Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Mensch, den du am meisten liebst, ist gleichzeitig die Person, die dich am meisten zu hassen scheint. Naomi Grey hat viele Spitznamen: Cholera, Eiskönigin oder auch kranke Bitch. Beschimpfungen, über denen sie stehen könnte, würde zumindest der Mensch, den sie am meisten liebt, anders über sie denken. Es gab eine Zeit, in der hätte Asher Knight alles für Naomi getan, doch dann ließ sie ihn voller Zweifel und mit einem gebrochenen Herzen sitzen, um mit einem anderen Mann scheinbar glücklich zu werden. Jahre voller Schmerz und Sehnsucht vergehen, in denen sie einander nie vergessen konnten. Als sie dann gemeinsam mit ihren Freunden einen Kurztrip unternehmen, kommt es, wie es kommen muss: Sie geben in einem Moment der Schwäche endlich ihren lang unterdrückten Gefühlen nach und verbringen eine leidenschaftliche Nacht miteinander. Eine Nacht, die ihr Leben in mehrerlei Hinsicht dramatisch auf den Kopf stellen soll, denn plötzlich ist Naomi schwanger und Asher sich ganz sicher – er kann niemals der Vater ihres Kindes sein ... Teil 3 der "Safe Harbor"-Reihe.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 503
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
SWEETEST POISON: ES GIBT NUR DICH
Cheryl Kingston
2019 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels
www.plaisirdamour.de
© Covergestaltung: Mia Schulte
© Coverfoto: Shutterstock.com
ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-393-4
ISBN eBook: 978-3-86495-394-1
Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Epilog
Danksagung
Autorin
Liebe ist nicht das, was man erwartet zu bekommen, sondern das, was man bereit ist zu geben.
Naomi
Groß.
Braun gebrannt.
Wunderbar muskulös.
Attraktives Gesicht.
»Und du willst mir sagen, das wäre kein heißes Prachtexemplar?«, fragt meine beste Freundin Kayla und starrt verträumt das Foto auf dem Laptop an. Ihre Schwärmerei bringt mich dazu, die Augen zu verdrehen. Wir haben in den letzten Jahren genügend Männer dieser Sorte getroffen, sodass sie es besser wissen und sich nicht von bloßen Äußerlichkeiten blenden lassen sollte. »Kerle, die sich so freizügig auf ihrem Profilbild zeigen, haben ein gewisses Geltungsbedürfnis. Sie nehmen sich selbst viel zu wichtig«, antworte ich trocken.
Kayla schiebt die Lippe vor – nachdenklich, aber auch ein wenig schmollend. »Was ist denn mit Wade, dem anderen Bruder?« Sie klickt auf einen weiteren Namen und ein neues Profil erscheint. »Der ist doch auch süß. Nicht so heiß wie Ethan, aber süß.«
Ich gebe zu, Wade ist mir aufgrund seines Fotos wesentlich sympathischer, er sieht weder wie geleckt noch angeberisch aus, dennoch erwidere ich: »Beide nicht mein Fall. Ich verstehe sowieso nicht, weshalb du überhaupt versuchst, sie mir schmackhaft zu machen.«
»Ich will dich dazu motivieren, mich auf den Kurztrip nach New Hampshire zu begleiten, allein will ich nicht«, jammert sie und erscheint einmal mehr wie ein schmollendes Mädchen.
Leicht genervt unterdrücke ich ein Stöhnen. »Kayla, du bist keine fünf mehr. Dein Bruder und deine Schwägerin werden dabei sein, außerdem hast du Blair auch schon oft genug getroffen.« Es ist nicht so, dass ich die drei nicht mögen würde oder keine Lust hätte, mitzufahren, es ist eher so, dass ich mich in ihrer Gegenwart unwohl fühle.
»Habe ich erwähnt, dass Asher ebenfalls kommen wird?«
Sofort werde ich hellhörig. Asher wird da sein? Ich ignoriere das listige Lächeln meiner Freundin; ich will ihr nicht noch mehr Angriffsfläche geben, indem ich auf ihre Anspielung reagiere. Was auch immer damals zwischen Asher und mir gewesen ist oder hätte sein können, es gehört der Vergangenheit an. »Warum willst du unbedingt, dass ich mitkomme? Dir hat man all deine Grausamkeiten vergeben, aber ich bin in ihren Augen immer noch die Böse – ich bin und bleibe für sie nichts anderes als Cholera. Machen wir uns also nichts vor, ich bin definitiv nicht erwünscht, sondern werde höchstens als deine Freundin geduldet.«
Kayla und ich wurden hinter unserem Rücken jahrelang als Pest und Cholera bezeichnet, aber im Unterschied zu mir hat man ihr inzwischen Absolution erteilt. Ich bin, aus einem Grund, den ich weder kenne noch verstehe, weiterhin die Böse. Ich habe jedoch nie jemandem etwas getan - Kayla hingegen schon. Ich liebe sie wie eine Schwester, aber sie ist in der Vergangenheit oft ein intrigantes Miststück gewesen. Eins, das sogar die Beziehung ihres Bruders zerstören wollte. Warum wird sie trotzdem geliebt, aber ich nicht?
»Olivia und ich kommen mittlerweile super miteinander aus und Blair mag ich auch, aber sie sind nicht du. Komm schon, es wird sicher lustig werden.«
Ich seufze. Beim Gedanken an Asher pocht mein Herz heftig in meiner Brust und wird gleichzeitig von endlosem Schmerz zerrissen. Würde ich es ein ganzes Wochenende mit ihm auf engstem Raum aushalten? Seit Jahren weiß ich, dass ich von vielen, aber insbesondere ihm, verachtet und oft nur geduldet werde. Irgendwann habe ich gelernt, damit umzugehen und mir nicht immer alles zu Herzen zu nehmen, aber Ashers Verachtung, Ekel, ja sogar Hass jedes Mal erleben zu müssen, das tut weh - sehr weh. Dies sind Gefühle und Schmerzen, an die ich mich nie gewöhnen werde. Mir ist der Grund seiner Abscheu bewusst, allein deshalb weiß ich, dass er mir unrecht tut. Er hat mir nie die Chance gegeben, ihm irgendetwas zu erklären, weshalb sollte ich also versuchen, ihm die Wahrheit zu sagen, wenn er doch bereits sein Urteil über mich gefällt hat?
Vor vier Jahren habe ich wirklich gedacht, zwischen uns wäre etwas – etwas ganz Besonderes. Aber in dieser Hinsicht habe ich mich getäuscht, genauso wie in ihm. Und trotzdem kann ich meine Gefühle für ihn selbst nach all der Zeit nicht hinter mir lassen und ihn schon gar nicht vergessen. Warum soll ich es mir antun, in den Skiurlaub zu fahren und ein ganzes Wochenende lang zusammen mit den zwei Pärchen, bestehend aus Kane und Olivia beziehungsweise Aiden und Blair, und dann auch noch Kayla, den zwei Brüdern von Blairs Freund und Asher auf einer Hütte eingepfercht zu sein? Ich fahre ja nicht mal Ski!
»Biiiiiiitteeeee«, jammert Kayla weiter. »Ich würde so gerne mit.«
»Nenn mir einen guten Grund, weshalb ich mitkommen sollte.«
»Asher wird da sein«, wiederholt sie ihre Aussage von zuvor und wieder zeigt sie mir dieses listige Grinsen.
»Er ist ein Grund, nicht zu fahren.«
»Ach komm schon. Ist dir nie aufgefallen, dass er dich immer unglaublich sehnsüchtig anstarrt?«
»Du meinst wohl, mich in der Absicht niederstarrt, mich mit Blicken zu töten. Hast du vergessen, wie demütigend das letzte Aufeinandertreffen gewesen ist?«, erwidere ich und kann nicht verhindern, dass es erneut in meiner Brust sticht. Asher ist ein wahrer Meister darin, mich bloßzustellen und mich fühlen zu lassen, wie unerwünscht ich bin.
»Okay, dann halt, weil du Urlaub brauchst und ich deine beste Freundin bin, der du keinen Wunsch abschlagen kannst?«, bettelt sie weiter.
Kayla ist es gewohnt, ihren Willen durchzusetzen. Ich sollte die Erste sein, die dem ein Ende setzt, aber mein masochistisches, selbstzerstörerisches Ich weiß, dass ich tief in meinem Inneren fahren will. Asher zu sehen, ist schmerzhaft, aber noch schmerzhafter ist es, ihn nicht zu sehen. Ob ich verrückt oder krank bin? Vielleicht, aber das denken sowieso schon alle von mir. »Welches Wochenende ist es noch mal?«
Kayla springt freudig quietschend auf. »In zwei Wochen, das letzte im Januar.«
»An dem Freitagvormittag habe ich noch eine wichtige Telefonkonferenz. Könntest du bitte klären, ob auf der Hütte die Internetverbindung stabil ist, damit ich notfalls von der Hütte aus arbeiten kann?«
»Keine Sorge, das ist sie. Du kennst doch Arbeitstier George, mittlerweile ist er zwar ruhiger geworden, aber vor zwei Jahren konnte er selbst im Urlaub nichts unerledigt liegen lassen.«
Ich nicke und seufze. »Nun, dann steht dem Wochenende wohl nichts mehr im Weg.«
Statt sich über meine Resignation zu freuen, dreht Kayla den Kopf zur Seite und betrachtet mich nachdenklich. »Weshalb sträubst du dich eigentlich so sehr? Bis auf Asher war nie jemand gemein zu dir. Warum ist er das überhaupt? Es gab doch mal eine Zeit, da habt ihr euch gut verstanden, oder nicht?«
»Warum, warum, warum? Darum! Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Du hast immerhin deinen Willen bekommen und ich komme mit.« Meine Reaktion Kayla gegenüber ist unfair, das weiß ich, aber ich kann mich ihr nicht erklären. Ich kann nicht offen zugeben, dass Asher ein Tabuthema für mich ist. Was soll ich ihr auch sagen? Asher und ich waren nach seiner Trennung von Sarah unzertrennlich. Endlich habe ich eine echte Chance für uns gesehen, aber dann habe ich herausgefunden, wer mein leiblicher Vater ist, und Asher hat dank der Medien die falschen Schlüsse daraus gezogen. Er hat mich von heute auf morgen fallen lassen und mich bei jedem Aufeinandertreffen entweder wie Luft oder wie Dreck behandelt. Wenn ich ihr das offenbaren würde, müsste ich noch mehr Dinge erklären. Etwas, wozu ich nicht bereit bin.
»Bist du jetzt extra hässlich zu mir, weil du glaubst, ich lasse dich dann in Ruhe?«, erwidert sie ernst. »Denkst du wirklich, ich wäre blind? Zwischen dir und Asher ist irgendetwas vorgefallen, warum vertraust du mir nicht und sagst mir, was los ist?«
»Ich vertraue dir, aber es gibt darüber nichts zu erzählen, also lass mich in Ruhe!« Mein Ton fällt harscher aus, als ich es will, doch ich kann nicht anders.
Einige Sekunden lang funkelt Kayla mich wütend an, doch dann wird ihr Blick weicher und sie lässt das Thema fallen. »Wusstest du, dass Blairs Freund so ein superschlauer Spieleentwickler ist?«
»Nein, aber ich kann mir vorstellen, dass sie gut zusammenpassen. So, wie ich sie in Erinnerung habe, ist sie ebenfalls ziemlich schlau.«
»Das stimmt. Was ich aber eigentlich damit sagen wollte, war: Wie können gleich alle drei Brüder so unglaublich heiß sein?« Kayla öffnet wieder Ethans Profil und durchwühlt die Einträge, die er für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. »Er ist nicht sehr viel älter als wir. Wenn ich Olivia richtig verstanden habe, leitet er das Bauunternehmen des Vaters. Wade ist ein Weltenbummler, eigentlich müsste er mich mehr reizen, aber das tut er aus irgendeinem Grund nicht.«
Zusammen mit Kayla schaue ich mir die restlichen Bilder an. »Vielleicht habe ich mich geirrt und Ethan ist doch ein netter Kerl, dennoch bin ich mir in einem Punkt sicher: Er wird kein handzahmer Kater sein«, äußere ich mich, nachdem wir ein Bild von Ethan entdeckt haben, auf dem er mit verwuschelten Locken in die Kamera grinst.
»Oh, das muss er auch nicht sein. Ich stehe auf Herausforderungen.«
Nun grinse ich doch. Allein um das Spektakel zwischen Kayla und Ethan mitzubekommen, muss ich mitfahren. Sie hat zwar großes Interesse an ihm, sollte er jedoch ebenfalls welches zeigen, wird sie es ihm in jedem Fall nicht leicht machen. Es dürfte also unterhaltsam werden. Tief in meinem Inneren freue ich mich am meisten auf das Wiedersehen mit Asher. Und das ist dumm, sehr dumm von mir!
Asher
»Du bist bei dem Skiwochenende dabei, oder?«
Ich blicke auf und sehe in das Gesicht meines Freundes. Kane und seine Frau Olivia – oder vielmehr Olivia und ihre Freundin Blair – planen einen Wochenendtrip in den Schnee, zu dem ich ebenfalls eingeladen bin. »Bisher schon, warum?«
»Nur so. Liv will die Zimmer verteilen und sichergehen, dass alles passt.«
Ich runzle die Stirn und lege den Artikel, den ich lese, beiseite. »Ist Georges Lodge nicht so ein großes, dickes Ding?«
»Ja, aber einige Zimmer werden renoviert, sodass nur sieben zur Verfügung stehen.«
»Und die sollen nicht ausreichen?«
»Doch, aber die Brüder von Blairs Freund kommen auch … ebenso Kayla und Naomi.«
Ich schlucke; diese Neuigkeit muss erst mal sacken. »Pest und Cholera kommen auch?«, frage ich mit rauer Stimme.
»Nenn sie nicht so!«, fährt Kane mich an.
»Okay, Kayla und Elsa kommen auch?« Kane weiß, dass ich mit Elsa Naomi meine. Sie sieht nicht nur wie die Eiskönigin aus dem Disney-Film aus, den meine Nichte Ana liebt, sondern ist genauso kalt.
Missfallend schnaubt er, antwortet aber dennoch: »Ja, Blair und Liv sind auf die fixe Idee gekommen, Amor zu spielen.«
Amor spielen? Die zwei unbekannten Brüder sollen mit Kayla und Elsa verkuppelt werden? Ich gebe es nicht gerne zu, aber ich will nicht sehen, wie Elsa mit einem anderen Kerl zusammengebracht wird. »Und welche Rolle habe ich dabei?«
»Falls du damit fragen willst, wer für dich vorgesehen ist - keine«, stößt Kane genervt aus.
»Gut, für ein bisschen Wintersport und ein paar gesellige Stunden vor dem Kamin bin ich nämlich zu haben, aber ich habe kein Interesse an einer Frau, und schon gar nicht an Kayla oder Elsa. Nichts für ungut.«
Genau,Asher, mach dir selbst etwas vor, höhnt eine innere Stimme.
»Ich kann Liv also eine feste Zusage geben?«
»Ja, das habe ich doch gerade gesagt.« Ich bin ein wenig genervt, denn ich habe Naomi für einige Zeit aus meinen Gedanken vertreiben können, doch jetzt wird sie mir bis zu unserem Wiedersehen nicht mehr aus dem Kopf gehen.
»Kann ich mich darauf verlassen, dass du kein Theater mit Naomi anfängst?«
Ich schlucke und fühle mich schuldig. Es gab Zeiten, in denen ich gedacht habe, dass sie zum wichtigsten Menschen in meinem Leben werden könnte, und das kurz nach einer hässlichen Trennung. Aber dann habe ich Dinge über sie erfahren … unverzeihliche Dinge, die sich wie Verrat und Betrug für mich angefühlt haben, sodass ich sie von mir gestoßen und nie wieder an mich herangelassen habe. Eigentlich lächerlich, immerhin sind wir nie zusammen gewesen. Wir haben uns ja nicht mal geküsst und dennoch … Bevor ich mich in den Tiefen meiner Gedanken verirren kann, schüttle ich den Kopf und beantworte gleichzeitig Kanes Frage. »Ja, kannst du. Das beim letzten Mal ist ein wenig ausgeartet. Ich kann nicht versprechen, dass ich nett zu ihr sein werde, aber ich werde mich bemühen.«
»Pranger sie bloß nicht wieder als Goldgräberin an, darauf wird nicht nur Kayla allergisch reagieren, sondern auch Liv. Es ist ein Wunder, dass Naomi dir nicht selbst an den Hals gesprungen ist. Ich an ihrer Stelle hätte dich schon längst windelweich geprügelt.«
»Warum soll man sich über etwas aufregen, das der Wahrheit entspricht? Jemand, der einen mehr als doppelt so alten Knacker ranlässt und nach dessen Tod Hunderte Millionen erbt, ist eine Goldgräberin. So lautet tatsächlich die Definition.«
»Du bist ein Arschloch!« Kane ist sichtlich genervt.
»Nur weil das meine Meinung ist?«
»Lassen wir das. Behalte deine Meinung an dem Wochenende einfach nur für dich.«
»Sonst was?« Ich ärgere mich, dass dieses Luder Spannungen zwischen Kane und mir auslöst. Reicht es nicht, dass ich genau weiß, wie mies sie ist, und trotzdem unserer gemeinsamen Zeit hinterhertrauere?
»Sonst nichts, Asher. Du bist mein bester Freund und ich stehe hinter dir, aber ich will auch nicht, dass du Liv und Blair das Wochenende versaust.«
Seufzend lasse ich die Schultern hängen. »Ich versaue niemandem das Wochenende, versprochen.« Und das meine ich auch so. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, freue ich mich sogar, Naomi wiederzusehen. Es ist eine Art Hassliebe, und die treibt mich seit jeher in den Wahnsinn. Ich will sie nicht wollen und tue es trotzdem. Ob es ihr Aussehen ist? Möglich, dabei ist sie nicht mal mein Typ. Ich stehe auf kleine zierliche Frauen; Naomi ist zwar schlank, aber so groß wie eine Amazone. Vielleicht kann ich nicht von ihr lassen, weil ich damals so kurz davor gewesen bin, sie zu bekommen, und es dann doch nicht dazu gekommen ist. Quasi so ein komischer, verdrehter Ansporn, weil ich ein schlechter Verlierer bin. Das versuche ich mir zumindest einzureden. Tatsächlich ist es aber so, dass ich sie vermisse, die Naomi, die ich nach der Trennung von meiner Ex an mich herangelassen habe; die mein Herz dazu gebracht hat, langsam zu verheilen, nur damit sie es mir dann endgültig herausreißen und zum Frühstück verspeisen konnte. Ja, das ist die traurige Wahrheit, nach außen bin ich der lustige, immer gut gelaunte und glückliche Asher. Manchmal ein wenig chaotisch und vergesslich, aber dennoch verlässlich. In meinem Inneren sieht es aber anders aus. Naomi hat mein Herz gefrieren lassen … Elsa ist daher ein durchaus passender Name.
»Gut, wenn du willst, kannst du jemanden mitbringen, sofern der jemand, oder besser gesagt, sie, sich mit dir das Zimmer teilt.«
»Es gibt niemanden.« Nach Sarah beziehungsweise nach Naomi habe ich mich nie wieder auf eine Frau einlassen können. Ich date und habe gern Sex, aber mehr nicht. Meine letzte Affäre ist schon eine Weile her, sodass ich keine Begleiterin habe, die ich mitnehmen könnte, geschweige denn wollte. Eigentlich gibt es nur eine Person, die ich will, aber bevor ich dem Drang ein weiteres Mal nachgebe, gefriert eher die Hölle!
Naomi
»Okay, ja, dann machen wir das so. Gut, halt mich auf dem Laufenden.« Ich beende das Gespräch mit meinem Produzenten und versuche, meine verkrampften Schultern zu entspannen. Gedankenverloren massiere ich die schmerzende Stelle und beobachte Asher durch mein Zimmerfenster. Bloß mit Jeans und einem weich aussehenden Holzfällerhemd bekleidet, steht er im Hof der Lodge und hackt seit geraumer Zeit Holz.
Kayla und ich sind schon vor mehreren Stunden angekommen, zu dem Zeitpunkt war Asher nicht da, sodass ich ihm bisher nicht gegenübergestanden habe. Doch selbst auf diese Entfernung lässt sein Anblick mein Herz höherschlagen. Gleichzeitig habe ich Angst. Wird er mich wieder mit diesen vorwurfsvollen Blicken ansehen oder mich sogar verspotten? Ich seufze und setze mich auf die Fensterbank. Es ist ein komisches Gefühl, ihn ohne sein Wissen zu beobachten, trotzdem kann ich meine Augen nicht von ihm wenden. Er sieht gut aus, verändert im Vergleich zum letzten Mal, aber immer noch wie Asher. Der Vollbart steht ihm, ebenso die langen Haare. Sie sind nicht zu lang, aber doch länger als früher, und anders als man sie für einen erfolgreichen Geschäftsmann für angemessen halten würde. Aber so ist er seit jeher gewesen - ein Freigeist, der auf Konventionen einen feuchten Kehricht gibt. Und genau deshalb schmerzt seine Ablehnung mich so. Er ist keiner dieser Schwarz-Weiß-Denker und hätte mir daher wenigstens die Chance zu einer Erklärung geben sollen, aber das hat er nicht und wird es nie tun.
Sehnsucht überkommt mich. Er hackt seit über einer Stunde Holz, und ebenso lange beobachte ich ihn. Mein Verhalten gleicht dem eines Spanners. Es ist nicht richtig, und dennoch starre ich ihn ununterbrochen an – kann meinen Blick nicht von ihm abwenden. Es juckt mich in den Fingern, durch seine Haare zu fahren. An den Seiten, wo er einen modischen Undercut hat, wird sein Haar weich sein, das Deckhaar dafür seidiger. Gerade hat er es nach hinten gegelt, aber ich frage mich trotzdem, ob er in seiner Freizeit einer dieser Man-Bun-Träger ist. Die Frisur steht nicht jedem, aber Asher sicher schon.
Ich beobachte, wie er sich mit einer behandschuhten Hand durchs Haar fährt und es dabei zerzaust. Unwillkürlich reagiert mein Körper auf ihn. Asher mag hässlich zu mir gewesen sein, mein Herz hat dennoch nie aufgehört, für ihn zu schlagen. Wahrscheinlich wird sich daran nie etwas ändern.
Es vergehen weitere Minuten, in denen ich ihn betrachte. Irgendwann knurrt mein Magen. Ich schaue auf die Uhr und sehe, dass es nach drei ist. Da die anderen erst am späten Nachmittag von der Piste zurückkommen werden, werden Asher und ich bis dahin allein sein. Überhaupt frage ich mich, warum er nicht mit ihnen gefahren ist, sondern so viel Holz hackt, als würden wir die nächsten Wochen hier verbringen müssen.
Mit einem letzten wehmütigen Blick auf ihn wende ich mich vom Fenster ab und gehe nach unten in die Küche. Da wir heute Abend gemeinsam essen gehen wollen, belege ich bloß Sandwiches und schnipple Obst. Ich weiß zwar nicht, ob Asher meine Geste, ihm einen Snack zubereitet zu haben, annehmen wird, dennoch tue ich es. Mir etwas zu essen zu machen, ohne an ihn zu denken, erscheint mir herzlos. Immerhin hat es zwischen uns mal andere Zeiten gegeben. Bei dem Gedanken wird mir wieder schwer ums Herz, und ich frage mich, ob es vielleicht doch eine schlechte Idee gewesen ist, herzukommen.
Gerade als ich die Teller auf der Kücheninsel abgestellt habe, öffnet sich die Tür und Asher kommt herein. Seine Haare sind vom Wind zerzaust und sein Gesicht ist leicht gerötet, ob von der Kälte oder der Anstrengung, kann ich nicht sagen. Es braucht einige Sekunden, bis er mich bemerkt, doch seine Reaktion ist eindeutig. Er reißt überrascht die Augen auf, als hätte er mich hier nicht erwartet. Wusste er nicht, dass ich ebenfalls eingeladen wurde?
»Asher …«, bringe ich mit plötzlich trockenem Mund über die Lippen und will mich prompt dafür ohrfeigen, weil ich absolut dämlich klinge.
»Hallo, Naomi.« Immer noch starrt er mich an, wendet sich dann jedoch ab und zieht Stiefel und Handschuhe aus.
Ein wenig verlegen, aber vor allem ratlos, stehe ich am Tresen. Nun doch verunsichert, starre ich das belegte Toastbrot auf dem Teller an, reiße mich aber zusammen und halte ihn Asher entgegen.
»Ich hatte Hunger und habe einen kleinen Snack vorbereitet. Für dich habe ich auch ein Sandwich geschmiert, Käse und Schinken mit Salat und Tomate … Ich hoffe, es ist noch so, dass du Senf lieber magst als Mayonnaise.«
Asher sieht mich an, als wäre ich verrückt. Enttäuscht will ich den Teller wegstellen, doch er kommt mir zuvor und nimmt ihn mir ab.
»Käse, Schinken, Salat, Tomate und Senf – keine Mayonnaise und keine sauren Gurken«, wiederholt er die Zutaten seines Lieblingssnacks. Nachdenklich betrachtet er erst das Brot und blickt dann zu mir. Sofort keimen alte Gefühle wieder in mir auf. Mir ist klar gewesen, dass sie immer noch da sind, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass sie so schnell und intensiv hochkommen würden.
»Danke.« Er deutet auf den Tresen und beäugt die Äpfel. »Wenn ich dir verrate, wo die richtig guten Cookies versteckt sind, bekomme ich dann auch davon welche ab?«
Ist das seine Art eines Friedensangebots? Will er mit mir zusammen essen? Auf jeden Fall scheint er nicht vergessen zu haben, dass ich Cookies liebe.
»Du holst die Cookies und ich schenke uns noch zwei Gläser Milch ein«, antworte ich schnell, aus Angst, er könnte seine Worte zurücknehmen.
»Klingt fair.« Genussvoll beißt er in sein Sandwich, stellt dann aber den Teller ab, um in die Vorratskammer zu gehen und die süßen Sünden mit weißer Schokolade und Cranberrys herauszuholen.
Schweigend kommt er zurück und legt die Schachtel zwischen uns. In einvernehmlichem Schweigen essen wir unsere Sandwiches, teilen uns das Obst und die Kekse. Es erstaunt mich, als er, genau wie früher, ganz selbstverständlich die übrig gebliebene Hälfte meines Brotes nimmt und es im Nu verputzt. Ich habe nie aufgegessen, sondern meine Reste immer ihm überlassen. Allein die Erinnerung daran zaubert ein feines Lächeln auf meine Lippen und Hoffnung keimt in mir auf. Können wir vielleicht doch endlich die alte Geschichte hinter uns lassen oder sie sogar klären? Es ist zumindest das erste Mal nach über vier Jahren, dass ich bei ihm keine Feindseligkeit spüre.
»Warst du schon im Schnee?«, fragt er, ohne mich anzuschauen.
Ich versuche, nicht zu viel in seine Gesprächigkeit hineinzuinterpretieren, dennoch frage ich mich, ob er sich daran erinnert, wie sehr ich Schnee liebe.
»Nein, ich musste … ich hatte noch zu tun.«
Er blickt auf und bedenkt mich wieder mit diesem nachdenklichen und gleichzeitig nichts verratenden Blick. »Um auf die Piste zu gehen, ist es schon zu spät, aber ich wollte mich hier ein wenig umschauen …?«
Im ersten Moment will ich nur ein dümmliches Aha von mir geben, realisiere dann jedoch, dass er mich indirekt eingeladen hat, ihn zu begleiten. Oder etwa nicht? Ich habe Angst, dass er mich zurückweist oder ich den Frieden zwischen uns überstrapaziere, dennoch ringe ich mich zur Nachfrage durch: »Darf ich mitkommen?«
Es vergehen Sekunden, in denen seine Antwort ausbleibt. Meine Schultern sacken herab und ich kann seinem Blick nicht länger standhalten.
»Zieh dich warm an, ich will in zwanzig Minuten los.« Mit diesen Worten verschwindet er nach oben und lässt mich allein. Ich kann mein Glück kaum fassen, am liebsten würde ich in Jubel ausbrechen. Stattdessen stürme ich lächelnd auf mein Zimmer und ziehe mich um – ich kann gar nicht schnell genug wieder nach unten kommen.
Asher
Bin ich vollkommen irre? Habe ich Naomi wirklich eingeladen, mit mir in den Schnee zu gehen? Wie es dazu gekommen ist, kann ich mir nicht erklären, aber als ich sie vorhin das erste Mal nach Monaten wiedergesehen habe und dabei allein mit ihr gewesen bin, hat mir mein Innerstes vorgegaukelt, es wäre alles wieder wie früher. Sie weiß sogar noch, wie ich mein verdammtes Sandwich am liebsten mag. Aufgeregt, aber hauptsächlich sauer auf mich selbst, steige ich unter die Dusche und wasche mir schnell den Schweiß der harten Arbeit ab. Zu doof, dass ich beim Streichholzziehen das kürzeste gezogen habe und zurückbleiben musste. Auf der anderen Seite wäre ich sonst nicht mit Naomi hier. Ob diese Tatsache jetzt gut oder schlecht ist, kann ich nicht sagen.
Während ich mich dusche, grüble ich weiter und versuche, meinen vor Erregung schmerzenden Schwanz zu ignorieren. Ich musste bloß ihren vertrauten Duft riechen und habe sofort einen Ständer bekommen. Mein Schwanz hat, seit ich sie nach all der Zeit wiedergesehen habe, ein Eigenleben entwickelt und bleibt, obwohl ich nicht auf sie reagieren will, steif. So lange wie möglich zögere ich es heraus, meine Eier und mein Glied zu berühren. Irgendwann seife ich jedoch auch sie ein, und spätestens jetzt wird mir klar, dass meine beschissene Erektion nicht einfach so verschwinden wird. Allein das kurze Gleiten meines Schafts durch meine vom Duschgel glitschige Hand lässt meinen ganzen Körper erschaudern. Mein Becken drängt sich meiner Faust entgegen, und ich stöhne gequält und gleichzeitig lustvoll auf. Ich hasse mich dafür, dass ich mich nach ihr sehne, trotzdem kann ich nicht anders, als meine Hoden mit einer Hand zu umschließen und sie sanft zu kneten, während meine andere Hand sich fest um meinen schmerzenden Schwanz legt und ihn reibt. Wie würde Naomi reagieren, wenn sie wüsste, dass ich mir bei dem Gedanken an sie einen runterhole? Wäre sie angewidert oder würde es sie heißmachen? So heiß, dass sie sich ebenfalls berühren oder sogar ihre Lust an mir befriedigen wollen würde? Sofort stelle ich mir vor, wie ich in ihre bereits feuchte Pussy eindringe. Erst langsam, damit sie sich an die Größe meines Schwanzes gewöhnen kann, doch dann würde ich immer schneller und härter in sie stoßen, würde sie zum Stöhnen, Wimmern und Betteln bringen, sie so lange ficken, bis wir beide vergessen hätten, dass uns eigentlich nichts mehr miteinander verbindet. Mein Schaft gleitet unkontrolliert in meiner zur Faust geballte Hand vor und zurück, und ich nähere mich rasend meinem Höhepunkt. Wütend über meine Lust und die Tatsache, dass diese Fantasie niemals Realität werden wird, stoße ich ein letztes Mal in meine Faust und komme so explosionsartig zum Orgasmus wie seit Langem nicht mehr. Eine Erkenntnis, die mich nur noch wütender auf sie und mich selbst macht. Ich verachte Naomi für das, was sie getan – mir angetan – hat. Und dennoch will mein Schwanz unbedingt in ihr sein. Allein der Gedanke daran, wie sich ihre Pussy um mich zusammenziehen und wie ich hart und tief in sie stoßen würde, beschert mir fast sofort wieder einen Ständer. Ja, Naomi würde mit meiner rohen, wilden Leidenschaft und Gier nach ihr umgehen können, es wahrscheinlich sogar noch härter und schmutziger wollen, und trotzdem wird es niemals dazu kommen. Warum müssen die heißesten und perfektesten Frauen gleichzeitig die kränksten und hinterhältigsten Miststücke sein?
Fluchend krame ich Mütze und Schal aus meinem Koffer, ziehe sie an und gehe nach unten. Ich habe angenommen, dass sie auf sich warten lassen würde, aber tatsächlich steht Naomi bereits vor der Tür und schaut erwartungsvoll zur mir auf. Unauffällig mustere ich sie und gebe es nur ungern zu, aber sogar dick eingepackt in ihren roten Mantel, den schwarzen Schal und die Mütze, sieht sie toll aus. Auch diese beschissenen Yeti-Boots, die alle Frauen tragen, sehen an ihr stylisch und nicht bescheuert aus. Ich hasse es und will es mir nicht eingestehen, aber allein ihr Anblick lässt mein Herz höherschlagen. Selbst die Geschehnisse und die Zeit, die seit dem, was zwischen uns war oder hätte sein können, vergangen ist, ändern nichts an meiner Reaktion auf sie. Das, aber auch die Tatsache, dass sie sich im Moment wie die Naomi von damals verhält, nur ein wenig schüchterner, machen mich nervös. Wütend auf die Welt, Naomi, aber vor allem mich, stapfe ich an ihr vorbei und schlage den direkten Weg zu einem See ein, der sich, meiner Erinnerung nach, circa einen Kilometer nördlich von hier befindet. Sollte ich Naomi mit meinem Verhalten vor den Kopf gestoßen haben, lässt sie sich nichts anmerken, sondern schließt schnell zu mir auf.
Einige Zeit gehen wir schweigend nebeneinander her und genießen die Landschaft und die frische Luft. Gemeinsam im Schnee zu spazieren, fühlt sich richtig an und in keiner Weise verkrampft oder unangenehm – selbst mein Unmut ist plötzlich verpufft. Gerne würde ich mit ihr sprechen, finde aber einfach keinen Ansatz. Ich könnte sie fragen, wie es bei der Arbeit aussieht, aber dann würde sie mir erzählen, wie es in dieser verfickten Pornoproduktionsfirma läuft, die sie sich erschlichen hat, und das würde die Stimmung kaputtmachen. Allein der Gedanke, dass sie diesen alten Sack mir vorgezogen hat, stößt mir schon wieder bitter auf. Ich hätte ihr doch auch alles bieten und jeden Wunsch von den Augen ablesen können. Warum hat sie dann ihn gewählt und nicht mich? Ich will es nicht zugeben: Der Grund, aus dem Sarah mich damals verlassen hat, schmerzte tief, das Ausmaß und die Erkenntnis ebenfalls. Aber das, was Naomi mir angetan hat – mich einfach zurückzulassen, obwohl sie wusste, wie wichtig sie mir geworden war; dass sie einen Anker für mich dargestellt hat –, ist noch viel schmerzhafter gewesen und hat mich geprägt. Es tut selbst nach all den Jahren immer noch weh. So sehr, dass ich in meinem tiefsten Inneren ein verbitterter Krüppel bin und nicht der charmante, stets lustige Asher, den alle zu kennen glauben.
Plötzlich lässt Naomi sich rücklings in den Schnee fallen und bewegt liegend Arme und Beine. Es dauert einen Moment, bis ich aus meinen deprimierenden Gedanken herausgefunden habe, doch dann erkenne ich, dass sie einen Schneeengel macht. Sofort sind jegliche Rachsucht oder Boshaftigkeit verschwunden und ich muss lächeln. Ich weiß, ich bin ein wenig wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, aber dieser Anblick berührt etwas in mir.
Damals, während des Winters, in dem wir uns nähergekommen sind, hat sie auch immer Schneeengel gemacht. Die Erinnerung an ihre pure Freude hat mich trotz meines anhaltenden Grolls dazu gebracht, es meiner vierjährigen Nichte Ana letzte Weihnachten beizubringen.
Kichernd und seufzend springt Naomi auf und schmeißt sich ein Stück weiter wieder in den Schnee. Es tut gut, sie so unbeschwert zu sehen; für einen kurzen Augenblick sind alle Hemmungen und Mauern verschwunden, sodass ich mich neben sie in den Schnee fallen lasse und ebenfalls einen engelhaften Umriss in die weiße Schneedecke mache. Selbst in ihr Lachen falle ich mit ein. Ich fühle mich frei und gut - einfach glücklich. Ja, ich bin in diesem Moment tatsächlich glücklich.
»Danke, dass du mich mitgenommen hast. Das brauchte ich. Es tut mir leid, falls ich dir zu albern sein sollte.«
Naomis Wangen sind gerötet und ihre Augen strahlen. Wann habe ich sie das letzte Mal so gesehen? Nicht nur mein Körper reagiert auf sie, sondern auch mein Herz. Meine Fingerspitzen kribbeln, ich will sie berühren, zu mir ziehen und sie küssen. Wie es wohl wäre, sie zu küssen? Wie würde sie schmecken? Ich habe mir jahrelang diese Gedanken verboten, und dass sie sich nun so problemlos in meinem Kopf einnisten, erschreckt mich. Eigentlich hasse ich Naomi doch, oder?
»Ich habe eine vierjährige Nichte. Albern ist ihr zweiter Vorname, ich bin also abgehärtet«, erwidere ich und habe meine irritierenden Gefühle zum Glück kurz darauf wieder unter Kontrolle.
»Wie schnell die Zeit vergangen ist! Als du mir das letzte Mal von Ana erzählt hast, war sie noch ein Baby.« Mit einem Blick, den ich nicht deuten kann, sieht sie mich an. »Wie geht es ihr? Wird sie nicht sogar bald schon fünf?«
Ich nicke. »Nächsten Monat. Du würdest ihr gefallen. Sie liebt Elsa, und du siehst nicht nur wie sie aus, sondern hast wohl allgemein viel mit ihr gemeinsam.«
»Was denn zum Beispiel? Das kalte Herz oder die Tatsache, dass alle Menschen um mich herum mich als Hexe und Monster sehen?«, fragt Naomi und schaut mich mit störrischem und gleichzeitig traurigem Blick an.
Plötzlich tut es mir leid, sie in der Vergangenheit immer wieder beleidigt zu haben. Gerade habe ich es jedoch tatsächlich in keinerlei Hinsicht böse gemeint. Dennoch sind der Frieden und der Moment zwischen uns zerstört. Bevor ich mich für mein unsensibles Verhalten entschuldigen kann, hat Naomi sich schon auf die Beine gekämpft.
»Mir ist kalt, ich werde zurückgehen«, verkündet sie, ohne mir in die Augen zu schauen.
Ich will sie aufhalten, ihr sagen, dass es mir leidtut. Letztendlich stehe ich aber bloß da und sehe dabei zu, wie sie mit hängenden Schultern den langen Weg zur Hütte zurückgeht.
Frustriert reibe ich mir mit den Händen übers Gesicht. Das hast du echt super hinbekommen, Asher!
Naomi
Cholera, Elsa, Eiskönigin … Jede dieser Bezeichnungen tut mir weh. Hat sich überhaupt irgendjemand jemals Gedanken darüber gemacht, weshalb jemand so ist, wie er ist? Warum ich zurückhaltend und meist verschlossen bin? Dass ich nicht arrogant oder hochnäsig, sondern einfach nur einsam bin - mich aus Angst, verletzt und wieder abgewiesen zu werden, schützen will? Kayla ist meine älteste und einzig wahre Freundin. Mit ihr habe ich die gesamten Höhen und Tiefen meines Lebens durchlebt. Für eine Weile habe ich gedacht, dass Asher ebenfalls ein wichtiger Mensch in meinem Leben werden würde, aber das wurde er nicht. Letztlich hat mich mein Vater John wohl am meisten geliebt, doch er ist gestorben, bevor wir all die verlorenen Jahre nachholen und meine Wunden heilen konnten. Ich kann also die Menschen, denen ich wirklich etwas bedeute, an einer Hand abzählen. Bin ich erbärmlich, weil ich mich allein fühle und nach Liebe sehne? Aus Angst davor, wieder weggestoßen zu werden, aber lieber einsam bleibe? Möglich, doch was spielt das für eine Rolle? Jeder denkt doch sowieso über mich, was er will.
Wir essen in einem der besten Restaurants des Ortes zu Abend und dennoch stochere ich ohne Appetit in meinen Ofenkartoffeln herum. Selbst der köstliche Duft des Rinderfilets mit den scharf angebratenen Pilzen und den Zwiebeln kann mich nicht davon überzeugen, zu essen.
»Morgen kommst du aber mit auf die Piste?«, fragt mich Wade. Er hält bereits den ganzen Abend das Gespräch mit mir aufrecht. Er ist nett zu mir, und das tut gut.
»Ich fahre ehrlich gesagt nicht so gerne Ski. Rodeln ist eher mein Ding oder Schneemobil fahren.«
»Das geht mir ähnlich, ich bevorzuge auch eher das Snowboard. Skifahren kommt mir so schickimicki vor.«
»Schickimicki? Dieses Wort habe ich ewig nicht mehr gehört.« Zu meiner Überraschung bringt er mich damit zum Lachen.
»In welcher Welt lebst du?«, neckt er mich.
»Scheinbar in einer, in der das Wort schickimicki außer Mode ist und wo man nur schickimicki ist.«
»Die Hauptsache ist, dass du dich nicht wie eine Schickimicki-Tante verhältst.« Lächelnd schiebt er sich ein blutiges Stück Steak in den Mund. »Erzähl mir ein bisschen über dich. Was machst du außer Rodeln und Schneemobilfahren sonst noch gerne?«
Er zeigt Interesse an mir, ehrliches Interesse, und das freut mich. Die Frage ist jedoch, will ich ihm sagen, was mich glücklich macht?
»Ich reise viel«, antworte ich ein wenig ausweichend. »Ansonsten eben die üblichen Sachen.«
»Falls du die Geheimnisvolle spielen willst, um meine Neugier zu wecken – das hast du bereits«, witzelt Wade. »Aber gut, dann fange ich an. Ich zeichne gerne, bin - wie nicht anders zu erwarten – Gamer und Comic-Fan. Ich bin viel und gerne unterwegs, mache auf meinen Reisen Fotos und lasse mich vom Leben inspirieren.«
»Der typische Herumtreiber also. Wir sind uns scheinbar gar nicht so unähnlich.« Mit nun doch ein wenig Appetit schneide ich ein Stück Filet ab und esse, während Wade fortfährt, mir seine Lebensgeschichte zu erzählen. Ich bin ihm dankbar, denn er ist liebenswert, aber eher wie ein kleiner Bruder. Unauffällig lasse ich meinen Blick schweifen. Alle anderen scheinen ebenfalls in Gespräche verwickelt zu sein, wobei Kayla und Ethan eher balzen als miteinander zu reden. Mein Gesicht beginnt plötzlich zu prickeln und ich schaue auf. Asher starrt mich mit bitterböser Miene an, und ich weiß wieder mal nicht, weshalb. Eigentlich müsste ich ihn mit Blicken erdolchen, immerhin hat er mich vorhin beleidigt und nicht ich ihn. Einige Sekunden erwidere ich sein Starren, doch dann konzentriere ich mich wieder auf Wade.
»Sag Bescheid, wenn du das nächste Mal Lust auf Surfen hast, ich bin gerne am Meer«, antworte ich, aber eigentlich nur, um Asher eins auszuwischen. Ich weiß, mein Verhalten ist kindisch, aber es ist ebenso kindisch von Asher, uns zu belauschen. »Was wohl auch gleichzeitig einen Teil deiner Frage beantwortet. Ich mag das Meer und Wassersport, obwohl ich eigentlich eher ein Schneemensch bin.«
»Weißt du, was du am dringendsten über unsere Eisprinzessin wissen solltest? Sie verdient ihr Geld mit der Produktion von Pornos. Die Firma hat sie von einem alten Sack geerbt und sie stand deshalb sogar unter Mordverdacht. An deiner Stelle würde ich also aufpassen, wen du dir da ins Bett holen willst«, eröffnet Asher und lächelt Wade dabei gehässig an.
Seine Worte sind wie ein Messer, das er mir mit jedem Satz tiefer in mein Herz stößt. Selbst für Ashers Verhältnisse ist das ein Schlag unter die Gürtellinie gewesen. Plötzlich nehme ich alles um mich herum nur noch durch einen Nebel wahr und realisiere nur verschwommen, wie mein Stuhl knallend zu Boden fällt und ich auf den Ausgang zulaufe. Tränen verschleiern mir die Sicht, und ich stoße mit dem Arm schmerzhaft gegen den Türrahmen, aber das hinter mich nicht daran weiterzugehen. Wichtig ist bloß, dass ich hier rauskomme - weg, ganz weit weg.
Erst einige Meter vom Steakhaus entfernt, komme ich zum Stehen. Mein Atem geht keuchend und meine Lunge brennt, aber es ist mein Herz, das schmerzt. Zu ahnen, dass Asher mich verabscheut, ist das eine, aber zu hören, wie wenig er wirklich von mir hält, ist noch um vieles schlimmer. Müsste er mich nicht besser kennen? Wissen, dass ich mehr bin als ein nettes Anhängsel, vor allem mehr als eine Erbschleicherin und Mörderin? Ich wollte das Erbe nicht, auch wenn es mir rechtlich zustand. Was also hätte ich machen sollen? Das Geschenk des Mannes mit Füßen treten, der mich bedingungslos und von Herzen geliebt hat? Ihm so danken, dass er mir nach all den Jahren den Halt gegeben hat, den ich so vorher nie gekannt habe?
»Naomi, komm zurück! Es ist scheiße kalt hier draußen, du holst dir noch den Tod!«, flucht Asher ungehalten hinter mir und stampft durch den Schnee auf mich zu.
Er kommt mir nach? Doch selbst wenn, mittlerweile ist sogar meine selbstzerstörerische Schmerzgrenze erreicht. »Willst du das denn nicht? Wünschst du dir nicht genau das? In deinen Augen bin ich doch sowieso nichts wert. Noch nicht mal einen Funken Toleranz verdiene ich deinem Verhalten nach. Geschweige denn, dass du Respekt mir gegenüber hast. Macht es dir Spaß, mich immer wieder vor allen und jedem so niederzumachen? Was zum Teufel habe ich dir getan?« Ich drehe mich zu ihm um, mir ist egal, dass er sieht, wie sehr er mich verletzt hat.
Gerade mahlt er noch mit den Zähnen, doch im nächsten Moment überzieht tiefe Trauer sein Gesicht. »Fuck!«, schreit er. »Es gab Zeiten, da hast du das Beste aus mir herausgeholt. Mittlerweile zerrst du immer wieder das Monster in mir hervor!«
Sprachlos starre ich ihn an. Was will er mir damit zu verstehen geben?
»Es tut mir leid, ich hätte das nicht sagen sollen«, gibt er leise, aber deutlich zu.
»Warum tust du es dann?« Es beginnt zu schneien und ein Schauer überkommt mich.
»Ich weiß es nicht, zum Teufel. Ich kann einfach nicht anders.« Er weicht meinem Blick aus und dennoch ist mir klar, dass Asher nicht die volle Wahrheit sagt; er verbirgt etwas vor mir. »Können wir es nicht einfach dabei belassen? Ich sage es noch mal, es tut mir ehrlich leid, ich hätte das nicht sagen sollen. Bitte komm mit mir zurück ins Warme.«
»Hey, ist alles okay bei euch?« Wade kommt auf uns zu und reicht mir meinen Mantel und meine Tasche.
Erneut sehe ich, wie Asher mit dem Kiefer mahlt. Was ist bloß los mit ihm?
»Alles okay, ich möchte bloß zurück auf die Hütte und ins Bett«, antworte ich matt.
»Dann lass uns fahren, ich bringe dich«, bietet Wade sofort an und klingt ernsthaft besorgt.
»Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß, ich bringe Naomi zurück«, mischt sich Asher wieder ein.
»Ich lasse Naomi ganz sicher nicht mit dir Arschloch allein.«
»Ich sag’s dir noch mal: Naomi geht dich einen Scheiß an!«
Wie zwei aufgeblasene Gockel stehen sie voreinander und fechten einen Kampf mit Blicken aus. Es würde mich nicht wundern, wenn sie sich als Nächstes sogar prügeln würden.
»Es wäre sehr nett, wenn du mich zurück zur Lodge bringst, Wade«, beende ich letztendlich die Auseinandersetzung zwischen ihnen und ignoriere Asher. Ich weiß auch ohne zu hinzuschauen, dass er vor Wut regelrecht schäumt, aber das ist sein Problem, ich habe im Moment für weitere Streitereien mit ihm keine Kraft mehr. Ohne zurückzuschauen, gehe ich zum Parkplatz und steige in Wades Pick-up.
Wir haben die halbe Strecke zurückgelegt, als Wade das Wort ergreift: »Was war das vorhin? Bin ich ihm ins Gehege gekommen? Seid ihr irgendwie zusammen oder so?«
Ich stoße ein bitteres Lachen aus. »Nein, wie du gehört hast, sind wir weit davon entfernt.«
Wieder schweigt er eine Weile. »Wenn er gekonnt hätte, hätte Asher dich angepinkelt und als die Seine markiert. Das, was er gesagt hat, war wirklich hässlich und sicher auch sehr verletzend, aber ich habe ihn beobachtet. Ihm hat es nicht gefallen, dass wir uns gut verstehen. Er ist regelrecht vor Eifersucht explodiert.«
»Sollen wir die Plätze tauschen? Muss ich den restlichen Weg zurückfahren? Du scheinst nämlich zu viel Bier getrunken und nun Halluzinationen zu haben, anders kann ich mir nicht erklären, wie du auf so einen Unsinn kommst - Asher hasst mich!«
»Selbst wenn er das wollte, er kann es nicht. Ich erkenne, wenn Männer Anspruch auf eine Frau erheben, und das hat er. Seine Art, das umzusetzen, ist daneben, aber er hat mich in meine Schranken verwiesen. Was auch immer also zwischen euch abgeht und ganz egal, wie krank der Scheiß ist, das mit euch ist noch lange nicht vorbei.«
Wades Worte bringen mich zum Grübeln. Er muss sich irren. Asher ist weder eifersüchtig noch erhebt er in irgendeiner Art und Weise Anspruch auf mich - wie dämlich ist der Ausdruck überhaupt?
Asher
Ich schäume vor Wut. Sie lässt mich stehen? Schon wieder, ist das ihr Ernst? Fuck! So ein verdammter Drecksscheiß!
Wäre ich nicht so stinksauer darüber, dass sie mit diesem Wichser abgehauen ist, würde ich mir eingestehen, dass nichts anderes zu erwarten gewesen ist. Immerhin habe ich sie zutiefst gedemütigt. Ich könnte mir dafür in den Arsch beißen. Was ist bloß in mich gefahren? Ich wusste nicht mal, dass ich so etwas überhaupt denke. Ich meine, natürlich denke ich so nicht über sie. Naomi kann tausende Beweggründe gehabt haben, diesen alten Sack mir vorzuziehen, aber nicht, um ihn zu ermorden und sein Geld zu kassieren. Das hat sie nicht getan und das würde sie auch niemals machen … ganz egal, was ich von der Sache halte. Naomi hat diesen Kerl so sehr geliebt, dass sie sich nach seinem Tod umbringen wollte. Allein der Gedanke, dass ihr jemanden so viel bedeutet hat und dieser Mensch nicht ich gewesen bin, zerfrisst mein Herz.
Scheiße! Scheiße! Scheiße! Ich bin so ein verdammtes Arschloch! Vollkommen außer mir raufe ich mir die Haare. Naomi und Wade sind seit einer Viertelstunde weg, und trotzdem stehe ich immer noch in der Kälte und kann nicht zurück zu unseren Freunden. Nicht weil ich Angst vor ihrem Unmut habe, sondern weil ich mein Verhalten bereue und mich schäme. Statt sie bloßzustellen, hätte ich die Chance nutzen und bereits heute Mittag mit ihr reden und endlich alles klären sollen. So hätte ich die Vergangenheit vielleicht ruhen lassen können, und es wäre nicht zu der hässlichen Situation gerade gekommen. Hoffentlich entschließt sie sich nicht wegen mir, frühzeitig abzureisen. Ich wünsche mir wirklich, dass wir an diesem Wochenende doch noch dazu kommen, uns auszusprechen. Andererseits ist es möglicherweise keine so gute Idee, vier Jahre gereifte Probleme im Beisein von sechs anderen Menschen aus dem Weg zu räumen.
Der Schneefall wird stärker und die Kälte durchdringt meinen dicken Pullover. Seufzend schaue ich in den Himmel. Ich sollte ihr hinterherfahren, letztlich gehe ich jedoch wieder zurück ins Restaurant. Als ich mich an den Tisch setze, sehen mich alle wütend an. Kayla scheint sogar ihr Steakmesser gewetzt zu haben und bereit zu sein, mich von oben bis unten aufzuschlitzen.
»Ich habe es versaut, ich weiß!«, gebe ich zu und lasse mich mit erhobenen Händen auf meinen Stuhl fallen.
Kayla legt mir die Hand auf den Arm und drückt so fest zu, dass ich mich frage, woher sie so verdammt viel Kraft hat. »Wo ist sie?«
Ohne mit der Wimper zu zucken, sehe ich sie an. Ich wäre enttäuscht, wenn Kayla nicht für sie einstehen würde. »Wade bringt sie zurück zur Hütte.«
Sie beugt sich noch näher zu mir und zischt, sodass nur ich sie hören kann: »Wenn das hier nicht Olivia und Blairs Wochenende wäre, würde ich dir die Eier abschneiden und sie dir in dein dreckiges Maul stopfen. Asher Knight, du bist das Allerallerletzte.«
»Es tut mir leid«, erwidere ich lediglich und mache mir weiter Selbstvorwürfe. Wie ist es nur so weit gekommen?
»Sollte es auch, Asher. Ernsthaft, du weißt gar nicht, was du angerichtet hast.«
Zum ersten Mal frage ich mich, ob hinter der Sache mit dem alten Sack mehr steckt. Dinge, von denen ich nichts weiß und die womöglich jeglichen Horizont meiner Vorstellungskraft überschreiten.
Ich sehe auf und begegne Kanes Blick. Er sieht nicht nur wütend aus, sondern mordswütend. Wir hatten vor einiger Zeit schon mal ein Gespräch dieser Art, wir hatten ja sogar vor zwei Wochen einen Disput über genau das, was ich heute angerichtet habe. Ich hätte es besser wissen, aber vor allem besser machen müssen. Was mich aber wirklich trifft, ist sein enttäuschtes Kopfschütteln.
Zornig ramme ich die Gabel in mein mittlerweile kaltes Steak und schneide ein großes Stück ab. Warum bin ich bloß immer so verbittert, wenn ich auf Naomi treffe? Kenne ich in Verbindung mit ihr überhaupt ein anderes Gefühl? Auch wenn ich mich selbst bemitleide, realisiere ich die unterkühlte Stimmung am Tisch, aber zum Glück finden die anderen nach einiger Zeit wieder in ihre Gespräche und ich kann schweigend dasitzen und meinen Gedanken nachhängen. Als wir letztendlich eine Stunde später aufbrechen und zur Hütte zurückkommen, sitzt Wade allein im Wohnzimmer und schaut irgendeinen Film. Ich würde mir niemals die Blöße geben und ihn fragen, wo Naomi ist, oder sie suchen gehen, daher ist es gut, dass Kayla nachfragt. Die komplette Antwort bekomme ich nicht mit, nur das Essenzielle, und zwar, dass Naomi zu Bett gegangen sei. Ich fühle mich ein wenig nutzlos, weiß zumindest nicht, was ich mit mir anfangen soll, und gehe in die Küche. Auf dem Tresen steht immer noch die Schachtel mit den Cookies, und mein schlechtes Gewissen wächst.
»Zufrieden?«, schnaubt mein bester Freund und knallt die Weinflasche, die er öffnen will, etwas zu fest auf die Theke. »Stimmungskiller Asher hat gewütet, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Was hat dir eigentlich das Hirn so vernebelt? Dein Verhalten war einfach geschmacklos!«
»Ich fühle mich schon schlecht genug, spar dir deine Vorwürfe also, okay?«
Kane muss irgendetwas in meinem Blick gesehen haben, denn er reitet nicht weiter auf meinen verbalen Entgleisungen herum, lässt das Thema aber auch nicht fallen. »Du und Naomi, ganz egal, was zwischen euch ist, du solltest endlich die Arschbacken zusammenkneifen und das klären, statt dich ihr gegenüber wie ein elender Bastard zu benehmen!«
Nun verliere ich doch die Fassung. »Habe ich dich je so von oben herab behandelt, als du es mit Olivia versaut hast? Habe ich dir Vorhaltungen gemacht oder dich als Bastard bezeichnet? Ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe. Ich habe mich immerhin entschuldigt.«
Überrascht von meinem Ausbruch schaut Kane von der Flasche auf. »Du hast recht, ich bin zu weit gegangen. Mein Problem ist einfach, dass ich nicht verstehe, was los ist. Jedes Mal, wenn ihr aufeinandertrefft, endet es so. Du bist Feuer und sie ist Benzin. Naomi muss bloß in deine Nähe kommen und du legst quasi das ganz Dorf in Schutt und Asche.«
»Das Leben ist nun mal kein Ponyhof, und nicht jeder bekommt das, was er will.«
»Du willst also Nao…«
»Ich werde jetzt ins Bett gehen, macht ihr euch einfach noch einen schönen Abend. Wie du schon sagtest, ich bin heute der Stimmungskiller«, unterbreche ich Kane, bevor er die Wahrheit laut aussprechen kann. Ohne seine Antwort abzuwarten, stürme ich die Treppe hoch.
Kurz stehe ich im Flur und frage mich, ob Naomi ebenfalls hier oben schläft oder einen von den unteren Räumen bezogen hat. Im Endeffekt spielt es keine Rolle, ich würde sowieso nicht an ihrer Tür klopfen. Was hätte ich auch machen sollen? Mich noch mal entschuldigen? Wenn ich wüsste, dass es helfen und sie mit mir reden oder mir wenigstens zuhören würde, dann wäre das Ganze eine zweite Überlegung wert, aber so? Nachdenklich gehe ich auf mein Zimmer und schließe die Tür. Dann tue ich etwas, das ich schon ewig nicht mehr gemacht habe. Ich greife nach meinem Smartphone und öffne die Cloud. In einem Ordner ganz weit unten finde ich sie – Bilder von Naomi und mir.
Wehmütig fahre ich mit dem Finger ihren Mund mit dem strahlenden Lächeln nach. Wie konnte es bloß so weit kommen, dass wir uns fremd geworden sind und jedes Aufeinandertreffen mit ihr Freude, aber vor allem Leid bei mir auslöst?
Naomi
Ich habe bis tief in die Nacht wach gelegen und darüber gegrübelt, was gestern in Asher gefahren sein könnte. Zu einem Schluss bin ich nicht gekommen. Im Grunde würde das Wissen mir aber auch nichts bringen. Er ist und bleibt ein Rätsel für mich.
»Ich habe Hunger, wollen wir in einer der Gaststätten was essen?«, fragt Wade und bringt sein Schneemobil neben mir zum Stehen. Wir sind den ganzen Vormittag zusammen mit den Motorschlitten durch die Gegend getourt und nun wieder an unserem Startpunkt angekommen.
»Mir ist, ehrlich gesagt, kalt und ich bin bis auf die Knochen durchweicht. Ich würde lieber zurück, ein Bad nehmen und mir trockene Kleidung anziehen.«
»Ich nehme nicht an, dass ich zur Planschparty eingeladen bin?«, erwidert Wade grinsend. Trotz des Helms sehe ich, wie er mit den Augenbrauen wackelt.
»Nein, aber du kannst mir beim Kochen helfen, die Zutaten habe ich am Freitag alle mitgebracht.«
»Du kochst für uns?«
»Soll ich beleidigt sein, weil du mir das nicht zutraust?«
»Nein, ich habe bloß erwartet, wir würden wieder essen gehen.«
»Nein, Blair, Olivia, Kayla und ich haben uns Anfang der Woche getroffen, und ich habe angeboten zu kochen, damit wir einen schönen Abend auf der Hütte verbringen können. Ich koche supergern, aber für mich allein lohnt sich das meist nicht.«
»Ich liebe selbst gekochtes Essen, vielleicht solltest du mich hin und wieder einladen.« Wades Augen strahlen mich an und erwärmen mein Herz.
»Sollte ich das?«, entgegne ich und habe das Gefühl, einen guten Freund in ihm gefunden zu haben.
»Solltest du! Ich bin hervorragend im Schnibbeln von Gemüse und würde dir auch jedes Mal helfen.«
»Na, dann fang mal an.«
»Rettest du mich vorher noch vor dem Verhungern und machst mir einen Snack?«
»Wenn du verhungerst, habe ich niemanden mehr, der mir hilft. Ich schätze, mir bleibt also nichts anderes übrig.«
»Das ist wohl wahr, aber keine Angst, direkt danach rocken wir das Abendessen.« Wade hebt die Hand für ein High Five und ich schlage ein.
Während ich die ersten Vorbereitungen für den Nachtisch treffe, verputzt Wade sein Käsesandwich. Seinen Geschichten über ferne Länder lauschend, lasse ich die Zartbitterschokolade im Wasserbad schmelzen und schlage anschließend Eiweiß und Sahne steif. Warum ich eine Mousse au Chocolat mit Oreo-Keksboden zubereite? Weil ich dumm bin! Ich weiß, wie sehr Asher dieses Dessert und meine Lasagne liebt, und koche beides genau deshalb. Als ich am Anfang der Woche vorgeschlagen habe, diese Sachen zuzubereiten, fand ich die Idee noch gut, jetzt könnte ich mich dafür ohrfeigen. Nicht nur, dass er es sowieso nicht verdient hat, nein, er wird wissen, dass ich es für ihn mache.
Meine Gedanken werden wehmütig. Wie oft haben wir zusammen gekocht oder Asher mir beim Kochen Gesellschaft geleistet? Plötzlich wütend, hebe ich die Schokolade unter die zuckrig-schaumige Eigelbmasse. Man sollte mich entmündigen! Wenn es um Asher geht, kann ich auf jeden Fall nicht klar denken und handle, als wäre ich unzurechnungsfähig. Ich hasse das und kann dennoch nicht anders.
»Willst du das vielleicht übernehmen? Kekse auf der Tischplatte kaputt schlagen ist sicher befriedigender«, gibt Wade mit belustigtem Tonfall zu bedenken und schüttelt den Beutel mit Oreos.
»Ha-ha!«
»Warum bist du plötzlich so frustriert?«, fragt Wade und beginnt, die Gebäckstücke zu zerbröseln.
»Darf eine Frau nicht frustriert sein?«
»Nicht, wenn der Grund dafür ein Idiot ist.«
»Dann können wir ja froh sein, dass du weder ein Idiot noch der Grund bist.«
»Ich glaube, alle Arbeiten mit dem Messer übernehme ich ab jetzt. Hinterher kommst du noch auf die Idee, mich zu erstechen, weil ich dir gerade auf die Füße getreten bin.«
Seufzend stelle ich die Mousse weg und nehme Wade die Brösel ab, um sie mit der geschmolzenen Butter-Oreo-Cremefüllung zu mischen. »Du bist mir nicht auf die Füße getreten. Die ganze Situation ist bloß nicht einfach für mich.«
»Könnte sie aber vielleicht sein? Asher wäre mir vorhin am liebsten wieder an die Gurgel gegangen. Aber statt mit dir den Tag zu verbringen, ist er schmollend mit seinem Snowboard verschwunden.«
Abermals verstehe ich nicht, was Wade mir sagen will. Asher ist sauer gewesen? Aber warum? Ich habe ihn heute ja noch nicht mal gesehen. »Tu mir bitte den Gefallen, lass es einfach gut sein, okay? Das alles umfasst mehr als die knapp vierundzwanzig Stunden, die du uns jetzt erlebt hast.«
Wade öffnet den Mund, nickt dann aber nur.
Danach erzählen wir uns nur noch unverfängliche Geschichten und ich bekomme von Wade ein Geheimnis anvertraut: Er schreibt Thriller. Eine Sache, die ich nie von ihm erwartet hätte, die mich aber fasziniert. Ich bewundere kreative Menschen. Romane schreiben könnte ich zwar nicht, aber dafür bastle und entwerfe ich gern Dinge. Vor Kurzem habe ich ein paar Armbänder für Kayla und mich hergestellt. Sie sind schön geworden, aber mich juckt es schon wieder in den Fingern, etwas Neues zu beginnen. Vielleicht diesen Traumfänger aus Spitze, Federn und Perlen, den ich im Internet gesehen habe. Meine Hand zuckt automatisch zu der Stelle hinter meinem Ohr, an der ich einen wunderschönen Miniaturtraumfänger tätowiert habe.
»Wie schaut’s aus, haben wir noch etwas zu tun?«, fragt Wade und reißt mich aus meinen Gedanken.
»Nein, die Lasagne und das Zupfbrot müssen nur noch in den Ofen, aber am besten erst, wenn die anderen zurück sind.« Ich wische über die Arbeitsfläche und überschlage noch mal kurz die Backzeiten. Die Lasagne wird gute fünfundvierzig Minuten brauchen, das Brot nur eine Viertelstunde. Wenn ich beides zusammen in den Ofen packe, können wir das Brot als Vorspeise essen, und sobald wir damit durch sind, dürfte das Hauptgericht gar sein.
»Gut. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich jetzt gerne duschen.«
»Kein Problem, ich wollte ebenfalls mein Bad von vorhin nachholen.«
»Dann bis nachher.«
Ich überprüfe noch mal, ob alles gut abgedeckt ist, und mache mich danach auf den Weg ins Badezimmer. Am liebsten würde ich ewig in dem warmen, duftenden Wasser verbringen, am Ende vergeht jedoch nur eine gute halbe Stunde. Frisch gebadet und entspannt, kehre ich einige Zeit später wieder in die Küche zurück und erwische Asher mit der Nase im Auflauf. Er sieht gut aus und ist offensichtlich schon etwas länger wieder da, denn er trägt seine Schneekleidung nicht mehr.
Unentschlossen, weil ich nicht weiß, wie ich auf seine Anwesenheit reagieren soll, bleibe ich auf dem Absatz der Treppe zwischen Küche und Obergeschoss stehen.
»Ich mag Lasagne.« Er hat mich also bemerkt.
»Habe ich nicht vergessen.« Ich straffe die Schultern und steige die letzten Stufen herab.
»Gibt es zum Nachtisch deine Mousse au Chocolat?«
Am liebsten würde ich Nein sagen, aber das wäre gelogen. Allerdings irritieren mich die Gefühle, die in seinen Augen aufblitzen.
Ich nicke. »Mit Oreo-Boden.«
»Du erinnerst dich noch an alles.« Es ist eine Feststellung, keine Frage, daher antworte ich auch nicht darauf und erwidere stattdessen: »Würde es dir etwas ausmachen, den Backofen vorzuheizen?«
Wortlos tut er mir den Gefallen und schielt dann zu den zwei Broten, die ich in Alufolie gepackt habe.
»Zupfbrot, gefüllt mit Käse, Speck, Frühlingszwiebeln und Knoblauchbutter.«
»Warum bereitest du all die Sachen zu, die ich am liebsten mag?«
»Vielleicht bin ich nostalgisch, vielleicht will ich dir aber auch bloß zeigen, was dir seit damals entgeht.«
Ich merke, wie die Stimmung bei Asher kippt. Er hebt den Finger und will beginnen, zu sprechen, als die Hintertür aufschwingt und der Rest unserer Truppe erscheint, sodass er abbricht, bevor das erste Wort über seine Lippen kommen konnte.
»Hey!«, begrüße ich die Ankömmlinge. »Ihr seht durchgefroren aus, wie wäre es mit einem Tee?«
»Mir wäre eher nach Kakao mit Amaretto.« Kayla überfällt mich mit einer kalten und nassen Umarmung. »Machst du mir einen? Plus Sahne?«
»Ich schätze, dann wird dir im Bauch kein Platz für den Nachtisch mehr bleiben.«
Nachdenklich schiebt sie die Lippe vor. »Bitte?«
Kayla verhält sich manchmal wie ein kleines Kind, aber ich liebe sie trotzdem wie eine Schwester. »Wer will noch eine heiße Schokolade mit Schuss?«
Sechs Hände schießen in die Höhe und ich muss lachen. »Wenn ihr nachher zu satt für das Essen seid, nehme ich euch das echt übel!«, schnaube ich gespielt bedrohlich, mache mich aber sofort daran, den Kakao zuzubereiten.
Anstatt die Schokolade mit heißem Wasser und Pulver anzurühren, nehme ich frische Milch, ein Päckchen Sahne und Vollmilchschokolade. Zusammen mit einer Vanilleschote koche ich die Flüssigkeit auf und nehme den Topf vom Herd. Erst dann gebe ich die Schokolade dazu und lasse sie schmelzen. Ruckzuck habe ich eine kleine, oder eher große, Kalorienbombe gezaubert.
Asher hat sich mit den anderen ins Wohnzimmer verzogen. Eigentlich hätte ich ihn fragen sollen, ob er eine Tasse Kakao haben möchte; da mir die Antwort jedoch klar ist, habe ich es nicht getan, sondern füge seiner Tasse ein wenig Zimt hinzu, lasse dafür aber den Alkohol weg. Wahrscheinlich hätte ich das nicht machen sollen, aber ich kann nicht anders. Ich wollte ihm nie etwas Böses, daran hat sich bis heute nichts geändert.
Alle haben sich um den Kamin versammelt und unterhalten sich. Bloß Asher steht am Fenster und starrt in den Schnee. Erst als er mich bemerkt, schaut er auf. Wortlos gebe ich ihm seinen Becher und verteile danach die restlichen, anschließend setze ich mich ganz bewusst auf Wades Sessellehne und beteilige mich an den Gesprächen.
Asher
Schon wieder bin ich voller Wut; eigentlich bin ich seit Beginn dieses beschissenen Trips wütend. Ich gebe es nicht gern zu, aber mich kotzt es an, dass Naomi sich so gut mit dieser Pfeife Wade versteht. Vielleicht ist er nett, ich finde ihn aber allein deshalb scheiße, weil Naomi regelrecht bei ihm auf dem Schoß sitzt und sich dabei angeregt mit ihm, Kayla und dem anderen Bruder unterhält. Dass meine heiße Schokolade genauso ist, wie ich sie liebe, macht das Ganze nicht erträglicher. Allgemein verstehe ich nicht, weshalb Naomi nett zu mir ist. Sie hat ja sogar mein Lieblingsessen für uns alle zubereitet. Genau diese Lasagne und diese Mousse hat sie mir damals nach der Trennung von Sarah vorbeigebracht. So hat überhaupt erst alles zwischen uns angefangen, sodass ich viel mit den Speisen verbinde. Ich will nicht, dass mir all das etwas bedeutet, aber das tut es.
»Warum schmollt mein liebster Onkel Asher?«, fragt Olivia und knufft mich dabei freundschaftlich in die Seite. Unauffällig blicke ich mich um, aber keiner scheint von uns Notiz zu nehmen.
»Nur Frauen schmollen«, gebe ich zurück und trinke noch einen Schluck Schokolade. »Ich habe bloß Hunger.«
»Du liebst Lasagne, oder?« Weiß Olivia etwa mehr als ich?
»Wer mag bitte keine Lasagne?«
Verschwörerisch beugt sich die Frau meines Freundes zu mir. »Nach dem Essen werden wir ein paar Spielchen spielen, nutze deine Chancen schlau.«
Spielchen spielen? Das klingt fast so, als würde der Abend in einer Orgie enden, aber das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.