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Germania, 15 n. Christus. Es ist noch nicht lange her, dass Tausende Germanen unter den Schwertern Roms starben und einer der geraubten Legionsadler zurückgeholt werden konnte. Und doch ist Lucius Tullus mit diesen Erfolgen nicht zufrieden. Zwei Dinge muss der Centurio noch erledigen, ehe er nach Rom zurückkehrt. Erstens: auch den Adler seiner alten Legion wiederfinden. Zweitens: den Verräter Arminius töten. Aber Arminius ist ein zäher Gegner, und es gelingt ihm erneut, die germanischen Stämme für seine Sache zu begeistern. Mit einem riesigen Heer macht er sich auf, Tullus und jeden anderen Römer in Germania zu vernichten, ein für alle Mal ...
Ein temporeicher historischer Abenteuerroman für alle Fans von Simon Scarrow.
"Packend, brutal, brillant." Giles Kristian
Die spektakuläre Trilogie des SPIEGEL-Bestsellerautors Ben Kane um die Varusschlacht im Teutoburger Wald:
Teil 1 - Kampf der Adler
Teil 2 - Rache der Adler
Teil 3 - Sturm der Adler
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.
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Cover
Weitere Titel des Autors
Über dieses Buch
Über den Autor
Titel
Impressum
Widmung
Karte
DRAMATIS PERSONAE
PROLOG
TEIL I
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
TEIL II
14. KAPITEL
15. KAPITEL
16. KAPITEL
17. KAPITEL
18. KAPITEL
19. KAPITEL
20. KAPITEL
21. KAPITEL
22. KAPITEL
23. KAPITEL
24. KAPITEL
25. KAPITEL
26. KAPITEL
27. KAPITEL
28. KAPITEL
29. KAPITEL
30. KAPITEL
31. KAPITEL
TEIL III
32. KAPITEL
33. KAPITEL
34. KAPITEL
35. KAPITEL
36. KAPITEL
37. KAPITEL
38. KAPITEL
39. KAPITEL
40. KAPITEL
41. KAPITEL
42. KAPITEL
43. KAPITEL
EPILOG
ANMERKUNGEN DES AUTORS
GLOSSAR
Weitere Titel des Autors
Kampf der Adler
Rache der Adler
Der blutige Weg
Die vergessene Legion
Der silberne Adler
Lionheart – Im Dienste des Löwen
Lionheart – Der Kreuzritter
Das letzte Schwert
Kampf der Imperien
Über dieses Buch
Germania, 15 n. Christus. Es ist noch nicht lange her, dass Tausende Germanen unter den Schwertern Roms starben und einer der geraubten Legionsadler zurückgeholt werden konnte. Und doch ist Lucius Tullus mit diesen Erfolgen nicht zufrieden. Zwei Dinge muss der Centurio noch erledigen, ehe er nach Rom zurückkehrt. Erstens: auch den Adler seiner alten Legion wiederfinden. Zweitens: den Verräter Arminius töten. Aber Arminius ist ein zäher Gegner, und es gelingt ihm erneut, die germanischen Stämme für seine Sache zu begeistern. Mit einem riesigen Heer macht er sich auf, Tullus und jeden anderen Römer in Germania zu vernichten, ein für alle Mal …
eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung.
Über den Autor
Ben Kane wurde in Kenia geboren und wuchs in Irland auf, im Heimatland seiner Eltern. Bevor er sich ganz dem Schreiben widmete, arbeitete er als Tierarzt. Schon als Kind übte die Geschichte Roms eine große Faszination auf ihn aus, weshalb mit der Veröffentlichung seines Debüts »Die Vergessene Legion« ein lang gehegter Traum in Erfüllung ging. Mittlerweile ist Ben Kane Bestsellerautor und lebt mit seiner Familie in North Somerset, England.
Ben Kane
Sturm der Adler
Aus dem Englischen von Dr. Holger Hanowell
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:Copyright © 2017 by Ben KaneFirst published as Eagles in the Storm by Preface. Preface is an imprint of Cornerstone, part of the Penguin Random House group of companies.
Für diese Ausgabe:Copyright © 2019/2022 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Rainer Delfs, ScheeßelKarte auf Seite 6: Markus Weber, Agentur Guter Punkt, MünchenTitelillustration: © Arndt Drechsler, RegensburgUmschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.deeBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-2692-4
be-thrilled.delesejury.de
Für all die irischen Rugbyspieler, früher und heute. Ihr habt alles gegeben – und tut es noch – für die vier stolzen Provinzen, und dafür lieben wir euch. 2016 wird uns als herausragendes Jahr für den irischen Rugbysport in Erinnerung bleiben, dank der Siege über Neuseeland, Australien und Südafrika.Der Ruhm wird jedoch von Trauer getrübt, da Anthony Foley mit zweiundvierzig Jahren vorzeitig aus dem Leben schied. Er spielte für Shannon, Munster und das irische Team. Dieses Buch widme ich auch Anthony, der ein Meister des Spiels war und leider viel zu früh von uns ging.
Es folgt eine Aufstellung der wichtigsten Figuren, wobei die historischen Personen mit einem * gekennzeichnet sind.
RÖMER UND VERBÜNDETE
* Tiberius Claudius Nero, röm. Kaiser (von 14 n. Chr. bis 37 n. Chr.); von Augustus adoptiert, ab 4 n. Chr. Feldzüge u.a. gegen Germanen, Langobarden und Pannonier
* Gaius Iulius Caesar Germanicus; Großneffe des Augustus, Neffe und Adoptivsohn des Tiberius, röm. Feldherr, kämpfte an der Seite des Tiberius während des Pannonischen Aufstands, hatte das Imperium Proconsulare über beide Rheinarmeen inne; starb 19 n. Chr. Verheiratet mit Agrippina (der Älteren); u.a. Vater des Caligula (lat. »Soldatenstiefelchen«)
Lucius Cominius Tullus, Centurio, früher 18. Legion, jetzt 5. Legion
* Marcus Crassus Fenestela, Tullus’ Optio
* Lucius Seius Tubero, römischer Adliger, ehemaliger Militärtribun, inzwischen im Rang eines Legaten, Tullus’ erklärter Widersacher
Marcus Piso, einer von Tullus’ Legionären
Metilius, Soldat des Tullus, Pisos Freund
Calvus, Soldat des Tullus
Dulcius und Rufus, weitere Soldaten des Tullus
Bassius, Primus Pilus der 5. Legion
* Lucius Stertinius, einer von Germanicus’ Heerführern
* Aulus Caecina Severus, Legat des Heeres von Niedergermanien (Germania inferior)
* Gaius Silius, Legat, Kommandant des obergermanischen Heeres
* Lucius Apronius, einer von Germanicus’ Legaten
Potitius, einer von Tullus’ Centurionen
* Lucius Caedicius, Lagerpräfekt in Aliso, Tullus’ Freund
* Flavus, Arminius’ Bruder
* Aemilius, Primus Pilus der Ersten Legion
* Chariovalda, Stammesführer der Bataver, Verbündeter Roms
* Publius Quinctilius Varus, der tote Statthalter von Germania, der 9 n. Chr. in den Hinterhalt des Arminius geriet
* Nero Claudius Drusus, Germanicus’ Vater, Feldherr, der viele Feldzüge auf germanischem Boden befehligte
Gaius, Legionär, der Piso Geld schuldet
Gnaeus Aelius Gallo, ein Soldat, der Gefangener der Marser ist
Arimnestos, ein griechischer Armeearzt
GERMANEN UND SONSTIGE
* Arminius, ein Stammesführer der Cherusker, Drahtzieher des Hinterhalts, in den Varus’ Legionen gerieten. Erklärter Feind Roms
Maelo, Arminius’ Freund und Vertrauter
Degmar, Marser, ehemals Diener von Tullus
* Thusnelda, Arminius’ Frau
* Mallovendus, ein Stammesführer der Marser
Horsa, ein Stammesführer der Angrivarier
* Inguiomerus (Inguiomer, auch Ingomar), mächtiger Anführer der Cherusker, Onkel des Arminius
Gerulf, ein Stammesführer der Usipeter
Osbert, einer von Arminius’ besten Kriegern
Gervas, ein Krieger der Usipeter, der sich mit Arminius verbündet
Tudrus, ein Krieger der Dolgubnier
* Segestes, Thusneldas Vater, Verbündeter Roms, ein Stammesführer der Cherusker
* Segimundus, Sohn des Segestes, Bruder der Thusnelda, Priester im Römerlager »apud aram Ubiorum« (»beim Altar der Ubier«)
Adgandestrius, ein Stammesführer der Chatten
Artio, Mädchen, das von Tullus in »Kampf der Adler« gerettet wurde
Sirona, Gallierin, die sich um Artio kümmert
Macula, ein streunender Hund, den Piso mitnimmt
Scylax, Artios Hund
HERBST 15 N. CHR.
In der Nähe des römischen Legionslagers Vetera,an der Grenze zu Germania Magna
Die Herbstsonne brach durch die Wolkendecke und brachte den Adler der Fünften Legion zum Funkeln. Ein Zeichen der Götter – so hätten viele gesagt. Ob göttliches Zeichen oder nicht, das goldene Leuchten zog die Blicke aller auf den Aquila. Centurio Lucius Cominius Tullus war wie gebannt. Vergessen war der böig auffrischende Westwind. Tullus’ Blick haftete auf der Adlerstandarte. Von dem golden schillernden Vogel, der mit nach hinten gespreizten Schwingen einen blitzesprühenden Donnerkeil in den Fängen hielt, ging eine unsichtbare Macht aus, wahrnehmbar für alle, da der Aquilifer die Standarte hochhielt. Der Aquila versinnbildlichte nicht nur den Stolz und die Ehre der Legion, sondern auch den Kampfeswillen und die Opferbereitschaft der Soldaten – jeder Legionsadler forderte von seinen Betrachtern Respekt und Hingabe ein.
Ich bin dein Diener, dachte Tullus. Ich folge dir, immerdar.
Doch auch diesmal gab ihm der stolze Vogel keine Antwort.
Geduldig wartete Tullus und ließ den Aquila auf sich wirken. Die Antwort kam ungefähr ein Dutzend Herzschläge später, als der Aquilifer seine Position ein wenig veränderte. Erneut blitzte der Adler im Sonnenlicht auf, und diesmal war Tullus von den Strahlen geblendet. Ehrfürchtig blinzelte er und wiederholte das Gelübde, dem Adler bis in den Tod zu dienen. Ehe er den stummen Eid zu Ende gesprochen hatte, verspürte er ein Stechen in der Herzgegend. Tullus’ Treue stand außer Frage, aber bei dem Adler der Fünften Legion handelte es sich nicht um die Standarte, die ihm oft in seinen Träumen erschien. Es gab Nächte, in denen er schweißgebadet aus unruhigem Schlaf hochschreckte und das Hämmern seines eigenen Herzens spürte.
Aus tiefster Seele hing Tullus an dem Adler der Achtzehnten Legion, jener Legion, der er fünfzehn Jahre lang gedient hatte. Vor nunmehr sechs Jahren war die Legio XVIII gemeinsam mit zwei weiteren Armeen in den Hinterhalt des Arminius geraten und vernichtet worden. Arminius zählte zu den einflussreichsten Stammesführern der Cherusker und hatte einst selbst in römischen Diensten gestanden.
Tullus hatte das Blutbad am Saltus Teutoburgiensis zwar überlebt – es war ihm sogar gelungen, eine Handvoll Kameraden seiner Einheit zu retten –, aber die seelischen Narben schmerzten noch immer. Seither sann er auf Rache an Arminius, aber noch ausgeprägter als der Wunsch nach Vergeltung war das Verlangen, den Adler der Achtzehnten wiederzufinden. Bislang hatte man nur eine der drei verschollenen Standarten gefunden. Dieses Ereignis hatte seinem Herzenswunsch neue Nahrung gegeben.
Ein Mann hustete hinter ihm. Tullus kehrte mit seinen Gedanken in die Gegenwart und den Ablauf der Parade zurück. Im Rücken wusste er die Soldaten der Fünften Legion, die wohlgeordnet Kohorte für Kohorte angetreten waren. Die Legionäre der Einundzwanzigsten, Veteras zweiter fest stationierter Legion, hatten ebenfalls Aufstellung bezogen. Die dritte große Einheit bildeten die Auxiliartruppen, eine Mischung aus Plänklern, Fußtruppen und Reitern. Nur die Wachen auf den Wehrgängen, die Patienten im Valetudinarium oder diejenigen, die ihren Pflichten anderweitig nachkamen, brauchten nicht an dieser Parade teilzunehmen.
Alle warteten. Aber der Eifer ist verflogen, dachte Tullus, während er in die ausdruckslosen Mienen der Männer sah. Verübeln konnte man es den Soldaten nicht. Die Kälte hier im Freien ging einem bis in die Knochen. Mäntel waren verboten, denn Germanicus verlangte, dass sich seine Truppen in strahlender Rüstung präsentierten, die Waffen sichtbar für alle. Die Parade wurde abgehalten, um den harten und unerbittlichen Feldzug auf germanischem Boden zu feiern, der vor einem Monat zu Ende gegangen war.
Germanicus, der als Imperator das Imperium proconsulare maius über beide Rheinarmeen innehatte, gedachte nicht nur hochgestellte Offiziere zu ehren, sondern auch einzelne Soldaten, die sich durch Tapferkeit vor dem Feind ausgezeichnet hatten. Tullus hatte nie viel für Zeremonielles übrig gehabt, aber angesichts der hohen Verluste während des Sommers dienten Paraden dieser Größenordnung dazu, die Moral der Truppe zu verbessern.
Erneut fegte ein heftiger Windstoß über die Fläche, sodass Tullus an bloßen Armen und Beinen Gänsehaut bekam. Fehlt nur noch, dass sich die Männer eine schwere Erkältung holen, dachte er und forderte die Soldaten seiner Einheit laut und vernehmlich auf, kräftig auf der Stelle zu treten. Er selbst stampfte mehrmals mit den Füßen auf, ehe er Ausschau nach Germanicus hielt, doch der Imperator war bislang nirgends zu sehen. Daher nutzte Tullus die Gelegenheit, die Kohorte abzuschreiten. Hier und da munterte er die Männer ein wenig auf, neckte den ein oder anderen und vergewisserte sich, dass die anderen fünf Centurionen der Einheit zufrieden waren.
Für die Soldaten, die einst Arminius’ Hinterhalt überlebt hatten, war der Dienst in der Armee nicht leicht gewesen. Man hatte sie kurzerhand auf andere Einheiten verteilt. Tullus selbst hatte unter Tubero gelitten, einem jungen böswilligen Tribun, der es vom ersten Tag an auf Tullus abgesehen hatte. Auf Betreiben dieses Mannes war Tullus degradiert worden und musste eine Weile als rangniedriger Centurio in der Siebten Kohorte der Legio V dienen, seiner neuen Legion. Einst hatte er den Rang eines Pilus Prior in der Zweiten Kohorte der Legio XVIII innegehabt, allerdings befehligte er inzwischen als Princeps Prior die Zweite Centurie der Siebten Kohorte, stand also vom Rang her endlich über den nachgeordneten Centurionen. Somit hatte es fünf Jahre gedauert, bis Germanicus ihn wieder zum Princeps Prior einer Kohorte ernannt hatte.
Nach der schmählichen Niederlage des Varus hatte Tullus es Caedicius zu verdanken – dem ehemaligen Lagerpräfekten von Aliso, mit dem er inzwischen befreundet war –, dass ihm zumindest einige Kameraden aus der alten Einheit erhalten geblieben waren. Dafür war Tullus seinem Freund jeden Tag aufs Neue dankbar. Sein verlässlichster Mann war nach wie vor sein drahtiger, rothaariger Optio Marcus Crassus Fenestela. Auf Piso und Metilius, zwei tapfere, einfallsreiche Legionäre, konnte sich Tullus ebenfalls blind verlassen. Er tauschte sich kurz mit ihnen aus, ehe er weiter an der Reihe entlangschritt.
Die Soldaten der neuen Centurie unterschieden sich kaum von den Soldaten, die Tullus bisher befehligt hatte. Einige von ihnen hatten sich durch Mut und Tapferkeit hervorgetan, viele waren gute Männer, die meisten indes gehörten zum Durchschnitt. Es war unvermeidlich, dass man in der eigenen Einheit immer wieder unzuverlässige Männer hatte: Störenfriede und ewig Missgelaunte. Doch wenn man sie hart genug rannahm, fügten auch sie sich.
Insgesamt jedoch war seine Einheit ganz ausgezeichnet – jeder Centurio wäre stolz auf solche Kämpfer. Im Verlauf der Strafexpedition auf germanischem Boden hatten sie ihre Aufgaben gemeistert und sich alles andere als feige verhalten. Ja, Tullus war stolz auf sie, aber das ließ er nur selten durchblicken. Es hatte sich bewährt, die Jungs nur höchst selten zu loben.
Bucinae ertönten entlang der Wehrgänge, etwa eine Viertelmeile entfernt vom riesigen Paradeplatz. »Kinn hoch, Brust raus, Jungs! Schilde gerade, Pila absetzen!«, rief er. »Germanicus kommt!«
»Hat er auch was für uns dabei, Herr?«, rief einer aus den hinteren Reihen.
»Vielleicht extra Sold?«, fügte ein anderer rasch hinzu. »Oder ein bisschen Wein?«
Centurionen mussten oft hart einschreiten, wenn Soldaten unaufgefordert das Wort ergriffen, aber Tullus gehörte nicht zu den Schindern. Es war kalt, und sie harrten nun schon seit über einer Stunde auf dieser zugigen Fläche aus – kein Wunder also, dass den Männern der Sinn nach Wein stand, der einem den Magen wärmte.
»Mit Sold braucht ihr nicht zu rechnen, Brüder«, antwortete er und hatte seinen Spaß, als er das Aufstöhnen der Männer vernahm. »Diese Centurie, diese ganze Kohorte hat nicht genug Leistungen vorzuweisen, die eine extra Soldzahlung rechtfertigen würden. Wein liegt allerdings nicht außerhalb des Möglichen.«
Hier und da ging ein Grummeln durch die Reihen, doch schließlich grinsten die Männer breit, als Tullus ihnen tatsächlich Wein in Aussicht stellte – auf eigene Kosten.
»Eine kleine Geste meinerseits, Brüder«, sprach er und stellte sich erneut vor die erste Reihe. »Ihr habt euch diesen Sommer tapfer geschlagen.«
Inzwischen galt die Aufmerksamkeit der Männer dem befestigten Weg, der zum Lager führte, da eine Schar Reiter zu sehen war. Unmittelbar hinter den Reitern folgte eine Kohorte Prätorianer, eine Einheit, die zu Germanicus’ persönlicher Leibwache gehörte.
Sowie die ersten Reiter auf zweihundert Schritte herangekommen waren, gab der Lagerpräfekt das vereinbarte Zeichen. Daraufhin erteilten Tullus und die übrigen ranghohen Centurionen den Bläsern der Kohorten den Befehl, zu den Hörnern zu greifen.
Schmetternde Signaltöne zerrissen die herbstliche Luft. Die kurzen, fanfarenartigen Töne ebbten genau in dem Moment ab, als Germanicus die Plattform auf dem Paradegelände erreichte. Wie selbstverständlich bezogen die Prätorianer in straffer Ordnung beiderseits der Plattform Aufstellung.
Beim Anblick des Oberbefehlshabers am Rhenus ging ein Raunen durch die Reihen. Germanicus war eine stattliche Erscheinung, wie Tullus zugeben musste. Ein außergewöhnlich großer, wohlgestalteter Mann, der selbst in einiger Entfernung gebieterisch wirkte. Germanicus’ Brustpanzer leuchtete, als hätten die Götter ihn auf Hochglanz poliert. Eine rote Schärpe kennzeichnete ihn als Feldherrn. Mit dem Imperium proconsulare gebot er über die Tres Galliae und Germania.
Zynische Zeitgenossen bezeichneten Germanicus hinter vorgehaltener Hand als hübschen Adelsspross, der nur zu gern Soldat spielte, doch Germanicus war aus anderem Holz geschnitzt als viele der Emporkömmlinge, die Rom zu bieten hatte. Auf mehreren Feldzügen hatte er bereits seine Führungsqualitäten unter Beweis gestellt. Er besaß militärisches Kalkül und Mut und bestach immer wieder mit seiner außergewöhnlichen Ausstrahlung – seinem Charisma, das für einen guten Führer unerlässlich war. Seine Soldaten begegneten ihm aber nicht nur mit gebührendem Respekt, sondern auch mit einem gehörigen Maß Furcht, denn Germanicus galt als unberechenbar und rücksichtslos.
Bei weniger förmlichen Anlässen hätten die Legionäre ihm vermutlich zugejubelt, aber an diesem Tag herrschte ehrfürchtiges Schweigen, als der Feldherr die letzten Stufen zur Plattform hinter sich ließ und dort von seinen Stabsoffizieren in Empfang genommen wurde.
Tullus musste lächeln, als der Lagerpräfekt Germanicus einen Platz anbot, der Feldherr jedoch dankend ablehnte. Er wird zu seinen Truppen sprechen, dachte Tullus mit wachsendem Stolz. Kein Führer, der etwas auf sich hielt, saß dafür auf seinem Arsch …
»Ihr tapferen Legionäre der Legio V und Legio XXI. Ihr mutigen Streiter unserer Auxiliareinheiten!«, rief Germanicus, und der Wind trug seine Stimme weit über die Ebene. »Ihr treuen Soldaten des Reichs, ich grüße euch!«
»GER-MA-NI-CUS!«, brüllten bis zu zwölftausend Stimmen, unter ihnen auch Tullus. »GER-MA-NI-CUS!«
»Im Frühjahr überquerten wir den Rhenus, wir und Tausende aus anderen Legionen«, verkündete Germanicus. »Bis zu vierzigtausend Soldaten des Reichs, mit klar gestecktem Ziel. Wir marschierten tief ins Feindesland, um unsere Toten zu rächen, den Statthalter Varus und seine Legionen, die von Arminius und dessen verräterischen Helfershelfern auf grausame Weise ermordet wurden. Wir machten uns auf den Weg, um die Stämme niederzuwerfen, die sich nach wie vor Roms Herrschaft widersetzen, und um Arminius zu töten. Unser Vorstoß diente dazu, die drei Adler wiederzufinden, die der Feind uns einst raubte.«
Mit gebieterischer Geste unterband Germanicus den aufbrandenden Jubel der Einheiten.
»Bis zu einem gewissen Grad ist uns das gelungen. Mehrere Stämme wurden vernichtet – die Marser, die Chatten, auch die Brukterer. Die Auffindung des Aquila der Neunzehnten Legion gibt Anlass zu großen Feierlichkeiten.«
Ungezügelter Jubel hob an. Germanicus verstand es, vor den Massen zu reden, und gewährte den Männern einen Augenblick der Freude.
Doch in Tullus regte sich die alte Verbitterung, denn alle Ziele hatten sie nicht erreicht. Er wusste, dass er erst dann Ruhe finden würde, wenn auch der Adler der Achtzehnten Legion heimwärts fliegen würde. Genugtuung würde er erst dann verspüren, wenn Arminius tot war – jener Stammesführer, der für den Verlust der Adlerstandarte und den Tod von Tullus’ Männern verantwortlich war.
Blut für Blut, dachte er und malte sich im Geiste aus, Arminius die Klinge an den Hals zu halten. Der Verräter – einst war er ein Verbündeter Roms – musste bezahlen für das, was er angerichtet hatte.
»Fortuna gewährte uns die sichere Rückkehr unserer Soldaten, aber trotz unserer Erfolge haben wir nicht alles zum Abschluss bringen können!«, rief Germanicus, als der Jubel nachgelassen hatte. »Ein weiterer Feldzug erwartet uns im kommenden Frühjahr. Erneut werde ich euch über den Fluss führen, zu weiteren Siegen. Gemeinsam werden wir Arminius und seine Gefolgsleute überwältigen und erschlagen und die beiden anderen Adler finden. Rom wird siegreich aus diesem Feldzug hervorgehen!« Mit diesen Worten reckte er die Faust gen Himmel.
»RO-MA! VIC-TRIX!«, brüllten sie zu Hunderten innerhalb der Reihen der Fünften Legion.
Der Ausruf wurde begeistert aufgegriffen und hallte im Wind weithin über das Übungsgelände, einem Schlachtruf gleich, mit dem die Soldaten sogar die Götter herauszufordern schienen. »RO-MA! VIC-TRIX! RO-MA! VIC-TRIX!«
Germanicus verfolgte dies mit zufriedener Miene. Wie klug von ihm, dachte Tullus. Er wusste die richtigen Worte zu wählen. Die Männer waren ihm jetzt schon ergeben, aber ihre Ergebenheit würde sich ins Unermessliche steigern, sobald er ihnen Belohnungen für ihre Tapferkeit versprach und freigiebig Wein ausschenkte. Von da an würde ihm alles gelingen – in den Augen der Männer konnte er nichts mehr falsch machen.
Zuerst wurden die Stabsoffiziere geehrt. Caecina, der Legat des Heeres von Germania inferior, dem es im Sommer gelungen war, vier Legionen aus einem furchtbaren Hinterhalt zurück nach Hause zu führen, erhielt in feierlicher Zeremonie die Insignien eines siegreichen Feldherrn. Caecina strahlte über das ganze Gesicht, als Germanicus ihn mit dem goldenen Lorbeerzweig und dem elfenbeinernen Zepter ehrte. Eigens dafür abbestellte Magistrate kleideten den Triumphator in die bestickte Tunika und die purpurne Toga.
Lucius Apronius, ein weiterer Legat in Germania, der den Schutz über Brücken und Straßen links des Rhenus beaufsichtigt hatte, wurde in ähnlicher Weise geehrt. Zu Tullus’ Verdruss erhielt Tubero – inzwischen Legat der Legio V – die Corona aurea.
Obwohl die einfachen Soldaten den Stabsoffizieren zugejubelt hatten, brandete der Jubel noch lauter auf, als die nächste Gruppe für ihre besonderen Verdienste mit Auszeichnungen überhäuft wurde: die Centurionen und rangniederen Offiziere.
Tullus verfolgte mit Wohlwollen, als Germanicus etwa ein Dutzend Offiziere auf die Plattform bat und mit Phalerae bedachte – mit jenen getriebenen, reich verzierten Metallscheiben, die an einem Gurt über der Rüstung getragen wurden.
Anderen Offizieren wurden für ihre Verdienste Torques verliehen, die ebenfalls auf der Brust getragen wurden – eine weitere begehrte Auszeichnung, die allerdings nicht ganz so hoch geschätzt wurde wie die Phalerae. Nachdem auch der letzte Offizier mit Ehren bedacht worden war, hielt Germanicus inne.
Gespanntes Schweigen senkte sich herab. Tullus ahnte, dass nun die tapfersten Legionäre und Streiter der Hilfstruppen ausgezeichnet würden, und warf einen Blick auf die erwartungsvollen Mienen seiner Männer.
»Ehe ich mich den tapfersten Soldaten Roms widme«, verkündete Germanicus mit lauter Stimme, da vereinzelt Rufe aus den Kohorten herüberschallten, »werde ich noch einen letzten Offizier aufrufen.« Erneut machte er eine gewichtige Pause. Diesmal dauerte das Schweigen an, sodass nur der böige Wind über den Köpfen der Legionäre zu hören war.
Tullus horchte auf, denn es war ungewöhnlich, einen weiteren Offizier getrennt von den Centurionen auszuzeichnen. Gespannt wartete auch er auf Germanicus’ Erklärung.
»Centurio Lucius Cominius Tullus aus der Siebten Kohorte der Legio V, tritt vor!« Weithin schallte Germanicus’ Stimme über das Übungsgelände.
Tullus traute seinen Ohren nicht und glaubte, sich verhört zu haben. Dann spürte er die Blicke seiner Soldaten und hörte, wie die Männer erfreut zu tuscheln begannen. Mist, dachte er. Ich bilde es mir also nicht ein. Ein halbes Dutzend Herzschläge verstrich. Auf der Empore, keine zweihundert Schritte entfernt, wartete derweil Germanicus.
»Ihr solltet Euch besser auf den Weg machen, Herr«, zischte Piso ihm zu.
Ruckartig kehrte Tullus in das Hier und Jetzt zurück. Ein wenig verunsichert und voller Sorge, er könne Germanicus mit seinem Zaudern beleidigt haben, trat er vor. Mit durchgedrücktem Rücken und einem mulmigen Gefühl im Magen hielt er auf die Plattform zu und empfand die Blicke von Tausenden von Soldaten als drückende Last.
Wie im Traum nahm er die wenigen Stufen, blieb den Vorschriften entsprechend zehn Schritte vom Feldherrn entfernt stehen und salutierte. Da er Germanicus nicht in die Augen zu sehen wagte, richtete er den Blick auf den golden schimmernden Brustpanzer des Feldherrn.
»Centurio Tullus, Siebte Kohorte, Legio V, Herr!«, rief er.
Germanicus überragte die meisten Männer fast um Haupteslänge, und auch Tullus kam sich klein in Gegenwart des Feldherrn vor.
»Du hast dir Zeit gelassen, Centurio«, sagte Germanicus, und eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn.
»In der Tat, Herr«, begann Tullus zögerlich, »ich war einfach zu überrascht, aufgerufen zu werden. Bitte um Vergebung.«
Ein Zucken lief durch Germanicus’ Mundwinkel. »Ich sehe es dir nach, Centurio.«
Es scheint ihn zu amüsieren, machte sich Tullus bewusst, aber er war sich nicht sicher, ob er deswegen erleichtert oder verstimmt sein sollte.
Germanicus’ Gesichtsausdruck wurde wieder ernst.
»Soldaten Roms!«, rief er. »Centurio Tullus wird vielen von euch bekannt sein. Er gehört zu den Veteranen unter den Offizieren und dient dem Reich schon mehr als drei Jahrzehnte. Vor sechs Jahren diente er in der Legio XVIII. Als diese und zwei weitere Legionen im Saltus Teutoburgiensis von großem Unheil heimgesucht wurden, ließen fast alle Soldaten unter Varus ihr Leben oder gerieten in Gefangenschaft. Nicht aber Tullus. Wie ein Held aus alter Zeit kämpfte er sich über Tage durch, obwohl es den Anschein hatte, als wäre es der Wunsch der Götter, dass jeder Römer an diesem verfluchten Ort sterben müsste. Weniger als zweihundert Mann konnten dem Massaker entkommen, viele von ihnen in kleinen Gruppen. Tullus brachte fünfzehn Mann in Sicherheit. Fünfzehn!«
Abermals Jubelrufe.
Tullus hatte sich selten so fehl am Platz gefühlt und hoffte, dass Germanicus endlich fertig wäre. Doch der Feldherr holte Luft und hob erneut an.
»Centurio Tullus und seine Männer standen stets treu zu Rom, auch in den schwierigen Tagen nach dem Tode unseres geliebten Princeps Augustus. Tullus setzte sein eigenes Leben aufs Spiel, um mich aus einer gefahrvollen Lage zu retten.« Da die Meuterei innerhalb der Legionen nach wie vor ein heikles Thema war, ging Germanicus nicht weiter auf die blutigen Unruhen und Strafmaßnahmen ein, sondern fuhr fort: »Im Verlauf des Feldzugs, der unlängst zu Ende gegangen ist, hat sich Tullus bei mehr als einer Gelegenheit durch Mut und Umsicht hervorgetan, insbesondere während der schwierigen Kämpfe an den Pontes longi. Aber das war nicht das erste Mal, dass Tullus seine Führungsqualitäten unter Beweis gestellt hat. Er ist ein wahrer Sohn Roms, und die Anzahl seiner Phalerae an seiner Brust zeugt von seinen Verdiensten. Seine Soldaten lieben ihn und würden ihm in den Hades folgen, wenn er ihnen den Befehl dazu geben würde. Er genießt den Respekt der anderen Centurionen, und auch die Tribune und Legaten aus mehr als einer Legion bringen ihm Achtung entgegen. Ich persönlich kann mir keinen besseren Offizier vorstellen als den Mann, der hier vor euch steht – kaum jemand verkörpert die Virtus eindrucksvoller als Lucius Cominius Tullus.« Germanicus streckte ihm die Hände entgegen, die Handflächen nach oben gewendet.
Zunächst lag eine gespenstische Stille auf der Menge, doch dann hallte es von weiter hinten über die Ebene. »TUL-LUS! TUL-LUS!«
Tullus krampfte das Herz zusammen. Das waren die Stimmen seiner Soldaten – darauf hätte er sein Leben verwettet. Zu seinem Erstaunen wurde das Rufen von den anderen Soldaten aufgegriffen, zunächst von den Legionären der Fünften, dann auch von den Männern der Legio XXI. Selbst die Streiter der Auxiliareinheiten stimmten mit ein.
»TUL-LUS! TUL-LUS!«
»Tullus.« Germanicus’ Tonfall klang gebieterisch, als duldete der Imperator keinen Widerspruch.
Tullus schaute auf und erwiderte Germanicus’ Blick. »Herr?«
»Hätte Rom zehntausend Männer wie dich, wir würden den ganzen Weltkreis erobern.«
»Habt Dank, Herr«, antwortete Tullus und hatte alle Mühe, gegen den Kloß in seinem Hals anzukämpfen.
Das Jubeln ließ nach, und Germanicus verlangte Ruhe. »Als Anerkennung für Tullus’ tapferen Dienst für das Reich werden wir ihn befördern. Von heute an ist Tullus Princeps Prior der Zweiten Centurie der Ersten Kohorte in der Fünften Legion!«
»TUL-LUS! TUL-LUS!«
Wäre nicht der Begeisterungssturm losgebrochen und der Wind nicht kühl über seine Wangen gestrichen, Tullus hätte sich in einem Traum gewähnt. Diese Beförderung war ein Geschenk des Himmels. Endlich gehörte er zu den Offizieren der Primi Ordines und diente in der prestigeträchtigen Ersten Kohorte, nicht mehr in der Siebten Kohorte. Somit stand er vom Rang her über dem Pilus Prior der Zweiten Kohorte, jener Position, die er zuletzt in der geschmähten Legio XVIII verliehen bekommen hatte. Hocherfreut salutierte er formvollendet vor Germanicus.
»Ihr erweist mir eine große Ehre, Herr!«
»Du gereichst der römischen Armee zur Ehre, Centurio Tullus.« Germanicus sprach mit lauter, fester Stimme. »Ich brauche Männer wie dich, wenn der Frühling naht. Arminius und dessen Verbündete müssen bezwungen werden – auf dass wir den Adler deiner alten Legion finden und dem Feind entreißen!«
»Ich stehe Euch zur Verfügung, Herr, jederzeit«, sagte Tullus und platzte regelrecht vor Stolz.
WINTER 15 N. CHR.
In der Nähe von Castra Vetera,an der Grenze zu Germania Magna
Tullus schlenderte durch die Siedlung, die in Sichtweite von Castra Vetera lag. Die Sonne schien, der Himmel zeigte sich strahlend blau, und dennoch war es ein bitterkalter Wintertag. Beim Einatmen spürte man ein leichtes Stechen in der Lunge. Auf den Dächern der Häuser lag eine dicke Schicht Schnee, auch zwischen den einzelnen Behausungen und Stallungen. Auf der gepflasterten Hauptstraße hatte sich der Schnee in einen bräunlichen Matsch verwandelt. Jeder trug bei dieser Kälte einen Mantel, ob Zivilist oder Soldat. Die streunenden Hunde liefen mit eingekniffenen Schwänzen umher und wirkten angesichts der Wetterbedingungen lustlos.
Trotz der Kälte erfreute sich Tullus bester Stimmung. Er hatte im Augenblick keinen Dienst, und bei seinen Männern war alles so, wie es sein sollte. Aber es war nicht allein dieser Umstand, der für seine gute Laune verantwortlich war. Seit der Rückkehr aus germanischem Gebiet vor nunmehr drei Monaten verlief das Leben beschaulicher als sonst – angenehmer.
Fast kam schon so etwas wie Langeweile auf, aber Mußestunden waren immer noch besser, als Tag und Nacht Angriffe abwehren zu müssen. Während des Feldzugs im Sommer hatten die Legionäre in ständiger Angst gelebt, jeden Moment erneut überfallen zu werden.
Tullus verdrängte die Erinnerungen an Blut und Morast. Denn an diesem Wintertag wollte er entspannen, und das ließ sich am besten in die Tat umsetzen, wenn man die neu angelegten Bäder unweit der Siedlung besuchte. Dort erwarteten ihn ein heißes Bad und eine Massage. Danach stand ihm der Sinn nach gutem Essen und akzeptablem Wein in seiner Lieblingstaverne, dem »Ochsen und Pflug«.
Bei dem Gedanken an die Betreiberin der Taverne, Sirona, breitete sich ein Lächeln in seinem Gesicht aus. Sirona war eine resolute, warmherzige Gallierin, auf die Tullus ein Auge geworfen hatte. Das lag nicht nur an ihren ansprechenden weiblichen Rundungen, sondern auch an dem Umstand, dass sie vom Temperament ganz nach Tullus’ Geschmack war. Seit Jahren hatte er mehr oder weniger deutlich durchblicken lassen, wie sehr er ihr zugetan war, aber sie hatte ihm stets einen Korb gegeben. Letzten Endes hatte Tullus es aufgegeben, denn auch ein Mann hatte eben seinen Stolz. Offenbar war Sirona für ihn unerreichbar, doch er sah sie trotzdem regelmäßig. Abends stand sie meist hinterm Tresen, darüber hinaus lebte Artio bei ihr, das Mädchen, das er einst aus dem Tross gerettet hatte. Seither lebte die Kleine in Sironas Obhut und war für Tullus so etwas wie eine Stieftochter. Tullus warb zwar nicht mehr offen um Sironas Hand, aber tief in seinem Herzen glühte noch die alte Leidenschaft, die er für diese Frau empfand.
Als er vor drei Monaten über die Brücke zum linken Ufer des Rhenus marschiert war, hatten die Moiren mit Wohlwollen auf ihn herabgelächelt. Als Sirona ihn erblickt hatte, hatte sie ihm ein strahlendes Lächeln geschenkt – damit hätte sie Licht in jeden dunklen Raum gebracht.
An jenem Tag fasste Tullus neuen Mut und fing wieder an, der beherzten Gallierin den Hof zu machen. Doch er hatte Fehler gemacht. Im Nachhinein war es falsch gewesen, ihr nicht offen seine Gefühle zu gestehen, sondern erst dem Wein zuzusprechen. Aber Tullus musste sich buchstäblich Mut antrinken. Leider war es nicht bei dem einen Becher Rotwein geblieben, und als Tullus in seinem Liebesrausch – der eher ein Bacchus-Rausch war – versuchte, Sirona zu küssen, erntete er eine herbe Abfuhr. Er brauchte nur an die schallende Ohrfeige zu denken, die sie ihm verpasst hatte, und schon glaubte er, ein Prickeln in der linken Wange zu spüren. Zehn Tage hatte es gedauert, bis ein gedemütigter Tullus die Schänke wieder besuchen durfte, und weitere zwanzig Tage waren verstrichen, bis die Beziehung zu Sirona wieder ungefähr dem Niveau vor der Ohrfeige entsprach.
»Eile mit Weile …«, murmelte er vor sich hin und trat gegen einen Klumpen Schnee. Manchmal beschlich ihn der Verdacht, dass es leichter war, in den Krieg zu ziehen, als die Frauen zu verstehen.
»Centurio!«, rief ein vorübergehender Legionär und salutierte. Tullus vergaß Sirona schlagartig. Sofort stand ihm die feierliche Zeremonie vor einem Monat wieder vor Augen. Es mutete ihn immer noch seltsam an, dass Germanicus ihn zum Princeps Prior der Zweiten Centurie der Ersten Kohorte ernannt hatte, doch genauso hatte es sich zugetragen. Als er zuletzt in der Legio XVIII gedient hatte, war ihm die Erste Centurie der Zweiten Kohorte zugeteilt worden, aber nach der schmachvollen Degradierung, die ihn nach dem Untergang der Legionen ereilt hatte, war er davon ausgegangen, den Rest seiner Dienstjahre in den rangniederen Kohorten verbringen zu müssen, wie zuletzt in der Siebten Kohorte. Dennoch, Germanicus hatte offenbar etwas in ihm gesehen, und seit der Beförderung gehörte er zu den Centurionen der begehrten Ersten Kohorte, zu den Offizieren der Ersten Ordnung. Im Rang über ihm stand nur noch der Primus Pilus der Legion.
Es hatte Tullus tief berührt, als die Legionäre nach Germanicus’ Lobrede auf dem Paradeplatz laut gejubelt hatten. Es kam ihm auch jetzt noch eigenartig vor, im Mittelpunkt gestanden zu haben, und daher blickte er sich ein wenig verunsichert um.
Natürlich achtete niemand sonst auf ihn, und daher lachte er leise in sich hinein. Der Grobschmied drüben an der Ecke war zu sehr mit der Glut in der Esse beschäftigt, ebenso sein Geselle – sie hatten keine Zeit, auf einen vorübergehenden Soldaten zu achten. Auch der Küfer, der neue Fässer mit eisernen Reifen versah, und der schwitzende Zimmermann, der mit der Säge abrutschte und sich an den Handknöcheln verletzte, waren in ihre Arbeit vertieft und nahmen ihre Umgebung nicht wahr. Andere Dorfbewohner, die in Mäntel gehüllt an Tullus vorbeihasteten, beachteten ihn ebenfalls nicht und wollten so schnell wie möglich an ihr Ziel gelangen.
Selbst der dürre Straßenbengel, der sich kein Schuhwerk leisten konnte, und auf Tullus zuhielt, schien genau zu wissen, was er wollte.
»Eine Münze übrig, Herr?«, bettelte er.
Eigentlich beschleunigte Tullus immer seinen Schritt, wenn ihn ein Bettler von der Seite ansprach, aber mit diesem hohlwangigen Jungen mit den dürren Beinchen hatte er Mitleid. Ich werde alt und sentimental, dachte er und kramte in seiner Börse nach den passenden Münzen. Schließlich fischte er nicht bloß ein As heraus, sondern ließ einen Denarius folgen.
»Besorg dir eine warme Mahlzeit, hörst du?«, trug er dem Bengel auf. Kurz blitzte das Sonnenlicht auf der Silbermünze auf, die Tullus dem Kleinen zuwarf. »Und kauf dir einen Umhang und ein Paar Schuhe von dem Geld.«
Helle Freude spiegelte sich in dem Gesicht des Jungen, doch noch während er sein einstudiertes »Tausendfach seid Ihr gesegnet, Herr!« herunterleierte, huschte sein Blick nach links.
Tullus folgte dem Blick des Kleinen und unterdrückte einen Fluch. Vor einem der Läden lungerte ein weiterer Straßenbengel herum. Doch dieser sah wohlgenährt aus, war gut dreimal so groß wie der dürre Betteljunge und ließ mit seinem schäbigen Grinsen erkennen, dass er genau mitbekommen hatte, was sich ereignet hatte. Wenn Tullus jetzt weiterging, würde der Grinsekopf dem dürren Jungen die Münzen abnehmen. Der kleine Bettler hätte keine Chance gegen dieses stämmige Mondgesicht.
Tullus’ Zorn flammte auf. Energisch trat er vor, packte den stämmigen Jungen und drückte ihn mit seinem Vitis gegen die Fassade des Ladens.
Der Junge gab ein Keuchen von sich und sah Tullus aus weit aufgerissenen Augen an. »Ich hab doch nichts getan, Herr!«
»Aber du hattest vor, den armen Kleinen dort auszunehmen, du Made, gib’s zu! Du wolltest ihm mein Geld abknöpfen, hab ich recht?« Mit einer Kopfbewegung deutete er in Richtung des frierenden Jungen, der wie angewurzelt stehen geblieben war und das Schicksal des Mondgesichts mit großen Augen verfolgte.
»Nein, wollte ich nicht, Herr, ich …« Der Protest des Jungen ging in einem Keuchen unter, als Tullus ihm die Spitze des Vitis in den Bauch drückte.
»Lüg mich nicht an!« Mit strengem Blick aus eisgrauen Augen – bei diesem Blick knickten die Soldaten jeder Einheit ein – durchbohrte Tullus den Jungen. Dieser senkte den Blick schließlich, ehe Tullus dicht an seinem Ohr zischte: »Wenn einer den Jungen dort auch nur anrührt oder ihm das Geld klaut – und damit meine ich dich und deine niederträchtigen Gehilfen, die hier gewiss irgendwo herumlungern –, werde ich euch durch die ganze Siedlung hetzen, und bei den Göttern, dann wirst du bereuen, je das Licht dieser Welt erblickt zu haben. Hast du mich verstanden?«
»J-Ja, Herr«, stammelte der Junge, etwa zwei Tonlagen höher als zuvor. »Ich rühr ihn nicht an, Herr, beim Leben meiner Mutter.«
Tullus ließ den Vitis sinken und gab den Jungen frei, der auch gleich türmte, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Tullus wartete, bis das Mondgesicht um die nächste Häuserecke verschwunden war, und war nicht sonderlich erstaunt, dass der dürre Betteljunge noch an Ort und Stelle stand. Ehrfürchtig schaute der Kleine zu Tullus auf wie zu einem Helden aus alten Erzählungen. »Danke, Herr. Der ist ein ganz gemeiner Kerl, er …«
»Das Geld teilst du mit niemandem, hörst du?«, unterbrach er ihn.
»Mach ich auch nicht, Herr, und wenn ich Euch mal helfen kann …« Seine Stimme verlor sich in der Kälte, genau wie sein aufkeimendes Selbstvertrauen. Er senkte den Blick und ließ die Schultern hängen.
Tullus wusste, dass der Kleine es gut meinte, gab ihm einen Klaps auf die schmale Schulter und ging weiter. Arme Straßenbengel wie diesen gab es zuhauf in den Siedlungen und Städten. Er konnte nicht allen unter die Arme greifen, er wollte es auch gar nicht – man durfte nicht zu vertraulich mit ihnen werden, denn dann wurde man sie nie mehr los. Tullus’ freigiebige Geste bedeutete allerdings, dass ihm von nun an andere Straßenlümmel auflauern würden, sobald er sich in der Siedlung blicken ließ. Denn der dürre Hungerleider würde zweifellos herumerzählen, wie er an den Denarius gekommen war. Vielleicht behält er es aber auch für sich, dachte Tullus. Je weniger Leute von dem Geld wussten, desto größer war die Chance, dass er es auch tatsächlich behalten würde.
Bei dem Gedanken an Straßenbengel vergewisserte sich Tullus rasch, dass seine Börse nicht aufgeschlitzt worden war. Noch war der Beutel prall gefüllt, denn die Beförderung bedeutete für Tullus eine willkommene Solderhöhung.
Er war in der Stimmung, einen Teil des Geldes auf den Kopf zu hauen, zu oft hatte er in den letzten Monaten den Tod vor Augen gehabt. Schließlich wollte er noch etwas von seinem Sold haben, er wusste nur noch nicht, wofür er das Geld ausgeben sollte. Sein Kettenhemd und die übrige Ausrüstung waren in tadellosem Zustand, bislang hatte er nichts davon ausbessern oder ersetzen müssen. Seine geschlossenen Stiefel für den Winter – die Calcei – waren erst zwei Jahre alt, und auch wenn sie abgelaufen waren, so hing er an ihnen. Sein Vitis kam ihm bisweilen wie sein verlängerter rechter Arm vor – der Stock würde ihn wahrscheinlich noch bis ins hohe Alter begleiten.
Einer inneren Eingebung folgend, blieb er bei den Auslagen eines Schmuckhändlers stehen. Das war ihm bislang noch nicht unterlaufen, doch nun betrachtete er eingehend die Schmuckstücke, die der Händler zur Ansicht ausgelegt hatte. Es handelte sich im Umfeld eines Legionslagers zumeist um schlichte Stücke im unteren Preissegment: Armreifen aus Bronze, die kleine Widderköpfe aufwiesen, phallusartige oder einem Gladius nachempfundene Amulette, die bei Legionären sehr beliebt waren, polierte Halsketten aus Speckstein, die den Frauen der Soldaten gefielen, die in wilder Ehe lebten. Die teureren Schmuckstücke lagen weiter zurück, im Einflussbereich des Ladenbesitzers, der mit Argusaugen über sämtliche Auslagen wachte. Eine größere Auswahl an Schmuck fand sich im Innern des Ladens.
Tullus hatte nicht den Schwung, über die Schwelle zu treten – was verstand er schon von Schmuck? –, daher beugte er sich über die Auslagen und begutachtete einige Ohrringe aus Perlen, einen Armreif aus Karneol und mehrere silberne Halsketten. Er fluchte leise, denn er wusste nicht, was Sirona gefallen würde. Da er zu stolz war, seine Angebetete nach ihren Vorlieben zu fragen, ging er wortlos weiter.
»Herr?«, rief der Ladenbesitzer ihm nach, ein alter, leicht gebückt gehender Gallier mit silbergrauem Bart. »Kann ich Euch vielleicht behilflich sein, Herr?«
Tullus drehte sich um und kam sich so linkisch vor, als habe man ihm beim Stehlen erwischt. »Ja, vielleicht – ich bräuchte ein Geschenk, für eine Frau, mit der ich – befreundet bin.«
»Oh, da werdet Ihr sicherlich fündig werden, Herr, das verspreche ich. Tretet doch ein, wenn ich bitten darf.«
Tullus hätte lieber einen Sturmangriff auf einen Schildwall der Germanen befehligt, aber es stimmte ja, er brauchte ein Geschenk für Sirona, und an diesem Tag würde niemand sehen, wie er den Laden des Goldschmieds betrat. Er konnte sich gut vorstellen, wie die anderen Centurionen feixen würden.
»Na, Tullus, Flitterkram für deine Geliebte?« – »Hat Sirona dich jetzt doch rangelassen?«
Rasch betrat er den kleinen Laden, wobei er den Kopf einziehen musste, um nicht gegen den Sturz über der Tür zu stoßen.
Umso erstaunter war er, als er feststellte, dass der Laden größer war, als es von außen den Anschein hatte. Tullus sah sich in einem lang gezogenen Raum um, in dem Vitrinen und kleine Tische entlang der Wände standen. Weiter hinten, in einem abgetrennten Bereich, arbeiteten mehrere Handwerker an niedrigen Tischen.
»Ich habe nicht viel Zeit«, sagte er in die Stille hinein, ahnte er doch, dass sich der alte Gallier mit dem silbergrauen Bart bestens darauf verstand, die Kunden so lange festzuhalten, bis sie endlich etwas kauften.
»Ich weiß, Eure Zeit ist kostbar, Herr. Ihr ehrt mich mit Eurem Besuch«, sagte der Gallier und verbeugte sich.
Tullus zog eine Augenbraue hoch. Keinem würde entgehen, dass er Offizier war – der Schnitt der Tunika und die Rüstung sprachen für sich, aber der Alte würde ihn vielleicht für einen altgedienten Optio oder einen rangniederen Centurio halten – den Helm mit der Crista transversa hatte Tullus in seiner Unterkunft gelassen, ebenso die zahlreichen Phalerae. Tullus ahnte, dass er auf der Hut sein musste. Falls der Händler durchschaute, welchen Rang Tullus tatsächlich bekleidete, würde er die Preise verdreifachen.
»Nur, damit du es weißt«, sprach er zu dem Gallier gewandt, »die Soldzahlung steht noch aus, viel habe ich nicht bei mir.«
»Die Auslagen bieten viele schöne Dinge für jeden Geschmack und Geldbeutel, Herr«, antwortete der Goldschmied mit beeindruckendem Verhandlungsgeschick. »Wie viel hattet Ihr gedacht zu investieren?«, fügte er hinzu und legte dabei den Kopf leicht schräg.
Das ist das Eröffnungsgespräch, dachte Tullus, aber dieses Spiel konnte man zu zweit spielen. »Zeig mir erst deine Waren. Nenn mir die Preise, während ich mich umschaue. Fangen wir gleich hier mit diesen Armreifen an.«
»Gewiss, Herr.« Der Alte vermochte nicht ganz, seine Enttäuschung zu verbergen.
Ich hatte also recht, dachte Tullus. Der Schurke hatte es darauf abgesehen, ihn auszunehmen. Und tatsächlich, die Armreife und Kettchen – hübsche Artefakte aus Silber, Gold, Achat, Blutkoralle und sogar Bernstein – waren unerschwinglich. Bei den Ohrgehängen und den Halsketten wurde es nicht besser.
»Moment«, rief Tullus leicht ungehalten aus, als der Händler im Begriff war, ein goldenes Diadem zu zeigen, in das kleine Edelsteine eingearbeitet waren. »Was glaubst du, was ich bin? Ein Legat?«
Der Alte lächelte verhalten – durchtrieben, wie Tullus meinte. »Nein, Herr, Ihr seid ein Centurio, der unlängst befördert wurde und nun in der Ersten Kohorte dient.«
»Du kennst mich?« Tullus war überrascht.
Der Schmuckhändler gab sich halb entrüstet. »Ihr seid ein berühmter Mann, Herr! Jeder in der Siedlung kennt Euch. Alle wissen, dass Ihr den Hinterhalt überlebt habt, in den einst Varus mit seinen Legionen geriet. Ihr seid ein Held, Herr.«
Tullus spürte, dass seine Wangen heiß wurden, was ihm gar nicht schmeckte. »Glaub nicht alles, was du hörst.«
»Germanicus wird Euch nicht umsonst diese Ehre zuteilwerden lassen, fortan in der Ersten Kohorte zu dienen, Herr.«
Tullus gab sich allmählich geschlagen, bedachte den Mann aber trotzdem mit einem strengen Blick. »Ich habe getan, was andere auch getan hätten.«
»Wie Ihr meint, Herr.« Der schmeichelnde Tonfall war verflogen, stattdessen schwang Respekt in der Stimme des Alten mit. »Ich brauche wohl nicht anzumerken, dass ein Mann Eures Ranges einen guten Preisnachlass erhält, Herr.« Er deutete auf die Schmuckgegenstände, vor denen Tullus stand, und verringerte die Preise um gut ein Drittel.
Tullus lachte leise, da ihn die Verkaufstaktik des Galliers amüsierte. Du machst bestimmt immer noch einen guten Gewinn, alter Mann, dachte er.
Tullus verließ sich auf sein Bauchgefühl und betrachtete noch einmal jene Schmuckstücke, die ihm zu Beginn ins Auge gefallen waren. Schließlich ließ er einen eher schlicht gearbeiteten, aber gleichwohl eleganten Armreif auf sich wirken, der aus vier ineinandergeschlungenen silbernen Bändern bestand. Mutig stürzte er sich ins Feilschen und handelte schlussendlich einen Preis aus, der gut die Hälfte des Ausgangspreises betrug. Trotzdem sah der Händler noch einigermaßen zufrieden aus. Auch Tullus war mit dem Ergebnis zufrieden, er hatte ohnehin keine Lust und auch keine Zeit mehr, weiter zu feilschen.
»Der Frau, der Ihr dies zugedacht habt, wird es gefallen«, sagte der Goldschmied und ließ den Armreif in einen kleinen Beutel aus Ziegenleder gleiten. »Beehrt mich doch einmal gemeinsam mit ihr, Herr.«
Tullus gab ein Schnauben von sich, denn er war sich nicht sicher, wie sein Geschenk ankommen würde. Aber diese Vorgehensweise ist bestimmt geschickter als der andere Vorstoß, dachte er. Oder nicht?
Draußen vor dem Laden kam Unruhe auf, offenbar waren zwei Personen zusammengestoßen. Tullus reckte den Hals, um besser sehen zu können. Tatsächlich, zwei Männer waren in ihrer Eile mit den Köpfen zusammengeprallt. Doch beide suchten die Schuld für diesen Unfall beim jeweils anderen, beschimpften einander und warfen sich Beleidigungen an den Kopf. Tullus ging das nichts an, zumal die beiden Streithähne keine Soldaten waren.
Er war im Begriff, den alten Gallier zu bezahlen, als er einen Blick auf ein bekanntes Gesicht erhaschte. Diese vertrauten Züge hatte er zuletzt vor über sieben Monaten gesehen, aber er hatte nicht damit gerechnet, den Mann je auf dieser Seite des Rhenus wiederzusehen. Schon war er an der Tür.
»Degmar?«, rief er. »Bist du das?«
Der junge Mann drehte ihm den Kopf zu und starrte Tullus halb erschrocken, halb verblüfft an. Kein Zweifel, das war Degmar – Tullus hätte ihn überall wiedererkannt –, aber anstatt seinen ehemaligen Herrn zu grüßen, verschwand der Marser in einer Gasse auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
»Hier.« Tullus warf ein paar Münzen auf den niedrigen Tisch, schnappte sich den Beutel mit dem Armreif und verließ eilig den Laden.
»Herr?«, hörte er noch die verdutzte Stimme des Goldschmieds, als er die Straße überquerte, auf der mit einem Mal mehr los war als zuvor. Ein Fuhrmann riss an den Zügeln seines Ochsengespanns, um Tullus nicht über den Haufen zu fahren. Zunächst fluchte der Kutscher und schimpfte, ehe er erkannte, dass er es mit einem Offizier zu tun hatte. Sofort wurde sein Tonfall milder, die letzten Beschimpfungen verwandelten sich in ein leises Murren.
Tullus kam zu spät und fluchte. Degmar war nur noch ein dunkler Schatten in der Seitengasse. Der Vorsprung des Kriegers war zu groß, außerdem hatte Tullus gut zwanzig Jahre mehr auf dem Buckel.
Den hole ich nicht mehr ein, dachte er, zumal er wusste, dass die Gasse in ein kleines, verwinkeltes Viertel mündete. Dennoch wagte sich Tullus ein paar Schritte in die Gasse, blieb aber bald stehen, da ihm der Gestank von menschlichen Exkrementen in die Nase stieg. Angewidert spie er aus. Degmar war über alle Berge, und Tullus hatte keine Lust, mit den Lederstiefeln in irgendwelche Scheißhaufen zu treten. Das hätte ihm nur die anfängliche gute Laune verdorben.
Das Geschenk für Sirona fest in der Hand, machte er sich auf den Weg zur Taverne. Die gute Stimmung hielt an, auch wenn sich ein Anflug von Unbehagen bemerkbar machte. Was hatte Degmar in der Siedlung bei Vetera verloren, und wieso war er fortgelaufen?
Sirona gefiel der Armreif ganz ausgezeichnet, was Tullus natürlich freute. Erleichterung stellte sich bei ihm ein. An diesem Abend wirkte die Wirtin zugänglicher und offenherziger, sie gestattete Tullus sogar, ihr beim Abschied freundschaftlich über die Wange zu streichen. Eingebildet wie ein Jüngling, der sein Mädchen zum ersten Kuss überreden konnte, stolzierte Tullus in der Dunkelheit zurück zum Lager. Degmar war längst vergessen. Erst am nächsten Morgen, als das wahre Leben ihn wieder in Beschlag nahm und die Pflichten ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholten, erinnerte er sich daran, dass er Degmar gesehen hatte – seinen ehemaligen Diener.
Im Frühjahr des Vorjahres hatte Tullus dafür gesorgt, dass Degmars Familie fliehen konnte, ehe die Siedlungen der Marser von Germanicus’ Legionen dem Erdboden gleichgemacht wurden. Tullus hatte sich auf ein äußerst riskantes Unterfangen eingelassen, aber sie hatten ihr Ziel erreicht. Von da an waren Degmar und er getrennte Wege gegangen. Zum Abschied hatten sie einander in die Augen geschaut, aber die Miene des jungen Marsers war undurchdringlich gewesen.
Tullus hatte geglaubt, Degmar nie wiederzusehen, da der Marser keinen Hehl daraus gemacht hatte, wie sehr er Rom und all das, wofür Rom stand, verachtete. Umso merkwürdiger war es, dass Degmar in der Siedlung unweit des römischen Legionslagers aufgetaucht war.
Tullus geriet ins Grübeln, und da er eine zweite Meinung einholen wollte, beschloss er, sich Fenestela anzuvertrauen. Er kannte seinen treuen und verlässlichen Optio schon sein halbes Leben. Gemeinsam waren sie durch dick und dünn gegangen, und trotz der unterschiedlichen Dienstgrade waren die beiden Männer einander in tiefer Freundschaft verbunden.
Da Tullus’ Unterkunft nicht weit von der seines Optios entfernt lag, sahen sie einander häufig. Täglich besprachen sie die Befehle, die aus der Principia kamen. Wann immer es Schwierigkeiten mit dem Quartiermeister oder einem Stabsoffizier gab, diskutierte Tullus den Fall mit Fenestela. Oft trafen sie sich auch nur, um sich über den neusten Tratsch im Lager auszutauschen. Dann aßen sie einen Happen zusammen oder tranken etwas Wein.
»Wir sind schon fast wie ein altes Ehepaar, was?«, scherzte Tullus dann oft, worauf Fenestela sarkastisch entgegnete: »Ohne den Spaß unter der Bettdecke, wohlgemerkt.«
Gleich am nächsten Morgen, kurz nach den Wecksignalen im Lager, begab sich Tullus zur Unterkunft seines Optios. Zu dieser Zeit hatte Fenestela für gewöhnlich längst die Soldaten der Centurie unter Androhung von Strafen von den Nachtlagern gescheucht. Vor dem eigentlichen Dienstantritt blieb den Männern vor dem Frühstück ein wenig Zeit, um sich im Freien zu waschen oder die Latrinen aufzusuchen.
Fenestela frühstückte oft mit den anderen Offizieren der unteren Ränge – etwa mit dem Tesserarius –, während Tullus es meist vorzog, allein zu essen.
Wollen wir doch mal sehen, ob der Bursche allein ist, dachte Tullus und hämmerte gegen die Tür.
Sein Optio lächelte, als er den Besucher sah. »Komm rein«, sagte er und machte Tullus Platz.
»Bist du allein?«
»Klar. Wieso?«
Ohne darauf zu antworten, trat Tullus über die Schwelle und suchte den Raum mit wachem Blick ab. Aber es war tatsächlich sonst niemand zugegen. Fenestela stellte keine großen Ansprüche an seine Unterkunft, Tullus übrigens auch nicht. Er gab sich schnell mit den wenigen Dingen zufrieden, die ihm zustanden. Ein schlichter Tisch, auf dem ein Spielbrett stand, und vier Stühle nahmen die Mitte des Raums ein. In einer Ecke stand das Bett, an der Wand gegenüber befanden sich zwei Truhen und das hölzerne Gestell, an dem ein Soldat seine Rüstung mitsamt Helm aufbewahren konnte. Tullus’ Unterkunft war zwar dem Rang entsprechend etwas geräumiger, aber ebenso schlicht gehalten.
»Ihr glaubt mir wohl nicht, Herr?« Fenestela klang verärgert. Sie kannten sich schon eine halbe Ewigkeit und begegneten einander mit Respekt, doch sie sprachen nur dann ungezwungen und in vertraulichem Ton miteinander, wenn sie unter sich waren. Der Anrede »Herr« bediente sich Fenestela nur bei offiziellen Anlässen oder wenn die Männer der Einheit in Hörweite waren, allerdings auch, wenn er verstimmt war. Dann nahm das »Herr« einen ironisch-sarkastischen Ton an.
»Doch, doch«, meinte Tullus ruhig.
»Was ist los?«
»Gestern habe ich Degmar gesehen.«
»Degmar?« Fenestela war regelrecht erschrocken. »Wo denn?«
»In der Siedlung.«
»Hast du mit ihm gesprochen?«
»Nein, als er mich sah, rannte er weg wie eine Katze mit angesengtem Schwanz.«
»Eigenartig.« Es war zwar noch früh, aber Fenestela füllte zwei Becher mit Wein und reichte einen davon Tullus, der nicht ablehnte.
»Dann führt er irgendwas im Schilde«, meinte Fenestela. »Wie sollte man sich sonst sein Verhalten erklären?«
»Wir müssen unbedingt mit ihm reden.« Tullus war nicht glücklich damit, dass sich sein alter Argwohn womöglich doch bestätigen würde.
»Leichter gesagt als getan«, antwortete Fenestela und stierte wie so oft düster vor sich hin. »Er wird sich irgendwo verstecken, oder vielleicht ist er längst wieder auf der anderen Seite des Flusses.«
»Es wird nichts bringen, zum Legaten oder sonst wem zu gehen – wenn ein einzelner Stammeskrieger hier auftaucht, hat das noch nichts zu bedeuten.« Tullus leerte den Weinbecher.
»Wo warst du denn, als du ihn gesehen hast?«
Tullus zögerte, ehe er bekannte: »Bei einem Goldschmied.«
»Einem Goldschmied?«
Es wurmte Tullus, wie viel Erstaunen, Belustigung und Sarkasmus Fenestela in diese beiden Worte legte.
»Was?«, fuhr Tullus ihn an.
Fenestelas Mundwinkel zuckten. »Verstehe, du warst also beim Goldschmied, und Degmar lief einfach so über die Straße?«
»Ja, so war es. Deshalb hat er mich auch nicht sofort gesehen. Als ich ihn ansprach, türmte er sofort und verschwand in einer Seitengasse. Sein Vorsprung war zu groß, ich hätte ihn wohl kaum eingeholt.«
»Das hättest du bestimmt geschafft«, frotzelte Fenestela und gluckste, »aber du musstest ja bestimmt noch bezahlen, was du für Sirona ausgesucht hattest, nicht wahr?«
»Ich hatte ihn längst bezahlt!«, rief Tullus und ärgerte sich, dass ihm die ganze Sache so peinlich war.
»Ihn?«, hakte Fenestela mit Unschuldsmiene nach.
»Den Armreif, verflucht – aber das geht dich überhaupt nichts an!«, gab Tullus zurück. »Hast du jetzt genug gehört, um den Lagerklatsch anzuheizen, oder können wir jetzt über Degmar sprechen?«
»Ja, wenden wir uns den ernsten Themen zu«, sagte der Optio und verkniff sich ein Grinsen. »Was es Neues bei dir und Sirona gibt, entlocke ich dir ein andermal.«
»Falls du mal eine Frau findest – nicht, dass ich daran glaube, du Mistkerl –, dann werde ich dich auch mit meinen Fragen piesacken.«
»Mit nichts anderem würde ich rechnen«, entgegnete Fenestela und lachte. »Aber zurück zu Degmar. Wie du sagtest, es nützt nichts, wenn du dich an einen Vorgesetzten wendest.«
»Genau. Wieder einmal sind wir gefragt, wir müssen die Augen offen halten und die Lauscher aufstellen.«
Eine ernüchternde, aber vertraute Erkenntnis. Vor dem schicksalhaften Hinterhalt vor sechs Jahren hatte sich der Statthalter Varus geweigert, Tullus Gehör zu schenken, obwohl Tullus einen berechtigten Argwohn gegenüber Arminius hegte. Die Folge waren ein Massaker und der Untergang von drei Legionen. Frisch in Erinnerung geblieben war Tullus zudem, dass der ranghöchste Centurio seiner alten Kohorte ebenfalls meinte, nicht handeln zu müssen, als Tullus ihm von den Unruhen innerhalb der Legion erzählte. Die Folge war eine blutige Meuterei gewesen. Binnen kurzer Zeit hatten sich Soldaten aus vier Legionen zusammengerottet und die alte Ordnung bedroht.
»Ich werde Piso und den Wachen die Order geben, auf der Hut zu sein«, sagte der Optio.
Tullus nickte zufrieden. Piso und die meisten der Männer, die Tullus nach dem Hinterhalt hatte retten können, waren inzwischen in seiner neuen Centurie. Es lief zwar den Vorschriften zuwider, dass die Soldaten einer Einheit ihrem Centurio folgten, wenn dieser versetzt wurde, aber Tullus verfügte inzwischen über ausreichend Beziehungen. Er kannte hochrangige Personen, die ihm wohlgesinnt waren. Nicht nur Germanicus selbst war ihm gewogen. Im Lagerpräfekten Caedicius hatte Tullus einen Freund und Vertrauten gewonnen. So hatte man seiner Bitte stattgegeben. Um ehrlich zu sein, Tullus hätte seinen Dienst in der Ersten Kohorte ungern ohne Fenestela und die anderen Veteranen der alten Legio XVIII angetreten, da Piso, Metilius und deren Kameraden für Tullus fast so etwas wie eine Familie geworden waren.
Er lehnte ab, als Fenestela ihm nachschenken wollte. »Später mehr davon. Erst gilt es, den neuen Tag zu bewerkstelligen.«
»Hast recht«, sagte Fenestela, klang aber enttäuscht. »Beim Dienst sollte man besser nicht betrunken sein. Macht sich nicht so gut vor den Jungs.«
»Lass uns später einen heben. Dann reden wir weiter über Degmar.«
Tullus gab sich entspannt, aber im Grunde war er besorgt. Fenestelas Reaktion hatte seine Bedenken noch vergrößert.
Degmar war ein Krieger und Jäger, vor allem hasste er Rom und Roms ausgreifende Politik, daher lag der Schluss nahe, dass der Marser nicht in die Siedlung gekommen war, um Handel zu treiben. Tullus’ Furcht nahm Gestalt an. Degmar war gekommen, um Unheil zu stiften.
Trotz aller Bedenken geschah nichts Unvorhergesehenes. Seine Männer spurten und marschierten oder kamen grummelnd den Aufgaben nach, die ein Legionär im Lager zu verrichten hatte. Dazu zählte auch das Fällen von Bäumen oder das Beschaffen von Feuerholz, damit es in den Baracken nicht kalt wurde. Niemand – weder Tullus noch Fenestela, noch die Veteranen, die eingeweiht waren – hatte einen Anhaltspunkt, wo Degmar stecken könnte. In der Siedlung keine Spur von dem Marser. Tullus hatte dem ein oder anderen Tavernenbesitzer oder Betreiber der beliebtesten Bordelle ein paar Münzen zugeschoben, aber auch diese Männer schworen, den Stammeskrieger nirgends gesehen zu haben. Selbst der dürre Betteljunge, der Tullus bereitwillig zu Diensten war, vermochte den Marser nicht aufzuspüren.
Wäre es um jemand anderen gegangen, so hätte Tullus womöglich geglaubt, dass er sich getäuscht hatte, aber Degmar war einem Legionär wie aus dem Gesicht geschnitten, den Tullus einst während eines schweren Angriffs in Illyricum hatte sterbend zurücklassen müssen. Die Todesangst in den Augen des Soldaten und die Schreie hatten sich tief in Tullus’ Gedächtnis gebrannt. Es konnte nur Degmar gewesen sein, da gab es kein Vertun.
Doch die Tage verstrichen ohne nennenswerte Zwischenfälle. In der Siedlung war es zu keinen Unruhen gekommen, es gab keinen einzigen Bericht, dass entlang des Rhenus Legionäre angegriffen wurden. Auch die regelmäßigen Patrouillen, die der Lagerpräfekt auf die andere Seite des Flusses schickte, berichteten, alles sei ruhig. Die Vermutung lag nah, dass ein Ränkeschmied wie Arminius nie Ruhe geben würde und erneut Verschwörungen befeuerte, aber das Territorium der Cherusker lag etliche Hundert Meilen entfernt im germanischen Hinterland. Das Leben in Castra Vetera und Umgebung nahm seinen gewohnten Lauf.
Nach einigen Tagen erfolgloser Suche beschloss Tullus eines Abends, dass es nichts brachte. Sie hatten keine Möglichkeit, herauszufinden, mit welcher Absicht Degmar in die Siedlung gekommen war, und da es keinerlei Beweise für irgendetwas gab, lief Tullus mit seinen Nachforschungen ins Leere. Was auch immer der Krieger im Sinn gehabt haben mochte, er hatte es längst ausgeführt.
Um auf andere Gedanken zu kommen, beschloss Tullus, den Schmuckhändler ein zweites Mal aufzusuchen. Zwar war es ihm auch diesmal immer noch ein bisschen peinlich, den Laden zu betreten, aber letzten Endes überwog der Wunsch, weiter in Sironas Gunst zu steigen. Früher oder später würde sie ihn gewiss in ihr Bett lassen, und obwohl Tullus zu unerfahren war, um zu wissen, wie man eine Frau umwarb, glaubte er, dass eine weitere Aufmerksamkeit in Form eines Schmuckstücks nicht schaden könnte.
Ehe er sich auf den Weg in die Siedlung machte, überlegte er, ob es sinnvoll wäre, das Kettenhemd abzulegen. Es ging ihm gar nicht mehr um den alten Händler, denn der kannte Tullus’ Rang, aber womöglich fiel es einigen Leuten auf, wenn ein Centurio in vollem Ornat den Laden betrat, denn trotz des wärmenden Mantels waren Kettenhemd und Cingulum unschwer zu erkennen. Letzten Endes entschied sich Tullus doch für die volle Rüstung, da er am Abend noch einigen Pflichten nachkommen musste. In dieser Hinsicht war es klüger, das Kettenhemd anzubehalten, da das An- und Ablegen stets eine Qual war.
Ein letztes Mal vergewisserte er sich, ob genug Geld im Beutel war, und strebte zur Tür, den Vitis in der Hand. Sirona würde das neue Geschenk mindestens genauso gut gefallen, zumal es wertvoller sein sollte als der silberne Armreif. Er malte sich schon aus, wie erfreut sie reagieren würde, und wollte schon beschwingt vor sich hin flöten, als er sich bewusst machte, dass er sich noch im Militärlager befand. In der Öffentlichkeit hatten sich hochrangige Centurionen stets tadellos zu benehmen. Die Männer sollten sich ein Beispiel an ihnen nehmen. Außerdem, so überlegte Tullus weiter, könnte Fenestela das fröhliche Pfeifen hören – sein Optio würde den Braten sofort riechen, und dann würden die scherzhaften Bemerkungen zu Sirona nicht abreißen.
Tullus war froh, die Siedlung ohne viel Aufhebens betreten zu können. Er sah zwar einige Soldaten, aber keinen aus seiner Kohorte. Das bedeutete zwar noch nicht, dass ihn nicht vielleicht doch jemand beobachtet hatte – wie der Schmuckhändler schon gesagt hatte, Tullus war bekannt wie ein bunter Hund –, aber daran könnte er ohnehin nichts ändern. Zumindest das Wetter war auf seiner Seite. Denn bei dem schneidenden Wind und den flirrenden Schneeflocken blieben die Leute zu Hause, außerdem lag die Sichtweite unterhalb von zwanzig Schritten. Das Tageslicht nahm rasch ab, und selbst die gepflasterte Hauptstraße, auf der sich alltags immer viele Fußgänger und Fuhrwerke tummelten, war so gut wie ausgestorben.
Tullus hatte geahnt, dass sich der kleine Bettler wieder an seine Fersen heften würde. Der Junge hatte sich tatsächlich ein Paar billige Sandalen gekauft, dazu einen abgetragenen Mantel, den er Tullus stolz präsentierte. Er habe alles zu günstigen Preisen erstanden, sagte er und bot Tullus erneut seine Dienste an. Tullus war gerührt und schenkte dem Kleinen ein paar Kupfermünzen. Die Dankesbekundungen des Jungen im Ohr, suchte Tullus den Laden des Goldschmieds auf, der nicht weit entfernt vom neu angelegten Forum lag. Bei klarer Sicht wäre die Brücke über den Rhenus zu sehen gewesen. Auf dem Weg zum Laden begegnete Tullus keiner Seele, weder einem Legionär noch einem anderen Offizier. Er atmete auf.
Der Goldschmied setzte ein breites Lächeln auf, als ein Kunde bei diesem Wetter einen Fuß über seine Schwelle setzte.
»Furchtbares Wetter, Herr.«
»Ja, schlimm«, pflichtete Tullus ihm bei und nahm den Helm ab.
Der Gallier erkannte Tullus erst jetzt, und seine Miene hellte sich auf. »Ihr beehrt mich ein zweites Mal, Herr!«
»In der Tat.« Den Helm legte Tullus auf einem niedrigen Tisch ab.
»Darf ich davon ausgehen, dass die Dame sehr zufrieden mit Eurem Geschenk war, Herr?«
»Ja, sie hat sich gefreut.« Er fühlte sich ein wenig fehl am Platze.
»Und nun gedenkt Ihr, der Dame noch ein hübsches Stück auszusuchen, Herr?«
»Ganz recht.«
»Etwas …«, der Händler strich mit langen Fingern über die Auslagen unmittelbar vor Tullus und deutete dann auf eine Reihe Armreife, »… in dieser Art, Herr?«