Tanja - Barbara Cartland - E-Book

Tanja E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Tamara Grazebrook, eine junge Pfarrerstochter lässt sich von ihrer sehr wohlhabenden Studienfreundin Kit dazu überreden, sie in den Ferien mit ihrer Familie nach Frankreich zu begleiten. Kit schwindelt ihrer Stiefmutter vor, Tamara stamme aus einer sehr reichen kanadischen Familie. Tamara stimmt diesem Schauspiel nur widerwillig zu, spielt ihre Rolle aber überzeugend. Der attraktive Michael Tarrant, Günstling von Kits Stiefmutter scheint sie jedoch zu durchschauen. Ist er jedoch wirklich, wer er vorgibt zu sein? Wird er die richtige Tamara erkennen und wird es Tamara glücken, allen Gefahren zu entkommen?

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Die Hauptpersonen des Romans

Tamara Grazebrook

Studentin

Michael Tarrant

ein Mann, der Tamara Rätsel aufgibt

Walter Newbury

ein rücksichtsloser Geschäftsmann

Irene Newbury

seine Frau, Kits Stiefmutter

Kit Newbury

Tamaras Freundin, Walter Newburys Tochter

Jock McDonald

Steuermann auf der Jacht von Kits Vater

1.

Tamara stand in der Kabine und blickte durch das Bullauge aufs Meer, das am Horizont mit dem Himmel verschmolz. Leise schlug das Wasser gegen die Schiffsplanken. Die Jacht machte nur wenig Fahrt. Mr. Newbury hatte gesagt, sie würden den größten Teil der Nacht im Kanal kreuzen, damit seine Gäste am Morgen bei der Einfahrt in den Hafen von Trouville nicht zu früh geweckt wurden.

„Wir müssen in Trouville anlegen, weil Deauville keinen Hafen hat“, hatte Kit Tamara erklärt. „Aber die beiden Städte sind nur ungefähr eine Meile voneinander entfernt. Leider bildet meine Stiefmutter sich ein, Trouville sei zu laut und zu gewöhnlich, deshalb können wir auch nicht auf der Jacht wohnen, sondern müssen in ein Hotel gehen.“

Tamara war es gleichgültig, wann sie geweckt wurde und wo sie in Deauville wohnen sollte. Sie konnte kaum glauben, dass die Reise wirklich begonnen hatte, dass England hinter ihr zurückblieb und sie sich langsam der französischen Küste näherten.

Hätte vor einer Woche jemand zu ihr gesagt, dass sie heute auf einer Privatjacht den Kanal überqueren würde, hätte sie ihn lächelnd für verrückt erklärt. Doch da hatte sie ja auch noch nicht gewusst, was für einen närrischen Plan ihre Freundin Kit Newbury aushecken würde. Die unglaublich reiche, verwöhnte, ein bisschen exzentrische und innerlich doch so einsame Kit. Tamara war sich auch noch jetzt nicht im Klaren darüber, ob es richtig gewesen war, auf diesen Plan einzugehen, aber es hatte wohl keinen Sinn, dass sie sich jetzt den Kopf darüber zerbrach. Sie war darauf eingegangen und konnte nicht mehr zurück. Dazu war es zu spät.

Tamara Grazebrook und Kit Newbury studierten am Girton College in Cambridge. Tamara arbeitete ernsthaft, weil sie später einen Beruf ergreifen musste, Kit wollte nur irgendwie die Zeit totschlagen.

Am letzten Abend vor Beginn der Semesterferien war Kit bei Tamara vorbeigekommen, um sich von der Freundin zu verabschieden. Sie hatte den Kopf hängenlassen und kreuzunglücklich ausgesehen.

„Was ist denn los, Kit?“ hatte Tamara gefragt. „Fährst du nicht gern nach Hause? Ich freu mich schon so darauf, meine Eltern und meine Geschwister wiederzusehen.“

Kit hatte rebellisch den blonden Kopf zurückgeworfen, und in ihren blauen Augen blitzte es.

„Du hast auch eine richtige Familie, Tamara“, sagte sie beinahe vorwurfsvoll, „Menschen, auf die du dich freuen kannst. Aber was habe ich? Einen Vater, der nur für seine Geschäfte lebt, der immer mehr Geld scheffelt, und eine Stiefmutter, die nichts anderes im Kopf hat als Luxus und Amüsement. Außerdem versucht sie ständig, sich in Kreise einzudrängen, in denen man uns als Neureiche verlacht. Wir haben zwar Geld wie Heu, aber zur sogenannten ,guten' Gesellschaft gehören wir deshalb noch lange nicht. Ach, Tamara“ - es folgte ein abgrundtiefer Seufzer - „es ist alles so grässlich. Irene, das ist meine Stiefmutter, hasst mich und - und ... Wenn ich daran denke, dass ich jetzt wochenlang mit ihr zusammen sein soll, möchte ich am liebsten auf der Stelle tot umfallen. Sag mal, was hast du eigentlich vor?“

Tamara, die beim Kofferpacken gewesen war, hatte aufgeblickt und sich lächelnd ein wenig gestreckt.

„Ich? Ich muss mir einen Ferienjob suchen. Meine Eltern bringen genug Opfer, um mich studieren zu lassen, ich kann ihnen nicht auch noch in den Ferien auf der Tasche liegen. Der Pfarrer einer Gemeinde in Bermondsey ist leider nicht auf Rosen gebettet, vor allem dann nicht, wenn er drei Kinder hat. Bei uns geht es manchmal verdammt knapp zu, das kannst du mir glauben.“

Kits Miene war plötzlich lebhaft geworden. „Du, Tam“, rief sie, „mir ist eben etwas Fantastisches eingefallen. Ich habe einen Job für dich.“

„Einen Job?“

„Ja.“ Kits Wangen röteten sich vor Eifer. „Du kommst über die Ferien einfach zu mir. Für mich wird die Zeit erträglicher, wenn du mir Gesellschaft leistest, Irene wird froh sein, dass sie sich nicht um mich zu kümmern braucht, und ich zahle dir genauso viel wie du verdienen würdest. Nun, wie klingt das?“

„Fantastisch, wie du gesagt hast, aber im wahrsten Sinne des Wortes.“ Tamara schüttelte den Kopf. „Glaubst du wirklich, ich könnte jemals auch nur einen Penny von dir annehmen? Und wenn ich bei dir zu Gast wäre, wäre das doch kein Job. Nein, Kit, schlag dir das nur wieder aus dem Kopf.“

Doch Kit konnte sehr beredt sein, wenn sie wollte, und nach etwa einer halben Stunde hatte sie so heftig an Tamaras Mitleid appelliert, dass sie mit dem Plan halb und halb einverstanden war. Dann schüttelte sie jedoch abermals entschieden den Kopf.

„Nein, Kit, es geht doch nicht", sagte sie. „Wenn deine Stiefmutter wirklich ein so grässlicher Snob ist, wie du immer sagst, wird sie nie damit einverstanden sein, die Tochter eines einfachen Pfarrers für ein paar Wochen aufzunehmen."

„Stimmt", seufzte Kit. Doch nachdem ihre Fantasie erst einmal begonnen hatte zu arbeiten, war sie nicht mehr aufzuhalten und lief bald auf Hochtouren. „Dann darfst du für Irene eben keine Pfarrerstochter sein, sondern musst dich in ein Mädchen aus reichem Haus verwandeln.“

Tamara hatte hell aufgelacht. „Du Kindskopf, Kit! Wie stellst du dir das denn vor? Erstens kennt deine Stiefmutter bestimmt alle reichen Familien Englands - und wenn sie sie nicht kennt, hat sie auf alle Fälle von ihnen gehört und weiß, dass es keine Millionäre namens Grazebrook gibt. Außerdem braucht sie sich nur meine Kleider anzusehen, dann weiß sie sofort, was es geschlagen hat."

Kit zuckte abwehrend mit den Achseln. „Schön. Dann bist du eben Tamara Grazebrook aus Montreal in Kanada. Und da ich dich erst im letzten Augenblick überreden konnte, die Ferien bei uns in Earlywood zu verbringen, schwimmt deine ganze Garderobe bereits auf dem Ozean, und deshalb muss ich dir meine Sachen borgen. Zum Glück haben wir ja dieselbe Größe."

Tamara sah die Freundin beinahe ehrfürchtig an. „Du meine Güte, Kit", sagte sie, „wenn du dir mal etwas in den Kopf gesetzt hast, lässt du dich nicht so leicht abschrecken, wie?"

Kit lachte spitzbübisch. „Nein. Warum sollte ich auch. Außerdem macht mir so etwas Spaß. Was glaubst du, wie wir Irene beeindrucken werden, wenn wir ihr von deiner russischen Großmutter erzählen, der Fürstin Pawtoysky, die mit dem Adjutanten des Zaren verheiratet war."

„Nun, das ist ja nicht mal geschwindelt", antwortete Tamara. „Aber als Großmutter nach England kam, war sie Flüchtling und bettelarm ...“

Sie hatten noch lange geredet. Tamara hatte sich gesträubt, Kit hatte gebettelt, geschmeichelt und schließlich gedroht, Tamara die Freundschaft zu kündigen, wenn sie ihr nicht den Willen tat. Seufzend und mit sehr schlechtem Gewissen hatte Tamara schließlich eingewilligt.

Sie hatte die Mutter angerufen und ihr von ihren geänderten Ferienplänen erzählt, hatte ihre Sachen nach Hause geschickt und war dann mit Kit nach Earlywood gefahren.

Dort hatte sie alles so vorgefunden, wie Kit es ihr geschildert hatte. Das Haus selbst war riesig und mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet, aber es war alles eine Spur zu pompös, zu aufdringlich, zu neu, zu kostbar. Beim Bau und bei der Ausstattung von Earlywood hatte das Geld regiert, nicht der Geschmack.

In dem parkähnlichen Garten hatte Tamara am Swimmingpool Kits Stiefmutter kennengelernt, eine auf den ersten Blick schöne, auf den zweiten Blick jedoch ein wenig gewöhnlich wirkende Frau mit einer unangenehmen Stimme. In ihrer Gesellschaft rekelte sich ein blendend aussehender junger Mann auf einer bequemen Liege. Kit stellte ihn als Michael Tarrant vor.

„Wer ist das - dieser Michael Tarrant?“ fragte Tamara die Freundin später, und Kit hatte nur geringschätzig mit den Achseln gezuckt. „Ach, nur eine von Irenes zahmen Katzen“, hatte sie erwidert. „Sie gehören zu ihrem Hofstaat, heißen Billy, Jimmy oder sonst wie und schmarotzen nach Herzenslust bei uns.“

Später lernte Tamara auch Mr. Corea, den Privatsekretär von Kits Vater, und schließlich auch Mr. Newbury selbst kennen. Zu ihrem Erstaunen fand sie Walter Newbury unsympathisch. Sie hatte nach Kits Beschreibungen irgendwie den Eindruck gewonnen, er müsse gut aussehen und sehr liebenswürdig sein, doch er entpuppte sich als feister Mann mit derben Zügen und hässlichen Händen.

Am zweiten Abend ihres Aufenthalts in Earlywood gab es eine Abendgesellschaft, und durch Zufall kam Tamara dahinter, dass jede Unterhaltung, die bei dieser Gesellschaft geführt wurde, heimlich auf Tonband mitgeschnitten worden war.

Während sie noch daran herumrätselte, warum in diesem Haus so merkwürdige Dinge vorgingen, kam Kit freudestrahlend zu ihr und erzählte ihr, dass sie alle mit der ,Heron', der Privatjacht ihres Vaters, für ein paar Wochen nach Deauville fahren würden.

Tamara hatte Kit erschrocken angesehen. „Jetzt platzt unser Schwindel“, hatte sie gesagt, „und jetzt wird man mich mit Schimpf und Schande fortjagen. Ach, hätte ich mich doch nie auf deinen närrischen Plan eingelassen, Kit.“

„Aber was ist denn los?“ erkundigte sich Kit verblüfft. „Warum soll unser Schwindel platzen, nur weil wir nach Deauville fahren?“

Tamara hätte die Freundin am liebsten geschüttelt. „Ja, begreifst du denn nicht? Wir haben doch erzählt, ich sei Kanadierin und...“

„Was - und?“

„Und ich habe einen englischen Pass.“

„Ach, verflixt!“

„Genau das, mein Mädchen.“

Kit spitzte die Lippen und musterte Tamara nachdenklich. „Gib mir den Pass“, sagte sie dann. „Um die Zollformalitäten kümmert sich sowieso nur Corea und dem werde ich schon irgendetwas erzählen. Zum Beispiel, dass dein Vater dich nicht nach England lassen wollte und dir deinen Pass weggenommen hat. Da bist du ausgerissen und hast dir einen englischen besorgt, weil du ja schließlich deine Unabhängigkeit beweisen musstest.“

„Und das soll er dir glauben?“ Tamara lächelte spöttisch.

„Ach, der glaubt alles“, versicherte ihr Kit. „Zufällig weiß ich nämlich, dass er schon für irgendwelche Wissenschaftler aus Ostblockländern falsche Pässe besorgt hat. Er weiß also, dass es so etwas gibt. Aber weißt du“ - Kit lächelte plötzlich geheimnisvoll - „Ich freu mich auf die Fahrt nach Deauville ja nur deshalb so, weil ich Jock endlich wiedersehe.“

„Wer ist Jock?“

Ein träumerischer Ausdruck trat in Kits blaue Augen, und ihr Mund wurde plötzlich weich.

„Jock“, sagte sie leise, „ist der Mann, den ich liebe. Er ist Steuermann auf der Heron, und selbstverständlich darf niemand etwas von unserer Liebe erfahren, sonst läge mein armer Liebster morgen auf der Straße, weil eine solche Beziehung für Walter Newburys Tochter natürlich völlig unpassend ist. Aber ich will keinen anderen als ihn, und ich werde ihn bekommen und wenn der Himmel einfällt.“

Das war eine Neuigkeit, die Tamara erst einmal verarbeiten musste, ehe sie sich dazu äußern konnte, aber eine beruhigende Neuigkeit war es nicht. Hoffentlich hatte die impulsive Kit sich da nicht in ein Gefühl verrannt, das ihr am Ende nur Schmerz bereiten konnte. Seit sie von der Geschichte mit Jock McDonald gewusst hatte, war Tamara eigentlich froh gewesen, die Reise nach Deauville mitmachen zu können. Vielleicht konnte sie ihre unbesonnene Freundin vor einem Schritt bewahren, den sie später bereuen würde,...

Tamara seufzte und wandte sich vom Kabinenfenster ab. Im selben Augenblick flog die Tür auf und Kit kam herein.

„Nun“, rief sie fröhlich, „wie gefällt dir deine Kabine?“

Tamara blickte sich tief aufatmend um. „Sie ist großartig, schüchtert mich aber ein bisschen ein. Alles funktioniert mit Knopfdruck, und ich lebe in der ständigen Furcht, den falschen Knopf zu betätigen.“

Kit legte den Zeigefinger auf die Lippen. „Um Gottes willen, sei nicht über alles so entzückt. Erinnere dich daran, dass du reich bist, schrecklich reich. Dein Vater hat wahrscheinlich sechs solcher Jachten.“

Tamara begann zu lachen. „Es ist alles so ulkig“, sagte sie. „Keine Sekunde lang glaube ich, dass sich jemand von unserer albernen Täuschung anführen lässt und auf sie hereinfällt. Ich glaube, ich sollte deinem Vater und deiner Stiefmutter die Wahrheit sagen.“

„Wenn du das tust, sollte es mich wundern, wenn du wirklich mit uns bis Deauville kämst“, sagte Kit warnend.

„Glaubst du das wirklich?“ fragte Tamara.

„Hast du Irene noch nicht gut genug kennengelernt, um mir zu glauben, wenn ich sage, sie ist der größte Snob, den es jemals gegeben hat?“ fragte Kit. „Wenn sie wüsste, dass du die Tochter eines armen Geistlichen bist, würde sie Vater verbieten, dich mitzunehmen. Sie würde sagen, du hättest auf mich keinen guten Einfluss, und ich müsse mir Freundinnen aus meinen eigenen Kreisen suchen. Guter Gott, sie ist eine solche Närrin!“

„Denk nicht an sie“, sagte Tamara kurz.

„Genau das versuche ich ja“, antwortete Kit. „Ich will mich jetzt ein bisschen umsehen, vielleicht finde ich Jock irgendwo. Kommst du mit?"

„Ich möchte eine Weile hierbleiben“, erwiderte Tamara. „Ich möchte ausprobieren, wie hier alles funktioniert, und werde mich wahrscheinlich dabei ein paarmal in den Arm kneifen müssen, um mich davon zu überzeugen, dass ich nicht träume und alles Wirklichkeit ist.“

Lachend verließ Kit die Kabine und schloss die Tür hinter sich, und Tamara sah ihr versonnen nach. Dabei streichelte sie zerstreut die Lehne eines Sessels, der mehr gekostet hatte, als die Grazebrooks in einem Monat für ihre Ernährung ausgeben durften.

Warum ist das Leben so ungerecht? fragte sie sich, erkannte jedoch im selben Augenblick, dass es gar nicht ungerecht war. Denn in der schäbigen, geschäftigen kleinen Pfarrei gab es mehr Glück als auf dieser herrlichen, luxuriösen Jacht. Und nur das Glück allein zählte, denn nach Glück sehnte sich jeder, aber für Geld konnte man es nicht erkaufen.

„Doch es hilft einem wenigstens, sich behaglich zu fühlen und hübsch zu machen“, flüsterte Tamara. Sie betrachtete sich im Spiegel und erkannte, wie verändert sie in Kits Kleidern aussah.

Schöne Kleider, stellte sie mit vergnügtem Lachen fest und lief die Kajütentreppe hinauf. Als sie das Deck betrat, erschien auch Kit gerade. Ihre Augen glänzten.

Sie blickte über ihre Schulter zurück, um sicher zu sein, dass niemand in Hörweite war, und sagte dann leise: „Es ist in Ordnung, er ist hier.“

„Hat er sich gefreut, dich zu sehen?“ fragte Tamara.

„Ich glaube“, antwortete Kit. „Er ist sehr schottisch in seiner Art. Undurchdringlich, wenn du verstehst, was ich meine. Aber er muss glücklich gewesen sein, weil ich so glücklich war, ihn wiederzusehen.“

Tamara dachte, dass diese Logik eigentlich auf schwachen Füßen stehe, aber sie sagte es nicht, sondern beobachtete Kits ausdrucksvolles kleines Gesicht, das plötzlich lebendig geworden zu sein schien.

„Ich liebe ihn“, sagte Kit. „Ich bin dessen sicher. Ich war es schon vorher, aber ich hatte ihn so lange nicht gesehen. Nun, da ich ihn wiedergesehen habe, bin ich meiner ganz sicher. Du wirst verstehen, was ich meine, wenn du Jock kennenlernst. Im Augenblick hat er zu tun, aber in ungefähr einer Viertelstunde können wir mit ihm sprechen.“

Tamara sagte nichts. Sie hatte Angst um Kit. Sie wusste, wie sehr das Mädchen unter seiner Einsamkeit und seinem unerfreulichen Zuhause litt. Sie konnte sich nicht helfen, aber sie hatte das Gefühl, dass es nichts anderes war als die Vernarrtheit in den ersten Mann, der anders war als jene, die ihr sonst begegneten.

„Wenn wir nur Gelegenheit hätten, miteinander zu sprechen“, sagte Kit. „Er hat Angst davor, was der Kapitän und die übrige Mannschaft und ich, was Vater und Irene sagen werden. Es ist alles so schwierig. Vielleicht können wir uns in Deauville öfter sehen.“

Tamara hielt das für wenig wahrscheinlich. Doch da sie nie vorher in Deauville gewesen war, wusste sie nicht, wie man dort lebte, und ob es nicht vielleicht doch möglich war, dass Kit ihren Jock treffen konnte.

Eine Viertelstunde später kam Kit von einem Kundschaftergang zurück.

„Er ist eben fertig“, sagte sie. „Komm schnell, es ist gerade niemand in der Nähe.“

Tamara sprang aus dem bequemen Sessel auf und folgte Kit. Vorn auf dem Deck entdeckte sie einen untersetzten, sonnverbrannten jungen Mann. Er sah auf eine raue, beinahe grobe Art gut aus, hatte blondes Haar und tiefliegende blaue Augen.

„Das ist meine beste Freundin, Jock“, sagte Kit. „Ich habe ihr alles erzählt - über uns.“

Tamara schien es, als erstarrte Jock McDonald plötzlich. „Da gibt es nichts zu erzählen“, sagte er ein wenig steif.

„Das weiß ich“, antwortete Tamara beruhigend.

Er schien sich zu entspannen. „Miss Kit ist die Tochter meines Chefs“, sagte er.

„Oh, fang doch nicht wieder damit an, Jock!“ rief Kit.

„Es ist aber wahr“, sagte Jock.

„Ja“, sagte Kit, „aber es darf für uns nicht wichtig sein.“

„Es ist aber wichtig“, erwiderte er. „Es wird Schwierigkeiten geben, wenn ich auf dieser Reise zu viel mit Ihnen spreche. Ich muss jetzt gehen.“

„Aber bitte, bitte ...“, bettelte Kit, aber er war schon gegangen, nachdem er lässig die Fingerspitzen an die Mütze gelegt hatte.

„Lass ihn gehen", sagte Tamara. „Er weiß, was das Beste ist. Du willst doch nicht, dass er deinetwegen Schwierigkeiten bekommt.“

„Nein, nein, natürlich nicht“, antwortete Kit nachgiebig. Aber es gibt so viel, worüber wir reden müssen.“

„Das geht nicht, solange er Arbeit hat“, wies Tamara sie zurecht. „Du musst daran denken, dass sein guter Name nicht weniger wert ist als der deine.“

„Daran habe ich noch nie gedacht“, sagte Kit.

„Ich möchte dir keine Predigt halten“, sagte Tamara lächelnd, „aber ich denke, du bist ziemlich egoistisch.“

Kit drückte ihren Arm. „Es macht nichts, wenn du mir Predigten hältst, nur wenn Irene es tut, schwillt mir der Kamm.“

Tamara bückte sich und küsste sie auf die Wange. Doch als sie später allein in ihrer Kabine war, um sich zum Dinner umzukleiden, wurde ihr klar, wie schwer es für Kit sein würde, ihre Gefühle zu unterdrücken und sich nicht zu verraten.

Ich hoffe, er ist nett, dachte Tamara. Sie konnte nichts dafür, aber sie konnte den tiefen Abgrund zwischen Kits und Jock McDonalds gesellschaftlicher Stellung nicht übersehen.

Sie konnte sich Irenes Entsetzen vorstellen, wenn sie erfuhr, was vorging, und auch Mr. Newbury würde kaum erfreut sein.

Und in dem Augenblick, in dem sie dachte, dass Kits Vater eigentlich ein sonderbarer Mensch sei, klopfte es an ihre Tür.

„Herein“, rief sie und dachte, es sei die Zofe. Doch als die Tür aufging, sah sie zu ihrer Überraschung, dass es Mr. Newbury war.

„Darf ich hereinkommen?“ fragte er.

„Natürlich“, antwortete Tamara.

„Ja“, lächelte er. „Würden Sie etwas für mich tun? Kit hat nächsten Donnerstag Geburtstag, und ich habe ihr ein kleines Geschenk gekauft. Im Hafen von Trouville werden die Zollbeamten an Bord kommen, und manchmal durchsuchen sie das ganze Schiff. Ich möchte auf keinen Fall, dass sie Kits Geschenk finden. Nicht darum, weil es mir etwas ausmacht, Zoll dafür zu bezahlen, sondern weil ich nicht will, dass sie erfährt, was ich ihr gekauft habe.“

„Das verstehe ich“, sagte Tamara. „Ich weiß nur nicht, was ich dabei tun kann.“

„Ich möchte, dass Sie es irgendwo zwischen Ihren Sachen verstecken“, antwortete er. „Sie sind ein Gast, und deshalb ist es nicht wahrscheinlich, dass man sich für Sie ebenso interessiert wie für mich. Den Schiffseigner verdächtigen sie immer, Diamanten oder Waffen zu schmuggeln.“

„Gut, ich verstecke es irgendwo“, sagte Tamara. „Ich weiß noch nicht, wo, aber ich bin sicher, sie werden es nicht finden.“

„Das ist sehr nett von Ihnen“, sagte Mr. Newbury. „Und bitte, es ist für alle ein Geheimnis. Auch für Irene und Michael. Ich tue immer so, als hätte ich nicht die Absicht, zum Geburtstag etwas zu schenken, und dann sind alle überrascht, wenn sie doch etwas bekommen.“

„Oh, genauso macht es mein Vater“, sagte Tamara. „Er sagt immer, er habe keine Zeit und könne es sich nicht leisten ..." Sie zögerte einen Augenblick und fuhr sehr rasch fort: „ …seine Zeit mit Einkäufen zu vergeuden. Und dann hat er am Weihnachtstag doch für jeden ein wunderschönes Geschenk.“

„Nun, ich sehe, dass er und ich einander ähnlich sind“, sagte Mr. Newbury lächelnd. „Vielen Dank, Tamara. Verstecken Sie es sorgfältig.“

Er reichte ihr ein sehr kleines Päckchen. Es war sehr leicht, sorgfältig verpackt und mit mehreren Siegeln versehen.

„Danke schön“, sagte Mr. Newbury noch einmal, verließ die Kabine und schloss die Tür hinter sich.

Tamara stand da und betrachtete das kleine Päckchen. Sie fragte sich, was es wohl sein mochte. Selbstverständlich Schmuck. Aber es war wirklich sehr klein und sehr leicht.

Sie schaute sich in der Kabine um und überlegte, welcher Platz sich wohl am besten dazu eignete, etwas zu verstecken. Sie entsann sich einer Detektivgeschichte, in der die Dinge in den Schuhspitzen der Heldin versteckt gewesen waren, aber alles, was irgendwie mit Kleidung zusammenhing, schied aus, weil die Zofe Ella alles, was sie, Tamara, trug, in die Hand bekam und das Versteck sehr leicht entdecken konnte.

Nein, es musste schon ein besserer Platz sein. Tamara überlegte. Ein unauffälliges Versteck zu finden war schwieriger, als sie gedacht hatte.

Dann hatte sie eine Idee. Neben dem Waschbecken hing am Handtuchhalter ein rosa Schwammbeutel, ein Weihnachtsgeschenk ihrer Schwester Edwina. Tamara liebte ihn, weil sie wusste, dass ihre Schwester sich viele Süßigkeiten versagt hatte, bis sie die zwei Schilling und elf Pence beisammenhatte.

Ella hatte den Schwamm und den Waschlappen herausgenommen und auf das Becken gelegt. Der Schwammbeutel war jetzt leer. Der Kunststoff war nicht durchsichtig und dick genug, um das sehr kleine Päckchen zu verbergen, das Mr. Newbury ihr gegeben hatte. Sie zog die Schnur auf und ließ das Päckchen in den Beutel gleiten. Nein, kein Mensch würde sehen, dass der Beutel etwas enthielt. Leicht schaukelnd hing er wieder an dem verchromten Halter.

Tamara lächelte. Man sollte Dinge, die man verbergen will, immer an Orten verstecken, die allen sichtbar sind. Wer war es, der das geschrieben hatte? Oder hatte es jemand gesagt? Egal, es war auf jeden Fall der beste Platz, um Mr. Newburys Päckchen zu verbergen.

Dann fiel ihr plötzlich wieder ein, dass es mindestens schon zehn Minuten her war, seit sie den Dinnergong gehört hatte, und sie verließ die Kabine in höchster Eile.

Und nun, beinahe drei Stunden später, war sie zurückgekommen, und ihr erster Gedanke galt Kits Geschenk, das sie in ihrem Plastikbeutel versteckt hatte.

Sie berührte ihn. Sicher und gut verborgen war es. Mr. Newbury konnte zufrieden sein. Und als sie dastand und dem Wasser lauschte, das gegen die Schiffswände schlug, erinnerte sie sich der Worte, die Michael Tarrant ihr gesagt hatte, als sie gestern Abend eine Zeitlang, von Irene unbeobachtet, allein miteinander reden konnten.

„Ich freu mich so, dass Sie mit uns reisen, Tamara.“ Die Worte waren harmlos genug, doch sein langer, lächelnder Blick hatte viel mehr ausgedrückt. „Wenn Sie nach dem Dinner an Deck kommen, können wir zusammen zusehen, wie die Lichter der englischen Küste allmählich Zurückbleiben. Es ist ein unvergesslicher Anblick, den ich Ihnen gern zeigen möchte...“

Michael Tarrant... Er war so ganz anders, als Tamara sich ihn vorgestellt hatte, ganz anders. Irgendwie passte es nicht zu ihm, dass er Irenes Schoßhund spielte. Er schien so energisch, so männlich. Alles andere als ein Schmarotzer. Doch vielleicht bildete sie sich das nur ein, vielleicht war das reines Wunschdenken, weil er ihr gefiel... Und auch das musste sie sich schnell aus dem Kopf schlagen, denn sobald Irene etwas davon merkte, war sie wohl die längste Zeit Gast auf der Heron gewesen.

Doch seit sie an Bord gekommen waren, war Tamara auch noch nicht einen Augenblick mit ihm allein gewesen. Und selbst wenn sie mit ihm allein gewesen wäre, wäre er bestimmt nicht noch einmal darauf zurückgekommen. Er hatte es wahrscheinlich nur aus purer Höflichkeit gesagt und dann vielleicht bedauert, sie dazu aufgefordert zu haben. Denn als sie einander alle im Salon eine gute Nacht gewünscht hatten, hatte er sie weder bedeutungsvoll angesehen noch in einem besonderen Tonfall mit ihr gesprochen.

„Gute Nacht, Tamara. Gute Nacht, Kit."

Das war alles gewesen, und sie war hinuntergegangen und hatte seinen Vorschlag bis zu diesem Augenblick beinahe vergessen gehabt.

Irene war gegen zehn Uhr zu Bett gegangen. Mr. Newbury hatte die anderen mit einer Partie Bridge wachgehalten. Er sagte, er spiele gern nach dem Dinner, und Tamara hatte mit ihm gegen Michael und Kit gespielt, und sie hatte sich wirklich zu stark auf das Spiel konzentriert, um noch an etwas anderes zu denken. Aber jetzt erinnerte sie sich. Es war natürlich lächerlich. Sie sollte sofort zu Bett gehen. Es war spät - beinahe schon elf Uhr. Kein Mensch würde erwarten, dass sie jetzt noch an Deck ging.

Doch dann dachte sie sie: Warum eigentlich nicht? Sie würde nicht schlafen, davon war sie überzeugt. Warum sollte sie dann nicht an Deck gehen und sich die Lichter allein ansehen?