Tashis Reise ins Glück - Roswitha Ulbert - E-Book

Tashis Reise ins Glück E-Book

Roswitha Ulbert

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Beschreibung

Die Geschichte des Hundes Tashi beginnt in einem kleinen rumänischen Dorf in den Karpaten, wo das Mädchen Anca glücklich mit seiner Hündin Wölkchen lebt. Als Ancas Familie in die Stadt zieht und die trächtige Hündin mitnimmt, muss diese dort auf der Straße leben, wo sie den kleinen Tashi und seine Geschwister zur Welt bringt. Das Leben der kleinen Hunde ist großen Gefahren ausgesetzt, vor denen Anca sie nicht schützen kann. Sie werden von einem Hundefänger gejagt und verschwinden. Wird Anca ihre geliebten Hunde jemals wiedersehen? Verzweifelt begibt sie sich auf die Suche... Tashi ist auf der Flucht vor dem Hundefänger lebensgefährlichen Situationen ausgesetzt und landet in einem Tierheim, aus dem er zur Adoption in sein neues Zuhause am Bodensee vermittelt wird. Wir erleben, welchen Herausforderungen er sich hier stellen muss; wie sein behütetes neues Leben ihn zu einem glücklichen Hund werden lässt, der sein Glück mit allen teilt, die ihm begegnen. Eine einfühlsam erzählte Geschichte über Straßenhunde und Menschen, denen der Tierschutz am Herzen liegt. Für hundebegeisterte Menschen ab 11 Jahren

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Roswitha Ulbert, 1946 in einem hessischen Dorf geboren und aufgewachsen, lebte zwanzig Jahre in Berlin und wohnt seit vielen Jahren am Bodensee. Sie war als Lehrerin tätig und arbeitete mit Kindern und Erwachsenen im kreativen Bereich. Sie spielte in verschiedenen freien Theatergruppen in Berlin und Konstanz, schrieb Theaterstücke für Kinder und veröffentlichte einen Gedichtband. Neben all ihren Aktivitäten liebt sie die Zurückgezogenheit in der Stille und erteilt Kurse in Tiefenentspannung und Meditation. Ein einfaches Leben zu führen und dabei im Einklang mit der Natur zu sein, liegt ihr am Herzen.

Wenn sie nicht gerade Geschichten schreibt oder Bilder malt, ist sie mit ihrem Hund am und auf dem Bodensee unterwegs oder wandert in den Bergen.

„Tierschutz ist Erziehung zur Menschlichkeit.“

Albert Schweitzer

Inhalt

Vorwort

Das kleine Dorf in den Bergen

Ankunft in der Stadt

Vom Hundefänger gejagt

Gut versorgt im sicheren Hafen

World Animal Day

Eine wichtige Entscheidung

Tashis neues Leben

Vorwort

Wenn man wollte, könnte man die ganze Geschichte von Tashi mit wenigen Worten erzählen, erklären, wer Tashi ist, beschreiben, welche Reise er machte und darüber sprechen, was es mit dem Glück auf sich hat.

Dann würde man sagen, dass Tashi ein kleiner schwarzweißer Hund ist, der aus einem rumänischen Tierheim von einer Frau in Deutschland adoptiert wurde und jetzt glücklich dort bei ihr lebt.

Das wäre aber so, als würde man mitten in eine Geschichte von fortlaufenden Ereignissen einsteigen und nur kurz das Ende erwähnen. Dann könnte man nicht sehen, wie eines sich aus dem anderen entwickelte. Wie durch einen unsichtbaren Faden alles miteinander verknüpft wurde, an dessen einem Ende das kleine rumänische Dorf lag und am anderen Ende ein kleiner Ort an einem großen See im Süden Deutschlands.

Wenn man wissen will, wie und warum der kleine Tashi in ein rumänisches Tierheim kam, muss man auch über Wölkchen berichten, die Hündin, die Tashi geboren hat.

Und über Wölkchen kann man nicht reden, ohne über die Familie zu sprechen, zu der Wölkchen gehörte und deren Leben eng mit Wölkchens Geschichte verknüpft ist.

Wenn man das Leben der Familie verstehen will, landet man schließlich in einem kleinen rumänischen Dorf, in dem alles begann!

Das kleine Dorf in den Bergen

„Egal wie wenig Geld und Besitz du hast, einen Hund zu haben, macht dich reich!“

Louis Sabin

Das kleine rumänische Dorf, in dem das ganze Geschehen seinen Anfang nahm, lag abgelegen von der Straße auf den sanften Hügeln am Fuß der Karpaten. Die Häuser standen verstreut zwischen Büschen und Bäumen und ihre roten Schindeldächer bildeten leuchtende Farbtupfer im Grün der Wiesen.

Nur wenige Menschen lebten noch hier, dafür gab es umso mehr Hühner, Gänse, Enten, Schafe, Ziegen, einen Esel, zwei Pferde und viele Hunde. Einige der Hunde gehörten zu den Familien im Dorf, die meisten waren heimatlos und auf sich alleine gestellt.

Die kleinen Häuser waren durch Wege miteinander verbunden, schmale Pfade führten nach oben in die Berge. Jedes Haus war von einem hölzernen Zaun umgeben, der Gemüsebeete mit Tomaten, Gurken, Bohnen, verschiedene Beerensträucher und Obstbäume umschloss.

In einem dieser Häuser wohnte das Mädchen Anca mit ihren Eltern Daria und Valentin, dem Onkel Radu und der Hündin Wölkchen, die draußen im Hof ihre Hütte hatte. Das Haus gehörte dem Onkel, der den Sommer über die meiste Zeit als Schäfer oben in den Bergen bei seiner Schafherde war. Auch Ancas Papa Valentin war ein Schafhirte und zusammen mit dem Onkel und anderen Hirten Tag und Nacht auf der Weide in den Bergen.

Anca und ihre Mutter Daria lebten, so wie auch die anderen Frauen und Kinder der Schäfer, in den Häusern unten im Dorf. Das Leben, das sie führten, verlief bei allen mehr oder weniger gleich. Ihre Aufgabe war es, die Haustiere zu füttern und zu versorgen, Gemüse und Obst im Garten anzubauen und zu ernten. Sie kochten leckere Marmeladen aus Beeren, die sie im Wald gepflückt hatten und backten köstliche Brote und andere Leckereien. Einmal in der Woche, jeden Samstag, fuhren sie zum Markt und boten dort all das zum Verkauf an, was sie selbst zuhause hergestellt hatten.

Einige der Häuser im Dorf standen leer, die Bewohner hatten sie verlassen, als sie in die umliegenden Städte gezogen waren, um eine Arbeit zu finden, denn hier oben gab es nur die Landwirtschaft. Da sie nur selten zurückkamen, um die Häuser in Stand zu halten, waren diese von hohem Gras umwuchert, die Zäune zerbrochen, die Farbe verblichen, die Schindeldächer hatten Löcher, durch die es reinregnete. Fledermäuse hatten sich in den Dachböden eingenistet, hier konnten sie den ganzen Tag ungestört schlafen und am dunklen Abend in Scharen ausfliegen.

Ein verlassenes Hundekind am Wegesrand

Auch für viele heimatlose Hunde waren die leeren Häuser ein willkommener Rückzugsort. Hier lagen sie friedlich im Gras und liefen von Zeit zu Zeit auf Essensuche durchs Dorf. Einige Bewohner schütteten die Reste ihres Essens für die hungrigen Hunde draußen auf die Erde. Das Essen blieb nicht lange dort liegen, einer der Hunde war immer unterwegs und fraß es gierig auf. Es kam auch vor, dass Hündinnen in den verwilderten Gärten der verlassenen Häuser ihre Jungen bekamen und sie säugten, bis sie groß genug waren, alleine unterwegs zu sein. Dann machten sich auch die Hundekinder neugierig auf den Weg zu den Wohnungen der Menschen und suchten nach Futter. Manchmal waren die Hündinnen auch plötzlich verschwunden und die Kleinen ihrem Schicksal überlassen. Sie irrten dann umher und lagen oft erschöpft irgendwo auf der Erde oder im Gras und hatten Glück, wenn jemand sie fand und sich um sie kümmerte.

So war auch Anca vor einem Jahr zu ihrem Hund Wölkchen gekommen. Auf dem Rückweg von der Schule entdeckte sie am Wegesrand etwas weißes Flauschiges, das wie eines der Wollknäuel aussah, mit denen ihre Mama Pullover strickte. Als sie näherkam, sah sie, dass es ein kleines Hundebaby war, es hatte sich zusammengerollt und schien zu schlafen. Anca beugte sich darüber und berührte es vorsichtig mit der Hand. Da bewegte sich das Hündchen, schaute sie mit zwei kugelrunden schwarzen Augen an und begann zu winseln.

„Was bist du denn für ein süßes kleines Wollknäuel“, sagte Anca und nahm den kleinen Hund auf den Arm. Er war so zart und hilflos, sie schloss ihn sofort ins Herz. Das winzige Hundekind rollte sich zusammen und begann an Ancas Hand zu nuckeln. „Oh, du hast bestimmt Hunger“, sagte sie und legte ihre Hände beschützend um den zarten kleinen Körper. „Du bist jetzt mein kleines Hundekind“, flüsterte sie ihm zu, „und ich bin deine Mama. Du bleibst jetzt bei mir. Ich werde dich füttern, damit du groß und stark wirst, und ich werde auf dich aufpassen!“

Vorsichtig trug Anca den kleinen Hund in ihren Armen nach Hause und zeigte ihn ihrer Mutter. Daria war auch ganz angetan von dem niedlichen kleinen Wesen. Sie freute sich für Anca, denn mit dem Hündchen hatte sie jetzt eine schöne Beschäftigung für die langen Schulferien. Die dauerten nämlich drei Monate, und sonst gab es keine Abwechslung im Dorf.

Anca fand es wunderbar, dass sie den ganzen Tag mit ihrem Hündchen verbringen konnte. Voller Hingabe kümmerte sie sich um ihr „Baby“. Sie bereitete dem Kleinen einen Brei aus den Resten des Essens und stellte immer ein Schälchen Wasser zum Trinken hin. Wenn sie zur Wiese am Bach unterwegs war, trug sie das Hündchen in einem Korb, weil es noch nicht so weit laufen konnte. Hierher ging Anca immer mit der Ziege, damit die dort das saftige Gras fressen konnte, davon wurde die Milch besonders schmackhaft. Die Ziege zu hüten war Ancas Aufgabe während der Ferien, und jetzt mit dem kleinen Hund war es richtig unterhaltsam und lustig!

Das kleine Hundekind entwickelte sich mit Ancas Pflege prächtig und war schon am Ende der Ferien zu einer hübschen kleinen Hündin herangewachsen, die von Anca den Namen „Wölkchen“ bekam. Wölkchen begleitete Anca auf Schritt und Tritt und konnte jetzt auch schon lange Strecken laufen. „Da hast du ein schönes Hündchen“, sagte ihr Papa, als er Wölkchen sah. „Aber als Herdenschutzhund wäre sie nicht zu gebrauchen, dafür ist sie viel zu klein und zu zart, außerdem ist sie eine Hündin, die nehmen wir sowieso nicht mit zu den Schafen.“

Schäfer, Hirtenhunde und Marktfrauen

So wie Ancas Papa Valentin waren die meisten Männer im Dorf Schäfer, die den Sommer mit ihren Schafen und einem Rudel von Hirtenhunden oben in den Bergen verbrachten. Im Mai, wenn der letzte Schnee geschmolzen war, zogen sie mit ihren Herden auf die Weiden und blieben dort bis zum Herbst. Dort schliefen sie mit ihren großen und kräftigen Hunden bei den Schafen, um sie vor Wölfen und Bären zu schützen, die oben in den Bergen zu Hause waren.

Die Hirtenhunde, die sie begleiteten, sahen unterschiedlich aus. Einige hatten dunkle, braune oder schwarze, zottelige Mähnen, das waren die „Ciobanesc Romanesc Carpatin“, sie sahen wild und Furcht einflößend aus. Das Fell der schönen „Bucovina“- Hunde war schwarz-weiß und flauschig, die „Ciobanesc Romanesc Mioritic“ hatten besonders langes Fell mit einer üppigen Haarpracht, welches sie vor Kälte und auch Hitze schützte.

Die Hunde hatten unterschiedliche Aufgaben. Manche waren Hütehunde, die die Schafe in der Herde zusammenhielten. Andere waren dazu da, die Schafe und die Schäfer zu beschützen und zu verteidigen, das waren die Herdenschutzhunde.

Allen gemeinsam war, dass sie groß, kräftig und robust waren und ein ausgeglichenes und ruhiges Gemüt besaßen. Sie waren äußerst wachsam, sehr mutig und immer bereit, sich jedem Wolf oder Bär entgegenzustellen, der die Herde angreifen wollte. So waren sie für die Hirten eine unverzichtbare Hilfe, vor allem in der Nacht, wenn die Raubtiere auf Beutezug gingen.

Die Schäfer hatten Holzhütten mit Feuerstellen, wo sie in großen stählernen Töpfen ihren Käse herstellten. Zweimal täglich wurden die Schafe gemolken, die sich von den saftigen, aromatischen Kräutern der Bergwiesen ernährten. Genauso saftig und aromatisch schmeckte der leckere „Temea“-Käse, den die Hirten aus der frischen Milch herstellten und der in Salzlake eingelegt wurde und dadurch seinen typischen Geschmack bekam. Der Käse war für die eigenen Familien zum Essen bestimmt, der größte Teil jedoch wurde am Wochenende von den Frauen auf dem Bauernmarkt verkauft.

An jedem Samstag war Bauernmarkt im Nachbardorf, die Pferde wurden vor den breiten Holzwagen, den „caruta“, gespannt und die Frauen packten alles darauf, was sie hergestellt hatten: Käse, Eier, Gemüse, Obst und Wein, frisch gekochte Marmelade und vor allem eine riesige Menge „scovergi“, frisch gebackene Teigfladen und die noch warmen „covrigi“, Brotkränze mit Sesam und Mohn. Damit fuhren die Frauen dann ins Nachbardorf, wo sie all das zum Verkauf anboten.

Manchmal verkauften sie viel, aber oft mussten sie einen großen Teil ihrer Waren wieder mit nach Hause nehmen. Die frischen Sachen wurden dann zwar für den eigenen Bedarf verwendet, aber sie hatten nicht viel dabei verdient. So konnten sie auf dem Markt zwar all die schönen und nützlichen Sachen bewundern, die von den anderen Händlern angeboten wurden, aber selber nichts davon kaufen.

Auf jeden Fall war die Fahrt zum Bauernmarkt eine willkommene Abwechslung im sonst immer gleich verlaufenden Alltag. Die ganze Woche bereiteten die Frauen gut gelaunt mit geübten Handgriffen alles vor, sie hatten jahrelange Erfahrung damit. Schon die Vorfreude auf das, was nach dem Verkauf auf dem Markt geschehen würde, beflügelte sie bei der Arbeit. Denn auf dem Heimweg legten sie immer eine lange Pause ein, um sich nach getaner Arbeit zu stärken und auszuruhen.

Sie hatten schon sehr früh aufstehen müssen und waren hungrig und müde. Auf der Wiese am Bach ließen sie sich im Schatten großer Obstbäume im kühlen Gras nieder. Die Pferde wurden abgeschirrt und konnten derweil grasen. Dann breiteten sie Tücher auf dem Boden aus und es wurde reichlich aufgetischt! Die nicht verkauften Teigfladen und Brotkränze wurden daraufgelegt, dazu Tomaten, Käse und Wein gestellt und was sie sonst noch an Leckerem dabeihatten.

Dass sie immer so viel Gebackenes vom Markt zurückbrachten, war kein Zufall, sondern schon im Voraus eingeplant. Sie hatten extra so viel davon gebacken, damit sie hinterher auch noch selbst genug davon essen konnten.

Das vergnügliche Zusammensein nach dem Markttreiben mit dem köstlichen Gaumenschmaus war die Belohnung für die Arbeit der Woche. Sie fanden, dass sie nach dem arbeitsreichen Alltag Grund genug hatten, es sich gut gehen zu lassen. Hier im duftenden Gras und mit dem Rauschen und Plätschern des Baches schmeckte das Essen besonders gut. Sie tranken würzigen roten Wein, scherzten und lachten und manchmal sangen sie auch mit ihren kräftigen Stimmen klangvolle Lieder von den Bergen, den Schäfern und der Liebe.

Im Sommer bekamen sie ihre Ehemänner, die Schäfer, nur selten zu Gesicht. Die Frauen waren daran gewöhnt, die Freizeit auch ohne die Männer gemeinsam zu genießen und viel Spaß dabei zu haben. Das war auch in Darias kleiner Familie nicht anders. Nur einmal in der Woche kam Valentin herunter ins Dorf und konnte mit Frau und Kind zusammen sein, Immer dann, wenn er auf dem Esel reitend den frischen Käse ins Dorf bringen musste, der am Wochenende von den Frauen auf dem Markt verkauft werden sollte. Er war der jüngste unter den Hirten und freute sich schon sehr auf das Wiedersehen mit seiner Frau und seiner Tochter.

Wenn er nach einer Woche in den Bergen unten im Dorf ankam, sah er so wild wie seine Hütehunde aus. Das behauptete jedenfalls seine Frau Daria und sie sorgte dafür, dass er zuerst ein Bad im großen Holzzuber nahm, den sie vorher mit warmem Wasser gefüllt hatte. Er rasierte sich den Bart, der in der Zwischenzeit üppig gewachsen war und zog frische Kleider an.

„So, jetzt bist du wieder ein Mensch“, sagte Daria lachend. Dann besprachen sie alles, was in der Woche geschehen war, Anca erzählte von der Schule und Valentin berichtete, was sich bei den Schafen ereignet hatte. Am Abend saßen sie lange beim Essen zusammen, scherzten, lachten und genossen das Zusammensein.

Noch vor Sonnenaufgang am nächsten Morgen ritt Valentin auf seinem Esel zurück in die Berge. Die Packtaschen auf dem Rücken der Tiere waren gefüllt mit Brot, Tomaten, Wurst und anderen nützlichen Dingen für die Hirten. Wenn er dann so sauber und frisch bei seinen verwildert ausschauenden Kollegen ankam, wurde er mit spöttischen Bemerkungen begrüßt. „Schaut nur, der feine Herr kehrt zurück. Seine hübsche junge Frau hat ihn wieder in den Zuber gesteckt!“

Dabei lachten sie schallend, klopften ihm auf die Schultern und strichen ihm mit den Fingern durch die frisch gewaschenen Haare. Dann stülpten sie ihm den grauen Filzhut über den Kopf, den auch sie trugen, so tief über die Augen, dass er nichts mehr sehen konnte und lachten noch lauter. Valentin nahm es mit Humor, er nahm ihnen ihre oft derben Späße nicht übel, wusste er doch, dass sie ihn mochten. Ihre Späße waren ihre Art, es zum Ausdruck zu bringen.

Seine Arbeit als Schäfer war hart, sie begann bei Sonnenaufgang und auch in der Nacht musste er stets wachsam sein und mit den Hunden bei den Schafen schlafen, denn in der Nacht war der Schutz der Herde besonders wichtig. Es waren immer mehrere Schäfer bei der Herde und am Abend vor Einbruch der Dunkelheit ging es oft lustig zu. Die älteren Hirten erzählten Geschichten von riesigen Bären, deren Angriff auf die Herde sie mutig mit den Hunden abgewehrt hatten. Valentin zweifelte manchmal, ob sich das alles wirklich so abgespielt hatte, aber es war unterhaltsam und er hörte ihnen gerne zu.

„Komm, Valentin, spiel uns was“, riefen sie gut gelaunt, nachdem sie ihre Erzählung beendet hatten. Das ließ er sich nicht zweimal sagen, denn er spielte voller Begeisterung auf der „Nai“, der rumänischen Panflöte! Mit den Tönen, die er mit dem geschickten Spiel seiner Finger der Flöte entlockte, konnte er alle seine Gefühle zum Ausdruck bringen.

Da klang die Sehnsucht hindurch, auch die Melancholie, die ihn manchmal hier oben in der Einsamkeit der Berge befiel. Wild und leidenschaftlich hörten sich die Klänge manchmal an. Oder sie schäumten über vor Freude und Lebenslust.

Sein Spiel begann mit leisen und sanften Klängen, so dass den Hirten ganz warm ums Herz wurde und sie für einen Moment die Augen schlossen und still vor sich hinträumten.

Dann wurde sein Spiel schneller, lauter, lebhafter. Die Töne hüpften und purzelten aus der Flöte, und auch Valentin begann, beim Spielen von einem Bein aufs andere zu hüpfen. Das verlockte sogar die müden Hirten zum Tanzen. Dann bewegten sie sich rhythmisch mit gekonnten Schritten im Kreis und vergaßen dabei alle Anstrengungen des Tages.

Als die letzten Sonnenstrahlen hinter den Gipfeln der Berge verschwanden, wurde das Spiel der Flöte wieder langsamer, ruhiger und leiser. Und als das Abendrot die Berge leuchtend umhüllte, verstummte es schließlich. Die Hirten standen seufzend auf und bereiteten sich auf die Nacht vor. Einer schlief draußen mit den Hunden bei den Schafen, die anderen legten sich in der Hütte auf ihre Felle, rollten sich zusammen und schliefen schnell ein.

Daria und Valentin wünschen sich ein anderes Leben

Valentin liebte seine Arbeit in der Natur mit Schafen und Hunden, die saubere Luft und den würzigen Geruch von Gras und Kräutern, den weiten Blick ins Tal, die Stille und die Ab geschiedenheit der Berge.

Leider konnte seine kleine Familie von dem Verdienst kaum leben. Zwar konnten sie im Haus des Onkels wohnen und hatten immer genug zu essen, aber oft wussten sie nicht, wie sie Kleidung und Schulsachen für Anca bezahlen sollten. Dass seine Tochter die Schule besuchte, war ihm und seiner Frau sehr wichtig, denn es sollte ihr auf keinen Fall so ergehen, wie es ihm und Daria ergangen war.

Er selbst und auch Daria hatten die Schule nicht beenden können. Als ihre Eltern der Meinung waren, sie seien jetzt alt genug zum Mitarbeiten, wurden sie einfach nicht mehr zur Schule geschickt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als bei seinem Onkel als Hirte zu arbeiten, andere Möglichkeiten gab es auf dem Dorf nicht.

Das sollte bei Anca anders sein. Er und Daria wollten, dass ihre Tochter so lange zur Schule gehen sollte, wie sie wollte. Valentins Hoffnung war, eines Tages eine besser bezahlte Arbeit in der Stadt zu finden, um Anca das zu ermöglichen.

Deshalb hatten Daria und er sich schon vor einiger Zeit um eine Arbeit in einer Fabrik in der Stadt beworben, aber bisher keine Antwort erhalten. Ihr Schulfreund Toma war ihnen dabei behilflich gewesen. Toma hatte schon vor über zehn Jahren das Dorf verlassen und war in die Stadt gezogen.

Eigentlich hatten auch Daria und er mitkommen wollen, zu dritt wollten sie den Aufbruch wagen. Aber da war Daria schwanger geworden und sie hatten beschlossen, erstmal beim Onkel zu bleiben, bis das Kind da war. Sie wollten dann später nachkommen. Dabei geriet der gemeinsame Plan allmählich in Vergessenheit, bis er vor einiger Zeit wieder in ihren Köpfen auftauchte.

Wie Valentin wäre auch Daria gerne länger zur Schule gegangen, das Lernen hatte ihr Spaß gemacht. Sie hatte immer gerne gelesen, vor allem Bücher über das Leben in fremden Ländern. Noch lieber wäre sie selbst in ein anderes Land gefahren, wo eine andere Sprache gesprochen wurde. Aber, wer weiß, das konnte ja vielleicht ihre Tochter einmal machen, dann würde sie sich mit daran erfreuen!

Das Leben, das sie hier im Dorf führte, war das gleiche Leben, das auch schon ihre Mutter geführt hatte. Daria hatte früh geheiratet, war Mutter geworden und hatte dann, so wie alle anderen Frauen auch, gelernt, eine gute Hausfrau zu sein, die den Garten bestellte, alle rumänischen Rezepte kochen und backen konnte und am Wochenende auf den Markt zog. Im Laufe der Jahre war sie eine Meisterin der Koch- und Backkunst geworden, sie liebte diese Arbeit und sie ging ihr leicht von der Hand.

Das Backen der Teigfladen war ihre Spezialität, es waren die besten im ganzen Dorf. Sie hatte es schon als Kind von ihrer Mutter gelernt und mit ihren kleinen Händen den Teig geknetet. Dabei hatte die Mutter ihr das Geheimnis ihrer köstlichen Brote mitgegeben. „Knete alles, was dir Freude macht, alles was du liebst, in den Teig hinein, dann werden alle beim Essen dieselbe Freude, dieselbe Liebe spüren und so glücklich sein wie du.“

Und es stimmte wirklich. Während sie mit ihren Kinderhänden den klebrigen Hefeteig drückte und quetschte, dachte sie an die niedlichen kleinen Schäfchen, mit denen sie gespielt hatte, an die Fahrt hoch oben auf dem mit Heu beladenen „caruta“, an die lustigen Feste, die gefeiert wurden, an Papa und Mama. Im Nu waren die Fladen fertig, und wie gut sie allen schmeckten, das sah man an den zufriedenen Gesichtern! Mit genau so viel Freude und Liebe im Herzen backte sie immer noch und erledigte auch alle anderen Arbeiten auf diese Weise.

Daria liebte es, mit den anderen Frauen zusammen zu sein, zu reden, zu scherzen und zu lachen. Von ihren Eltern hatte sie gelernt, wie man auch mit wenig Geld viel Freude und Zufriedenheit im Leben haben konnte. „Das Glück wohnt nicht im Geldbeutel!“, hatte ihre Mutter immer gesagt.

„Ja, da hatte sie Recht“, dachte Daria, aber etwas mehr Geld würde dem Glück bestimmt nicht im Wege stehen. Zu Hause waren oft Feste gefeiert worden, auf denen es lustig zuging. Es wurde gegessen, getrunken, gesungen, getanzt und ihr Vater hatte dazu wunderbar auf der „Nai“ gespielt.

Daria musste lächeln, wenn sie sich daran erinnerte. „Eigentlich machen Valentin und ich doch genau das Gleiche“, dachte sie. Und sollte sich in ihrem Leben nichts ändern, würde auch ihre Tochter Anca wieder das gleiche Leben führen.

Ja, sie fühlte sich gut aufgehoben im Dorf mit den anderen Frauen und dem beschaulichen Leben, das sie hier führten. Aber sie hätte sich auch ein anderes Leben für sich vorstellen können. Ein anderes Leben wollte sie auf jeden Fall für ihre Tochter. „Es ist Zeit, zu gehen“, war sich Daria sicher, sonst würde es irgendwann zu spät sein, vor allem für Anca.

Hundefreunde und Hundefeinde

Anca war eines der wenigen Kinder im Dorf, zur Schule musste sie jeden Morgen alleine ins Nachbardorf laufen. Aber seit Anca einen eigenen kleinen Hund hatte, war der weite Schulweg gar nicht mehr mühselig und langweilig, sondern eine riesige Freude für sie, denn ihre Hündin Wölkchen begleitete sie morgens auf dem Hinweg und auch mittags wieder zurück. Während Anca in der Schule war, lag Wölkchen draußen im Gras vor der Schule oder lief im Dorf umher.

Dort besuchte sie immer eine alte Frau, die schon auf sie wartete und die kleine Hündin ausgiebig kraulte und sich die Hände von ihr lecken ließ, während sie zärtlich Koseworte zu ihr sagte. „Bunica“ wurde die alte Frau von allen genannt, was Großmutter bedeutet. Sie trug immer ein schwarzes Kopftuch, unter dem ihr schmales, hageres Gesicht fast vollständig verschwand, aber ihre Augen dafür umso strahlender leuchteten. Die Leute sagten, sie sei nicht ganz richtig im Kopf, weil sie mit Hunden und Katzen redete.

Ihr Mann war schon lange gestorben und ihr Sohn und ihre Tochter mit ihren Kindern in die Stadt gezogen. Die hätten ihre Mutter lieber mitgenommen, als sie alleine zurückzulassen, aber „Bunica“ wollte nicht weg. Sie hatte ihr Dorf noch nie verlassen, hier hatte sie ihr ganzes Leben verbracht, hier wollte sie bleiben und sterben und neben ihrem Mann begraben werden.

Und als sie keine Menschen mehr zum Reden hatte, redete sie mit den Hunden und Katzen, die zu ihr kamen; die hörten immer geduldig zu, wussten sie doch, dass es zum Schluss immer etwas zu essen für sie gab. „Bunica“ kraulte und streichelte ihre vierbeinigen Besucher, und sie lobte lautstark ihre Hühner, wenn sie fleißig Eier für sie legten. Wölkchen saß immer mit aufgestellten Ohren vor ihr und legte ihr Köpfchen schief, wenn „Bunica“ mit ihr sprach. Anca wusste, dass ihr Wölkchen „Bunica“ besuchte, sie war froh darüber, denn sie war bekannt dafür, freundlich mit den Hunden umzugehen.

Leider waren nicht alle so freundlich mit Wölkchen und anderen Hunden wie „Bunica“. Es gab viele Menschen, die sie schimpfend verjagten oder Steine nach ihnen warfen, so wie der Besitzer des Metzgerladens. Wenn er Wölkchen nur von weitem sah, schrie er: „Du dreckiger Köter, hau ab!“ und er drohte ihr mit seinem Schlachtermesser. Einmal hatte er es sogar nach ihr geworfen, zum Glück aber nicht getroffen.

Er hasste Hunde, wozu waren sie nütz, fragte er sich. Höchstens angekettet, dachte er, um Einbrecher zu verbellen. Selbst die Hirtenhunde waren ihm ein Dorn im Auge. Seiner Meinung nach gab es zu viele davon, einer sollte den Schäfern auch reichen. Und der sollte angekettet sein! Er schwor sich, wenn er mal einen erwischen sollte, der sich zu weit von den Schafen entfernt hätte, er würde ihm mit seinem Gewehr das Herumstreunen für immer austreiben!

„Aber wozu sich selber die Hände schmutzig machen“, dachte er, schließlich gab es ja die Hundefänger, deren Aufgabe es war, die lästigen Streuner einzufangen. Er beschloss, einen von der Gemeinde anzufordern, wenn sich noch mehr heimatlose Hunde bei den verlassenen Häusern im Nachbardorf herumtreiben sollten. Auch war ihm nicht entgangen, dass viele Hunde zu „Bunica“ liefen und von ihr gefüttert wurden. Diesem Treiben wollte er auch nicht mehr lange zusehen.

Anca und ihre Hündin Wölkchen

Ancas schlaue Hündin Wölkchen, die schon einige unangenehme Begegnungen mit dem Metzger gehabt hatte, wusste inzwischen genau, um welche Häuser sie besser einen großen Bogen machen musste und wo sie sich in die Nähe trauen konnte. Aber pünktlich zum Unterrichtsende war sie wieder bei der Schule und machte sich mit Anca auf den Heimweg.