Tausche Büro gegen Boot - Jens Brambusch - E-Book

Tausche Büro gegen Boot E-Book

Jens Brambusch

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Beschreibung

Mit den E-Books der DuMont Welt - Menschen – Reisen sparen Sie Gewicht im Reisegepäck und können viele praktische Zusatzfunktionen nutzen! Das E-Book basiert auf: 1. Auflage 2022, Dumont Reiseverlag Vom Meer aus betrachtet sieht das Leben viel schöner aus ... Nach einem Burnout beschließt Jens Brambusch, sein Leben radikal zu ändern. Der Journalist macht blau! Mit 46 Jahren kündigt er seinen Job, verkauft seine Wohnung und zieht auf ein 30 Jahre altes Segelboot in der Türkei – die Dilly-Dally . Alles, was er mitnimmt, passt in einen Seesack. Anfang Oktober 2018 sitzt er im Flieger, in der Hand ein One-Way-Ticket in sein neues Leben. Kann das gutgehen? In amüsanten wie nachdenklichen Anekdoten schildert Jens Brambusch seinen Alltag an Bord, berichtet von Missgeschicken und herrlichen Momenten, gibt Ein- und Überblicke. Eine Inspiration für all diejenigen, die sich mit dem Gedanken tragen, mehr aus ihrem Leben zu machen – wo sonst, als auf dem Meer! Tipp: Setzen Sie Ihre persönlichen Lesezeichen an den interessanten Stellen und machen Sie sich Notizen… und durchsuchen Sie das E-Book mit der praktischen Volltextsuche!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 373

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1. Auflage 2022

© 2022 DuMont Reiseverlag, Ostfildern

Alle Rechte vorbehalten.

Lektorat: Patrick Schär, Berlin

Umschlaggestaltung: Birgit Kohlhaas

Umschlagfotos: Jens Brambusch

Autorenfoto Umschlagklappe hinten: Jens Mühling

Fotos Bildstrecke innen: Jens Brambusch

www.dumontreise.de

INHALT

Prolog

Bye, bye Burnout

Einstieg in den Ausstieg

Die Qual der Bootswahl

Abflug ins Glück

Türkei? Du bist verrückt

Hier wohnst du jetzt?

Der Tag, vor dem ich mich gefürchtet habe

Neue Segel braucht das Boot

Wo ist dieser Murphy?

Freunde an Bord – Fluch oder Segen?

Kombüsenzauber

Shalom!

Schmutzige Wäsche

Die Quarantäne-Bucht

Alles für die Katz?

Rasmus, altes Rübenschwein

Alte Lady im neuen Korsett

Tag des Sieges

Tag des Entsetzens

Berlin, du bist so wundersam

Die Reife(n)prüfung

Auf der Flucht

3000 Meilen über das Meer

Epilog

PROLOG

Es ist wie ein kleines Weihnachtswunder. Am 24. Dezember 2018 treffen wir uns am Vormittag in der Marina. Neue Freunde kommen zu Besuch. Wie Dagmar und Oliver, ein deutsches Pärchen, das gerade mit seinem geländegängigen Wohnmobil auf dem Weg in die Mongolei ist. Ein gemeinsamer Freund hat uns über Facebook bekannt gemacht. Aussteiger unter sich, da spielt es keine Rolle, ob man sich auf vier Reifen über grauen Asphalt bewegt oder unter Segeln durch türkisfarbenes Wasser gleitet – auch wenn die Pistengänger etwas Respekt vor Seekrankheit haben. In Kaş, meiner türkischen Wahlheimat für den Start in ein neues, ein anderes Leben, machen sie ein paar Wochen Station, bevor es weitergeht in den Iran.

Auch Aannsha und Barry kommen an Bord. Mit ihrer AB Sea liegen die beiden Aussteiger im Stadthafen. Die Mittfünfziger haben vor ein paar Monaten ihr Haus in Australien gegen ein Boot in Spanien getauscht, ihre kargen Ersparnisse zusammengeklaubt und alles auf eine blaue Karte gesetzt. Das ist mutig. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die beiden zuvor noch nie im Leben gesegelt sind. Aber es war ihr Traum, einmal unter Segeln die Welt zu umrunden. Und diesen Traum leben sie jetzt. Immerhin haben sie es bereits bis in die Türkei geschafft.

Fehlen darf natürlich auch nicht Mark, der liebenswürdig schrullige Südafrikaner. Wir nennen ihn Mr. Sunshine. Auch er lebt auf einem Segelboot. Jeden Morgen kriecht er aus dem Bauch seiner Zinga, reckt und streckt sich im Cockpit, blinzelt in die Sonne, die noch tief über den Bergen im Osten steht, und nimmt einen kräftigen Atemzug, als könnte er die Energie der Strahlen absorbieren, damit sie den ganzen Tag ein Lächeln auf sein Gesicht zaubert. Kurz verharrt der Neunundfünfzigjährige mit geschlossenen Augen. Dann wendet er sich seinem Nachbarn zu, fasst an seine beige Schirmmütze, zieht sie von seinem kahlen Kopf, verneigt sich höflich und beginnt den neuen Tag mit den immer gleichen Worten: »Good morning, Sir! What a beautiful day!« Gefolgt von seinem markanten Lachen, laut und rau.

Ein bisschen erinnert Mark an einen in sich ruhenden Buddha. Kein Wunder, der Spross einer Unternehmerfamilie ist nach einer wenig erfolgreichen Geschäftsreise in Indien einfach dort geblieben. Da war er Anfang fünfzig. Er lernte tibetanische Mönche kennen, wanderte von Kloster zu Kloster und fand sich letztlich in den Armen der Hare Krishna wieder. Er meditierte, badete im Ganges, ernährte sich vegetarisch und trug das weiße Gewand der Jünger. Er verschlang die Schriften des Buddhismus und des Hinduismus, die Sutras, die Gita und die Vinaya, einmal, zweimal, fünfmal. Sie gaben ihm viel. Aber auch nicht alles. »Das Leben ist eine einzige niemals endende Erfahrung«, sagt Mark. Und so sollte der Ausflug in sein Dasein als Hare-Krishna-Jünger nur eines von vielen Kapiteln in seinem Leben bleiben. Das nächste Kapitel verschlug ihn in die Türkei, wo er auf der Zweimast-Ketsch seines verstorbenen Vaters wohnt. Mark bringt Ruth mit, eine deutsche Freundin, die jeweils das halbe Jahr in der Türkei lebt.

Mit sieben Leuten an Bord der Dilly-Dally, so heißt meine Moody 425, verlassen wir bei strahlendem Sonnenschein und auf glatt gebügeltem Wasser die Marina. Mark meldet uns ordnungsgemäß per Funk ab. Na ja, fast: »Kaş Marina, Kaş Marina, here is Dilly-Dally, Dilly-Dally. We are leaving for a wonderful sailtrip on this lovely day. We have lots of beer and wine on board. Merry Christmas!«

Kaş Marina meldet sich mit einem freundlichen »Have fun!«. Als wir die Spitze der Hafenmole passieren, winken uns die Marineros aus ihrem Büro neidisch zu.

Wir motoren entlang der Halbinsel von Kaş, bestaunen die hübschen Villen, die an den Hügeln kleben wie bunte Legosteine, und machen uns über die gefüllten Sesamteilchen aus der leckeren Simit-Bäckerei in der Innenstadt her, wo schon nach dem Frühgebet die Menschen Schlange stehen.

Nach anderthalb Stunden haben wir unser Ziel erreicht: Limanağzı. Eine wunderschöne Bucht vis-à-vis dem Stadthafen, beliebt bei Tauchern, weil auf dem Grund des Meeres eine alte DC-3 aus dem Zweiten Weltkrieg liegt. Wir lassen den Anker auf 18 Meter Tiefe fallen, schauen durch das glasklare Wasser zu, wie er sich dem Grund nähert und sich in den Sand eingräbt.

Als der Diesel verstummt, herrscht eine fast besinnliche Stille. Sanft plätschern kleine Wellen an die Bordwand, eine einzelne Möwe kreischt, ein Greifvogel kreist über der steilen Felswand, in die die Lykier Felsengräber geschlagen haben. Bierdosen zischen, Weinkorken ploppen. Einige rekeln sich in der Sonne auf dem Achterdeck, andere lassen Drohnen steigen. Die Bordküche kredenzt mitgebrachte Köstlichkeiten. Wie immer, wenn ein Segler zu einer Ausfahrt einlädt, kommt niemand mit leeren Händen, wie immer hilft jeder so gut er kann und bringt sich ein. Es ist mein erstes Weihnachten an Bord. Und das erste in kurzer Hose. Herrlich.

Es dauert nicht lange, da erscheint am Horizont ein schmaler Mast, der schnell größer wird. Ken, ein Brite, der aus Protest gegen den Brexit die kleinstmögliche Nationalflagge gehisst hat, braust heran. In sportlichem Tempo geht er längsseits, vertäut hektisch seine Asteria, die von uns fortan nur noch Hysteria genannt wird, öffnet eine Dose Efes, das bekannteste türkische Bier, nimmt einen kräftigen Schluck, breitet die Arme aus und ruft: »Merry Christmas!«

Mark, der den Lautstärkeregler der Boxen gefunden hat und sich auf dem Vordeck zu stampfenden Bässen bewegt, antwortet, was auch sonst: »What a beautiful day!«

Nach einer weiteren Stunde liegen wir zu dritt im Päckchen. Ismail, ein junger Türke, der 2013 nach den Gezi-Protesten gegen die Regierung verhaftet und verurteilt wurde, ist auf seiner Wanda angekommen. Frustriert von der Politik in seiner Heimat verließ er damals Istanbul. Die Freiheit, nach der er sich sehnte, suchte er aber nicht im Ausland wie viele andere Türken, sondern auf einem Segelboot. Seitdem lebt Ismail als digitaler Nomade auf seinem Boot, ohne festen Heimathafen.

Wie eigentlich immer hat er Freunde an Bord. Diesmal die Jungs, die in der Marina das Oxygen-Pub betreiben. Tagsüber lümmeln sich dort die Gäste auf großen Kissen, abends lauschen sie Livemusik. Auch ihre Freundinnen sind an Bord, inklusive Schoßhund.

Mit fünfzehn Freunden feiern wir in das beginnende Weihnachtsfest. Wir schwimmen, paddeln, plaudern, haben einfach eine gute Zeit, fernab von dem Trubel und dem Stress, der sich zeitgleich auf deutschen Autobahnen und in etlichen Wohnzimmern anstaut.

Erst als es dämmert, die Abendsonne langsam hinter den Hügeln der griechischen Insel Kastellorizo verschwindet, die nur wenige Kilometer vor der türkischen Küste liegt, lichten wir den Anker und segeln in der auffrischenden Brise der glutroten Kugel entgegen, die kurz darauf im Meer versinkt.

Als wir im Dunkeln in der Marina ankommen, beschließen wir, den Abend an Bord ausklingen zu lassen. Wir kramen aus unseren Booten alle Vorräte zusammen und zaubern ein einfaches Festessen.

Nicht nur für mich ist dieser Heiligabend wie ein kleines Weihnachtswunder. Auch Barry wundert sich am nächsten Morgen, wie er über die wackelige Gangway wohl wieder zurück auf sein Schiff gefunden hat, ohne ins Wasser zu fallen. Vor allem fragt er sich aber: »Wo zum Teufel habe ich meine Hose gelassen?«

Das Wunder, von dem ich spreche, ist jedoch ein ganz anderes. Denn vor genau einem Jahr saß ich an Heiligabend allein in meiner Berliner Wohnung, unfähig, das Haus zu verlassen. Angstzustände und Panikattacken hatten aus mir einen Gefangenen meiner selbst gemacht. Noch am Nachmittag hatte ich versucht, mit dem Zug zu meinen Eltern zu fahren. Es ging nicht. Schon im Treppenhaus machte ich kehrt. Herzrasen, Schwindel, Übelkeit. Die Beine versagten. Überall waren Sperren. Auch wenn sie nur in meinem Kopf waren, ich konnte sie nicht überwinden.

Und jetzt, ein Jahr später, bin ich in der Türkei, lebe auf einem Boot und feiere ein unbeschwertes Fest mit neuen Freunden. Am Abend, nachdem der letzte Gast die Dilly-Dally lallend und lachend verlassen hat, wird mir erst bewusst, wie sehr mein Leben sich in den vergangenen zwölf Monaten verändert hat. Ich war durch die Hölle gegangen. Und bin im Himmel auf Erden gelandet. Es hätte auch anders kommen können. Ganz anders.

BYE, BYE BURNOUT

ACHTERNHinten. Davon leiten sich Begriffe ab wie achteraus, achterlich oder auch Achterkajüte. Alles Dinge, die hinten liegen. Auch das › Heck liegt achtern. Und so kommen achterliche Winde von hinten. Weil das aber zu einfach wäre, sprechen die Segler deshalb zur kompletten Verwirrung von raumen Winden.

AISAIS steht für Automatisches Identifikationssystem. Es bezeichnet ein Funksystem, das durch den Austausch von Navigations- und anderen Schiffsdaten die Sicherheit des Schiffsverkehrs verbessert. Seit 2000 ist es von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) als verbindlicher Standard vorgeschrieben.

An dem Tag des Zusammenbruchs duftet es in meinem Auto nach Käsekuchen. Es ist November 2017, ein Montag. Wie so oft habe ich am Wochenende gebacken. Ich bin auf dem Weg in die Redaktion des Wirtschaftsmagazins Capital am Berliner Tiergarten. Nachdem die Financial Times Deutschland wegen chronisch tiefroter Zahlen eingestellt wurde, bin ich als Reporter von Hamburg nach Berlin gewechselt. Hauptsächlich recherchiere ich im Umfeld von Wirtschaftskriminalität, meine Texte wurden für einige Journalistenpreise nominiert, ein paar gewann ich. Ich liebe meinen Job. Doch an diesem Tag werde ich nicht in der Redaktion ankommen. Nicht am nächsten und auch nicht in den kommenden Wochen und Monaten.

An einer Kreuzung springt die Ampel auf Rot. Mein Herz rast, auf der Stirn bilden sich Schweißperlen. Ich habe das Gefühl umzukippen. Dabei sitze ich. Mein Blickfeld ist eingeengt. Die Geräuschkulisse des morgendlichen Wahnsinns auf den Straßen ist ohrenbetäubend und stumm zugleich. Und dann ist da diese Sperre im Kopf, wie eine unendlich hohe Mauer, direkt vor mir. Ich setze den Blinker, verlasse den Weg, der zur Arbeit führt, und werde erst ein wenig ruhiger, als ich vor der Tür meines Hausarztes anhalte.

Ich hatte eine Panikattacke. Nicht die erste in meinem Leben. Aber dieses Mal, das spüre ich, ist es anders. Schlimmer. Dauerhaft. Seit zwei Jahren geht es mir von Monat zu Monat schlechter. Keiner bemerkt das. Weil ich es verstecke. Vor den anderen, vor allem aber vor mir selbst. Ich dulde keine Schwäche. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Burnout ist in meiner Welt etwas für Schwächlinge. Für Drückeberger. Ich definiere mich über Leistung.

Schon als Jugendlicher trainierte ich jeden Tag wie ein Verrückter, war Leichtgewichtsruderer, zweimal Deutscher Meister im Vierer und Achter. Das bedeutete, dass zu dem täglichen harten Training noch eine Diät dazukam. Fasten für den Erfolg. Kein Problem.

Beim Studium in Würzburg ließ ich mich kurz fallen. Feiern, Trinken, ich begann zu rauchen. Kein Sport. Schnell legte ich ein paar Kilo zu. Neben dem Studium arbeitete ich als freier Journalist bei der Regionalzeitung, verdiente – für einen Studenten – gutes Geld. Und weil ich nie gelernt hatte, Nein zu sagen, arbeitete ich immer mehr. Die Wochenenden schrieb ich durch oder fuhr stundenlang zu meiner damaligen Freundin nach München. Wir feierten viel, gönnten uns wenig Ruhe. Wir waren jung und hungrig nach Leben. Dann kippte ich um. In der Uni. Peng. Da lag ich, direkt vor dem Dozenten.

Kurz darauf hatte ich die ersten Panikattacken. Meist an der Kasse im Supermarkt. Oder im Stau. Immer dann, wenn ich das Tempo nicht bestimmen konnte. Ich nahm die Attacken aber nicht wirklich ernst. Therapie? Ich bin doch nicht bekloppt!

Ich begann wieder mit Sport, zumindest gemäßigt. Das half ein wenig. Dann kaufte ich mir ein altes Wohnmobil und fuhr damit nach Palästina. Durch die Türkei, durch Syrien und Jordanien. Angesichts der Flüchtlingslager in der Westbank, und viel mehr noch im Gazastreifen, schienen mir meine persönlichen Probleme plötzlich so unendlich klein. Was sollte ich auch sagen? »Schon blöd, in so einem Lager zu wohnen. Aber hey, mir geht es auch schlecht. Ich habe Probleme im Supermarkt«? Das Elend vor meinen Augen half mir auf bizarre Weise, die eigenen Panikattacken zu vergessen.

Über zwanzig Jahre später sagt mein Therapeut, dass dieses Verhalten typisch für mich sei. Verdrängen statt verarbeiten. Aber es hat funktioniert, damals.

Als dann vor zwei Jahren die Symptome zurückkehrten, ignorierte ich sie erneut. Wird schon klappen, irgendwie. Ging damals ja auch. Ich ahnte aber, dass etwas nicht stimmte, fühlte die Erschöpfung und halste mir zur Ablenkung immer mehr Arbeit auf. Im Job wie auch in der Freizeit. Jedes zweite Wochenende verbrachte ich Tausende Kilometer auf der Autobahn, fuhr zu Regatten nach Sankt Peter-Ording oder sonst wo in Europa, war acht Jahre lang Vorstandsmitglied bei den Strandseglern, baute die Pressearbeit auf, half, eine Weltmeisterschaft zu organisieren. In Berlin ließ ich mich breitschlagen, Beirat der Wohnungseigentümergemeinschaft zu werden. Die anderen Eigentümer duckten sich rasch weg. Aber als der Dachausbau zum Desaster wurde, hatte jeder etwas zu meckern. Anstatt den Verursacher mit all der Wut und dem Ärger zu bombardieren, war es viel einfacher, den angestauten Frust beim Beirat abzuladen. Sollte der sich doch kümmern. Einer muss es ja machen. Und wenn ich etwas selber mache, dann wird es wenigstens gut. Dachte ich.

Mein Privatleben ist schon seit Jahren eine Achterbahnfahrt. Und Berlin? Gefällt mir nicht sonderlich. Zu groß, zu hektisch, zu aggressiv. Eine Stadt voller Möchtegerns und Meckerer, dafür wenig Macher. Und auch im Job werden in Zeiten des Zeitungssterbens die Teams immer kleiner, die Anforderungen dafür größer. »Kannst du mal …?« – »Sicher!« Jede Aufgabe nahm ich an. All das kostete Energie. Unglaublich viel Energie. Die Flamme, die mich anheizte, wurde immer kleiner.

Und an diesem Tag im November 2017, das spüre ich, ist sie ausgegangen.

Der Arzt ist überrascht. Die meisten Menschen mit meinen Symptomen glauben an eine chronische Erkrankung. Sehnen sich nach einer Krankheit, die erklärbar ist. Ich sage nur: »Es ist der Kopf.« Mein sehnlichster Wunsch: ein Klinikaufenthalt. Ich habe Angst, es allein nicht zu schaffen. Doch wer noch nie eine Therapie in Anspruch genommen hat, der bekommt nicht so schnell einen teuren Klinikaufenthalt bezahlt. Nicht mal als Privatpatient. Und so werde ich mit einem gelben Zettel in der Hand nach Hause geschickt. Ein bisschen ausruhen. Die Diagnose: Burnout, Panikattacken, Angstzustände, Agoraphobie. Oder wie der Neurologe später sagen wird: »Na, Glückwunsch, da haben Sie ja gleich das ganze Paket gebucht.«

Für mich beginnt die schlimmste Zeit meines Lebens. Ich bin ein Gefangener meiner selbst, festgesetzt in meiner Wohnung. Der Briefkasten am Ende der Treppe ist bisweilen unerreichbar. An manchen Tagen bin ich nicht einmal in der Lage, Telefonate zu führen. Zu anstrengend. Zu aufreibend. Unmöglich.

Und das passiert ausgerechnet mir. Ich habe aus Afghanistan berichtet, im Nahen Osten gelebt, Terroristen interviewt und Wirtschaftsspione entlarvt. Ich habe Leute in den Knast gebracht und stand selbst vor Gericht, weil Firmen erst mal ihre Anwälte losschicken, bevor sie einräumen, dass sie Mist gebaut haben. Ich wurde bedroht und angefeindet. Das alles perlte an mir ab wie Spritzwasser an meinem Segelanzug. Viel Feind, viel Ehr’. Und plötzlich bin ich nicht einmal in der Lage, in den Supermarkt zu gehen oder überhaupt das Haus zu verlassen?

Angstzustände sind schwer zu verstehen, wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Nichts geht mehr. Es gibt Tage, an denen ich drei oder vier Anläufe brauche, um aus der Wohnung zu kommen. Zum 400 Meter entfernten Supermarkt fahre ich mit dem Auto. Gehen oder Radfahren ist unmöglich. Immer noch glaube ich, ständig umzukippen. Komme ich mit dem Auto am Supermarkt an, heißt das aber noch nicht, dass ich es auch in den Laden hinein schaffe. Oft reicht der Anblick der Tür, um eine Panikattacke auszulösen. Rückwärtsgang. Zurück zur Wohnung. Hoffen, dabei nicht zu kollabieren. Und bin ich tatsächlich einmal im Supermarkt, scheinen mir die Gänge zu lang, um auch nur bis zur Hälfte vorzudringen. Dann klammere ich mich an den Einkaufswagen wie Senioren an den Rollator. Wenn ich an der Kasse ankomme, habe ich oft nur die Hälfte des Einkaufszettels im Wagen. Für die andere Hälfte hat die Kraft nicht mehr gereicht.

Kurz vor Weihnachten kommt der nächste Tiefschlag. Meine Krankenversicherung lehnt den erhofften Klinikaufenthalt endgültig ab. Die Begründung: Ich soll es erst mal mit einer ambulanten Therapie versuchen. Oder mit Medikamenten. Ich wähle die Therapie, Medikamente waren noch nie mein Ding.

Dann kommt Weihnachten. Die Bahntickets sind gebucht, der Weg zum Berliner Ostbahnhof ist nur ein Katzensprung. Fünf Minuten mit dem Auto. Nicht einmal die Straße vor dem Haus erreiche ich. Im Treppenhaus endet die Reise zu den Eltern. Das Gleiche an Silvester. Eigentlich wollte ich mit Freunden feiern. Aber die Fesseln der Angst sind zu stark, ich kann sie nicht sprengen.

Nur einer Freundin ist es zu verdanken, dass ich überhaupt hin und wieder das Haus verlasse. »Ich komme dich nicht mehr besuchen«, sagt sie. »Wir können uns treffen, aber nur in Cafés oder Restaurants.« An Orten, an denen es mir besonders schwerfällt, mich aufzuhalten. Aber das ist ihre Bedingung. Und tatsächlich, es klappt. Zwar mit viel Überwindung und Mühe. Und auch nicht immer. Aber meistens. Ich merke, dass ich gegen die Ängste ankämpfen kann. Wenn ich denn nur will, wenn da etwas ist, was mir wirklich viel bedeutet.

In dieser Zeit entdecke ich den YouTube-Kanal der SV Delos. Er handelt von zwei Brüdern, die mit Freundinnen und Freunden seit neun Jahren um die Welt segeln. Ich bin fasziniert von den Filmen, die sie ins Netz stellen. Einen nach dem anderen schaue ich mir an. Es sind knapp zweihundert zu diesem Zeitpunkt. Ich bin so begeistert, dass ich später einen Artikel für Capital darüber schreiben werde. Denn die Crew lebt nicht nur ihren Traum, sie lebt auch von ihrem Traum. Das ist selbst für ein Wirtschaftsmagazin interessant.

Von klein auf habe ich alle meine Urlaube auf Schiffen verbracht. Meine Eltern hatten ein Segelboot. Erst eine kleine Neptun 22, später eine schwedische Arkona 32. Aber weil das Segeln mit Eltern für einen Teenager dann doch etwas anstrengend sein kann, machte ich im Alter von sechzehn Jahren die notwendigen Segelscheine, um selbst mit Freunden auf die Ostsee zu gehen. Meine Eltern vertrauten mir ihr Boot an. Und bereuten es immer wieder aufs Neue.

Mal war ich beim Anlegen in einem Sturm gegen den Steg gebrettert (Vor- und Rückwärtsgang liegen aber auch dicht beisammen), mal war die Sprayhood eingerissen, mal der Motor defekt, mal eine Luke zerbrochen. Und einmal sogar der Salontisch, als eine Welle meinen Kumpel aus dem Gleichgewicht hob und auf den Tisch krachen ließ. Dann bekam ich Bootsverbot.

Aber selbst als ich in Würzburg studierte, ging es nicht ohne Segeln. Ich kaufte mir erst einen Korsar, dann einen 505er, dann einen 15er-Jollenkreuzer. Als ich nach Hamburg zog, segelte ich mit den Verlagsjollen auf der Alster. Und entdeckte das Strandsegeln in Sankt Peter-Ording für mich. 2009 nahm ich an meiner ersten Europameisterschaft teil und kam so überraschend wie unverdient mit einer Silbermedaille in der Mannschaftswertung nach Hause. Aber das ist eine andere Geschichte. Später wechselte ich in die schnellste Klasse, kaufte insgesamt drei Segelwagen, um bei weiteren Europa- und Weltmeisterschaften das Feld erbarmungslos vor mir herzutreiben. Mehr als ein vorderer Platz im letzten Drittel war meist nie drin. Aber das war auch nicht wichtig. Ich segelte nicht, um zu gewinnen, sondern um Spaß zu haben. Ich genoss die Gesellschaft und mehr noch die Gemeinschaft.

Segeln begleitet mich also schon mein ganzes Leben. Auch wenn es nie im Mittelpunkt stand. Auf meiner letzten Station in Berlin dauerte es ebenfalls nicht lange, bis ich mir einen 20er-Jollenkreuzer an den Müggelsee legte. Zudem charterte ich als Skipper zusammen mit Freunden dreizehn Jahre lang Yachten im Mittelmeer.

Und wie ich da so liege, auf meinem Sofa, gefangen in mir selbst, und die Videos der SV Delos anschaue, wächst die Sehnsucht in mir. Aus dem Traum vom Aussteigen, dem Gedanken, alles über Bord zu werfen, um an anderer Stelle Anker zu werfen, wird ein konkreter Plan. Der Plan macht mir Mut, verleiht mir Kraft – die Lethargie weicht dem Leben.

Ich fange an zu kalkulieren. Kann ich mir einen Ausstieg mit Mitte vierzig überhaupt leisten? Ich lese Inserate von Segelbooten im Internet, schaue mich in meiner Wohnung um. Ist diese Idee es wert, das alles aufzugeben? Kein geregeltes Einkommen, ein Leben von der Hand in den Mund? Womit kann ich meine Brötchen verdienen? Was werden Freunde sagen, was die Familie denken? Was mache ich, wenn der Traum zerplatzt? Wenn ich mich nicht wohlfühle mutterseelenallein auf einem Boot fernab der Heimat? Ist es wirklich die richtige Entscheidung?

Ich muss nicht lange überlegen: Ja, klar! Selbst wenn ich nach ein paar Jahren blank sein sollte, hätte ich zweifelsfrei ein paar wunderbare Jahre auf dem Wasser erlebt. Würde ich aber versuchen, so weiterzumachen wie bisher, rackern bis zur Rente, würde ich die wahrscheinlich gar nicht mehr erleben.

Trotzdem kehre ich Anfang März zurück in meinen Job. Ich will nicht aus einer Notsituation heraus eine Entscheidung treffen, sondern aus der Normalität. Auch wenn ich im Kopf längst gekündigt habe. Aber noch gibt es leise Zweifel. Vielleicht wird ja wieder alles so wie zu den Zeiten, als ich in Deutschland glücklich war.

Schon nach wenigen Stunden in der Redaktion sind diese Zweifel verstummt. Mir wird klar, dass das niemals mehr der Fall sein wird. Ich bin mir sicher: Bleibe ich, wird es nicht lange dauern, bis ich wieder im Hamsterrad ende. Angetrieben von den Erwartungen, die ich an mich stelle, die andere an mich stellen. Und es wird nicht lange dauern, bis ich wieder straucheln und fallen werde. Das Risiko ist mir zu groß.

Ich spreche mit meinem Therapeuten über mein Vorhaben, erwarte Zustimmung, vielleicht sogar Applaus. Er schaut mich bloß irritiert an. Erst als ich erwähne, dass ich meine Wohnung verkaufen wolle, ist er angefixt. Aber das Gespräch dreht sich nicht mehr um mein Seelenheil, sondern um Lage, Quadratmeterzahl, Ausstattung und Preis.

Kurz darauf beende ich die Sitzungen bei ihm. Ich habe einen besseren Therapeuten gefunden: das Meer. Die See wird zu meinem Seelenklempner.

* * *

Um ein neues Leben zu beginnen, muss man mit dem alten erst einmal abschließen. Aber das ist gar nicht so leicht, gerade wenn das alte Leben eigentlich ziemlich gut war. Auch meinen Job habe ich ja gern gemacht, und trotzdem war ihm am Ende sicherlich ein guter Teil meines Zusammenbruchs geschuldet. Das soll aber nicht heißen, dass allein der Beruf schuld war. Überhaupt sollte bei einem Burnout nicht nach einem Schuldigen gesucht werden. Wohl aber nach den Ursachen – und die liegen meist bei einem selbst. Es ist mehr der persönliche Umgang mit speziellen Situationen als die Situation an sich, so extrem sie auch sein mag.

Mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass es nicht den einen Grund gab, sondern dass eine Melange aus diversen Faktoren, beruflichen wie privaten, zu dem Zusammenbruch führte. Klar ist aber auch: Wenn man sich jahrelang über den Job definiert, gehen Veränderungen, gerade zum Schlechten, nicht spurlos an einem vorbei. Der Journalismus steckt in einer Krise. Auflagenschwund, Anzeigenverluste, schrumpfende Budgets. Die Redaktionen werden immer kleiner, die Aufgaben größer. Print, Online, noch schnell ein Video hier, ein Podcast da. Zeit und Muße für eine gründliche Recherche werden immer knapper, den Takt geben die Online-Medien vor. »Be first but be right« war einmal das Credo der Nachrichtenportale. Bei manchen (aber zum Glück nicht bei allen) scheint mittlerweile nur noch der erste Teil zu gelten. Das ist bitter. Für die Leser, aber auch für die Branche, die in Sippenhaft genommen wird. Jeder Fehler gilt als weiterer Beleg für Fake News. Dabei haben Journalisten immer schon Fehler gemacht, das ist nur menschlich. Früher gab es dafür ein niedliches Wort: Ente. Am nächsten Tag stand dann in der Zeitung, der Fehlerteufel habe sich eingeschlichen. Und die Welt war wieder in Ordnung. Heute skandiert ein aufgebrachter Mob »Lügenpresse! Auf die Fresse!«, bespuckt und beleidigt Kollegen, wird handgreiflich. Vielleicht ist es nur eine vorübergehende Phase. Allein mir fehlt der Glaube. Eher befürchte ich, dass es immer schwerer sein wird, die nächste Generation für guten Journalismus zu begeistern.

Bei einem Abendessen mit Segelfreunden in Sankt Peter-Ording pöbelte einmal ein Sechsundzwanzigjähriger die ganze Palette der Stammtischparolen rauf und runter. Von »Fake News« bis »Staatsmedien, die wichtige Themen bewusst totschweigen«. Ich fragte ihn, woran er denn seine Kritik festmache. Er schaute mich verdutzt an: »Das weiß ja wohl jeder!« Ich fragte weiter, was er denn für Zeitungen und Zeitschriften lese? Große, leere Augen starrten mich an. Ob er eine Zeitung abonniert habe? Kopfschütteln. Ob er Nachrichtensendungen im Fernsehen schaue? Achselzucken. Wie könne er denn dann sagen, dass Themen totgeschwiegen werden, wenn er gar keine Nachrichten lese, höre oder schaue?

»Natürlich informiere ich mich«, gab er empört zurück.

»Wie denn?«

»Na, auf YouTube und Facebook.«

Ich habe fünfundzwanzig Jahre lang für verschiedene Zeitungen und Magazine gearbeitet. Nicht ein einziges Mal gab es irgendwelche Einflussnahmen auf meine Texte. Kein Chefredakteur, kein Verlag hat jemals versucht, die Ausrichtung eines Artikels zu beeinflussen oder mich zu einem Text zu drängen, dessen Tenor ich nicht stützte. Auch hat Mutti oder ein Mitarbeiter aus dem Kanzleramt nie bei mir angerufen und diktiert, was ich schreiben soll. Vielleicht war ich einfach nicht bedeutend genug. Aber ich vermute mal, all das passiert nur im Land der Mythen. Denn ich kenne keinen einzigen Kollegen, der etwas Gegenteiliges behauptet. Wenn ein Artikel oder Beitrag relevant ist, vor allem sauber recherchiert, die Argumente belegbar sind, dazu noch gut geschrieben, dann wird er auch erscheinen.

Oft habe ich versucht, das zu erklären. »Wenn du das wirklich glaubst«, sagte man mir dann, »dann bist du schon Teil des Systems.« Als Journalist ist das schlimm zu hören, denn die Leute, die so etwas von sich geben, sind nicht dumm. Dumme Menschen gibt es überall. Das muss man akzeptieren. Wenn aber gebildete Menschen Dummheiten verbreiten, dann stimmt etwas nicht.

Das Vertrauen in Journalisten ist mittlerweile an einem Tiefpunkt angekommen. In Umfragen rangieren sie neben Werbern und Versicherungsvertretern ganz am unteren Ende der Skala der ehrbaren Berufe. Wenn immer weniger Menschen Journalisten nicht mehr vertrauen, ihnen unterstellen, sie würden mit Vorsatz lügen, sie seien Teil eines wie auch immer gearteten Systems, dann kann man sich auch fragen, ob der Job überhaupt noch Sinn macht. Genau diese Frage stellte ich mir.

Als Journalist ist jeder Tag anders. Neue Themen, neue Menschen, neue Herausforderungen. Ich war viel unterwegs. In Deutschland, Europa und der ganzen Welt. In New York suchte ich ehemalige Banker von Lehman Brothers auf, um mit ihnen über die Jahrhundertpleite zu sprechen. Ich flog nach Mauritius, um einem Schweizer Banker eine Steuer-CD von den Cayman Islands aus den Rippen zu leiern. Ich jagte einen deutschen Hedgefonds-Manager, der sich nach seiner Pleite mit vielen Millionen über fünf Jahre in Südamerika versteckte. Ich tauchte ein in die Welt der Ermittler, Sicherheitsberater, Agenten und Steuerfahnder. Ich habe über Skandale bei Staatsanwaltschaften geschrieben und Steuersünder entlarvt. Ein paar Leute brachte meine Berichterstattung vor den Kadi. Nicht alle fanden das gut. Ich wurde beschimpft, bedroht und verklagt. Das alles bleibt nicht aus, wenn sich die Recherche um Wirtschaftskriminalität und -spionage dreht.

Neben diesen schweren Themen schrieb ich zum Ausgleich auch über die schönen Dinge des Lebens. Ich besuchte Whisky-Destillerien auf schottischen Inseln, schlürfte Champagner in Barcelona mit dem Gründer der Molekularküche Ferran Adrià oder ließ mir eines von Harald Wohlfahrts letzten Menüs im Drei-Sterne-Restaurant Schwarzwaldstuben kredenzen. Und: Ich durfte als Berichterstatter bei Segelregatten an Bord gehen. Vor Sardinien segelte ich auf einer Farr 40, in Portugal bei der TP-52-Weltmeisterschaft, in Wales auf den Katamaranen der Extreme Sailing Series und in Kiel auf der Hydroptère. Der Trimaran auf Foils hielt damals den offiziellen Geschwindigkeitsweltrekord im Segeln über eine Seemeile. Es ist sicher nicht falsch zu sagen: Ich hatte einen Traumjob.

Wann ich den Entschluss gefasst habe, Journalist werden zu wollen, kann ich gar nicht mit Bestimmtheit sagen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es mit meiner ersten Reise nach Israel zu tun hatte. Es war das Jahr 1988, und ich war sechzehn Jahre alt. Unbedarft, ungläubig und politisch weitgehend desinteressiert. Als der Religionslehrer an meiner Schule in Celle eine Studienfahrt nach Israel anbot, war ich aber wie elektrisiert. Vierzehn Tage im Heiligen Land? Das klang verheißungsvoll. Bis zu diesem Alter hatte ich meine Urlaube fast ausschließlich an Nord- und Ostsee verbracht. Einmal unter Palmen stehen, das klang paradiesisch. Meine Motivation für die Reise schöpfte ich definitiv nicht aus der Bibel, ganz anders als die meisten der anderen Teilnehmer. Seit meiner Konfirmation hatte ich keine Kirche mehr von innen gesehen, später, als ich mich bei meinem ersten Gehalt auf dem Konto fragte, wo denn all die Abgaben geblieben sind, trat ich aus der Kirche aus. Trotzdem fand ich Religion immer faszinierend. Ich belegte beim Studium sogar Vergleichende Religionswissenschaften als Nebenfach, weil es mich einfach interessierte, welchen Einfluss der Glaube auf Menschen haben kann, wie Religion, im Namen welchen Gottes auch immer, viele Menschen zu manipulieren vermag.

Mit Israel verband ich damals nicht die Geschichte des Christentums, auch nicht die der Juden oder Muslime, selbst der Nahostkonflikt war bis dahin fast spurlos an mir vorübergegangen. Mit Israel verband ich etwas ganz anderes. Nämlich die schlüpfrige Filmreihe, die spätabends über einen privaten Sender flimmerte: Eis am Stiel. Und so kam es, dass ich im Herbst 1988 im Flieger Richtung Tel Aviv saß, um mich herum eine Gruppe bibeltreuer Gitarrenzupfer und Choralmitsummer.

Die erste Woche pilgerten wir auf den Spuren von Jesus durch das Heilige Land, besuchten allerlei Kirchen – und davon gibt es eine ganze Menge in Israel. Während die anderen mit hohen Stimmen Lieder in kalten Kirchen trällerten, zog ich mit meiner Kamera durch die Straßen. Israel war faszinierend. Wir besuchten Jerusalem und Tel Aviv, wir schliefen am See Genezareth in einem Kibbuz oder in Herbergen am Toten Meer. Wir trafen die unterschiedlichsten Menschen. Wir sprachen mit orthodoxen und säkularen Juden, Sephardim und Aschkenasim, wir trafen Araber mit israelischem Pass, Palästinenser, die Christen waren. Wir besuchten Kirchen, Synagogen und Moscheen, die in der Altstadt von Jerusalem nur wenige Meter voneinander entfernt liegen. Und wir sahen sehr viele Soldaten: junge Kerle und Mädels, kaum älter als wir, die lässig eine Maschinenpistole beim Shoppen schulterten, als wäre es ein schicker Rucksack. Das alles verwirrte mich.

Wer war wer? Wer gut, wer böse? Die Grenzen verschwammen. Der erste Aufstand der Palästinenser, die Intifada, tobte. Trotzdem fühlte sich die erste Woche irgendwie wie Urlaub an. Wir waren ja weit weg von den Hotspots im Westjordanland, auch wenn sie nur wenige Kilometer entfernt lagen.

Dann begann die zweite Woche. Wir waren in dem kleinen palästinensischen Ort Beit Jala, direkt neben Bethlehem. Die christliche Gemeinde dort ist eine Partnergemeinde der Kirche, an der unser Religionslehrer Pfarrer war. Eine Woche wohnten wir bei arabischen Familien – und bekamen hautnah mit, was es heißt, in einer Krisenregion zu leben. Tagsüber flogen manchmal Steine, es gab Ausgangssperren, israelische Soldaten düsten in ihren Jeeps durch die engen Gassen, verhafteten Jungs, die teilweise noch jünger waren als wir, nur weil sie sich mit Steinen gegen eine hochgerüstete Armee wehrten – oder hatten sie die Soldaten angegriffen?

Der Blickwinkel entscheidet über die Perspektive. Das gleiche Bild sieht vollkommen anders aus, je nachdem auf welcher Seite man steht. Das lernte ich damals. Auch, dass eine Momentaufnahme nie objektiv sein kann, erst der Blick von allen Seiten erlaubt eine Einschätzung, die im besten Fall der Objektivität nahe kommt.

Wir solidarisierten uns mit den arabischen Familien, bei denen wir wohnten. Wir erlebten hautnah, wie es sich anfühlt, unter einer Besatzung zu leben und mehr noch zu leiden. Wir sahen die Wunden der jungen Männer, die noch Teenager waren, wenn sie nach Tagen aus dem Knast entlassen wurden. Wir waren sprachlos.

Am letzten Abend saßen wir alle zusammen. Wir, die Wohlstandskinder aus Celle, der Pastor aus Beit Jala, unser Religionslehrer – und die jugendlichen Palästinenser. Wir wollten helfen, irgendwie, und in unserer Hilflosigkeit wollte jeder mit seinem Taschengeld ein paar handgeschnitzte Kamele aus dem Holz von Ölbäumen kaufen, mit denen die Gemeindekasse aufgebessert wird, um Hilfsbedürftigen zu helfen. Der Pastor wiegelte jedoch ab und schenkte jedem von uns eines dieser Kamele. »Ihr müsst uns nichts abkaufen«, sagte er. »Aber wenn ihr uns helfen wollt, dann fliegt nach Hause und erzählt jedem, was ihr hier gesehen und erlebt habt. Das hilft uns mehr als Geld.«

Wenn es also einen Schlüsselmoment für meine Berufswahl als Journalist gab, dann war es sicherlich dieser. Rausgehen in die Welt, sehen und erleben, und anschließend darüber berichten. Nach meiner Rückkehr aus Israel begann ich alles zu lesen, was mit der Region zu tun hatte, studierte später Arabistik und Islamwissenschaften mit dem Schwerpunkt Nahostkonflikt. Zwei Semester verbrachte ich in Ramallah, schrieb meine Magisterarbeit vor Ort. Meine Zielsetzung war klar: Ich wollte Journalist werden! Es war eine gute Entscheidung in einer besseren Zeit. In einer Zeit, als Journalismus noch geschätzt wurde.

Bist du total bescheuert? Krasse Fehlentscheidung! Du wirst schon sehen, was du davon hast. Mit diesen Reaktionen hatte ich gerechnet, als ich meinen Plan verkündete. Aber es kam anders. Es gab kaum jemanden, der mir davon abriet. Vielmehr schienen die meisten meiner Freunde – und mehr noch meine Kollegen – begeistert. Vielleicht waren sie auch nur froh, mich endlich los zu sein, oder aber sie versprachen sich für die Zukunft kostenlosen Urlaub.

Es wäre falsch zu sagen, dass aus meinem Traumjob ein Albtraum geworden war. Nach wie vor war es ein Privileg, als Reporter für ein Monatsmagazin zu arbeiten. Und doch hatte sich etwas geändert. Im Journalismus generell, im Speziellen bei mir. Ich hatte die Begeisterung verloren. Auch weil ich bemerkte, dass viele wirklich gute Texte, über Monate recherchiert, relevant und zudem gut geschrieben, kaum noch Beachtung fanden. Investigative Artikel hatten in der Regel erschreckend niedrige Klickraten. Je belangloser Texte aber waren, desto mehr Aufrufe generierten sie. Und so muss ich mir eingestehen, dass mein meistgelesener Artikel in fünf Jahren bei Deutschlands wichtigstem Wirtschaftsmagazin die Überschrift trug: »Zehn Gründe für den Bürohund«. Ich hatte den Text basierend auf einer Pressemitteilung des Bundesverbandes Bürohund (ja, den gibt es wirklich!) zur Ablenkung zusammengeschrieben.

Der Journalismus erinnert mich bisweilen an die Titanic. Ein stolzes Schiff, aber dummerweise ist es bereits mit dem Eisberg kollidiert. Ob der Kapitän die Schuld dafür trägt, wage ich nicht zu beurteilen. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass die ganze See voller Eisberge ist, die nicht mehr umschifft werden können. Auch ist keine Rettung in Sicht. Das Boot sinkt. Das Einzige, was wir noch tun können, ist, den Untergang hinauszuzögern, indem wir mit aller Kraft das einbrechende Wasser aus dem Rumpf pumpen und pumpen und pumpen. Vor Erschöpfung kippen einige aus den Latschen.

So wie ich.

EINSTIEG IN DEN AUSSTIEG

AUTOPILOT, DERWovon bei Autos alle reden, das gibt es bei Booten schon lange: den Autopilot. Er steuert das Boot auf einem festgelegten Kurs, zu einer gesetzten Position oder – für Segler besonders reizvoll – auf einem definierten Kurs zum Wind. Auf See, besonders bei Nacht, ersetzt der Autopilot oft den Steuermann. Seit Jahren warten Skipper aber vergeblich auf den Modus für automatisiertes An- und Ablegen.

BACKBORDLinks! Weil auf einem Boot Kommandos klar und deutlich sein müssen, heißt es in der Seefahrt Backbord und › Steuerbord, ausgehend vom › Heck zum › Bug. Steuerbord und Backbord haben auch ihre eigenen Farben. Steuerbord ist grün, Backbord rot. Das gilt für die Lichter an Bord, die bei Nacht anderen Booten die Fahrtrichtung angeben, aber auch für Tonnen, die das Fahrwasser markieren.

Tage und Nächte verbringe ich mit dem Taschenrechner, kritzle Notizen und Gedanken auf Listen, die überschrieben sind mit »Pro« und »Contra«. Ich mache mir Gedanken über meine Rente, über Einkünfte und Ausgaben, über Freunde und Familie, die ich künftig weniger sehen werde. Und natürlich überlege ich, wo und wie ich leben will. Wie viel Geld ich wohl brauchen werde, um leben statt lediglich überleben zu können?

Ich wälze Ordner, um mir erst mal einen Überblick über meine Ausgaben zu verschaffen, über Versicherungen zum Beispiel, die ich in all den Jahren abgeschlossen und nie in Anspruch genommen habe, über Mitgliedschaften in Vereinen und Organisationen. Über sinnvolle und sinnlose Ausgaben. Was kann ich kündigen? Wo kann ich sparen?

In meine private Altersvorsorge werde ich weiterhin einzahlen. Das steht fest. Bei der privaten Krankenversicherung erkundige ich mich, ob die Leistungen auch für das nichteuropäische Ausland gelten, und lasse mir das schriftlich bestätigen. Ich frage bei meiner Bank nach, wie hoch die Gebühren für Abhebungen im nichteuropäischen Ausland sind. 10 Prozent der Summe, die abgehoben wird. Definitiv zu viel, ich wechsle das Institut.

Ein paar Reserven schlummern noch auf meinem Konto, aber nicht viele. Unmöglich, davon ein Boot zu kaufen. Aktien und Fonds: Fehlanzeige! Vermutlich bin ich der einzige Wirtschaftsjournalist, der nie eine Aktie besessen hat. Will ich mir den Traum vom Ausstieg ermöglichen, muss ich also mein Tafelsilber versetzen – sprich meine hypothekenbelastete Wohnung in Berlin-Friedrichshain, die eigentlich mal als Altersvorsorge gedacht war. Eine zweite Wohnung ein Stockwerk tiefer, die ich an Freunde vermietet habe, behalte ich als stille Reserve. Eigentlich wollte ich die beiden Wohnungen mal zusammenlegen, um eine herrlich große Wohnung zu schaffen. Daraus wird dann wohl nichts mehr. Aber meine Pläne haben sich ja ohnehin geändert. Also checke ich vergleichbare Wohnungen auf den einschlägigen Immobilienportalen und kann es kaum glauben: Der Preis hat sich in nur fünf Jahren verdoppelt. So bliebe auch nach Auslösung der Hypothek samt Vorfälligkeitszinsen noch genügend Geld für den Neustart, selbst wenn ich vorsichtig kalkuliere, um nicht viel zu früh böse Überraschungen zu erleben. Ich bin erleichtert. Einerseits. Andererseits bin ich wie in Schockstarre. Wenn ich wirklich so viel Geld für die Wohnung bekomme, gibt es absolut keinen Grund mehr, den Schritt in ein neues Leben nicht zu wagen, denke ich. Es ist kein Netz mit doppeltem Boden. Sicher nicht. Aber es ist definitiv mehr als ein Strohhalm, an den ich mich klammern kann. Und was habe ich schon zu verlieren? Ich bin ungebunden, habe keinerlei Verpflichtungen. Und sollte mein Ausstieg scheitern, dann habe ich wenigstens ein paar schöne Jahre, die mir niemand mehr nehmen können wird. Die Erkenntnis beruhigt mich. Ich widme mich wieder dem Taschenrechner.

Ich setze mir ein Budget für den Bootskauf und gestatte mir monatliche Ausgaben von 3000 Euro, wovon allerdings auch die private Altersvorsorge und die Krankenversicherung bezahlt werden müssen. Allein diese beiden Posten machen zusammen mehr als 1000 Euro aus. Trotzdem bin ich zufrieden mit der Zahl, die auf dem Display des Rechners erscheint: 4,7! Wenn ich mein Budget nicht überschreite, hätte ich also genug Kohle, um 4,7 Jahre meinen Traum zu leben. Genügend Zeit, um mich nach Wegen umzuschauen, wie ich die Bordkasse aufbessern kann. Und jeder Cent, den ich verdiene, jeder Euro, den ich nicht ausgebe, würde die sorgenfreie Zeit verlängern. Trotzdem bin ich mir bewusst, dass auch 4,7 Jahre wie im Fluge vergehen können. Und dann? Dann bin ich zweiundfünfzig Jahre alt. Zu jung für die Rente, vielleicht zu alt für den Arbeitsmarkt?

Aber wie heißt es so schön: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Also setze ich das Kündigungsschreiben auf, in vollem Bewusstsein, dass jeder der nächsten Schritte nicht mehr rückgängig zu machen ist. Wenn die Kündigung raus ist, ist sie raus. Wenn die Wohnung verkauft ist, bin ich obdachlos. Und schon bin ich beim nächsten Problem: Was mache ich überhaupt mit meinen Möbeln und den anderen Habseligkeiten? Verkaufen? Einlagern? Verschenken? Das eine erscheint mir zu aufwendig, das andere zu teuer.

Die Entscheidung nimmt mir ein junger Franzose namens Aurélien ab. Zusammen mit seiner Freundin ist er einer der ersten Interessenten, denen ich die Wohnung zeige. Ich habe mich gegen einen Makler entschieden. Zum einen, weil ich noch hier wohne und nicht möchte, dass plötzlich unerwarteter Besuch im Wohnzimmer steht. Zum anderen geht es mir gegen den Strich, dass Makler eine stattliche Provision auf den Kaufpreis verlangen, nur damit sie die Tür aufschließen und achselzuckend Fragen notieren, um sie an den Verkäufer weiterzuleiten. So ist es mir ergangen, als ich 2013 auf Wohnungssuche in Berlin war. Den teuren Schließservice lehne ich deshalb ab und investiere lieber selber in eine Anzeige.

Aurélien ist nicht der einzige Interessent. Der Wohnungsmarkt in Zeiten von Niedrigzinsen und verfehlter Baupolitik ist brutal. Vor allem Ausländer scheinen interessiert. Franzosen, Briten, Iren und ein Italiener melden sich. Verglichen mit Paris, London, Dublin oder Rom sind die Preise in Berlin immer noch ein Schnäppchen. Es ruft sogar ein Mitarbeiter einer internationalen Immobiliengesellschaft an, der die Wohnung ungesehen kaufen will. Allerdings für einen niedrigeren Preis, dafür sofort. Da ich aber noch einige Zeit in Berlin bleiben muss, kommt das nicht infrage. Als ich Aurélien bereits mündlich zugesagt habe, bieten andere Interessenten einen Aufschlag von 10 Prozent an. Dass ich mich an den Handschlag halten will, verstehen sie nicht. »12 Prozent?«, legen sie stattdessen nach. Ich lehne ab.

Natürlich hat auch Aurélien noch versucht, am Preis zu drehen, aber schließlich akzeptiert er meinen Vorschlag, was mir viel Mühe erspart. Ich lasse alles, bis auf meine privaten Sachen, in der Wohnung. Ohne Aufpreis. Möbel, Inventar, Fernseher, Telefon, meine heiß geliebte italienische Espressomaschine, Küchenutensilien, die Klobürste, selbst die Bilder an der Wand und die Bücher auf den Regalen. Es schreckt ihn nicht einmal ab, dass ein Bild, ein Schwarz-Weiß-Stich auf Alu-Dibond, mich bei einer Strandsegelregatta zeigt. Aurelién, der in einer WG lebt, kann alles gebrauchen. Bei einem Boot würde in dem Inserat stehen: »mit Pött und Pan«.

Nach der eingereichten Kündigung und dem verhandelten Verkauf der Wohnung steht der nächste Schritt an. Wahrscheinlich der wichtigste: Ich muss ein passendes Boot finden. An Auswahl mangelt es nicht. Es gibt Hunderte Angebote im Internet. Im Idealfall liegt das Boot bereits in der Türkei, Griechenland wäre auch noch okay, beschließe ich. Frühestens im Oktober, so der Plan, werde ich umsiedeln. Kurz bevor die Herbststürme einsetzen. Um die Auswahl einzugrenzen, muss ich mir zunächst klarmachen, wonach ich eigentlich suche. Schließlich wird das Boot mein zukünftiges und zudem einziges Zuhause sein, dazu mein Büro und auch mein Hobby.

Die Wahl des Bootstyps und der Ausstattung ist abhängig vom Revier. Mir ist klar, dass ich mein Abenteuer am Mittelmeer starten will, konkret in der Türkei. Ich kenne das Land, ich mag nicht nur die ausgezeichnete Küche, sondern auch die Offenheit und Lebensfreude der Menschen. Und sogar die Sprache habe ich einmal gelernt. Wenn auch nur rudimentär, damals beim Studium. Das Stipendium der Ankara Üniversitesi, Zweigstelle Izmir, das ich 1997 bekommen hatte, sagt aber beileibe nichts über meine Sprachkenntnisse aus. Mein Kommilitone Alex und ich wurden geradezu genötigt, das Stipendium anzunehmen, das die Türkei für die beiden besten Türkisch-Studenten an der Universität Würzburg ausgelobt hatte. Und bei aller Bescheidenheit, natürlich waren Alex und ich die besten unseres Fachs. Aber eben auch die einzigen. Und eigentlich ziemlich schlecht. Unsere Dozentin bestand jedoch darauf, das Angebot anzunehmen, sonst würde wohl nie wieder ein solches folgen. Also willigten wir widerwillig ein, flogen nach Izmir – und versagten beim Einstufungstest. Obwohl wir bereits drei Semester Türkisch studierten, fanden wir uns im Anfängerkurs wieder. Aber es war eine wunderbare Zeit in einem spannenden Land.

Spanien, Italien, Kroatien, Griechenland – überall habe ich bereits Boote gechartert. Überall war es schön. An einigen Orten aber auch ganz schön teuer. Die Türkei war nur schön. Wunderschön sogar, weniger überlaufen als die anderen Destinationen und auch deutlich günstiger. Die Lebenshaltungskosten spielen neben den Liegeplatzgebühren eine wesentliche Rolle bei meinen Kalkulationen. Und die Türkei ist nun mal unschlagbar günstig. Zumindest für Europäer. Leider nicht für die Türken selbst. Viele Familien müssen mit dem Mindestlohn auskommen, der kaum zum Leben reicht.

Eine weitere Überlegung will ich auch nicht außer Acht lassen: Mein Plan ist zwar, zunächst keinen Plan zu haben, einfach aus dem Grund, mir keinen Druck zu machen. Aber ich will dennoch nicht ausschließen, dass irgendwann einmal der Tag kommen wird, an dem mir das Mittelmeer zu klein wird. Das Boot, nach dem ich suche, soll also blauwassertauglich sein, sprich: Es soll mich auch sicher um die Ozeane bringen können. Es muss nicht der schnellste Segler sein, dafür sicher.