss ich leise die Tür hinter mir. Mein Zimmer lag im ersten Stock, genau gegenüber von Florence’ Schlafzimmer. Trotzdem hatte ich keine Angst, sie zu wecken. Ich hatte mich in den letzten Jahren immer wieder heimlich aus dem Haus geschlichen. Immer wieder war ich nachts erst viel zu spät wieder zurückgekommen, ohne dass meine Pflegemutter je bemerkt hätte, dass ich fort gewesen war. Wenn ich jetzt so darüber nachdachte, hatte ich es ihr wirklich nicht leicht gemacht. Es war kein Wunder, dass ich schließlich in Darkenhall, der Schule für Problemkinder, gelandet war. Nur hatte wohl niemand damit gerechnet, dass ausgerechnet diese Schule mir die allergrößten Probleme bereiten würde.

Aber wer hätte schon ahnen können, dass ich dort auf Schattenspringer wie Tristan Tremblay stoßen würde? Oder auf den Hüter des Seelenrings, Bastian Tremblay? Oder auf Leute wie Skye und Owen, die ebenfalls Ringhüter waren? Hüter des Herzrings und des Erinnerungsrings. Und wer hätte schon gedacht, dass ausgerechnet ich durch meine Vorfahren mit diesen unwirklichen Dingen verbunden war? Ich schüttelte den Kopf über diesen Wahnsinn und schlich die Treppe hinauf. Ich wusste genau, wohin ich meine Füße setzen konnte, ohne dass die Stufen knarzten.

Ohne Zwischenfälle erreichte ich mein Zimmer und schloss leise hinter dem Kater die Tür. Erst dann erlaubte ich mir ein paar tiefe und beruhigende Atemzüge. Ich hatte es geschafft. Ich war in Sicherheit. Zumindest fühlte es sich so an. Alle Anspannung fiel von mir ab und ich sah dem Kater zu, wie er mit einem Satz auf mein Bett sprang und sich auf dem Kopfkissen zusammenrollte. Im Mondlicht glänzten die Augen meines rosa Teddys Eddy Sparkle, den ich schon als Dreijährige von meiner Mutter zum Geburtstag bekommen hatte. Sein weicher Pelz war stellenweise verfilzt, doch da mir nicht viel aus meiner Kindheit geblieben war, war er mir heute noch so wichtig wie damals.

Und als ich ihn nun so am Bettpfosten sitzen sah, da wollte ich nur eines: Mich mit dem Kater und Eddy Sparkle unter die warme Decke kuscheln und tief und fest einschlafen. Doch dafür war keine Zeit. Ich hob meine Hand und löste vorsichtig meine um den Ring verkrampften Finger. Als der Herzring auf meiner Handfläche lag, schimmerte er schwach im matten Dämmerlicht. Trotzdem kam es mir so vor, als glühte das Metall regelrecht.

»Vitalinaurum«, murmelte ich und verglich es im Geiste mit dem Material, aus dem das Schnitzmesser bestand, das mein Vater mir vor vielen Jahren geschenkt hatte. Er hatte es aus einem Metall geschmiedet, das noch nicht einmal einen Namen trug. Es entstammte – ebenso wie die drei Ringe aus Vitalinaurum – einem Amulett, welches die Macht besaß, das Tor des Lichts, also das Tor zur Totenwelt, zu öffnen. Das Metall meines Messers bildete einst die Fassung für das machtvolle Vitalinaurum, aus dem schließlich die drei Ringe geschmiedet worden waren.

Ich strich mit dem Finger über den Ring und die Macht, die in ihm verborgen lag, verursachte mir eine Gänsehaut.

Die Macht dieses Rings hatte mein Herz manipuliert. Meine Gefühle. Und darum war es richtig, die Ringe zu zerstören. Es war richtig, das Vitalinaurum wieder in die Fassung zu bannen.

Ich schluckte und ließ mich aufs Bett sinken. Die Worte meines Vaters hallten mir durch den Kopf, sodass ich fast glaubte, er würde neben mir sitzen.

»Die Ringhüter haben keine Ahnung, dass die Fassung des Amuletts die Macht des Vitalinaurums unter Kontrolle gehalten hat. Sie wissen nicht, dass die Fassung der Schlüssel zu allem ist«, hörte ich ihn sagen. »In unseren Genen tragen wir den Schlüssel zum Tor des Lichts, Abby. Ohne uns kann niemand das Tor des Lichts öffnen. Denn die Macht des Vitalinaurums ist unbeherrscht. Sie droht mit ihrer Gier selbst die Ringhüter zu zerstören. Nur das Metall aus deinem Messer kann diese Gier kontrollieren, nur durch die Fassung wird ein wirklicher Schlüssel daraus. Sie verleiht uns die Kontrolle und die Macht, jede Tür zu öffnen und uns das zu nehmen, was wir wollen. Das ist vielleicht das Wüten in uns – wir nehmen uns Dinge, die eigentlich verschlossen bleiben sollten.«

Finger für Finger legte ich die Hand wieder um den Ring. Mein Dad hatte recht. Ich hatte der Dunkelheit in mir nachgegeben und mir den Herzring genommen, obwohl er mir nicht gehörte. Ich war diesem Drang gefolgt und hatte auch den den zweiten Tremblay-Bruder bestohlen.

Mit einem Seufzen ließ ich mich rückwärts neben dem Kater in die Kissen fallen und starrte zur Decke. Tristan Tremblays Kuss haftete noch meinen Lippen an, aber auch die kurze Berührung von Bastians Hand, als ich an ihm vorbei die Flucht ergriffen hatte, brannte noch immer sehnsüchtig auf meiner Haut.

Zwei Brüder, und beide hatten mir etwas genommen. Bastian hatte mir einen Teil meiner Seele geraubt, Tristan mein Herz manipuliert. Und obwohl das so war, obwohl er mir die Gefühle für Bastian regelrecht aus der Brust gerissen hatte, hallte irgendwo noch das Echo dieser Empfindungen in mir nach, denn meine Erinnerungen waren mir geblieben.

Ich erinnerte mich an die Nacht in Bastians Armen, an seine Küsse. Ich wusste, wie glücklich und gut ich mich gefühlt hatte. Und doch … schlug mein Herz beim Gedanken daran nicht schneller. Stattdessen schlug es für Tristan. Den Herzdieb mit den blonden Haaren und den verführerischen Sprüchen. Aber ich wusste, es war nicht echt. Auch wenn es sich verdammt echt anfühlte.

Der Kater maunzte und drehte sich einmal um sich selbst, ehe er sich in genau derselben Position wieder hinlegte. Er schleckte seine Pfote, dann schloss er wieder die Augen und sein leises Schnurren war das einzige Geräusch.

Ich drehte mich auf die Seite und zog die Beine an meine Brust. Ich war müde, aber sobald ich die Augen schloss, sah ich nur blaue Augen vor mir. Das geheimnisvoll dunkle Nachtblau von Bastians Augen, aber auch das helle Blau aus Tristans Blick.

Ich hatte nur ein Herz, aber es schlug für beide Brüder. Und das machte es nicht gerade leichter, mich von ihnen abzuwenden, um das einzig Richtige zu tun.

»Ich muss eh nicht mehr grübeln«, flüsterte ich und der Kater blinzelte irritiert. »Ich hab den Ring gestohlen. Ich hab meine Wahl also schon getroffen«, erklärte ich ihm, auch wenn er so aussah, als würde er lieber seine Ruhe haben.

Ich zog Eddy Sparkle zu mir heran und schlang die Arme um seinen plüschigen Teddy-Hals. Am Fuß des Bären war das pinkfarbene Fell etwas eingerissen und weiße Füllwatte quoll heraus. Ich strich mit dem Finger über diese Bärenwunde und küsste mein Kuscheltier auf den Kopf. »Es tut weh«, flüsterte ich in die nächtliche Stille und spreizte mit den Fingern den aufgerissenen Plüsch. »Aber am Ende … war es den Schmerz hoffentlich wert.«

Hinterher

»Ich kann nicht glauben, wie verdammt bescheuert ihr seid!«, fauchte Owen zornig und warf Bastian und Tristan einen eisigen Blick zu. »Ich fasse es einfach nicht!«

»Nicht so laut!«, mahnte Bastian und neigte den Kopf in Richtung seines Zimmers. Skye tanzte dort zu einer Musik, die nur in ihrem Kopf spielte.

Die Party war vorbei, das Dröhnen aus den Boxen verstummt, die Lichter im Untergeschoss erloschen und die Gäste gegangen. Doch davon schien die zarte Hüterin des Herzrings nichts mitbekommen zu haben. Sie schwang noch immer ihre Hüften, hob die Arme, als ob sie sie in den Nacken eines Jungen legen würde, mit dem sie tanzte, und lachte hin und wieder hell auf. Sie war wie in Trance und Bastian wollte sie keinesfalls zurück in die Realität holen. In eine Realität, in der Abigail Woods Skyes Herzring von Tristan gestohlen hatte, um … ja, um wer weiß was damit zu tun. Bastian biss die Zähne zusammen.

Owen hatte recht gehabt. Sie hätten Abby nicht vertrauen dürfen. Keiner von ihnen wusste, was sie vorhatte.

»Du hast in Abbys Seele gesehen, dass sie die Welt ins Chaos stürzen wird – und trotzdem lasst ihr euch beide auf sie ein, sodass sie nicht nur deinen Seelenring, sondern noch dazu Skyes Herzring stehlen kann!«, stieß Owen zornbebend hervor und kratzte sich den Bart, ehe er die Brüder wieder ansah. »Ich weiß echt nicht, was ich noch dazu sagen soll!«

»Du musst jetzt nicht den Oberlehrer spielen, Owen!«, murrte Tristan und stemmte seinen Fuß gegen die kühle Betonwand.

»Ach nein?« Owen wurde laut und Bastian warf zur Sicherheit einen Blick durch die angelehnte Tür in Skyes Richtung. Ihr goldenes Haar umfloss ihren zarten Köper, der in dem eng anliegenden Kleid gut zur Geltung kam. Sie tanzte noch immer. Und sie sah wunderschön dabei aus. Zart und verletzlich. Und genau das war sie auch. Verletzlich.

Ohne den Herzring würde das Wüten, das alle Ringhüter stetig begleitete und beherrschte, aus Skye herausbrechen. Es konnte sie töten. Es würde sie früher oder später töten.

Schon einmal hatte das Wüten fast dafür gesorgt, dass Skyes Leben frühzeitig beendet wurde. Sie hatte überlebt und war doch nicht mehr dieselbe. Und das war Bastians Schuld. Und nun wiederholte sich das alles, denn auch diesmal trug er die Schuld, sollte ihr etwas zustoßen. Es wäre seine Schuld. Und das musste er verhindern.

»Habe ich euch nicht gesagt, dass man Abby nicht trauen kann? Habe ich euch nicht gesagt, dass es ein Fehler ist, sich auf sie einzulassen?«, wollte Owen schlecht gelaunt wissen.

»Das hast du«, stimmte Bastian resigniert zu, aber sein Freund redete einfach weiter.

»Ich weiß nicht, wie, aber Abigail hat euch beide um ihren diebischen kleinen Finger gewickelt!« Owen ballte die Fäuste. »Für ein paar läppische Küsse habt ihr alles verraten, was unsere Familien seit Generationen hüten und schützen!« Owen hämmerte seine Faust im Zorn gegen die Wand. »Und jetzt stellt sich heraus, dass Abby vermutlich mit dem selbst ernannten Lichtbringer Konstantin Cross und seinen Anhängern unter einer Decke steckt! Sie, ihr Vater und Cross werden großes Unheil entfesseln, wenn sie wirklich versuchen sollten, das Tor des Lichts zu öffnen, das ist euch klar, oder?«

»Abby gehört nicht zu Cross«, widersprach Bastian. Da war er sich ganz sicher. »Ich weiß nicht, warum sie den Herzring genommen hat, aber –«

»Kein Aber! Du holst ihn besser zurück, ehe Skyes Schwestern hier aufschlagen und mitbekommen, was ihr getan habt.«

Bastian kniff die Lippen zusammen. An Vic und Rayne hatte er überhaupt nicht mehr gedacht. Dabei konnte er sich Vics Wutanfall schon ziemlich genau vorstellen. Sie war ja schon ausgeflippt, als sie erfahren hatte, dass er den Herzring ohne ihre Erlaubnis aus Caerhay Court mitgenommen hatte. Dass der Ring, der das Überleben ihrer Schwester sicherte, nun verschwunden war, würde das Fass für Vic vermutlich zum Überlaufen bringen. Zu Recht.

»Ich kümmere mich darum«, versprach Bastian zerknirscht und warf Tristan einen warnenden Blick zu. »Und du hältst diesmal die Füße still! Komm mir nicht wieder in die Quere!«

Tristan schnaubte. »Natürlich! Der große Ringhüter kümmert sich darum! Das war ja so klar!« Er stieß sich von der Wand ab und trat Bastian entgegen. Seine Augen waren zu wütenden Schlitzen zusammengekniffen. »Soll ich mich fernhalten, damit du bei Abby freie Bahn hast?«

Bastian schüttelte ungläubig den Kopf. Allein, dass Tristan über Abby sprach, brachte dessen Haut zum Bersten und aus einer Wunde an der Augenbraue lief ihm das Blut übers Gesicht. Er hatte keine Ahnung, was in seinem Bruder vorging, aber Abbys Weben waren eindeutig zu stark für ihn. Besonders jetzt, da sie ihm den Ring genommen hatte. »Willst du dich vielleicht darum kümmern?«, fragte er deshalb forsch. »Sieh dich doch an! Du bist nicht einmal stark genug, dem standzuhalten, was du dir in deiner verantwortungslosen Eifersucht genommen hast! Du kannst dich Abby nicht nähern – nicht so.« Bastian deutete auf die purpurnen Male auf Tristans Haut. »Du hast ihr die Gefühle genommen, die sie für mich entwickelt hat – und – oh Wunder: Ihre Liebe zu mir ist stärker, als du ertragen kannst.« Bastians Kiefer zuckte. »Ich hoffe wirklich, dass es schmerzt, Tristan. Ich hoffe, es tut richtig weh!«

Owen stieß ein verzweifeltes Stöhnen aus und riss die Arme in die Luft. »Habt ihr es noch immer nicht kapiert?!«, schrie er ungläubig. »Eure Gefühle sind das Letzte, um das es gerade geht! Wir brauchen die Ringe zurück! Das hat oberste Priorität! Begreift das endlich!«

Bastian brauchte einen Moment, bis Owens Worte durch den Nebel seiner Wut drangen. Er hatte die Fäuste geballt, um zu verhindern, dass er auf Tristan losging. Er konnte einfach nicht glauben, dass sein Bruder so weit gegangen war. Dass er diese Grenze überschritten hatte. Dabei waren sie beide immer ein gutes Team gewesen. Zumindest hatte er das so empfunden. Aber wenn er nun sah, wie verletzt Tristan ihn ansah, wie zornig die Blicke waren, die er ihm zuwarf, dann erkannte er seinen Bruder kaum mehr wieder.

»Ging es denn je um was anderes als um diese scheiß Ringe?«, fauchte Tristan und wischte sich das Blutrinnsal von der Wange. Dann wandte er sich von Bastian und Owen ab und nahm einen Schatten. Vermutlich um die Weben abzubauen, die ihm so zusetzten. Die Weben, die einst in Abbys Herz für Bastian geschlagen hatten.

»Hier drehen langsam alle durch!«, murrte Owen und stieß Bastian gegen die Schulter. »Geh und hol den Herzring zurück, ehe Victoria hier auftaucht!«, drängte er. »Und ich warne dich – nimm die Aufgabe verdammt noch mal ernst, für die du geboren bist!«