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Die siebzehnjährige Susanne wohnt in einer Pension in der Stadt, da das Gymnasium zu weit von ihrem Heimatdorf entfernt ist. Susanne gefällt es gut in der Pension, da hier so viele junge Menschen leben. Sie mag die Gemeinschaft und liebt die vielen Aktivitäten, die sich ihr hier bieten. Eines Tages bemerkt Susanne, dass Eva, eine der Schülerinnen, die auch in der Pension wohnt, betrübt wirkt. Als sie Eva darauf anspricht, bricht diese sogleich in Tränen aus. Eva muss das Gymnasium zum Herbst verlassen. Ihr Vater will, dass sie auf eine Haushaltungsschule geht, damit sie zu Hause für Ordnung schaffen kann. Ihre Mutter ist vor einigen Jahren gestorben und der Vater ist mit der jetzigen Haushälterin nicht zufrieden. Eva darf also nicht Abitur machen, dabei würde sie so gerne studieren und einmal die Apotheke des Vaters übernehmen. Ihr Vater aber denkt, dass ihr Bruder die Apotheke, die seit Jahren im Familienbesitz ist, übernehmen wird. Die Situation ist sehr verzwickt. Evas Bruder hat nämlich ganz andere Pläne für sein Leben. Und Eva hat ihrem Bruder versprochen, dass sie dem Vater davon nichts erzählt. Der Familienbetrieb ist in Gefahr.Susanne erkennt Evas ausweglose Lage. Doch sie hat einen Plan...TAPFERE JUNGE SUSANNE ist eine spannende und ergreifende Erzählung über die Sorgen und Wünsche junger Menschen, die um Anerkennung und Gerechtigkeit in der Elterngeneration kämpft. -
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Seitenzahl: 74
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Lise Gast
Die Geschichte einer Kameradschaft
Saga
Tapfere junge Susanne!
© 1936 Lise Gast
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711510087
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
Susanne zieht den Riemen noch einmal enger, obwohl der Rucksack schon fest genug auf dem Gepäckträger des Rades sitzt. Jetzt kommt der Abschied. Wär’ er doch schon vorbei! Werden denn die Eltern nie begreifen, dass es viel besser ist, sich nur die Hand zu schütteln mit einem: „Leb wohl und bleib gesund!“ Weiss man denn nicht auch ohne grosse Worte genau, wie es den andern ums Herz ist? Susanne weiss es. Jedesmal, wenn sie nach den Ferien wieder in die Stadt fährt, fühlt sie, dass es der Mutter schwerfällt, ihr Kind herzugeben. Liebe alte, graue Mutter! Kinder bleiben halt nicht daheim, selbst wenn sie es könnten, wenn sie nicht in die Höhere Schule müssten, die es hier nicht gibt. Kinder müssen lernen, allein mit dem Leben fertig zu werden.
Allein? Nein, gottlob nicht ganz allein. Da drüben hinterm Schuppen taucht Gerd Wielands blonder Schopf auf; er hat noch ein paar Kiefernzweige abgeschnitten. Susanne fühlt, wie ihr Herz leichter wird. Wer einen so guten Kameraden hat wie sie, der ist auch in der grossen Stadt nicht allein. Alles ist dann leichter zu ertragen, auch der Abschied von daheim.
Nun rollen sie zusammen durch die morgenfrische Heide, über der noch die Nebel hängen. „De Voss braut“, sagt der Heidjer. Sie müssen die grosse Landstrasse fahren, weil die kleinen Wege zu sandig für die Räder sind und weil sie eine weite Fahrt vor sich haben. Aber die Landschaft spricht auch hier zu ihnen. Sie beide kennen die Heide, o ja! Seit Susannes Eltern hergezogen sind, haben sie alle Grossen Ferien gemeinsam hier verlebt.
„Warum kann man mit Eltern nicht reden wie mit unsereinem?“ fragt Susanne nach einer langen Weile, die sie schweigend gefahren sind. „Mutter ist im Grunde eine so tapfere Frau; aber wenn ich wegfahre ... Du darfst mich nicht für schlecht halten, Gerd, aber es ist mir entsetzlich, wenn sie so weint.“
Gerd nickt vor sich hin, er kann das verstehen. Sie sind beide Kinder einer Zeit, in der man seine Gefühle nicht zeigt, sondern lieber krampfhaft lächelt oder sogar etwas ruppig wird, wenn man heulen möchte. Deshalb ist man doch nicht gefühllos. Er hält einen Augenblick im Treten inne, lässt das Rad im Freilauf fahren, so dass Susanne, die etwas hinter ihm war, an seine Seite rollt. „Meine Mutter ist auch so“, sagt er. „Weisst du, ich glaube, alle, die vor uns sind, ich meine unsere Eltern und Leute in ihrem Alter, die haben alle einen Knacks vom Krieg und der Inflation her, von all den verrückten Geschehnissen. Sie haben sehr Schweres erlebt, da muss man ihnen manches zugute halten.“
„Vielleicht.“ Sie sehen über die taublitzende Heide hin und schweigen. Beide haben denselben Gedanken: Wie werden wir sein, wenn wir so alt sind? „Immerhin“, fügt Susanne nach einer Weile hinzu, „wenn ich so werde wie meine Mutter ...“
„Bis auf das Jammern tadellos, Susanne“, bestätigt Gerd. Sie verstehen sich ohne viele Worte, und damit ist das Gespräch fürs erste abgeschlossen. Sie wissen nicht, dass es ihnen in nächster Zeit viel zu schaffen machen wird, dies Thema Eltern-Kinder, dass es in ihrer beider Leben eingreifen wird und dass sie und andere gezwungen sein werden, offen Stellung dazu zu nehmen, nicht nur in Worten, auch in Taten.
Sie fahren an diesem letzten Tag ihrer gemeinsamen Grossen Ferien durch die Sommerwelt, nehmen Abschied von Freiheit und Land, denn die Schule ruft. Für Gerd wird es eine harte Zeit werden; es geht aufs Abitur zu.
Die meisten der Pensionäre, die bei Wielands wohnen, sind schon wiedergekommen, als Gerd und Susanne eintreffen. Es sind Mädel und Jungen in ihrem Alter, die das Gymnasium oder die Höhere Mädchenschule der Stadt besuchen und denen allen Frau Wieland ein Stückchen Mutter sein muss. Der letzte Ferientag ist immer etwas unruhig; da werden Koffer geschleppt und Türen geworfen, da gibt es viel Hin und Her, fröhliche Begrüssungen und kleine Reibereien, bis alle wieder in den Trott des Alltags zurückgefunden haben. Gerds Mutter kommt erst am Abend dazu, ein Stündchen ruhig mit ihrem Sohn zu sprechen, Photos anzusehen und sich an seiner Bräune zu freuen, die sein Haar noch heller erscheinen lässt. Sie sitzen zu dreien auf dem schmalen Balkon vor dem Wohnzimmer. Gerd und Susanne erzählen.
„Und wie geht dir’s, Mutter?“ fragt Gerd schliesslich.
„O danke, sehr gut! Nur mit Eva hab’ ich Sorgen“, sagt die kleine Frau und zieht heftig den Faden durch die Ferse der Socke, die sie gerade stopft. „Ich weiss nicht, was mit ihr ist.“
„Mit Eva?“ fragt Gerd nicht sehr interessiert. Eva ist eine der jüngeren Pensionärinnen, fünfzehn oder sechzehn Jahre alt vielleicht. Er nimmt wieder das Bild des Hünengrabes in die Hand, das so gut gelungen ist, und überlegt, ob man es vergrössern soll; es ist immerhin möglich, dass ein Heimatkalender es nimmt.
Susanne, durch das Gespräch über die Eltern hellhöriger als sonst, sieht auf. Bisher hat sie es immer als selbstverständlich hingenommen, dass Frau Wieland die Fragen nach ihrem eigenen Ergehen stets unbeachtet lässt. So sehr lebt sie für andere, denkt Susanne und fühlt etwas wie Beschämung in ihrem siebzehnjährigen Herzen. Vielleicht ist doch mehr an ihnen, an der Generation der Eltern, als an uns, wenn sie auch ängstlich sind und es merken lassen, wenn’s ihnen zum Heulen ist. Nur nach uns hat sie gefragt, sich nur für uns interessiert, und musste die ganzen wundervollen sechs Sommerwochen hier die heisse Asphaltluft schlucken. Kein Urlaub, keine Reise. Und wenn man wiederkommt und vielleicht mechanisch, gedankenlos fragt, wie es ihr geht, da ist ihre ganze Antwort nichts als die Sorge um ein fremdes Mädel. Sie hebt die hellen Augen zu Frau Wieland auf, und irgend etwas treibt sie, nach einem der zerrissenen Strümpfe zu greifen und nach Nadel und Faden. „Ist Eva nicht wiedergekommen?“
„Doch, sogar vorgestern schon. — Susannchen, lassen Sie doch! Sie haben doch noch Ferien.“
„Ach, wenn man so dasitzt ...!“ Susanne hasst Strümpfestopfen; sie trägt aus diesem Grund von März bis Oktober Söckchen. Aber vielleicht geht das andern Leuten ähnlich. Rasch und möglichst sorgfältig beginnt sie zu flicken, während Frau Wieland erzählt, dass Eva fast kein Wort gesprochen hat, seit sie da ist, und ein paarmal verweinte Augen hatte.
Das fällt auch Susanne auf, als sie am nächsten Tag das Mädel trifft. Verweint sind die Augen, aber eigentlich schön, das sieht Susanne zum erstenmal. Gelbbraun sind sie, wie Moorwasser, durch das die Sonne scheint. Susanne muss an zu Hause denken, an die Heide, und sie fühlt eine plötzliche Wärme für dies Mädel, das ihr bisher gleichgültig war. „Na, Eva, fällt der Schulanfang so schwer?“ fragt sie freundlich. „Das geht uns allen so, dagegen ist nichts zu machen.“
Eva lächelt; es ist ein dankbares und zugleich schrecklich trauriges Lächeln. „Im Gegenteil, Susanne. Ich wünschte, ich könnte noch oft ...“ Und da bebt es um den jungen Mund, er schliesst sich und das Gesicht kämpft um Fassung.
„Komm!“ sagt Susanne erschrocken und mitleidig und zieht Eva mit sich in ihr Zimmer. „Komm! Ich wollte dir doch meine Ferienbilder zeigen.“
Dann sitzen sie zusammen auf Susannes Bettrand, und von Bildern ist keine Rede mehr. Erst ist Eva noch befangen, müht sich, das Weinen zurückzuhalten, aber dann bricht es doch durch und mit den Tränen die ganze Geschichte.
Eva soll Michaelis aus der Schule genommen werden. Ihr Vater hat sie in einer Haushaltungsschule angemeldet, damit sie alles lernt, was man können muss, um einer Wirtschaft vorzustehen. Sobald das erreicht ist, will er sie zu Hause behalten, damit endlich der Ärger mit den Wirtschafterinnen aufhört. Evas Mutter ist seit ein paar Jahren tot, der Vater hat eine Apotheke in einem Städtchen am Harz.
Das also ist es. Susanne ist zum Fenster gegangen, das geschlossen war; jetzt fällt warmes Sonnenlicht herein. Sie setzt sich auf die Kante ihres Tischchens, das sie mit viel List und Tücke als Schreibtisch zurechtgemacht hat, und stützt die Füsse auf ihren Papierkorb. So sitzt sie da, sieht in die hellbraunen Augen ihr gegenüber und denkt nach. „Weisst du, Eva, ich muss sagen, solch ein Posten hat was Schönes. Wenn ich selbständig wirtschaften könnte — und es erst sogar noch lernen, richtig, nicht nur durchs gelegentliche Abgucken und Selbstprobieren —, das könnte mich geradezu locken. Ich finde, das ist doch ein Beruf, ein gar nicht leichter und sehr vielseitiger. Aber du möchtest wohl sehr gerne das Abitur machen?“ fügt sie zögernd hinzu.