Tarzans Sohn - Edgar Rice Burroughs - E-Book

Tarzans Sohn E-Book

Edgar Rice Burroughs

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Beschreibung

"Tarzans Sohn" ist das vierte von 24 Büchern von Edgar Rice Burroughs über die Figur Tarzan. Tarzan trat erstmals in der Geschichte "Tarzan bei den Affen" (engl. "Tarzan of the Apes") auftrat, die in der Oktoberausgabe des Pulp-Magazins "All-Story Magazine" am 27. August 1912 erschien. Die erste Buchausgabe erschien 1914. Tarzan ist der Sohn eines britischen Lords und dessen Frau, die zu Beginn noch schwanger ist. Die beiden werden Opfer einer Meuterei, werden an der afrikanischen Küste ausgesetzt und richten sich dort ein. Sie bauen eine kleine Hütte, in der sie sich sicherer fühlen als im wilden Dschungel. Ihr Sohn erhält den Namen John Clayton III., Lord Greystoke. Die Mutter stirbt, als er ein Jahr alt ist; sein Vater lässt sein Leben im Kampf gegen eine Affenbande. Von da an heißt die Waise "Tarzan" und wird von dieser Gruppe Affen aufgezogen, unter denen sich die Affenfrau Kala besonders um ihn kümmert. Ihren eigenen, zuvor vom Affenhäuptling getöteten Säugling legt sie stattdessen in die Wiege der kleinen Hütte. "Tar-zan" bedeutet "Weiße Haut" in der Mangani-Sprache, der von Burroughs erschaffenen Affensprache. Die Affenart wird in den Romanen nicht genannt; es sind weder Gorillas noch Schimpansen, sondern sogenannte "große Anthropoiden". In den nächsten Jahren wächst Tarzan im Vergleich zu den Affenkindern langsam heran, erlangt aber als Kind bereits die Körperkraft eines Leistungssportlers von etwa 30 Jahren.

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Seitenzahl: 515

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Inhaltsverzeichnis

Ein Riesenaffe reist nach London

Ajax, der dressierte Affe

Pawlowitschs Ende

Eine tolle Fahrt

Die kleine braune Meriem

Erste Dschungeltaten

Der »elfte« Löwe

Korak, der »Töter«

Kameraden

Mangani, Manus und die bunten Vögel

Dieser da ist euer neuer König

Die Tierfalle

Meriem bekommt neue Herren

»Bwana« und seine Farm

Das Heer der Paviane

Die Jagd

Der »Mann von Welt« in Afrika

Tantor schreitet durch die Waldnacht

Korak, der Einsame

Der Ritt ins Unbekannte

Zu spät

Das tote Dorf

Abdul Kamak, der Sohn der Wüste

Tantor hält Abrechnung

Die schaurige Nacht

Tarzan ist wieder da!

Ein Riesenaffe reist nach London

Ein Boot der »Marjorie W.« trieb zur Zeit der Ebbe den breiten Ugambi mit der Strömung hinab; es war der Bemannung anzusehen, daß sie sich freute, die harte Ruderarbeit der Stromaufwärtsfahrt hinter sich zu haben, und jeder machte es sich, so gut es ging, bequem. Man war ja noch etwa drei Meilen von der »Marjorie W.« entfernt, die allerdings sofort in See gehen sollte, sowie sie das lange Boot samt seinen Insassen an Bord hatte.

Als so jeder seinen Gedanken nachhing oder sich mit seinen Kameraden mehr oder weniger angeregt unterhielt, wurde plötzlich die Aufmerksamkeit aller nach dem Nordufer des Stromes gelenkt: Dort stand jemand ... War es ein Mensch? Weit ausgestreckt die dürren, abgemagerten Arme ... und dazu die bettelnden Rufe in höchsten Fisteltönen!

Was will der eigentlich? stieß einer der Matrosen hervor.

Es ist ein Weißer! brummte der Steuermann vor sich hin. Dann kommandierte er: Alle Mann an die Ruder! Wollen gerade auf ihn zu halten und sehen, was mit ihm los ist, fügte er noch hinzu.

Beim Näherkommen erkannten sie in der Gestalt deutlich das klägliche Zerrbild eines Menschen. Ein paar armselige weiße Locken deckten wirr und kraus das Haupt, der nackte Körper schien nur Haut und Knochen, und um die schmalen Lenden hing lose ein Leinenfetzen.

Tränen rannen von den eingefallenen und narbenbedeckten Wangen, als der Mann die Ankömmlinge mit fremdem, unbekanntem Gestammel anredete.

Das ist vielleicht ein Russe, meinte der Steuermann. Kannst du Englisch? rief er dem Fremdling zu.

Er verstand die Frage und radebrechte nun langsam und stockend hervor, was er wollte. Es machte den Eindruck, als seien Jahrzehnte verflossen, seit er das letztemal englisch gesprochen hatte, doch ließ sich seinen Worten soviel entnehmen, daß er unter allen Umständen aus diesem »Lande der Schrecken« fortwollte.

Als er an Bord der »Marjorie W.« war, erzählte er seinen Rettern seine ganze Leidensgeschichte, die überall mit lebhafter Anteilnahme aufgenommen wurde. Es war eine ununterbrochene Kette von Entbehrungen, Nöten und Qualen gewesen, die ihn zehn Jahre lang gefesselt hatte. Wie er überhaupt nach Afrika gekommen war, berichtete er ihnen jedoch nicht; er ließ sie bei der Meinung, daß er alles, was sein früheres Leben anging, unter der Einwirkung der schrecklichen Heimsuchungen völlig vergessen hatte, die ihn freilich geistig und körperlich zerrüttet haben mußten. Auch seinen wirklichen Namen nannte er ihnen nicht, und so kannten sie ihn nur als Michael Sabrov. Und tatsächlich war auch nichts, was beim Anblick dieses bedauernswerten Menschenwracks an die stattliche Erscheinung des Schurken Alexei Pawlowitsch von einst erinnert hätte.

Zehn Jahre waren verflossen, seit der Russe dem Schicksal, das seinen Freund, den Bösewicht Rokoff, ereilt, entgangen war. Nicht nur einmal, nein, unzählige Male hatte Pawlowitsch in diesen zehn Jahren das Schicksal verwünscht, das Nikolaus Rokoff den Tod und damit die Befreiung von allen Leiden gewährt, während es ihm die schrecklichsten Schrecken eines Lebens zumaß, das wahrlich schlimmer als der Tod war, den es ihm hartnäckig immer und immer wieder versagte. Pawlowitsch hatte sich in die Dschungel davongemacht, sowie er Tarzans Tieren mit ihrem wilden Herrn und Gebieter an Bord der »Kincaid« den letzten Streich gespielt hatte. In seiner Angst, daß Tarzan ihn doch noch verfolgen und gefangennehmen könnte, hatte er sich in die Tiefen der Dschungel geflüchtet und war so schließlich in die Hände eines grausamen Kannibalenstammes gefallen, der Rokoffs Schandtaten noch sehr in Erinnerung hatte. Zehn Jahre lang hatte er dann die Zielscheibe aller Rachegelüste dieser Wilden sein müssen, Weiber und Kinder hatten ihn geschlagen und mit Steinen nach ihm geworfen, und die Männer waren nur zu oft mit Messern und Knüppeln über ihn hergefallen. Ein bösartiges Fieber nach dem anderen hatte sich ihn zu seinem Opfer auserkoren – und doch starb er nicht, auch als die Blattern ihn mit furchtbaren Krallen umklammerten.

Unter diesen Martern und dank den »Liebenswürdigkeiten« des Kannibalenstammes wandelte sich das Äußere Alexei Pawlowitschs derart, daß selbst seine eigene Mutter in diesem vernarbten Gesicht kaum einen einzigen vertrauten Zug entdeckt haben würde. Von dem dichten, schwarzen Haar, das einst sein Haupt deckte, waren nur ein paar spärliche, schmutzigweiße Strähnen geblieben, seine Glieder waren krumm und verwachsen; schwerfällig und schwankend schleppte er sich mit vorgeneigtem Oberkörper dahin. Von Zähnen war nichts mehr zu sehen; die hatten ihm seine wilden Peiniger einfach herausgeschlagen. Und selbst das, was er an geistigen Kräften sein eigen genannt hatte, war jetzt nur noch ein Zerrbild von dem, was es einst gewesen.

Sie hatten ihn also mit an Bord der »Marjorie W.« genommen und dort für Nahrung und gute Pflege gesorgt. Gewiß, er kräftigte sich ein wenig, aber ihm war fast nichts davon anzusehen. Als das Wrack eines Menschen, zerschlagen und halbzerborsten, hatten sie ihn gefunden – und das Wrack eines Menschen, zerschlagen und halbzerborsten, würde er auch bleiben, bis der Tod ihn einmal zu sich rief. Alexei Pawlowitsch war noch in den vierziger Jahren, und doch hätte man ihn leicht für einen Achtziger gehalten. Die unergründliche Natur hatte dem bloßen Helfershelfer schwerere Strafen auferlegt, als der Führer und Anstifter auf sich nehmen mußte.

Keinerlei Rachegedanken durchwühlten das Hirn dieses Alexei Pawlowitsch mehr, aber er grollte doch dem Manne, den er und Rokoff nicht hatten zerschmettern können. Groll empfand er auch, wenn er an Rokoff dachte, denn Rokoff hatte ihn mit sich in dieses Schreckensreich hineingerissen, dessen Qualen er nun bis zur Neige ausgekostet hatte. Er grollte auch der Polizei einiger Städte, aus denen er hatte fliehen müssen, er haßte die Gesetze, die Ordnung, er haßte alles. So lange er wach war, wogten krankhafte Haßgedanken durch sein Inneres, sie ließen ihn kaum eine Sekunde los; es war, als habe sich sein abschreckendes Äußere mit diesem seinem Inneren zu einer Verkörperung blinden Hasses vereint.

Den Matrosen, die ihn vor dem völligen Untergang gerettet hatten, trat er kaum näher. Zum Arbeiten war er zu schwach, er war auch viel zu griesgrämig, um ein guter Gesellschafter zu sein. Man ließ ihn bald allein; er mochte sich mit sich selbst beschäftigen.

Die »Marjorie W.« war seinerzeit von einer Vereinigung wohlhabender Fabrikanten gechartert worden; man hatte auf ihr ein Laboratorium eingerichtet und ihr einen Stab von Gelehrten mitgegeben, die nach einem Rohstoff suchen sollten, den die Unternehmer der Expedition bisher unter ungeheurem Kostenaufwand aus Südamerika einführen mußten. Um was für einen Rohstoff es sich handelte, war allein den Gelehrten an Bord der »Marjorie W.« bekannt. Für uns hat dies nur insofern Bedeutung, als der weitere Verlauf der Forschungsreise das Schiff, nachdem man Pawlowitsch an Bord genommen, nach einer Insel in der Nähe der afrikanischen Küste führte.

Das Schiff lag einige Wochen unweit des Inselufers vor Anker. Kein Wunder, daß das ewige Einerlei für die Mannschaft mit der Zeit recht langweilig wurde. Man ging also öfters an Land, und schließlich hatte auch Pawlowitsch das eintönige Leben an Bord gründlich satt und fragte, ob er sich den Matrosen anschließen dürfe.

Die Insel war dicht bewaldet, üppiges Dschungelgestrüpp wucherte bis zum Strande herab. Die Gelehrten waren weit ins Innere vorgedrungen und suchten nach den wertvollen Schätzen der unberührten Natur, die – wie die Eingeborenen des Festlandes ihnen versichert hatten – dort in erstaunlicher Fülle zu finden sein sollten. Die Matrosen fischten, gingen auf die Jagd oder streiften planlos in den Wäldern herum, während Pawlowitsch am Strande auf und ab hinkte oder im Schatten der großen Bäume am Waldessaum vor sich hindämmerte.

Eines Tages schlief er wieder unter einem solchen Baumriesen. Die Matrosen standen in einiger Entfernung um einen Leoparden, dem die Kugel eines ihrer Kameraden im Innern der Insel den Garaus gemacht hatte. Mit einem Male erwachte Pawlowitsch. Es kam ihm vor, als habe sich eine Hand auf seine Schulter gelegt, er richtete sich entsetzt auf: Neben ihm hockte ein riesiger Menschenaffe und starrte ihm fest in die Augen.

Der Russe war zu Tode erschrocken, seine Blicke schweiften hinüber zu den Matrosen ..., doch die waren einige hundert Meter weit weg. Wiederum zupfte der Affe an seiner Schulter und stieß dabei ein paar klägliche Jammerlaute hervor. Pawlowitsch erkannte, daß in dem forschenden, bittenden Blick des Tieres und in dessen ganzer Haltung im Augenblick nichts Bedrohliches lag. Als er sich dann langsam erhob, stand der Affe neben ihm auch sofort auf.

Halbgebückt wankte Pawlowitsch vorsichtig davon; er mußte versuchen, mit heiler Haut zu den Matrosen hinüberzukommen. Doch der Affe ging ruhig mit und faßte ihn sogar an seinem Arm. So gelangten sie unbemerkt ziemlich nahe an die Matrosen heran; Pawlowitsch hatte inzwischen die Überzeugung gewonnen, daß das Tier nichts Böses im Schilde führte; es schien an menschliche Gesellschaft gewöhnt zu sein. Sofort schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, daß dieser Affe eigentlich einen riesigen Wert hatte. Und den wollte er sich zunutze machen, sich ganz allein. Bevor er noch zu den Matrosen stieß, war die Idee bei ihm abgemachte Sache.

Die Matrosen waren aufs höchste bestürzt, als sie mit einem Male das seltsame Paar aus dem Dickicht heranhumpeln sahen, und sogleich reckte sich den Ankömmlingen ein Gewehrlauf verderbendrohend entgegen. Doch der Affe zeigte nicht die geringste Furcht. Er packte sofort einen Matrosen nach dem anderen an den Schultern und musterte jeden lange mit einem forschenden Blick. Dann wandte er sich wieder zu Pawlowitsch zurück. In seinen Zügen und in seiner ganzen Haltung war bittere Enttäuschung zu lesen.

Den Matrosen machte der Affe jetzt Spaß. Sie drängten sich heran, suchten den Russen auszufragen und musterten seinen Begleiter von allen Seiten. Der Russe sagte nur soviel, daß der Affe ihm gehöre. Im übrigen rückte er nicht weiter heraus, betonte aber immer wieder: Der Affe gehört mir, der Affe gehört mir. Allmählich konnte man diese alberne Erklärung Pawlowitschs schon gar nicht mehr anhören. Einer der Matrosen versuchte sich mit einer kleinen Neckerei. Er schlich sich um den Affen herum und stach ihm mit einer Nadel in den Rücken. Doch der Affe stürzte sich blitzartig auf seinen Peiniger. In dem Augenblick, in dem es sich umdrehte, hatte sich auch das erst so harmlose friedliche Tier in eine wutschnaubende Bestie verwandelt. Das breite Lachen, das um die Lippen des Matrosen spielte, als er sich den kühnen Scherz erlaubte, wich augenblicklich wildem Entsetzen. Er suchte den langen Armen, die sich nach ihm ausstreckten, durch einen raschen Seitensprung zu entgehen, doch vergeblich. Und als er sein langes Messer aus dem Leibgurt zog, schlug der Affe es ihm mit einem Ruck aus der Faust zu Boden. Dann gruben sich die gelben Fangzähne des Ungeheuers in die Schultern des Matrosen ...

Mit Knütteln und Messern fielen die anderen Matrosen über das Tier her, während Pawlowitsch um den fluchenden und brüllenden Knäuel der Kämpfenden herumschlich und seiner Wut mit mehr oder weniger lauten Bitten und Drohungen Luft machte; denn all seine schönen Träume von Wohlstand und Reichtum sah er schon unter den Dolchen und Knütteln der Matrosen ins Nichts zerfließen ...

Allein der Affe war nicht gewillt, sich ohne weiteres der Übermacht zu fügen, wenn es auch schien, als müsse er unterliegen. Er riß sich jetzt von dem Matrosen los, der den Frieden gebrochen hatte, zwei andere, die sich an seinen Rücken festgeklammert hatten, schüttelte er einfach ab und stürzte dann auf die Angreifer, daß einer nach dem anderen zu Boden flog. Bald sprang er hierhin, bald dahin ..., er war behend wie ein Meerkätzchen.

Der Kapitän und der Steuermann waren vom Strande aus Zeugen dieses Kampfes gewesen und kamen jetzt mit schußbereiten Revolvern herangeeilt. Zwei Matrosen, die das Boot der »Marjorie W.« herübergerudert hatten, folgten ihnen auf dem Fuße.

Der Affe stand jetzt ruhig da und schien zu betrachten, was er angerichtet hatte. Pawlowitsch vermochte indessen nicht zu erraten, was er nun tun würde. Ob der Affe einen neuen Angriff erwartete oder ob er überlegte, welchen seiner Gegner er zuerst ins Jenseits befördern sollte? Er wußte nur soviel, daß die beiden Offiziere mit dem Tiere kurzen Prozeß machen würden, sowie sie auf Schußweite heranwaren. Irgend etwas mußte also getan werden, und zwar schnell, wenn er das verhindern wollte. Keine Bewegung des Affen deutete darauf hin, daß er auch den Russen angreifen würde; immerhin war Pawlowitsch nicht sicher, was passierte, sowie er sich mit diesem wilden Tiere weiter einließe. Ob nicht trotzdem die Bestie sich zu wütendem Angriff auch gegen ihn erhöbe, nachdem ihr eben erst frisches Blut in die Nase gestiegen war? Er zögerte einen Augenblick, doch dann schwebten vor seinen Augen wieder die Traumbilder von Reichtum und Überfluß, die dieser große Menschenaffe zweifellos zur Wirklichkeit machen konnte, wenn Pawlowitsch erst einmal wohlbehalten mit ihm in irgend einer Metropole der zivilisierten Welt – vielleicht in London? – gelandet wäre.

Der Kapitän rief Pawlowitsch laut entgegen, er solle beiseitetreten, damit er den Affen niederschießen könne. Statt dessen drängte sich Pawlowitsch näher an das Tier heran und, wiewohl ihm vor Angst die Haare zu Berge standen, bezwang er sich und stützte sich auf des Affen Arm.

Komm mit, gebot er dem Affen und suchte ihn mit Anspannung aller Kräfte aus dem Kreise der Matrosen wegzuzerren, die mit schreckensweiten Augen dasaßen oder auf Händen und Knien aus dem Bereich ihres Bezwingers davonkrochen.

Langsam ließ sich der Affe beiseite führen, und es war nicht das geringste Anzeichen dafür zu entdecken, daß er dem Russen ein Leid antun würde. Der Kapitän war inzwischen bis auf ein paar Schritte an das seltsame Paar herangekommen und blieb stehen.

Tritt beiseite, Sabrov! befahl er! Ich will die Bestie dorthin befördern, wo sie einem braven Seemann nichts mehr anhaben kann.

Das Tier war nicht schuld an der ganzen Sache, warf Pawlowitsch ein. Schießen Sie bitte nicht! Die Leute reizten das Tier – sie haben den Kampf vom Zaune gebrochen. Sehen Sie nur, der Affe ist völlig zahm, und – er ist mein, er gehört mir, ja, mir gehört dieser Affe! Ich dulde nicht, daß Sie ihn töten, schloß er, und in seinem angekränkelten Hirn tauchte wieder die kühne Idee von vorhin auf. Er berauschte sich förmlich an dem Gedanken, daß der Affe ihm in London Geld einbringen würde, viel Geld, so viel, wie er nie zu besitzen gehofft hätte, wäre ihm nicht dieser wertvolle Affe vom Glück in den Weg geschickt worden.

Der Kapitän ließ seine Waffe sinken. Die Matrosen haben das Tier gereizt? Stimmt das? forschte er. Wie steht es damit? wandte er sich an die Matrosen, die sich inzwischen vom Boden erhoben. Sie hatten alle Lehrgeld zahlen müssen, aber am schlimmsten war der daran, der den Zusammenstoß auf dem Gewissen hatte, und dem nun seine wunde Schulter eine Woche oder länger zu schaffen machen würde.

Simpson war's, sagte einer der Matrosen. Er stach den Affen mit einer Nadel in den Rücken, und der Affe packte ihn. Das geschah ihm aber ganz recht; und daß der Affe uns auch gehörig anfaßte, kann ich ihm nicht verdenken, denn wir sind dann alle zusammen auf ihn losgestürzt.

Der Kapitän sah Simpson an, der die Wahrheit der Aussage bestätigen mußte. Dann trat der Kapitän auf den Affen zu; er tat so, als wolle er sich nun auch selbst ein Bild davon machen, ob der Affe tatsächlich gar nicht bösartig sei. Dabei hielt er den Revolver schußbereit, um im Notfall das Tier jeden Augenblick niederstrecken zu können. In begütigendem Tone sprach er auf den Affen ein, der jetzt neben dem Russen hockte und zuerst die beiden neuen Matrosen betrachtete. Als der Kapitän immer näher kam, erhob er sich halb und humpelte ihm entgegen. In seinen Zügen lag derselbe eigenartige forschende Ausdruck von vorhin, als er auf die Matrosen stieß und ihnen nacheinander prüfend in die Augen schaute. Ganz nahe trat er an den Offizier heran, legte eine Hand auf dessen linke Schulter und starrte ihm lange mit suchendem Blick in die Augen. Und wieder huschte ein Ausdruck von Enttäuschung über sein Gesicht, und so etwas wie ein menschlicher Seufzer entrang sich seiner Brust. Dann wandte er sich von dem Kapitän ab und forschte in derselben seltsamen Art in den Gesichtern des Steuermanns und der beiden Matrosen, die mit den Offizieren nachgekommen waren. Jedesmal trottete er seufzend weiter und schließlich wieder zu Pawlowitsch, neben dem er sich abermals niederließ. Er zeigte darauf nicht das geringste Interesse mehr an seiner Umgebung, ja, es schien, als habe er den Kampf von vorhin bereits vergessen.

Als man an Bord der »Marjorie W.« zurückkehrte, nahm Pawlowitsch den Affen mit; es schien auch, als sei das Tier geradezu darauf erpicht, mitzukommen. Der Kapitän legte keine Schwierigkeiten in den Weg; der große Menschenaffe wurde stillschweigend als Passagier geduldet. An Bord prüfte er minutenlang jedes neue Gesicht, und jedesmal lag wieder dieselbe Enttäuschung in seinen Zügen. Die Offiziere und Seeleute an Bord unterhielten sich über das Tier, konnten aber keine Erklärung für das seltsame Gebaren finden, mit dem der Affe jedes neue Gesicht empfing. Hätte man ihn auf dem afrikanischen Festland oder auch irgendwo anders eingefangen, jedenfalls aber nicht gerade auf dieser unbekannten Insel, die seine Heimat sein mußte, dann würde man der Überzeugung gewesen sein, daß Menschen ihn früher einmal gezähmt hatten. Diese Auffassung war aber hier unhaltbar, weil er doch von dieser völlig unbewohnten Insel stammte.

Er schien übrigens beständig jemanden zu suchen, und während der ersten Tage nach Abfahrt von der Insel fand man ihn oft, wie er in den verschiedensten Teilen des Schiffes herumstöberte. Nachdem er aber jedes neue Gesicht an Bord gemustert und alles bis in die entlegensten Ecken des Schiffes ausgekundschaftet hatte, verfiel er in nahezu völlige Teilnahmslosigkeit. Seine ganze Umgebung kümmerte ihn nicht mehr; nur für den Russen behielt er einiges Interesse, so oft er ihm sein Futter brachte. Sonst schien er den Russen auch nur zu dulden, denn er legte ihm gegenüber keinerlei besondere Zuneigung an den Tag. Im übrigen deutete nichts darauf hin, daß seine wilden Instinkte, die sich damals bei dem Zusammenstoß mit den Matrosen in seinem Zorn so schrecklich entladen hatten, eines schönen Tages wieder erwachen würden. Meistens hielt er sich im Ausguck des Schiffes auf. Seine Augen suchten den Horizont in der Fahrtrichtung ab, und es schien, als habe er soviel Verstand, um zu wissen, daß man auf einen Hafen zusteuerte, wo er neuen Menschen begegnen und diesen forschend ins Antlitz schauen könnte. Alles in allem hielt man Ajax – so hatte man ihn genannt – an Bord der »Marjorie W.« für den bedeutendsten und intelligentesten Affen, den man je gesehen hatte. Allein seine Klugheit war nicht die einzige bemerkenswerte Eigenschaft; schon sein für einen Affen wuchtiges Äußere mußte jedem Bewunderung und Scheu einflößen. Gewiß, er war schon alt, das sah jeder. Ob sein Alter freilich seine körperlichen und geistigen Kräfte irgendwie herabgesetzt haben mochte, ließ sich nicht erkennen.

Und so kam die »Marjorie W.« schließlich nach England. Die Offiziere und Gelehrten hatten Mitleid mit dem armen halbgebrochenen Russen, den sie in der Wildnis aufgelesen, und entließen ihn mit einigem Geld und den besten Wünschen für seine und des Affen Zukunft.

Im Hafen und auf der Fahrt nach London hatte der Russe mit Ajax seine liebe Not. Beinahe jeden der Tausende, die unterwegs in seine Reichweite kamen, suchte der Menschenaffe eingehend zu mustern, wobei natürlich nicht wenige seiner »Opfer« zu Tode erschrocken waren. Als er dann offenbar merkte, daß der, den er suchte, nicht zu finden war, verfiel er wieder in eine geradezu krankhafte Teilnahmslosigkeit, aus der er sich nur ganz selten aufraffte, wenn jemand an ihm vorbeikam.

In London ging Pawlowitsch mit seiner »Beute« sofort zu einem bekannten Tierbändiger. Der Mann war sogleich für Ajax begeistert, zumal die Verhandlungen dazu führten, daß er den Löwenanteil an dem zu erwartenden Gewinn der Schaustellungen zugesichert erhielt. Zunächst wollte er den Affen dressieren und während der hierfür nötigen Zeit auch für den Unterhalt des Tieres und seines Besitzers sorgen.

So kam Ajax nach London, und damit hatte sich das Glied einer Kette eigenartiger Zufälle geschlossen, die für das Leben vieler Menschen von einschneidender Bedeutung sein sollten.

Ajax, der dressierte Affe

Mister Harold Moore war ein gebildeter junger Herr, sehr fleißig, aber auch schon ein wenig griesgrämig, er nahm sich selbst sehr ernst, nicht minder sein ganzes Leben und seinen Beruf. Er war als Hauslehrer zur Erziehung des jungen Sohnes eines britischen Lords engagiert worden, und da er bald zu der Überzeugung gekommen war, daß sein Zögling nicht die Fortschritte machte, die dessen Eltern mit Recht erwarten mußten, trug er eines Tages der Mutter des Jungen gewissenhaft seine Bedenken vor.

Ich kann nicht behaupten, daß der Junge nicht geweckt und klug ist, meinte Mr. Moore. Wäre dies der Fall, könnte ich bestimmt auf Erfolg hoffen, denn ich würde alle meine Kräfte dafür einsetzen, um diese Schwächen auszugleichen oder ganz zu beheben. Die Hauptschwierigkeit liegt vielmehr darin, daß der Junge übermäßig geweckt und begabt ist. Er lernt so rasch, daß ich nicht das geringste an dem auszusetzen habe, was er für die Stunden vorbereitet. Es bekümmert mich jedoch, daß er offenbar nicht ein Fünkchen innerer Anteilnahme für das aufbringt, was wir jeweils zusammen durcharbeiten. Er sitzt gewissermaßen nur jede Stunde ab wie etwas, was man sich möglichst schnell vom Halse schaffen will, und ich bin sicher, daß kein Unterrichtsthema ihm eine Minute eher wieder durch den Kopf geht, als bis die Stunden unseres gemeinsamen Studiums und des Vortrags wieder herangekommen sind. Das einzige, was ihn wirklich interessiert, scheinen Stoffe zu sein, die von Heldentaten und Beweisen körperlicher Tüchtigkeit berichten. Er liest alles, was er an Büchern über wilde Tiere sowie über Leben und Gebräuche unzivilisierter Völker in die Hände bekommen kann. Den Tiergeschichten gibt er dabei den Vorrang. Er will, daß wir stundenlang zusammen in den Werken einiger Afrikaforscher herumstöbern, und überdies habe ich ihn zweimal dabei ertappt, wie er nachts im Bette sitzend Carl Hagenbecks Buch »Von Tieren und Menschen« las.

Die Mutter setzte ihren Fuß nervös auf den Kaminteppich.

Sie haben ihm das natürlich verboten? unterbrach sie ihn.

Mr. Moore wurde etwas verlegen.

Ich – – ja – – ich versuchte ihm das Buch wegzunehmen, erwiderte er – und eine leichte Röte verfärbte sein sonst bleiches Gesicht. Aber ... nun ... Ihr Sohn ist doch schon recht kräftig für sein Alter ...

Er wollte sich das Buch nicht wegnehmen lassen? forschte die Mutter weiter.

Ja, er wollte es nicht, gestand der Hauslehrer. Er war erst im Grunde durchaus gutmütig, erklärte jedoch hartnäckig, daß er ein Gorilla sei und ich ein Schimpanse, der ihm seine Nahrung rauben wolle. Dann sprang er mit wildem Knurren, wie ich es noch nie gehört, auf mich zu, hob mich bis über seinen Kopf hoch und schleuderte mich auf sein Bett. Mit allerhand Grimassen und Bewegungen wollte er dann wohl ausdrücken, daß er mich eigentlich zu Tode würgen müßte. Schließlich stellte er sich auf meinen ausgestreckt daliegenden Körper und stieß einen furchtbaren Schrei aus. Das sollte, wie er erklärte, der Siegesruf der Menschenaffen sein. Darauf trug er mich an die Tür, schob mich hinaus in den Vorraum und sperrte sein Zimmer von innen zu ...

Einige Minuten waren beide sprachlos. Die Mutter des Jungen brach schließlich das Schweigen.

Es ist hochnötig, Mr. Moore, sagte sie, daß Sie alles, was in Ihrer Macht steht, daransetzen, Jack aus dieser Bahn herauszubringen; er ...

Sie kam nicht weiter. Lautes Geschrei drang zum Fenster herein. Sie sprangen beide auf. Das Zimmer lag im zweiten Stock des Hauses, und dem Fenster gegenüber stand ein großer Baum, der einen Ast bis auf etwa einen Meter an den Fenstersims heranstreckte. Eben auf diesem Ast entdeckten beide jetzt den Gegenstand ihrer ernsten Unterhaltung. Der große, kräftig gebaute Junge hielt sich auf dem schwankenden, gekrümmten Ast mit Leichtigkeit im Gleichgewicht und brach, als er die entsetzten Gesichter der beiden gewahrte, in laute Freudenrufe aus.

Die Mutter und der Hauslehrer stürzten beide nach dem Fenster zu, doch noch ehe sie halb dort waren, war der Junge behend auf den Sims herübergesprungen und im Zimmer.

Der wilde Mann aus Borneo, trällerte er vor sich hin und führte dabei eine Art Kriegstanz um seine entsetzte Mutter und den sichtlich verstimmten Hauslehrer auf. Dann schlang er seine Arme um den Hals seiner Mutter und küßte sie auf die Wangen.

O Mutter, rief er, in einer Musikhalle wird ein wundervoller dressierter Affe vorgeführt. Willy Grimsby sah ihn gestern abend. Er sagt, das Tier könne einfach alles, nur nicht richtig sprechen. Der Affe fährt Rad, ißt mit Messer und Gabel, zählt bis zehn und kann noch viele andere schöne Kunststückchen. Darf ich auch hin und ihn ansehen? O bitte, Mutter – laß mich hin!

Die Mutter strich ihrem Jungen freundlich über die Wangen, schüttelte jedoch ablehnend den Kopf. Nein, Jack, entgegnete sie bestimmt. Du weißt, ich bin nicht für solche Sachen.

Mutter, ich sehe aber nicht ein, warum, unterbrach sie der Junge. Alle meine Altersgenossen gehen hin, sie gehen auch nach dem Zoo ..., und du läßt mich nie mit. Jeder meint, ich bin ein Mädel oder ... oder ... ein Muttersöhnchen. Vater, du ..., rief er dem stattlichen Herrn mit den grauen Augen entgegen, der eben zur Tür hereintrat. Vater, darf ich hingehen?

Wohin denn, mein Junge? fragte dieser.

Er will durchaus in eine Musikhalle und sich dort einen dressierten Affen ansehen, warf die Mutter des Jungen ein und gab dabei ihrem Gatten mit einem Blick zu verstehen, daß die Erlaubnis versagt werden sollte.

Was für ein Affe? Ajax etwa? forschte der Herr weiter.

Jack nickte.

Gut, ich habe nichts daran auszusetzen, mein Sohn; habe nicht übel Lust, mir die Sache selbst anzusehen. Man sagt allgemein, der Affe sei ein Prachtexemplar und für einen Menschenaffen außergewöhnlich groß. Wir wollen alle zusammen gehen. Meinst du nicht auch, Jane?

Er richtete diese Frage an seine Frau, die aber den Kopf schüttelte. Sie lehnte also glatt ab. Darauf fragte er Mister Moore, ob er und Jack jetzt nicht bei den Vormittagsstudien zu sein hätten. Die beiden gingen. Die Lady wandte sich sofort an ihren Gatten.

John, begann sie, es muß etwas getan werden, um Jacks Neigung für alles, was mit der Wildnis zusammenhängt, einzudämmen. Ich fürchte übrigens, er hat das von dir geerbt. Du weißt ja aus eigener Erfahrung, wie stark sich bisweilen die Sehnsucht nach der Urgewalt des Dschungellebens bei dir geltend macht. Du weißt, wie es dich oft einen harten Kampf kostet, dem fast wahnsinnig heftigen Verlangen zu widerstehen, wenn es dich peinigt, und du dich wieder in das Land der Gefahren stürzen möchtest, das dich so viele, viele Jahre an sich kettete. Und du weißt auch – besser als irgend jemand anderes – wie furchtbar es für Jack wäre, sollte ihn eines Tages die Dschungel ernstlich locken, oder ihm der Weg dahin gar irgendwie geebnet werden.

Ich bezweifle, ob überhaupt zu befürchten ist, daß der Junge eine besondere Sehnsucht nach dem Dschungelleben von mir geerbt haben könnte, erwiderte Lord Greystoke. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß derlei Besonderheiten vom Vater auf den Sohn übergehen. Bisweilen will es mir aber scheinen, liebe Jane, daß du in deiner Sorge um Jacks Zukunft etwas zu weit gehst, wenn du ihn von dem und jenem fern hältst. Seine Liebe zu Tieren – zum Beispiel der jetzige Wunsch, diesen dressierten Affen zu sehen – ist bei einem gesunden, normalen Jungen seines Alters etwas ganz Natürliches. Wenn er Ajax sehen will, so sagt das doch noch lange nicht, daß er einen Affen heiraten will, und, selbst wenn er das wollte, liebe Jane, würdest du nicht das Recht haben, ihm zu sagen: Schäme dich doch!

John Clayton, der Lord Greystoke, schlang einen Arm um seine Gattin. Sie blickte zu ihm auf; ein gütiges Lächeln breitete sich über sein Gesicht, er neigte sein Haupt zu ihr nieder und küßte sie.

Dann fuhr er mit ernsterer Betonung fort: Du hast Jack nie etwas von meinem früheren Leben erzählt und hast es auch mir nicht gestattet. Ich glaube, du hast damit einen Fehler gemacht. Hätte ich ihm von den Erfahrungen des Affen-Tarzan berichten können, ich würde ihm zweifellos viel von der zauberhaften Romantik genommen haben, in der das Dschungelleben sich in den Köpfen derer malt, die nicht selber alles durchgemacht haben. Meine Erfahrung würde ihm zugute gekommen sein, aber so? Wenn ihn jetzt eines schönen Tages die Dschungel geradezu unwiderstehlich locken sollte, wird er sich nur von seinen Impulsen leiten lassen, und ich weiß, wie mächtig die uns zuzeiten gerade in die falsche Bahn abdrängen können.

Allein Lady Greystoke schüttelte nur wieder den Kopf, wie sie es hundert und mehr Male getan, so oft man auf die Vergangenheit zu sprechen gekommen war.

Nein, John! Sie blieb bei ihrer Ansicht. Ich werde niemals meine Zustimmung dazu geben, daß Jack genaueren Einblick in das Leben der Wildnis erhält, vor dem wir ihn beide bewahren wollen. Ich möchte nicht, daß ihm dies gewissermaßen eingeimpft wird. –

Am Abend tauchte das Thema von neuem auf, und zwar wurde es von Jack selbst angeschnitten. Er hatte sich bequem in einem großen Lehnstuhl eingehuschelt und las. Plötzlich blickte er auf und wandte sich an seinen Vater.

Weshalb, fragte er und ging damit gerade auf das Ziel los, darf ich mir Ajax nicht ansehen?

Deine Mutter billigt das nicht, erwiderte der Vater.

Und du?

Darum handelt es sich jetzt nicht, wich Lord Greystoke geschickt aus. Es genügt, daß deine Mutter dagegen ist.

Ich werde doch hingehen, kündigte Jack an, nachdem er ein paar Sekunden schweigend und in Gedanken versunken gewartet hatte. Ich bin nichts anderes als Willy Grimsby oder irgend einer meiner Kameraden, die Ajax gesehen haben. Das hat ihnen nichts geschadet – und mir wird es auch nichts schaden. Ich hätte ja auch gehen können, ohne dir etwas davon zu sagen, doch das wollte ich nicht. Ich sage es dir also jetzt vorher, daß ich mir den Ajax ansehen werde.

Im Ton und in der ganzen Art, wie Jack seinen Entschluß vorbrachte, lag nichts Unehrerbietiges oder Herausforderndes. Leidenschaftslos klang alles, wie eine rein sachliche Feststellung. Sein Vater vermochte kaum ein leichtes Lächeln und eine gewisse Hochachtung vor der mannhaften Art seines Sohnes zu unterdrücken.

Ich freue mich über deine Aufrichtigkeit, sagte er. Ich werde nun ebenso offen sein. Wenn du ohne unsere Zustimmung fortgehst und dir den Ajax ansiehst, werde ich dich bestrafen. Ich habe dich nie schlagen müssen, aber ich warne dich. Wenn du dich den Wünschen deiner Mutter nicht fügst, werde ich es tun.

Gut, Vater! Ich werde es dir sagen, wenn ich Ajax gesehen habe. –

Mr. Moores Zimmer lag neben dem seines jungen Zöglings, und der Lehrer war gewöhnt, allabendlich noch einmal einen Blick in das Zimmer des Jungen zu werfen, ehe er sich zurückzog. Heute abend nahm er es mit dieser seiner Aufgabe besonders genau. Er war gerade von einer Besprechung mit den Eltern Jacks zurück, in der man ihm die größte Achtsamkeit dringend ans Herz gelegt hatte; er sollte auf alle Fälle verhindern, daß Jack die Musikhalle besuchte, in der man Ajax vorführte. Als er so gegen ½9 Uhr abends die Tür zu Jacks Zimmer öffnete, war er zwar nicht gerade völlig überrascht, aber doch sofort aufs höchste aufgebracht. Er fand den künftigen Lord Greystoke fix und fertig zum Ausgehen angekleidet und mußte sehen, wie er gerade dabei war, zum offenen Schlafzimmerfenster hinauszuklettern.

Mr. Moore sprang rasch hinzu, doch hätte er sich diese unnütze Kraftvergeudung schenken können. Als Jack hörte, daß der Lehrer ins Zimmer trat und ihn ertappt hatte, kehrte er um. Es schien, als ob er das geplante Abenteuer aufgeben wollte. Wohin wolltest du eben? forschte Mr. Moore, außer sich vor Aufregung.

Ich will mir den Ajax ansehen, erwiderte der Knabe ruhig, als ob nichts vorgefallen wäre.

Ich finde keine Worte, schrie Mr. Moore. Doch im nächsten Augenblick sollte er sich noch ganz anders wundern: Der Junge trat dicht an ihn heran, packte ihn an den Hüften, hob ihn hoch und schleuderte ihn mit dem Gesicht nach unten auf das Bett nieder. Dann preßte er das Gesicht seines Opfers tief in das weiche Kissen.

Ruhig! gebot der Sieger mit warnender Stimme. Oder ich werde Sie einfach erwürgen.

Mr. Moore wehrte sich mit Händen und Füßen, doch vergeblich. Mochte der Sohn des Affen-Tarzan nun nach seinem Vater geraten sein oder nicht, auf jeden Fall hatte er aber von ihm eine geradezu unglaubliche Körperkraft ererbt, wie sie sein Vater im gleichen Alter ebenfalls besessen. Der Lehrer war in der Hand des Jungen gleichsam Teig, den er kneten konnte, wie er wollte. Jack kniete jetzt auf ihm, riß schmale Streifen aus dem Leinentuch des Bettes und band damit seinem Opfer die Hände auf dem Rücken zusammen. Dann wälzte er ihn herum und stopfte ihm einen Leinenknebel zwischen die Zähne, den er auch noch durch einen Streifen um den Mund und Hinterkopf sicherte. Dabei sprach er mit leiser Stimme, wie wenn er eine harmlose Geschichte zu erzählen hätte, vor sich hin.

Ich bin Waja, der Häuptling der Waji, erklärte er, und du bist Mohammed Dubn, der Araberscheich, der meine Leute morden und mein Elfenbein rauben wollte.

Er hob behende Mr. Moores gefesselte Füße hoch zurück, um sie mit den gefesselten Handgelenken zu verbinden.

So Schurke! Jetzt habe ich dich endlich doch in meiner Gewalt. Ich gehe; aber ich werde zurückkommen.

Und Tarzans Sohn sprang durch das Zimmer, schlüpfte zum Fenster hinaus und glitt an den Dachrinnen in die Freiheit hinab.

Mr. Moore bewegte sich unter großen Anstrengungen auf dem Bett hin und her, um seine Lage zu verbessern; denn er befürchtete, daß er ersticken müßte, wenn nicht rasche Hilfe käme. In seiner Verzweiflung wälzte er sich vom Bett herunter, und Erschütterung und Schmerzen dieses Sturzes brachten ihn wenigstens dahin, daß er seine Lage nüchterner betrachtete. War er vorher ganz im Banne einer geradezu wahnsinnigen Furcht und absolut unfähig, klar nachzudenken, so blieb er jetzt erst einmal ganz ruhig liegen und überlegte, wie er am leichtesten aus dieser Klemme herauskäme. Schließlich fiel ihm ein, daß sich das Zimmer, in dem er vorhin mit Lord und Lady Greystoke zusammengesessen hatte, gerade unter Jacks Schlafzimmer befand, auf dessen Diele er jetzt lag. Er wußte, daß immerhin einige Zeit verstrichen war, seit er sich nach oben zurückgezogen. Die beiden würden inzwischen auch gegangen sein; denn es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, seit er auf dem Bette gelegen und sich dort wie ein Verzweifelter zu befreien gesucht hatte. Das Allerbeste, was sich tun ließ, war, daß er zusah, ob er irgend jemanden aus dem unteren Stock auf sich aufmerksam machen konnte. Nach zahlreichen vergeblichen Versuchen hatte er sich endlich soweit gebracht und gewendet, daß es ihm gelang, mit der Fußspitze auf die Diele zu pochen. Er wiederholte das Pochen in kurzen Abständen mit großer Ausdauer. Endlos lang kam ihm die Zeit vor, aber schließlich schien die Belohnung nahe. Tritte nahten von unten, es stieg jemand die Treppe nach oben und klopfte an die Türe. Mr. Moore pochte nur wieder kräftig mit dem Fuß auf den Boden, denn er konnte ja nicht anders antworten. Einen Augenblick war es draußen still, dann wurde wieder geklopft – und Mr. Moore stieß wieder mit dem Fuß auf den Boden. Warum man nur nicht einfach die Tür öffnete! Mühsam wälzte er sich in der Richtung weiter, aus der die Hilfe winkte. Wenn er sich jetzt mit dem Rücken gegen die Türe lehnte, würde er an die Türfläche pochen können und dann müßte er doch sicher gehört werden. Man klopfte draußen etwas stärker, und schließlich rief jemand: Mr. Jack! Es war einer der Hausangestellten, Mr. Moore erkannte ihn an der Stimme. Die Adern drohten dem Lehrer zu zerspringen, als er jetzt durch den fest in den Mund gepreßten Knebel hindurch »Herein« zu schreien versuchte. Wieder vergingen ein paar Minuten, dann klopfte der Mann draußen ganz laut und rief den Jungen beim Namen. Als er erneut keine Antwort bekam, drückte er die Türklinke nieder ... Schlagartig durchschoß Mr. Moore der entsetzliche Gedanke, daß er ja selbst die Tür hinter sich verriegelt hatte, als er in Jacks Zimmer eingetreten war.

Er hörte noch, wie der Diener mehrmals klinkte und schließlich fortging, dann fiel Mr. Moore in tiefe Ohnmacht. –

Inzwischen genoß Jack in vollen Zügen das erschlichene Glück, nun doch in der Musikhalle sein zu können. Er war noch rechtzeitig in das Vergnügungslokal gekommen; die Vorführung mit Ajax begann erst.

Jack nahm einen Logenplatz und lehnte sich in atemloser Spannung über das Geländer. Seine Augen waren weit geöffnet und verfolgten staunend jede Bewegung des großen Affen. Der Dompteur bemerkte bald den Jungen mit dem hübschen Gesicht, der so ganz Feuer und Flamme für den Affen zu sein schien. Nun gehörte es zu den Glanzleistungen des Affen, daß er gewöhnlich während der Vorstellung eine oder mehrere Logen betrat und dort offenbar nach einem lange vermißten Bekannten suchte, wie der Dompteur jedesmal erklärend vorausschickte. Der Mann nahm sich diesmal fest vor, den Affen in die Loge mit dem hübschen Jungen zu schicken, der zweifellos zu Tode erschrecken würde, wenn der zottige, wuchtige Affenkoloß so nahe an ihn heranrückte.

Als dann schließlich der Affe die Schwingschaukel verließ, und Beifallsstürme eine Wiederholung oder Zugabe heischten, lenkte der Dompteur die Aufmerksamkeit des Affen auf den Jungen, der zufällig als einziger in seiner Loge saß. Mit einem Satz sprang der große Menschenaffe von der Bühne zu dem Jungen. Doch wenn der Dompteur sich auf eine komische Szene gespitzt hatte, die durch die Todesangst des Knaben besonders gewürzt werden sollte, hatte er sich gewaltig geirrt. Ein Lächeln hellte die Züge des Jungen auf, als er seine Hand auf den zottigen Arm seines Besuchers legen konnte; der Affe faßte sein Gegenüber bei beiden Schultern und forschte mit ernstem, fast durchbohrendem Blick lange in dessen Gesicht, während ihm der Junge den Kopf streichelte und mit leiser Stimme auf ihn einredete.

Niemals hatte Ajax jemanden so lange gemustert wie jetzt. Er schien zwar ein wenig unruhig, aber nicht im geringsten gereizt, murmelte dem Jungen irgend etwas Unverständliches zu und liebkoste ihn dann, wie der Dompteur es nie bei Ajax mit einem anderen Wesen erlebt hatte. Schließlich kletterte der Affe in die Loge hinein und schmiegte sich dort dicht an den Jungen. Das Publikum war begeistert, und der Jubel wuchs erst recht, als der Dompteur, da die für die Vorführung des Ajax bestimmte Zeit verstrichen war, den Affen aus der Loge herauslocken wollte, und das Tier darauf einfach nicht reagierte.

Der Direktor, wütend ob dieser Störung seines Programms, ließ dem Dompteur sagen, er solle sich mehr beeilen. Doch als dieser nun die Loge betrat, um den widerspenstigen Ajax herauszuzerren, wurde er mit weitgeöffnetem Rachen und drohendem Geknurr empfangen.

Das Publikum raste vor Entzücken. Der Affe wurde mit Beifallsstürmen überschüttet, man jubelte dem Jungen zu und ließ Spott und Hohn auf den Dompteur und den Direktor niederprasseln, der unglücklicherweise auch noch vor das erregte Publikum getreten war, um dem Tierbändiger beizustehen.

Schließlich wußte der Dompteur vor Verzweiflung keinen anderen Ausweg, als sich die Peitsche aus seiner Garderobe zu holen; denn so viel war ihm klar, daß diese offensichtliche Widerspenstigkeit das wertvolle Tier für künftige Schaustellungen unmöglich machte, wenn er sich nicht auf der Stelle Gehorsam erzwang. Er kehrte also mit der Peitsche in die Loge zurück, doch, als er Ajax damit nur einmal drohte, mußte er sich im selben Augenblick auch schon zwei wütenden Feinden gegenübersehen: Der Junge war aufgesprungen, hatte einen Stuhl gepackt und stand kampflustig neben dem Affen – bereit, seinen Freund zu verteidigen. Kein Lächeln spielte mehr auf seinem schönen Antlitz, in seinen grauen Augen flackerte ein unbestimmtes Etwas und machte den Dompteur unsicher. Neben ihm stand der riesige Menschenaffe, brummend und nicht minder kampfbereit. Was bei dem geringsten Anzeichen eines offensichtlichen Angriffs geschehen mußte, mag sich jeder selbst ausmalen. Daß der Dompteur auf jeden Fall gehörig durchgebleut worden wäre, wenn es damit überhaupt abging, war bei der Haltung seiner beiden Gegner mehr als klar.

*

Der Diener war leichenblaß, als er in das Greystokesche Bibliothekzimmer hineinstürzte und meldete, daß er die Tür zu Jacks Zimmer verschlossen gefunden habe. Mit zitternder Stimme berichtete er weiter, er habe auf sein wiederholtes Anklopfen und Rufen keine Antwort bekommen. Es sei nur ein ganz eigenartiges Pochen vom Zimmer her zu vernehmen gewesen, und dann habe es so geklungen, als bewege sich ein Körper unten auf dem Fußboden.

Lord Greystoke nahm vier Stufen auf einmal, als er die Treppe zum oberen Korridor hinaufstürmte. Die Lady und der Diener folgten in größter Eile. Der Lord rief seinen Sohn einmal laut bei seinem Namen, und, als keine Antwort kam, warf er sich mit der ganzen Wucht seines Körpers und unter Einsatz aller seiner Muskeln, die nicht das geringste von ihrer alten Kraft eingebüßt hatten, gegen die schwere Tür. Krachend barsten die Eisenteile, das Holz splitterte in großen Fetzen auseinander, und das »Hindernis« flog nach innen und deckte dumpf dröhnend Mr. Moore, der noch immer bewußtlos dicht hinter der Tür lag.

Tarzan sprang hinein, und im nächsten Augenblick flutete das grelle Licht von einem halben Dutzend elektrischer Lampen durch das Zimmer.

Es dauerte immerhin einige Minuten, bis man den Lehrer entdeckt hatte, da er unter den Trümmern der Tür nahezu völlig verschüttet lag. Man zog ihn hervor, befreite ihn aus seinen Leinenfesseln und entfernte den Knebel aus dem Munde. Durch reichliche Kaltwasserumschläge wurde er auch bald zum Bewußtsein zurückgebracht.

Wo ist Jack? war Tarzans erste Frage. Wer hat das getan? fuhr er sogleich fort; er dachte an Rokoff, und blitzartig war die Befürchtung in ihm aufgetaucht, es könne sich hier um eine zweite Entführung seines Sohnes handeln.

Langsam und zitternd stand Mr. Moore auf. Seine Blicke wanderten wie irr durch das Zimmer, und erst nach und nach schienen Gedanken und Begriffe wieder wach zu werden. Die Einzelheiten seines jüngsten qualvollen Erlebens mochten ihm wieder vor Augen stehen.

Ich vermelde Ihnen meinen Verzicht, einmal etwas mit dem Jungen zu erreichen, mein Herr! waren seine ersten Worte. Sie brauchen keinen Hauslehrer und Erzieher für Ihren Herrn Sohn ...; er braucht einzig und allein einen ... Dompteur.

Aber wo steckt der Junge denn? warf Lady Greystoke mit lauter erregter Stimme ein.

Er ist fortgegangen; er sieht sich den Ajax an.

Tarzan wurde es nicht leicht, ein Lächeln zu verbergen. Er stellte noch zu seiner Genugtuung fest, daß der Hauslehrer in der Hauptsache nur unter dem großen Schrecken gelitten hatte, sonst aber nicht irgendwie verletzt war, und fuhr dann sofort in seinem geschlossenen Auto nach der bekannten Musikhalle.

Pawlowitschs Ende

Der Dompteur zögerte mit erhobener Peitsche einen Augenblick vor dem Eingang der Loge, in der der Junge und der Affe ihn erwarteten. Mit einem Male drängte sich ein großer breitschulteriger Herr von rückwärts an beiden vorbei und in die Loge; über das Gesicht des Jungen huschte eine leichte Röte, als er den Ankömmling erblickte.

Vater! rief er ihm zu.

Der Affe nahm den englischen Lord rasch aufs Korn, dann ein Sprung ... und er war dicht an ihn heran und begrüßte ihn in freudiger Erregung mit einem unverständlichen jauchzenden Geplapper. Die Augen des Herrn weiteten sich, er schien bestürzt und blieb auf der Stelle stehen, wie wenn er zu Stein erstarrt wäre.

Akut! schrie er dann.

Der Junge blickte verwirrt von dem Affen zu seinem Vater und von seinem Vater zu Akut, und dem Dompteur standen Mund und Ohren offen, wie er jetzt hörte, was sich vor ihm zutrug: über die Lippen des Engländers quollen die Kehllaute der Affensprache ..., und der riesige Menschenaffe antwortete tatsächlich in gleicher Weise, während er sich dicht an den großen Herrn schmiegte.

Ein anscheinend vom Alter gekrümmter, häßlicher Mann verfolgte von der Bühne aus die Vorgänge in der Loge; man konnte deutlich beobachten, wie über sein mit Narben bedecktes Gesicht in krampfhaften Zuckungen wechselnde Empfindungen liefen, die jede Schwingung der ganzen Tonleiter von heller Freude bis zum tiefsten Erschrecken wiedergaben.

Lange habe ich nach dir gesucht, Tarzan! sprach Akut. Jetzt endlich fand ich dich, und nun will ich in deine Dschungel kommen und immer dort mit dir leben.

Der Herr streichelte den Kopf des Tieres. All die alten Erinnerungen schossen ihm durch das Hirn, Bild reihte sich an Bild, er sah sich zurückversetzt in die Tiefen des afrikanischen Urwalds, weit weg von hier, dahin, wo dies riesige menschenähnliche Tier vor Jahren mit ihm Schulter an Schulter gekämpft. Er sah den schwarzen Mugambi, wie er mit seinem knorrigen Knüppel zum tödlichen Schlage ausholte, daneben den schreckengebietenden Sheeta mit weit geöffneten Pranken und zitterndem Barte ... und dann Muts furchtbare Affenhorde, wie sie sich dicht an den Wilden und an den kampfwütigen Leoparden herandrängte. Tarzan seufzte. Gewaltig lockte von neuem das heiße Sehnen nach der Dschungel, das er schon tot geglaubt, und das nun nur um so schlimmer in ihm wogte. Ach, wenn er nur für einen Monat, für ein paar kurze Wochen dahin zurückkehren könnte! Nur einmal wieder fühlen, wie dichtes Buschwerk und die Blätter der Urwaldriesen seinen nackten Körper streiften, wieder einmal den dumpfen Duft versunkener und dahingewelkter Tropenvegetation einatmen können ..., wie Weihrauch und Myrrhen wäre das für ihn, der in den Dschungelgründen das Licht der Welt erblickt hatte! Einmal wieder wittern, wie die großen Raubtiere des Urwalds leise seiner Spur folgten, wieder jagen und gejagt werden ..., wieder töten! O, wie diese Bilder ihn mit ihren schillernden Farben lockten und umgarnen wollten! Aber dann traten andere Bilder auf die Schwelle seines Bewußtseins: ein liebliches Frauenantlitz, schön und noch so jung; die Freunde, das Heim, der Sohn ... Er zuckte mit seinen gewaltigen Achseln.

Es darf nicht sein, Akut! kam seine Antwort. Doch wenn du zurückkehren möchtest, werde ich dafür sorgen. Du könntest hier nicht glücklich sein ..., ich nicht dort drüben.

Der Dompteur trat einen Schritt vorwärts, doch der Affe zeigte ihm sofort brummend sein furchtbares Gebiß.

Geh jetzt mit ihm, Akut, sagte der Affen-Tarzan. Ich werde dich morgen besuchen.

Der Affe trottete mürrisch und enttäuscht zum Dompteur, der auf Tarzans Befragen noch sein Quartier genannt hatte. Dann wandte sich Tarzan zu seinem Sohn.

Komm mit! sagte er nur, und die beiden verließen die Musikhalle. Man nahm in der Limousine Platz. Minutenlang wurde kein Wort gesprochen. Dann brach Jack das Schweigen.

Der Affe kannte dich ja! begann er, und du unterhieltst dich mit ihm in der Affensprache. Wie kommt es, daß der Affe dich kennt, und wie hast du diese Sprache gelernt?

Und so erzählte denn der Affen-Tarzan in kurzen Umrissen seinem Sohn zum ersten Male von seinem früheren Leben ..., von seiner Geburt in der Dschungel, vom Tode seiner Eltern, und wie die große Menschenäffin Kala ihn von klein auf genährt und gehegt und gepflegt, bis er als Jüngling ihren schützenden Armen entwachsen sei.

Er verhehlte ihm auch nicht die Gefahren und Schrecken der Dschungel. Er erzählte von den großen Raubtieren, die Tag und Nacht an einen heranschlichen; von den Zeiten der Hitze, da alles schier verdorrte, und von Unwettern und endlosen Regengüssen; von Hunger und Kälte und neuer Tropenglut; vom Nacktsein und von den Ängsten und Qualen jener Zonen. Er malte ihm alles das besonders aus, was den zivilisierten Menschen am meisten mit Entsetzen und Abscheu erfüllt, denn er hoffte, daß die Klarheit über das Leben da drüben dem Jungen die Sehnsucht nach der Dschungel austreiben würde, wenn sie wirklich schon in ihm irgendwie Wurzel gefaßt haben sollte. Und doch war all das, was er sagte, im Grunde nichts anderes als seine Erinnerungen aus der Dschungelzeit, nichts anderes als das, was er in buntem Nebeneinander liebte: das Dschungelleben in seiner ganzen Gewalt und Schönheit. Eines bedachte er zudem nicht, wie er so erzählte ..., und das war gerade die Hauptsache: Der Junge, der neben ihm saß und ihm mit atemloser Spannung lauschte, war schließlich doch ... der Sohn des Affen-Tarzan. –

Nachdem der Junge zu Bett gebracht worden war – wohlgemerkt, ohne die angedrohte Strafe –, berichtete Lord Greystoke seiner Frau den weiteren Verlauf des Abends, und daß er seinem Sohne schließlich das Wesentliche aus seinem Dschungelleben mitgeteilt habe. Die Mutter hatte es ja lange vorausgesehen, daß Jack eines Tages etwas von diesen furchtbaren Jahren hören mußte, in denen sein Vater nackt und als beutegieriges Raubtier die Dschungel durchstreift hatte. Sie schüttelte also jetzt nur den Kopf, gab sich aber der Hoffnung hin – an der sie freilich ab und zu schon irre zu werden meinte –, daß das, was bestimmt in der Brust ihres Mannes an lockenden Träumen noch oft und heftig nach der Verwirklichung verlangte, wenigstens nicht auf ihren Sohn abgefärbt sei. –

Tarzan suchte Akut am nächsten Tage auf; Jack hatte er nicht mitgenommen, obwohl er geradezu darum gebettelt hatte. Bei dieser Gelegenheit bekam er auch den alten narbenbedeckten Besitzer des Affen zu sehen, ohne jedoch in ihm den Schurken Pawlowitsch von einst zu erkennen. Akut brachte wieder sein gestriges Anliegen vor, und so sah sich Tarzan veranlaßt, den etwaigen Kauf des Affen zur Sprache zu bringen. Allein Pawlowitsch wollte durchaus keinen Preis nennen, sagte aber schließlich, er würde sich die Sache einmal durch den Kopf gehen lassen.

Als Tarzan wieder nach Hause kam, fand er Jack ganz aufgeregt. Er wollte alles bis ins einzelne von diesem Besuch erzählt haben und drang dann auf seinen Vater ein, er solle den Affen ja kaufen und mitbringen.

Lady Greystoke war natürlich über diesen Vorschlag außer sich, aber ihr Junge blieb nur immer hartnäckiger bei seiner Bitte. Tarzan erklärte darauf, er habe schon beabsichtigt, den Affen zu kaufen, allerdings nur, um ihn wieder in seine Dschungelheimat zurückbefördern zu lassen. Dem pflichtete Jacks Mutter bei.

Jack fragte hernach, ob er den Affen noch einmal besuchen dürfe, doch wurde ihm dies wieder glatt abgeschlagen. Er kannte aber die Adresse, die der Dompteur seinem Vater angegeben, und zwei Tage später paßte er einen günstigen Augenblick ab und entwischte seinem neuen Erzieher, der an Stelle des vom Schrecken arg mitgenommenen Mr. Moore engagiert worden war.

Nach langem Hinundherirren in einem Londoner Stadtviertel, in das er bisher noch nie gekommen war, fand er endlich den dumpfen düsteren Winkel, in dem jener pockennarbige Greis hauste. Auf das Klopfen erschien der Alte selbst an der Tür, und als Jack erklärte, er wolle sich den Ajax ansehen, lachte er auf und ließ ihn in den kleinen Raum ein, den er mit dem Affenriesen bewohnte.

Früher war der gerissene Pawlowitsch schon etwas anspruchsvoller gewesen; aber die zehn furchtbaren Jahre, die er in Afrika unter Kannibalen hatte zubringen müssen, mochten bei ihm jegliche Spur feinerer Gewohnheiten weggespült haben. Sein Anzug war fleckig und halbzerrissen, er wusch sich die Hände nicht, geschweige denn, daß je ein Kamm an die paar krausen Haarsträhnen kommen mochte. Das sogenannte Zimmer starrte vor Schmutz und sah wie eine Rumpelkammer aus. Als der Junge eintrat, hockte der große Affe gerade auf dem Bett. Schmutzige Wolldecken und übelriechende Tücher lagen dort wirr durcheinander. Sowie der Affe den Jungen gewahr wurde, sprang er zu Boden und humpelte ihm entgegen; doch der Alte, der seinen Besuch nicht wiedererkannte und fürchtete, daß der Affe nichts Gutes im Schilde führte, trat sofort dazwischen und wies den Affen ins Bett zurück.

Der tut mir nichts zu Leide, rief der Junge laut. Wir zwei sind gute Freunde, und früher war er der Freund meines Vaters. Lord Greystoke ist nämlich mein Vater. Er weiß es nicht, daß ich hierher gegangen bin. Meine Mutter hat es mir übrigens verboten, aber ich wollte nun einmal Ajax sehen. Und ich will Sie gut bezahlen, wenn Sie mich oft hierher kommen und den Affen sehen lassen.

Wie Jack seinen Namen erwähnte, zuckte es unwillkürlich in Pawlowitschs Augen. Seit er Tarzan von der Bühne der Musikhalle zum ersten Male wieder gesehen hatte, dämmerten in seinem sonst fast stumpfsinnigen Hirn Gedanken auf, die ihn lange in Ruhe gelassen, ja es regte sich in ihm so etwas wie ein Verlangen, nun doch noch Rache zu üben. Es ist überaus bezeichnend für Schwächlinge und Verbrecher, daß sie andere für das Unglück verantwortlich machen, das sie doch nur ihrer eigenen Minderwertigkeit zuzuschreiben haben. Genau so stand es mit Alexei Pawlowitsch. Langsam erwachte in ihm gerade jetzt die Erinnerung an sein früheres Leben, und wenn er nun daran dachte, wie greifbar nahe er diesen Menschen hatte, den er damals mit Rokoff unter Einsatz aller Kräfte aus seiner Bahn schleudern, ja einfach ins Jenseits befördern wollte, so fühlte er von neuem das ganze Unheil, das über ihn hereingebrochen war, als all die fein gesponnenen Ränke ins Nichts zerrannen, und ihnen ihr Opfer entging.

Vorerst sah er indessen keine Möglichkeit, unter Wahrung seiner persönlichen Sicherheit sich an Tarzan auf dem Umweg über dessen Sohn zu rächen. Aber er war sich darüber klar, daß der Junge ihm durch seine unvorsichtigen Äußerungen den Weg zu einer gründlichen Rache freigemacht hatte. So beschloß er, das häufige Erscheinen des jungen Greystoke recht zu begünstigen und diesen so an sich zu fesseln. Hoffte er doch, daß irgend ein günstiger Stern ihm den Jungen eines Tages irgendwie ganz in die Hand spielen würde.

Darum erzählte er dem Jungen zunächst alles, was er über das Dschungelleben seines Vaters wußte. Als er dann hörte, daß der junge Greystoke all die Jahre überhaupt nichts zu erfahren bekommen hatte, daß ihm der Besuch des Zoologischen Gartens untersagt war, ja, daß er seinen Erzieher hatte fesseln und ihm einen Knebel in den Mund stopfen müssen, um sich so wenigstens einmal die Vorstellung mit Ajax ansehen zu können ..., da erriet er sofort, welche geheimen Befürchtungen die elterlichen Herzen zu dieser wunderbaren Fürsorge trieben: Vor ihnen stand drohend wie ein Gespenst der Gedanke, die Dschungel könnte einmal auch ihren Jack in die Arme locken, wie sie einst dessen Vater an sich gerissen hatte.

Und so redete Pawlowitsch dem Jungen zu, ja recht oft zu kommen, und ging immer bereitwillig auf dessen Bitten ein, ihm doch viel, recht viel von der wilden Welt da draußen zu erzählen, die Pawlowitsch in allem ja nur zu bekannt war. Er ließ ihn auch viel mit Akut allein, und nach gar nicht zu langer Zeit stellte er zu seiner großen Überraschung fest, daß der Junge sich mit dem Affen verständigen konnte, weil er tatsächlich schon viele Worte der primitiven Menschenaffensprache gelernt hatte.

In dieser Zeit kam Tarzan mehrere Male zu Pawlowitsch. Es schien ihm sehr daran gelegen, Ajax zu erwerben, und schließlich erzählte er dem Alten eines Tages ganz offen, daß ihn nicht allein der rein persönliche Wunsch, dem Affen mit der Rückkehr in die Dschungelheimat seine Freiheit wiederzuschenken, zu dem beabsichtigten Kauf bestimme. Seine Frau fürchte vielmehr, daß ihr Sohn irgendwie Näheres über das Woher des Affen erfahren könne, und daß so – zumal der Junge für das Tier Feuer und Flamme sei – in ihm gewisse abenteuerliche Regungen zum Durchbruch kämen, die, wie Tarzan dem Besitzer vertraulich erklärte, sein eigenes Leben entscheidend beeinflußt hätten.

Der Russe konnte nur mit Mühe das Lachen verbeißen, als Lord Greystoke ihm dies mitteilte, denn noch vor einer knappen halben Stunde hatte der künftige Lord Greystoke auf dem zerwühlten Bett gesessen und sich so geläufig wie je ein leibhaftiger Affe mit Ajax unterhalten.

Während dieser Unterredung gewann in Pawlowitsch ein neuer Plan Gestalt. Der erste Schritt zur Verwirklichung bestand darin, daß er schließlich in eine fabelhaft hohe Kaufsumme für den Affen einwilligte und sich verpflichtete, nach Empfang des Geldes das Tier auf ein Schiff zu bringen, das in zwei Tagen seine Reise von Dover nach Afrika antreten sollte. Zweierlei hatte er im Sinn, als er Greystokes Angebot annahm. An erster Stelle war es der Geldpunkt, der bei seiner Entscheidung stark mitspielte; der Affe war für ihn ja sowieso nicht mehr die alte Einnahmequelle, da er sich hartnäckig weigerte, wieder in der Musikhalle aufzutreten, seit er Tarzan entdeckt hatte. Es war fast so, als ob das Tier nur deshalb geduldet hätte, daß man es aus seiner Dschungelheimat verschleppte und vor Tausenden von neugierigen Zuschauern seine Kunststücke machen ließ, weil es unbedingt darauf aus war, seinen langentbehrten Freund und Gebieter zu suchen. Und als das Tier ihn nun gefunden, hielt es jede weitere Berührung mit der großen Herde gewöhnlicher menschlicher Wesen für überflüssig. Mochten die Dinge nun liegen wie sie wollten, die Tatsache blieb bestehen, daß kein noch so geschickter Überredungsversuch den Affen dahin bringen konnte, sich auf der Varietébühne erneut dem schaulustigen Publikum zu zeigen. Und als der Dompteur ein einziges Mal seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen suchte, konnte er von großem Glück reden, daß er nur mit dem Leben davonkam. Seine Rettung hatte er lediglich dem Umstande zu verdanken, daß Jack zufällig anwesend war. Man hatte ihm erlaubt, das Tier in seinem besonderen Ankleideraum im Varieté aufzusuchen, und so hatte er sofort eingegriffen, als er es merkte, daß es dem Affen mit seiner Drohung bitter ernst war.

Abgesehen von der Geldfrage waren es natürlich aufbrausende Rachegelüste, die Pawlowitsch fast verzehrten, je mehr er über das ganze Elend seines Lebens nachbrütete. Schuld an allem war Tarzan, und nicht zuletzt auch an dem neuen schlimmen Unglück, daß Ajax sich weigerte, weiter für ihn Geld zu verdienen. Diese Widerspenstigkeit des Affen schrieb er Tarzan unmittelbar zu; denn er redete sich ein, daß der Affenmensch den großen Menschenaffen bewogen haben mußte, das Auftreten auf der Varietébühne einfach zu verweigern.

Pawlowitschs natürliche Neigung zum Verbrecherischen hatte sich unter jahrelangen Qualen und Entbehrungen und durch die damit verbundene Zerrüttung seiner geistigen und körperlichen Kräfte nur noch mehr verschlimmert. War er früher kühl, berechnend und mit hochgradiger Schläue an die Durchführung seiner bösen Pläne herangegangen, so zeigte sich jetzt insofern eine gewisse Entartung, als alles, was von ihm drohte, wie bei einem bösartigen Geisteskranken beinahe unterschiedslos lebensgefährlich für die betroffenen Mitmenschen war.

Der augenblickliche Plan war anderseits so geschickt angelegt, daß man immerhin gelinden Zweifel hegen könnte, ob es mit der Abnahme seiner geistigen Fähigkeiten wirklich so schlimm bestellt war; denn der neue Anschlag sicherte ihm zunächst die stattliche Summe, die Lord Greystoke für den Rücktransport des Affen ausgeworfen hatte, und außerdem die Rache am Vater auf dem Umweg über dessen abgöttisch geliebten Sohn. Und dieser Teil seines Planes war gemein und brutal. Fehlte auch bei diesen Racheplänen die raffinierte Steigerung und Vertiefung, für die die meisterhaften Schachzüge des Pawlowitsch von Einst so bezeichnend gewesen waren, als er damals noch Hand in Hand mit Nikolaus Rokoff gearbeitet hatte, so konnte er diesmal wenigstens jegliche Verantwortung für das, was passieren würde, von sich abwälzen. Die ganze Schuld würde eben auf diesen Affen fallen, der damit zugleich dafür bestraft werden sollte, daß er sich weigerte, weiter für den Lebensunterhalt seines Herrn zu sorgen.

Das Schicksal spielte nun mit geradezu teuflischem Einvernehmen alles so in die Hände Pawlowitschs, wie er es brauchte. Tarzans Sohn hörte zufällig, wie der Vater seiner Mutter die weiteren Schritte wegen Akuts sicherer Rückbeförderung in die Dschungelheimat auseinandersetzte, und bat die Eltern nochmals, ihm den Affen doch lieber als Spielgefährten mit nach Hause zu bringen. Tarzan stand diesem Vorschlag jetzt nicht ablehnend gegenüber, aber Lady Greystoke war bei dem bloßen Gedanken an eine derartige Lösung der Frage wieder außer sich. Es gab einen kleinen Wortwechsel zwischen Jack und seiner Mutter, ohne daß man zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Lady Greystoke blieb fest auf ihrem Standpunkt, und schließlich schien sich auch der Sohn mit dem letzten Wort seiner Mutter abzufinden, daß der Affe unbedingt nach Afrika zurückgebracht werden müsse, und daß er, der Jack, nach den Ferien wieder in die Schule zu gehen habe.

An diesem Tage wagte es Jack nicht, Pawlowitsch wieder zu besuchen, doch nahm er dafür mit entsprechender Eile etwas anderes vor. Er hatte immer reichlich Geld in der Tasche, und wenn er irgend etwas brauchte, war es nie besonders schwierig, ein paar hundert Pfund zu bekommen. Einen Teil des Geldes verwendete er heute zu verschiedenen sonderbaren Einkäufen, die er geschickt und unbemerkt mit ins Haus schmuggelte, als er erst spät gegen Abend zurückkehrte.