Terra - Science Fiction 08: Mutter - Axel Kruse - E-Book

Terra - Science Fiction 08: Mutter E-Book

Axel Kruse

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Beschreibung

Samuel Kors befördert neben Fracht auch Passagiere. Für ihn ein willkommener Zusatzverdienst. Doch diesmal hat er sich Ärger mit an Bord geholt. Ein mörderischer Flug beginnt.

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In dieser Reihe bisher erschienen

3301 Dwight V. Swain Dunkles Schicksal

3302 Ronald M. Hahn Die Stadt am Ende der Welt

3303 Peter Dubina Die Wächter des Alls

3304 Walter Ernsting Der verzauberte Planet

3305 Walter Ernsting Begegnung im Weltraum

3306 Walter Ernsting Tempel der Götter

3307 Axel Kruse Tsinahpah

3308 Axel Kruse Mutter

3309 Axel Kruse Ein Junge, sein Hund und der Fluß

3310Ronald M. Hahn Die Herren der Zeit

3311 Peter Dubina Die letzte Fahrt der Krakatau

3312 Axel Kruse Knochen

3313 Ronald M. Hahn Projekt Replikant

MUTTER

EIN SAMUEL KORS ABENTEUER

TERRA - SCIENCE FICTION

BUCH 8

AXEL KRUSE

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

In unserem Shop ist dieser Roman auch als E-Book lieferbar.

Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt. Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.

Copyright © 2024 Blitz-Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier 

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney

Vignette: Ralph Kretschmann

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten.

3308 vom 11.08.2024

ISBN: 978-3-7579-7605-7

Für Manu & Erik, in Erinnerung an so manche Diskussion über Trantor vor fünfundvierzig Jahren.

INHALT

Geleitwort

Frachtaufnahme auf Samora

Unterwegs 1. Tag

Mokoa

Warten

Sprung nach Beram

Beram

Rekalibrierung bei Seli

Zwischenstopp auf Rombos

Im Guidlatz-System

Gestellt

Bestandsaufnahme

Bastonade

Jäger

Die Wanze

Molangis langer Arm

Überlegungen

Serember

Molangi

Über den Autor

GELEITWORT

Es war eine Überraschung, als mich Axel Kruse fragte, ob ich ein Geleitwort für einen seiner nächsten Romane schreiben würde. Hätte es nicht umgekehrt sein müssen? Hätte nicht ich eines Tages diesen seit Jahren erfolgreichen und schon mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichneten Autor um ein Geleitwort für meinen noch immer nicht geschriebenen ersten SF-Roman bitten müssen? Ich bin doch bloß ... ein Leser?

Ja, ein Leser! Aber was wären die Damen und Herren der schreibenden Zunft ohne uns Leserinnen und Leser? Wir entscheiden über Erfolg und Misserfolg, an uns liegt es, ob Bücher reißenden Absatz finden oder wie Blei in den Regalen liegen. Das ist eine große Verantwortung. Ich möchte ihr gerecht werden.

In Mutter begegnen wir Samuel Kors wieder. Der patente Kapitän und Eigner der Lahmen Ente, den wir bereits aus früheren Romanen kennen, gerät zusammen mit seiner Lebensgefährtin und Partnerin Nadarja, einer Garata vom Planeten Sylvej, in die Bredouille, als er auf einer Station am Rande der Galaxis einen Container von besagter Mutter an Bord nimmt und zudem drei Passagiere, die ganz offensichtlich nicht das sind, was sie vorgeben zu sein, und eine Passage nach Molangi buchen. Dass das Ganze für das Paar keine Spazierfahrt wird, Sam sogar um sein Leben fürchten muss, versteht sich von selbst.

Was ich an Axel Kruses Prosa schätze? Seine Romane sind kurz und prägnant, das fordert die Phantasie der Leser heraus. Er erzählt konsequent aus der Ich-Perspektive, weshalb wir als Leser immer nah am Geschehen sind und wie der Protagonist nicht wissen, was uns nach dem nächsten Raumsprung erwartet. Besonders gefällt mir die unprätentiöse Sprache. Der Kruse-Stil kommt ohne Verzierungen und Schnörkel aus, denn die Welt des Erzählers sind Raumkoordinaten, keine Metaphern.

Kruse rennt keinem Trend hinterher. Seine Geschichten sind auf angenehme Weise altmodisch (es gibt in der Zukunft sogar noch Bargeld und Kippschalter), sie strahlen Zuversicht und Optimismus aus. Aber genauso führt er uns vor Augen, dass die Welt nicht von sich aus besser wird. Axel Kruse beherrscht die Kunst, eine politische Botschaft zu vermitteln, ohne sie aufdringlich in den Mittelpunkt seiner Geschichten zu stellen. Er schreckt aber vor klaren Worten nicht zurück, wenn es die Situation erfordert.

Nun, folgen wir Sam in sein Abenteuer am Rim, dem Rand der Galaxis. Fast so groß wie seine Angst, nicht heile aus dem ganzen Schlamassel zu kommen, ist übrigens seine beständige Sorge, die nächste Nacht auf der Couch verbringen zu müssen, statt sich im Bett an Nadarja schmiegen zu können.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Norbert Fiks

im August 2023

FRACHTAUFNAHME AUF SAMORA

Es war stickig in den Gängen. Schon lange fragte ich mich, warum das immer so sein musste. Nun gut, es war nicht immer so, aber eben fast. Und da machte es keinen Unterschied, von wem die jeweilige Station betrieben wurde. Es waren wohl die ewig gleichen Mechanismen des Marktes, die die Betreiber dazu brachten, an den Umweltkontrollen zu sparen. Warum eine Station mit einem einwandfreien Klima versorgen, wenn es auch billiger ging? Das war in erster Linie ein Umschlagplatz für Waren und kein Urlaubsparadies.

Was es letztendlich nicht besser machte.

Ich befand mich auf der hochtrabend als Promenade bezeichneten Ebene der Station. Hier gab es auf der rechten Seite des gut zwanzig Meter breiten Ganges riesige Bildschirme, die die Illusion vermittelten, Fenster zu sein, und die unmittelbare Nähe des die Station umgebenden Raumes wiedergaben.

Mithin war es auf den Schirmen, die mein Gehirn als Fenster wahrnahm, schwarz. Einfach nur schwarz.

Gut, da waren ein paar wenige schwach leuchtende Punkte. Womöglich waren das Sterne oder eben Raumschiffe im Anflug auf die Station, aber überwiegend war es schwarz.

Wir befanden uns am Rim, am äußersten Rand, nicht nur an dem, den die Menschen als Rim bezeichneten. Sie waren ja so von sich eingenommen, dass alles, was ein paar Sternsysteme über den von Menschen explorierten Raum hinaus ging, als Rim bezeichnet wurde.

Nein, wir befanden uns wirklich am Rim, am Rand unserer Galaxie. Da gab es kaum noch etwas, was dahinter kam. Wenige Sterne und ansonsten gähnende Leere. Eine verdammt große Strecke bis zur nächsten Galaxis. Hier war der wahre Rim.

Was nicht wirklich dazu führte, dass die Umweltkontrollen der Station ausreichend eingestellt waren. Vielleicht gab es ja hier irgendeine Spezies, für die diese Einstellung als angenehm empfunden wurde, ich persönlich bezweifelte das.

„Du willst da wirklich alleine reingehen?“, fragte Nadarja.

„Warum nicht?“, entgegnete ich. „So verlieren wir weniger Zeit. Du kümmerst dich um die Frachtaufnahme und zeigst den Passagieren ihre Unterkünfte. Und ich schaue mal, ob ich noch etwas Zusatzfracht ergattern kann.“

„In dieser Spelunke?“

„Es ist die einzige Bar, die hier von Menschen betrieben wird. Da ist es nicht unwahrscheinlich, dass ich einen Frachtauftrag für unseren Flug zurück in den von Menschen besiedelten Raum bekommen kann.“ Und außerdem würden sie hier sicher ein kühles Bier haben. Nicht, dass wir an Bord keines hätten, aber es war doch etwas anderes, ein solches in der Atmosphäre einer gepflegten Gaststätte zu sich zu nehmen. Ich musste innerlich selber über meinen eigenen Witz lachen.

Nadarja verdrehte die Augen. „In Ordnung, ich kümmere mich. Ich hoffe aber für dich, dass du den Weg zurück zum Andockplatz nachher alleine findest. – Die sehen das hier übrigens nicht so gerne, wenn man in irgendwelche Ecken kotzt!“

War sie jetzt sauer? Ich blickte ihr nach, als sie sich in der hier befindlichen Menge verlor. Ihre weiße Körperbehaarung hob sich noch eine Zeit lang von den anderen Individuen ab, die unterwegs waren, dann war sie verschwunden.

Ich richtete meine Schritte in das Etablissement, über das meine Gefährtin so die Nase gerümpft hatte. Terra’s Inn stand da in leuchtenden Neonbuchstaben über der Tür. Kurz fragte ich mich, was der Apostroph mit dem angehängten s denn bedeuten sollte, verwarf meine Gedanken dann aber schnell. Letztendlich war es egal, sollten die Betreiber mit ihrer Art der Schreibweise glücklich werden.

Die Umweltkontrollen in der Bar waren noch schlechter eingestellt als die draußen im Gang. Die Betreiber mussten wohl sparen, noch mehr als die der Station.

Ich suchte mir einen kleinen Tisch und ließ mich auf einem der drei, um denselben gruppierten, Stühle nieder. Die Wand im Rücken, beobachtete ich die anderen Gäste.

Es waren etliche. Erstaunlicherweise viele Menschen. Von den sich hier aufhaltenden, rund drei Dutzend Individuen waren mehr als zwei Drittel meiner eigenen Spezies zuzuordnen. Die anderen waren bunt gemischt. Soweit ich sie identifizieren konnte, war ich mir sicher, dass sie diesen Ort hier gewählt hatten, weil menschliche Speisen und Getränke für sie verträglich waren, was möglicherweise für das Gros der anderen Spelunken auf Samora nicht zutraf.

„Was darf es denn sein, Fremder?“

Ich blickte mich um. Da stand eine junge Frau neben mir. Ich vermied, sie genauer anzusehen. Ein Reflex, der sich in den Jahren eingeschlichen hatte, die ich mit Nadarja verbracht hatte. Nicht, dass sie mir vorgeworfen hätte, wenn ich mich nach anderen Frauen umsah, nein, das nicht. Aber sie zog mich immer wieder damit auf. Und irgendwie hatte sie ja auch recht. Die Kellnerin hier hätte meine Tochter, wenn nicht meine Enkelin sein können.

„Ein Bier“, gab ich zur Antwort. „Ich hoffe, ihr habt hier so was.“

„Terra’s Inn Spezial?“ Ich bildete mir ein, dass sie den Apostroph mitsprach. Kurz erwog ich zu fragen, welcher Buchstabe denn da ausgelassen worden war.

„Ist das die regionale Spezialität?“

Sie nickte.

Ich ebenfalls.

„Und etwas essen würde ich auch gerne.“

„Eintopf oder Schnitzel vom Serux?“

Ich vertraute mal darauf, dass der Serux, was auch immer das sein mochte, für den menschlichen Organismus verträglich war. „Das Schnitzel.“

Sie drehte sich bereits um, als ich mir überlegte, direkt einen Vorstoß zu unternehmen.

„Entschuldigung, ich suche noch Fracht. Sie kennen doch möglicherweise die anwesenden Gäste etwas näher. Ist da jemand darunter, der mich entsprechend versorgen könnte?“

„Wenn Sie mögen, höre ich mich für Sie um“, gab sie zurück.

Ich nickte und sie zog ab in Richtung Theke.

Es dauerte nicht lange, dann brachte sie mir mein Bier.

„Im Moment sind keine Betreiber eines Kontors hier“, sagte sie, während sie das Glas mit der goldgelben Flüssigkeit vor mir abstellte. „Vielleicht kommen etwas später ein paar. Die Promenade runter, etwa zwei Kilometer, sind fünf von Menschen betriebene Agenturen. Von denen kommen manchmal Leute her.“

„Danke“, sagte ich und nahm einen Schluck. Auch wenn das Bier über keine Schaumkrone verfügte, schmeckte es leidlich. Ich redete mir ein, dass es besser war als das, was wir an Bord hatten.

Was nicht stimmte, aber hier hatte ich zumindest eine andere Atmosphäre.

Das brauchte ich ab und zu. Auch wenn ich ein Eigenbrötler war, der durchaus damit zufrieden war, seine Zeit alleine zu verbringen, brauchte ich ab und zu doch etwas Abwechslung. Und irgendwie war es schön, dass auch Nadarja nicht anwesend war. Ich brauchte mal meine Ruhe.

„Sam!“

Die Stimme ließ mich herumfahren. Wer konnte mich denn hier kennen?

Vor mir stand eine Frau, eine kleine Frau. Ihre Haare waren kurz gehalten, fettig und klebten fast an der Kopfhaut. Die konnte man recht gut erkennen, weil die Haarpracht über die Jahrzehnte Lebenszeit, die diese Frau bereits hinter sich gebracht hatte, stark ausgedünnt war. Ich kannte sie nicht.

„Ich darf mich doch setzen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm sie Platz. „Wir haben nicht viel Zeit“, sagte sie. Ich hatte kurz erwogen, etwas zu antworten, kam aber nicht dazu. Sie redete in einem fort, ich konnte ihr kaum folgen. Dann machte sie eine kurze Pause.

„Deine Frau ist auf dem Weg hierher. Ich will weg sein, bevor sie hier eintrifft. Auch wenn du ein gutes Händchen bei der Auswahl deiner Partnerin getroffen hast, muss sie mich ja nicht unbedingt sehen.“

Ich nickte. „Die Fracht steht in unserer Andockbucht bereit?“, fasste ich zur Sicherheit noch einmal nach.

„Ja, ein kleiner Container. Und hier ist der Wechsel.“ Sie hielt mir eine Datenfolie hin.

Ich ergriff das Dokument und steckte es in die Jackentasche.

„Du wirst mich auf dem Laufenden halten, versprochen?“

Ich nickte. „Ich werde mich regelmäßig bei dir melden ... Mutter“, sagte ich.

Sie beugte sich zu mir herüber und umarmte mich kurz.

Etwas irritiert blickte ich zu ihr.

„Da hinten kommt deine Frau. Glaub mir, es ist besser so“, sagte sie, drehte sich um und strebte dem Ausgang zu.

Ich blickte ihr nach. Tatsächlich stand da Nadarja, zusammen mit unseren drei Passagieren. Sie sah etwas irritiert zu mir, musterte dann Mutters hutzelige Gestalt und wandte ihre Aufmerksamkeit erneut mir zu.

„Wer war denn das?“, fragte sie, als sie meinen Tisch erreicht hatte.

„Mutter“, entgegnete ich, so als ob das alles erklären würde.

Nadarja sah mich zweifelnd an.

„Ihre Mutter, hier?“, fragte einer unserer Passagiere.

„Ich war selber erstaunt darüber. Mehr als erstaunt“, gab ich zurück. Was ging den Kerl das an?

„Ein Zufall“, sagte seine Begleiterin. „Was hat sie hierher verschlagen?“

Ich zuckte mit den Achseln. „Sie hat uns einen kleinen Zusatzfrachtauftrag gegeben.“ Ich sprach mit Nadarja, die Passagiere ließ ich links liegen. „Ein kleiner Container, wir sollen ihn nach Strombol befördern. Sie hat uns einen guten Preis gemacht.“

„Strombol?“ Nadarja zog ihr pechschwarzes Gesicht in Falten. „Das liegt recht nahe am Derolianischen Reich. Ich dachte, du wolltest da nicht mehr hin.“

„Es ist ein Katzensprung hinter Molangi, und da müssen wir ja ohnehin hin.“

Unsere Passagiere nickten unisono. „Wie lange werden wir benötigen, bis wir dort sind, Kapitän?“, fragte die Frau.

Ich überschlug das kurz in Gedanken. Nadarja musste es ihnen bereits gesagt haben, aber vermutlich wollten sie es aus berufenem Munde noch einmal hören. „Etwa anderthalb Wochen.“

„Schneller geht es nicht?“, fragte ihr Gefährte.

Der andere Mann hielt sich im Hintergrund. Er war der Diener der beiden, ihr Faktotum für alles. Er war damit beschäftigt, den Nachbartisch zu meinem zu rücken und ausreichend Stühle zu organisieren, damit wir alle Platz finden konnten.

„Wir sind kein Expressschiff“, sagte ich.

„Was ja bereits der Name zum Ausdruck bringt.“ Diese Aussage der Frau ärgerte mich dann doch.

„Die Lahme Ente ist für ihre Verhältnisse ein Schiff ...“

Nadarja legte mir die Hand auf den Arm. „Sam, vergiss nicht die gute Erziehung, die du genossen hast“, mahnte sie mich.

Ich nahm mich zurück. „Sie wollen auch etwas essen? Hier stehen zwei Gerichte zur Auswahl, ein Eintopf und ein Schnitzel. Woher Letzteres stammt, entzieht sich meiner Kenntnis.“ Das lenkte ab, und besser, als sich mit den Passagieren zu streiten, war es allemal.

„Ich weiß“, sagte der Mann. „Wir haben hier in den letzten zwei Wochen täglich gegessen. Das ist beides fast ungenießbar. Aber Ihre Partnerin sagte, dass wir so schnell an Bord Ihres Schiffes keine adäquate Mahlzeit zubereiten könnten, deshalb kamen wir hierher. Wohl oder übel.“

„Ich nehme das Schnitzel“, sagte die Frau.

Ich sah zweifelnd zu Nadarja hinüber. Warum hatte sie das den Passagieren gesagt? Aus ihrer Mimik konnte ich nichts erkennen. Die Gesichtszüge waren starr, nur so konnte man sie nennen. Sie wollte mir damit etwas sagen, das war klar. Ihr gefielen die Passagiere nicht, sie wollte mir die Gelegenheit geben, sie kennenzulernen, bevor sie an Bord gingen, und so auch die Möglichkeit, sie erst gar nicht an Bord zu lassen.

Ich dachte kurz an Mutter, dann sagte ich: „So ist das nicht notwendigerweise zu verstehen. Wir können recht schnell ein Essen zubereiten. Nur möchten wir unseren Gästen durchaus etwas Besonderes bieten, und das benötigt mehr Vorbereitungszeit. Wenn Sie möchten, werden wir heute Abend ein Captainsdinner veranstalten.“

Die Frau lachte. „Wird es jemals an Bord Ihres Schiffes ein Dinner ohne den Captain geben?“

„Touché“, antwortete ich.

Wir saßen eine Zeit lang schweigend da. Ich tat so, als ob ich die anderen im Restaurant anwesenden Gäste studierte, tatsächlich versuchte ich aber, unsere Passagiere einzuschätzen. Wen hatten wir uns da eingefangen? Gut, die Namen kannte ich. Aber Namen waren Schall und Rauch, vor allem hier draußen am Rim. Personalpapiere? Was konnte man schon auf Ausweise, ausgestellt von irgendeiner selbst ernannten Behörde eines noch nicht einmal drittklassigen Planeten, hier draußen geben? Ein wenig Bakschisch und schon verfügte man über eine neue Identität.

Nadarja versetzte mir einen Tritt vor das Schienbein. Ich konnte gerade noch einen Aufschrei verhindern, musste mich aber bücken, um mit der Hand an der Stelle zu reiben. Es tat höllisch weh, warum hatte sie so fest zugetreten?

„Haben Sie Probleme, Kapitän?“, fragte mich unsere Passagierin.

„Mein Fuß ist eingeschlafen“, gab ich lahm zurück. Als wenn das meine heftige Reaktion erklärt hätte. Aber sie fasste nicht weiter nach. Ihre Aufmerksamkeit war abgelenkt.

Ich folgte ihrem Blick zum Eingang der Spelunke, in der wir uns befanden.

„Derolianer!“, entfuhr es mir.

Unsere Passagiere schienen sich unisono zu ducken. Dann kam ihnen wohl zu Bewusstsein, dass man sich hier nicht verstecken konnte und nur umso mehr auffiel, wenn man es trotzdem versuchte.

„Das sind Soldaten der derolianischen Abwehr“, sagte Nadarja.

„Woran machen Sie das fest?“ Der Diener unserer Passagiere schien recht häufig das Sprachrohr derselben zu sein.

„Die Uniformen“, antwortete meine Gefährtin. „Das sind die Farben der Grenztruppen, der Abwehr, wie sie im Reich heißen.“

„Mir ist egal, ob sie grün, rot, blau oder wie hier ultramarin sind. Es sind Derolianer!“ Der Tonfall unseres Passagiers, ich sollte vielleicht damit beginnen, ihn mit dem Namen, der in seinen Personalpapieren stand, zu identifizieren, gefiel mir nicht. Er war voller Hass.

Nun, ich selber hatte nicht unbedingt freundschaftliche Gefühle dem Reich gegenüber, auch wenn mein Vorstrafenregister dort getilgt worden war und ich mir Mühe gab, diesbezüglich nicht erneut etwas aufzubauen. Ich hatte genug vom Reich, seinen Methoden und vor allem dem Herrscherhaus. Einen solchen Hass aufzubauen, hatte aber selbst ich nicht geschafft. Wo kam der her?

Die drei Soldaten hatten sich schnurstracks zur Theke begeben und dort Getränke bestellt. Jetzt lehnten sie mit dem Rücken zur selbigen, die Ellbogen auf die Platte gestützt, und beobachteten die Gäste.

„Die warten nicht wirklich auf die Getränke“, meinte Nadarja.

Da musste ich ihr recht geben. Die drei hatten einen klaren Auftrag. Die Bestellung war nebensächlich, zumal sie nichts Alkoholisches geordert hatten. Mehr als untypisch für Soldaten auf Landgang.

„Wir sollten hier weg ...“ Unsere Passagierin – wie hieß sie noch? Alumna Selong, ja, jetzt fiel es mir wieder ein – konnte sich kaum zurückhalten.

„Wenn Sie auffallen wollen, stehen Sie jetzt auf und gehen zum Ausgang. Wenn wir alle auffallen wollen, machen wir mit“, warf ich ein. „Unser Essen wird gerade gebracht. Meinen Sie nicht, dass es besser wäre, wenn wir das erst einmal vertilgen würden?“

Robert Selong legte die Hand auf den Unterarm seiner Gattin. „Der Kapitän hat recht, Schatz. Wir müssen uns bemühen, hier ganz ruhig zu speisen, ob wir das jetzt angenehm finden oder nicht.“

Auch ihr Diener stimmte kopfnickend zu.

Das Schnitzel schmeckte ausgezeichnet, ich konnte nichts Schlechtes daran finden. Vermutlich lag die Abneigung der Speise gegenüber, die unsere Passagiere mehr als deutlich zum Ausdruck brachten, daran, dass sie in letzter Zeit nichts anderes gegessen hatten. Die für menschliche Bedürfnisse ausgerichteten Speisen hier auf der Station waren spärlich, mehr als spärlich. Was für mich eine willkommene Abwechslung war, war für sie nur notwendige Kalorienaufnahme.

Ich war versucht, noch ein Bier zum Runterspülen zu bestellen, ließ es aber dann doch. Die anderen wollten aufbrechen, das war mehr als offensichtlich. So verließen wir das Terra’s Inn und machten uns auf den Weg zu den Andockstellen.

„Sie verfolgen uns“, sagte Nadarja.

Ich drehte mich um. Das war nicht gerade unauffällig, aber wenn es so war, dass sie uns folgten, war es auch egal. Tatsächlich, die drei Soldaten hatten wohl ihren Fruchtsaft stehen lassen und trotteten in gerade mal zwanzig Meter Entfernung hinter uns her. Sie machten überhaupt keinen Hehl daraus, dass wir das Objekt ihrer Begierde waren. Einer der drei grinste mich sogar an.

„Wir sollten schneller ...“

Ich unterbrach Alumna Selong. „Wir sind hier exterritorial, das ist nicht das Derolianische Reich. Im Gegenteil, wir sind recht weit von demselben entfernt. Wenn die hier Ärger machen würden, würde sich die Marine von Samora um sie kümmern.“

„Das sind Soldaten eines derolianischen Kriegsschiffs. Was will die Marine der Station schon dagegen ausrichten? Haben die hier überhaupt eine Marine?“ Der Einwurf des Dieners war nicht ganz unberechtigt.

„Natürlich haben die eine, wenn sie auch nur aus wenigen kleineren Einheiten besteht. Ich gebe zu, dass die im offenen Kampf kaum eine Chance gegen einen derolianischen Kreuzer hätten. Aber einerseits wissen wir gar nicht, ob es sich bei dem Schiff der Derolianer um einen Kreuzer oder eine wesentlich kleinere Einheit handelt, und andererseits werden sie den Teufel tun. Wenn die hier eingreifen würden, offen auf der Promenade, dann müssten sie jeglichen Zeugen beseitigen. Und damit meine ich wirklich alle. Ein einziger würde reichen, um die Kunde davon weiterzutragen, dass das Derolianische Reich sich mit unabhängigen kleinen Möchtegernstaaten anlegt. Das wäre nicht zuträglich dafür, dass auch derolianische Schiffe gezwungen sind, an Stationen anzulegen, um ihre Vorräte aufzufüllen. – Solange wir in der Menge bleiben, sind wir in Sicherheit.“

Die Logik leuchtete ihnen wohl ein, auch wenn sie mit der Konsequenz, die sie dazu zwang, ruhig einherzuschlendern, mehr als unzufrieden waren.

„Wir nehmen den langen Weg“, entschied ich, als wir am Abzweig zu den Andockplätzen anlangten. „Wenn wir hier abbiegen, sind wir zwar in wenigen Minuten an unserem Schiff, aber dort dürfte der Gang weit weniger frequentiert sein.“

„Du willst auf die Tube verzichten und einmal halb um die Station laufen?“

„Nadarja.“ Ich blickte ihr dabei tief in diese unergründlichen Augen. „Wir laufen Gefahr, dass die drei sich in einen Waggon mit uns hineinquetschen. Da passen gerade mal zehn Menschen in einen rein. Das würde sich für die geradezu anbieten. Und da hätten sie dann wahrscheinlich keine Zeugen mehr, die sie beseitigen müssten.“

Ich blickte zu unseren Passagieren hinüber. Was verbargen die vor uns, das einen solchen Aufwand seitens der Derolianer verursacht hatte?

„Da sind wir gut eine halbe Stunde zu Fuß unterwegs“, maulte Nadarja, fügte sich aber.

Ihre Einschätzung war in etwa richtig. Als wir an der Stelle anlangten, an der ein Gang direkt zu der Andockbucht führte, an der die Lahme Ente lag, war fast eine halbe Stunde Zeit vergangen.

Wir gingen nach rechts, vorbei an dem Gang, der zur Tube führte, und standen schnell vor dem Schott, das den Verbindungsschlauch zu unserem Schiff verschloss. Die ganze Technik hier war doch etwas rückständig. In zivilisierteren Gegenden gab es feste Verbindungstunnel und nicht diese Schläuche. Aber da gab es auch standardisierte Luftschleusen. Hier war das alte System für die Betreiber sinnvoller. Ich hatte immer ein ungutes Gefühl, wenn ich mich durch so einen Schlauch bewegte. Ein kleines Leck und ... nicht dran denken!

Nadarja hieb mit der Faust auf den Schalter, der das Schott öffnete. Ich blickte mich um. Da standen die Soldaten, hinter uns, gerade mal dreißig Meter entfernt. Jetzt waren sie zu fünft. Wo und wann die anderen beiden hinzugekommen waren, wusste ich nicht zu sagen. Eine Soldatin grinste mich an und zwinkerte mir mit dem Auge zu. Sie gehörte zu den beiden, die hinzugekommen waren.

Ich drehte mich um und beeilte mich, den anderen durch das Schott zu folgen. Ich war froh, als ich endlich an Bord unseres Schiffes war und sich unsere Luke hinter mir schloss.

„Der Aufenthaltsraum ist geradeaus den Gang runter und hinten links“, wies Nadarja unsere Gäste ein. „Ihr Gepäck und Ihre Ladung befinden sich bereits in den Kabinen beziehungsweise im Laderaum.“

„Sie gehen jetzt zur Brücke?“, fragte der Diener.

„In unseren Kontrollraum“, bejahte ich. Den Raum Brücke zu nennen erschien mir hochtrabend. Gleichwohl benutzte ich das Wort auch gerne. Aber es ging mir gegen den Strich, wenn andere das taten. Speziell der Kerl. Ich mochte ihn nicht.

„Wir kommen mit“, entschied Robert Selong. Mit einem Ton, der keinen Widerspruch zu dulden schien.

Sollte ich ihn in die Schranken weisen? Ich entschied mich dagegen. Die drei würden schnell merken, dass kein Platz für sie auf der Brücke war. Außerdem würden wir für einige Zeit zusammen sein müssen, da war es nicht klug, direkt zu Beginn einen Konflikt auszutragen.

Andererseits bot es sich an, Regeln aufzustellen. Ein Dilemma.

Ich entschied mich für die Appeasement-Politik. Ob ich es später bereuen würde?

Im Kontrollraum angekommen, ließen Nadarja und ich uns in die Sitze fallen. Hinter uns stand der Diener, die anderen beiden hatten keinen Platz mehr auf der Brücke. Sie standen im Gang, der sich an den Kontrollraum anschloss.

Auf den Bildschirmen, die aktuell die direkte Umgebung anzeigten und so wie Fenster wirkten, sahen wir die Station, an der wir angekoppelt waren, und neben uns, direkt am Liegeplatz neben uns, das derolianische Schiff. Das konnte kein Zufall sein.

Es handelte sich um ein kleines und wahrscheinlich schnelles Schiff. Es verfügte nur über eine leichte Bewaffnung. Vielleicht war es ein Aufklärer, ich kannte mich da nicht aus. Für mich zählte Tonnage und nichts anderes. Ich war Frachtführer und kein Soldat.

„Können wir ihnen entkommen?“, fragte der Diener.

„Drefer, das ist ein verdammt schnelles Schiff“, ließ sich die Stimme der Frau vernehmen. Sie schien sich auszukennen. „Dem können wir nicht weglaufen.“

Was noch zu prüfen wäre, dachte ich bei mir. Die Lahme Ente war nun mal auch nicht gerade langsam. Kurz erwog ich, den Kippschalter unter dem Armaturenbrett zu betätigen, der es mir ermöglichte, die Kontrollen der Station zu überwinden und uns im Extremfall einfach von dieser loszureißen. Aber brachte uns das einen Vorteil? Die Derolianer würden sicherlich über ein ähnliches System verfügen. Vielleicht war es nicht ganz so effektiv wie unseres, aber sie hatten sicherlich eines. Ein Kriegsschiff konnte es kaum hinnehmen, dass es von fremden Mächten ferngesteuert wurde, ohne dass es das zu beenden wusste.

Die Annäherung an eine Station ließ diese nur zu, wenn sie das sich annähernde Schiff steuerte. Das war überall so. Die Risiken waren ansonsten zu groß, dass es zu einem Unfall kam, von möglichen bewusst herbeigeführten Anschlägen mal ganz zu schweigen. Blöd war nur, dass die Stationen diese Kontrolle in der Regel zu behalten versuchten, solange ein Schiff angedockt war. Sie verlangten in der Regel auch, das Schiff selbst in einen sicheren Abstand zur Station zu manövrieren, bis sie die Kontrolle zurückgaben. Sicherer Abstand bedeutete, dass die Verteidigungseinrichtungen dem abfliegenden Schiff gefährlich werden konnten, wenn es sich nicht so verhielt, wie die Station dies wollte.

Ein Losreißen war demnach nur in einem extremen Notfall das Mittel der Wahl, und den hatten wir hier nicht. Ich bediente die Kommunikation und rief die Station.

„XFLR6 an Samora Zentral, wir sind fertig zum Ablegen.“

„Lahme Ente“, kam es aus dem Lautsprecher zurück, „Sie haben noch für drei Tage Liegegebühren bezahlt. Sie wollen tatsächlich jetzt schon aufbrechen? Ihnen ist klar, dass die überzahlten Gebühren verfallen?“

Ich nickte, obwohl mich der die das, was am anderen Ende die Kommunikation führte, nicht sehen konnte. Vermutlich konnte er sie es noch nicht einmal etwas mit der Geste anfangen. Es war schon erstaunlich, dass man mit uns in Standard sprach.

„Das ist uns bewusst. Wir haben die komplette Fracht bereits aufgenommen, wozu sollten wir unsere Liegezeit verlängern?“

„Ich manövriere sie raus“, kam die Antwort.

Ein leichtes Zittern ging durch das Schiff. Auf den Bildschirmen wurde die Illusion erweckt, dass sich die Station mitsamt dem derolianischen Schiff von uns wegbewegte. Meine Hand zuckte unter das Armaturenbrett. Ich hielt mich bereit. Das tat ich immer. Paranoia, klar. Aber ich konnte es nicht vertragen, wenn jemand anderes über mein Schiff verfügte.

„Gute Reise“, kam der letzte Gruß der Station aus dem Lautsprecher und gleichzeitig erwachten die Kontrollen zum Leben. Die Station hatte uns alle Systeme zurückgegeben. Ich atmete auf.

„Der Derolianer, was macht er?“, fragte der Diener.

Ich schaltete eine unserer Kameras am Heck auf den Frontschirm.

„Er liegt nach wie vor an der Station. Ist noch immer angedockt. Keine Bewegung zu erkennen“, gab ich zurück.

„Viel Rauch um nichts“, ließ sich Nadarja vernehmen. „Die sind gar nicht an uns interessiert.“

Da irrst du dich, dachte ich.

Unsere Maschinen starteten. „Kurseingabe?“, fragte die KI.

„Angenehme Stimme“, sagte der Diener hinter mir.

Nadarja rollte mit den Augen. Das konnte ich zwar nicht sehen, aber das machte sie immer in solchen Situationen. „Das ist die Stimme seiner Ex“, erläuterte sie den Passagieren. „Er trauert ihr immer noch nach, kann nicht von ihr lassen. So hat er zumindest die Illusion, dass sie immer um ihn herum ist.“

Klar, das hatte ich mir selber eingebrockt. Ich hätte die Programmierung schon lange ändern können. Aber warum ritt sie immer wieder darauf herum?

Mir schwante, dass ich heute Nacht alleine schlafen würde.