Tatort Büro - Giuseppe Frau - E-Book

Tatort Büro E-Book

Giuseppe Frau

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Beschreibung

Giuseppe Frau, einer der erfolgreichsten Wirtschaftsermittler Deutschlands, deckt auf. Mit seinem Ermittlungsdienst ComSec war er in den vergangenen Jahren an der Aufdeckung vieler spektakulärer Fälle beteiligt, doch auch im Bereich der alltäglichen Wirtschaftskriminalität kennt er sich aus. Seine Botschaft: "Die Unternehmer müssen aufwachen!" Wirtschaftskriminalität fügt deutschen Unternehmen jedes Jahr einen Schaden in Milliardenhöhe zu, die Täter kommen vielfach ungestraft davon, auch, weil es an Instrumenten mangelt, Taten frühzeitig aufzudecken und die Täter in das Justizsystem zu überführen. Für Unternehmer ist Handlung dringend geboten: In der Zukunft sind zahlreiche Gesetze geplant, die Unternehmen für die kriminellen Vergehen ihrer Angestellten haftbar machen. Von Korruption bis Diebstahl, von Betrug bis Darknet, dieses Buch wirft ein Schlaglicht auf das tatsächliche Ausmaß der Wirtschaftskriminalität in Deutschland und zeigt Unternehmern auf, an welchen Stellschrauben sie drehen müssen, um sich und ihre Unternehmen zu schützen. Wer sind die Täter? Wieso werden aus Angestellten Kriminelle? Wie identifiziere ich Täter in meinem Team? Welche Möglichkeiten der Prävention gibt es? Und was ist zu tun, wenn man selbst betroffen ist? Auf diese und viele weitere Fragen finden die Leser Antworten aus erster Hand.

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Aufgedeckt – ein Leben auf der Schattenseite

Giuseppe Frau

Giuseppe Frau

Tatort BÜRO

Deutschlands gefürchteter Wirtschaftsermittler erzählt

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2022 Giuseppe Frau / ComSec Ermittlungsdienste

Unter Mitarbeit von Sarah Rubal

2. Aufl. 2023

Lektorat: Barbara Lösel

Umschlaggestaltung: Marina Rudolph

Coverfoto: Roberto Frau – Cloud7

Satz & Layout: Verena Blumenfeld – Veanyu Buchdesign

Publishing: Angela Zigann

Verlag & Druck:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

ISBN (Hardcover): 978-3-347-91174-1

ISBN (eBook): 978-3-347-91175-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

1. Kapitel: Wirtschaftskriminalität betrifft uns alle

1.1 Nur ein harmloser eBay-Kauf?

1.2 Ein ungleiches Katz-und-Maus-Spiel

1.3 Täter und Täterstrukturen

2. Kapitel: Vom allgegenwärtigen Gift der Korruption und seinen Folgen

2.1 Was bedeutet Korruption?

2.2 Kartellrecht, Wettbewerbsrecht und Korruption

2.3 Straftatbestände im Zusammenhang mit Korruption

2.4 Korruption und ihr großes Dunkelfeld

2.5 Korruption bekämpfen, aber wie?

2.6 Begleitdelikte rund um Korruption

2.7 Kontrollmechanismen und Compliance-Regeln

2.8 Korruption schert sich nicht um Landesgrenzen

3. Kapitel: »Nicht bei mir«

3.1 Der Frosch im heißen Kochtopf

3.2 Das Ausmaß von Wirtschaftskriminalität

3.3 Wirtschaftskriminelles Handeln als ökonomische Entscheidung

3.4 Schlecht vorbereitet für den Ernstfall

3.5 Es fehlt an Begriffen – und an Bewusstsein

3.6 Augen öffnen vor unangenehmen Wahrheiten

3.7 Hinschauen und Handeln

4. Kapitel: Verbrechen ohne Opfer?

4.1 Der Fisch stinkt vom Kopf

4.2 Die Werteerosion der kleinen Schritte

4.3 Das scheinbare Fehlen der Opfer

4.4 Warum Unternehmen externe Hilfe brauchen

4.5 Täter werden aus der Not heraus

4.6 Gerechtigkeit und die Kreativität der Täter

5. Kapitel: Unter dem Radar des Vertrauens

5.1 Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser!

5.2 Verdeckte Ermittlungen brauchen viel Fantasie

5.3 Verbrecher mit den eigenen Waffen schlagen

5.4 Jede Schwäche wird ausgenutzt

5.5 Ungeahnte Dimensionen

6. Kapitel: Im Tal des fehlenden Unrechtsbewusstseins

6.1 Der immanente Widerspruch der Arbeitswelt

6.2 Wirtschaftsethik und Moral

6.3 Whistleblowing als Chance und Risiko

6.4 Whistleblower-Richtlinie der EU und das deutsche Hinweisgebersystem

6.5 Hinweisgebersystem als Mögliche Lösung

6.6 Ethikbasierte Führung als Fundament der Prävention

6.7 Warum Compliance problematisch ist

7. Kapitel: Das Krebsgeschwür der Gier

7.1 Täterprofile: auffällig unauffällig

7.2 Der schmale Grat zwischen Erfolg und Kriminalität

7.3 Motive und Gefühle – was steckt hinter wirtschaftskriminellem Handeln?

7.4 Weitere Tätertypisierungen

7.5 Too big to fail: der Fall FlowTex

8. Kapitel: Freikaufen

8.1 Fehlendes Unternehmensstrafrecht in Deutschland

8.2 Spektakuläre Beispiele Teil I: Der Fall Ecclestone

8.3 Spektakuläre Beispiele Teil II: Wirecard

8.4 Die deutsche Justiz misst mit zweierlei Maß

9. Kapitel: Unternehmenskultur »bandenmäßige Kriminalität«

9.1 Die unbekannte Schnittmenge zwischen Wirtschaftskriminalität und Organisierter Kriminalität

9.2 Die Unternehmenskultur als Wegbereiter

9.3 Schwerer Diebstahl als eigener Straftatbestand

9.4 Der schmale Grat zwischen Diebstahl und bandenmäßiger Kriminalität

9.5 Deutschlands Naivität im Umgang mit Organisierter Kriminalität

10. Kapitel: eBay/E-Commerce–Hehlerware für jedermann

10.1 Wie die Plattform-Ökonomie Hehlerei revolutionierte

10.2 Hehlerware ist überall – wer kauft, macht sich mitschuldig

11. Kapitel: Ermittlungstaktiken

11.1 Eine Frage der Ressourcen

11.2 Digitalisierung erleichtert Ermittlungen

11.3 Immanente Probleme von Polizeiarbeit bei Wirtschaftskriminalität

12. Kapitel: Sex, Drugs and Darknet

12.1 Berauschte Mitarbeiter sind unzuverlässige Mitarbeiter

12.2 In den dunklen Tiefen des Darknets

12.3 Sex als unternehmerisches Risiko

12.4 Industriespionage und Cyberkriminalität – wachsende Problemfelder in einer globalisierten Welt

13. Kapitel: Was nicht gegen Wirtschaftskriminalität hilft

13.1 Unternehmenssanktionsrecht – das ist geplant

13.2 Controlling ist gut, Kontrolle ist besser

13.3 Risikomanagement

13.4 Hinweisgebersystem – Vor- und Nachteile

14. Kapitel: Ausblick

15. Kapitel: Anhang

15.1 Interview mit Frau Decking, Geschäftsführerin der Rhein-Sieg-Abfallwirtschaftsgsellschaft (RSAG), von der Presse »Eiserne Lady der Müllbranche« getauft.38

15.2 IT / Forensik – Interview mit Herrn Rath / ComSec

15.3 Darknet – Interview mit Hr. Wiedenhaupt

Endnoten

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1. Kapitel: Wirtschaftskriminalität betrifft uns alle

15. Kapitel: Anhang

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1. Kapitel: Wirtschaftskriminalität betrifft uns alle

Wirtschaftskriminalität? Mit dem Begriff können viele erst einmal nichts anfangen. Sie denken an Politskandale und Off-Shore-Konten. Aber Wirtschaftskriminalität gibt es überall, vom kleinen und mittelständischen Unternehmen bis zum Großkonzern. Unterschiedlich sind lediglich die Dimensionen. Wo immer Menschen zusammenkommen, um durch ihre Arbeitsleistung einen Mehrwert zu schaffen, spielt Wirtschaftskriminalität eine Rolle, ob im Friseurladen um die Ecke oder beim Tech-Giganten aus der Großstadt.

Ich habe mein gesamtes Berufsleben damit verbracht, Wirtschaftskriminellen auf die Spur zu kommen, den kleinen, den großen und den ganz großen. Quer durch Deutschland, und auch im Ausland habe ich verdeckte Ermittlungen geführt, Täter überführt, Beweise gesichert, Befragungen vorgenommen und Geständnisse für die Staatsanwaltschaft vorbereitet. Vom Langfinger, der Werkzeug aus der Werkstatt mitgehen lässt, bis zum Manager, der Millionen veruntreut, war alles dabei. Auch einige sehr bekannt gewordene Skandale habe ich hautnah miterlebt.

Trotzdem erfahre ich oft, dass sich Menschen unter Wirtschaftskriminalität nichts vorstellen können, zumindest nichts, von dem sie direkt betroffen sind. Es ist etwas, über das Medien berichten, aber doch nicht etwas, das am eigenen Arbeitsplatz geschieht.

Dabei ist Wirtschaftskriminalität gar nicht neu. Schon der berühmte Augsburger Kaufmann Jakob Fugger bediente sich der Korruption, um die Entscheidungen von Würdenträgern in seinem Sinne zu beeinflussen1. Preisabsprachen, Bestechung, Veruntreuung, Betrug, Steuerhinterziehung, Diebstahl, all das findet sich schon in der Antike, wo auch immer Menschen miteinander Handel trieben oder etwas produzierten.

Selbstverständlich unterscheidet sich die Wirtschaftskriminalität der »kleinen Leute« von der der Mächtigen und Reichen, und zwar auch, was ihre juristische Behandlung angeht, wie wir noch sehen werden, und doch gibt es auch Schnittpunkte. Angetrieben werden die Täter von den gleichen Motiven und Überzeugungen, die in ihrem Kopf entstehen und die meiner Erfahrung nach immer den gleichen Verlauf nehmen.

Ich schreibe dieses Buch, weil die tatsächlichen Dimensionen der Wirtschaftskriminalität im öffentlichen Bewusstsein überhaupt nicht erkannt werden. Für die meisten Menschen, auch Unternehmer, ist das Thema kaum präsent. Es werden Compliance-Regeln geschaffen und man geht davon aus, dass damit genügend Sicherheit existiert. Das ist ein großer Fehler, denn die Beschäftigung mit der Realität zeigt ein ganz anderes Bild: Wirtschaftskriminalität herrscht überall, in jedem Unternehmen. Und die Unternehmen sind kaum darauf vorbereitet, mit ihr umzugehen. Die Schäden, die durch Wirtschaftskriminalität Jahr für Jahr verursacht werden, gehen in die Milliarden.

Die Täter hingegen verüben ihre Taten ohne jedes Unrechtsbewusstsein – da es scheinbar keine Opfer gibt und auch die Strafverfolgungsbehörden nur unzureichend auf diese Art von Straftaten vorbereitet sind bzw. sie verfolgen können. Selbst wenn die Taten aufgedeckt werden, verzichten Unternehmen häufig auf eine Strafanzeige aus Angst vor Reputationsverlust.

Es ist wichtig, zu verstehen, dass die Täter keine Einzelpersonen sind. Sie sind immer Teil einer Haltung zum Unternehmen, die mit einem geklauten Bleistift anfängt und im schlimmsten Fall mit einem Betrug in Millionenhöhe endet.

Wer also Wirtschaftskriminalität vorbeugen möchte, der muss zuerst ein Verständnis für das Ausmaß und die Hintergründe der Taten haben, um dann zu erkennen, wie wir in den Unternehmen wirksame Schutzmaßnahmen schaffen können; und diese schließen immer das gesamte Unternehmen mit ein.

Als Unternehmer bin ich darauf angewiesen, meinen Mitarbeitern vertrauen zu können. Sie sind mein Team, die Ressource, mit der ich Wertschöpfung betreibe. Trotzdem ist ein gesundes Misstrauen wichtig, und zwar immer und überall. Denn die Erfahrung zeigt: Jeder kann zum Täter werden, und zwar auch die Menschen, die außerhalb der Berufswelt nie ein Verbrechen begehen würden.

In diesem Buch geht es darum, ein Bewusstsein zu schaffen für das, was sich tagtäglich in deutschen Büros, Lager- und Werkshallen abspielt. Vieles von dem, was in diesem Buch steht, liest sich, als gehöre es eher auf die Leinwand als in den deutschen Arbeitsalltag. Auch wenn einige Details verfremdet wurden, um die Persönlichkeitsrechte Einzelner zu schützen, so ist jeder Fall wahr und genau so geschehen.

Wirtschaftskriminalität geschieht nicht nur in Filmen oder in Romanen sondern tagtäglich vor unseren Augen.

Wir werden in diesem Buch alle Bereiche der Wirtschaftskriminalität betrachten. Meine Agentur ComSec ist die größte Agentur für Ermittlungen im Bereich Wirtschaftskriminalität in Deutschland. An fast jedem Fall, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Aufmerksamkeit der Presse erregte, waren wir beteiligt. Wir kennen die Täter, die Strukturen, die Abläufe. Wir wissen, was hinter den Kulissen geschieht, und arbeiten eng mit den Unternehmen und den Strafverfolgungsbehörden zusammen. Im Laufe der Jahre haben wir ein immenses Erfahrungswissen angehäuft, das bis dato in dieser Form noch nie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Wir haben Tools und Methoden entwickelt, um Straftaten aufzudecken und zu verhindern, und wir richten konkrete Forderungen an Politik, Unternehmer und Verbände. Gerade für Letztere sind wir bereits seit vielen Jahren tätig. Auch sie waren ein wichtiger Impulsgeber für dieses Buch.

Wir werden im Folgenden in alle Aspekte der Wirtschaftskriminalität eintauchen, wir werden uns sowohl die spektakulären als auch die alltäglichen Fälle anschauen und betrachten, in welchem Umfeld sie entstanden sind. Auch werden wir darüber sprechen, welches Umdenken auf Unternehmerseite notwendig ist, um Wirtschaftskriminalität auf allen Ebenen einen Riegel vorzuschieben.

Viele Leser werden staunen, über welchen Zeitraum Täter unentdeckt agieren können, je nachdem, an welcher Position sie sitzen. Sie können Millionenverluste verschleiern und sich den Profit in die eigene Tasche stecken, während das Unternehmen in Schieflage gerät, Mitarbeiter entlassen werden oder Gehaltskürzungen hinnehmen müssen. In vielen Fällen ist es gleich ein ganzes Täternetzwerk, das einem Unternehmen im übertragenen Sinne das Blut absaugt. Nicht selten sind auch Unternehmen in öffentlicher Hand oder mit öffentlichem Auftrag betroffen. Dort trifft der Schaden letztlich die Steuerzahler.

Doch auch das mittelständische Handwerksunternehmen, dessen Mitarbeiter Material und Werkzeug entwenden und weiterverkaufen, sieht sich mit einer potenziell existenziellen Bedrohung konfrontiert. Es blutet langsam aus – ohne es zu bemerken. Sicherheitskontrollen helfen da nur wenig, die Täter als Teil des Unternehmens finden einen Weg, sämtliche Sicherheitsmaßnahmen zu umgehen.

So mancher wird über das Ausmaß der kriminellen Energie, die sich in den folgenden Kapiteln offenbaren wird, entsetzt sein. Gerne geht man in Deutschland davon aus, dass Kriminalität in Unternehmen etwas ist, das hierzulande nicht stattfindet. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall. Wir haben lediglich kein Bewusstsein dafür – und genau das nützt den Tätern, im Kleinen wie im Großen. So wird dieses Buch im besten Fall so manch schöne Illusion zerstören. Jeder Unternehmer, der sich einredet: »Bei mir findet das nicht statt« oder »Meine Leute machen das nicht«, lügt sich in die Tasche. Es ist Zeit aufzuwachen und zu erkennen, dass die Wirklichkeit eine andere ist.

Unser Zeitgeist tut sein Übriges dazu. Reichtum und Status spielen eine immer größere Rolle. Das Bedürfnis, mitzuspielen und etwas darzustellen, wird immer größer, während traditionelle Werte wie Ehrlichkeit, Treue, Fleiß etc. an Bedeutung verlieren.

Wer erlebt, dass manche Menschen dank YouTube, Instagram und Co. mit Leichtigkeit Millionen verdienen, in dem regt sich schnell Unzufriedenheit und Frust über das eigene Einkommen, das mit harter Arbeit verdient wird. Wenn dann der Chef mit einem großen Wagen vorfährt und Urlaubsbilder von Traumzielen postet, dann kommt schnell die Überzeugung hinzu, man würde sich mit einem kleinen Diebstahl hier und da, mit einer kleinen Belohnung für dieses oder jenes oder mit anderen Handlungen nur das holen, was einem zusteht. »Das machen doch schließlich alle«, sagt man sich, wenn man Kaffee aus der Kantine klaut, Briefmarken auf private Briefe klebt oder bezüglich der Arbeitszeit schummelt.

Doch genau damit fängt es an. Wer diese Grenze des Unrechts überschreitet, der begibt sich auf ein Terrain, in dem bald auch größere Taten gar kein Unrechtsbewusstsein mehr auslösen. »Die Firma hat doch genug«, redet man sich ein und geht einen Schritt weiter.

Unternehmer oder in größeren Konzernen auch die Managementebene sind darauf fokussiert, Geld zu verdienen. Der Umsatz muss stimmen. Für alles andere gibt es schließlich Compliance-Vorgaben, die alle Mitarbeiter auch brav unterschreiben. Einzig: Sie nützen nichts.

Solange niemand seine Aufmerksamkeit darauf lenkt, wo im Unternehmen möglicherweise Straftaten begangen werden, und statt Kontrolle eine Kultur des blinden Vertrauens herrscht, haben Täter freie Hand. Aufgrund ihrer Position können sie ihre Taten vertuschen, verschleiern oder leugnen, bis es fast zu spät ist. Sie wirtschaften in die eigene Tasche und werden dabei immer hemmungsloser und dreister.

Hat jemand einen Verdacht und schaltet uns ein, dann sind wir es, die die Taten aufdecken, uns Zahlen anschauen, verdeckte Ermittler losschicken, in die Tiefe gehen und alles ans Tageslicht holen.

Ich habe im Laufe der Jahre ein unbestechliches Gefühl für die Täter entwickelt. Ich habe Hunderten von ihnen gegenübergesessen, vom einfachen Angestellten bis zum Topmanager, und mein Instinkt sagt mir sofort, wer in etwas verwickelt ist. Dieses Gespür ist das Ergebnis meiner Erfahrung, ich lasse mich nicht blenden. Tag für Tag mit Menschen zusammenarbeitet, entwickelt eine Bindung zu ihnen. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Niemand, auch kein Unternehmer, möchte dann seinen treuen und vielleicht sogar besonders engen Mitarbeitern Betrug, Korruption oder Diebstahl unterstellen. Das liegt in der menschlichen Natur. Doch ich habe diese Blockade nicht. Ich schaue mir die Menschen genau an, analysiere ihr Verhalten und ihre Motive und dringe zum Kern vor.

Was folgt, ist oft ein böses Erwachen. »Von dem hätte ich das niemals gedacht«, diesen Satz höre ich oft. Genau das ist das Problem.

Wenn wir Wirtschaftskriminalität konsequent angehen wollen, dann müssen wir zunächst erkennen, dass die Bereitschaft dazu in jedem von uns angelegt ist. Wenn dann noch die »richtigen« Umstände – eine Gelegenheit und die Überzeugung, sich doch nur das zu nehmen, was einem zusteht – dazukommen, dann entscheiden sich viele dafür, den Weg des Unrechts zu gehen. Es spielt keine Rolle, wie lange sie schon im Unternehmen sind. Jeder kann prinzipiell zum Täter werden, auch und gerade der beste Mitarbeiter.

Sicherlich fragen sich jetzt einige meiner Leser, warum ich das Wort »Mitarbeiter« nicht gendere. Das hat einen guten Grund. 99 Prozent aller Täter sind männlich. Woran das liegt und welchen Hintergrund das hat, müssen andere ergründen, ich kann nur abbilden, was ich und meine Mitarbeiter tagtäglich erleben.

Das bedeutet nicht, dass Frauen nicht auch zur Wirtschaftskriminalität in der Lage sind. Ich denke, es hat eher etwas damit zu tun, dass die Schlüsselpositionen in Unternehmen nach wie vor von Männern besetzt sind.

1.1 Nur ein harmloser eBay-Kauf?

Haben Sie in der letzten Zeit einen Kauf auf eBay getätigt? Möglicherweise renovieren Sie gerade oder bauen um und waren auf der Suche nach günstigen Ersatzteilen für Ihre Immobilie. Häufig kommt es ja vor, dass Menschen ihre Fehlkäufe bei eBay wieder zum Verkauf anbieten. So weit, so nachvollziehbar.

Doch tatsächlich ist eBay eine der größten Hehlerplattformen weltweit. Das Problem ist bekannt. Die Verbände, gerade aus Industrie und Handwerk, versuchen seit Jahren, die Verkäufe von Zubehör und Teilen auf der Plattform einzudämmen, da der Großteil aus Wirtschaftskriminalität stammt. Mehrfach suchten wir in der Vergangenheit schon gemeinsam mit den Verbänden den Kontakt zu eBay und zur Politik, um das Problem anzugehen. Leider ohne Erfolg.

Stattdessen haben wir bei ComSec eine eigene Abteilung geschaffen, die mit einem eigens entwickelten Programm nichts anderes tut, als eBay-Verkäufe und Accounts nach bestimmten Mustern zu scannen.

Selbstverständlich kommt es vor, dass jemand einen Artikel kauft, den er anschließend nicht mehr braucht und bei eBay zum Verkauf anbietet. Wenn er aber zehn Artikel anbietet und das als privater Verkäufer immer wieder, dann liegt der Verdacht nahe, dass diese Artikel widerrechtlich bei einem Unternehmen entwendet und nun unter der Hand verkauft werden.

Die Nutzer gehen davon aus, dass ihre Aktivitäten bei eBay niemand auf dem Schirm hat. Doch unser Programm erkennt sie und filtert sie heraus.

Manchmal stecken dahinter nur einfache Mitarbeiter, die Lagerbestände verkaufen oder andere über das Unternehmen günstig erworbene gekaufte Gegenstände, wie etwa Computer-Hardware. Hin und wieder ist mit den eBay-Verkäufen aber auch ein weit größeres Maß an Kriminalität verbunden.

Der folgende Fall ereignete sich vor einigen Jahren in den Stadtwerken einer größeren deutschen Stadt. Der Schaden belief sich auf rund 250.000 Euro.

Der Täter war als Einkäufer im Bereich Gebäudemanagement bei den Stadtwerken tätig und stand kurz vor der Pensionierung. Unser eBay-Programm meldete, dass der Mitarbeiter über seinen privaten Account Elektroartikel in großem Umfang verkaufte. Unsere verdeckten Ermittler kauften bei ihm und nahmen Kontakt auf mit der Frage, ob diese Artikel auch in einem größeren Maße für einen Handel außerhalb von eBay verfügbar seien. Der Mitarbeiter bestätigte diese Möglichkeit und so nahmen die Dinge ihren Lauf.

Unsere Ermittlungen liefen über sechs Monate, auch die Ermittlungsbehörden und die Steuerfahndung waren involviert, da wir bald schon herausfanden, dass dieser Mitarbeiter im öffentlichen Dienst tätig war. Er kaufte etwa Kabel oder Beleuchtungseinrichtung für städtische Kindergärten, stellte diese der Stadt in Rechnung, verkaufte sie dann aber über eBay.

Je länger wir ermittelten, umso mehr Personen gerieten in unseren Fokus. Der Täter handelte keineswegs allein, sondern war Teil eines ganzen Täternetzwerks, das sich gegenseitig Scheinrechnungen ausschrieb und so die Stadtwerke um rund eine Viertel Millionen Euro betrog. Der erwähnte Mitarbeiter erhielt für die Scheinrechnungen lediglich einen Anteil, Beamte und Angestellte in höheren Positionen steckten den »Gewinn« ein. Das Ganze ging über Jahre. Letztlich gab eine gestohlene Bohrmaschine den Hinweis auf die weiteren Täter. Wir konfrontierten den Mitarbeiter mit dem eBay-Account und holten ihn zu einer Befragung. Da wir keine offizielle Ermittlungsbehörde sind, dürfen wir solche Dinge nur mit dem Einverständnis der Betroffenen tun.

Während der Befragung gab er zu, dass er in den vergangenen Jahren zigtausend Euro unterschlagen und weitere Summen als Bestechungsgelder erhalten habe. Zusätzlich gab er uns die Namen der anderen Täter sowie ihre Verbindungen untereinander.

Für so jemanden bricht in so einem Augenblick eine Welt zusammen. Das ist auch uns als Ermittlern klar. Kurzschlussreaktionen sind nicht ausgeschlossen. Die Täter fühlten sich über Jahre so sicher, dass sie nie damit gerechnet hätten, dass wir sie überführen. Viele denken auch gar nicht daran, dass es so etwas wie private Ermittlungsagenturen wie uns gibt und dass sie in deren Fokus geraten könnten.

Der Täter war während der Befragung sehr aufgewühlt. Wie immer hielten wir unsere Ermittlungsergebnisse und seine Aussagen so fest, dass wir sie danach unmittelbar an die Strafverfolgungsbehörden übergeben konnten. Das Geständnis des Täters mündet in einen Titel, der sofort juristisch wirksam wird. Letztlich muss das Unternehmen, in diesem Fall die Stadtwerke, dann entscheiden, wie es weitergeht.

Nach der Befragung veranlasste ich, dass der Mitarbeiter nach Hause gefahren wurde. Leider traf er danach eine tragische Entscheidung. Er stieg in sein Auto, fuhr auf die Autobahn, blieb auf der Standspur stehen und täuschte eine Panne vor. Dann sprang er vor einen fahrenden Lkw. So kurz vor der Pensionierung hatte er nicht nur seine Pension verloren, sondern ihm drohten auch bis zu zehn Jahre Gefängnis und hohe Rückforderungen. Dem war er nicht gewachsen.

Wir erfuhren von dem Selbstmord, als wir gerade im Gespräch mit der Kriminalpolizei waren. Zunächst sah alles nach einem Unfall aus, doch die Ermittlungen ergaben, dass das nicht der Fall war.

Wenige Tage später erhielten wir Besuch von seiner Witwe. Sie hielt uns vor, dass wir ihren Mann auf dem Gewissen hätten, und stellte Geldforderungen. Über die Jahre hatte sie sich an den Lebensstil, den die kriminellen Handlungen ihres Mannes ermöglicht hatten, gewöhnt und wollte diese nicht aufgeben. Von Unrechtsbewusstsein keine Spur.

Dieser Fall ist besonders tragisch. Er zeigt aber auch, dass sich die Täter immer mehr und mehr in das Netz ihrer Taten verwickeln und nur gestoppt werden können, wenn diese Taten aufgedeckt werden.

1.2 Ein ungleiches Katz-und-Maus-Spiel

Was häufig übersehen wird, ist der immense Ermittlungsaufwand, den Strafverfolgungsbehörden betreiben müssen, um Wirtschaftskriminelle dingfest zu machen. Je höher die Summen sind, umso komplexer ist das Netz aus Vertuschung und Täuschung, das diese Taten umgibt. Selbst wenn die Täter überführt sind, kostet es anschließend die Staatsanwaltschaft oft enorme Ressourcen und aufwändige Arbeit über Jahre, um alles nachzuvollziehen und zu beweisen, während die Täter sich einen gut bezahlten Anwalt nehmen. Wenn die Täter dann noch die Aussage verweigern und ihre Mittäter schützen, dann kommen sie häufig mit einer im Verhältnis gesehen geringen Strafe davon.

Vor einigen Jahren gab es den Fall eines hochrangigen Angestellten, der 23 Millionen an der Steuer vorbei verdient hatte. Die Kriminalpolizei und die Steuerfahndung arbeiteten bereits an dem Fall und hatten den Mann in Untersuchungshaft, doch er wollte nicht auspacken.

Ich bot mich für ein Gespräch an, nachdem er aus der U-Haft entlassen worden war, und schlug ihm vor, als Kronzeuge auszusagen. Ich konfrontierte ihn mit den Fakten: Das Verfahren lief bereits seit Jahren, ein großer Skandal mit vielen Festnahmen stand bevor und es ging um viele Millionen Euro Strafzahlungen. Der Täter war völlig am Ende und hatte Angst um seine Familie. In so einem Moment suchen Menschen einen Ausweg, und den bot ich ihm. Ich sagte ihm, wenn er alles offenlege, werde ich mich beim Staatsanwalt dafür einsetzen, dass er mit einer Bewährungsstrafe davonkomme.

Letztlich ließ er sich darauf ein. Er nannte uns alle Zusammenhänge und Hintermänner und die Verfahrensdauer konnte deutlich verkürzt werden. Das Finanzamt gab sich mit einer Zahlung von einstelliger Millionenhöhe zufrieden.

So laufen solche Fälle häufig, denn die deutsche Justiz ist weder auf die Täter noch die Täterstrukturen richtig vorbereitet und sieht sich dann hochbezahlten Anwälten gegenüber, die über genug Ressourcen verfügen, um die Kosten in die Höhe und die Dauer eines Verfahrens in die Länge zu treiben. Mit Gerechtigkeit hat ein solches Ergebnis wohl wenig zu tun, doch immerhin konnten die Taten aufgeklärt werden. Das ist die Zufriedenheit, die ich aus meiner Arbeit ziehe.

Würde ich nach Gerechtigkeit fragen, ich würde aufgrund der Unverhältnismäßigkeit schier verrückt werden. Ein kleiner Mitarbeiter in einem Unternehmen, der für 10.000 Euro Gesamtschaden Firmenbesitz entwendet und verkauft, der muss damit rechnen, dass die Justiz mehr als hart mit ihm ins Gericht geht. Er verliert alles. Ein Manager, der Millionen veruntreut hat, kann hingegen zuversichtlich davon ausgehen, mit einem blauen Auge davonzukommen. Es wird ein Deal gemacht, er zahlt ein paar Millionen Strafe und ist fein raus, sogar mit weißer Weste.

Das ist etwas, was mich immer wieder ärgert. Gerechtigkeit als Prinzip ist wichtig, denn es hält eine Gesellschaft zusammen. Wenn es keine Gerechtigkeit gibt, dann zerstört das das Fundament, auf dem wir alle handeln. Zumindest vor dem Gesetz sollten wir alle gleich sein, doch gerade im Bereich Wirtschaftskriminalität ist die Wirklichkeit eine ganz andere. Das ist ein Bereich, in dem die Politik dringend nachbessern muss. Sie muss die Strafverfolgungsbehörden viel besser ausstatten und die Unternehmen als Tatumfeld für Verbrechen in den Fokus nehmen, ob das den jeweiligen Lobbyisten passt oder nicht.

Gier und Neid sind die Hauptmotive für wirtschaftskriminelles Handeln und sie finden sich, in unterschiedlicher Ausprägung, in jedem von uns. Gerade in der Arbeitswelt, die auf Konkurrenz und Erfolg ausgerichtet ist, finden sie ihre Ausdrucksformen und schlagen nicht selten in ein Verhalten jenseits von Recht und Ordnung um.

1.3 Täter und Täterstrukturen

Wirtschaftskriminalität ist ein breites Feld mit höchst unterschiedlichen Tätern und Täterstrukturen. So spricht man beim kleinen Angestellten und seinen Taten eher von »Mittelstandskriminalität«, während der Manager, der Millionen veruntreut, zur Top-Liga der Wirtschaftskriminellen gehört.

Viele kleinere kriminelle Handlungen werden im allgemeinen Bewusstsein oft nicht als solche wahrgenommen oder bewertet. Der Lkw-Fahrer, der ein bisschen Ware mit nach Hause bringt, fühlt sich nicht im Unrecht. »Die haben doch genug«, redet er sich ein. Er schaut auf seinen Lohnzettel und fühlt sich wegen des zu geringen Lohnes für seine erbrachte Leistung ungerecht behandelt. Schließlich schuftet er den ganzen Tag, damit »die da oben« sich die Taschen vollmachen.

Aus diesem Grund wird über solche vermeintlich harmlosen Delikte oft ganz offen gesprochen, sowohl unter Kollegen als auch im privaten Kreis. Fast handelt es sich dabei um die Rache des kleinen Mannes an den kapitalistischen Verhältnissen. Es ist wichtig, das zu verstehen, um zu begreifen, weshalb solche Täter nicht die Ausnahme, sondern in vielen Geschäftsbereichen wie in der Logistik sogar die Regel bilden. Die Unternehmen wissen das auch häufig, doch sie haben keine Ressourcen, um jeden einzelnen Fall aufzuklären. Lkw-Fahrer sind heiß begehrt, Hauptsache, der Laden läuft.

Wir erkennen hier, dass in der Wirtschaftskriminalität die Unternehmen selbst die Opfer sind. Das betrifft vor allem die mittelständische Wirtschaftskriminalität. Verlassen wir diesen Bereich und begeben wir uns auf die Managementebene, so sehen wir, dass dort die Akteure bei einem kriminellen Verhalten ihr Unternehmen zu einem Täter machen. Dies zieht im Zweifelsfalle verschiedene Haftungsansprüche an das Unternehmen nach sich, wie wir im folgenden Kapitel noch sehen werden.

Gleichzeitig gibt es auf der Unternehmensseite die Tendenz, bei Bekanntwerden der Taten alle Verantwortung auf den einzelnen Täter abzuschieben, das Problem sozusagen zu personalisieren, was den oft komplexen Kontext, in dem diese Taten überhaupt erst möglich wurden – wer wusste davon, wer hat weggeschaut, etc. – ignoriert. Diese Art des Umgangs hat etwas mit dem institutionellen Selbsterhaltungstrieb des Unternehmens zu tun. Statt in die Aufarbeitung und Reflexion zu gehen, wird der Täter zum Sündenbock erklärt und die Sache damit abgeschlossen, ohne dass sich an den internen Strukturen etwas ändert. »Ich kann ja schlecht die ganze Abteilung entlassen«, erklärt man sich auf Führungsebene. Denn: »Wer soll dann die Arbeit machen? » Dass man sich damit in die eigene Tasche lügt, wird ignoriert, nicht selten mit entsprechenden Konsequenzen: Wir kennen mehr als eine Firma, in der wir wiederholt ermitteln mussten, die Akteure wechselten, die Unternehmenskultur blieb bestehen.

Der amerikanische Kriminologe Donald R. Cressey entwickelte nach der Befragung verurteilter Wirtschaftskrimineller das Fraud-Triangle-Modell, nach dem drei Faktoren zusammenkommen müssen, damit jemand eine Straftat begeht: Anreiz und Druck, Gelegenheit und innere Rechtfertigung.

Über den Aspekt der inneren Rechtfertigung habe ich bereits gesprochen. Anreize sind im Wirtschafts- und Arbeitsleben genügend gegeben und Gelegenheiten lassen sich auch nicht vermeiden.

Fehlende Kontrollinstanzen spielen zwar beim Begehen von Wirtschaftsdelikten eine Rolle, wie wir noch sehen werden, doch kein Unternehmen kann ein System der vollständigen Kontrolle installieren. Dies würde das Betriebsklima nachhaltig vergiften und die Mitarbeiter demotivieren, so dass sich das negativ auf den Geschäftserfolg auswirken würde. Das bringt die Unternehmer und Verantwortlichen in ein Dilemma. Einerseits müssen sie ihre Mitarbeiter überwachen, um die Gelegenheit für kriminelle Handlungen einzuschränken, andererseits erfordert die Zusammenarbeit in einem Unternehmen auch Vertrauen und Handlungsfreiraum. Teamgeist und institutionelles Misstrauen, das passt nicht gut zusammen. In der schönen neuen Arbeitswelt des New Work erscheinen solche Ansätze der Kontrolle als ewig gestrig und längst überholt. Und dennoch zeigt die Realität, dass sie notwendig sind.

Ein Chef, der solche Kontrollmaßnahmen durchsetzt, macht sich unbeliebt. Er handelt schließlich ohne konkreten Anlass, wodurch sich schnell alle Mitarbeiter verdächtigt fühlen können, etwa wenn er Sicherheitskontrollen und Taschendurchsuchungen anordnet. Das kann die Identifikation mit dem Unternehmen beschädigen.

Die Gründe, weshalb jemand anfängt, wirtschaftskriminell zu handeln, sind vielfältig. Bei einigen kommt ein erhöhter Geldbedarf ins Spiel, etwa durch eine Drogen- oder Spielsucht oder durch einen Schicksalsschlag. Das zeigt sich häufig durch Pfändungen, die auf dem Gehalt liegen, und natürlich auch durch andere Auffälligkeiten im Verhalten.

Andere reden sich ein, dass ihre Handlungen nicht kriminell sind, etwa wenn die Preisabsprachen nicht im Büro, sondern abends in der Kneipe unter guten Freunden gemacht werden. Oder sie glauben, für ihre Taten nicht verantwortlich zu sein, weil ihnen bestimmte Entscheidungen »von oben« oder der Gesetzgeber doch gar keine andere Wahl lassen. Dazu gehört auch, dass die eigenen Taten relativiert werden. »Was ist schon dabei?« – so beruhigt man das schlechte Gewissen oder man redet sich ein, dass es sich lediglich um ein Kavaliersdelikt handelt. Auch kann man behaupten, doch nur »ein Rädchen im System« zu sein. »Ich mache doch nur, was alle machen« oder »Ich tue doch nur, was von mir erwartet wird«, sind Sätze, die dann fallen. Gerade der letzte Satz ist von Bedeutung. Mehr als einmal habe ich im Zusammenhang mit Bestechung das Argument gehört, dass die Geschäftsleitung ein solches Verhalten doch implizit fördert, weil sie auf immer höhere Umsätze oder Ergebnisse pocht, die auf »normalem« Weg nicht herbeizuführen sind.

Außerdem kann man sich wie Robin Hood darauf berufen, dass man letztlich doch nichts anderes macht, als die Gerechtigkeit wieder herzustellen, indem man das Unternehmen beklaut und sich selbst in die Tasche wirtschaftet.

Manchmal kommt es auch vor, dass sich die Täter vormachen, den Schaden irgendwann wieder gut zu machen, sich also bei Veruntreuung das Geld nur »zu leihen«. Damit beruhigen sie ihr schlechtes Gewissen.

Es ist in der Tat Aufgabe des Unternehmens, so wenig Tatgelegenheiten wie möglich zu schaffen. Dies erfolgt über entsprechende Sicherheits- und Kontrollmechanismen auf jeder Ebene, wie dem Vier-Augen-Prinzip oder mit Sicherheitskameras und Ähnlichem. Diese Mechanismen haben einen normierenden Effekt. Mitarbeiter, die wissen, dass sie nicht unbeobachtet handeln, haben eine viel höhere Hemmschwelle, eine Tat zu begehen, bzw. ist der Aufwand, sie zu begehen so hoch, dass sie davon absehen. Als Unternehmen habe ich den Aufwand für eine Straftat während der Arbeit so hoch wie möglich zu treiben und möglichst viele Hürden einzubauen. Das bedeutet nicht, dass diese unüberwindlich sind, vor allem, wenn sich mehrere Mitarbeiter zusammentun und ein kriminelles Netzwerk bilden.

In jedem Unternehmen und auf jeder Ebene sind ständig Tatgelegenheiten vorhanden, und wenn es nur um den Kaffee in der Kantine geht, den man mitnehmen kann. Ob jemand diese Tatgelegenheiten erkennt und entsprechend handelt, ist von individuellen Faktoren abhängig. Jemand mit einem intakten Wertesystem, der in der Firma und auch im Privaten zufrieden ist, registriert diese Tatgelegenheiten gar nicht, weil sein Fokus ein anderer ist. Jemand, dessen Leben aus irgendeinem Grund in Schieflage geraten ist oder der eine große Unzufriedenheit mit sich herumträgt, sieht diese Gelegenheiten und trifft irgendwann die Entscheidung, sie auszunutzen …

Was bedeutet das für die Unternehmer? In allererster Linie heißt das, dass sie ihre Mitarbeiter genauer beobachten und ihnen zuhören sollten.

Wenn ein Mitarbeiter im Lager auf einmal mit einem dicken Sportwagen aufkreuzt und auf Social Media mit seinen teuren Urlauben protzt, dann sollte man da nachfragen. Wo kommt das Geld her? Oft wird dann auf eine Erbschaft oder Ähnliches verwiesen. Wie glaubwürdig ist diese Geschichte?

Gleiches gilt, wenn sich jemand immer wieder negativ über Geschäftsabläufe und die Geschäftsführung äußert. So jemand ist besonders anfällig dafür, eine Art umgekehrte Gerechtigkeit herbeizuführen, indem er dem Unternehmen schadet und sich selbst bereichert. »Die haben es doch gar nicht anders verdient«, lautet seine Ausrede. Die Loyalität dem Unternehmen gegenüber ist – aus unterschiedlichen Gründen – auf dem Tiefpunkt, was zu Frust und Rachegedanken führt. Die Kreativität, die solchen Überlegungen entspringt und in kriminelle Handlungen mündet, sollte keinesfalls unterschätzt werden. Letztlich muss der Unternehmer oder Geschäftsführer das aus der Perspektive seiner Mitarbeiter sehen. Diese haben den ganzen Tag Zeit, sich zu überlegen, wie man eine Straftat begeht, und nach entsprechenden Lücken Ausschau zu halten. Sie können das, weil alle anderen im Unternehmen mit ihren eigenen Aufgaben zu tun haben.

Auch Kollegen müssen einander vertrauen können, sonst ist eine Zusammenarbeit Tag für Tag sehr schwierig. Wer unterstellt schon dem langjährigen Kollegen, dass er Rechnungen fälscht oder im Lager klaut? Wer möchte schon derjenige sein, der das bei der Geschäftsleitung zur Kenntnis bringt? Eine solche Person wird vom Kollegenkreis schnell ausgeschlossen und kann sich eigentlich direkt eine neue Stelle suchen, denn die gefühlte Loyalität der Belegschaft ist nicht selten beim Täter, vor allem, wenn dieser im sozialen Miteinander gut gelitten und kein Außenseiter war. Meiner Erfahrung nach stehen Täter besonders häufig sogar im Zentrum des sozialen Geflechts, sind beliebt und haben unter der Belegschaft etwas zu sagen, sie gelten als witzig, kollegial und unentbehrlich. Das macht sie zu einem gewissen Grad unangreifbar.

Ein Unternehmer kann sich deshalb nicht wirklich darauf verlassen, dass das System der sozialen Kontrolle bei seinen Mitarbeitern funktioniert. Er mag sich als »Primus inter Pares« verstehen, doch die Mitarbeiter sehen das häufig anders. Der Chef ist der Chef und die Belegschaft ist die Belegschaft und als solche hält man besser zusammen.

Das hat auch mit sozioökonomischen Aspekten zu tun. Der Chef gehört einer anderen sozialen Schicht an als seine Mitarbeiter. Diese haben oft den gleichen Bildungshintergrund, ein ähnliches Einkommen, verfügen über einen ähnlichen Erfahrungshorizont und entsprechende Interessen. Anders als der Chef, der in einer Villa wohnt, dreimal im Jahr in Urlaub fliegt und ein protziges Auto fährt, hat man es mit anderen Problemen zu tun – am Ende des Monats ist das Geld knapp, Angehörige sind krank und müssen gepflegt werden, andere Alltagssorgen wie unbezahlte Rechnungen, zu kleine Wohnungen oder kaputte Waschmaschinen belasten. Der Gestaltungsspielraum vieler Angestellter ist klein, sie sind weisungsgebunden und müssen ausführen, was ihnen von oben durchgegeben wird. Wer sich dann entscheidet, innerhalb des Betriebes kriminell zu werden, hat auf einmal ein ungeahntes Machterleben und sprengt diese sozialen Ketten vermeintlich.

Bei Straftaten im mittelständischen Bereich ist das Kosten-Nutzen-Kalkül gering. Wird eine solche Straftat aufgedeckt, sind die Folgen für die Täter drastisch. Deshalb sind auch die Motive für solche Handlungen meiner Erfahrung nach weniger rational, sondern wie skizziert im emotionalen Bereich zu suchen.

Wenden wir uns aber dem Bereich zu, in dem Gelder in Millionenhöhe entwendet werden, ist die Sachlage anders. Diese Täter handeln mit absolutem Kalkül. Der Nutzen ist riesig, das Risiko im Verhältnis dazu meistens gering. Wie schon dargestellt, können viele dieser Täter damit rechnen, keinen Tag in Haft zu verbringen, sondern ihren Kopf mit Hilfe teurer Anwälte und Strafzahlungen aus der Schlinge zu ziehen. Bald schon können sie mit weißer Weste beim nächsten Unternehmen anheuern. Gerade in diesem Bereich ist firmenintern dafür zu sorgen, dass solche Taten gar nicht erst möglich sind. Solange die Gelegenheit dazu besteht, wird es jemand geben, der sie ausnutzt – und das in allen Branchen. Die Aussicht auf so viel Geld ist einfach zu verführerisch und die Möglichkeiten, als Vertreter bzw. Beauftragter eines Unternehmens an dieses Geld zu gelangen, sei es durch Betrug, Korruption oder Veruntreuung, sind mehr oder weniger ständig gegeben. Wirksame Kontrollinstanzen für Managemententscheidungen zu schaffen, ist für Konzerne eine riesige und schwierige Aufgabe. Die Manager sind dazu da, die Produktivität und Effizienz eines Unternehmens zu gewährleisten und zu steigern, was sich entsprechend im Gewinn niederschlägt. Stimmt dieser Gewinn, gibt es kaum einen Grund, ihre Entscheidungen infrage zu stellen oder ihrem Handeln mit Misstrauen zu begegnen, denn das käme einem Affront gleich. Und: Wer soll ihr Handeln infrage stellen, wenn sie in der Hierarchieebene ganz oben sind?