Tausche Giraffe gegen Freund - Pete Smith - E-Book

Tausche Giraffe gegen Freund E-Book

Pete Smith

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Beschreibung

Die getrennten Eltern, die neue Wohnung, die neue Schule: Sina hält das alles nicht mehr aus. Mit ihrer Stoffgiraffe Möllemann, dem Glücksstein, dem weißen Mönch und der Sparsau macht sie sich auf den Weg zu ihrem Vater. Doch der verhält sich seltsam. Außerdem ist er nicht allein, offenbar wohnt schon seine Neue bei ihm. Enttäuscht rennt Sina fort. Doch da taucht plötzlich Space auf, ein Junge aus ihrer neuen Schule, der ein echter Freund werden könnte. „'Tausche Giraffe gegen Freund' ist eine feinfühlig originelle Geschichte über die Trauer und das mühselige Umgehenlernen mit der angstbesetzten Situation, wenn Eltern sich trennen. Vor allem aber zeigt sie, dass auch in traurigsten Momenten irgendwo eine Portion Glück wartet, wir müssen es nur zulassen.“ Baseler Zeitung

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Seitenzahl: 76

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Pete Smith

wurde 1960 als Sohn einer Spanierin und eines Engländers in Soest geboren. An der Universität Münster studierte er Germanistik, Philosophie und Publizistik. Er schreibt Kinder- und Jugendbücher, Essays sowie Romane für Erwachsene. Für seinen Roman „Endspiel“ erhielt er 2012 den Robert-Gernhardt-Preis des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. Er lebt in Frankfurt am Main.

Rooobert Bayer

wurde 1968 in Wien geboren. Nach einer Ausbildung zum Schilderhersteller machte er sich 1993 selbstständig. Er illustriert Kinder- und Jugendbücher und schreibt auch selbst welche.

Inhalt

Was heißt denn hier neu?

Möllemann auf Rädern

Unsichtbare Schatten

Papa, die Puppe

Blöde Blödmänner

Spaghetti und Spaghetti-Eis

Sina wundert sich

Was heißt denn hier neu?

Sina wachte auf, weil sie etwas am Ohr kitzelte. Sie öffnete die Augen. Rundherum war tiefe Nacht. Kein Lichtschein drang durch die Jalousien. Die Leuchtziffern ihrer Armbanduhr zeigten fünf nach fünf.

Sina setzte sich. Wieder kitzelte es. Doch diesmal am Bein. Irgendwer kicherte leise.

Na warte, dachte sie und schob ihre Hand langsam Richtung Nachttisch. Sie ertastete den Lichtschalter und knipste ruckartig die Lampe an. Doch das jähe Licht blendete sie selbst so sehr, dass sie im ersten Moment überhaupt nichts sah. Dann, allmählich, gewöhnten sich ihre Augen an die Helligkeit und Sina erblickte…

Möllemann!

Natürlich, wer sonst?

Die Giraffe grinste blöd.

„Sehr witzig“, murrte Sina und überlegte, wie sie es Möllemann heimzahlen konnte.

„Nein, bitte nicht“, protestierte die Giraffe, die genau wusste, was Sina vorhatte. „Nicht mein Hals! Ich werde höllische Schmerzen haben. Tagelang! Schmerzen, das kannst du dir nicht vorstellen.“

„Kann ich wohl!“

„Kannst du nicht!“ Plötzlich zwinkerte ihr Möllemann frech zu. „Und überhaupt… Hast du vergessen, was heute für ein Tag ist?“

Sina sah ihn fragend an. Was sollte das nun wieder? Ihr Blick fiel auf das Halstuch, das sie ihm umgebunden hatte. Papas Halstuch. Mit einem Mal spürte sie wieder diese schwarze Traurigkeit in sich aufsteigen.

Papa hatte die Giraffe für sie auf der Kirmes gewonnen. Am ersten Tag der Sommerferien. An ihrem letzten Wochenende zu dritt. Als sie noch eine Familie waren. Zwei Eltern, ein Kind. Sina erinnerte sich: An diesem Tag waren Mama und Papa freundlich zueinander gewesen. Kein schlimmes Wort. Kein Streit. Beide hatten sogar gelacht, weil die Giraffe Sina um Kopfeslänge überragte. „Nenn ihn Möllemann“, hatte Papa gesagt. „Möllemann hat keine Lust mehr auf Losbuden. Möllemann will ein Zuhause.“

Ein Zuhause. Ja, ja.

Ihr eigenes Zuhause hatten Mama und Sina einige Tage später verloren. Nach der Schrei-Nacht waren sie ausgezogen. Hals über Kopf. Im Morgengrauen. Sie waren erst zu Oma gezogen, vor zwei Wochen dann in die kleine Dachwohnung am Rande der Stadt. Dabei war Sina in ihrem alten Haus glücklich gewesen. Papa lebte jetzt allein da. Möllemann und sein Halstuch waren das Letzte, was Sina von Papa geblieben war. Sie ließ ihn sogar in ihrem Bett schlafen. Und er? Sah einfach weg, wenn sie weinte. Ärgerte sie sogar noch. Sagte Sachen wie: „Dein Vater weiß schon, warum er ausgezogen ist. Wahrscheinlich hatte er einfach genug von euch.“

Irgendwann war Sina wütend geworden. „Kannst von Glück sagen, dass Papa nicht den Roller genommen hat. Für 300 Punkte hätte er sogar ein Radio gekriegt. Da kommt wenigstens Musik raus.“

Das saß! Tage lang hatte Möllemann die beleidigte Leberwurst gespielt. Aber jetzt wurde er schon wieder frech.

„Und? Was für ein Tag ist denn heute?“ Sina sah ihre Riesengiraffe gelangweilt an.

„Montag.“ Möllemann grinste.

„Montag. Na und?“ Sina ließ sich noch immer nichts anmerken.

„Na und, na und“, äffte Möllemann. „Heute ist Schluss mit lustig!“ Dabei hörte er sich an wie ihr ehemaliger Lehrer Herr Reißer.

Im selben Moment wusste Sina, was ihr Möllemann auf seine gewohnt fiese Art sagen wollte: Heute war ihr erster Schultag! Das hieß, ihr erster Tag auf der neuen Schule. Die Ferien waren vorbei.

Wenn man überhaupt von Ferien reden konnte!

Jetzt war Sina hellwach. Sie spürte ihr Herz pochen und ihr Magen grummelte verdächtig.

„Hast wohl Schiss, was?“, stichelte Möllemann.

„Blödmann!“, zischte Sina.

Die neue Schule. Mit Mama war sie vor wenigen Wochen dort gewesen. Kurz nachdem Mama den Mietvertrag für die neue Wohnung unterschrieben hatte.

Die neue Schule war viel größer als ihre alte. Sina erinnerte sich an die dunklen Gänge, durch die sie gelaufen waren. An die gewundenen Treppen und die steinernen Stufen. Alles hatte ihr Angst gemacht! Sogar die dicke Sekretärin, die doch eigentlich ganz gutmütig gewirkt hatte. Am schrecklichsten aber war der Direktor gewesen, der Sina mit seiner schleppenden Stimme fast eingeschläfert hatte: „Das Haus der Bildung ist geräumig und jeder findet darin seinen Platz. Auch du wirst eine Kammer entdecken, in der du dich einrichten kannst.“ So ein Quatsch! Sie wollte sich in keiner Kammer einrichten. Schon gar nicht in dieser muffigen Schule!

Mama hatte Sinas Ängste weggewischt wie eine Fliege auf dem Marmeladenbrot. „Na hör mal“, hatte sie gesagt, als sie nachher im Eiscafé einen Krokant-Becher gelöffelt hatten. „Die sind doch alle sehr nett. Und Englisch hast du auch. Sogar Spanisch, wenn du willst. Wird dir später auf dem Gymnasium zugutekommen. Dann steht dir die ganze Welt offen.“

Die ganze Welt!

Mama kapierte überhaupt nichts. Die Welt war wirklich das Letzte, an das Sina seit ihrem Umzug dachte.

Sie stand auf, ging ans Fenster und linste durch die Jalousie. Wie es aussah, würde es den ganzen Tag über nicht richtig hell werden. Dicke graue Wolken hingen über der Stadt und kündigten den Weltuntergang an. Zumindest ein Gewitter. Mit Regen. Passte zu ihrer Stimmung.

„Ich hasse Regen“, sagte Sina laut vor sich hin.

Düster starrte sie hinaus. Die Straße war wie leer gefegt. Nur in zwei Fenstern brannte Licht. Plötzlich ging im Haus gegenüber die Tür auf und eine dick eingemummelte Frau trat heraus. Sina beobachtete, wie sie ihr Fahrrad aus der Garage schob und davon radelte. Kurz darauf schlurfte ein Mann heran, an der Leine einen Rauhaardackel, dessen Bauch über den Bürgersteig scheuerte.

Auwei! dachte Sina.

Sie blieb am Fenster stehen, bis am Ende der Straße mit blinkenden Lichtern die Müllabfuhr um die Ecke bog. „Weckpolizei für Wochenendträumer“, hatte Papa die Müllmänner oft genannt.

Papa. Immer wieder Papa.

Sina warf einen Blick auf ihren Wecker. Sieben Uhr.

Sie seufzte und zog sich an. Einen Moment überlegte sie, was sie in die neue Schule mitnehmen sollte. Am Ende packte sie alle Hefte in den Rucksack, die sie finden konnte, und stopfte noch einen Schreibblock und Stifte dazu. Frau Viehfuß-Meuselbach lugte unter dem Bett hervor. Dass sie die Nacht auf so unbequeme Weise verbrachte, sah ihr eigentlich gar nicht ähnlich. Vielleicht wirkte sie deshalb so zerknautscht? Sina nahm die ältliche Puppe, die sie von ihrer Oma geerbt hatte, und befestigte sie am Reißverschluss ihres Rucksacks.

Ihr Blick fiel auf eine kleine, elfenbeinfarben schimmernde Figur im Regal. Der weiße Mönch. Er lächelte geschlossenen Auges. Bei ihm konnte das alles heißen. Mal schlief er, mal meditierte er so vor sich hin. Behutsam nahm ihn Sina vom Regal und ließ ihn sachte in die Seitentasche ihres Rucksacks gleiten. Dann löschte sie das Licht.

Sie war schon fast unten, als ihr einfiel, dass sie noch etwas vergessen hatte. Sie machte kehrt und rannte zurück. Leise zog sie die Tür zu ihrem Zimmer auf.

Möllemann schnarchte bereits. Ohne Licht zu machen schlich Sina hinüber zur Kommode. Bedächtig zog sie die unterste Schublade auf, tastete über das Wattekissen und schloss die Hand um einen kleinen Stein.

„Oh“, summte der, „Mademoiselle erinnert sich meiner unbedeutenden Existenz. Dabei gibt es doch sicher Wichtigeres in ihrem Leben, als sich ausgerechnet um ein Ding wie mich zu kümmern. Ich hätte es durchaus noch einige Jahre allein und unbeachtet in meinem Särglein ausgehalten. Ist ja auch urgemütlich hier! Ein bisschen dunkel vielleicht, aber wozu braucht ein kalter Stein wie ich denn schon Licht?“

Sina kannte das. Ihr Glücksstein war häufig etwas verstimmt. Meistens klagte er darüber, dass er, während er ihr Glück brachte, selbst von den Widrigkeiten des Lebens geplagt wurde. Sina mochte ihn sehr.

„Jetzt übertreibst du aber“, flüsterte sie. „Erst vorgestern waren wir zusammen am See, oder nicht?“

„Aber nur weil meine Gebieterin hoffte, mich gegen einen schöneren Stein eintauschen zu können. Gib es ruhig zu! Glückssteine gibt es ja schließlich wie Sand am Meer. Einer schöner als der andere, nicht wahr?“

„Gar nicht“, antwortete Sina entrüstet. „Du bist der schönste Stein von allen!“

„Das sagst du jetzt nur so“, grummelte der Glücksstein.

Sina steckte ihn in die Hosentasche und schloss die Tür. In der Küche traf sie auf ihre Mutter.

„Ausgeschlafen, mein Schatz?“, fragte die und küsste Sina auf die Stirn.

„Weiß nicht“, murmelte Sina.

Der Tisch war bereits gedeckt.

„Toast oder Müsli?“

„Hab keinen Hunger“, antwortete Sina.

„Dann trink wenigstens ein Glas Milch.“

„Milch, igitt!“