Sturm auf den Südpol. Abenteuer und Heldentum der Südpolfahrer - Heinrich Hubert Houben - E-Book

Sturm auf den Südpol. Abenteuer und Heldentum der Südpolfahrer E-Book

Heinrich Hubert Houben

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Beschreibung

Spätestens ab dem Beginn des Goldenen Zeitalters der Antarktis-Forschung, also ab Ende des 19. Jahrhunderts, gab es Bestrebungen, den antarktischen Kontinent zu erforschen und dabei auch näher an den Pol zu kommen. Die ersten Menschen, die den geographischen Südpol erreichten, waren der Norweger Roald Amundsen und seine Expeditionsgruppe. Sie erreichten den Südpol im Dezember 1911. Amundsens Konkurrent beim Wettlauf um das erste Erreichen des Südpols war der Engländer Robert Falcon Scott. Er und seine Mannschaft erreichten den Pol erst einen Monat nach Amundsens Gruppe im Januar 1912. Auf der Rückreise vom Pol starben Scott und seine vier Begleiter an der extremen Kälte und an Unterernährung. Biografische Anmerkung Heinrich Hubert Houben (1875–1935) war ein deutscher Literaturwissenschaftler und Publizist. Als Herausgeber mehrerer Einzel- und Werkausgaben mit biographischen Monographien, Aufsätzen und Quellenwerken hat Houben ein vielfältiges literaturwissenschaftliches Lebenswerk hinterlassen. In späteren Jahren hat Houben Reiseberichte bearbeitet (u. a. Werke von Sven Hedin) und geschrieben, die hohe Auflagen erreichten und in mehrere Sprachen übersetzt wurden.

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H. H. Houben

Sturm auf den Südpol

Abenteuer und Heldentum der Südpolfahrer

Saga

Das geheimnisvolle Südland

Auch schwergelahrte Geographen machen bisweilen einen Abstecher in das Land der Dichtung. Sind sie mit ihrem Latein zu Ende und ist selbst ihnen die Welt wie mit Brettern vernagelt, so betäuben sie das peinigende Gefühl der Unzulänglichkeit ihres Wissens durch Märchenerzählen. Sie bedienen sich dabei weniger der Prosa oder gar des Verses, sondern malen ihre kühnen Erfindungen mit Reissfeder und spitzem Pinsel gleich so plastisch und sauber hin, als ob an deren Wirklichkeit nicht der blasseste Zweifel bestehe. Farbenlustige Kartenbilder aber sind stets einprägsamer als das blosse Wort und haben eine viel eigensinnigere Dauer.

Was kannten unsere Vorväter zu Beginn der christlichen Zeitrechnung von der menschenbewohnten Welt? Die Erdkarte des griechischen Geographen Strabo, der damals lebte, stellt sie als langgestreckte, ziemlich zerfetzte Insel dar, die sich grob umrissen in Südeuropa, Nordafrika und Asien mit Arabien und Indien gliedert und rings von den blauen Fluten des unermesslichen Atlantischen Ozeans umspült wird. Anderthalb Jahrhunderte später ist sie nach Norden, Osten und Süden schon mächtig gewachsen, und die Weltkarte des berühmtesten Astronomen und Geographen des Altertums, des Ägypters Claudius Ptolemäus um die Mitte des 2. Jahrhunderts, verspricht darüber hinaus noch viel mehr. Afrika dehnt sich schon weit über den Äquator aus, bis zum 20. Grad südlicher Breite, schiebt sich aber nicht als ein spitzer, sondern ein nach links und rechts in die Breite gehender Keil zwischen den Atlantischen Ozean im Westen und den Indischen Ozean im Osten; zwischen diesen beiden Wasserflächen soll fürder keine Gemeinschaft mehr sein, ja vom südäquatorialen Afrika läuft eine Landküste spornstreichs nach Osten bis zur „goldenen Halbinsel“ Indiens hinüber. Erfahrene Seeleute, meist Araber und Griechen, lachen sich darob ins Fäustchen, sie wissen besser Bescheid, und ihre sehr zuverlässigen und erprobten Segelanweisungen, streng geheim behandelte Dokumente, von denen sich etliche bis heute erhalten haben, besagen im Gegenteil: die Ostküste Afrikas weicht da unten nach Westen zurück und dieser Erdteil spitzt sich nach Süden zu. Mit der praktischen Schiffahrt hat der Gelehrte in Alexandria offenbar wenig Fühlung. Vielleicht hat er einmal etwas von der grossen Insel Madagaskar läuten hören, die jenen Seefahrern gewiss auch nicht fremd ist, Land hat sich also im Osten von Südafrika wirklich gefunden. Im übrigen schwört er auf das Wort eines ehrenwerten Fachkollegen im 2. Jahrhundert vor Christi Geburt, des Chaldäers Seleukos, der mit aller Bestimmtheit erklärt: Der Indische Ozean hat nicht Ebbe und Flut, er ist also ein Binnenmeer und muss auf allen Seiten von Land begrenzt sein. Daraufhin verleiht Ptolemäus diesem Meer die ihm gebührende, bisher noch fehlende Südküste, die in keckem Schwung Ostafrika mit Indien verbindet. Dieses von seiner Phantasie geschaffene Neuland bezeichnet er als eine östliche Fortsetzung von Äthiopien (Abessinien), von dem nun ein äusserster Zipfel im fernen Indien auftaucht, setzt aber, als Zeichen seines schlechten Gewissens, vorsichtig hinzu: „Unerforschtes Gebiet“. Er hat damit der Nachwelt eine gewaltig harte Nuss zu knacken gegeben, und da nichts leichter ist, als einen grandiosen Irrtum in die Welt zu setzen, nichts schwerer aber, als diesen Irrtum wieder zu beseitigen, so hat sich dieses Kind der ptolemäischen Phantasie länger als anderthalb Jahrtausende im Glauben und in der schweifenden Sehnsucht der Menschheit behauptet; nicht einmal das Zeitalter der grossen Entdeckungen um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts hat es umzubringen vermocht; das vom alten Ptolemäus geschaffene geheimnisvolle Südland hat, wenn auch immer bescheidener werdend, bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, bis in Goethes Zeit, seinen Platz an der Sonne mit munterer Hartnäckigkeit verteidigt.

1492 entdeckt Kolumbus eine neue Welt im Westen des Atlantischen Ozeans; er selbst glaubt, den Erdball umsegelt und die Ostküste Asiens erreicht zu haben. Erst 1513, sieben Jahre nach seinem Tode, dämmert die Erkenntnis, dass er einen völlig unbekannten Erdteil fand. Für die mittelalterlichen Kosmographen, wie sich die Erdkundigen jener Zeit nennen, eine höchst peinliche Überraschung! Denn sie beten immer noch zu dem Götzenbild Ptolemäus, dessen Geographie die unbestrittene Lehrmeisterin des Abendlandes geworden ist. Ein neuer Weltteil? Das riecht nach Ketzerei! Es gibt keinen Weltteil, der nicht bei Ptolemäus zu finden ist. Der grosse Weise von Alexandria kennt kein Amerika — also hat es nicht zu existieren! Es sei denn, dass sein unerforschtes Südland damit zusammenhängt.

So haargenau stimmt es allerdings mit diesem Südland nicht. 1486 schon hat der Portugiese Diaz festgestellt, dass Afrika mit dem Kap der Guten Hoffnung zu Ende ist, und zwölf Jahre darauf fährt sein Landsmann Vasco da Gama um diese Südspitze herum schlankweg nach Indien durch. Keine Küste hält ihn auf — mit dem indischen Binnenmeer ist es also nichts, und das Land, das der Fernseher Ptolemäus schaute, muss wohl etwas tiefer nach Süden liegen. Warum auch nicht? Unerforschtes Gebiet ist da noch unendlich viel.

Obgleich die Ptolemäusschüler Amerikas Existenzberechtigung verneinen, reckt der neue Erdteil mächtig die Glieder. 1500 taucht der nach Osten vorgebuckelte Schmeerbauch Südamerikas aus den Wellen des Ozeans auf. Portugiesische Schiffe dringen 1514 bis zum 35. südlichen Breitengrad vor, wo plötzlich Brasiliens Küste scharf rechtsum macht; sie folgen ihr noch eine Strecke und sichten auch zur Linken in weiter Ferne Land. Sie haben die 220 Kilometer breite Mündung des La Plata-Stroms erreicht, dessen anderes Ufer sich von links heranschiebt, glauben aber, im Süden ein neues Festland vor sich zu haben, das von Brasilien durch einen breiten Meeresarm getrennt ist, kehren schleunigst heim und machen in Lissabon mit ihrer Entdeckung grosses Aufsehen. Der dortige Agent des mächtigen Fuggerhauses bekommt Wind davon und berichtet darüber ausführlich nach Augsburg. Der Chef der Firma, Jakob von Fugger, ehemals Geistlicher, jetzt genialer Kaufmann und Weltbankier, der mit überseeischen Geschäften nach Ostindien ungeheures Geld verdient, pflegt gute Beziehungen zur damaligen Flugblattpresse, er zieht den Augsburger Drucker Oeglin ins Vertrauen, und in den nächsten Wochen wird auf deutschen Jahrmärkten mit grossem Geschrei eine „Copia der Newen Zeytung aus Presilg Land“ ausgeboten. Durch sie erfährt die Welt, dass nun endlich das geheimnisvolle Südland, von dem seit Menschengedenken so viel die Rede war, wirklich und wahrhaftig entdeckt ist.

Einen gelehrten Mann im nahen Nürnberg trifft die sensationelle Nachricht wie ein Schlag. Seit Jahren arbeitet hier der Astronom Johannes Schöner an seinem ersten Globus, das Kunstwerk ist soeben vollendet und wartet auf Käufer. Das ganze Geschäft ist plötzlich verdorben, denn da, wo das neue Südland liegt, gähnt auf diesem Globus ein weiter, leerer Meeresfleck. Dass ihm so etwas mit seiner ersten kartographischen Arbeit passieren muss! Der alte Ptolemäus hat also doch recht behalten, sein Südland ist kein leerer Wahn! Natürlich muss Schöner die ganze südliche Halbkugel umzeichnen und tut das schnell und gründlich — so bald soll sein mühsames Werk nicht wieder veralten, mag man da unten Länder finden, so viel man will! Noch im selben Jahr erscheint ein Neudruck seines Globus und zeigt im Süden der neuentdeckten Meeresstrasse (richtig: des La Plata-Stroms) ein gewaltiges Stück Land, „Brasilia inferior“ (Unterbrasilien), das sich sogar wie eine breite Wurst noch um den Südpol herumlegt und zu dessen Wasserbecken nur einen Eingang vom Stillen Ozean her freigibt. Auch grosse Teile des Indischen Ozeans und der Südsee sind landfest miteingemeindet.

Der Nürnberger Kartograph hat wirklich Pech! 1520 erscheint wieder ein Neudruck seines Globus, und gerade in diesem Jahr sieht sich der Seefahrer Magellan nach dem Schönerschen Unterbrasilien genauer um; er findet jenseits des 50. Breitengrades die nach ihm benannte Meerenge und damit eine Durchfahrt zum Stillen Ozean. Zu Fuss kann man also doch nicht, wie Schöner sich das denkt, immer weiter nach Süden und um den Pol herum spazieren. Da aber links der Magellanstrasse wieder eine Küste steht, ist das Unglück diesmal halb so schlimm, und auf dem nächsten Neudruck seines Globus 1533 braucht Schöner nur diesen neuen Durchstich anzubringen und sein Unterbrasilien nach Süden hin entsprechend zuzuspitzen; im übrigen bleibt alles beim alten. Er darf jetzt sogar stolz sein auf seinen Erfolg, denn er macht bei den meisten Kartographen der Welt Schule. „Terra australis incognita“ (das unbekannte Südland) oder Terra magellanica, wie es von einigen genannt wird, bleibt durch sein Verdienst ein teurer geographischer Begriff. Französische Erdkarten decken jetzt auch den Südpol selbst mit Land zu und führen dessen Nordgrenze im Indischen und Stillen Ozean bis nach Neuguinea hinauf, das im 16. Jahrhundert langsam in Erscheinung tritt; patriotische Gelehrte wollen daraufhin später den Ruhm der Entdeckung Australiens allen Ernstes für Frankreich beanspruchen, weil diese alten Karten die Stelle des noch völlig unbekannten fünften Erdteils bereits mit Land ausfüllen. Der berühmteste deutsche Kartograph, Gerhard Mercator, übertrumpft den Nürnberger Meister noch: er braucht als Künstler ein wenig Staffage und stattet 1569 die langweiligen Küsten des nie gesehenen Südkontinents mit allerlei malerischen Klippen, Flussmündungen, Meeresbuchten und vorgelagerten Inseln aus, einem Golf von San Sebastiano, einer Cressalina-Insel usw. Man kann überhaupt die südliche Halbkugel gar nicht genug mit Grundstücken bepflastern, denn die Mathematiker haben ein gewichtiges und sehr einleuchtendes Wort gesprochen von der drohenden Erschütterung des Gleichgewichts der Erde, falls die südliche Halbkugel nicht ebenso viel Landgewicht habe wie die nördliche. Der Traum des alten Ptolemäus ist herrlich in Erfüllung gegangen.

Mercators Schule beherrscht die Kartographie bis ins nächste Jahrhundert, für die Konservierung ihrer Errungenschaften ist damit gesorgt, wenn sich auch nach und nach das immer noch unerforschte Südland etliche nicht unbedeutende Abstriche gefallen lassen muss. Der englische Seeheld und Seeräuber Francis Drake durchfährt 1578 die Magellanstrasse und wird an ihrem Westende vom Sturm bis über den 56. Breitengrad hinuntergeblasen; so wird er zum Entdecker der Südspitze Feuerlands, das er als ein Gewirr von Inseln erkennt. Aber damit ist hier die Welt vollkommen zu Ende, von dem grossen Kontinent der Landkarten keine Spur mehr zu sehen, nach Süden weithin offenes Meer. An dieser Tatsache ist nicht mehr zu zweifeln, als 1616 der Holländer Le Maire jene Südspitze umsegelt und ihr den Namen Kap Hoorn gibt. Zwischendurch hat ein anderer Holländer Dirk Gerritsz dasselbe Schicksal gehabt wie Drake: von der Westmündung der Magellanstrasse soll ihn der Sturm sogar bis zum 64. Grad getrieben haben, wo am Horizont schneebedecktes Land aufstieg; aber diese Überlieferung steht nicht nur auf unsicheren, sondern auf gar keinen Füssen, er ist schwerlich weiter gekommen als der Engländer. Gleichwohl giesst das Märchen neues Öl auf das schon etwas unsicher flackernde Südlandlämpchen. Damit allerdings müssen sich die Gelehrten nachgerade abfinden, dass der hinterhältige Kontinent sich noch recht weit von dem Unterbrasilien Schöners und seiner Gefolgschaft versteckt hält. Um so mehr Spielraum für die Phantasie der Dichter! „Terra, australis incognita“ wird jetzt der Lieblingsschauplatz der üppig aufschiessenden Robinsonaden, zu denen auch unseres deutschen Meisters Grimmelshausen „Abenteuerlicher Simplizissimus“ (1669) in seinem letzten Teil gehört. Von dem unwirtlichen Wesen der Antarktis hat aber keiner dieser Poeten eine blasse Vorstellung, ihren ungeheuren Eisbergen ist offenbar selbst unter den Seefahrern bis 1681 noch niemand begegnet; die rettenden Küsten und Inseln jener Romane sind durchweg von Blumen und Früchten prangende Schlaraffenländer, die nicht weit vom Äquator liegen können, und die Phantasie ihrer Verfasser tummelt sich um so mehr in diesen Breiten, als im Laufe des 17. Jahrhunderts Australien und die Paradiese der Südsee aus den blauen Wogen des Stillen Ozeans zauberhaft lockend emporsteigen. Mit dem ungeheuren Erfolg des „Robinson Crusoe“ von Daniel Defoe (1719) bekommt dann diese Romangattung ihren festen Hintergrund. Die bisherige „Terra australis“, ein völlig blut- und farbloser Begriff, verschwindet aus der Literatur und tritt in einer der Wahrheit wenigstens angenäherten Gestalt überhaupt nur vereinzelt auf, so in Edgar Allan Poes phantastischer Erzählung „A. G. Pyms abenteuerliche Geschichte“, die jedenfalls durch die erste amerikanische Südpolexpedition unter Leutnant Wilkes (1838 bis 1842) angeregt ist.

In der geographischen Wissenschaft verkrampft sie sich um so fester, obgleich die Entdeckung Australiens, an dem sogar der Name Terra austialis hängen bleibt, der heftigste Stoss ist, der sich gegen das Götzenbild des alten Ptolemäus und seiner Nachfahren führen lässt. Als der Holländer Tasman 1642/44 Südaustralien (Neu-Holland) umsegelt und es damit zum Rang eines fünften Erdteils erhebt, in dessen Süden wieder nur offenes Meer blaut, schneidet er von dem aufgeputzten Kuchen der Kosmographen ein so gewaltiges Stück weg, dass diese Taschenspieler ihre Ansprüche ganz erheblich zurückschrauben müssen. Aber aufgeben werden sie sie nicht! „Klein, aber mein!“ sagen sie hartnäckig, und das geheimnisvolle Südland wird ein Spuk, der noch zwei Jahrhunderte lang munter die Welt narrt und unausrottbar erscheint. Wo nur immer südlich vom Äquator das winzigste Inselpünktchen sich zeigt — es will durchaus ein Bürger des grossmächtigen Südlandes sein, das durch solche Vorposten seine Nähe immer wieder ankündigt. „Hier bin ich!“ ruft der Spuk, als Le Maire 1616 bei der Umsegelung Feuerlands im Osten eine ferne Küste sichtet, die er Staatenland nennt und damit seiner Heimat, den niederländischen Generalstaaten, einverleibt. „Hier bin ich!“ ruft es östlich von Australien, als Tasman im Dezember 1642 Neuseeland entdeckt, die grosse Insel, die wie ein zerrissener Wasserstiefel im Meere liegt. Auch er hält sie für einen Zipfel des gesuchten Südkontinents und nennt sie ebenfalls Staatenland, weil sie doch mit dem von Landsmann Le Maire gesehenen irgendwie zusammenhängen muss; aber Le Maires Staatenland wird schon 1643 von einem andern Holländer, Hendrik Brower, als kümmerliche Insel entlarvt. „Hier bin ich!“ ruft der Kobold Südland, als 1675 weiter östlich von Kap Hoorn die grosse Insel Südgeorgien auftaucht, um für dreiviertel Jahrhundert wieder zu verschwinden — als 1687 die einsame Osterinsel im Stillen Ozean gefunden wird — als 1739 südwestlich von Afrika mitten im Meer ein eisbedeckter vulkanischer Berg steht, der als „Kap Bouvet“, Vorgebirge des ewigen Südlandes, mit spätern Seefahrern ein wunderliches Versteckspiel treibt und seiner genauen Lage nach erst 1898 von der Deutschen Tiefsee-Expedition festgestellt wird. Auch Tasmans Staatenland muss sich zur Insel degradieren lassen, als der grosse englische Weltumsegler James Cook auf seiner ersten Reise im Winter 1769/70 Neuseeland ganz umfährt und damit den geheimnisvollen Kontinent, der sich so hartnäckig jedem Zugriff entzieht, auch hier in die unendliche Weite des südlichen Meeres zurückverweist. Und immer noch lacht der Spuk „Hier bin ich!“, als Frankreich und England, beide gleich beunruhigt durch die angebliche Existenz eines Landes, das so glücklich ist, noch keinen Besitzer zu haben, ernstlich daran gehen, dieser unheimlichen Sache auf den Grund zu kommen. „Hier bin ich!“ ruft es noch im Januar 1772, als die französischen Kapitäne Marion du Frezne und Crozet im Indischen Ozean die Gestade finden, die später, wieder nur als Eilande erkannt, die Namen Prinz Edwards- und Crozet-Inseln erhalten; „Terre d’espérance“ heissen sie anfangs, Land der Hoffnung, denn immer noch ist der Glaube an das Südland auch in den Seefahrern lebendig. Und „Hier bin ich!“ schallt es — jetzt zum letztenmal! — einen Monat später etwas weiter im Osten, als ein anderer französischer Seefahrer, Kerguelen-Tremarec, gleichfalls auf Landmassen stösst, die so sicher das endlich erhaschte Südland sein müssen, dass Frankreich gleich im nächsten Jahr drei neue Schiffe ausrüstet, um seine Hand auf diesen sechsten Erdteil zu legen. Um diese Zeit aber ist schon der Mann unterwegs, dem es vorbehalten sein soll, den Zauber zu beschwören, den Spuk zu bannen und dieses grösste geographische Rätsel der letzten Jahrhunderte seiner endlichen Lösung entgegenzuführen.

Ein Segelrekord zu Goethes Zeit

Als Marie Antoinette, die Königin von Frankreich, im Temple zu Paris ihrer Hinrichtung entgegenharrt, betäubt sie das Grauen vor der nahen Zukunft durch Lesen der Reisebeschreibungen des englischen Seefahrers James Cook. Seit den Tagen des Kolumbus hat kein Entdecker die Kenntnis des Weltinhalts so unerhört bereichert wie dieser grosse Meeresbezwinger; wo immer noch schwarze Finsternis über weiten Wassern brütete, er hat sie gelichtet, und eine Unzahl von Küsten und Inseln verdankt ihm ihr erstes Erscheinen auf den Erdkarten. Er hat der englischen Kolonialmacht unermessliche Ziele gesteckt; mit der von ihm angeregten Verbrecherkolonie in Botanybai beginnt die englische Besiedlung Australiens; er hat seinem Vaterland die Märchenwelt der Südsee geistig erobert, denn er begnügt sich nicht damit, die zum erstenmal gesehenen Länder zu umfahren und ihre Küsten mit grösster Genauigheit kartographisch aufzunehmen; er setzt den Fuss auf jedes unbekannte Ufer, dringt ins Innere ein, ist als Forscher ebenso genial wie als Kapitän und entwirft von all diesen neuen Weltteilen und ihren noch im Urzustand befindlichen Bewohnern nach gründlichem Studium ihrer Natur und Kultur farbenprächtige Bilder, die alle Leser in dem schon überkultivierten Europa in einen Rausch der Begeisterung versetzen, denn Rückkehr zur primitiven Natur des Urmenschen ist seit dem Wirken ihres Evangelisten Jean Jacques Rousseau die allgemeine, wenn auch nicht allzu ernst genommene Losung. Als Seefahrer ist Cook ein Bahnbrecher allergrössten Formats; mit seinen dürftigen Holzschiffen dreimal die Welt umsegelnd, hat er in zehn Jahren Strecken durchmessen, die sich nur in astronomischen Zahlen ausdrücken lassen; man berechnet sie auf mehr als den siebenfachen Umkreis der Erde, auf 280000 Kilometer — das sind drei Viertel der Entfernung des Mondes von unserm Erdball! Cooks Name ist den Zeitgenossen Goethes geläufiger als unserer Gegenwart die Namen Shackleton und Amundsen. Schiller rät 1798 dem Dichter von „Hermann und Dorothea“, den Weltentdecker Cook zum Stoff seines nächsten Epos zu wählen, nachdem schon ein anderer deutscher Schriftsteller, der sich den Rang eines Klassikers der Reiseschilderung erwirbt, dem Lebenswerk des grossen Engländers die verdiente Bewunderung in Deutschland gesichert hat, denn die kümmerliche Tagespresse von damals schafft noch keine Helden. An Cooks zweiter, epochemachender Weltumsegelung 1772—1775 nimmt der deutsche Naturforscher Johann Reinhold Forster teil; Cooks Begleiter auf der ersten Reise, der Londoner Millionär Sir Joseph Banks, vier Jahrzehnte Präsident der „Königlichen Societät“ für Wissenschaft, und der schwedische Naturforscher Daniel Solander, Bibliothekar am Britischen Museum, haben sich für eine Wiederholung dieses höchst unkomfortablen Abenteuers bedankt; Forster nimmt seinen achtzehnjährigen Sohn Georg mit, und dieser übernimmt die Aufgabe, die ursprünglich seinem Vater zugedacht war, aber dann von der englischen Regierung aus kleinlicher Eifersucht verwehrt wird: er beschreibt diese an Mannigfaltigkeit und Grösse der Erlebnisse einzigartige Entdeckungsreise nach eigenen Eindrücken, dem Tagebuch seines Vaters und den Aufzeichnungen Cooks selbst in einem Erstlingsbuch „Eine Reise um die Welt“, das ihn schnell zu einem der meistgelesenen Schriftsteller Deutschlands macht und keinem Geringeren als Alexander von Humboldt die Anregung zu seinen berühmten Forschungsreisen gibt. Dieses Werk Georg Forsters ist gleichsam das erste Kapitel der Memoiren des Südpols.

Cook ist weder Sir noch Lord noch Admiral; als ihn am 14. Februar 1779 Eingeborene der Insel Hawai hinterrücks erdolchen, zählt er einundfünfzig Jahre; er hat es nur zum Kapitän der englischen Flotte gebracht — sehr viel für einen armen Bauernjungen, der, mit dreizehn Jahren Knecht eines Kohlenschiffers, die dornenbesäete Laufbahn eines Seemanns von der untersten Stufe an emporklimmen muss. Seine Hände erzählen von dieser bittern Lehrzeit: mehrere Finger sind verstümmelt, und zeitlebens bleibt er bedürfnislos wie der niedrigste Matrose unter seinem Kommando: auf seinen Kapitänstisch kommt immer die Mannschaftskost. Unter leichtfertigen Jugendkameraden gilt er als Streber, er braucht jeden Pfennig zu seiner Fortbildung; Nautik, Mathematik und Astronomie sind seine alles übrige verdrängende Leidenschaft. Englands Krieg gegen die französischen Kolonien in Amerika eröffnet ihm den Eintritt in die englische Marine; er zeichnet sich aus. Nach achtzehn Jahren hat er die am schwersten zugängliche erste Plattform erstiegen, er ist Obersteuermann und Schiffsmeister. Seine Karten von den Küsten Kanadas und Neu-Fundlands erregen bei der Admiralität Aufsehen. Sie ernennt ihn 1768 zum Leutnant und zum Befehlshaber der „Endeavour“ (Bestrebung), eines ehemaligen Kohlenschiffs, das am 3. Juni 1769 von der Südseeinsel Tahiti aus den Vorübergang des Planeten Venus vor der Sonne zu beobachten hat, was für Berechnung der Sonnenentfernung, des astronomischen Grundmasses, von höchster Bedeutung ist. Auf dieser ersten Weltreise umfährt er Neuseeland, entdeckt die Ost- und Nordküste Australiens (die Umsegelung der Nordküste schon 1606 durch den Spanier Torres ist völlig unbekannt geblieben) und bewährt sich als ein so glänzender Schiffs- und Expeditionsführer, dass ihm, kaum heimgekehrt, eine zweite, grössere Aufgabe gestellt wird, die ihn selbst schon auf der ersten Reise lebhaft beschäftigt.

Als er auf dem Wege nach Tahiti die ungefährlichere Magellanstrasse rechts liegen lässt, um das seiner Stürme wegen berüchtigte Kap Hoorn zu erproben, macht er einen grossen Bogen bis zum 60. Breitengrad hinunter; aber von dem sagenhaften Südland, das immer noch in den Köpfen der Geographen und Seefahrer spukt und sich auf den Landkarten behauptet, zeigt sich nirgends eine Spur, ebenso wenig von drohenden Eismassen, denen andere Schiffe hier nur mit Mühe entgangen sein sollen; das Wetter ist im Gegenteil den ganzen März 1769 dortherum so still, dass die Naturforscher der Expedition im kleinen Boot Jagd auf Seevögel machen dürfen. Als Cook dann durch Umsegelung Neuseelands bewiesen hat, dass auch diese grosse Insel in keinerlei Zusammenhang mit einem Südkontinent steht, möchte er am liebsten stracks in den antarktischen Winter hineinfahren, um dieses Land zu suchen, muss sich aber von seinen Begleitern überzeugen lassen, dass ihr gebrechliches Schiff der zu befürchtenden Eisfahrt unmöglich gewachsen ist. Jetzt aber verlangt die englische Admiralität eine endgültige Antwort auf die Frage, was es mit dem Südland, nach dem die Franzosen neuerdings wieder so eifrig forschen, auf sich habe, und keiner wird diese Antwort besser geben können als Kommander (noch nicht Kapitän!) James Cook, der Todesverachtung und eiserne Ausdauer mit einer kaum je dagewesenen Umsicht, Geschicklichkeit und Sicherheit in Handhabung aller nautischen Instrumente verbindet. Am 13. Juli 1772 verlässt er mit zwei ungepanzerten Holzschiffen „Resolution“ (Entschlossenheit) und „Adventure“ (Wagestück), das erste 462 Tonnen mit 112, das zweite 336 Tonnen mit 81 Mann Besatzung, den Hafen von Plymouth und segelt am 22. November von Kapstadt aus nach Süden. Sein Auftrag ist, zunächst das von dem Franzosen Bouvet gesichtete Land aufs genaueste zu erforschen und, wenn es nicht auffindbar oder nur eine Insel ist, weiter nach Süden vordringend auf dem höchstmöglichen Breitengrad den Pol zu umsegeln, im übrigen ganz nach eigenem Ermessen zu handeln.

Cooks Weltreise um die Antarktis

Was wird Cook im Süden finden? Bewohnbare, vielleicht gar bewohnte Länder mit freundlichem Klima, meinen immer noch etliche Schreibtischgeographen; seit ungefähr einem Jahrhundert aber wissen manche Seefahrer besser, was dort unten zu erwarten ist, obgleich noch kein Schiff über 62¾ Grad hinauskam: Eis und Schnee und Sturm, schlimmer als im Norden, Treibeis, Packeis und Eisberge, an deren fabelhafte Grösse und Höhe zunächst niemand glauben will; die Abenteurer, die dorthin verschlagen werden, meist Freibeuter und Gentleman-Seeräuber, wie die allgemeine Jagd auf Kolonialbesitz sie ausbildet, diese Schwadroneure und Landsknechtnaturen lügen meist wie gedruckt. Kapitän Lozier Bouvet aber, der am 1. Januar 1739 auf 54° s. B. (südlicher Breite) und 4° 20′ ö. L. (östlicher Länge von Greenwich aus) das hohe Kap findet, das Cooks erstes Ziel sein soll, ist ein durchaus ernst zu nehmender Seemann; er begegnet schon auf dem 49. Breitengrad Eisbergen von 11 bis 17 Kilometer Umfang und 300 Meter Höhe, eine zweifellos fehlerhafte Schätzung aus optisch täuschender Entfernung, denn noch geht man diesen Gesellen weitmöglichst aus dem Wege; das von ihm entdeckte angebliche Vorgebirge des Südlandes ist ebenfalls von Eis so verbarrikadiert, dass alle Landungsversuche, zwölf Tage lang fortgesetzt, scheitern. Derselbe Bouvet segelt auf dem 57. Breitengrad 2400 Kilometer nach Osten, und wie er versichert: immer von Eismassen umgeben — der erste Versuch einer Eisfahrt in südlichen Breiten, noch dazu in einem offenbar ungewöhnlich schweren Eisjahr.

Der Winter 1772/73 (Sommerszeit in der Antarktis!) ist der Schiffahrt ebenso ungünstig. Drei Jahre vorher hat Cook unterhalb Kap Hoorn bis zum 60. Grad Prachtwetter getroffen, jetzt überraschen ihn südlich vom Kap der Guten Hoffnung schon auf dem 42. Grad Stürme, die seine „Resolution“ am 29. November in grösste Gefahr bringen. Ein Unteroffizier erwacht mitten in der Nacht von einem plätschernden Geräusch, springt auf und steht bis über die Waden im Wasser. Er schlägt sofort Lärm, in wenig Minuten ist die ganze Besatzung auf den Beinen, alles stürzt an die Pumpen und arbeitet verzweifelt; aber das Wasser steigt immerfort, Rettung unmöglich —die Boote werden schon klar gemacht. Da ergibt sich, dass in einer Vorratskammer eine Luke nicht fest geschlossen war, die Wellen haben sie aufgeschlagen und dringen hier so gewaltig ein, dass das Schiff unfehlbar in kurzem gesunken wäre. Nun ist dem Unglück schnell vorgebeugt, aber Kleider, Betten und Gepäck der Mannschaft wie der Offiziere sind vom Seewasser völlig durchnässt, die Schiffsräume noch lange ein sehr übler und ungesunder Aufenthalt, zumal da der Sturm, von Schneefällen und Regen begleitet, gar kein Ende nehmen will. Am 8. Dezember zeigen sich als Vorboten des Treibeises die ersten Pinguine, diese der Antarktis eigenen amphibienartigen Vögel, die ihre verstümmelten Flügel, zum Fliegen untauglich, als Ruder verwenden und durch ihre Schwimm- und Tauchkunst höchstes Erstaunen erwecken; von ihrem starken, schwarzweissen, fettigglatten Federkleid prallen Schrotkörner wirkungslos ab; die Naturforscher müssen schon eine Kugel daranwendm, wenn sie dieser Beute habhaft werden wollen. Am 10. Dezember kommt auf 50° 4′ s. B. schon der erste Eisberg angeschwommen, etwa 650 Meter lang und 70 Meter hoch, nur ein schmales Modell der tafelförmigen Riesen, die jeden Sommer von den Inlandgletschern der Antarktis in ungeheurer Zahl abbrechen und, Tiefseeströmungen folgend, nach Norden ziehen; ihre Entstehung ist den ersten Südpolforschern noch unerklärlich; wohl aber weiss man, dass solch ein schwimmender Berg einen sechs- bis siebenmal grösseren Tiefgang unter Wasser hat, jedes Schiff also ihm gegenüber eine lächerliche Nussschale ist. Von Tag zu Tag werden nun diese unheimlichen Eisberge zahlreicher und zudringlicher; an ihren hellblau und grün schimmernden Steilhängen tobt die Brandung so heftig, dass der Wellenschaum bis zu ihren Gipfeln emporspritzt, Wolken von weissen, blauen und grauen Sturmvögeln, Raubmöwen, Seeschwalben und Albatrossen, deren Eiement der Sturm ist, umschwärmen sie, und ihre Annäherung drückt auch bei Sonnenschein die Quecksilbersäule des Thermometers gleich um 2 Grad Celsius herab, eine zuverlässige Wamung besonders bei unsichtigem Wetter. Nebel ist im Eismeer überall des Seemanns schlimmster Feind, er ist unberechenbar und stürzt unversehens wie eine Lawine hernieder. Die Gelehrten der „Resolution“ wissen davon zu erzählen. Eine Windstille am 14. Dezember wird von ihnen schnell zu Messungen der Meeresströmungen und -temperaturen benutzt, der Naturforscher Forster und Astronom Wales sind in einem kleinen Boot nahe dem Schiff eifrig damit beschäftigt, als sie plötzlich in einer weissen Wolke stehen, dicker Nebel hat in wenig Augenblicken beide Schiffe wie verschluckt. Sie rufen — keine Antwort kommt; sie rudern unruhig hin und her, schreien, so laut sie können — alles bleibt totenstill. Was sollen sie tun? Sie haben weder Mast noch Segel noch die geringsten Lebensmittel, nur ihre zwei Ruder. Das beste wird sein, da zu bleiben, wo sie sind; so lange die Windstille anhält, werden die Schiffe hoffentlich nicht abtreiben. Die zwei Männer horchen gespannt auf jeden Laut. Nach endlos langer Zeit läutet wie aus grosser Entfernung eine Schiffsglocke; sie rudern in Schallrichtung, rufen immer wieder, erhalten endlich Antwort und sehen den schwarzen Bug eines Schiffes — es ist die „Adventure“, deren Befehlshaber Kapitän Tobias Fourneaux auch nicht ahnt, wo das Flaggschiff steckt. Ein Kanonenschuss fragt in die Weite — die Antwort kommt aus solcher Nähe, dass man sich von Bord zu Bord mündlich verständigen kann. Darauf kehren die Gelehrten zur „Resolution“ zurück; nach den verlebten Schreckensstunden kommen ihnen ihre höhlenartigen Kabinen und feuchten Betten als Gipfel der Behaglichkeit vor.

Cook steuert auf dem 22. bis 23. Längengrad südwärts. Nach Osten wird eifrig Ausschau gehalten, dort müsste irgendwo Kap Bouvet aufragen. Offiziere und Mannschaft wollen alle Augenblicke mit Bestimmtheit Land sehen; beim Näherkommen sind es Wolken, Nebelbänke, höckerige Eisinseln und hohe Eisberge, an deren Fuss Pinguine spielen und zahlreiche Walfische ihre Fontänen in die Luft blasen. Wenn Kap Bouvet Vorgebirge ist, müsste hier herum die Küste seines Hinterlandes sich nach Südwesten hinziehen; statt dessen legt sich am 14. Dezember auf 54° 55′ s. Br. undurchdringliches Packeis in den Weg. Cook segelt an dessen Rand vorsichtig nach Osten, wagt es hin und wieder, schmale Ausläufer des Packeises zu durchschneiden und bohrt sich, wo immer eine Lücke klafft, nach Süden und Südosten durch, meist im Nebel sich vortastend, von Schneefällen, Regen und Hagelschauern begleitet. Bei der Mannschaft zeigen sich, trotz des täglich verabreichten Sauerkrauts, Anzeichen von Skorbut, aber reichlicher Genuss von Bierwürze erweist sich als sicheres Heilmittel. Die erste Reise in die Antarktis muss in jeder Hinsicht eine Studienfahrt sein; man lernt den „Eisblink“, den Widerschein grosser Eisfelder am Horizont, von dem dunklern Wasserhimmel unterscheiden und aus Meereis Trinkwasser gewinnen, denn gefrierendes Seewasser scheidet seinen Salzgehalt aus; aber blosses Eiswasser lässt die Halsdrüsen anschwellen, daher der häufige Kropf der Gebirgsbewohner; immerhin beseitigt es die schwerste Gefahr damaliger Seereisen, Mangel an Trinkwasser, und die Schildwache neben der Wassertonne auf Deck braucht es nicht gar so streng mehr zu nehmen. Zum Waschen aber benutzen Kapitän und Mannschaft ausnahmslos Seewasser.

Auf dem 33. Längengrad treibt heftiger Oststurm die Schiffe bis 9° 45′ nach Westen zurück, aber da das Packeis nach Norden abschwimmt, gewinnt Cook Raum nach Süden. Hier wenigstens, fast südlich von Kap Bouvet, müsste doch nun endlich die Küste seines Hinterlandes erscheinen, aber nichts zeigt sich. Sobald der Wind sich dreht, geht die Fahrt nach Osten und Südosten weiter, und der 17. Januar 1773 wird der erste denkwürdige Tag in der Geschichte der Südpolforschung: Cook überschreitet den südlichen Polarkreis (66½°), bricht sich an dreissig grossen Eisfeldern entlang Bahn durch das Packeis bis 67° 17′. Hier aber, auf 39° 35′ ö. L., kündigt der Eisblink ein unabsehbares, festes und ebenes Eisfeld an; sein Nordrand ist eine 5 bis 6 Meter hohe Eismauer, an deren Fuss sich ein dicker, kaum von der Dünung bewegter Brei von löcherigem, zermürbtem, auffallend schmutzigem Brucheis entlangzieht. Cook steht hier zum erstenmal vor der Kante eines jener unermesslichen Eisgletscher, die sich vom antarktischen Inland langsam nach Norden vorschieben und Eisberge „kalben“, auf dem Wasser schwimmen, aber irgendwo auf festem Land aufliegen. Er weiss sich diese befremdende Erscheinung noch nicht zu deuten, und da er hier weder im Süden noch im Osten durchkommt (hinter den Eismassen im Osten verbirgt sich das 58 Jahre später entdeckte Enderby-Land), begibt er sich nordostwärts auf die Suche nach Kerguelen-Land, der neuesten Entdeckung der Franzosen, von der er in Kapstadt gerade noch vor seiner Abfahrt gehört hat. Da Näheres über seine Lage usw. nicht bekanntgemacht wurde, findet er die Küste nicht, wo er sie sucht, aber er kreuzt hin und her und fährt schliesslich südlich der vom Entdecker angegebenen Breite nach Südosten durch, also kann es sich auch da nur um eine Inselgruppe handeln, die keinerlei Verbindung mit einem südlichen Kontinent hat.

Am 8. Februar kommt bei dickem Nebel die „Adventure“ ausser Sicht und bleibt, trotz zweitägigen Suchens und Signalisierens mit Leuchtfeuern und Kanonenschüssen verschollen. Cook lässt sich dadurch nicht abschrecken, obgleich die Matrosen verdriessliche und angstvolle Gesichter ziehen, und steuert mit der „Resolution“ weiter nach Südosten. In drei aufeinanderfolgenden Nächten sehen menschliche Augen zum erstenmal das Südlicht, den würdigen Bruder des Nordlichts; am östlichen Himmel schiesst es in breiten, diesmal nur weissen Bändern empor und überzieht mit seiner Pracht den ganzen Südhimmel, den Glanz der Sterne verlöschend. Cook kommt aber jetzt nur bis zum 62. Grad, wo auf dem Meridian des spätern Gaussberges (95° ö. L.) festes Eis ihm den Weg verlegt. Er zieht sich in die Nähe des 60. Breitengrades zurück und segelt auf diesem Strich weiter bis zum 148. Längengrad, ohne irgendwo Land zu sehen. Dann nimmt er Richtung nach Nordosten, auf Neuseeland zu, wo er am 25. März eintrifft und auch das Begleitschiff wiederfindet, das schon am 1. März dort anlangte. Die Segel sind zerrissen, das Tauwerk in Stücken, das Schiff bedarf einer gründlichen Erneuerung, vor allem die Besatzung einer ausgiebigen Erholung, die sie auf Tahiti und andern Inselparadiesen der Südsee vollauf findet.

In 117 Tagen hat er ein Drittel des vorgeschriebenen Kreises umfahren; am 22. November 1773 nimmt er das zweite Drittel in Angriff. Da er Neuseeland selbst schon früher umsegelt hat, sucht er in dessen Süden nicht mehr nach dem antarktischen Kontinent; dadurch verfehlt er das Haupttor in die Festung des Südpols auf dem 180. Grad und überlässt, ohne es ahnen zu können, den Ruhm der Entdeckung des Rossmeeres einem spätern Nachfolger. Er segelt vielmehr — und zwar mit der „Resolution“ allein, denn die „Adventure“ ist im Oktober abermals verlorengegangen und taucht erst am Ende der Reise wieder auf — nach Südosten, trifft hier erst auf 62° Eisberge an, überschreitet am 20. Dezember 1773 den Polarkreis zum zweitenmal, kommt aber nur bis 67° 31′ (auf 142° 54′ w. L.). Da die halbe Mannschaft an Rheumatismus, Vorbote des Skorbuts, erkrankt — Forster ist vier Wochen bettlägerig —, macht er eine Erholungsreise nach Norden, die, wie überhaupt jede eingeschlagene Richtung und jeder Abstecher, bestimmten Erkundungen von Meeresstellen oder Landküsten dient, dann aber, zum höchsten Verdruss der Mannschaft, noch einmal einen Vorstoss nach Süden und dringt, den Polarkreis zum drittenmal schneidend, am 30. Januar 1774 auf 106° 54′ w. L. bis 71° 10′ vor, seine höchste Breite, die fast ein halbes Jahrhundert lang nirgends überholt wird und an dieser Stelle bis heute noch von keinem andern Südpolfahrer erreicht ist. Cook hat wohl selbst die Überzeugung, dass ihm kein zweites Mal ein so tiefes Eindringen in das Geheimnis der Antarktis beschieden sein wird, und schildert die auch ihn überraschende Eislandschaft, die an jenem 30. Januar vor ihm liegt, mit folgenden Worten:

„An diesem Tage bemerkten wir um vier Uhr morgens, dass die über dem südlichen Himmel stehenden Wolken schneeweiss waren und förmlich glänzten. Wir wussten, dass dies das Anzeichen eines Eisfeldes sei, sahen dasselbe auch bald von der Höhe der Masten und waren um acht Uhr an seinem Saum. Es erstreckte sich von Osten nach Westen, so weit unsere Blicke reichten, und die Hälfte des Horizonts war von den Strahlen beleuchtet, die es bis auf eine beträchtliche Höhe ausgehen liess. Ich zählte innerhalb dieser Eisfläche, ausser den Eisbergen an ihrem Rande, noch 97 Eishügel; sie waren zum Teil sehr breit und glichen einer Bergkette, deren Gipfel sich übereinander erheben, bis sie sich in den Wolken verlieren. Der äussere nördliche Rand dieser ungeheuren Fläche bestand aus schwimmenden Eisbruchstücken, die sich so in- und übereinandergeschoben hatten, dass niemand hier hätte eindringen können. Dieser Rand war etwa eine halbe Meile breit, dahinter bildete das feste Eis nur eine einzige zusammenhängende Masse. Die Eishügel ausgenommen, war es niedrig und flach, schien aber nach Süden hin anzusteigen; das Ende war nicht zu erkennen. Noch nie, glaube ich, hat man Berge dieser Art in den Meeren Grönlands gesehen, wenigstens sind sie weder mir noch einem andern, soviel mir bekannt ist, je vorgekommen; man kann also gar keinen Vergleich zwischen den Eisfeldern des Nordens und denen dieser Gegenden ziehen, und diese erstaunlichen Berge geben den sie einschliessenden Eisfeldern ein so bedenkliches Aussehen, dass es eine ganz andere Sache ist, dieses Eismeer zu befahren, als das grönländische. Ich will damit nicht sagen, dass es allenthalben unmöglich sei, weiter vorzudringen; doch würde wohl kein Seemann in meiner Lage diesen gefährlichen Versuch gemacht haben. Ich bin überzeugt, und dieser Meinung pflichtete die Mehrzahl der Offiziere und der Mannschaft bei, dass dieses Eisfeld sich bis zum Südpol erstreckt oder vielleicht bis zu einer Landküste reicht, an der es seit den frühesten Zeiten festsitzt, und dass sich südlich des von mir erreichten Breitengrades das sämtliche Eis bildet, das wir hier und da weiter nördlich fanden; Windstösse oder andere Kräfte reissen es los, und nördliche Strömungen, wie sie überall in diesen Breiten vorherrschen, führen sie milderen Gegenden zu.“

Cook ist von einer wissenschaftlich strengen Vorsicht: was er nicht mit Händen greifen kann, wagt er nicht zu bestimmen; die sonderbaren Berge in der Ferne sehen richtigen Gebirgszügen merkwürdig ähnlich, aber da er auf Landungen an einer Eisküste nicht eingerichtet ist, wird er sich davon mit Sicherheit nie überzeugen können; er begnügt sich also mit dem Vergleich, zum grossen Unterschied von spätern Forschern, die jede grössere Eisbank sofort als eine ncuentdeckte Küste ausposaunen und mit pomphaften Namen plakatieren. Was er sieht, sind höchstwahrscheinlich Ausläufer des Gebirgszugs, der das Rückgrat von Graham-Land bildet, und wäre er etwa 40 Grad östlicher vorgestossen, so hätten seinem Entdeckerblick die Gipfel des noch unbekannten Grahamlandes schon auf 65° s. Br. kaum entgehen können. Aber so nahe bei Kap Hoorn hat er das Meer schon auf seiner ersten Reise bis zum 60. Grad erforscht, und obendrein zwingt ihn Mangel an Lebensmitteln, schleunigst nach Norden zu flüchten. Er selbst erliegt fast den Strapazen, schwebt infolge eines Gallenleidens acht Tage in Lebensgefahr und wird nur dadurch gerettet, dass Forster ihm seinen Hund opfert; das Fleisch des Tieres bringt ihn wieder zu Kräften. Am 10. November bricht er, abermals von Neuseeland aus, nach Kap Hoorn auf, hält sich aber diesseits des 60. Breitengrades und findet auch hier nichts von einem antarktischen Kontinent. Weihnachten ist er an der Küste Feuerlands, und am 6. Januar 1775 verlässt er den Neujahrshafen der Staaten-Insel, um den Kreis um die Antarktis zu vollenden.

Auf den neuesten Karten, die er mit sich führt, steht immer noch südöstlich von Feuerland der Golf von San Sebastians; natürlich findet sich dieses Phantasieprodukt Mercators nicht, aber die Insel San Pedro, die 1675 entdeckt, erst 1756 wieder gesehen und seitdem vergeblich gesucht wurde; von ihrer Nordküste macht er eine genaue Aufnahme und gibt der Insel auf den Rat Försters zu Ehren des regierenden Königs von England den Namen Südgeorgien. Dann steuert er nochmals nach Südosten, um nun auch diesen Teil des Atlantischen Ozeans nach Küsten abzusuchen, und hier gelingt ihm unverhofft die Entdeckung eines neuen Landes, die einzige innerhalb dieser Breiten. Am 31. Januar wird es gesichtet, und das Schiff nähert sich ihm bis auf einen Kilometer. „Der Anblick dieser neuen Küste“, erzählt Cook selbst, „war schauerlich. Die sehr hohen, senkrechten Klippen starrten von schwarzen Höhlen. An ihrem Fuss brandeten tobende Wellen, ihr Haupt verhüllte sich in Wolken, über die ein einziger weisser Gipfel hervorragte. Das südlichste Ende dieses Landes liegt unter 59° 30′ s. B. und 27° 30′ w. L. So weit wir es mit seinen vorliegenden kleineren Inseln kennenlernten, sah es überall gleich öde und furchtbar aus. Ohne die vielen schwarzen Stellen und Höhlen wäre unklar geblieben, ob wir Land oder Eis vor uns hatten. Seeraben, die in den Höhlen nisteten, waren die einzigen Bewohner, selbst die unförmigen Amphibien, die See-Elefanten von Südgeorgien, fehlten.“ Cook nennt seinen Fund Sandwichland nach dem damaligen Chef der englischen Admiralität, den gebirgigen südlichen Teil Süd-Thule und die Nordspitze Frieslandshaupt, weil ein deutscher Matrose an Bord der „Resolution“ namens Friesleben diesen Felsen zuerst gesichtet hatte.

Auf eine nähere Untersuchung dieser Küste verzichtet er, denn die Tage werden kürzer, die Lebensmittel sind schon bedrohlich gering, die Sauerkrautfässer leer, von Würmern zerfressener Zwieback und halbverwestes Pökelfleisch die einzige Nahrung. Er hält Sandwichland für einen Inselarchipel, womit er Recht hat, aber selbst, wenn es der einzige, den 60. Breitengrad überschreitende Ausläufer eines polaren Festlandes wäre, sähe er sich nicht weiter danach um. Er ist ausgezogen, um festzustellen, ob in den ungeheuren Meeren der südlichen Halbkugel ein grosses, bewohn- und kolonisierbares Festland verborgen ruht, und es für England in Besitz zu nehmen. Eis- und Schneegebirge, schauderhafte Klippenküsten wie dieses Sandwichland, an dem man Fels, Erde und Eis kaum voneinander unterscheiden kann, lohnen keine weitere Mühe. Er ist durchaus überzeugt, dass der Südpol einen Landkern hat, von dem sich die Eismassen ablösen, die den Ozean im Süden überall unsicher machen, und aus der Erfahrung, dass sie sich im Atlantischen und Indischen Ozean viel weiter nördlich herumtreiben als anderswo, zieht er den zutreffenden Schluss, dass sich nach diesen beiden Seiten hin beträchtliche Stücke des Polarlandes entsprechend weiter nach Norden vorschieben, Sandwichland also wohl ein Ausläufer davon sein könnte. „Aber“, so erklärt er, „es wäre verrückt gewesen, alles, was wir auf der Reise erzielt hatten, aufs Spiel zu setzen, nur um eine Küste zu entdecken und zu erforschen, die, einmal entdeckt und erforscht, zu nichts dient und deren Kenntnis weder der Schiffahrt noch der Geographie noch sonst einer Wissenschaft förderlich sein kann.“

Um aber den vorgeschriebenen Kreis gewissenhaft zu schliessen, fährt er von Sandwichland ostwärts bis zu dem Punkt, wo er, zu Beginn der Reise von Norden kommend, nach Osten abwich, er segelt dabei über die Stelle hinweg, wo Kap Bouvet liegen soll, und ankert am 22. März 1775 wieder in der Tafelbucht bei Kapstadt, von wo er ausgegangen. Trotz der übermenschlichen Strapazen und Entbehrungen während der fast dreijährigen Reise hat er nur einen Matrosen durch Krankheit verloren, ein Erfolg des Sauerkrauts und der Bierwürze, der den Seefahrern jener Zeit als das grösste aller Wunder erscheint.

Cooks Weltreise um die Antarktis ist mit der Tat des Kolumbus verglichen worden und steht ihr an Kühnheit und Verdienst wenig nach, obgleich sie, in ihrem antarktischen Teil, keine neue Welt hervorzaubert, sondern im Sinne jenes Zeitalters der „Aufklärung“ die Phantasie entthront und die nüchterne Wirklichkeit an ihre Stelle setzt. Die Lieblingsvorstellung der alten Kosmographen, das märchenhafte Südland, hat jetzt abgewirtschaftet, der angebliche Riesenkontinent, der im Stillen Ozean fast den Äquator berühren sollte, schrumpft zu einem gottverlassenen Eisland zusammen, das durch den 60. Breitengrad begrenzt ist, sich aber an mehreren Punkten bis hinter den Polarkreis zurückzieht. Das Bild der südlichen Halbkugel der Erde ist damit in der Tat aufgeklärt, es zeigt unvergleichlich mehr Wasser als Land, und die mathematischen Mümmelgreise müssen nun sehen, wie sie das notwendige Gleichgewicht des Erdballs wieder in Ordnung rechnen.

Land am Südpol!

James Cook hat auf seiner Weltreise um die Antarktis Südgeorgien, das Paradies der See-Elefanten und Pelzrobben, für England in Besitz genommen, obgleich kein Zweifel besteht, dass ein Spanier Antonio de la Roché mit zwei Kauffahrteischiffen, die aus Hamburg stammten, aber nicht unter dessen Flagge fuhren, diese Insel 1675 entdeckte und ein spanisches Handelsschiff „Leon“ sie 1756 wiederfand. Was soll Cooks reiches Vaterland, dem die sonnige Südsee so viel Herrlichkeiten beschert, mit einer Insel, die mehr einem jener Eisbergriesen aus dem Innern der Antarktis ähnelt als einem Festland? Niemand kann ja geringschätziger darüber urteilen als Cook selbst! „Südgeorgien“, erklärt er, „widerlegt die landläufige Meinung, dass jeder Teil der Erde, der wildeste und kälteste nicht ausgenommen, Menschen zum Aufenthalt dienen könne. Schon der Sommer ist hier sehr kalt, der Winter aber würde ein menschliches Wesen unfehlbar töten. Den Handel kann nichts verlocken, sich bis zu diesen Breiten vorzuwagen. Der blaugraue Schiefer von Südgeorgien enthält keine Metalle, und See-Elefanten und See-Löwen, deren Tran einen Handelsartikel bildet, findet man an den südlichen Küsten Amerikas viel häufiger. Sollte der Walfischfang am Nordpol dereinst abnehmen, dann brauchte man auch diese Tiere nicht bei Südgeorgien zu suchen.“ Wie sehr überschätzt Cook den Reichtum der Welt! Auffallender noch: wie sehr unterschätzt dieser grosse Entdecker die Tatkraft und Zähigkeit der menschlichen Rasse und ihrer Haupttriebfedern Habsucht und Not! Und wie drastisch hat ihn die Geschichte widerlegt! Sofort nach Bekanntwerden des Cookschen Berichtes werden in England und Amerika Jagdschiffe ausgerüstet, um See-Elefanten und Pelzrobben zu jagen. Die Ausbeuter wirtschaften so gründlich, dass um 1820 die Küsten Südgeorgiens schon als verödet gelten. Die Pelzrobben kommen nicht mehr recht auf, nur die See-Elefanten erholen sich. Später wird Südgeorgien ein Mittelpunkt des Walfanges, den der um die Südpolforschung verdiente Kapitän Carl Anton Larsen organisiert. Auf den Tussokgraswiesen einiger seiner Täler äsen Renntiere, die Larsen 1908 aus seiner norwegischen Heimat mit Erfolg dort eingeführt hat. 1919 zählt Südgeorgien schon 1000 Einwohner, und heute ist die Fangschifferstation Grytviken an der Kochtopfbucht eine kleine Stadt mit behaglichen Klubräumen und einem Kino in der Kirche, die derselbe Larsen hat erbauen lassen. Die Kälte tötet die Menschen nicht mehr, wie Cook seine Zeitgenossen glauben machen möchte. Oder will er mit seiner Warnung nur dem zu befürchtenden Schicksal der Insel vorbeugen oder wenigstens fremde Nationen abschrecken, solange England selbst mit Amerika, Australien und der Südsee kolonial überbeschäftigt ist?

Auch seine eindringliche Warnung vor dem Polarlande, an dessen Existenz er doch glaubt, klingt ein wenig verdächtig! Er schildert es in den schwärzesten Farben: „Man muss den dichten Nebeln, den Schneestürmen, der durchdringenden Kälte und all den Gefahren trotzen, die nur irgend die Schiffahrt bedrohen können. Die Küsten, deren Aussehen weit schrecklicher ist, als sich jemand vorstellen kann, erhöhen diese Gefahren noch. Dieses Land ist von der Natur dazu verdammt, nie die Wärme eines Sonnenstrahls zu fühlen und für ewig unter Schnee und Eis verborgen zu bleiben. Die Häfen, die man da finden mag, sind sämtlich mit Eis von bedeutender Dicke angefüllt, und sollte einer so weit offen sein, um ein Schiff hereinzulassen, so würde es dort für ewig festgehalten werden oder nur in eine Eisinsel eingefroren wieder herauskommen. So sind schon die Länder, die wir entdeckt haben (Südgeorgien und Sandwichland); wie mögen dann wohl erst jene sein, die noch weiter gegen Süden liegen? Man muss ja vernünftigerweise annehmen, dass wir noch die besten, weil nördlichsten, gesehen haben. Sollte aber jemand den festen Willen und die Ausdauer haben, diesen Punkt durch ein weiteres Vordringen aufzuklären, so werde ich ihn um den Ruhm dieser Entdeckung nicht beneiden, aber ich bin so kühn, zu erklären, dass die Welt keinen Nutzen davon haben wird.“ Und dann entschlüpft ihm das viel zitierte, stolze Wort: „Die Gefahr eines weiteren Vordringens an dieser Küste ist so gross, dass ich dreist behaupte: kein Mensch wird sich jemals weiter vorwagen, als ich es tat, und die Länder um den Südpol werden für immer unentdeckt und unerforscht bleiben!“

Cook hat durch seine Umseglung der Antarktis gleichsam eine Schlinge um dieses Land gelegt — will er die übrige Welt veranlassen, diesen Zauberkreis zu respektieren und England hier nie in die Quere zu kommen, bis es selbst Zeit gewinnt, an die Aufhellung dieses Teils der Erdoberfläche zu gehen? Der Erfolg seiner abschreckenden Warnung ist jedenfalls unbestreitbar. Die Wal- und Robbenjäger halten sich an die Inseln, die ausserhalb des südlichen Polarkreises schon bekannt sind oder auf ihren Beutezügen neu gefunden werden. Eine Entdeckungsexpedition aber lässt sich länger als vier Jahrzehnte nicht mehr jenseits des 60. Breitengrades sehen. Erst 1819 kommt der Zar Alexander I. von Russland auf den Gedanken, die vielen Unternehmungen, durch die er dem russischen Handel Weltgeltung zu verschaffen weiss, durch zwei wissenschaftliche Expeditionen zu krönen: die eine soll das nördliche, die andere das südliche Polarmeer aufsuchen. Am 25. März 1819 befiehlt er die Ausrüstung der nötigen Schiffe und ernennt zwei Monate später zum Führer der Südexpedition den Kapitän Fabian Gottlieb von Bellingshausen, der schon die erste russische Weltumseglung unter Krusenstern 1803—1806 mitgemacht hat. Als dieser vom Schwarzen Meer, wo er eine Korvette befehligt, in Kronstadt eintrifft, warten auf ihn im dortigen Hafen zwei bereits völlig segelfertige Schiffe: „Wostok“ (der Osten), eine mit 20 Kanonen bestückte Korvette von 70 Meter Länge mit 117, und das 530 Tonnen fassende Transportschiff „Mirny“ (der Friedfertige) mit 72 Mann Besatzung. An Bord des „Wostok“ sind der Astronom Iwan Simanow und der Maler Pawel Michailow; zwei deutschen Naturforschern, Mertens in Halle und Gustav Kunze in Leipzig, die mitreisen sollen, lässt man nicht Zeit, sich angemessen auszurüsten, sie lehnen daher ab; Ersatz ist in der Eile nicht zu beschaffen, also muss es ohne Naturforscher gehen. Befehlshaber des „Mirny“ ist Leutnant Michail Lazarew, der ebenfalls schon einmal die Welt umsegelte auf einem Schiff der russisch-amerikanischen Handelskompagnie; vorher war er vier Jahre in englischen Diensten.

Die beiden aus Kiefernholz gebauten Fahrzeuge sehen nicht gerade wie Eisbrecher aus, werden an ihren Unterwasserteilen noch schnell mit Kupferplatten verstärkt und lichten am 16. Juli die Anker, zunächst nach England, wo Bellingshausen die neusten Instrumente und Karten einkauft. Am 4. Dezember segeln sie von Rio de Janeiro nach Südgeorgien, das am 27. in Sicht kommt. Bellingshausen nimmt die von Cook nicht befahrene Südküste der Insel sorgfältig auf und findet vor ihrer Mitte ein kleines, hohes Felseneiland, das er nach dem Leutnant des „Mirny“ Annenkovinsel nennt. Auf der Weiterfahrt nach Osten entdeckt er drei andere kleine Inseln, die er dem russischen Marineminister zu Ehren Traversey-Inseln tauft; die eine von ihnen ist vulkanisch, dicke Schwefeldämpfe stossen aus dem Kraterberg empor; am 4. Januar 1820 landet ein Boot ohne Schwierigkeit an ihrem ganz schneefreien Strand; seine Bewohner, Unmassen Pinguine, sehen zum erstenmal Menschen und sind nur mit Stossen und Schlagen aus dem Weg zu bringen. Am 8. Januar erreicht Bellingshausen Cooks Sandwichland, das er mit grosser Genauigkeit kartographiert; es ist kein Festlandzipfel, sondern ein Archipel von neun Inseln.

Von da steuert Bellingshausen, rings von Treibeis und Eisbergen umgeben, nach Osten. Seine Aufgabe ist eine Umsegelung der Antarktis nach Cooks Vorbild. Das Experiment ist einmal gelungen, seine Wiederholung verliert daher den Reiz unerhörter Neuheit und Kühnheit. Der Nachfolger weiss schon, was er zu erwarten hat; er knüpft an die Ergebnisse des Vorgängers an; sein Ehrgeiz aber muss sein, sie zu verbessern. Bellingshausen soll die Meeresstriche untersuchen, wo noch niemand vor ihm war — niemand? In diesen Breiten ist das kein anderer als Cook, der mehrmals grosse Bogen nach Norden gemacht hat. Bellingshausen sucht daher möglichst überall südlicher durchzukommen als sein Vorgänger, und die Eisverhältnisse erlauben ihm das. Hat Cook nur 115 Längengrade innerhalb des 60. Breitengrads durchsegelt — der Russe übertrumpft ihn mit 243; 46 davon legt er sogar innerhalb des Polarkreises (66° 30′) zurück, was Cook nur bei 18 gelang. Bellingshausen dringt nicht nur drei-, sondern sechsmal über den Polarkreis vor und kommt gleich in den ersten Wochen seiner Fahrt am 2. Februar 1820 bis 69° 25′ und am 17. und 18. bis 69° 6′, beim drittenmal aber, am 26. Februar, nur bis 66° 53′ auf 40° 55′ ö. L., fast demselben Meridian, auf dem Cook am 17. Januar 1773 vor einer hohen Eismauer auf 67° 17′ s. Br. umkehren musste. Dadurch, dass Bellingshausen sich südlicher halten kann, kürzt er seinen Weg ab; den Gürtel, den Cook um die Antarktis legte, zieht er straffer an, damit schrumpft das schon so bescheiden gewordene, immer noch unsichtbare Südland abermals zusammen. Der russische Forscher übersommert nur einmal in Australien und der Südsee (vom 11. April bis 12. November 1820) und ist pünktlich in zwei Jahren wieder in Kronstadt, obgleich der „Mirny“ durch seinen grossen Tiefgang ein schlechter Segler ist. Seine höchste südliche Breite erreicht Bellingshausen im zweiten Abschnitt seiner Fahrt, am 22. Januar 1821 auf 92° 19′ w. L., wo er bis 69° 53′ vordringt; 14 Grad westlich davon betrachtete Cook am 30. Januar 1774 auf 71° 10′ s. Br. so nachdenklich die gebirgsartig aufsteigende Eislandschaft. So hohe Breite gewinnt Bellingshausen nirgends, dafür aber entdeckt er die ersten unzweifelhaften Landküsten innerhalb des Polarkreises, und dieser Erfolg sichert seiner Expedition ihre bleibende Bedeutung, mehr als die 27 Inseln, die er auf seiner 87 000 Kilometer langen Weltreise ausserhalb der antarktischen Zone fand; das mächtige Zarenreich legt auf so winzige und ferne Kolonien keinen Wert. Als er von seinem südlichsten Punkt, dem Treibeis ausweichend, nach Nordwesten segelt, zeigt sich am Horizont ein kleiner, schwarzer Fleck, und als die Sonne aus den Wolken tritt, steht da eine hohe Felseninsel, mit Ausnahme einiger schroffen Abhänge ganz mit Schnee bedeckt, aber von so undurchdringlichem Eis umgeben, dass die Schiffe nur bis auf 20 Kilometer herankönnen. Sie erhält den Namen Peters I., des Begründers der russischen Marine, und da Bellingshausen mehr Land in der Nähe vermutet, segelt er auf dem Breitengrad dieser Insel (68° 57′) noch ein Stück nach Osten. Seine Hoffnung geht über Erwarten in Erfüllung. Am Morgen des 29. Januar wird ein hohes Kap gesichtet, dessen gebirgiges Ufer sich nach Südwesten ausdehnt; hier und da brechen Felsen durch, im übrigen ist es ganz mit Schnee bedeckt. Ungeheure Eismassen verhindern auch hier jede Annäherung, und ob es Insel oder Festland ist, bleibt ungeklärt, da aber schneefreie Felsspitzen noch weit im Hintergrund erkennbar sind — es ist der hellste und schönste Tag, den die Expedition in südlichen Breiten erlebt —, gilt Alexanderland, wie sein Entdecker es benennt, fast ein Jahrhundert lang als der zuerst gesehene Ausläufer eines antarktischen Festlandes, dessen Existenz damit erwiesen ist. Seine weitere Erforschung wird nun das grosse Ziel der Südpolfahrer.

Bellingshausens Reise endet mit einer Überraschung. Er hat im Port Jackson (Sydney) erfahren, dass ein englischer Kapitän namens Smith im Jahre 1819 zwischen dem 62. und 63. Grad s. B. und nur 10 Längengrade von Alexanderland entfernt eine Kette unbekannter Inseln gefunden hat. Die will er sich etwas näher ansehen; sie könnten mit dem eben entdeckten Festland zusammenhängen; jedenfalls lässt ihre kartographische Bearbeitung noch einiges zu wünschen übrig; sein Weg führt ihn sowieso da vorbei, denn er will seine Fahrt bei Südgeorgien, wo er sie begonnen hat, abschliessen; das Flaggschiff „Wostok“ ist in einem so baufälligen Zustand, dass er froh sein kann, wenn er damit glücklich nach Hause kommt. Am 5. Februar sichtet er im Nordosten eine Gruppe von Inseln. Sind es die kürzlich von Kapitän Smith entdeckten oder andere, noch ganz unbekannte? Er fährt auf sie zu, in der Absicht, sie zu kartieren, da verschwindet das ganze Bild hinter einem plötzlich niederfallenden Nebel. Als nach einer Weile der Nebelvorhang ebenso plötzlich zerreisst, liegt ganz nahe bei den Russenschiffen ein fremdes Fahrzeug, so schmuck und sauber, als hätte es eben erst den Heimathafen verlassen! An seinem Mast geht sogleich die Flagge hoch, der Union-Jack; Bellingshausen antwortet mit der russischen Flagge und schickt ein Boot hinüber, den Kapitän des amerikanischen Einmasters um einen Besuch an Bord des „Wostok“ zu bitten. Kapitän Palmer, so heisst der Fremde, folgt der Einladung, und Bellingshausen erfährt zu seiner nicht eben freudigen Überraschung: das hier sind wirklich die Süd-Shetland-Inseln, aber an jeder dieser Inseln wimmelt es schon von Fangschiffen, gleich im nächsten Hafen, an der Deceptionsinsel, liegen ihrer acht aus England und Amerika, ihre Beute ist ungeheuer, einige haben schon eine Ladung von 60 000 Fellen. Palmer selbst kommt soeben mit seiner Schaluppe „Hero“ von einer Erkundungsfahrt geradeaus nach Süden zurück, er hat da unten ein neues gebirgiges, ganz mit Eis und Schnee bedecktes Land gesehen, zweifellos ein Stück des antarktischen Kontinents; vom Ankerplatz an der Deceptionsinsel aus könne Bellingshausen die Berglinien dieses Festlands mit blossen Augen erkennen; diese Küste sei übrigens noch viel unwirtlicher als die Inseln hier herum, eine Landung an ihrer hohen Eismauer sei selbst im Sommer unmöglich; Seeleoparden gebe es dort in Menge, aber leider keine Pelzrobben. Bellingshausen ist, ohne von dieser schnellen Entwicklung innerhalb des letzten Jahres etwas ahnen zu können, mitten in die neuesten Jagdgründe der internationalen Robbenschlächter hineingeraten.

Wal- und Robbenfänger entdecken

Kapitän Nathanael Palmer steht dem russischen Kommandanten mit grösster Bereitwilligkeit Rede und Antwort, er spielt mit Behagen den Fremdenführer, der diese ganze Gegend hier wie seine Westentasche kennt. Er hat ja auf dem „Wostok“ keine Konkurrenz vor sich, nur eine harmlose wissenschaftliche Expedition. Untereinander sind die Robbenfänger nicht immer so redselig. Wer einen reichen Fangplatz gefunden hat, schweigt sich darüber aus und macht erst reinen Tisch, bis die letzte Robbe vertilgt ist; für die Späterkommenden soll keine Flosse übrigbleiben; Schonung gibt es nicht, alles muss ans Messer, alt und jung, trächtige Weibchen und Mütter, deren eben geborene Junge umkommen mögen. Auf unbekannten Inseln gibt es keine Jagdgesetze — Eigennutz geht vor Gemeinnutz. Die amerikanische Konkurrenz treibt sich hier im Süden von Kap Hoorn schon lange herum. Manch einer will die Süd-Shetland-Inseln längst besucht haben, ehe sie von den Engländern entdeckt werden; seit 1812 soll dort schon eine amerikanische Fangstation gewesen sein. Die Sage von der Fahrt des Holländers Dirk Gerritsz bis zum 64. Breitengrad und von dem dort gesehenen Land ist immer noch lebendig; wer keine rechte Beute machte, sah sich gern einmal weiter im Süden um, hütete sich aber wohl, jede neue Robbenküste an die grosse Glocke zu hängen. Mit dieser geschäftlichen Geheimniskrämerei ist es 1819 aus.

Der englische Handelskapitän William Smith fährt mit seiner Brigg „William“ im Februar 1819 von Montevideo an der Mündung des La Plata-Stroms nach Valparaiso an der Westküste Südamerikas. Um den Stürmen bei Kap Hoorn auszuweichen, macht er einen grossen Bogen nach Süden, kommt bis 62° 40′ s. V. und sieht dort ein schneebedecktes Land. Eine Luftspiegelung, glaubt er anfangs; da klares und ruhiges Wetter ist, fährt er ein Stück darauf zu und findet eine Gruppe von Felseninseln, wo es von Walen und Robben zu wimmeln scheint. Zu näherer Untersuchung hat er keine Zeit, erzählt aber davon in Valparaiso. Seine Landsleute dort lachen ihn aus; seit Dirk Gerritsz’ Zeiten will jeder da unten schneebedeckte Berge gesehen haben — das kennt man schon! Auf der Rückreise macht Smith wieder einen Vorstoss nach Süden, aber die Winterstürme treiben ihn zurück. Seine amerikanischen Handelsfreunde in Montevideo sind hellhöriger; sie lauern auf jede Gelegenheit, den Engländern Fangplätze wegzuschnappen. Ob Kapitän Smith seine Brigg wohl zu einer Waljagd vermieten wolle? — Warum nicht, wenn man über den Preis einig wird? — Daran wird es nicht scheitern, und schnell ist ein Vertrag aufgesetzt. Aber nun wollen die smarten Amerikaner durchaus wissen, wo denn die von ihm gesehenen Inseln liegen. Also dahin soll die Fahrt gehen! Man möchte ihm und England diese Entdeckung vorwegnehmen. Smith lehnt die Unterschrift des Vertrags ab. — Im Oktober reist er wieder nach Valparaiso. Das Land auf dem 62. Breitengrad ist immer noch da. Er fährt nun eine grosse Strecke der Küste ab, findet an der nordöstlichen Ecke der George-Insel, wie sie später heisst, einen Hafen und schickt den Steuermann nebst einigen Matrosen aus, dieses Land im Namen des englischen Königs in Besitz zu nehmen. Es ist das weitaus südlichste Land, das bisher entdeckt wurde, denn die russische Expedition unter Bellingshausen ist ja erst auf Fahrt gegangen. Smith nennt es Neu-Süd-Britannien, nachher aber, um Verwechslungen zu vermeiden, Süd-Shetland-Inseln. Jetzt lachen die Engländer in Valparaiso nicht mehr über seine Entdeckung. Kapitän Sheriff, Befehlshaber des englischen Wachschiffes „Andromache“ an der Westküste Südamerikas und Repräsentant des Königs, will schleunigst genaue Aufklärung haben, und als Smith am 19. Dezember wieder abfährt, ist an Bord des „William“ der englische Marineoffizier Edward Bransfield, der nun während der Sommermonate die ganze lange Inselkette zwischen dem 63. und 53. Längengrad aufnimmt und jeder Insel ihren englischen Namen gibt. Die westlichste heisst zu Ehren des Entdeckers Smith-Insel. Den gewaltigen Meeressund im Süden der Kette, die Bransfieldstrasse, befahren Smith und sein Begleiter bis 63° 20′ auf 59° 38′, bis südlich der kleinen vulkanischen Bridgeman-Insel, und sehen von dort aus im Südwesten eine Landküste, jedenfalls dieselbe, an die sich ein Jahr später Kapitän Palmer heranwagt, ausserdem im Südosten die Spitze eines hohen Berges, ohne ahnen zu können, dass sie damit den ersten festen Punkt des später entdeckten und als Teil des antarktischen Kontinents geltenden Graham-Landes vor Augen haben. Weiter südlich lassen die Eismassen das Schiff nicht durch. Nach fünf Monaten ist es wieder in Valparaiso, und seine erfolgreiche Entdeckungsreise macht gewaltiges Aufsehen. An Umfang und Wert kann sich keiner der bisherigen Landfunde rings um die Antarktis mit den Süd-Shetland-Inseln messen. Südlich Neuseelands sind durch Entdeckung der Aucklandinseln (1806) und der Campbellinsel (1810), südlich von Australien durch Auffindung der Macquarie-Insel (1810) längst wichtige Stützpunkte für den Wal- und Robbenfang gewonnen, Meilensteine gleichsam zum Pol; jetzt beginnt sich auch das Meer südlich von Kap Hoorn mit Landfetzen zu füllen, die aber bedeutend grösser und zahlreicher sind. Immer neue tauchen auf. Im Polarsommer 1821/22 ist Kapitän Palmer wieder da unten, diesmal mit Schaluppe „James Monroe“; bei der Elefant-Insel trifft er den englischen Robbenfänger Powell mit den Schiffen „Eliza“ und „Dove“; am 4. Dezember 1821 fahren sie gemeinsam nach Osten, um dort neue Fangplätze auszukundschaften, sichten am 6. die Süd-Orkney-Inseln, umfahren sie und segeln durch die sie trennenden Meeresstrassen. Der Versuch, nach Süden vorzudringen, misslingt; auf 62° 20′ s. B. stossen sie auf festes Eis, das sie zwingt, an seinem Rand nach den Süd-Shetland-Inseln zurückzukehren. Diese ganze Kette von der Smith-Insel im Westen bis zu Cooks Sandwichland im Osten, das nach Bellingshausens Feststellung ebenfalls ein Archipel ist, bildet keine Brücke zum Pol, legt sich vielmehr wie eine Reihe eisstarrender, abschreckender Festungswerke vor ein Land weiter im Süden, das durch ein undurchdringliches Bollwerk von Eisfeldern und Eismauern jede Annäherung abweist. Schon mit diesen Inseln ist nicht zu spassen; in den Sommern 1820 bis 1822 scheitern dort sieben Schiffe, und die Besatzung eines dieser Wracks ist als erste dazu verurteilt, auf einer der Shetland-Inseln zu überwintern; doch ist Näheres über dieses Abenteuer nicht bekannt. Die Küsten im Süden halten die einen für ein Festland — so erscheint es schon 1820 auf einer deutschen Karte in den „Geographischen Ephemeriden“ des Weimarer Verlegers Bertuch —, andere für einen neuen Inselarchipel, und wieder andere für eine Ansammlung von Eisbergen, deren Anblick Land vortäuscht.