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Denise ist anders als Andere. Immer wieder verwirren ihre Gedanken. Sie neigt zu Über-sprungshandlungen. Ihre Emotionen gehen mit ihr durch. In einer Welt, die sich ihr nicht er-schließt, muss sie versuchen, zu bestehen. Was nicht immer leicht ist. Aber mit ihrer kleinen Schwester Alea an der Seite sind die größten Hindernisse lediglich kleine Hürden.
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Terrorzwerg
Impressum
Bisher erschienen
Kapitel 1: Jetzt
Kapitel 2: Vorher
Kapitel 3: Jetzt
Kapitel 4: Vorher
Kapitel 5: Jetzt
Grafik
Kapitel 6: Vorher
Kapitel 7: Jetzt
Kapitel 8: Heute
Der Autor
Thomas Tippner
Töchter, Vater und andere Katastrophen #2
BelletristikNovelle
Ashera Verlag
Impressum
Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.
Erste Auflage im September 2024
Copyright © 2024 dieser Ausgabe by
Ashera Verlag
Hochwaldstr. 38
51580 Reichshof
www.ashera-verlag.net
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.
Covergrafik: pixabay
Innengrafik: pixabay
Szenentrenner: pixabay
Coverlayout: Atelier Bonzai
Redaktion: Alisha Bionda
Lektorat & Satz: TTT
Vermittelt über die Agentur Ashera
(www.agentur-ashera.net)
Bisher in der Novellen-Trilogie erschienen:
Zuckerschnute
Terrorzwerg
Für Marco war es nicht leicht, hierherzukommen. An dieses verlassene Fleckchen Erde, das irgendwo im Nirgendwo an einem Fluss lag und wie vergessen wirkte. Allein der Ausblick von der Einfahrt hinüber zu dem windschiefen Haus weckte in ihm Erinnerungen an die in seiner Jugend verschlungenen Bücher der „Fünf Freunde“. Daran, wie Julien, Dick, Anne, George und Timmy, der Hund, auf dem Blauweiherhof eine Entdeckung machten, die für sie zu einem unerwarteten Abenteuer führten.
Marco, der sich nichts sehnlicher wünschte, als dass Denise dasselbe hier passierte, konnte die Schwere in seinem Kopf ebenso wenig beiseitewischen wie den Druck im Magen. Im Hals hatte sich eine unangenehme Trockenheit ausgebreitet und in seinen Augen schimmerten Tränen.
Er wollte versuchen, dass alles gut werden würde. Dennoch war der Gedanke: ‚Ich mache das Richtige‘ nicht das, was er denken wollte.
Er musste es hören.
Aus dem Mund eines Menschen, der ihm nahestand. Der ihm mit einer beruhigenden Geste die Hand auf die Schulter legte, diese fest drückte und flüsterte: „Du wirst sehen. Es wird euch allen guttun. Dir. Alea. Mimi. Lisa.“
Und er?
Was würde er antworten?
Würde er nicken, die Hand nehmen, diese drücken und sagen: „Du hast ja Recht.“
Oder würde er, wie es seine Art war, den Kopf schütteln, die Lippen fest aufeinanderpressen und sich verweigern? Leise werden. Ruhig. In sich gekehrt. Darauf aus, seine im Kreis drehenden Gedanken zu beruhigen.
So würde es sein.
Um dann, wenn er den richtigen Entschluss getroffen hatte, ihm die passende Antwort auf der Zunge lag, sich herumdrehen und sagen: „Aber ich lasse sie allein. Vier Wochen.“
Er seufzte, als er am Eingangstor stehen blieb. Marco wäre am liebsten umgedreht, um zurück auf das vor dem Eingang des Hauses liegende Rondell zu fahren und zu dem Betreuer zu sagen: „Hol sie wieder raus. Ich habe es mir anders überlegt. Das geht nicht. Sie kann nicht hierbleiben. Sie muss mit mir kommen. Bei mir bleiben.“
Und dann? Was bringt es dir?, wollte Marco von sich wissen, der regungslos dastand, spürte, wie der auffrischende Wind durch seine Haare fuhr. Er sein Gesicht streifte und in ihm die vage Affinität zu Fantasy zutage förderte und ihm zuraunte, dass er in jeder ihn streifenden Böe eine Stimme hörte.
Wispernd. Leise. Verständnisvoll. „Geh. Geh. Geh einfach. Sie ist hier gut aufgehoben. Hier gehört sie hin. Hier erfährt sie Erholung.“
Was Marco hoffte. Inständig.
Aber das in ihm nagende, das ihn heimsuchende schlechte Gewissen übertönte alle von ihm gestarteten Entschuldigungen. Nein, es nagte nicht an ihm. Es fraß sich durch ihn hindurch.
Mit gierigen, unaufhaltsamen Bissen riss es Stück für Stück aus seiner Hoffnung heraus und ließ nichts weiter zurück als die dunkle Ahnung, dass es hier zu einer Katastrophe kommen würde.
„Ich muss zurück“, sagte er und wollte geradewegs auf seinen Wagen zugehen. In ihn steigen, den Zündschlüssel herumdrehen und das Gaspedal bis zum Anschlag durchtreten.
Mit quietschenden, durchdrehenden Reifen hin zu …
Alles in ihm erstarb.
Es wurde still.
Erst meinte Marco, dass es wieder dieser unbeholfene, schmerzende Biss gewesen sei, der ihm schonungslos vor Augen führte, dass er dabei war, ein Im-Stich-Lasser zu sein. Einer jener Menschen, die er am meisten verabscheute.
Die er nicht mochte.
Noch nie.
Die ihn dazu trieben, innerlich zu kochen und brodeln. Ich bin nicht wie meine Mutter. Oh nein, ich lasse mein Kind nicht irgendwo stehen und beschimpfe es, wenn es weint.
Nein, ich …
Marco irrte sich. Es war keine Verantwortungslosigkeit, die ihn heimsuchte, keine dunkle Reise in die Vergangenheit, die er durchlebte, hin zu jenem Augenblick, als er von seiner Mutter rüde am Arm gepackt und dann mit den Worten: „Hör auf zu heulen oder es setzt was“ zum Schweigen gebracht worden war. Es war – zu seiner Überraschung – Zufriedenheit. Ein ehrlich empfundenes Gefühl von innerer Ruhe. Einer kurz durch ihn hindurchrollenden, einer auf den Strand zutreibenden Welle gleich, eine Emotion, die ihm ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
Die all das, was in ihm brodelte, was in ihm gärte, für einen klitzekleinen Augenblick restlos zur Ruhe brachte.
Es war der ausgestoßene, nach Zufriedenheit klingende Laut eines Kinderlachens.
Hell. Weich. Von Unbekümmertheit getragen.
Einem durch eine dunkle Wolkendecke brechenden Sonnenstrahl gleich.
Er hielt inne … Marco lächelte.
Er hörte die Zufriedenheit seiner Denise.
Anfangs war es seltsam gewesen. Beängstigend. Einschüchternd. Allein auf den da am Ende der Treppe stehenden Henning zuzugehen. Der, freundlich lächelnd, die Hand zum Gruß erhoben hatte und fragte: „Na, hast du dich verabschiedet und bist bereit, für deine vier Wochen Spaß?“
Denise hatte genickt.
Sie wollte nicht von ihrem Papa weg. Nicht jetzt. Nicht sofort. Irgendwie schon. Dennoch, hm, nicht.
Sie spürte die gleiche Zerrissenheit in sich, die viel zu oft in den letzten Jahren in ihr gewühlt hatte. Immer wieder waren da diese leisen, sie heimsuchenden Bilder gewesen, mit denen sie so gut wie nichts anfangen konnte.
Tuschzeichnungen, die ihr Verstand zeichnete und die durch das Wasser ihrer Tränen zerflossen; der Schrecken dennoch blieb.
Fotografien von Momentaufnahmen, kleine, in ihrem kurzen Leben durchgemachte Episoden, mit denen sie bewusst nichts anfangen konnte. Die ihr wieder in den Kopf kamen.
Da waren Gesichter, deren Mimik sie nicht zuordnen konnte. Aussagen, die sie verstand, aber nicht begriff. Kleine Gesten, Mimiken, irgendetwas, das sie verwirrt innehalten und sich fragen ließ, was das sollte.
Warum Menschen plötzlich böse mit ihr waren. Weshalb ihre Schwestern genervt die Augen verdrehten, sich Papa beherrschen musste, um nicht die Fassung zu verlieren.
Eben weil sie nichts mit ihren Gefühlen anzufangen wusste, war es ihr kaum möglich, zu sagen, was sie wollte. Ob sie nun zu Henning gehen oder sich auf dem Absatz herumdrehen und zu ihrem langsam zum Wagen zurückschlendernden Papa laufen sollte.
Sie tat den Schritt nach vorne.
Einem Impuls folgend.
Der Neugier nachgebend, die sie eingeholt hatte, als sie den Schrecken verdaute und sich klar machte, was es hieß, vier Wochen nicht zu Hause sein zu müssen.
Keine Pflichten erfüllen.
Keine Aufgaben gestellt bekommen.
Keine Diskussionen führen.
Das hier, auf dem Hof Schulz, versprach was Interessanteres zu werden.
„Komm rein. Ich werde dir dein Zimmer zeigen.“
Sie nickte. Ihr Gesicht war starr. Denise wollte keine Fehler machen.
Nicht jetzt.
Das hatte Zeit. Versuchen, normal zu wirken. Keinerlei Anlass geben, dass Henning einen Gesichtsausdruck machen konnte, den sie von ihren innerlich abgespeicherten Fotografien kannte. Nicht dieses die Stirn in Falten legen. Die Augen zusammengekniffen. Den Kopf schief gelegt, sie musternd, während Denise nicht begriff, was um sie herum geschah.
Lieb sein. Artig. Ruhig, dachte sie ihr Mantra. Und folgte erneut einer Eingebung. Der Spielplatz. Der Fluss. Das Wäldchen. All diese Möglichkeiten.
Das alles lag hinter dem Haus.
Da wollte sie hin. Da musste sie hin.
Marco glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen.