Störungsspezifische Psychodramatherapie - Reinhard T. Krüger - E-Book

Störungsspezifische Psychodramatherapie E-Book

Reinhard T. Krüger

4,8

Beschreibung

Es gibt ein Alleinstellungsmerkmal des Psychodramas gegenüber anderen Psychotherapieverfahren: Die Therapeutin oder der Therapeut setzt bei der Anwendung der Psychodramatechniken die natürlicherweise vorhandenen Werkzeuge der inneren Konfliktverarbeitung direkt als therapeutische Interventionen ein. Reinhard T. Krüger systematisiert in diesem Lehrbuch die therapeutischen Erfahrungen von L. J. Moreno und anderer Psychodramatikerinnen und Psychodramatiker. Er entwickelt Modelle für störungsspezifische psychodramatische Therapieprozesse bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, Traumafolgestörungen, Angsterkrankungen, Zwangsstörungen, Depressionen, Trauerreaktionen, suizidalen Krisen, Psychosen, Suchterkrankungen und Verhaltensabhängigkeiten. Die Therapiemodelle vermitteln ein tiefes Verständnis der wesentlichen psychischen Störungen. Der Autor erläutert anhand von 117 Fallbeispielen die mentalisationsorientierten Handlungsmethoden. Ihre theoretische Begründung macht die psychodramatischen Handlungsmethoden auch für Therapeutinnen und Therapeuten anderer Therapieschulen sowie für Beraterinnen und Berater anwendbar. Ihre praktische Arbeit wird dadurch störungsspezifisch wirksamer und lebendiger.

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Seitenzahl: 1178

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Reinhard T. Krüger

Störungsspezifische Psychodramatherapie

Theorie und Praxis

2., überarbeitete Auflage

Mit 28 Abbildungen und 3 Tabellen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Robert Delaunay, Rythme sans fin (um 1930)/bpk/Sprengel Museum

Hannover/Michael Herling/Aline Gwose

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen EPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-666-40692-8

Inhalt

Geleitwort

Vorwort

Vorbemerkungen

Vorbemerkungen zur 2. Auflage

1 Was ist Psychodrama?

2 Mentalisationsorientierte Theorie des Psychodramas

2.1 Die Intuition der Therapeutin als handlungsleitender Prozess

2.2 Der Regelkreis zwischen dem inneren Mentalisieren des Patienten und seiner Spielproduktion auf der äußeren Bühne

2.3 Die psychodramatische Selbstsupervision

2.4 Die Entwicklung der Modi des Mentalisierens in der Psychodramatherapie

2.5 Neurophysiologische Grundlagen des psychodramatischen Spiels

2.6 Der Abstimmungs- und Einigungsprozess zwischen dem Patienten und der Therapeutin während des psychodramatischen Spiels

2.7 Störungen in der therapeutischen Beziehung und in den Gruppenbeziehungen; Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand

2.8 Das Geheimnis der therapeutischen Wirkung des Psychodramas

2.9 Folgen der mentalisationsorientierten Theorie für die psychodramatische Arbeit

2.9.1 Psychodrama ist ein Therapieverfahren und nicht nur eine Methode der Gruppentherapie

2.9.2 Die Verbindung zwischen dem Mentalisieren des Patienten und seinem psychodramatischen Spiel darf nicht reißen

2.9.3 Die Anwendung der Psychodramatechniken wird einfacher

2.9.4 Die Therapeutin denkt systemisch und prozessorientiert

2.9.5 Die Gruppe ist als ein sich selbst organisierendes System zu verstehen

2.9.6 Die mentalisationsorientierte Theorie stärkt die Wirkfaktoren der psychodramatischen Therapie und Beratung

2.10 Vergleich zwischen dem individuumbezogenen und dem systembezogenen Leitungsstil in der Gruppe

2.11 Vergleich zwischen der mentalisationsorientierten und der rollentheoretisch begründeten Psychodramatherapie

3 Der Prozess der Krankheitsentwicklung

3.1 Symptomdiagnose und Prozessdiagnose

3.2 Der kreative Prozess der Konfliktverarbeitung und seine vier verschiedenen Aspekte

3.2.1 Der strukturelle Aspekt des Selbstorganisationsprozesses

3.2.2 Der Aspekt der energetischen Austauschprozesse

3.2.3 Der Aspekt der Handlung in kreativen Prozessen

3.2.4 Der funktionelle Aspekt

3.3 Die Störungen des Mentalisierens und die sich daraus ergebenden Konfliktqualitäten

3.4 Diagnostik und Planung in der Beratung und im Coaching

4 Persönlichkeitsstörungen und strukturelle Störungen

4.1 Was sind Persönlichkeitsstörungen?

4.2 Das Besondere in der Behandlung von Patienten mit Persönlichkeitsstörungen

4.3 Das Besondere in der Behandlung von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung

4.4 Die strukturelle Störung als Grundproblem und Zusatzdiagnose von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen

4.5 Die verschiedenen Schritte der Behandlung im Überblick

4.6 Die Doppelgängertechnik im »normalen« psychodramatischen Spiel

4.7 Die Repräsentation des Arbeitssystems der Ich-Zustände mit Stühlen

4.8 Problembewusstsein für das starre Abwehrmuster entwickeln

4.9 Die Abwehr durch Spaltung bei Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung auflösen

4.10 Die Integration des dominanten dysfunktionalen Ich-Zustands in den ganzheitlichen Prozess der Metakognition

4.11 Ähnlichkeiten und Unterschiede zur therapeutischen Arbeit in der Schematherapie

4.12 Die Integration der inneren Umstellung in die inneren Beziehungsbilder

4.13 Das psychodramatische Antworten in chaotisierenden Beziehungen

4.14 Der psychodramatische Umgang mit Störungen in der therapeutischen Beziehung

5 Traumafolgestörungen

5.1 Das Besondere an der Traumatherapie

5.2 Definitionen einer Traumafolgestörung und einer traumatisierenden Situation

5.3 Symptome bei Traumafolgestörungen

5.4 Das Dissoziieren als zentrales Kennzeichen von Traumafolgestörungen

5.5 Der Therapeut als Zeuge der Wahrheit

5.6 Die sechs Phasen der psychodramatischen Traumatherapie

5.7 Traumaspezifische Diagnostik

5.8 Die Einleitung der Traumatherapie

5.9 Selbststabilisierung und dazugehörige Techniken

5.10 Die Traumaverarbeitung

5.10.1 Die Traumaerfahrung durch Handeln zu einer in sich stimmigen Geschichte verarbeiten

5.10.2 Die vier funktionellen Arbeitsräume der Traumaverarbeitung

5.10.3 Traumaverarbeitung mithilfe von Hilfs-Therapeuten

5.10.4 Der Informations- und Regieraum

5.10.5 Der sichere Ort

5.10.6 Der Beobachtungs- und Erzählraum

5.10.7 Der Handlungsraum zwischen Opfer und Täter

5.10.8 Die Verarbeitung der späteren Reaktion auf die Traumaexpositionssitzung

5.10.9 Zur Kontraindikation des Rollentausches mit dem Täter

5.10.10 Die Traumaverarbeitung mithilfe der Tischbühne in der Einzeltherapie

5.10.11 Traumaverarbeitung in der Gruppentherapie

5.11 Die Integration der inneren Umstellung in die Beziehungen

5.12 Sekundäre Traumatisierung

5.13 Das natürliche Selbstheilungssystem des Menschen

5.14 Das Bewältigungsmärchen als Technik zur therapeutischen Nachentwicklung des natürlichen Selbstheilungssystems

5.15 Die Gestaltung der therapeutischen Beziehung

5.16 Sekundäre Traumatisierung und Burn-out der Therapeutin

5.17 Konzepte der psychodramatischen Traumatherapie bei anderen Psychodramatikerinnen und Psychodramatikern

5.17.1 Peter Felix Kellermann (2000, S. 23–40): The Therapeutic Aspects of Psychodrama with Traumatized People

5.17.2 Marcia Karp (2000, S. 63–82): Psychodrama of Rape and Torture: A Sixteen-year Follow-up Case Study

5.17.3 Eva Roine (2000, S. 83–96): The Use of Psychodrama with Trauma Victims

5.17.4 Anne Bannister (2000, S. 97–113): Prisoners of the Family: Psychodrama with Abused Children

5.17.5 Clark Baim (2000, S. 155–175): Time’s Distorted Mirror: Trauma Work with Adult Male Sex Offenders

5.17.6 Jörg Burmeister (2000, S. 198–225): Psychodrama with Survivors of Traffic Accidents

6 Angststörungen

6.1 Die gesellschaftlichen Bedingungen von Ängsten

6.2 Was sind Angststörungen?

6.3 Das Selbstschutzverhalten von Patienten mit Panikattacken als Hindernis in der Therapie

6.4 Die Einleitung der Behandlung von Patienten mit Panikattacken

6.5 Die neun Phasen der Therapie von Menschen mit Panikattacken

6.6 Die störungsspezifische Therapie eines Patienten mit sozialer Phobie

6.7 Krisenintervention bei Prüfungsangst

6.8 Das Vorgehen anderer Psychodramatherapeuten in der Therapie von Angststörungen

6.8.1 Die Therapie eines Patienten mit sozialer Phobie durch Moreno

6.8.2 Die Behandlung von isolierten Phobien

6.8.3 Der therapeutische Umgang mit Panikattacken bei anderen Psychodramatikern

7 Zwangsstörungen

7.1 Zwangsgedanken und Zwangshandlungen und ihre psychodynamische Funktion

7.2 Die störungsspezifische Behandlung von Zwangshandlungen

7.3 Die Behandlung von Zwangsgedanken ohne Zwangshandlungen

7.4 Selbststabilisierung und Ich-Stärkung durch Rollenspiele

8 Depressionen

8.1 Was ist eine Depression?

8.2 Die verschiedenen Formen der Depression

8.3 Die Therapie von Depressionen bei Aktualkonflikten

8.4 Die Therapie von Depressionen infolge neurotischer Konflikte

8.4.1 Das Grundprinzip der psychodramatischen Therapie von Menschen mit neurotischer Depression

8.4.2 Die sechs Schritte des psychodramatischen Dialogs bei einer neurotischen Depression

8.4.3 Die Integration der inneren Umstellung in andere Beziehungen

8.4.4 Das Mitspielen der Therapeutin als Hilfs-Ich im psychodramatischen Dialog

8.4.5 Die Behandlung von Depressionen in der Gruppentherapie

8.4.6 Die Therapie von Depressionen bei Ablösungskonflikten

8.4.7 Die Therapie von verlängerten Trauerreaktionen

8.5 Die Therapie von Depressionen bei Menschen mit einer strukturellen Störung

8.6 Die Therapie von psychosenahen Depressionen

8.6.1 Das stellvertretende Mentalisieren in der therapeutischen Beziehung

8.6.2 Die imaginative Verwirklichung von Suizidfantasien

8.6.3 Das gemeinsame Mentalisieren der Selbststeuerung im Alltag

8.6.4 Das Symbolisieren in nächtlichen Träumen als Ressource

8.6.5 Die Doppelgängertechnik bei selbstverletzendem Denken

8.6.6 Die Integration der inneren Umstellung in die inneren Beziehungsbilder

8.6.7 Grenzen der Therapie bei psychosenahen Depressionen

8.7 Medikation mit Psychopharmaka

8.8 Suizidale Krisen

8.8.1 Das Besondere an suizidalen Krisen

8.8.2 Die Einengung des Denkens im präsuizidalen Syndrom

8.8.3 Kriterien zur Einschätzung der suizidalen Gefährdung und des Therapiebedarfs

8.8.4 Die Begegnung mit dem Tod als Weckruf und Anstoß zum Neubeginn

8.8.5 Therapeutische Interventionen bei suizidaler Gefährdung

9 Psychotische Erkrankungen

9.1 Das Besondere in der störungsspezifischen Therapie von psychotisch erkrankten Menschen, Morenos Geheimnis

9.2 Die Psychodynamik der psychotischen Dekompensation

9.3 Die Blockade der therapeutischen Beziehung in der klassischen psychiatrischen Begegnung

9.4 Das Besondere beim Mentalisieren in der Psychose

9.5 Die transmodale Beziehungsgestaltung

9.6 Die einzelnen Schritte des therapeutischen Vorgehens

9.6.1 Das Erstgespräch

9.6.2 Der Doppelgängerdialog

9.6.3 Die medikamentöse Behandlung

9.6.4 Das Symbolisieren des Gegensatzes zwischen Alltagslogik und Traumlogik

9.6.5 Die Anwendung der Hilfswelt-Methode beim Hören von Stimmen

9.6.6 Die Anwendung der Hilfswelt-Methode bei Größenwahn

9.7 Die Umwandlung eines Depersonalisationsprozesses in einen kreativen Prozess der Selbststeuerung

9.8 Die Integration von Fragmenten des Selbst durch das Spiel mit Handpuppen

9.9 Die theoretischen und praktischen Erkenntnisse von Moreno und Casson

9.10 Gruppentherapie mit psychotisch erkrankten Menschen

10 Suchterkrankungen

10.1 Das Besondere in der Psychotherapie von Suchtkranken

10.2 Die Definition von Sucht und Abhängigkeit

10.3 Epidemiologische Zahlen und Behandlungsstatistiken

10.4 Diagnostik und suchtspezifische Symptome

10.5 Die Psychodynamik der Suchtentwicklung

10.6 Die sieben Phasen der Suchttherapie

10.6.1 Die metakognitiv zentrierte Therapie in der Motivationsphase

10.6.2 Die Entscheidung zur Abstinenz

10.6.3 Die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe

10.6.4 Die Phase der psychischen Entwöhnung

10.6.5 Die Integration der inneren Umstellung in die gegenwärtigen Beziehungen

10.6.6 Die Mitbehandlung einer psychischen Zweiterkrankung

10.7 Das Herausarbeiten des persönlichen Tiefpunkts und die Kapitulation

10.8 Die therapeutische Beziehung

10.9 Gruppentherapie

10.10 Rückfallprophylaxe und der therapeutische Umgang mit Rückfällen

10.11 Tablettenabhängigkeit und Drogenabhängigkeit

10.12 Nicht-substanzgebundene Suchterkrankungen

10.12.1 Der psychodynamisch positive Sinn des süchtigen Handelns

10.12.2 Glücksspielsucht und Essstörungen

10.12.3 Sexsucht und Pornosucht

10.12.4 Internetspielsucht

10.13 Kodependenz und sekundäre Traumatisierung von Bezugspersonen

11 Krankheitswertiges abweichendes Verhalten

11.1 Das Besondere in der Behandlung von Menschen mit krankheitswertigem abweichendem Verhalten

11.2 Fallbeispiel eines Patienten mit Fetischismushandlungen

11.3 Die Psychodynamik von Patienten mit krankheitswertigem abweichendem Verhalten

11.4 Die störungsspezifische Therapie des krankheitswertigen abweichenden Verhaltens

11.5 Das deviante Handeln im Als-ob-Modus des Spiels zu einer Geschichte entwickeln

11.6 Fetischismushandlungen als Mutterersatz

11.7 Entscheidung zur Abstinenz und psychische Entwöhnung bei Fetischismushandlungen

Literatur

Personenregister

Sachregister

Geleitwort

Reinhard T. Krügers Buch »Störungsspezifische Psychodramatherapie. Theorie und Praxis«, das bei Vandenhoeck & Ruprecht nunmehr in der 2. Auflage erscheint, ist in mehrerer Hinsicht ein Glücksfall. Es beeindruckt nicht nur durch die umfangreiche psychotherapeutische Erfahrung, die der Autor in mehr als vierzig Jahren psychiatrischer Praxis sammeln konnte. Diese Erfahrung geht auch in die psychodramatischen Fallschilderungen ein, mit denen er seine theoretischen Überlegungen veranschaulicht. Das entscheidend Neue besteht darin, dass Krüger in diesem Buch die psychoanalytische Mentalisierungstheorie in das Verständnis des Psychodramas integriert. Er beschreibt das psychodramatische Spiel als einen Prozess der Mentalisierung. Dieser Prozess führt von der unmittelbaren Identifikation des Protagonisten mit dem im Spiel Erlebten über mehrere, im Psychodrama sehr differenziert vorhandene Zwischenschritte auf eine Reflexionsebene. Dieser Prozess ermöglicht eine neue Sicht der Wirklichkeit und neue Handlungsweisen. Das Psychodrama, das sich bisher vor allem auf die Rollentheorie Morenos stützte, erhält auf diesem Wege eine neue theoretische Grundlage. Das macht die Handlungsmethoden des Psychodramas auch für andere psychotherapeutische Verfahren anschlussfähig.

Unter Mentalisierung versteht man dabei mit Fonagy, einem bekannten englischen Psychoanalytiker, die menschliche Fähigkeit, das eigene Verhalten ebenso wie das Verhalten anderer durch die Zuschreibung psychischer Zustände zu erfassen. Der Einzelne beantwortet auf diese Weise nicht nur die Frage, was der andere oder man selbst gerade tut, sondern auch wie und warum. Dies wiederum ist nur unter der Voraussetzung möglich, dass der Betroffene sich von dem unmittelbar Erlebten soweit distanziert, dass schließlich auch eine Reflexion des Erlebten möglich wird. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es vielleicht klingen mag. Kinder halten bis zum Alter von etwa drei Jahren die Art, in der sie die Welt innerlich erleben, für unmittelbar real. Das kindliche Erleben verändert sich hier deshalb von äußerer Situation zu äußerer Situation, ohne dass es dem Kind möglich wäre, zwischen den dazugehörigen inneren Erlebenszuständen schon eine Verbindung herzustellen. Im weiteren Entwicklungsverlauf treten Wunsch und Wirklichkeit aber immer stärker auseinander, und das kindliche Spiel gewinnt immer mehr seine typische Als-ob-Qualität (»Ich spiele, dass ich Polizist bin. Ich bin es aber nicht«). Im Alter von etwa vier Jahren wird es schließlich möglich, diese verschiedenen Erfahrungen auch psychisch zu repräsentieren. Das Kind überdenkt sie in einem weiteren Mentalisierungsschritt schließlich auch reflexiv.

Das Psychodramaspiel ist nach dem gleichen Muster konstruiert. Auch hier ist der Protagonist zunächst ganz mit seinem inneren Erleben identifiziert. Die Aufarbeitung des Spiels mit den psychodramatischen Mitteln des Szenenaufbaus, des Doppelns, des Rollenspiels, des Rollentauschs, des Szenenwechsels und des Rollenfeedbacks und das Identifikationsfeedback und das Sharing durch die Gruppenteilnehmer ermöglichen die schrittweise Mentalisierung des Erlebten. Das lässt den Betroffenen die dabei gemachten Erfahrungen unter einem anderen Blickwinkel sehen.

Das ist aber noch nicht alles. Die Verschiebung der Aufmerksamkeit von der Rollentheorie hin zur Mentalisierung des Patienten ermöglicht auch, strukturelle Störungen der Patienten zu erfassen, die über das Ausmaß der Ich-Integration eines Patienten Aufschluss geben. Und so wie man in der psychoanalytischen Therapie einen Patienten heute nicht mehr mit seinen inneren Konflikten konfrontieren wird, wenn dieser noch gar nicht in der Lage ist, diesen überhaupt als zu sich gehörig zu erkennen, so wenig wird man im psychodramatischen Spiel den Patienten mit Situationen konfrontieren, denen er innerlich noch nicht gewachsen ist. Die gespielten Situationen hätten dann lediglich eine retraumatisierende Wirkung. Die störungsspezifische Psychodramatherapie, die Reinhard T. Krüger in diesem Buch entwickelt, trägt dieser Anforderung Rechnung. Ein Beispiel dafür ist der empfohlene Umgang mit traumatisch gestörten Patienten. Diese müssen mit Hilfe des Psychodramaspiels erst die notwendige innere Stabilität erwerben, bevor sie sich der traumatischen Situation vorsichtig nähern können. Ein anderes Beispiel ist der empfohlene Umgang mit dem selbstschädigenden Verhalten eines Patienten, das in krisenhaften Situationen kurzfristig ein lustvolles Gefühl der Befreiung vermitteln kann, dies aber um den Preis einer nachhaltigen Beeinträchtigung im realen Leben. Die Symbolisierung der dysfunktionalen inneren Prozesse mit zusätzlichen Stühlen macht es dem Patienten möglich, diese vielleicht zum ersten Mal als dysfunktional zu erkennen und Problembewusstsein für die dysfunktionale Selbststeuerung zu gewinnen.

Ich selbst bin sowohl Psychoanalytikerin als auch Psychodramatherapeutin und habe im Laufe meiner beruflichen Karriere neben meiner Tätigkeit als Psychoanalytikerin immer wieder auch mit psychodramatischen Gruppen gearbeitet. Ich tat dies aus der Freude heraus, die latente Szene, die innerhalb der Psychoanalyse in der therapeutischen Beziehung zwischen Analytiker und Patient zum Tragen kommt, als Psychodramatikerin auch über das tatsächliche Einrichten der Szene im psychodramatischen Spiel zu verstehen und nicht nur über die Erforschung der eigenen Gegenübertragung. Die unterschiedlichen Erfahrungen, die ich auf diese Weise gewinnen konnte, haben mich in vieler Hinsicht bereichert. Während der Lektüre dieses Buches habe ich darüber hinaus auch selbst noch eine ganze Reihe von Dingen dazu gelernt, die ich in meinem Erfahrungsschatz nicht mehr missen möchte.

Ich wünsche den Leserinnen und Lesern dieses Buches sehr, dass sie bei seiner Lektüre eine ähnliche Erfahrung machen.

Christa Rohde-Dachser

Vorwort

Während der letzten fünfzig Jahre hat sich das Arbeiten mit Psychodrama über die ganze Welt ausgebreitet. Die Methode wurde in der Lehre weitergegeben und die Menschen erlebten sie in Aktion. Die meisten Psychodramatherapeutinnen und -therapeuten haben ihre Erfahrungen aber nicht dem schriftlichen Wort anvertraut. Deshalb gibt es ein Defizit in der theoretischen Konzeptualisierung der therapeutischen Arbeit. Solange Psychodramatikerinnen und Psychodramatiker nicht anfangen, im Detail zu beschreiben, was sie tun, und die Theorie formulieren, auf der ihre praktische Arbeit beruht, werden sie den Wert dieser Arbeit nicht klar aufzeigen können.

Es gibt viele verschiedene Bücher über die praktische Ausübung des Psychodramas. Was macht das Besondere dieses neuen Werks aus? Ich denke an zwei Aspekte. Der Schwerpunkt des Buchs ist die störungsspezifische Anwendung der Psychodramatechniken bei den einzelnen psychischen Störungen. Andererseits betont der Autor die Bedeutung kreativen Mentalisierens innerhalb des therapeutischen Prozesses. Zusammengenommen machen diese beiden Aspekte das Buch einzigartig und innovativ. Es ist ein lang erwarteter Beitrag zur Psychodramaliteratur und wird, wie ich hoffe, die Akzeptanz des Psychodramas als realisierbare alternative Psychotherapiemethode innerhalb der Psychiatrie und Psychotherapie erweitern.

Obwohl Psychodrama als therapeutisches Verfahren bei seelischen Krankheiten entstanden ist, wird es heute im klinischen Alltag eher selten angewandt. Ein Grund dafür mag sein, dass Psychodramatiker sich in ihren wissenschaftlichen Arbeiten relativ wenig mit den Mechanismen auseinandergesetzt haben, mit denen sie durch Psychodramatherapie die bekannten therapeutisch positiven Wirkungen erreichen. Es wurden zwar viele Vorgehensweisen der Psychodramatherapie beschrieben. Diese Vorgehensweisen wurden aber nicht abgeleitet von einer in sich systematischen, übergeordneten Theorie der Psychodramatechniken, auch wurden sie in ihrer jeweils speziellen Art ihrer Anwendung nicht auf die verschiedenen psychischen Störungen bezogen. Deshalb war es bisher für Psychodramatiker und Psychodramatikerinnen schwer, zu überprüfen, ob ihre Patienten für Psychodramatherapie geeignet sind, und die Indikation für bestimmte psychodramatische Vorgehensweisen zu stellen. Auch war es schwer möglich, die Ergebnisse der Psychodramatherapie mit denen anderer Forschungen und anderer Behandlungsmethoden zu vergleichen. Diese Lücke in der Psychodramaliteratur wird durch dieses Buch geschlossen. Es wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen der diagnostischen Einordnung der Patienten und spezifischen psychodramatischen Vorgehensweisen. Durch die Darstellung dieses Zusammenhangs kann das Buch helfen, das Wissen um die besonderen therapeutischen Möglichkeiten des Psychodramas in die Wissenschaft seelischer Gesundheit und den Kumulationsprozess von Wissen in die Zusammenarbeit mit Institutionen einzubringen. Gleichzeitig macht das Buch es den Psychodramatikerinnen und -dramatikern leichter, neues Wissen aus anderen Bereichen der Psychiatrie und Psychotherapie in die Psychodramatherapie zu übernehmen.

Dieses Werk liefert einen großen Beitrag zur Erklärung des Werts der psychodramatherapeutischen Arbeit an den inneren Beziehungsbildern und am Mentalisieren des Menschen. Moreno schrieb: »Psychodrama is a way to change the world in the here and now using the fundamental rules of imagination without falling into the abyss of illusion, hallucination and delusion« (J. L. Moreno »Magic Charter of Psychodrama«, 1972). Psychodrama legt als eine imaginationsbasierte Methode den Schwerpunkt auf die Fähigkeit des Menschen zur symbolischen Repräsentation der inneren Welt im Spiel, ganz ähnlich wie wir es in unseren Träumen und im freien Spiel tun. Das Konzept des »Als-ob« hat einen zentralen Platz in den Methoden und der Philosophie des Psychodramas. Tatsächlich benutzt das Rollenspiel die wohlüberlegte zeitliche und räumliche Verzerrung und den Einsatz von Hilfs-Ichs, Aufwärmübungen und Requisiten sowie die Fähigkeit des Protagonisten, zu mentalisieren. Das Rollenspiel ermutigt Gruppenteilnehmer, Situationen aus der Vergangenheit so darzustellen, »als ob« diese Ereignisse in der Gegenwart stattfänden. Sie berichten von unbelebten Objekten, »als ob« diese lebendig wären, und sie sprechen zu anderen Gruppenmitgliedern, »als ob« sie alte Bekannte wären oder bedeutsame Personen aus ihrem Leben. Wichtig ist aber, zu erklären, wie solche psychodramatischen Handlungstechniken helfen, den therapeutischen Prozess voranzubringen. Dieses Buch verfeinert unser Verständnis, wie die Welt des »Als-ob« im Psychodrama bei den verschiedenen Klientinnen und Klienten genutzt werden kann, das auch bei denen, die die Welt des »Als-ob« nicht so leicht betreten können.

Seit meiner ersten persönlichen Erfahrung mit Psychodrama war ich beeindruckt von der Schnelligkeit des Prozesses, in dem die »Als-ob«-Qualität des Rollenspiels sich in ein sehr reales Gefühl emotionaler Entlastung verwandelte. Fast noch stärker war aber das Gefühl, dass eine solche Abreaktion von aufgebauter Spannung oft von einer Art Ermächtigung begleitet war, einer Empfindung, ein Geheimnis entschlüsselt zu haben, und von einem Gefühl von »Nun kann ich der sein, der ich bin«. Wenn ich später begabte Psychodramatherapeutinnen und -therapeuten beobachtet habe, war ich oft erstaunt. Ihre Sensibilität, ihr intuitives Geschick und ihre kreative Nutzung dramatischer Kunst waren außergewöhnlich. Es sah fast magisch aus, so kam es mir vor. Aber sie sagten:

»Nein, das kann man lernen. Auch du kannst das lernen!« Und so begann ich mein mühsames Training. Auch nach vielen Jahren hatte ich aber noch immer eine Menge Fragen, wie es funktionierte und was die einzelnen Konzepte des Psychodramas bedeuteten. Ich versuchte, Morenos Bücher zu lesen, und diskutierte stundenlang mit Zerka Moreno über die verschiedenen Seiten der therapeutischen Aspekte des Psychodramas. Mit der Zeit schrieb ich selbst über den einen oder anderen Aspekt, um mir klar zu werden, was während einer psychodramatischen Therapiestunde passierte. Eine meiner Schlussfolgerungen war, dass für Menschen, die ein spezifisches Trauma erlitten hatten, Psychodrama ganz besonders effektiv zu sein schien. Aber ich beobachtete auch, dass Psychodrama nicht jedem in gleicher Weise helfen kann. Während Psychodrama für viele Menschen an verschiedenen Wendepunkten ihres Lebens passend sein mag, gab es andere, die die imaginative Welt des Rollenspiels nicht betreten konnten oder große Schwierigkeiten damit hatten. Deshalb spüre ich, dass es einen Bedarf gibt, weiter zu forschen und Psychodrama zu untersuchen.

Auf diesem Hintergrund ist dieses Buch ein Schritt in die richtige Richtung. Es schafft ein neues Verständnis der psychodramatischen Wissenschaft durch einen Autor mit bedeutsamer Erfahrung in Psychodramatherapie. Dieser Band vermittelt in der Psychodramatherapie eine zuverlässige konzeptionelle Basis für das eigene therapeutische Handeln und wird neue Diskussionen über den Beitrag Morenos zum Prozess der Entwicklung der Psychotherapie anregen.

Peter Felix Kellermann

Vorbemerkungen

Meine Patientinnen und Patienten haben mir durch die menschlichen Begegnungen, ihre Mitarbeit in den Therapien und durch ihre therapeutischen Prozesse geholfen, zu erkennen, wie Heilung in der Psychodramatherapie geschehen kann. Ich danke ihnen sehr. Ich habe in den Fallbeispielen dieses Buchs, die aus 40 Jahren psychiatrisch-psychotherapeutischer Tätigkeit stammen, die Namen der Patienten und auch einige Sachverhalte so verändert, dass die Anonymität der Patienten gewahrt ist, und von vielen auch die Zustimmung zur Veröffentlichung eingeholt.

Von Grete Leutz lernte ich ab 1971 den intuitionsgeleiteten, prozessorientierten Leitungsstil, von Heike Straub erhielt ich wichtige Anregungen für die therapeutischen Anwendungen des Psychodramas. Karl Peter Kisker lehrte mich, als Psychiater in der Begegnung mit Patienten menschenbezogen und nicht symptombezogen zu denken und zu arbeiten. Karlfried Graf Dürckheim half mir mit seiner existenzialpsychologischen Arbeit, zu erkennen, dass Heilung mehr ist als die Summe der einzelnen Mechanismen, die zur Heilung führen (Krüger, 1997, S. 11 f.). Viele Gedanken zu den Inhalten dieses Buchs entstanden in der Auseinandersetzung mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern und mit Ko-Leiterinnen und Ko-Leitern in Fort und Weiterbildungsseminaren und mit Psychodramafreundinnen und Psychodramafreunden, in den letzten Jahren auch in Fortbildungsseminaren in Budapest, die durch die Zusammenarbeit mit Teodóra Tomcsányi zustande kamen. Meine 40-jährige Mitarbeit im Moreno-Institut Überlingen und meine 25-jährige Redaktionsarbeit in der Zeitschrift »Psychodrama« und der »Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie«, zurzeit herausgegeben von Christian Stadler und Sabine Spitzer, haben mich Fragen stellen und Antworten finden lassen. Stefan Gunkel hat mitgearbeitet an den Kapiteln 1, 2, 3 und 5, an anderen Kapiteln waren beteiligt Luzia Amrein, Gudrun Beckmann, Hans Benzinger, Günter Büchner, Krisztina Czáky-Pallavicini, Mona Fritzsche, Birgit Koerdt-Brüning, Annelie Kolbe-Krüger, Volker Kollenbaum, Éva Kulcsár, Zsuzsa Marlok, Anne Möhring, Marén Möhring, Cameron Paul, Erika Perczel und Alfons Rothfeld, Gudrun Runge, Zsófia Sáfrán, Ruth Sattelberger, Kristina Scheuffgen, Ingrid Sturm, Gábor Török, Gunhild Warbende, Kurt Weber und Birgit Zilch-Purucker. Günter Barke danke ich für die Erstellung der Abbildungen.

Die Frage der gendergerechten Formulierung wurde in diesem Buch, um den Lesefluss nicht zu stören, oft so gelöst, dass in den einzelnen Kapiteln entweder von der Therapeutin und dem Patienten oder aber von dem Therapeuten und der Patientin gesprochen wird.

Reinhard T. Krüger

Vorbemerkungen zur 2. Auflage

Die Inhalte dieser zweiten Auflage (Erstauflage 2015) wurden zum Teil ergänzt und verändert. Die Anregungen dazu stammen unter anderem aus der Diskussion mit Seminarteilnehmern und mit Kolleginnen und Kollegen. Ich danke ihnen dafür. Ich arbeite in dieser zweiten Auflage das Alleinstellungsmerkmal des Psychodramas gegenüber anderen Therapieverfahren klarer heraus. Das Besondere am Psychodrama ist: Die Therapeutin oder der Therapeut setzt die natürlicherweise vorhandenen Werkzeuge der inneren Konfliktverarbeitung direkt als Psychodramatechniken ein.

Die dargestellten mentalisationsorientierten psychodramatischen Handlungsmethoden werden mit einem neuen, in sich systematischen Konzept des Mentalisierens begründet (Kap. 2.4). Ich unterscheide zwischen 1. rollentheoretisch fundierter, kognitiver Psychodramatherapie, 2. implizit metakognitiver Psychodramatherapie und 3. explizit metakognitiver Psychodramatherapie (Kap. 2.8 und 4.8). Dadurch entsteht ein Bezug zu den Vorgehensweisen und Theorien der Verhaltenstherapie, zu den psychodynamischen Verfahren und zu der systemischen Therapie. Die dargestellten Handlungsmethoden orientieren sich an dem metakognitiven Prozess des Mentalisierens der Patientinnen und Klienten. Therapeutinnen und Therapeuten anderer Psychotherapieschulen können sie deshalb methodenübergreifend in ihre eigene praktische Arbeit integrieren.

Die 2. Auflage des Buches enthält im Vergleich zur Erstauflage neue Erkenntnisse und Ausdifferenzierungen. Diese schärfen das zugrunde liegende Konzept der mentalisationsorientierten, metakognitiven Therapie und runden es in sich ab. Beispiele sind: Ich habe das Rollenfeedback als Psychodramatechnik neu in das Kreismodell der metakognitiven Prozesse (siehe Abb. 2 im Kap. 2.2) eingefügt. Der Mentalisierungsprozess von Patienten beim psychodramatischen Rollentausch wird klarer ausgearbeitet (siehe Kap. 2.3 und 8.4.2). Der Prozess der inneren Arbeit der Therapeutin bei der Anwendung der psychodramatischen Vorgehensweisen und ihr Umgang mit Gegenübertragungsreaktionen wird an vielen Stellen differenzierter dargestellt (zum Beispiel Kap. 4.8 und Kap. 8.4.2). Das Buch enthält jetzt ein Kapitel über die Entwicklungstheorie des Kindes (siehe Kap. 2.4) und ein Kapitel über die Diagnostik der Konfliktqualitäten und die Planung in der Beratung und im Coaching (siehe Kap. 3.4). Die psychodynamische Entwicklung der Sucht wird begrifflich neu gefasst (siehe Kap. 10.5). Ich habe meine skeptische Haltung gegenüber dem rollentheoretisch orientierten Psychodrama verändert hin zu einer Ja-aber-Haltung (siehe Kap. 2.4 und 2.11).

Die Übersetzungen des Buches ins Ungarische (2017, Budapest: L’Harmattan), ins Russische (2017, Moskau: KLAAS) und ins Englische (2021, Springer-Nature) waren Anlass, die Sprache des Buchs zu vereinfachen. Das Stichwortverzeichnis wurde leserfreundlicher gestaltet.

Die 2. Auflage dieses Buches soll noch stärker den besonderen Beitrag des Psychodramas für die Welt der Psychotherapie deutlich machen: Das Psychodrama stellt methodenübergreifend mentalisationsorientierte, metakognitive Handlungsmethoden zur Verfügung, die das Vorgehen in anderen Psychotherapieverfahren ergänzen und bereichern können.

Reinhard T. Krüger

1 Was ist Psychodrama?

Jakob Levy Moreno (1889–1974), der die Soziometrie und das Psychodrama entwickelte, wanderte als Psychiater 1925 aus Wien in die USA aus. Er ist einer der Väter der Gruppentherapie und hat deren Entstehung in den USA ab 1931 maßgeblich vorangetrieben. Dabei ist Gruppentherapie nach Moreno nicht gleichzusetzen mit Psychodrama (Moreno, 1959, S. 69 f.). Moreno verstand unter »Gruppentherapie« ganz allgemein »nur« eine Gruppenarbeit, in der »die psychotherapeutische Gesundheit der Gruppe und ihrer Mitglieder das unmittelbare und einzige Ziel ist« (Moreno, 1959, S. 53). In diesem Sinne war Moreno ab 1932 tätig in schon bestehenden Gruppen von sozialen Einrichtungen wie Schulen, Wohnheimen und Gefängnissen. Er hat dort die Mitarbeiter supervidiert, organisatorisch beraten und mithilfe von soziometrischen Untersuchungsmethoden (Moreno, 1974) und Rollenspielen soziotherapeutisch gearbeitet.

1936 gründete er eine kleine psychiatrische Klinik in Beacon/New York. Zu dieser Zeit stand die Entwicklung der Psychotherapie weltweit noch in ihren Anfängen. In seinem 12-Betten-Sanatorium behandelte Moreno seine psychisch kranken Patientinnen und Patienten nach den Grundprinzipien der therapeutischen Gemeinschaft. Er integrierte in ihre Behandlung seine früheren Wiener Erfahrungen mit dem Rollenspiel mit Kindern, seine Erfahrungen mit dem Stegreiftheater von Erwachsenen (Moreno, 1970) und die Erkenntnisse aus seiner Arbeit in sozialen Einrichtungen in den USA.

Moreno behandelte die Patienten in seiner Klinik psychotherapeutisch vorwiegend im Einzelsetting (Straub, 2010, S. 28) (siehe Kap. 2.9.1). Dabei wandte er Rollenspiele an. Er ließ seine Patienten ihren Konflikt, die eigene Rolle und die Rollen anderer auf der Bühne ausgestalten, zunächst noch ohne Rollentausch (Moreno, 1945, S. 11 ff.; 1959, S. 221 ff.). Hilfs-Therapeuten unterstützten die Patienten dabei als Mitspieler in den jeweiligen Gegenrollen als Hilfs-Ich. Erst später integrierte Moreno (1959, S. 210) in seine therapeutische Arbeit auch den Rollentausch zwischen dem Protagonisten und einem Hilfs-Ich. Das war die Geburtsstunde des Psychodramas als Psychotherapiemethode, so wie wir es heute kennen.

Die Psychoanalyse hat die Welt um die Erkenntnis des Unbewussten bereichert. Das Neue an der Familientherapie ist die systemische Sichtweise. Bei der Verhaltenstherapie steht das zielgerichtete Lernen von neuen Denk- und Handlungsmöglichkeiten im Vordergrund.

Zentraler Gedanke

Psychodrama hingegen ist inneres Mentalisieren durch äußeres Spielen.

Wichtige Definition

Ich definiere Mentalisieren als den halb bewussten, halb unbewussten Prozess der inneren Realitätskonstruktion, mit der der Mensch in der Situation sich selbst und andere versteht, mit der er Konflikte verarbeitet, nach angemessenen oder neuen Konfliktlösungen sucht und seine Handlungen plant.

Dabei unterscheide ich das Mentalisieren als Prozess von der Mentalisierung als dem Ergebnis des Mentalisierens. »Mentalisierung hängt unauflöslich mit der Entwicklung des Selbst zusammen, mit seiner zunehmend differenzierteren inneren Organisation und seiner Teilnahme an der menschlichen Gesellschaft« (Fonagy, Gergely, Jurist und Target, 2004, S. 10 f.). Psychodramatherapeutinnen lassen ihre Patienten die kreativen Prozesse ihres inneren Mentalisierens nach außen auf die Bühne bringen (Moreno, 1965, S. 212 und 1959, S. 111; Buer, 1980, S. 99; Seidel, 1989, S. 197; Holmes, 1992; Kellermann, 1996, S. 98; von Ameln, 2013, S. 9) und ihre Konfliktverarbeitung dort mithilfe der Psychodramatechniken im Als-ob-Modus des Spiels probatorisch zu Ende »denken« (siehe Kap. 2.4). Deshalb gehört Psychodrama zur Gruppe der mentalisationsbasierten Behandlungsmethoden (mentalization-based treatment, MBT).

Das Konzept des Mentalisierens wird von seinen Urhebern angesehen als integrativer Bezugspunkt und Konzept zur Verbesserung und Verfeinerung der therapeutischen Arbeit in allen Psychotherapiemethoden (Allen, Fonagy und Bateman, 2008, S. 7 f.). »Wir mentalisieren, wenn wir in uns selbst oder in anderen Personen mentale Zustände wahrnehmen – wenn wir zum Beispiel über Gefühle nachdenken. […] Genauer gesagt, wir definieren Mentalisieren als imaginatives Wahrnehmen oder als Interpretieren von Verhalten als verbunden mit intentionalen mentalen Zuständen« (Allen, Fonagy und Bateman, 2008, S. xi). »Wir mentalisieren meist schnell und, ohne dass uns das bewusst ist. […] Mentalisieren ermöglicht, soziale Situationen zu verstehen und vorherzusagen sowie eigene Affekte zu modulieren« (Brockmann und Kirsch, 2010, S. 279). »Gekonntes Mentalisieren allein löst nicht Probleme und befreit nicht von Störungen, sondern steigert die Fähigkeiten der Betroffenen, das zu tun« (Williams, Fonagy, Target, Fearon et al., 2006, zitiert nach Allen, Fonagy und Bateman, 2008, S. 7). Sie können als Leserin oder Leser das Mentalisieren des Patienten in seinem Konflikt mithilfe des psychodramatischen Gesprächs aktiv fördern (siehe Abb. 1). Ich selbst nutze diese Methode im Erstgespräch und auch später in fast jedem Therapiegespräch.

Übung 1

1.Stellen Sie schon vor dem Gespräch mit Ihrem Patienten oder Klienten in Ihrem Arbeitszimmer zusätzlich zu Ihrem Stuhl und dem Stuhl für den Patienten etwas entfernt zwei andere leere Stühle auf (siehe Abb. 1) für die Symptomszene. Der eine Stuhl neben dem Patienten stellt seine innere Selbstrepräsentanz in seinem Konflikt dar, der andere Stuhl diesem gegenüber seine innere Objektrepräsentanz, also das innere Bild seiner Konfliktpartnerin. Die beiden leeren Stühle sollen sich direkt gegenüberstehen. Sie sollen nicht in die Richtung des Patienten und der Therapeutin blicken. Denn die beiden Stühle sollen eine andere Welt repräsentieren, das Konfliktgeschehen im Alltag des Patienten an einem anderen Ort vor einigen Tagen oder Wochen.

2.Führen Sie mit dem Patienten rein verbal ein ganz normales therapeutisches Gespräch über seinen Beziehungskonflikt. Der Patient wechselt dabei nicht von seinem Platz auf die leeren Stühle zum psychodramatischen Rollenspiel.

3.Zeigen Sie als Therapeutin während des Gesprächs mit Ihrer Hand jeweils auf den leeren Stuhl der Selbstrepräsentanz Ihres Patienten, wenn Sie mit ihm über sein eigenes Denken, Fühlen und Handeln in seinem Konflikt reden. Deuten Sie aber bitte auf den leeren Stuhl seiner Objektrepräsentanz, wenn Sie mit ihm über das Denken, Fühlen und Handeln seiner Konfliktpartnerin reden. Strecken Sie dabei Ihren Arm ganz aus.

4.Sehen Sie selbst dabei den jeweiligen Stuhl an. Das ist die Voraussetzung dafür, dass der Patient seine Symptomszene auch selbst ansieht und in seiner Vorstellung als Szene aktualisiert. Stellen Sie sich das Geschehen in der Konfliktszene wie in einem Film szenisch vor.

5.Vollziehen Sie in dem Gespräch mit Ihrem Patienten gemeinsam mit Blick auf die beiden leeren Stühle den Prozess seiner Konfliktverarbeitung an dem anderen Ort vor einiger Zeit aktiv nach. Fragen Sie ihn: »Wie hat Ihr Konflikt mit Ihrer Konfliktpartnerin angefangen? Wie ist jetzt die Lage in Ihrem Konflikt? Was haben Sie gefühlt, gedacht und getan?«

6.Fragen Sie den Patienten auch: »Was, meinen Sie, hat dann Ihre Konfliktpartnerin gefühlt? Was hat sie gedacht und was hat sie getan?« Das psychodramatische Gespräch umfasst also auch das zirkuläre Fragen aus der systemischen Therapie.

Abbildung 1: Die räumliche Trennung der Symptomszene des Patienten von der therapeutischen Beziehung im psychodramatischen Gespräch

Es kann sein, dass Ihr Patient über eine Befindlichkeitsstörung klagt und zum Beispiel sagt: »Ich habe das Gefühl, ich komme in meinem eigenen Leben nicht mehr vor.« Fragen Sie Ihren Patienten in einem solchen Fall: »Wo waren Sie, als Sie das letzte Mal darüber nachgedacht haben? Ah ja, Sie saßen im Café und da dachten Sie dann an Ihre Arbeit. Dass dort keiner sieht, was Sie alles machen.« Sie weisen als Therapeutin auf den Stuhl der inneren Objektrepräsentanz des Patienten: »Für Ihren Chef ist alles immer selbstverständlich!« Die Therapeutin kreiert zusammen mit dem Patienten für seine Befindlichkeitsstörung also einen passenden anderen Ort, eine andere Zeit und einen anderen Interaktionsraum.

Sie werden merken, dass Ihre therapeutische Arbeit oder Beratungstätigkeit durch die von außen gesehen wenig spektakuläre Technik des »Psychodramatischen Gesprächs« um mindestens 30 % wirksamer wird. Die Gründe sind:

1.Der Patient externalisiert seine Selbstrepräsentanz und seine innere Objektrepräsentanz im Konflikt auf die beiden zusätzlichen leeren Stühle im Therapiezimmer. Die äußere Trennung der Symptomszene von der Szene der therapeutischen Beziehung hilft der Therapeutin und dem Patienten, innerlich den Mentalisierungsprozess des Patienten in seiner Symptomszene von dem Mentalisierungsprozess in der therapeutischen Beziehung zu trennen. Beide zusammen können dadurch leichter den Konflikt definieren, der besprochen werden soll, und das Gespräch auf diesen einen Konflikt fokussieren.

2.Der Patient verwirklicht im psychodramatischen Gespräch seine natürlicherweise vorhandene metakognitive Fähigkeit zum inneren Repräsentieren des Konflikts durch das Aufstellen der beiden leeren Stühle äußerlich im Als-ob-Modus (siehe Kap. 2.8, 2.11 und 4.7). Psychodramatiker verstehen deshalb die »Bühne« im Psychodrama als »Instrument« der Psychodramatherapie (Kunz Mehlstaub und Stadler, 2018, S. 85 ff.).

3.Der Patient blickt im Gespräch mit der Therapeutin immer wieder die beiden Stühle seiner Symptomszene an. Er zentriert seine Aufmerksamkeit weniger darauf, ob er von der Therapeutin verstanden wird und was sie vielleicht über ihn denken könnte. Er hört und sieht ja, dass sie mit ihm in seinem Konflikt mitdenkt. Das vermindert sein Misstrauen gegenüber der Therapeutin. Er fühlt sich freier, sich mit sich selbst und seinem Beziehungskonflikt zu beschäftigen.

4.Der Patient sieht seinen »Konfliktpartner« auf dem Stuhl seiner Objektrepräsentanz direkt vor sich. Das verstärkt seinen Affekt seinem Konfliktpartner gegenüber. Das therapeutische Gespräch wird erlebnisintensiver.

5.Der Patient und die Therapeutin blicken zusammen auf etwas Drittes, den außen repräsentierten inneren Konflikt des Patienten. Sie sprechen miteinander Schulter an Schulter und weniger Gesicht zu Gesicht. Die Therapeutin lässt den Patienten den Prozess seines Mentalisierens in seiner Symptomszene aktiv nachvollziehen. Sie stellt sich den Konflikt mit dem Patienten zusammen aktiv vor. Sie spürt in den Konflikt hinein und benennt ihre Wahrnehmungen in seinem Konflikt stellvertretend für ihn. Das verlangsamt das Gespräch über den Konflikt. Mentalisieren braucht Zeit. Das gemeinsame Mentalisieren des Konflikts in einem gemeinsamen Fantasieraum aktiviert, differenziert und erweitert die innere Konfliktverarbeitung des Patienten.

6.In einem normalen therapeutischen Gespräch in der Gesicht-zu-Gesicht-Position speichert die Therapeutin in ihrem Gedächtnis alles, was der Patient sagt. Im psychodramatischen Gespräch delegieren die Therapeutin und der Patient die Konfliktinhalte des Patienten außen auf die zwei anderen Stühle. Die Trennung der beiden Mentalisierungsprozesse verringert den Konfliktdruck in der therapeutischen Beziehung. Die Therapeutin fühlt sich selbst freier und kreativer. Sie kann deshalb ihre eigenen therapeutischen Fähigkeiten freier und besser nutzen.

7.Der Patient und die Therapeutin sehen den Konflikt des Patienten nicht mehr individuumzentriert, sondern systemisch. Denn beide blicken wie beim psychodramatischen Spiegeln äußerlich auf die Beziehung zwischen dem »Patienten« und seiner »Konfliktpartnerin« und nicht nur auf seine »Konfliktpartnerin«. Aus dem »Entweder ich selbst oder die Konfliktpartnerin« wird für den Patienten »Sowohl ich selbst als auch meine Konfliktpartnerin«. Die Therapeutin ist weniger leicht verführt, sich in seinem Konflikt einseitig nur mit dem Patienten oder einseitig nur mit seiner Konfliktgegnerin zu identifizieren.

8.Die Therapeutin hilft dem Patienten im psychodramatischen Gespräch, seinen Konflikt im Als-ob-Modus des Denkens zu verarbeiten (siehe Kap. 2.4). Sie lässt den Patienten dabei zwar nicht zum Rollenspiel auf die zwei leeren Stühle wechseln. Sie benutzt aber unbemerkt doch psychodramatische Techniken: das Rollenfeedback, den Rollentausch und das Spiegeln (siehe Kap. 2.4). Auch doppelt sie den Patienten in dem inneren Prozess seiner Konfliktverarbeitung. Das psychodramatische Gespräch ist dadurch therapeutisch wirksamer als ein rein verbales therapeutisches Gespräch.

9.Die Therapeutin erweitert bei der Beratung einer Familie oder der Beratung eines Teams die Repräsentation der Symptomszene zu einem Kreis von drei bis acht leeren Stühlen. Diese Stühle symbolisieren dann alle an dem Konfliktsystem Beteiligten.

Zentraler Gedanke

Das psychodramatische Gespräch mit der Repräsentation der Symptomszene im Therapiezimmer ist der Ausgangspunkt und die Grundlage für die störungsspezifische Psychodramatherapie in der Einzeltherapie.

Die Technik des psychodramatischen Gesprächs ist aber auch in der stationären Gruppentherapie hilfreich. Die Szene der therapeutischen Beziehung wird dann zu einem Halbkreis aus den Stühlen der Gruppenmitglieder ausgeweitet. Die Therapeutin sitzt an einem Ende des Halbkreises und zeigt im Gespräch über einen persönlichen Konflikt eines Gruppenmitgliedes mit der Hand immer wieder auf zwei zusätzliche Stühle, die sich auf der offenen Seite des Kreises gegenüberstehen. Diese repräsentieren die jeweilige innere Selbstrepräsentanz und Objektrepräsentanz des Gruppenmitglieds in seinem Konflikt. Die Patientinnen und Patienten nehmen in der Klinik oft nur zehn bis zwanzig Sitzungen an der Gruppentherapie teil. Die Technik des psychodramatischen Gesprächs fokussiert dann das Gruppengespräch thematisch und aktiviert die Vorstellung der Patienten.

Zentraler Gedanke

Der Komponist Gustav Mahler (1860–1911) hat einmal gesagt: »Die Tradition aufrechtzuerhalten ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.« Die mentalisationsorientierte Theorie des Psychodramas hilft, das Feuer von Moreno aufrechtzuerhalten und weiterzugeben. Die Anbetung von Morenos Asche allein lähmt uns Psychodramatiker und Psychodramatikerinnen in unserer Spontaneität und Kreativität.

Seit ich das Psychodrama kennenlernte, beschäftigten mich die beiden Fragen: »Wie wirkt Psychodrama?« »Wie geschieht Heilung?« Ich kam der Antwort auf diese Fragen einen Schritt näher, als ich die Analogie zwischen der Arbeit der zentralen Psychodramatechniken und der Arbeit der Mechanismen der nächtlichen Traumarbeit entdeckte (Krüger, 1978, siehe Abb. 2 in Kap. 2, Kreis C). 1995 verstand ich in einem kreativen Durchbruch, was Psychodramatechniken sind (Krüger, 1997, S. 11 f.). Ich entwickelte eine in sich systematische methodenübergreifende Theorie metakognitiver Prozesse. Diese half mir, die therapeutischen Interventionen mit Psychodramatechniken auf dem Hintergrund einer in sich systematischen Theorie zu begründen (Krüger, 1997, S. 84 ff.). Das Besondere am Psychodrama ist: Die Psychodramatechniken verwirklichen im Spiel die inneren metakognitiven Prozesse des Patienten, die die Inhalte seines Denkens und Fühlens hervorbringen. Sie befreien diese aus ihren Blockaden und entwickeln sie nach (siehe Kap. 2). Psychodramatherapeuten arbeiten mithilfe der Psychodramatechniken direkt metakognitiv.

»Metakognition« ist das Denken über die Prozesse des Denkens. Die Therapeutin arbeitet nach meiner Definition metakognitiv, wenn sie mit dem Patienten zusammen den metakognitiven Prozess verändert, der die Inhalte seines Denkens hervorbringt. Sie zentriert ihre Aufmerksamkeit dann nicht nur auf die Inhalte seines Denkens, zum Beispiel die Gefühle, Geschehnisse und seine Erinnerungen in seinem Ehekonflikt. Sie verbessert mit ihm zusammen mithilfe der Psychodramatechniken vielmehr auch die Arbeit der Werkzeuge, die er dabei benutzt, diese Denkinhalte zu produzieren (siehe Kap. 2.2 und 2.8). Die Psychoanalyse handelt die Metakognition in den Theorien der Abwehrmechanismen, der Traummechanismen und der Mentalisation ab. In der Verhaltenstherapie orientierten sich die TherapeutInnen zunächst an dem äußeren Verhalten der Patienten. In einem zweiten Schritt entwickelten sie die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie. Diese versucht, die Inhalte des Denkens zu verändern, dysfunktionale Vorannahmen und Überzeugungen zu erfassen und diese durch angemessenere Denkinhalte zu ersetzen. In der 3. Welle der Verhaltenstherapie zentrieren die TherapeutInnen jetzt ihre Aufmerksamkeit auf die metakognitiven Prozesse, die die dysfunktionalen Inhalte des Denkens hervorbringen. Das ist zum Beispiel der zentrale Ansatz in der Schematherapie.

In diesem Buch fasse ich zunächst die in meinem früheren Buch (Krüger, 1997) ausgearbeiteten Gedanken zusammen. Ich erweitere sie und passe sie begrifflich an den heutigen wissenschaftlichen Diskurs an. Anschließend begründe ich auf dieser theoretischen Grundlage die bereits bekannten störungsspezifischen psychodramatherapeutischen Vorgehensweisen bei verschiedenen Krankheitsgruppen. Die mentalisationsorientierte Theorie des Psychodramas machte es mir dann aber möglich, weitere neue störungsspezifische psychodramatische Vorgehensweisen zu entwickeln. Diese sind in der Einzeltherapie ebenso anwendbar wie in der Gruppentherapie (siehe Kap. 2.9.1).

2 Mentalisationsorientierte Theorie des Psychodramas

2.1 Die Intuition der Therapeutin als handlungsleitender Prozess

Wenn Sie als Leser oder Leserin dieses Buch in die Hand nehmen, haben Sie wahrscheinlich Fragen. Sie möchten zum Beispiel gern wissen: »Was macht das Psychodrama zu einer Psychotherapiemethode? Wie wirkt Psychodrama therapeutisch?« Fragen sind kostbar. Ich stelle mir Ihr fragendes Ich als Ihren »inneren Sokrates« vor. Sie erinnern sich: Sokrates war der Philosoph, der gesagt hat: »Ich weiß, dass ich nicht weiß!« Aus dieser inneren Haltung heraus hat er seine Gesprächspartner zu neuen Erkenntnissen geführt. Wenn er auf dem Marktplatz von Athen zum Beispiel mit einem Mann über das Thema Freundschaft diskutierte, fragte er neugierig und scheinbar naiv wie ein Kind nach: »Was ist denn Freundschaft?« Da merkte sein Gesprächspartner, dass er eigentlich gar nicht wusste, was er selbst unter Freundschaft versteht. Sokrates hat daraufhin zusammen mit seinem Gesprächspartner, gleichsam als sein Doppelgänger Schulter an Schulter, überlegt, wie sie beide zusammen den Begriff »Freundschaft« definieren wollen. Sokrates nannte sein Vorgehen »Hebammenkunst«. Eigentlich gibt es in jedem Menschen diese naiv fragende Instanz, den inneren Sokrates. Sicher ist es kein Zufall, dass Moreno einmal gesagt hat: »Ich hatte zwei Lehrer, Jesus und Sokrates« (Yablonsky, 1986, S. 241 f.).

Im Folgenden stelle ich mir vor, dass Ihr innerer Sokrates mit einer Psychodramatherapeutin über Psychodramatherapie diskutiert. Ihr Sokrates fragt die Therapeutin: »Was ist eigentlich handlungsleitend in Ihrer Arbeit? Wie kommen Sie dazu, jeweils gerade in dieser Situation eine bestimmte Psychodramatechnik einzusetzen?« Die Therapeutin: »Ich folge meiner Intuition.« Sokrates: »Was ist diese Intuition?« Therapeutin: »Ich bin Praktikerin. Über Psychodrama soll man nicht reden, das muss man machen!« Sokrates: »Das ist wunderbar! Und wie machen Sie das, wenn Sie Ihrer Intuition folgend Psychodrama machen?« Die Therapeutin: »Wie ich meiner Intuition folge? Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.« Sokrates: »Und wenn Sie jetzt darüber nachdenken würden? Finden Sie dann eine Antwort?« Die Therapeutin: »Da läuft etwas in mir ab. Aber wie ich das mache? Ich glaube, das kann man nicht erklären!« Sokrates: »Ja! Fantastisch! Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Ich merke, Sie wissen mehr, als ich anfangs dachte!«

Die Antwort der Therapeutin scheint zwar nicht besonders ergiebig zu sein. Sie ist aus metakognitiv-psychologischer Sicht aber stimmig und weiterführend. Denn es ist richtig:

Zentraler Gedanke

Der durch Intuition gewonnene Handlungsimpuls der Therapeutin, eine Psychodramatechnik einzusetzen, ist das Ergebnis eines systemischen, halb bewussten, halb unbewussten kreativen Abstimmungs- und Einigungsprozesses zwischen der Therapeutin und ihrem Patienten. Dabei ist der innere kreative Prozess, der diesem intuitiven Impuls der Therapeutin zugrunde liegt, ein hochkomplexes Ganzes. Dieses Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, also mehr als die Summe der Arbeit der einzelnen Werkzeuge des Mentalisierens (siehe Kap. 1). Gerade dieses »Mehr« ist sein Geheimnis. Die einzelnen Funktionen des Mentalisierens arbeiten nur angemessen, wenn sie ihre je spezielle Arbeit im Ganzen der Intuition erfüllen.

Die Intuition ist gleichsam die Dirigentin im Orchester der Funktionen des Mentalisierens. Der kreative Abstimmungs- und Einigungsprozess zwischen der Therapeutin und dem Patienten oder der Gruppe ist intuitionsgeleitet. Ich habe zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass die von mir geleiteten Gruppentherapiesitzungen meistens unbefriedigend verliefen, wenn ich schon vorher festgelegt hatte, was ich als Therapeut in der Sitzung machen wollte. Wenn ich mich aber nicht festgelegt hatte und sogar ein wenig Angst vor der Sitzung verspürte, wurde das meistens eine gute Therapiestunde. Ich war notgedrungen neugierig und offen für das aktuelle Geschehen. Ich musste auf meine Intuition in der aktuellen Begegnung mit den Patientinnen und Patienten vertrauen. Meine erste Antwort auf die Frage des Sokrates ist deshalb:

Zentraler Gedanke

Die Psychodramatherapeutin folgt bei dem Einsatz einer bestimmten Psychodramatechnik ihrer Intuition. Ihr Impuls zum Einsatz einer Psychodramatechnik ist stimmig und angemessen, wenn ihre Intuition das aktuelle Geschehen im psychodramatischen Spiel ohne Vorannahmen frei und spontan verarbeitet.

Wichtige Definition

Die Intuition des Menschen steuert den kreativen Prozess seines halb bewussten, halb unbewussten inneren Mentalisierens (siehe Abb. 2) hin zu einem stimmigen Ergebnis. Mit diesem Verständnis des Begriffes »Intuition« folge ich Allen, Fonagy und Bateman (2008, S. 27), die sagen: »We construe implicit mentalizing as intuition.« »Intuition […] ist die Basis unserer Fähigkeit, angemessen auf nonverbale Kommunikation zu antworten, und viele dieser Reaktionen geschehen außerhalb der expliziten Wahrnehmung. […] Wenn wir mentalisieren, bewegen wir uns ständig vor und zurück zwischen mehr impliziten und mehr expliziten Prozessen« (Allen, Fonagy und Bateman, 2008, S. 27 f.).

In der therapeutischen Arbeit sorgt die Intuition der Therapeutin für die Ganzheitlichkeit des Prozesses ihres Mentalisierens, und die Intuition des Patienten für die Ganzheitlichkeit des Prozesses seines Mentalisierens. Die Ganzheitlichkeit des Mentalisierens wird spürbar in dem Bestreben des jeweiligen Prozesses, zu einem in sich stimmigen Gestaltschluss zu gelangen: »Solange die Wahrnehmung noch nicht zu einer geschlossenen Gestalt zusammengefügt ist, besteht für die synthetische Funktion des Ichs ein Leistungszwang, der ein bestimmtes Quantum neutralisierter Energie erfordert. Dieses Quantum wird frei, wenn die Gestalt geschlossen wurde und der Aufwand an neutralisierter Energie reduziert werden kann« (Lorenzer, 1970, S. 86). Wer nicht ganzheitlich und frei mentalisieren kann, hat demnach eine eingeschränkte Intuition. Wer aber gut ganzheitlich mentalisieren kann, besitzt auch ein gutes intuitives Gespür. Das heißt: Wer lernt, komplexer zu mentalisieren, entwickelt auch seine Intuition. Der intuitionsgeleitete Prozess des Mentalisierens braucht bis zum Gestaltschluss oft nur drei Sekunden. Es kann aber auch Minuten, Stunden oder Tage dauern, bis er zum Ende kommt und das Gefühl eintritt: »Das ist es!« Der intuitive Einfall, das Aha-Erlebnis, ist das Ergebnis gelungenen Mentalisierens. Die Therapeutin sollte Behandlungsmanuale mit ihrem expliziten Wissen immer ihrem intuitionsgesteuerten therapeutischen Handeln unterordnen.

Ihr innerer Sokrates fragt an dieser Stelle verständlicherweise weiter: »Wie wird nun aber die Intuition für die psychodramatische Arbeit handlungsleitend?«

Zentraler Gedanke

Weil das praktische psychodramatische Handeln intuitionsgeleitet ist, wirkt es auf die Beteiligten und die Beobachter meistens stimmig und einfach. Eine Therapeutin mit einer guten Intuition kann Psychodramatechniken anwenden ohne ein theoretisches Konzept. Diese Möglichkeit hat die Entwicklung einer Theorie des therapeutischen Handelns im Psychodrama verzögert.

Anfängerinnen und Anfänger in der Psychodramatherapie können in ihrer Arbeit durchaus erfolgreich sein, wenn sie mit ihren Patienten achtsam umgehen und »nur« ihrer naiven Intuition folgen. Sie müssen nicht wissen, warum sie in dieser Situation gerade diese Psychodramatechnik auf diese Weise einsetzen. Denn Intuition ist in sich selbst klug. Der naiv intuitive Leitungsstil im Psychodrama reicht aber nicht, wenn in der Arbeit mit psychisch Kranken Probleme in der therapeutischen Beziehung auftreten. Auch ist der Rückzug auf die Aussage »Ich richte mich nach meiner Intuition« als Erklärung unzureichend, wenn Psychodramatherapeutinnen wissen wollen, »was sie tun, wenn sie tun, was sie tun« (Marineau, 2011, S. 43). So brach ein psychoanalytisch ausgebildeter Psychiater in der ersten von mir geleiteten Psychodramatherapiegruppe 1976 nach einem Jahr die Ko-Leitung in unserer Gruppe und danach auch die Psychodramaausbildung ab mit der Begründung: »Ich schätze das Psychodrama sehr. Im Psychodrama weiß ich aber immer nicht, was ich tue. Ich möchte aber wissen, was ich mache, wenn ich handele!« Tatsächlich benötigt die Therapeutin neben ausreichend Selbsterfahrung auch störungsspezifisches Wissen, damit die neurotische, strukturell gestörte oder psychotische Selbstorganisation der Patienten nicht irgendwann ihr eigenes Mentalisieren und damit den Fortschritt in der Therapie blockiert. Das störungsspezifische Wissen hilft, in der praktischen Arbeit Blockaden im intuitionsgeleiteten Abstimmungs- und Einigungsprozess mit den Patienten zu vermeiden oder diese wieder aufzulösen. Die psychodramatische Arbeit sieht dann von außen immer noch einfach aus, sie beruht aber auf einer das störungsspezifische Wissen einschließenden reifen Intuition.

Was tun wir im Psychodrama, wenn wir tun, was wir tun? Diese Frage ist von hoher Bedeutung. Denn ein Therapieverfahren muss seine therapeutischen Interventionen auf dem Hintergrund einer in sich systematischen Theorie erklären können. Die verfahrensspezifischen therapeutischen Interventionen von Psychodramatherapeutinnen und Psychodramatherapeuten sind aber die Psychodramatechniken. Was tun wir also bei der Anwendung von Psychodramatechniken? In Psychodramabüchern war es lange Zeit üblich, die verschiedenen Psychodramatechniken mit ihrer je eigenen Anwendung und Wirkung ohne Bezug zueinander eine nach der anderen aufzuführen und zu beschreiben. Moreno zählte dreizehn (Moreno und Moreno, 1975b, S. 239 ff.) bzw. siebzehn (Moreno, 1959, S. 99 ff.) »Methoden« oder sechzehn »Prinzipien und Hypothesen« des Psychodramas (Moreno, 1959, S. 94 ff.) auf. Er berichtete, dass einer seiner Mitarbeiter, T. Renouvier, 351 »psychodramatische Methoden« gezählt habe: »Die Therapeuten sind oft gezwungen, im Augenblick eine neue Methode zu erfinden oder eine alte zu ändern, um einer komplizierten Lage zu begegnen« (Moreno, 1959, S. 99). Schützenberger-Ancelin (1979, S. 79 f.) ordnete mangels einer sinnvolleren Systematik die von ihr aufgezählten 76 verschiedenen »klassischen Techniken des Psychodramas« einfach nach dem Alphabet und erwähnte zum Beispiel unter B die Technik »Beleuchtung« und unter P das »Psychodrama mit Kindern«. Ein anderer Versuch der Systematisierung bestand darin, die zentralen Techniken des Psychodramas herauszuarbeiten. Lange Zeit wurden nur die Techniken Doppeln, Spiegeln und Rollentausch als »zentrale Techniken« definiert (Leutz, 1974, S. 43 ff.). Moreno hatte diese drei Techniken mit den »wichtigsten Phasen« der Kindheitsentwicklung in Verbindung gebracht (Moreno und Moreno, 1975a, S. 135 ff.; Moreno, 1959, S. 85 f.). Das Doppeln, das Spiegeln und der Rollentausch machen tatsächlich den Unterschied zwischen dem Psychodrama und dem Rollenspiel aus.

Die Frage »Welche Psychodramatechniken gibt es und wie wirken diese?« ist theoretisch wenig ergiebig. Theoretisch fruchtbarer sind die Antworten auf die Fragen: »Welche Funktion haben die einzelnen Psychodramatechniken im Ganzen des kreativen Prozesses eines protagonistzentrierten psychodramatischen Spiels? Welche Psychodramatechniken sind wirklich erforderlich, um den kreativen Prozess eines psychodramatischen Spiels zu gestalten und ganzheitlich zu Ende zu führen?« Ich fand acht Psychodramatechniken, nicht drei, nicht 76 und nicht 351, die in dem kreativen Prozess des psychodramatischen Spiels eine je eigene Funktion haben (Krüger, 1997, S. 11 f.): den Szenenaufbau, das Doppeln, das Rollenspiel, das Rollenfeedback, den Rollentausch, das Spiegeln, den Szenenwechsel und das Sharing (siehe Abb. 2). Alle anderen Psychodramatechniken sind nur bestimmte Anwendungsformen dieser acht zentralen Techniken.

Zentraler Gedanke

Die acht zentralen Psychodramatechniken arbeiten idealerweise aufeinander bezogen und bauen in ihrer je eigenen Indikation und therapeutischen Wirkung aufeinander auf (siehe Kap. 2.6). Sie vermitteln in ihrer Gesamtheit den kreativen Prozess der Konfliktverarbeitung im psychodramatischen Spiel (Krüger, 2002a). Diese Erkenntnis hilft, störungsspezifische psychodramatische Vorgehensweisen zu entwickeln und zu begründen.

Die in diesem Buch beschriebene Psychodramatherapie geht von dem Menschenbild des kreativen Menschen und dem Konzept der Aktualisierungstendenz des Selbst des Menschen aus. Der Patient soll zum Handelnden werden und sich nicht nur behandeln lassen. Die Aktualisierungstendenz des Selbst ist »das grundlegende Motiv für das Tätigwerden des Menschen, um Autonomie und Selbstständigkeit zu erlangen. Dabei entwickelt er die zunehmende Bereitschaft, sich für jede Art der Erfahrung zu öffnen und sich und andere so anzunehmen, wie sie sind« (Internet: Psychologie Glossardefinition, C. Rogers M5-03403). Diese Sichtweise des Psychodramas misst »den selbstregulativen Prozessen auf allen Ebenen menschlichen (Er-)Lebens besondere Bedeutung bei« (Kriz, 2012, S. 318). Sie sieht den Menschen als »systemisch organisierte ganzheitliche Struktur« an (Kriz, 2014, S. 128 ff.). So gesehen erweist sich Psychodramatherapie als eine Methode der humanistischen Psychotherapie (Kriz, 2012).

Zentrale Idee

Die mentalisationsorientierte Psychodramatherapie umfasst tiefenpsychologisches, systemisches, verhaltenstherapeutisches und transpersonal psychologisches Denken.

Psychodramatherapie benutzt zum Beispiel die tiefenpsychologischen Konzepte von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand beim therapeutischen Umgang mit Störungen in der therapeutischen Beziehung (siehe Kap. 2.7). Die Psychodramatherapeutin denkt in der mentalisationsorientierten Psychodramatherapie aber auch systemisch.

Zentraler Gedanke

Die Therapeutin versteht den einzelnen Menschen und die Gruppe (siehe Kap. 2.9.5) als sich selbst organisierende lebendige Systeme. Sie betrachtet auch die Konflikte der Patienten (siehe Kap. 8.4.1–8.4.7) und die therapeutische Beziehung (siehe Kap. 2.7) systemisch. Die systemische Sichtweise hilft ihr, in der therapeutischen Beziehung ausreichend flexibel zu bleiben und die therapeutische Beziehung als Wirkfaktor der Therapie voll zu nutzen (siehe Kap. 2.9.6 und 2.11).

Auch Elemente der Verhaltenstherapie sind in der Psychodramatherapie wertvoll: Wenn der Patient den alten Weg seiner dysfunktionalen Selbstregulation erkannt hat, übt er, diesen alten Weg wegzulassen, und sucht situativ nach neuen, angemesseneren Verhaltensmöglichkeiten. Oder die Therapeutin fordert einen Patienten auf, einen Wutstein in der Hosentasche bei sich zu tragen. Der Stein kann ihm helfen, seine Aggressionen nicht wieder gegen sich selbst zu wenden. Oder der Patient symbolisiert zwei konträre Ich-Zustände, zwischen denen er hin- und herflippt, in Form von zwei verschiedenen Handpuppen. Er stellt sich diese zu Hause sichtbar hin. Er soll diese jeden Tag einmal anschauen (siehe Kap. 4.3 und 4.9). Das hilft ihm, im Laufe der Zeit immer früher zu merken, dass er wieder zwischen den beiden Ich-Zuständen hin- und hergewechselt ist.

Viele Psychodramatiker nutzen auch transpersonal psychologisches Wissen. Die Therapeutin kann Heilung nicht machen. Heilung geschieht oder sie geschieht nicht. Die Therapeutin kann aber mit aller Kraft und Kreativität die Umstände der Therapie so gestalten, dass Heilung geschehen könnte. Die Therapeutin würdigt und unterstützt zum Beispiel aktiv den Durchgang des Patienten durch initiatische Erfahrungen (Dürckheim, 1984, S. 39 f.). Das sind tiefgehende innere Umstellungen beim Durchgang durch eine der Grundängste des Menschen, durch die Angst vor dem Tod, vor der absoluten Einsamkeit, vor dem Verrücktwerden oder vor der absoluten Leere (siehe Kap. 5.9, 5.10.5, 5.13, 5.14, 8.8, 9.5 und 10.7). Der Durchgang durch diese Grundängste kann ein Gefühl für das Besondere des Lebens hervorrufen, die Erfahrung der Geborgenheit in einer größeren Liebe, das Wissen um einen größeren Sinn oder die Erfahrung der Fülle des Seins.

Das Vorgehen in der mentalisationsorientierten Psychodramatherapie ist bestimmt von der jeweils aktuellen Situation. Die Therapeutin zentriert ihre praktische psychodramatischen Arbeit je nach Indikation 1. auf die kognitiven Inhalte der Patientin oder des Patienten, 2. auf die metakognitiven Prozesse, 3. auf die individuelle Identität, 4. auf die systemische Identität, 5. auf die soziale Identität oder 6. auf die transpersonale Identität. Sie sehen als Leserin oder Leser in der Abbildung 1A diese verschiedenen Zentrierungen als Pole des Diagramms. Der Patient entwickelt auf diese Weise potenziell seine persönlichen Identität und seine ideelle Identität weiter. Die Zentrierung der Arbeit ist idealerweise kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Ich habe in der Abbildung die Bewegung zwischen den verschiedenen Schwerpunkten der Arbeit deshalb als Kreise dargestellt.

Die verschiedenen Schulen des Psychodramas haben im Laufe der Zeit in ihrer Arbeit verschiedene Schwerpunkte entwickelt. Die rollentheoretisch begründete Psychodramatherapie zum Beispiel arbeitet schwerpunktmäßig individuumzentriert (sieh Kap. 2.11). Das klassische Psychodrama nach Moreno fördert bewusst die soziale Identität und die transpersonale Identität der Menschen. Moreno verband das Psychodrama mit der von ihm entwickelten Soziometrie und der Arbeit in Gruppen. Er postulierte: »Ein wirklich therapeutisches Verfahren darf nicht weniger zum Objekt haben als die gesamte Menschheit« (Moreno 1974, S. 3). Moreno ging dabei aus von dem Menschenbild des spontankreativen Menschen. Er wollte die Entwicklung des Menschen fördern vom Er-Gott des Alten Testaments über den Ich-Gott des Neuen Testaments hin zum Ich-Gott (Leutz, 1974, S. 71 ff.).

Es gibt darüber hinaus das rein intuitiv geleitete Psychodrama, das psychoanalytische Psychodrama, das verhaltenstherapeutische Psychodrama, das humanistische Psychodrama und das systemische Psychodrama. Das hier vorgestellte mentalisationsorientierte Psychodrama folgt in seiner Arbeit dem übergeordneten Konzept des Mentalisierens. Es wechselt idealerweise je nach Situation frei zwischen den sechs verschiedenen Zentrierungen hin und her.

Abbildung 1A: Die Zentrierung der therapeutischen Arbeit im mentalisationsorientierten Psychodrama

2.2 Der Regelkreis zwischen dem inneren Mentalisieren des Patienten und seiner Spielproduktion auf der äußeren Bühne

Sicher hat sich bei Ihnen als Leserin oder Leser inzwischen Ihr innerer Sokrates wieder gemeldet und möchte wissen: »Aber was hat denn nun das Mentalisieren (siehe Kap. 1) mit Psychodrama zu tun? Können Sie mir das genauer erklären?« Die Antwort ist zentral für das Verständnis der Theorie des Psychodramas.

Zentraler Gedanke

Die zentralen Psychodramatechniken verwirklichen die metakognitiven Werkzeuge des inneren Mentalisierens im Als-ob-Modus des äußeren Spiels (Krüger, 1997, S. 84 ff.) (siehe Abb. 2).

Abbildung 2: Funktionen der metakognitiven Prozessarbeit und ihre Analogie zu den Psychodramatechniken (Layout von Sturm, 2009, S. 123, verändert)

Die Abbildung 2 gibt Ihnen als Leserin oder Leser einen Überblick über die allgemeine Theorie der Psychodramatechniken. Sie erkennen in der Abbildung eine Beziehung zwischen der Intuition des Menschen, den zentralen Psychodramatechniken, den Abwehrmechanismen der Psychoanalyse, den Funktionen des Mentalisierens, den Mechanismen der nächtlichen Traumarbeit und den funktionellen Prozessqualitäten nach Plassmann (1999). Die Mechanismen, Funktionen oder Techniken, die die Arbeit des Mentalisierens auf derselben Ebene weiterführen oder blockieren, sind jeweils in demselben Quadranten des Kreises zu finden. So sind zum Beispiel die Psychodramatechniken Szenenaufbau und Doppeln zugeordnet der systemorganisierenden Funktion des Mentalisierens im linken unteren Quadranten.

Zentraler Gedanke

Psychodramatechniken arbeiten direkt metakognitiv. Sie verändern die Inhalte des Denkens nur indirekt. Denn sie verwirklichen direkt die metakognitiven Prozesse, mit denen wir Menschen unsere Denkinhalte produzieren (siehe Kap. 1). Diese Erkenntnis ist der Schlüssel zum Verständnis der therapeutischen Wirkung des Psychodramas. Die direkt metakognitive Arbeit der Psychodramatechniken ist ein Alleinstellungsmerkmal des Psychodramas. Denn die Therapeutin kann mit ihren therapeutischen Interventionen in keinem anderen Psychotherapieverfahren die metakognitiven Werkzeuge der Konfliktverarbeitung direkt verwirklichen.

Übung 2

Versuchen Sie als Leserin oder Leser bitte einmal, selbst die metakognitiven Werkzeuge Ihres Denkens kennenzulernen: 1. Lassen Sie sich eine konflikthafte Beziehung aus Ihrem privaten Bereich oder Ihrer Arbeitswelt einfallen. 2. Denken Sie bitte zwei Minuten an diesen Konflikt! – 3. An welchen Konflikt haben Sie gedacht? 4. Überlegen Sie nun, auf welche Art und Weise Sie in diesen zwei Minuten an Ihren Konflikt gedacht haben.

Zentraler Gedanke

Sie erfassen mit der Antwort auf diese Frage die kognitiven Inhalte Ihres Denkens. Kognitive Inhalte sind Szenen, Gefühle, Bilder und Interpretationen. Sie haben bei dem Denken an Ihren Konflikt, ohne das zu merken, aber auch metakognitive Werkzeuge der inneren Konfliktverarbeitung benutzt.

In einem Weiterbildungsseminar fragte der Leiter bei dieser Übung die Teilnehmerin Frau A. zuerst nach den kognitiven Inhalten Ihres Konflikts: »An welchen Konflikt haben Sie gedacht?« Frau A.: »Ich habe an meine Chefin in meiner Beratungsstelle gedacht, in der ich tätig bin.« Leiter: »Und welche Schritte sind Sie dabei in Ihrem Denken gegangen?« Frau A.: »Zuerst spürte ich innerlich wieder die Enttäuschung, die ich meiner Chefin gegenüber fühle. Dann habe ich meine Chefin vor mir gesehen. Sie ist schwanger und tut so, als ob nichts wäre. Aber eigentlich müssen wir doch planen, wie es weitergehen soll, wenn sie in Mutterschaftsurlaub geht.« Seminarleiter: »Haben die Personen in Ihrer inneren Vorstellung auch irgendetwas gesagt oder getan?« Frau A.: »Meine Chefin saß einfach nur da. Das ist ja das Problem. Dann habe ich aber an die andere Psychologin gedacht. Mit der habe ich mich vorgestern schon über das Thema unterhalten!«

Der Seminarleiter erfasste zusammen mit Frau A. die metakognitiven Werkzeuge, die sie bei dem Denken an ihren Konflikt benutzt hat. Sie hat in dieser Übung ihren Konflikt zuerst in Ihrer Vorstellung als inneres Beziehungsbild repräsentiert. Dieses Konfliktbild umfasste ihren negativen Affekt, ihre innere Selbstrepräsentanz und das Bild ihrer Chefin als ihre innere Objektrepräsentanz. Sie hat sich in ihrem Mentalisieren die an dem Konflikt beteiligten Personen vergegenwärtigt: Wer und was gehört zu dem Konfliktfeld dazu? Das innere Repräsentieren wird im Psychodrama durch den äußeren Szenenaufbau und das Doppeln verwirklicht (siehe unterer linker Quadrant in der Abb. 2). Strukturell schwer gestörte oder psychosekranke Patienten können ihre Konflikte innerlich nicht oder nicht angemessen repräsentieren. Die Therapeutin erreicht deshalb bei diesen Patienten durch den störungsspezifischen Szenenaufbau und das Doppeln eine große therapeutische Wirkung (siehe Kap. 9.2 und 10.5). Der Patient stellt im Szenenaufbau seine innere Selbstrepräsentanz und seine Objektrepräsentanz im Therapiezimmer räumlich getrennt voneinander auf und beschreibt sie mit Worten. Das äußere Repräsentieren des Beziehungssystems der an seinem Konflikt beteiligten Personen hilft ihm, das System der an seinem Konflikt beteiligten Personen auch innerlich zu repräsentieren.

Auch das Doppeln aktiviert und differenziert das innere Repräsentieren des Konflikts. Beim verbalisierenden Doppeln (Krüger, 1997, S. 116 ff.) lässt die Therapeutin den Protagonisten ein Selbstgespräch (Moreno, 1945b, S. 15) halten. Sie tritt mit ihrem eigenen Fühlen und Denken innerlich mit in sein Selbstgespräch ein und verbalisiert stellvertretend für ihn in der Rolle des Protagonisten, was sie in sich selbst seinem »Konfliktpartner« gegenüber wahrnimmt und fühlt: »Der reagiert überhaupt nicht. Das macht mich wütend. Ich hasse ihn!« Bei der Technik des mitagierenden Doppelgängers (Krüger, 1997, S. 120 ff.) interagiert die Therapeutin während des psychodramatischen Spiels stellvertretend für den Protagonisten äußerlich handelnd direkt mit dem »Konfliktgegner« des Patienten und spricht diesen direkt an: »Ich bin wütend auf Sie! Hören Sie sofort auf damit! Das ist Gewalt!« Der Szenenaufbau, das verbalisierende Doppeln und die Doppelgängertechnik verwirklichen im Als-ob-Modus des Spiels die systemorganisierende Funktion des Mentalisierens (siehe Abb. 2). Sie kreieren im inneren Mentalisieren die Prozessqualität des Raums (siehe Abb. 2).

Frau A. hatte bei der Übung in dem Seminar im Nachdenken über ihren Konflikt die inneren Bilder der an dem Konflikt beteiligten Personen auch handeln lassen. Sie ließ in ihrem Erinnerungsfilm ihre Chefin ruhig dasitzen und schweigen. Dann ließ sie in ihrer Vorstellung die Interaktionen in dem Gespräch mit ihrer Kollegin in ihrer zeitlichen Abfolge noch einmal wie in einem Film ablaufen: Sie sprach innerlich zu der Kollegin. Die Kollegin antwortete ihr wie dort und damals in der Beratungsstelle. Frau A. setzte beim Erinnern das Geschehen in dem Konflikt in seinem zeitlichen Ablauf in ihrer Vorstellung hier und jetzt in Szene.

Im Psychodrama werden das innere Vorstellen, das Erinnern und das Planen außen im Spiel durch das Rollenspiel, das Selbstgespräch und das Rollenfeedback verwirklicht. Der Protagonist schließt durch das Handeln im Als-ob-Modus des Spiels eventuell vorhandene Lücken in seiner Erinnerung und denkt den Konflikt versuchsweise zu Ende. Das Rollenspiel, das Selbstgespräch und das Rollenfeedback verwirklichen die realitätsorganisierende Funktion des Mentalisierens (siehe Abb. 2) im Als-ob-Modus des Spiels. Es kreiert im Mentalisieren die Prozessqualität der Zeit (siehe Abb. 2).

Frau A. hatte in der Übung in dem Seminar auch über die Ursache und Wirkung in dem Konflikt nachgedacht, zum Beispiel über die Motivation ihrer Chefin, sich so wenig vorausschauend zu verhalten. Sie hatte innerlich wiederholt die Rollen getauscht und versucht, Ursache und Wirkung in dem Konflikt mit ihren Konfliktpartnern zu erfassen. Der innere Rollentausch wird im Psychodrama durch den äußeren Rollentausch verwirklicht. Der Rollentausch ist im Unterschied zum Rollenwechsel in eine andere Rolle immer rückbezüglich auf sich selbst. Der Protagonist übernimmt die Rolle seines Konfliktpartners und sieht sich selbst durch die Augen des Konfliktpartners als Objekt (Krüger, 2003, S. 92 ff.) wie in einem Spiegel.

Bei der Anwendung der Technik des Spiegelns wird die Spiegelfunktion des Rollentauschs (Krüger, 1997, S. 162 f.) ergänzt um die Betrachtung des Beziehungskonflikts aus der Rolle eines Dritten. Der Protagonist beobachtet die gesamte Interaktion in seinem Beziehungskonflikt von außen aus der Metaperspektive. Er verbalisiert, was er wahrnimmt, und gibt sich aus der Ja-aber-Position des Fachmanns heraus selbst Empfehlungen. Der Rollentausch und das Spiegeln lassen den Protagonisten seine individuumzentrierte Sichtweise des Konflikts in eine systemische Sichtweise des Konflikts umwandeln. Der Rollentausch und das Spiegeln verwirklichen im Spiel die kausalitätsorganisierendeFunktion des Mentalisierens (siehe