Edgar Wallace - Neue Abenteuer 08: Der Kreis der Verschworenen - Thomas Tippner - E-Book

Edgar Wallace - Neue Abenteuer 08: Der Kreis der Verschworenen E-Book

Thomas Tippner

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Beschreibung

In Sussex herrscht Ausnahmezustand. Kriminelle morden sich durch die Stadt. Edgar Wallace wird von einem Geheimbund unter Druck gesetzt und bittet seinen Freund Ebenezer Pommeroy um Hilfe.

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In dieser Reihe bisher erschienen

1901 Dietmar Kuegler Der unheimliche Pfeifer von Blending Castle

1902 Dietmar Kuegler Die goldenen Mönche

1903 Thomas Tippner Im Bann des Erlösers

1904 J. J. Preyer Der Spieler

1905 Reiner F. Hornig Das Geheimnis der toten Augen

1906 Thomas Tippner Die verlorenen Mädchen von London

1907 Thomas Tippner Die Flussratten von London

1908 Thomas Tippner Der Kreis der Verschworenen

1909 Reiner F. Hornig Das Erbe des Magiers

Der Kreis der Verschworenen

Edgar Wallace - Neue Fälle

Buch 8

Thomas Tippner

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.

Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.

Copyright © 2024 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier 

 Redaktion: Danny Winter

Titelbild: Mario Heyer

Logo: Mark Freier

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-689-84057-0

1908 vom 05.08.2024

Inhalt

Merkwürdigkeiten

Die Geschichte des Edgar Wallace

Der Gang im Schatten

Die Verschworenen treten auf

Die Schatten verdichten sich

Der letzte Vorhang fällt

Über den Autor

Merkwürdigkeiten

„Ich weiß ja nicht“, sagte Gloria mit einem verdrießlichen Gesichtsausdruck, der Ebenezer zu deutlich zeigte, wie es zurzeit um seine hochschwangere Frau bestellt war. „Ob Edgar wirklich gemeint hat, dass wir hierherkommen sollen, um uns mal zu erholen?“

Pommeroy zuckte die Schultern, während er seinen Sunbeam-Roadster mit einer butterweichen Bremsung zum Stehen brachte. Das angenehm in seinen Ohren klingende Geräusch des Motors verebbte und der Wagen verstumme.

Es gab für ihn nur noch die Natur.

Einige, sich sanft erhebende Hügel waren mit Zäunen bespannt, hinter denen, träge langsam, in Langeweile gefangen, wie es schien, Kühe weideten.

Ein angenehmer Geruch nach Frische lag in der Luft, erinnerte Ebenezer an jene, schönen Momente seiner Kindheit, die er mit seinen Eltern verbracht hatte. Augenblicke, die voller Frieden gewesen waren, Freude, die ihm immer ein wenig fremd erscheinenden Zärtlichkeit seines ansonsten zur Strenge neigenden Vaters.

Hier draußen in der Natur hatte er sich stets wohlgefühlt.

Besonders dann, wenn ihm dieser Geruch, wie auch jetzt, in die Nase stieg.

Ein Geruch von noch in Feuchtigkeit gehüllten Gräsern.

Er atmete tief durch, während er dasaß, aus der Windschutzscheibe seines Wagens schaute und sich die Worte seiner Frau durch den Kopf gehen ließ.

Als er antwortete: „Edgar macht nie etwas, ohne sich dabei was zu denken“, musste er an seinen letzten Fall denken. Daran, wie Edgar und er in eine tödliche Auseinandersetzung geraten waren, und sie nur mit Mühe und Not aus einer ihnen gestellten Falle entkommen waren.

Ihm kamen die Erinnerungen, weil er das, was er sagte, am liebsten geglaubt hätte. Edgar aber hatte in seinem letzten Abenteuer mehr als einmal aus der reinen Impulsivität heraus gehandelt. Hatte sich seine eigenen Gedanken gemacht, eigene Schlussfolgerungen gezogen und sich dann, ohne mit Ebenezer zu sprechen, seinen losen Hirngespinsten zu folgen.

„Du weißt, dass ich gegen deinen Freund nichts sagen will“, sagte Gloria mit um Beschwichtigung bemühter Stimme. „Aber hier ist nichts. Nicht ein Haus. Gar nichts.“

„In seinem Brief schrieb er von genau diesem Ort. Eine Straße. Drei Hügel. Ost-Sussex. Sogar die Weide da hinten hat er beschrieben. Hier muss es sein.“

Gloria, die sich zu Ebenezers Verwunderung, und oft zur Verwirrung führend, seit ihrer Schwangerschaft verändert hatte, holte tief Luft. Sie streichelte über ihren deutlich sichtbaren, vorgewölbten Bauch und schien, ebenso wie er, mit der Eventualität zu kämpfen, explodieren zu dürfen.

Ebenezer glaubte, es tun zu müssen, um das ununterbrochen in seinen Ohren nachhallende Genörgel irgendwie aushalten zu können. Er sah, das Gloria nicht begeistert war. Weder von dem plötzlichen Ende der Straße. Noch davon, dass sie in ihrem beschwerlichen Zustand der Schwangerschaft durchs offene, hügelig aussehende Gelände laufen musste.

„Du kannst im Wagen bleiben“, bot er ihr an.

„Und dann?“

„Wartest du.“

„Ich würde mich langweilen“, gestand sie ihm.

Ebenezer musste schmunzeln, als er sagte: „Deine Reporternase ist eindeutig zu neugierig. Warte hier, und ich komme gleich zu dir zurück, wenn Edgar sich nicht in den nächsten zehn Minuten zeigt. Dann kehren wir zum Anwesen von Roy Wilcox zurück und beginnen unseren lang ersehnten Urlaub. Na, was meinst du?“

„Dass meine Reporternase etwas eingeschnappt ist“, sagte sie, während sie die Arme vor der Brust verschränkte. Ebenezer, der daraufhin versteifte, sich erklären wollte, dass er nur einen Scherz hatte machen wollen, um die angespannte Situation ein wenig aufzulockern, sah, wie sich ein Lächeln auf den zart geschwungenen Lippen seiner Frau abzeichnete. „Ich liebe dich.“

Er nickte, sagte: „Ich dich auch, mein Schatz.“

„Über alles.“

„Ich dich viel mehr.“

Damit verließ er den Sunbeam-Roadster mit einem kurzen Ächzen und fragte sich, als er die Tür hinter sich zuwarf, wo Edgar nur sein konnte. Sein Freund zeigte sich nicht. Dabei hatte er in seinem hastigen und in Eile geschriebenen Brief eindeutig erwähnt, dass er Ebenezer hier an dieser Stelle erwarten würde.

„Wo steckst du also?“, fragte er sich halblaut und tastete nach der Innenseite seines Jacketts, um den von Edgar verfassten Brief hervorzuziehen.

Kann ja sein, dass ich mich doch geirrt habe, dachte er in einem Anflug von Unsicherheit.

Nur um dann, als seine Finger über das teure, glatte Papier strichen, die Augen zusammenzukneifen und hinüber zu den drei Hügeln zu schauen. Zwischen denen sich ein schmaler Sandweg hindurchschlängelte. Den man beim besten Willen nicht mit dem Wagen passieren konnte – es sei denn, einem waren die Lackierung, der Unterbau oder die Stoßdämpfer des Autos völlig egal.

Da in der Ferne, wo die Zäune in einem S verliefen und sich eine kleine Herde Kühe daran gemacht hatte, dort Gras zu fressen, konnte Ebenezer einen vagen Schatten ausmachen. Erst meinte er, dass der, der da näher kam, sich zu schnell für einen Fußgänger bewegte. Dass der, der da auf ihn zukam, sich auf eine in der Umgebung falsch wirkende Art vorwärts bewegte. Nur um dann zu begreifen, dass der Ebenezer lächeln lassende Mann dort auf einem Fahrrad saß.

Und so, wie der Fahrer seinen Bowler trug, er mit diesen unrunden, diesen irgendwie eckigen Bewegungen die Pedale des Rads durchtrat, konnte es niemand anderes sein als Edgar Wallace.

Ebenezer drehte sich herum, deutete auf seinen Freund und sah, dass Gloria sich mit einem zufriedenen Lächeln daran machte, aus dem Wagen auszusteigen.

Im nächsten Moment war es Ebenezer, als würde die Zeit stillstehen. Ein kurzer Augenblick, der sich für ihn, später, als er drüber nachdachte, irrational angefühlt hatte. Er erinnerte sich, dass er die Hand zum freundschaftlichen Gruß erhoben hatte. Dass er einen Schritt auf den Sandweg hinaus machte, nachdem er seinen Blick von Gloria genommen hatte und ihn wieder auf Edgar richtete.

Dann war es geschehen. Plötzlich. Unerwartet. Für ihn mit einem Gefühl verbunden, das ihn glauben ließ, mit eisigkaltem Wasser übergossen worden zu sein. Es war ihm, als stünde er unter einem Baum, der es nicht schaffte, den kalten Regen fernzuhalten.

Ebenezer meinte, sich später daran zu erinnern, dass er blinzelnd dagestanden hatte und nicht zusammenzuckte. Sein Verstand, so glaubte er, hatte ihn vor den sich plötzlich überschlagenden Ereignissen schützen wollen. So filterte er das heraus, was ihn in Aufruhr, in Angst, in Panik versetzen konnte.

Er hörte den trockenen Knall nicht, der aufgeklungen sein musste. Denn als er den Kopf drehte, er die aus dem nahe gelegenen Jägerstand sich kräuselnde Rauchschwade erkannte, fragte er sich allen Ernstes, ob er das Krachen der aus dem Lauf gepressten Patrone gehört hatte.

Ebenezer konnte es nicht sagen.

Was er beantworten konnte, war, dass er sah, wie Edgar auf dem Rad ins Schlingern geriet und wenige Sekunden später einfach von diesem fiel; einem Cowboy gleich, der aus dem Sattel seines Pferdes geschossen worden war.

* * *

Der immer um Lässigkeit bemühte Anwalt Mortimer Right schaute mit einem verdrießlichen Gesichtsausdruck zu dem vor ihm stehenden, steifen Theo Hatfield und betrachtete die vor ihm liegenden Papiere.

Seine vorhin noch gute Laune war dahin.

Vorhin, als er in seine Kanzlei getreten war und die junge, adrette, ihm ausgesprochen gut gefallende Shirley Kent ihn begrüßte, war er der unumstößlichen Meinung gewesen, niemand könnte ihm die gute Laune vermiesen. Was er zu erledigen hatte, war dem ihm gereichten Aktenstapel entgegenzunehmen. Er musste nicht mehr als die Bankbelege quittieren, die ihm zeigten, dass hohe Honorare eingegangen waren.

All seine Annahmen fielen wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Theo trat auf ihn zu.

Dieser steife, nach einem Aristokraten aussehende Emporkömmling, der froh sein konnte, dass Mortimer ihn vor vier Jahren von der Straße aufgeklaubt und einen Job gegeben hatte.

Und dieser Bengel, der ihm so viel zu verdanken hatte, besaß ernsthaft die Frechheit, ihm ein Papier auf den Tisch zu legen.

„Kündigung?“, fragte er und schob das Schreiben von sich fort, als würde es ihm körperliche Schmerzen bereiten, wenn es in seiner Nähe war.

„So ist es, Sir.“

„Weil Sie auf das Gehalt, das Sie bei mir beziehen, nicht mehr angewiesen sind?“

Ein schmales Lächeln legte sich auf die blassen Lippen des schlaksig wirkenden Mannes, dessen Haare mit Pomade so stark in Form gebracht waren, dass es aussah, als wären sie an seinem Kopf festgeklebt.

„Das ist meine Sache.“

„Soweit ich unterrichtet bin, haben Sie die Schulden Ihrer Eltern noch nicht beglichen.“

„Auch das, mit Verlaub, ist meine persönliche Sache.“

„Ich werde die Kündigung nicht akzeptieren, Theo. Wir haben einen Vertrag geschlossen. Über einen Zeitraum von fünf Jahren.“

„Aus dem ich austreten kann, wenn ich bereit bin, Ihnen 200 Pfund zu zahlen, oder?“ Er griff in seine Hosentasche, holte ein sauber gefaltetes Stück Papier hervor. „Und wenn ich bereit bin, auf ein Jahresgehalt zu verzichten. Hier, die 200 Pfund.“

„Theo!“

Mortimer Right riss die Augen auf.

Widerwillig griff er nach dem ihm gereichten Dokument und meinte, als seine Blicke über den Zahlungsbetrag glitten, sich versehen zu haben.

Das konnte nicht stimmen. Es war unmöglich. Theo konnte das Geld nicht besitzen.

„Damit sehe ich meinen Teil des Vertrages als erfüllt, Mister Right.“

„Theo“, wiederholte der Anwalt, schüttelte den Kopf, ärgerte sich darüber, wie weinerlich, wie jammernd seine Stimme klang, als er fortfuhr. „Sie haben mir viel zu verdanken. Ohne mich wären Sie an den Schulden Ihrer Eltern erstickt. Ich habe Sie zu dem gemacht, der Sie sind.“

„Sie waren ein guter Lehrer. Seien Sie sich gewiss, ich habe jede einzelne Lektion verinnerlicht und genossen.“

„Meine Geschäfte.“

„Meine Geschäfte“, verbesserte Theo seinen ehemaligen Vorgesetzten und löste bei diesem einen Magenschmerz aus, der ihn glauben ließ, sich jeden Augenblick in die Hose machen zu müssen. „Ich habe die Geschäfte mit der Theodor Hatterfeld Inc geschlossen und die Rechnungen sowie Provisionszahlungen verwaltet.“

Mortimer kniff die Augen zusammen, legte den Kopf schief und wiederholte, als könnte er nur so verstehen: „Theodor Hatterfeld Inc ...“ Um dann zu murmeln: „Theo Hatfield.“

„Sie haben mich zu einem reichen Mann gemacht, Sir“, lächelte Theo. „Dafür meinen Dank.“

„Aber ...“

„Sie genehmigen also meine Kündigung?“

„Sie haben sich mein Geld einverleibt.“

„Die fälligen Provisionen, ja. Sie sagten, ich soll mich darum bemühen, eine verschwiegene Gesellschaft zu finden, in der wir Ihre Investitionen, um nicht Spieleinsätze sagen zu müssen, decken können. Was ich getan habe.“

„Sie haben mich betrogen.“

„Einen Schlupfwinkel genutzt“, lächelte Theo schmal. „Dazu in den richtigen Momenten an der Börse spekuliert, Wetten platziert und Kontakte geknüpft. Ich empfehle mich.“

„Aber!“

„Ja?“

Theo hielt inmitten seiner Bewegung inne, legte den Kopf schief und betrachtete den sichtlich blass gewordenen Mortimer Right mit einem geringschätzigen, einem abfälligen Blick, der dem Anwalt alles andere als schmeckte.

Weil er mich an meine Blicke erinnert, die ich den Klienten der Gegenseite zuwerfe, Blicke, die sagten: Du bist nichts wert.

„Was haben Sie jetzt vor? Ich meine ...“

„Keine Sorge. Ihr Geheimnis ist gut bei mir aufbewahrt. Niemand wird erfahren, wie es wirklich um Sie gestellt ist und was sie hinter der Fassade der gutbürgerlichen Anwaltskanzlei wirklich treiben. Einen guten Tag.“

Mortimer schluckte.

„Shirley“, presste er heraus.

„Sie weiß von nichts.“

„Und ...“

„Ob ich vorhabe, ihr etwas von dem zu sagen, was Sie nicht veröffentlicht sehen wollen?“

„Ja.“

Theo zog sich, als würde er einen Reißverschluss seiner Hose zuziehen, mit dem Finger über die Lippen.

„Versiegelt, wie ein Grab. In das ich nicht fahren will, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Er saß in der Falle. Alles stand auf dem Spiel. Alles, was er sich aufgebaut hatte, drohte mit einer unerwarteten Kündigung wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen.

* * *

Ebenezer ging neben Edgar in die Knie.

Wie er die Meter hinter sich gebracht hatte, laufend oder vom Schock zum Gehen verurteilt, wusste er nicht zu sagen. Er konnte sich an nichts mehr erinnern. Weder an die durch ihn hindurchrasenden Gedanken, noch an die Gefühle und Empfindungen, die, seiner Erfahrung nach, wenn er in Stress geriet, wahre Kapriolen in ihm schlugen. Jetzt aber war es ihm, als wäre alles in ihm abgestorben. Als wäre da nur die lähmende, bleierne Angst, seinen Freund als Leiche zu berühren.

Ebenezer schluckte, als er die zitternde Hand nach Edgar ausstreckte, der auf dem Rücken lag, die Augen geschlossen hielt. Nur um dann, als Ebenezer ihn berührte, zu sagen: „Das war knapp.“

Der Oberinspektor blinzelte. Er starrte seinen noch immer regungslos daliegenden Freund an und meinte, sich verhört zu haben.

„Sind sie weg?“, wollte Edgar wissen, um dessen Nase ein sichtlich blasser Zug zu sehen war. Seine Lippen zitterten und auf seiner Stirn lag ein dichter Film aus Schweiß und Dreck. „Kann ich mich bewegen?“

„Du lebst?“, fragte Ebenezer unsicher und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass der elende, ihn in seinen Krallen festhaltende Schock endlich von ihm wich und er wieder auf seinen zur Rationalität neigenden Verstand zurückgreifen konnte.

„Mit Glück, aber ja, ich verweile noch unter den Lebenden“, murmelte Edgar, der erneut wissen wollte: „Sind sie weg?“

„Sie?“

„Die Schützen!“

Natürlich! Wie konnte er solch eine dämlich klingende Frage stellen?

„Ich glaube.“

„Dann tu mal lieber so, als wäre ich noch tot und schleife mich zu deinem Wagen. Leg mich da auf die Rückbank, und wenn ich in Sicherheit bin, dann können wir ungestört miteinander reden. Okay?“

„Okay.“

Ebenezer verstand die Welt nicht mehr. Am liebsten wäre er aus der Haut gefahren; hätte seinem Freund gesagt, was er von dessen schrecklichem Manöver hielt, und wie Edgar es wagen konnte, solch ein verrücktes und abstraktes Spiel mit ihm zu spielen. Dennoch tat er, worum Wallace ihn bat.

Eine in Fleisch und Blut übergegangene Abfolge von Rationalitäten, die ihn daran hinderte, hier und jetzt eine Szene zu machen, die dazu führte, den sowieso schon in Lebensgefahr schwebenden Edgar weiteren, neuen Gefahren auszusetzen.

„Ist er denn weg?“, wollte der Autor wissen, als Ebenezer ihm unter die Schulter griff und Gloria zurief: „Bleib im Auto. Ich glaube, es hat Edgar erwischt.“

Gloria stieß einen Schreckensschrei aus, nur um dann, mit zitternder, von Trauer und Unglauben gezeichneter Stimme wissen zu wollen: „Bringen wir ihn dennoch in ein Krankenhaus?“

„Ja!“, rief Ebenezer. „Starte den Wagen.“

Als er den viel schwerer als angenommenen Edgar Wallace Richtung Auto zerrte, dieser mit den Hacken seiner einst blank polierten Halbschuhe eine lange Furche in den Sand zog, hörte er, wie Gloria den Motor startete.

Erleichtert darüber, Gloria an seiner Seite zu haben, seufzte er.

Sie, die damals, in seinem bisher größten Fall, nimmer zu ihm gestanden hatte, die ihre Vergangenheit auf so schreckliche Art und Weise hatte aufarbeiten müssen, reagierte ausgezeichnet. Sie war für Ebenezer nicht nur die Frau seiner Träume, nein, sie besaß was, dass ihm Mut machte, niemals aufzugeben. Wenn er schwach war, warum auch immer, zeigte sie plötzlich Stärke und Durchhaltevermögen. Sie baute ihn auf, oder, wie in diesem Fall, tat sie das, was er brauchte.

Und so kam sie, langsam und vorsichtig, den sandigen Weg mit dem Sunbeam-Roadster auf ihn zugefahren.

Als er sie erreichte, war sie schon aus dem Wagen heraus und hatte den Fahrersitz umgeklappt, damit Edgar auf die Rückbank gelegt werden konnte.

„Wo ... wo ... ist er getroffen worden?“, wollte sie wissen und schluckte sichtlich, als sie den bleichen Wallace betrachtete.

„Nirgends“, antwortete Wallace mit einem schmalen Lächeln, „aber spiel dein Spiel weiter. Du machst das ausgezeichnet.“

Auf Glorias Stirn zeichnete sich eine steile Falte ab.

Ebenezer sagte nur: „So habe ich auch geguckt“, um dann zu Edgar zu sagen: „Los, hilf mir, dich in den Wagen zu bekommen. Du bist schwer und langsam werden mir die Arme lahm.“

* * *

„Äh, Shirley“, sagte Mortimer, der versuchte, seiner Stimme einen gelassenen, einen ausgeglichenen Klang zu verleihen, obwohl er sich alles andere als ruhig und sachlich fühlte.

In seinem Inneren brodelte ein kurz vor dem Ausbruch stehender Vulkan. Da war eine Erregung in ihm, die seine Gedanken in einer unangenehmen Abfolge abfeuerte und ihn glauben ließ, an dem Wust von Eindrücken, Ideen, Hoffnungslosigkeiten und Mordgelüsten verrückt werden zu müssen.

„Mister Right?“, meldete sich die junge, attraktive, blonde Frau, die ihn, obwohl er in einem Stadium völliger Anspannung war, wie immer faszinierte. Vorhin schon, als er in die Kanzlei getreten war, seinen Aktenkoffer leicht schwingend, die Briefe und Korrespondenzen entgegennahm, war ihm aufgefallen, wie verführerisch sie wieder ausgesehen hatte. Wie sehr es ihm gefiel, wie sie da hinter ihrem Tisch gesessen, den beigen Pullover adrett tragend, all ihre Weiblichkeit verbergend und doch auf eine ihn faszinierende Art und Weise unterstreichend.

Dazu die hochgesteckten, schönen, vollen, Haare, die diesen angenehmen Geruch nach Flieder ausströmten.

Vergiss ihr Lächeln nicht, meldete sich ein Gedanke in der Flut aus Emotionen in ihm. Das hast du gemocht, nicht wahr?

„Ich ... ich ... also ...“ Er räusperte sich, versuchte klar zu denken, wollte wieder Herr der Lage werden, um dann zu merken, dass es ihm nicht gelang

„Sie sehen nicht gut aus“, meinte Shirley, einen besorgten Gesichtsausdruck auf ihn gerichtet. „Brauchen Sie einen Arzt.“

„Nein“, keuchte er und machte eine Bewegung mit dem Kopf, von der er hoffte, sie würde den sich plötzlich zu eng anfühlenden Krawattenknoten etwas lockern. „Niemand Externen.“

„Aber ...“

„Ich brauche nur Sie, Shirley. Sie und Ihren Notizblock.“

Sie hielt Bleistift und die Blätter in die Höhe.

„Ausgezeichnet“, sagte er, räusperte sich und griff mit zitternden Fingern nach dem Wasserglas, das immer auf seinem Schreibtisch stand. „Sie müssen bitte ein Telegramm für mich aufgeben.“

„An wen ist es gerichtet?“

„An Direktor Chamberlain, von der Sussex Ost Bank Company.“

„Was soll ich telegrafieren?“

„Dass ich von meinem Privatkonto eintausend Pfund ausgezahlt haben möchte. Jetzt, gleich.“

Ob Shirley bei der genannten, für sie ungeheuerlich hohen Geldsumme innerlich zusammenzuckte oder irgendetwas dachte wie: Muss Mister Right reich sein, konnte er nicht sagen. Aber ein kurzer, ein intensiver, ein beinahe schon gierig wirkender Wunsch in ihm, wollte genau das. Er wollte, dass sie sich von seinem zur Schau getragenen Reichtum beeindruckt zeigte. Dass sie in ihm einen Mann sah, der wusste, wie leicht es war, Geld zu verdienen und es in Luxusgüter umsetzen konnte.

„In Scheinen? Oder per Scheck?“, wollte sie professionell wissen, den Blick auf den noch immer sichtlich nervösen Anwalt gerichtet, der es nicht schaffte, sich innerlich zur Ruhe zu zwingen.

„Scheine. Bitte.“